HomeChronology EntriesDocumentsPeopleLogin

“Die China-Rezeption bei expressionistischen Autoren.” (Publication, 1993)

Year

1993

Text

Han, Ruixin. Die China-Rezeption bei expressionistischen Autoren. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1993). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1421). Diss. Univ. München, 1993. (HanR1)

Type

Publication

Contributors (1)

Han, Ruixin  (Baoding, Hebei 1964-) : Germanistin

Mentioned People (4)

Ehrenstein, Albert  (Wien 1886-1950 New York, N.Y., Armenhospiz auf Welfare Island) : Österreichischer Schriftsteller

Klabund  (Crossen, Oder 1890-1928 Davos) : Schriftsteller

Schiebelhuth, Hans  (Darmstadt 1895-1944 East Hampton, N.Y.) : Schriftsteller, Dichter, Übersetzer, Journalist

Stolzenburg, Wilhelm  (Wetter a.d. Ruhr 1879-1958 Essen) : Schriftsteller, Dichter, Redakteur, Buchhändler

Subjects

Literature : Occident : Germany : General / References / Sources / Translator

Chronology Entries (42)

# Year Text Linked Data
1 1819 Die Welt als Wille und Vorstellung [ID D11901].
Quellen siehe 1819-1854.
Schopenhauer schreibt in Bd. 1, 2. Buch : Sie haben besonders darauf aufmerksam gemacht, daß die Polarität, d.h. das Auseinandertreten einer Kraft in zwei qualitativ verschiedene, entgegengesetzte und zur Wiedervereinigung strebende Thätigkeiten, welches sich meistens auch räumlich durch ein Auseinandergehn in entgegengesetzte Richtungen offenbart, ein Grundtypus fast aller Erscheinungen der Natur, vom Magnet und Krystall bis zum Menschen ist. In China ist jedoch diese Erkenntniß seit den ältesten Zeiten gangbar, in der Lehre vom Gegensatz des Yin und Yang. – Ja, weil eben alle Dinge der Welt die Objektität des einen und selben Willens, folglich dem innern Wesen nach identisch sind; so muß nicht nur jene unverkennbare Analogie zwischen ihnen seyn und in jedem Unvollkommeneren sich schon die Spur, Andeutung, Anlage des zunächst liegenden Vollkommeneren zeigen; sondern auch, weil alle jene Formen doch nur der Welt als Vorstellung angehören, so läßt sich sogar annehmen, daß schon in den allgemeinsten Formen der Vorstellung, in diesem eigentlichen Grundgerüst der erscheinenden Welt, also in Raum und Zeit, der Grundtypus, die Andeutung, Anlage alles Dessen, was die Formen füllt, aufzufinden und nachzuweisen sei. Es scheint eine dunkle Erkenntniß hievon gewesen zu seyn, welche der Kabbala und aller mathematischen Philosophie der Pythagoreer, auch der Chinesen, im Y-king [Yi jing], den Ursprung gab: und auch in jener Schellingischen Schule finden wir, bei ihren mannigfaltigen Bestrebungen die Analogie zwischen allen Erscheinungen der Natur an das Licht zu ziehn, auch manche, wiewohl unglückliche Versuche, aus den bloßen Gesetzen des Raumes und der Zeit Naturgesetze abzuleiten. Indessen kann man nicht wissen, wie weit ein Mal ein genialer Kopf beide Bestrebungen realisiren wird.
Bd. 1, 4. Buch : So kommen alle Kreaturen dem guten Menschen zu Nutz: eine Kreatur in der andern trägt ein guter Mensch zu Gott.« Er will sagen: dafür, daß der Mensch, in und mit sich selbst, auch die Thiere erlöst, benutzt er sie in diesem Leben. – Sogar scheint mir die schwierige Bibelstelle Röm. 8, 21-24 in diesem Sinne auszulegen zu seyn. Auch im Buddhaismus fehlt es nicht an Ausdrücken der Sache: z.B. als Buddha, noch als Bodhisatwa, sein Pferd zum letzten Male, nämlich zur Flucht aus der väterlichen Residenz in die Wüste, satteln läßt, spricht er zu demselben den Vers: »Schon lange Zeit bist du im Leben und im Tode da; jetzt aber sollst du aufhören zu tragen und zu schleppen. Nur dies Mal noch, o Kantakana, trage mich von hinnen, und wann ich werde das Gesetz erlangt haben (Buddha geworden seyn), werde ich deiner nicht vergessen.« (Foe Koue Ki, trad. p. Abel Remusat, S. 233.)
Bd. 2, Ergänzungen zum Buch 1, Kap. 17 : Wollte ich die Resultate meiner Philosophie zum Massstabe der Wahrheit nehmen, so müsste ich dem Buddhaismus den Vorrang vor den andern zugestehen. Jedenfalls muss es mich freuen, meine Lehre in so grosser Übereinstimmung mit einer Religion zu sehen, welche die Majorität auf Erden für sich hat.

Sekundärliteratur
Liu Weijian : Arthur Schopenhauer versucht aus seiner Begeisterung für den Buddhismus keinen Hehl zu machen. Er versuchte nicht nur den Buddhismus an die Stelle des Christentums zu setzen, sondern sogar das Christentum wegen seines Pessimismus, seiner Askese und seiner Ethik als aus dem Buddhismus hervorgegangene Religion zu deuten. Seitdem ist das deutsche Geistesleben des 19. Jahrhunderts nicht mehr vom Einfluss des Buddhismus zu trennen...
Schopenhauer zollt bei seiner Kritik am Christentum der buddhistischen Lehre grosse Anerkennung und leitet deren Rezeption ein, die sodann Nietzsche bewusst im Kampf gegen den christlichen dogmatischen Wahrheitsanspruch und die Schopenhauersche pessimistische Weltanschauung fortsetzt, indem er den Buddhismus für die Subversion der christlichen absoluten Werte und das Konzept der diesseitigen Sinnschöpfung und Selbsterlösung reaktiviert.

Han Ruixin : Schopenhauer war ein Bewunderer der buddhistischen Lehre. Seiner Ansicht nach sei Buddhismus stärker als europäische Religion und werde nach Europa strömen und eine Grundänderung in Wissen und Denken der Europäer hervorbringen. Sein Werk Die Welt als Wille und Vorstellung lässt erkennen, dass er sich bei der Ausgestaltung seiner Lehre vom Buddhismus anregen liess. Der Buddhismus, aus dem Schopenhauer für seine Lehre schöpfte, stellte in China die grösste Gemeinschaft von Gläubigen und hat zugleich viele Berührungspunkte mit dem chinesischen Taoismus.
  • Document: Ostasienrezeption zwischen Klischee und Innovation : zur Begegnung zwischen Ost und West um 1900. Walter Gebhard (Hg.). (München : Iudicium, 2000). S. 88, 116. (Geb1, Publication)
  • Person: Schopenhauer, Arthur
2 1823 Jean-Pierre Abel-Rémusat hält einen Vortrag über das Dao de jing von Laozi, das er im Original gelesen hat an der Académie française. Er unterscheidet Laozi streng von dem in China verbreiteten religiös-magischen Populärtaoismus und bezeichnet ihn als einen echten Philosophen, einsichtigen Sittenlehrer, beredten Theologen und feinen Metaphysiker.
3 1854 Ueber den Willen in der Natur. Kapitel Sinologie. 2. Aufl. [ID D11903].
Quellen siehe 1819-1854.
Schopenhauer schreibt einen handschriftlichen Zusatz : Der Verfall des Christentums rückt sichtlich heran. Dereinst wird gewiß indische Weisheit sich über Europa verbreiten. Denn der in allem andern den übrigen weit vorangehende Teil der Menschheit [näml. der Westen] kann nicht in der Hauptsache [näml. Religion und Weltanschauung] große Kinder bleiben; angesehn, daß das metaphysische Bedürfnis unabweisbar, Philosophie aber immer nur für wenige ist. Jener Eintritt der Upanischaden-Lehre oder auch des Buddhaismus würde aber nicht wie einst der des Christentums in den unteren Schichten der Gesellschaft anfangen, sondern in den obern; wodurch jene Lehren sogleich in gereinigter Gestalt und möglichst frei von mythischen Zutaten auftreten werden.

Sekundärliteratur

Werner Lühmann : Schopenhauers philosophisches Lebenswerk ist von den Ideen der indischen Hochkultur durchdrungen, für China hat er nur Augen für den Buddhismus. Taoistische Glaubensvorstellungen lässt er gelten, da diese nach seiner Meinung eine engere Beziehung zur buddhistischen Lehre aufweisen ; dem Konfuzianismus, dessen Gedankengut für die überwiegende Mehrheit der Chinesen Richtschnur und geistiges Fundament ihres Denkens und Handelns bildet, bringt Schopenhauer nur geringschätzige Verachtung entgegen. Die Anmerkungen im Aufsatz ‚Sinologie’ bieten eine Fülle von Angaben zum Schrifttum jener Zeit über den Buddhismus, ein Ausweis dafür, wie einseitig sich Schopenhauer mit der Philosophie des alten Chinas auseinandergesetzt hat.
Nach einer allgemeinen Bemerkung zum ‚hohen Stand der Civilisation China’s’ geisselt Schopenhauer zunächst die nach seiner Auffassung ebenso eitle wie unverständige geistige Haltung der Jesuitenmissionare, die nicht dazu gekommen seien, sich über die Glaubenslehren in China gründlich zu unterrichten. Er ist wenig bereit, die Bemühungen der Jesuiten um ein auf die Texte der Klassiker gegründetes und von Achtung für den philosophischen Gehalt jener Schriften geprägtes Verständnis der konfuzianischen Morallehre anzuerkennen. Sodann streift er einen ‚nationalen Naturkultus’, um sich dem Taoismus zuzuwenden.
Den Chinesen sei der Monotheismus fremd, meint Schopenhauer, und lenkt damit auf den eigentlichen Zweck seiner Abhandlung : die Erörterung der Frage, wie denn, wenn es eine solche gebe, die Gottesvorstellung der Chinesen beschaffen sei. Er scheut keine Mühe, diese für ihn zentrale Frage chinesischer Weltanschauung, durch Lektüre einschlägigen Schrifttums kundig zu machen.

Luo Wei : Arthur Schopenhauer schreibt in der Vorrede der 2. Aufl., dass das Buch für seine Philosophie von besonderer Wichtigkeit sei. Das Kapitel 'Sinologie' behandelt den 'hohen Stand der Zivilisation Chinas' und die chinesische Religion. Im Vergleich zum Konfuzianismus schenkt er dem Buddhismus, dessen Geist und Sinn seiner Meinung nach, ganz mit dem der Tao-Lehre übereinstimmt, die grösste Aufmerksamkeit, verweist aber zur gleichen Zeit bewusst darauf, dass in China diese drei Glaubenslehren weit davon entfernt sind, sich anzufeinden, sondern ruhig nebeneinander bestehen und durch wechselseitigen Einfluss ein gewisse Übereinstimmung miteinander haben. Der Kaiser als solcher bekenne sich zu allen dreien. Der Name des Konfuzius taucht mehrmals auf. Wenn es um den Heroenkultus geht, heisst es, dass Kung-fu-tse (Konfuzius) allein 1650 Tempel hätte. Laotse [Laozi] wird als ein älterer Zeitgenosse von Konfuzius bezeichnet. Obwohl er die Lehre des Konfuzius, der besonders die Gelehrten und Staatsmänner zugetan sind, für eine breite, gemeinplätzige und überwiegend politische Moralphilosophie ohne Metaphysik hält, die etwas ganz spezifisch Fades und Langweiliges an sich hat, räumt er jedoch gleichzeitig unmissverständlich einen gewissen Vorbehalt ein, indem er die Formulierung 'nach den Übersetzungen zu urteilen' dazwischen steckt und die negative Assoziation gegenüber Konfuzius’ Lehre absichtlich einschränkt.

Han Ruixin : Schopenhauer erlangt die Erkenntnis, dass sich seine Lehre und die chinesische Anschauung über den ‚Himmel’ im metaphysischen Sinne, über das absolute ‚Dao’ entsprechen. Die Berührungspunkte zwischen Schopenhauers und Nietzsches Philosophie und der östlich-chinesischen Weltanschuung haben das Aufkommen östlicher Glaubens- und Lebenslehren Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit vorbereitet.
  • Document: Lühmann, Werner. Konfuzius : aufgeklärter Philosoph oder reaktionärer Moralapostel ? : der Bruch in der Konfuzius-Rezeption der deutschen Philosophie des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. (Wiesbaden : Harrassowitz, 2003). [Confucius]. S. 138-141. (Lüh1, Publication)
  • Document: Payer, Alois : http://www.payer.de/budlink.htm. (Pay1, Web)
  • Person: Schopenhauer, Arthur
4 1870 Han Ruixin : Die Übersetzung von Lao-tse. Tao te king von Victor von Strauss [ID D4587] beruht auf der streng lexikalisch und grammatikalisch begründeten Auslegung des Originaltextes und sorgfältiger Prüfung der einschlägigen Kommentare mit einer umfangreichen Einleitung über den Stand der Laozi-Rezeption in Europa, über die Lehre Laozis, seine Lebensdaten und die Überlieferung und Auslegung des Dao de jing in China.
Strauss schreibt : Unser Altmeister hat Samenkörner tiefster Speculation, die noch immer fruchtbar werden könnten für eine Zeit, deren zunehmendes Herabsinken in seichten Empirisumus und Materialismus nur schlecht verhüllt wird durch den eitlen Selbstruhm rapiden Fortschreitens in Dingen, die weder Geist noch Gemüth zu veredeln und zu bereichern im Stande sind.
5 1903 ca. Klabund liest das Buch Lieder aus dem Rinnstein [ID D12692]. Darin enthalten ist das Gedicht Chinesisches Vagabundenlied von Li-tai-pe [Li Bo]. Es ist seine erste Begegnung mit chinesischer Lyrik. [Nach einer wörtlichen Übersetzung von Léon Hervey de Saint-Denys. Poésies de l’époque des Thang] [ID D2216].
6 1907 Hans Bethge schreibt über seinen Eindruck von der chinesischen Lyrik : Ich fühlte eine bang verschwebende Zartheit lyrischen Klanges, ich blickte in eine von Bildern ganz erfüllte Kunst der Worte, die hinableuchtete in die Schwermut und die Rätsel des Seins, ich fühlte ein feines lyrisches Erzittern, eine quellende Symbolik, etwas Zartes, Duftiges, Mondscheinhaftes, eine blumenthafte Grazie der Empfindung.
7 1907 Bethge, Hans. Die chinesische Flöte [ID D11977].
Bethge schreibt im Vorwort : China wird, das ist sein unabwendbares Schicksal, immer mehr den Einflüssen Europas unterliegen und wird hierbei das Beste und Schönste seiner Eigenart notwendigerweise preisgeben.
Er [Li Bai] dichtete die verschwebende, verwehende, unaussprechliche Schönheit der Welt, den ewigen Schmerz und die ewige Trauer und das Rätselhafte alles Seienden. In seiner Brust wurzelte die ganze dumpfe Melancholie der Welt, und auch in Augenblicken höchster Lust kann er sich von den Schatten der Erde nicht lösen. "Vergänglichkeit" heißt das immer mahnende Siegel seines Fühlens. Er trinkt, um seine Schwermut zu betäuben, aber in Wirklichkeit treibt er nur in neue Schwermut hinein. Er trinkt und greift voll Sehnsucht nach den Sternen. Seine Kunst ist irdisch und überirdisch zugleich. Mächtige Symbole gehen in ihm um. Bei ihm spürt man ein mystisches Wehen aus Wolkenfernen, der Schmerz des Kosmos webt in ihm. In ihm hämmert das unbegriffene Schicksal der Welt.
Thu-Fu [Du Fu] ist nicht so brausend, er ist eher sentimental, und sein Herz ist mehr bewegt von den zeitlichen Geschicken der Erde als von den Rätseln des Seins.

Han Ruixin : Darin enthalten sind 83 Gedichte, die von Léon Hervey de Saint-Denys, Judith Gautierund englischen Prosaquellen beeinflusst sind. Im Geleitwort bringt er seine Begeisterung für die chinesische Lyrik zum Ausdruck, nennt ihre Merkmale in Bezug auf Rhythmik, Parallelismus sowie Prägnanz des Ausdrucks, und ist sich der Schwierigkeit, chinesische Lyrik in einer europäischen Sprache wiederzugeben, durchaus bewusst.
Jiang Yimin : Bethge hat ausschliesslich Gedichte aus der Tang-Zeit übernommen, vorwiegend diejenigen lyrischen Gedichte, die das Musseleben und die mit dem Musseleben verbundenen Gefühle beinhalten : Gefühle wie Einsamkeit, Abschied, Abgeschiedenheit, Trunkenheit, Liebe zur Natur, Melancholie und Meditation über die Natur.
  • Document: Wei, Maoping. Günter Eich und China : Studien über die Beziehungen des Werks von Günter Eich zur chinesischen Geisteswelt. (Heidelberg : Universität Heidelberg, 1989). Diss. Univ. Heidelberg, 1989. S. 191. (Eich4, Publication)
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 167. (LiuW1, Publication)
  • Document: Jiang, Yimin. Die chinesische Flöte von Hans Bethge und Das Lied der Erde von Gustav Mahler : vom Textverständnis bei der Rückübersetzung. In : Ostasienrezeption zwischen Klischee und Innovation. (Geb1) (JiaY1, Publication)
  • Person: Bethge, Hans
8 1910 Han Ruixin : Kung-futse. Gespräche (Lun yü) [ID D1581] in der Übersetzung von Richard Wilhelm ist die erste vollständige deutsche Übersetzung, die mit ausführlichen Erläuterungen versehen ist und sich auf chinesische Kommentare, wie auch auf europäische Übersetzungen und Darstellungen stützt. Erst mit dieser Übersetzung beginnt in Europa eine positive Beurteilung von Konfuzius. In der Einführung betrachtet Wilhelm Konfuzius im Zusammenhang des Lebens der Chinesen. In der Zhou-Dynastie sieht er die Idee vom natürlichen Familienkörper in aller Vielfalt verwirklicht und das Pietätsprinzip als moralisches Grundverhältnis des Gesellschaftsorganismus der Zeit herausgebildet. Ebenso werden die reich ausgestalteten konfuzianischen sittlichen Normen und Zeremonien als eine notwendige Lebensordnung angesehen, die aus der Lebensweisheit und –praxis der Vorfahren hervorgegangen ist. Darum sei nichts verkehrter, als aus der Gewissenhaftigkeit, mit welcher er auch die äussere Form beachtete, ihm den Vorwurf des leeren Formalismus zu machen.
9 1911 Corbach, Otto. Kulturpolitik in China. In : Aktion. (1911).
Er schreibt : Während es für einen Europäer geradezu eine Lebensaufgabe bedeutet, in den Geist der chinesischen Sprache und des chinesischen Volkes einzudringen, ist es für einen geistig geweckten Chinesen leicht, sich durch Erlernung einer oder mehrerer europäischen Sprachen Zugang zu den Quellen westländischer Bildung zu verschaffen und dann seinerseits an der Aufklärung des chinesischen Volkes im modernen Sinne zu arbeiten… Wie kann es da noch lange dauern, dass Europäer in China als Lehrer mit Chinesen, die im Auslande studiert haben und das Gelernte viel besser in die chinesische Begriffswelt zu übertragen wissen, zu konkurrieren vermögen. Die Frage darf deshalb wohl aufgeworfen werden,… ob wir nicht besser tun, uns mit den Chinesen, statt die Chinesen mit uns näher vertraut zu machen.
10 1911 Richard Wilhelm schreibt in der Einleitung zu seiner Übersetzung Liä dsi [Liezi] [ID D4446] : Liä dsi ist das vermittelnde Zwischenglied zwischen der grundlegenden Konzeption des Taotekin auf der einen Seite und der Zusammenfassung der taoistischen Lehren in dem Werk, das unter Dschuang Dschous (gewöhnlich Dschuang Dsi genannt) [Zhuangzi] Namen geht, auf der andern Seite.
11 1911 Dallago, Carl. Laotze und ich. In : Der Brenner ; 2 (1911).
Dallago schreibt : Wenn sich der [Laozi] je über die menschliche Gesellschaft Gedanken machte, waren es sicher nicht ’Soziologische’. Er gestand sich höchstens : dass diese Gesellschaft wenig oder nichts tauge und ersah sein Heil und das Heil der Menschen in der Einkehr bei sich selber – in der Rückkehr zum Menschen. Laotse steht immer abseits aller Soziologie. Er erkennt zuletzt das grosse Eine, Ewig-Unerkannte im Dasein und in sich als das einzig Herrschende an. Sich eins wissen mit ihm, - sich eins fühlen mit diesem Unerklärbaren wird der Urquell alles Nichttuns – wird der Quell des Herrschens der Beherrschten. Es nimmt eben allem Tun den Charakter eines Tuns : es entfernt von ihm das Zweckliche. Unser Tun wird so ein Mit-uns-tun-lassen. Das Nichttun, gedacht als allerhöchste Entfaltung des inneren Menschen.. Das ist etwas anderes als Unpersönlichkeit. Es ist ein Persönliches zur höchsten Kraft erhoben, - es liegt ihm höchster Wille zur Macht zugrunde, indem das vertiefteste Ichgefühl sein Selbst zur Entfaltung durch Zeit und Raum – und damit zur höchsten Art von Herrschtum zu führen strebt. So gesehen, löst sich immer etwas heraus, das sich zu Jesus – und im weiteren auch zu Nietzsche in Verwandtschaft bringt.
12 1912 Han Ruixin : Dschuang Dsi. Das wahre Buch vom südlichen Blütenland [ID D4447]. Richard Wilhelm nennt als Besonderheiten Zhuangzis sowohl seine Anschauungen, als auch die Lebhaftigkeit seines Geistes, die Schärfe seines Denkens und der Umfang seines Wissens. Die Grundgedanken des ganzen Werkes seien die Ruhe im Sinn, die Innerlichkeit und die souveräne Freiheit, die jenseits der Welt im Einen wurzelt.
Franz Kafka schreibt zur Stelle "Durch das Leben wird nicht der Tod lebendig ; durch das Sterben wird nicht das Leben getötet. Leben und Tod sind bedinge ; sie sind umschlossen von einem grossen Zusammenhang" : Das ist - glaube ich - das Grund- und Hauptproblem aller Religion und Lebensweisheit. Es handelt sich darum, den Zusammenhang der Dinge und Zeit zu erfassen, sich selbst zu entziffern, das eigene Werden und Vergehen zu durchdringen.
13 1915 Klabund besucht Bruno Frank, der ihm das Gedicht Pavillon aus Porzellan von Li Bo in der Nachdichtung aus Die chinesische Flöte von Hans Bethge [ID D16812] vorliest. Klabund sagt : Das ist unglaublich schön. Nur muss man’s anders übertragen. Er holt sich darauf umfangreiche Literatur über chinesische Lyrik aus der Staatsbibliothek München.
14 1915 Klabund. Li Tai Pe : Nachdichtungen [ID D2998].
Quellen : Hervey de Saint-Denys, Léon. Poésies de l'époque des Thang [ID D2216]. Gautier, Judith. Le livre de jade [ID D12659]. Harlez, Charles Joseph de. La poésie chinoise [ID D12693]. Pfizmaier, August. Das Li-sao und die neun Gesänge [ID D4776]. Strauss, Victor von. Schi-king [ID D4648]. Forke, Alfred. Blüthen chinesischer Dichtung [ID D664]. Grube, Wilhelm. Geschichte der chinesischen Literatur [ID D798]. Heilmann, Hans. Chinesische Lyrik [ID D11976]. Hauser, Otto. Li-tai-po [ID D4640] und Die chinesische Dichtung [ID D12694].

Klabund schreibt an Walther Heinrich Unus : Mit Litaipe [Li Bo] bin ich mir noch nicht einig. Vielleicht mache ich eine grosse Ausgabe (1000 unbekannte Gedichte, direkt aus dem Chinesischen übersetzt mit einem hiesigen Chinakenner). Vielleicht. Statt dessen fertigt Klabund 40 Gedichte als Nachdichtungen an, 12 davon übernimmt er aus Dumpfe Trommeln [ID D11994].

Han Ruixin : Vergleicht man Klabunds Nachdichtungen mit den chinesischen Originaltexten, so weisen sie zumeist starke Abweichungen auf : Ersatz chinesischer Ausdrücke durch andere, Umformulierungen, Hinzufügungen, Auslassungen, Umbau. Obwohl seine Nachdichtungen nicht wörtlich mit den Originaltexten übereinstimmen, geben sie doch deren Aussagen und Sinngehalt manchmal hervorragend wieder. Andrerseits gibt es auch Nachdichtungen, die in der Aussage mit den Originaltexten nichts mehr gemein haben und ganz als Neuschöpfungen anzusehen sind.

Dscheng, Fang-hsiung : Klabund hat alle deutschen Nachdichter auf dem Gebiet chinesischer Lyrik in Stil und Gehalt übertoffen. Dscheng weist nach, dass Klabund sich ausführlich mit China beschäftigt und dabei ernsthafte Kenntnisse erworben habe. Die Begeisterung für Li Tai Po liege in der wesensverwandten Gestalt begründet : Li Tai-bo, der wandelnde Poet, von Volk und Kaiser hoch geachtet, habe eine Parallele zu Klabund ; nicht von ungefähr sei Klabund eine Kombinationn aus Klabautermann und Vagabund.

Heinz Grothe : Aus dieser östlichen Welt holt Klabund sich seine besten Lyrika und dichtet sie neu. So sagt man. Aber es ist nicht so. Klabund übertrug nicht nach Originalen. Er „erfand“ diese Verse und sie scheinen uns wie Blumen aus dem übbigen Garten chinesischer Dichtkunst ans Tageslicht gezaubert. Die Welt der Ahnenverehrung, die Menschen, die die Geister fürchten, die ihnen ihre Leben und Gesundheit bedrohen, lässt Klabund in seiner Art erstehen. Nichts von der Ferne und Tiefe östlichen Geheimnisses, umsomehr Romantik. Woraus wiederum zu schliessen ist, dass ein anderer Zusammenhang sein muss, als nur vom Vorbild zum Nachdichter. Klabunds eigene Traurigkeit klingt aus diesen Strophen. Herrliche Liebesgedichte, hämmernde Kriegsverse, trunkene Lieder Litaipes, Strophen von stärkster Resignation.

Kuei-fen Pan-hsu : Die Vorlagen von Hervey Saint-Denys und Judith Gautier spielen vor allem eine grosse Rolle. Es zeigt sich, wenn das Original in der Vorlage falsch übersetzt worden ist, kann Klabunds Übertragung bei aller Intuition nicht den Sinn des chinesischen Gedichtes treffen… Die Veränderung dieser Gedichte ist zum Teil auch durch Klabunds Vorstellung von der chinesischen Welt bestimmt, sowie von Klabunds eigener geistiger Haltung und dem zeitgenössischen Geschmack.

Wolfgang Bauer : Nur Hans Bethge und Klabund bietet die Berührung mit dem Chinesischen gerade den notwendigen Halt für die Entfaltung ihres Talents, das durch ein allzu grosses Mehr an Information wohl erstickt worden wäre. Ihre zahlreichen Nachdichtungen… können zweifellos als eigenständige Kunstleistungen betrachtet werden.

Helwig Schmidt-Glintzer : Die starke Betonung der Trunkenheit, die Klabund in Lai Taibais Trinkliedern gesehen hat, ist nichts Fremdes. Sie wurzelt in dem dionysischen Kult der Philosophie Nietzsches, die wiederum auf die indische Philosophie zurückzuführen ist. Sie hat jedoch auch in der chinesischen Tradition eigenständige, vergleichbare Wurzeln in der Rausch- und Drogendichtung vergangener Jahrhunderte.
  • Document: Pan-Hsu, Kuei-fen. Die Bedeutung der chinesischen Literatur in den Werken Klabunds : eine Untersuchung zur Entstehung der Nachdichtungen und deren Stellung im Gesamtwerk. (Frankfurt a.M. : P. Lang,, 1990). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1179). Diss. Univ. Hamburg, 1988. S. 94, 100, 106. (Pan2, Publication)
  • Document: Epkes, Gerwig. "Der Sohn hat die Mutter gefunden..." : die Wahrnehmung des Fremden in der Literatur des 20. Jahrhunderts am Beispiel Chinas. (Würzburg : Königshausen und Neumann, 1992). (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft ; Bd. 79). Diss. Univ. Freiburg i.B., 1990. S. 66-67. (Epk, Publication)
  • Document: Fang, Weigui. Das Chinabild in der deutschen Literatur, 1871-1933 : ein Beitrag zur komparatistischen Imagologie. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1992). (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1356). Diss. Technische Hochschule Aachen, 1992. S. 299. (FanW1, Publication)
  • Person: Klabund
  • Person: Li, Bo
  • Person: Unus, Walther Heinrich
15 1915 Klabund. Dumpfe Trommeln und berauschtes Gong : Nachdichtungen chinesischer Kriegslyrik [ID D11994].

Quellen : Hervey de Saint-Denys, Léon. Poésies de l'époque des Thang [ID D2216]. Gautier, Judith. Le livre de jade [ID D12659]. Harlez, Charles Joseph de. La poésie chinoise [ID D12693]. Pfizmaier, August. Das Li-sao und die neun Gesänge [ID D4776]. Strauss, Victor von. Schi-king [ID D4648]. Forke, Alfred. Blüthen chinesischer Dichtung [ID D664]. Grube, Wilhelm. Geschichte der chinesischen Literatur [ID D798]. Heilmann, Hans. Chinesische Lyrik [ID D11976]. Hauser, Otto. Li-tai-po [ID D4640] und Die chinesische Dichtung [ID D12694].

Folgende Dichter sind darin enthalten : Li Bo (12) und Du Fu (9), Shi jing (3), Qu Yuan (1), Konfuzius (1), Wang Changling (1) sowie drei Gedichte aus angeblich unbekannter Herkunft.

Er schreibt an den Insel-Verlag : Es handelt sich bei den Nachdichtungen um Nachdichtungen in Reimen – eine Behandlunsweise, die für das Verständnis des Chinesischen in den Gedichten wesentlich erscheint : die chinesische Lyrik als Lyrik reimt sich immer.

Im Nachwort beschreibt Klabund die Wesensmerkmale der chinesischen Sprache und Lyrik.
Er schreibt : Die vorliegenden chinesischen Gedichte sind durchaus keine Übersetzungen. Sondern Nachdichtungen. Aus dem Geist heraus. Intuition. Wiederaufbau. (Manche Säulen des kleinen Tempels mussten versetzt oder umgestellt werden)…
Die chinesische Kriegslyrik überrascht durch die Kraft ihrer Anschauung und die Unerbittlichkeit ihrer Resignation, die sie von der meist hymnisch oder episch gearteten Kriegsdichtung aller übrigen Völker scharf unterscheidet…
In seinem Sohn allein erscheint der Mensch verewigt. In der Familie ist er unsterblich. Darum heisst Krieg für den Chinesen : fern von der Heimat sterben… unbestattet im Mondlicht verwesen… die Knochen nicht von frommer Kinder Hand gesammelt… kein Ahne sein… sterben…

Dscheng, Fang-hsiung : Klabund geht einher mit seiner geänderten Einstellung zum Kriege : Klabund, zutiefst überzeugt von der chinesischen Abneigung gegen Krieg und Gewalt, distanziert sich von … seiner anfänglichen Kriegsbegeisterung und wandelt sich – noch zur Zeit der deutschen Kriegserfolge – zum Pazifisten. Seine chinesische Kriegslyrik beschäftigt sich daher… vor allem mit der Verurteilung der Gewalt oder der Klage einer Geliebten um den im Kriege weilenden Gatten.

Kuei-fen Pan-hsu : Der exotische Kriegsschauplatz dient dazu, den Blick des Autors von Europa un der Gegenwart abzuwenden. Er führt ihn nicht zu einem endgültigen Gesinnungswandel. Dieser Gedichtband kann später nur als ein schwacher Vorwand dienen. Klabund verteidigt sich, dass er anfangs an den vorgetäuschten Idealismus der deutschen Regierung geblaubt, bald aber den Irrtum erkannt habe, als er im Frühling 1915 die chinesische Kriegslyrik, die Sprache der Menschlichkeit gedichtet hat.
  • Document: Pan-Hsu, Kuei-fen. Die Bedeutung der chinesischen Literatur in den Werken Klabunds : eine Untersuchung zur Entstehung der Nachdichtungen und deren Stellung im Gesamtwerk. (Frankfurt a.M. : P. Lang,, 1990). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1179). Diss. Univ. Hamburg, 1988. S. 75, 88. (Pan2, Publication)
  • Document: Epkes, Gerwig. "Der Sohn hat die Mutter gefunden..." : die Wahrnehmung des Fremden in der Literatur des 20. Jahrhunderts am Beispiel Chinas. (Würzburg : Königshausen und Neumann, 1992). (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft ; Bd. 79). Diss. Univ. Freiburg i.B., 1990. S. 66. (Epk, Publication)
  • Person: Confucius
  • Person: Du, Fu
  • Person: Li, Bo
  • Person: Qu, Yuan
  • Person: Wang, Changling
16 1915 Laotse. Der Anschluss an das Gesetz, oder, Der grosse Anschluss. Carl Dallago [ID D17008].
Quellen : Richard Wilhelm [ID D4445], Alexander Ular [ID D11974], Franz Hartmann [ID D12668].
Dallago schreibt im Vorwort der Auflage von 1921 über das Dao de jing von Richard Wilhelm : Der Eindruck des Buches war bezwingend und in manchem Betracht für mich derart bedeutungsvoll, dass es mich drängte, in einem Aufsatz (Laotze und ich) der ausserordentlichen Verehrung, die mich für den Geist des altchinesischen Weisen ergriffen hatt, Ausdruck zu geben [und] gegen die Übersetzung da und dort begründeten Einwand zu erheben.

Han Ruixin : Dallago empfand die bereits vorhandenen deutschen Übersetzungen des Dao de jing unzulänglich und gestaltet seine Nachdichtung auf der Grundlage von Wilhelm, Ular und Hartmann. Er konnte kein Chinesisch, war aber der Ansicht, dass die Sprache 'im Rein-Menschlichen' wie im 'Rein-Geistigen' nur Zeichen oder Behelf, niemals aber Erfüllung sein kann, und es immer Ohren erfordert, die hören, und Herzen, die aufnehmen können. Dallago hat in einem einfachen Sprachstil das Wesentliche des Dao de jing wiedergegeben.
17 1916-1917 Kafka, Franz. Der Jäger Gracchus. In : Kafka, Franz. Sämtliche Erzählungen. (Frankfurt a.M. : S. Fischer, 1970). [Entstanden 1916-1917].
Meng Weiyan : Eine Quelle ist vermutlich die Geschichte Weibertreue aus Chinesische Volksmärchen von Richard Wilhelm und der Schmetterlingstraum von Zhuangzi.

Lee Joo-dong : Die Zeit, in der der noch lebendige Jäger Gracchus mit der Natur (Himmel und Erde) im Einklang lebt, mit der ewigen ganzheitlichen universellen Welt atmen und Leben und Tod in einer gesicherten Ordnung des Universums sehen konnte, entspricht der Vorstellung von der ursprünglichen universellen Welt der Taoisten. Kafka versucht einen kulturkritischen Ansatzpunkt und zugleich den ruhigen und friedlichen Zustand des paradiesischen Menschen zu finden, der der taoistischen Gedankenwelt entspricht.

Han Ruixin : Einfluss hat der Taoismus durch den „Schmetterlingstraum“ Hui die meng von Zhuangzi. Der zwischen Diesseits und Jenseits wandernde Jäger verwandelt sich in einen Schmetterling.
  • Document: Lee, Joo-dong. Taoistische Weltanschauung im Werke Franz Kafkas. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1985). (Würzburger Hochschulschriften zur neueren deutschen Literaturgeschichte ; 8). Diss. Julius-Maximilians-Univ. zu Würzburg, 1985. S. 140, 158. (Lee10, Publication)
  • Document: Meng, Weiyan. Kafka und China. (München : Iudicium, 1986). (Studien Deutsch ; Bd. 4). Diss. Ludwig-Maximilians-Univ. München, 1986. S. 71-72. (Kaf2, Publication)
  • Person: Kafka, Franz
18 1917 Kafka, Franz. Beim Bau der chinesischen Mauer [ID D124553].
Quellen : Heilmann, Hans. Chinesische Lyrik [ID D11976]. Bethge, Hans. Die chinesische Flöte [ID D11977]. Dittmar, Julius. Im neuen China.
Max Brod sagt, dass Kafka das Buch Chinesische Lyrik von Hans Heilmann [ID D11976] sehr geliebt, zeitweilig allen anderen vorgezogen und oft mit Begeisterung daraus vorgelesen hat.

Ma Jia : China ist bei Franz Kafka ein Ideenschauplatz in seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit Macht und Gesetz. Beim Bau der chinesischen Mauer ist eines der wichtigsten Werke aus Kafkas China-Beschäftigung, denn darin werden die China-Motive häufiger und konzentrierter als in anderen Werken verwendet... Das Ziel, die chinesische Mauer zu bauen, bedeutet, Nordchina vor Angriffen der Nomaden zu schützen. Es ist aber ein illusionäres, imaginäres Ziel. Denn der Schutzfunktion, die der Mauer zukommen soll, kann diese nicht gerecht werden, zunächst wegen der mangelnden Kontinuität beim Mauerbau. Wie kann man aber eine Mauer schützen, die nicht zusammenhängend gebaut ist…. Die chinesische Mauer wird zum Symbol der Vergeblichkeit aller menschlichen Bemühungen und des Tragischen des Menschen, mit grösster Sorgfalt und unermüdlichem Fleiss das verwirklichen, dem Sinn geben zu wollen, was in der Gesamtheit unzweckmässig, ja überflüssig ist… China ist nur ein Schauplatz zwischen Traum und Wirklichkeit, auf dem Kafka seine Erfahrung des Menschen in einem undurchschaubaren mystischen Ganzen zeigt und das scheinbar sinnvolle Dasein in Frage stellt.

Meng Weiyan : Kafka behauptet, dass die Mauer zum ersten Mal in der Menschenzeit ein sicheres Fundament für einen neuen Babelturm schaffen werde. Der Babelturm ist ein Traum, der nur unter der Beteiligung aller Menschen in Erfüllung gehen kann. Die geographische Entfernung dient bei Kafka dazu, die Nutzlosigkeit der Mauer zu betonen. Er betont die Entfernung zwischen dem Kaiser und dem Volk, die ein Bote nicht hinter sich bringen kann, nicht nur weil das Land gross ist, sondern die Menge der Höflinge um den Kaiser, das Gedränge im Palast und auf den Strassen, sein Vorwärtskommen vereiteln.

Armin Schäfer : Kafka kennzeichnet China durch seine Grösse und das Volk, den Kaiser als Symbol und das Reich sind symbolische Üercodierungen einer dezentralen Politik.

Nakazawa Hideo. In : JDZB : Veröffentlichungen des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin ; Bd. 12 (1991), S. 233-235.
Die Erzählung ist ein allegorisches Werk, in dem das Wort „Jude“ durchwegs durch das Wort „Chinese“ ersetzt ist, und das sich mit der Situation des Judentums auseinandersetzt. Nach Kafkas Meinung hat weder der Kaiser noch die Nordvölker den Bau angeordnet. Es ist eher die „Führerschaft“, die ihn beschlossen haben. Die Führerschaft ist eine allegorische Darstellung der jüdischen Überlieferung, der Aufbau des Judenstaates.
  • Document: Meng, Weiyan. Kafka und China. (München : Iudicium, 1986). (Studien Deutsch ; Bd. 4). Diss. Ludwig-Maximilians-Univ. München, 1986. S. 77, 80. (Kaf2, Publication)
  • Document: Ma, Jia. Döblin und China : Untersuchung zu Döblins Rezeption des chinesischen Denkens und seiner literarischen Darstellung Chinas in "Drei Sprünge des Wang-lun". (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1993). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur : Bd. 1394). Diss. Univ. Karlsruhe, 1992. S. 25-27. (Döb1, Publication)
  • Person: Kafka, Franz
19 1917-1918 Kafka, Franz. Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg. In : Kafka, Franz. Prosa. (Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 1963). (Bibliothek Suhrkamp ; Bd. 97). [Aphorismen].
Meng Weiyan : Kafka hat einige Elemente der chinesischen Philosophie entnommen. In Gesprächen mit Gustav Janouch sagte er, dass er sich ziemlich tief und lange mit dem Taoismus beschäftigt hat und fast alle Bände der deutschen Übersetzungen dieser Richtung besitze.
Han Ruixin : Darin enthalten sind Parallelen zu Laozi, Zhuangzi und Liezi.
  • Document: Meng, Weiyan. Kafka und China. (München : Iudicium, 1986). (Studien Deutsch ; Bd. 4). Diss. Ludwig-Maximilians-Univ. München, 1986. S. 84. (Kaf2, Publication)
  • Person: Kafka, Franz
20 1918 Klabund beginnt sich für die chinesische Philosophie zu interessieren. Seine hohe Einschätzung der taoistischen Philosophie zeigt sich nach dem Tod seiner ersten Frau in einem Brief an Walther Heinrich Unus : … die Vernunft beweist. Das Herz lässt sich von ihr nicht weisen, wenn der Weise eine Waise geworden ist. Spricht (nicht so, aber in ähnlichem Sinne) der Tao. Wäre ich nicht ein Jünger des Tao (der einzigen Philosophie, die dem Menschen dieser Zeit etwas zu sagen hätte : denn es ist eine lebendige Philosophie, eine Philosophie, die gelebt werden muss und nach der gestorben werden muss), ich wäre längst verzweifelt. Wüsste ich nicht, dass die Seele Stern und Sonne ist, nicht dass sie bloss Objekte der Augen sind, wüsste ich nicht, dass die Einzelseele so gut unsterblich wie die Gesamtseele (das Urtao), so hätte ich mir längst eine Kugel in den Kopf gejagt.
Kuei-fen Pan-hsu : Der Taoismus hilft Klabund vor allem bei der Überwindung der Isolation in der persönlichen Lebenskrise und wird so zu einem neuen Stützpfeiler in seiner nach dem Krieg gewandelten Weltanschauung.
  • Document: Schuster, Ingrid. China und Japan in der deutschen Literatur 1890-1925. (Bern : Francke, 1977). S. 151. (Schu4, Publication)
  • Document: Pan-Hsu, Kuei-fen. Die Bedeutung der chinesischen Literatur in den Werken Klabunds : eine Untersuchung zur Entstehung der Nachdichtungen und deren Stellung im Gesamtwerk. (Frankfurt a.M. : P. Lang,, 1990). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1179). Diss. Univ. Hamburg, 1988. S. 116. (Pan2, Publication)
  • Person: Klabund
  • Person: Unus, Walther Heinrich
21 1919 Albert Ehrenstein hofft vergeblich auf die Revolution und den antinationalen Sozialismus in Deutschland und „flieht nach China“ : er wendet sich der Nachdichtung chinesischer Lyrik zu.
22 1919 Kafka, Franz. Ein Landarzt : kleine Erzählungen. (München : K. Wolff, 1919).
[Entstanden 1917-1918]
Quelle : Wilhelm, Richard. Chinesische Volksmärchen [ID D1585].

Han Ruixin : Die drei Erzählungen Ein Bericht für eine Akademie, Ein Besuch im Bergwerk und Elf Söhne weisen Einflüsse der chinesischen Märchen „Der Affe Sun Wukong“ aus Xi you ji und „Baxian“ [Die acht Unsterblichen] auf.

Ein Bericht für eine Akademie.
Hartmut Binder : Quelle ist Der Affe Sun Wu Kung aus Chinesische Volksmärchen.
Lee Joo-dong : Erzählung des Affen Rotpeter, der unter dem Zwang der Welt seine eigene Natur und Freiheit verlassen und ein Pseudo-Mensch werden muss. Als er im Käfig gefangen erwacht, sieht er sich zum erstenmal in seinem Leben ohne Ausweg. Die Metapher ‚Käfig’ im Taoismus erscheint als fesselnde Funktion und Struktur der zivilisierten Welt der natürlichen Freiheit des Menschen. Kafka versucht darzustellen, wie der Mensch unter dem Zwang und der Gewalt der Zivilisation seine eigentümliche Natur und Freiheit verliert und schliesslich in der sicheren, bequemen, aber nur scheinbaren Freiheit und Alltäglichkeit der Gesellschaft untergeht. Die Sehnsucht des Affen nach dem Gefühl der Freiheit ist die Sehnsucht Kafkas selbst nach dem unschuldigen Urzustand des Menschen des Altertums. Er äussert sich Gustav Janouch gegenüber : „Jeder lebt hinter einem Gitter, das er mit sich herumträgt. Darum schreibt man jetzt so viel von den Tieren“. Es ist ein Ausdruck der Sehnsucht nach einem freien, natürlichen Leben. Der Ausbruch des Affen in die Menschenwelt bringt ihm aber nur eine trügerische Freiheit. Die Parabel über die Pferde von Zhuangzi verweist auf das parallele Verhältnis der Verlorenheit der Natur und der Freiheit des Affen.
Kafka schreibt in einem Aphorismus „Ein Käfig ging einen Vogel suchen“. Bei Zhuangzi heisst es : „Wenn man… aus der Welt einen Käfig macht, so vermag kein Vogel zu entschlüpfen“.

Ein Besuch im Bergwerk.
Meng, Weiyan : Das von Kafka benutzte chinesische Märchen ist die 31. Geschichte in Chinesische Volksmärchen. Auffällig ist die Strukturähnlichkeit zwischen den beiden Texten.
Elf Söhne.
Meng Weiyan : Das Baugesetz entspricht dem der Acht Unsterblichen. Die Struktur stimmt überein, nur wird im chinesischen Märchen jeder einzelne Unsterbliche charakterisiert und über seine Eigenschaften und Taten berichtet. Kafka geht vom Charakter der elf Söhne aus. Max Brod meint, dass die Novelle als Wunschbild einer Familiengründung zu verstehen ist, denn drei Monate später findet die zweite Verlobung mit Felice statt.

Das nächste Dorf
Als Quelle geben Walter Benjamin und Johannes Urzidil den 80. Spruch des Dao de jing von Richard Wilhelm [ID D4445] an.
Lee Joo-dong : Die Erzählung beginnt mit „Mein Grossvater pflegte zu sagen : Das Leben ist erstaunlich kurz“. Der Sinn des eigentlichen Lebens und der Zeit kann bei Kafka wie bei den Taoisten, nur durch die existentiellen Erfahrungen des absoluten Augenblicks als zeitliche Zeitlosigkeit erfüllt werden. Der Augenblick ist unter dem Aspekt der einheitlichen universellen Weltanschauung die Ewigkeit und die Ewigkeit ist der Augenblick. Das naturnahe Dorfleben ist für die Taoisten wie für Kafka ein ideales Leben, das nicht nur einen Zustand der Einfachheit und Schlichtheit beinhaltet, sondern auch die von der Natur gewonnene, universelle Lebenskraft geniessen lässt. Die Lebenshaltung der Taoisten, das irdische Dasein, dessen Mühsal und Not sie genau kennen, so einzrichten, dass sie in Frieden arbeiten, anspruchslos einfach und mit Anstand leben und ein wenig Glück geniessen können, scheint in der Parabel der Lebenshaltung des Grossvaters zu entsperchen, da er mit „Entsagung und Verzicht“ reagiert.

Eine kaiserliche Botschaft.
Das Prosastück entstammt aus dem Text Beim Bau der chinesischen Mauer.

Ein altes Blatt
Meng Weiyan : Die Ähnlichkeit zwischen Julius Dittmars Buch Im neuen China [ID D12662] und der Erzählung lassen den Schluss zu, dass Kafka China-Motive verwendet hat. Folgende Punkte stimmen überein : Der chinesische Kaiser wohnt in der „Verbotenen Stadt“. Er hat die für den Staat wichtigen Zeremonien versäumt und die Verteidigung des Vaterlandes vernachlässigt, so dass die Nomaden [fremde Truppen bei Dittmar] aus dem Norden in die Hauptstadt gedrungen sind.

Rolf J. Goebel : Ein altes Blatt acquires new political and cultural meaning when read as an intertextual appropriation of, and critical reaction to, the European cultural and political discourse on China during the Qing dynasty. This discursive practice not only familiarized the Europeans with China as an alien, exotic, and increasingly colonized country but, also discovered a parallel between the reactionary, corrupt and decandent Austro-Hungarian monarchy and the Qing dynasty that was threathened by a similar crisis. Ein altes Blatt has nothing to do with the reality of China itself. Although the story’s fictional elements prevent the reader from constructing it as a truth, mimetic representation of China. It contains clearly decipherable traces of certain Western writings about the history of the Qing dynasty and thus participates in the crosscultural interaction between Europe and the Orient during the early decades of the twentieth century. Traditional social order, political institutions, and moral self-conception of the defenseless Chinese are confronted and subverted by the irreconcilable, “barbarian” otherness of the foreign nomads’ behavior, language, and power. Kafka’s depiction of the subversive nomads could be constructed as a critique of the unjust treatment of the Chinese by the European colonialists.
  • Document: Lee, Joo-dong. Taoistische Weltanschauung im Werke Franz Kafkas. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1985). (Würzburger Hochschulschriften zur neueren deutschen Literaturgeschichte ; 8). Diss. Julius-Maximilians-Univ. zu Würzburg, 1985. S. 22, 201, 205, 207, 158-159, 165, 170. (Lee10, Publication)
  • Document: Meng, Weiyan. Kafka und China. (München : Iudicium, 1986). (Studien Deutsch ; Bd. 4). Diss. Ludwig-Maximilians-Univ. München, 1986. S. 81. (Kaf2, Publication)
  • Document: Kafka and China. Ed. by Adrian Hsia. (Bern : P. Lang, 1996). (Euro-Sinica ; Bd. 7). [Franz Kafka]. S. 99-101, 105, 108. (Hsia9, Publication)
  • Person: Kafka, Franz
23 1920 Tschuang-tse [Zhuangzi]. Reden und Gleichnisse des Tschuang-tse. Deutsche Auswahl von Martin Buber. 2. Aufl. [ID D11978]
Han Ruixin : Martin Buber macht im Nachwort einen religiös-mystischen Versuch über die Lehre des Tao. Nach Buber ist die Lehre eine der drei Grundmächte, in denen sich der 'weisende' Geist des Orients aufbaut und von denen das Abendland nur zwei, nämlich Wissenschaft und Gesetz besitzt. Das Eigentümliche an der Lehre ist, dass sie auf das Eine geht. Sie hat nur einen Gegenstand : das Notwendige. Es wird verwirklicht im wahrhaften Leben und diese Verwirklichung bedeutet nichts anderes als die Einheit des Menschenlebens und der Menschenseele. Der Weg der Lehre ist der zur reinen Erfüllung in einem zentralen Menschenleben. Der chinesische Taoismus ist als eine solche Lehre zu betrachten. Buber versteht unter Dao den Grund und Sinn des eeinten Lebens, der seine eigene Erfühllung zum Ziele hat. Der Mensch, in dem Dao reine Einheit wird, ist der Vollendete. Im Einklang mit dem Dao stehend tut der Vollendete, was sein Verhältnis zur Welt betrifft, das Nichttun, denn jedes Eingreifen in das Leben der Dinge heisst sie und sich schädigen.
24 1920 Stolzenburg, Wilhelm. Li-tai-po : vor den Bastionen südwärts. In : Mannheimer Tageblatt (1920). Die Übersetzung eines Gedichtes von Li Bo ist die erste Beschäftigung Stolzenburgs mit chinesischer Lyrik. Darin wird die grausame Kriegswirklichkeit geschildert und an die Menschenliebe appelliert.
  • Person: Stolzenburg, Wilhelm
25 1920 Kafka, Franz. Abweisung. In : Kafka, Franz. Sämtliche Erzählungen. (Frankfurt a.M. : S. Fischer, 1970).
Elias Canett : Die Erzählung ist ein vorzügliches Beispiel für den natürlichen Taoismus und die besondere Färbung des Ritualismus.
Han Ruixin und Hartmut Binder : Die Erzählung ist durch Kafkas Lektüre über Tibet Durch Asiens Wüsten von Sven Hedin [ID D2666] entstanden.
Franz Kafka schreibt in einem der ersten Briefe an Milena Jesenská : Ich lese ein Buch über Tibet ; bei der Beschreibung einer Niederlassung an der tibetanischen Grenze im Gebirge, wird mir plötzlich schwer ums Herz, so trostlos verlassen scheint dort das Dorf, so weit von Wien. Wobei ich dumm die Vorstellung nenne, dass Tibet weit von Wien ist. Wäre es denn weit ?
  • Document: Meng, Weiyan. Kafka und China. (München : Iudicium, 1986). (Studien Deutsch ; Bd. 4). Diss. Ludwig-Maximilians-Univ. München, 1986. S. 44, 88. (Kaf2, Publication)
  • Person: Kafka, Franz
26 1921 Alexander Ular schreibt über Laozi : Von Lao-tse zu Nietzsche beschreibt die Geschichte des Wissens von den letzten Dingen eine Spirale. Beide sind einander nahe. Wo aber ist der Anfang und wo das Endglied der Kurve ? Lao-tse müsste ein ferner Nachkomme Nietzsches sein. Oder China ist dreissig Jahrhunderte über Europa hinaus.
Han Ruixin : Ular sieht die Berührungspunkte im Denken Nietzsches und Laozis vor allem in der Verdammung der Wissenschaft und der Auflehnung des Menschen gegen den natürlichen Weltenlauf. Seine Überssetzung des Dao de jing versteht er als einen bahnbrechenden Versuch, den alten chinesischen Text in seinem wirklichen Sinn wiederzugeben. Nach Ular „strozten“ die bisherigen Übersetzungen von Irrtümern und Fehlinterpretationen. Er erhebt den Anspruch, die „Hieroglyphen“ in ihrem ursprünglichen Sinne zu verstehen und diese wiederzugeben. „Ich habe hiermit zu meiner Freude an vielen Stellen klaren Sinn und tiefe Weisheit gefunden, wo die chinesischen Kommentatoren Unverständlichkeit und die westländischen Philologen nur zu oft blödes Geschwätz fanden“.
27 1921 Klabund. Das Blumenschiff [ID D12523].

Han Ruixin : Die Kraft, die Klabund aus der taoistischen Lehre schöpfte, ermöglichte ihm auch die weitere Beschäftigung mit der chinesischen Lyrik. Zum Andenken an seine Frau schreibt er die Nachdichtungs-Anthologie Das Blumenschiff mit 54 Gedichten.
Darin enthalten sind : Li Bo, Du fu, Bai Juyi, Wang Changling, Zhu Qingyu, Zhang Jiuling, Zhang Ji und Zhu Qingyu. Sowie Gedichte aus dem Shi jing und Dichter aus einer anderen Epoche wie Kaiser Wu Di, Mei Sheng, Zhuo Wenjun, Pan Jieyu, Wang Sengru, Su Dongpo, Ding Dunling, Li Hongzhang, Cao Zhi. Bei einigen Gedichten ist keine chinesische Herkunft feststellbar.

Kuei-fen Pan-hsu : Klabunds Gedichte im Blumenschiff zeigen Schönheit in den Bildern, in der Form und im Klang. Dennoch verlassen sie durch seine Ergänzungen ihren Standort im chinesischen Kulturraum und verlieren den ursprünglichen Aussagewert. Der Band enthält schöne „chinesische“ Gedichte, von denen manche durch die hervorgehobenen Bilder und den Rhythmus die Originale wiedergeben können. Viele weichen aber von den Originalen ab, da schon in den Vorlagen Zitate und Anspielungen weggelassen wurden. Sie tendieren zur Ästhetisierung und erscheinen manchmal durch Klabunds Phantasie vollkommen anders. Dennoch bewirken diese Gedichte, dass das Interesse des Lesers an chinesischer Literatur durch Klabunds Werke angeregt wird ; zugleich aber führen sie dazu, dass Missverständnisse und Vorurteile über chinesische Literatur und Kultur beim Leser entstehen.
28 1921 Wang-siang. Das Buch der irdischen Mühe und des himmlischen Lohnes. Übertragen von Klabund. [ID D12680].
Quelle : Abel-Rémusat Le livre des récompenses et des peines [ID D1937].
Einfluss hatten auch Laozi, Liezi und Zhuangzi.

Kuei-fen Pan-hsu : Das Interesse an chinesischer Philosophie führt Klabund auch zur chinesischen Volksreligion. Es sind ethische Gebote und Verbote, denen gefolgt werden soll. Eine Verletzung bringt dem Menschen Unheil.
  • Document: Pan-Hsu, Kuei-fen. Die Bedeutung der chinesischen Literatur in den Werken Klabunds : eine Untersuchung zur Entstehung der Nachdichtungen und deren Stellung im Gesamtwerk. (Frankfurt a.M. : P. Lang,, 1990). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1179). Diss. Univ. Hamburg, 1988. S. 133. (Pan2, Publication)
  • Person: Klabund
29 1921 Hans Schiebelhut lernt den deutschen Konsul Karl August Balser aus Beijing kennen und nimmt bei ihm Chinesisch-Unterricht. Diese chinesischen Studien führen ihn zur Übersetzung chinesischer Lyrik. Vor allem hat er eine grosse Bewunderung für Li Bo.
30 1922 Ehrenstein, Albert. Schi-king : das Liederbuch Chinas [ID D12457].
Quellen : Rückert, Friedrich. Schi-king oder chinesische Lieder [ID D4634]. Strauss, Victor von. Schi-king : das kanonische Liederbuch der Chinesen [ID D4648].

Ehrenstein schreibt : Die hier mitgeteilten Übersetzungen aus dem Schi-king greifen meist auf Rückert zurück… [ID D4634]. Rückerts Nachdichtung übertrifft… die philologisch wertvollere, dichterisch schwächere Professorenarbeit von Victor Strauss [ID D4648] weitaus. Wenn auch Strauss durch Kenntnis des Originals und seiner Kommentare vor jenen Verballhornungen und krassen Missverständnissen gefeit ist, denen der auf eine ungefähre wörtliche Inhaltsangabe chinesischer Gedichte als einzige, sehr oft trübe Quelle angewiesene Rückert auf Schritt und Tritt ausgesetzt war…
Die gelben Lieder waren für den Gesang bestimmt, reich an Variationen, Wiederholungen, Refrain. Sie hatten keinen Rhythmus, aber fast immer Reim… Ich bemühte mich, den von mir erwählten hundert Gedichten durch Kürzungen, lebendigeren Rhythmus, Entfernung sinnstörender Zutaten, Umbau, in vielen Fällen durch Neudichtung etwas von der sinnlicheren Unmittelbarkeit der ersten Schöpfung wiederzugeben.
Ich vermied es, zeremonielle Dichtungen aufzunehmen oder gar nur dem historischen Spezialisten und Sinologen verständliche Verse, die der Chinesischemauerlangenweile von Anmerkungen bedurft hätten…

Hans Bethge schreibt 1923 : Ehrenstein geht in seinen Nachdichtungen auf eine alte, äusserst schwerfällige deutsche Prosaquelle zurück. Er hat seine Vorlagen verlebendigt, vergeistigt, und nun stehen melancholische Rhytmen von ganz Ehrensteinschem Duktus da, eigenwillig, modern und doch uralt, umstrahlt von einem Glänzen aus dem grossen Reiche der Mitte.

Leopold Woitsch schreibt 1924 : Ehrensteins Nachdichtungen, eine "Veredlung" wörtlicher Interlinearversionen nennt er sie, sind weiter nichts, als eine ohne Rücksicht auf den chinesischen Text und noch dazu in peius geänderte Umarbeitung mit ganz willkürlichen Auslassungen, bzw. ein stellenweise ungenauer Abdruck der erwähnten Arbeiten Pfizmaiers... Es ist aber fürwahr nicht der wahre Pu Chü-i [Bo Juyi], den Ehrenstein uns zeigt, sondern nichts als eine geradezu klägliche Karikatur des grossen chinesischen Dichters und Staatsmannes.

Ingrid Schuster : Albert Ehrensteins erste Sammlung chinesischer Gedichte trägt noch keinen politisch-sozialen Charakter.
Es geht Albert Ehrenstein um Wahrheit und Menschlichkeit und um die Unterdrückten. Als heftiger Kriegsgegener resigniert er zusehends und veröffentlicht Essays und Übersetzungen aus dem Chinesischen.
  • Document: Schuster, Ingrid. China und Japan in der deutschen Literatur 1890-1925. (Bern : Francke, 1977). S. 104. (Schu4, Publication)
  • Document: Albert Ehrenstein. In : Hamburger China-Notizen ; Nr. 36 (2004). (Ehr9, Publication)
  • Document: Zou, Yunru. Schi-king : das "Liederbuch Chinas" in Albert Ehrensteins Nachdichtung : ein Beispiel der Rezeption chinesischer Lyrik in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. (St. Ingbert : Rörig, 2006). (Mannheimer Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft ; Bd. 39). Diss. Univ. Mannheim 2005. [Shi jing]. S. 13-14. (Zou1, Publication)
  • Person: Bethge, Hans
  • Person: Ehrenstein, Albert
  • Person: Rückert, Friedrich
  • Person: Woitsch, Leopold
31 1923 Ehrenstein, Albert. Pe-lo-thien [ID D12456].

Quelle : Pfizmaier, August. Po, Chü-i. Der chinesische Dichter Pe-lo-thien [ID D4779].

Ingrid Schuster : Darin enthalten sind Gedichte von Bo Juyi (51). Er wählt überwiegend Gedichte aus, die von einer pessimistischen Stimmung erfüllt sind : Vergänglichkeit, Herbst, Armut und Unterdrückung. Ein anderes Thema ist die Liebe, aber häufig mit Enttäuschung und Kummer verbunden.

Han Ruixin : Albert Ehrensteins Nachdichtungen weisen zumeist starke Abweichungen im Wortlaut vom chinesischen Original auf. Nicht selten werden einzelne chinesische Ausdrücke durch andere ersetzt…. oder umformuliert…. Nicht selten werden chinesische Verse ausgelassen, was zur Folge hat, dass der Sinngehalt des Originals nicht vollständig wiedergegeben wird… Manche Gedichte sind in ihrer Struktur geändert worden. Das zeigt sich darin, dass die Reihenfolge der Verse in der Nachdichtung neu bestimmt wird… oder dass Teile ausgeschnitten und neu zusammengestellt werden.
  • Document: Schuster, Ingrid. China und Japan in der deutschen Literatur 1890-1925. (Bern : Francke, 1977). S. 105. (Schu4, Publication)
  • Person: Bo, Juyi
  • Person: Ehrenstein, Albert
32 1923 Brecht, Bertolt. Im Dickicht der Städte [ID 12672].
Quelle : Wilhelm, Richard. Laotse. Tao te king [ID D4445].

Brecht schreibt : Es ist ein Kampfstück, östlich-westlich... Ort : die Hinterwelt...
...man soll sich damit begnügen, das Asiatentum des Shlink durch einen schlichten gelben Anstrich anzudeuten, und ihm erlauben, sich zu benehmen, wie ein Asiate, nämlich wie ein Europäer...

Liu Weijian : Brecht spricht davon, dass er einen „neuen Typus Mensch“ gestalten will, „der einen Kampf ohne Feindschaft mit bisher unerhörten, das heisst noch nicht gestellten Methoden“ führt : das taoistische Motiv des Wuwei in der Formulierung „durch Passivsein zu siegen“. Das Wuwei wird dabei konsequent als Aufhebung der Individualität thematisiert. Es dient dazu, „den oberflächlichen Firnis des Individualismus in unserer Zeit“ zu verspotten und eine neue, zeitgemässe Lebensform zu suchen.

Christoph Gellner : Brecht führt vor der exotisch stilisierten Kulisse des verkommenen Chicagoer Chinesenviertels den „unerklärlichen Ringkampf“ zwischen dem reichen, alternden malaischen Holzhändler Shlink und dem jungen, mittellosen Leihbüchereiangestellten George Garga vor Augen… Nichts macht die Verfremdungsabsicht augenfälliger als die Figur des verschlagenen, reisessenden Asiaten Shlink, der seinen Kontrahenten durch die asiatische Kampfform scheinbarer Passivität zu bezwingen sucht. Garga, der die Kampfesweise des Chinesen, durch Passivsein zu siegen, durch Erleiden Macht zu bekommen, allmählich selbst übernimmt und so am Ende überlebt, rückt diese listige Taktik denn auch in eine unübersehbare Nähe zum chinesisch-taoistischen Nichthandeln (Wuwei) und dem Ursymbol altchinesischer Dialektik im Dao de jing.

Adrian Hsia : Brecht wollte, dass Shlink stets mit einem gelben Gesicht auftritt, damit sein rassischer Ursprung dem Publikum ständig vor Augen gehalten wird und er soll sich genau nach seinem Chinesenbild benehmen, nämlich schlau und verstohlen sein. Ausserdem sollen sein Ursprung und seine Sprache – Chinesisch – die Unmöglichkeit des menschlichen Kommunizierens aufzeigen. Der taoistischen Anschauung nach besiegt das Schwache, symbolisiert unter anderem durch das Wasser, das Starke. Auf jeden Fall überlebt das Schwache, während das Starke leicht zerbricht. „Und das Geistige, das sehen Sie, das ist nichts. Es ist nicht wichtig, der Stärkere zu sein, sondern der Lebendige“.
  • Document: Yim, Han-soon. Bertolt Brecht und sein Verhältnis zur chinesischen Philosophie. (Bonn : Institut für Koreanische Kultur, 1984). (Schriftenreihe ; Bd. 1). S. 21. (Yim1, Publication)
  • Document: Hsia, Adrian. Bertolt Brechts Rezeption des Konfuzianismus, Taoismus und Mohismus im Spiegel seiner Werke. In : Zeitschrift für Kulturaustausch ; H. 3 (1986). (Bre28, Publication)
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 124, 130. (LiuW1, Publication)
  • Document: Gellner, Christoph. Weisheit, Kunst und Lebenskunst : fernöstliche Religion und Philosophie bei Hermann Hesse und Bertolt Brecht. (Mainz : Matthias-Grünewald-Verlag, 1996). (Theologie und Literatur ; Bd. 8). Diss. Univ. Tübingen, 1996. S. 168, 170-171. (Gel2, Publication)
  • Person: Brecht, Bertolt
33 1924 Ehrenstein, Albert. China klagt [ID D12458].
Quellen : Pfizmaier, August. Po, Chü-i. Der chinesische Dichter Pe-lo-thien [ID D4779]. Arthur Waley.
Darin enthalten : Gedichte von unbekannten Dichtern (26), Shi jing (13), Du Fu (2), Bo Juyi (9).

Ehrenstein schreibt : Im Schi-king [Shi jing], der dokumentarischen Sammlung chinesischer Volkslieder … finden wir viele Verse des Unmutes, des Ärgers, der Empörung über die unfähige Gewaltherrschaft und vor allem eine stetig zunehmende Unlust und Aversion gegen den Soldatendienst und die Kriegsführerei. Doch erst um 800 nach Christi Geburt lebte der Mann und Ankläger, der den Übermut und die Verschwendung der Mandarine und Fürsten geisselte, den Schrei der leidenden und hungernden Massen ausstiess : Po Chü-i [Bo Juyi].
Darin klagt das chinesische Volk über die Gewaltherrschaft, den Soldatendienst und die Kriegsführerei und soziale Ungerechtigkeit.

Han Ruixin : Es ist offensichtlich, dass Ehrenstein mit diesem Werk seinen eigenen Gedanken und Intentionen Ausdruck geben wollte.
  • Document: Schuster, Ingrid. China und Japan in der deutschen Literatur 1890-1925. (Bern : Francke, 1977). S. 105. (Schu4, Publication)
  • Document: Ma, Jia. Döblin und China : Untersuchung zu Döblins Rezeption des chinesischen Denkens und seiner literarischen Darstellung Chinas in "Drei Sprünge des Wang-lun". (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1993). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur : Bd. 1394). Diss. Univ. Karlsruhe, 1992. S. 28. (Döb1, Publication)
  • Person: Bo, Juyi
  • Person: Ehrenstein, Albert
34 1924 Ehrenstein, Albert. Po Chü-i [ID D12754].
Darin enthalten sind 41 Nachdichtungen von Bu Juyi.

Han Ruixin : Diese Gedichte sind wie in Pe-lo-thien von einer resignierten, düstern und pessimistischen Stimmung getragen. Auch enthalten sie wiederum Themen wie soziale Ungerechtigkeit, Unterdrückung und das Leiden der Massen.
35 1924 Hans Schiebelhuth übersetzt 40 chinesische Gedichte, die aber erst 1948 veröffentlicht werden.
36 1925 Klabund. Der Kreidekreis [ID D12520].
Uraufführung im Stadttheater Meissen, dann in Frankfurt.
Quellen : Julien, Stanislas. Hoei-lan-ki [ID D4646] ; Fonsecas, Wollheim da. Der Kreidekreis [ID D12699] ; Wilhelm Grube bespricht das Stück in Geschichte der chinesischen Literatur [ID D798] und macht auszugsweise Übersetzungen ins Deutsche.

Klabund schreibt : Es ist drei Jahre her, dass eines Abends in der „Wilden Bühne“ Elisabeth Bergner auf mich zu kam : „Wir haben ein Schauspielertheater gegründet : wollen Sie ein Stück für uns, für mich schreiben?... Kennen Sie den Kreidekreis?“. Natürlich kannte ich (alter Chinese) den Kreidekreis : In der (ausgezeichneten) Übersetzung Stanislav Juliens, in der (weniger guten) Reclamschen Ausgabe (Fonsecas). Dass die Figur der Haitang eine Rolle für Elisabeth Bergner ergeben könnte wie kaum eine zweite, leuchtete mir blitzartig ein.
Es galt, ein chinesisches Märchenspiel zu ersinnen. Keine strenge Chinoiserie. Es sollte sein, wie wenn jemand von China träumt.

Dscheng Fang-hsiung : Max Reinhardt macht die Inszenierung. Klabund habe zwar die Fabel weitgehend beibehalten, ebenfalls die Spielform, jedoch einige Figuren ausgewechselt, Ortsnamen und Personen und Einzelheiten erfunden.

Klabund schreibt in Die literarische Welt vom 13.11.1925 den Artikel Klabund gegen die Berliner Kritik seines Kreidekreises : Der Kreidekreis ist bereits an etwa 100 Bühnen gespielt worden. Ich habe etwa 1000 (uff) Kritiken gelesen. Vielleicht darf ich mir einmal gestatten, meine Herren Kritiker zu kritisieren – selbstverständlich mit der mir gebührenden Zurückhaltung und der mir als Chinesen innewohnenden Höflichkeit des Herzens. Sie reden soviel davon, dass wir kein Drama haben – haben wir eine Kritik ?

Herbert Ihering schreibt in seiner Theaterkritik : Klabund ging zum chinesischen Drama, um abgenutzte europäische Sentiments, um Kastengegensätze, um politische Aktualitäten zu finden und noch einmal zu betonen. Der Publikumserfolg des Stückes liegt in der bourgeoisen Gefühlsüberschwemmung und in der exotischen Formgebung. Ein Literatenstück, was den Stil, ein Spiesserstück, was den Kern betrifft.

Chen Chuan : Die Bearbeitung des Kreidekreis enthält zwar noch vieles Unchinesische, aber der Dichter hat uns doch die Möglichkeit aufgewiesen, ein echt chinesisches Drama bei einigen Veränderungen dem deutschen Theater zugänglich zu machen. Auch ihm ist noch nicht Vollendetes gelungen, auch bei ihm vermischen sich noch deutlich chinesische Elemente mit europäischen, auch bei ihm überschneiden sich noch chinesische Weltanschauung mit europäischem Lebensgefühl.

Ma Jia : Auf der Realitätsflucht macht Klabund seine geistige Pilgerfahrt zu Lao Zi [Laozi] in dem Glauben, mit dessen Lehre der Dekandenz der westlichen Kultur entgegenwirken zu können. Für den "Revolutionär der Seele" ist China, ähnlich wie für [Hermann] Hesse, in erster Linie eine geistige Gegenwelt. Der gesellschaftlichen Situation Chinas und der sozialen Wirkung der daoistischen Lehre schenkt er wenig Beachtung. Begeistert entdeckt er in der daoistischen Weisheit ein Heilrezept für die erkrankte Seele seiner Landsleute und hofft, durch Veränderung der Menschen eine Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Zustände herbeizuführen. Dass Klabund China von der realen gesellschaftlichen Situation löst und die daoistische Botschaft als Möglichkeit, den realen politischen, gesellschaftlichen Konflikten auszuweichen, betrachtet, zeigt sich in seinem erfolgreichen Theaterstück Der Kreidekreis.

Kuei-fan Pan-hsu : Die Fabel des Originals ist bei Klabund unverändert erhalten. Doch ist sein Stück im Grunde genommen nicht chinesisch. Dabei liegt die Abweichung des Dramas von der chinesischen Welt nicht nur darin, dass sich Klabund weitgehend vom Original löst, sondern vor allem darin, dass er seine eigene Kenntnis über China entsprechend seiner Konzeption in das Stück einarbeitet… Er vermittelt chinesisches Selbstverständnis, konfuzianische Verhaltensweisen und Elemente der chinesischen Volksreligion ; er bemüht sich im Stück um eine Widerspiegelung des Lebens in China, indem er chinesische Lyrik einflicht und mit Sprichwörtern chinesische Vorstellungswelt nahebringt. Allerdings ist die von Klabund gezeichnete chinesische Welt zum grossen Teil eine Illusion, die wenig mit den tatsächlichen Gegebenheiten gemein hat… Was das Stück anziehend macht, ist die lyrische Sprache. Klabund verwendet chinesische Bilder, Vergleiche und Symbole… Die Abweichung des Stückes liegt darin, dass Klabund die Personencharaktere umgestaltet : Haitang, der Richter Bao, Herr Ma und Zhang Lin… Ein weiterer einflussreicher Faktor, der die Gestaltung des Kreidekreis bestimmt, ist der Publikumsgeschmack. Das Publikum empfindet die "Zartheit" des Stückes als den "lang erwarteten Kontrast zu den extremen Texten der neuen Autoren".

Ye Fang-xian : Anders als im chinesischen Drama zeigt der Kreidekreis nicht eine menschliche Weisheit, sondern eine mystische Kraft, derer Quelle die Liebe ist. Der konkrete historische Hintergrund ist total verschwunden. Was vom chinesischen Original übrig bleibt, sind nur einzelne Szenen und das Muttermotiv. Alfred Forke hat Klabunds Abweichung vom chinesischen Original kritisiert.
  • Document: Chen, Chuan. Die chinesische schöne Literatur im deutschen Schrifttum. (Kiel : Christian-Albrecht-Universität, 1933). Diss. Christian-Albrecht-Univ. Kiel, 1933. = Zhong de wen xue yan jiu. (Shanghai : Shang wu yin shu guan, 1936). S. 53. (Che2, Publication)
  • Document: Pan-Hsu, Kuei-fen. Die Bedeutung der chinesischen Literatur in den Werken Klabunds : eine Untersuchung zur Entstehung der Nachdichtungen und deren Stellung im Gesamtwerk. (Frankfurt a.M. : P. Lang,, 1990). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1179). Diss. Univ. Hamburg, 1988. S. 150-161. (Pan2, Publication)
  • Document: Fang, Weigui. Das Chinabild in der deutschen Literatur, 1871-1933 : ein Beitrag zur komparatistischen Imagologie. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1992). (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1356). Diss. Technische Hochschule Aachen, 1992. S. 282-283, 287. (FanW1, Publication)
  • Document: Epkes, Gerwig. "Der Sohn hat die Mutter gefunden..." : die Wahrnehmung des Fremden in der Literatur des 20. Jahrhunderts am Beispiel Chinas. (Würzburg : Königshausen und Neumann, 1992). (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft ; Bd. 79). Diss. Univ. Freiburg i.B., 1990. S. 66-67. (Epk, Publication)
  • Document: Ma, Jia. Döblin und China : Untersuchung zu Döblins Rezeption des chinesischen Denkens und seiner literarischen Darstellung Chinas in "Drei Sprünge des Wang-lun". (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1993). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur : Bd. 1394). Diss. Univ. Karlsruhe, 1992. S. 24. (Döb1, Publication)
  • Document: Ye, Fang-xian. China-Rezeption bei Hermann Hesse und Bertolt Brecht. (Irvine : University of California, 1994). Diss. Univ. of California, Irvine, 1994). S. 190-191. (Hes80, Publication)
  • Person: Klabund
37 1925 1925 Brecht, Bertolt. Die höflichen Chinesen. In : Berliner Börsen-Courier (1925) / Brecht, Bertolt. Werke ; Bd. 19. Prosa ; 4 (1925).
Quelle : Wilhelm, Richard. Laotse. Tao te king [ID D4445].

Brecht schreibt : Weniger bekannt in unserer Zeit ist es, wie sehr ein der Allgemeinheit geleisteter Dienst der Entschuldigung bedarf. So ehrten die höflichen Chinesen ihren grossen Weisen Laotse [Laozi], mehr als meines Wissens irgend ein andres Volk seinen Lehrer, durch die Erfindung folgender Geschichte.
"Laotse hatte von Jugend auf die Chinesen in der Kunst zu leben unterrichtet und verliess als Greis das Land, weil die immer stärker werdende Unvernunft der Leute dem Weisen das Leben erschwerte. Vor die Wahl gestellt, die Unvernunft der Leute zu ertragen oder etwas dagegen zu tun, verliess er das Land. Da trat ihm an der Grenze des Landes ein Zollwächter entgegen und bat ihn, seine Lehren für ihn, den Zollwächter, aufzuschreiben, und Laotse, aus Furcht, unhöflich zu erscheinen, willfahrte ihm. Er schrieb die Erfahrungen seines Lebnes in einem dünnen Buche für den höflichen Zollwächter auf und verliess erst, als es geschrieben war, das Land seiner Geburt".
Mit dieser Geschichte entschuldigen die Chinesen das Zustandekommen des Buches Taoteking [Dao de jing], nach dessen Lehren sie bis heute leben.

Yim Han-soon : Brecht greift das Klischee – die Chinesen sind höflich – auf, um es jedoch zu konkretisieren. Eine Spannung zwischen Parodie und Anerkennung ist spürbar, überwiegend ist aber die letztere… Was er in seiner Laotse-Geschichte von der Überlieferung übernimmt, ist ein legendäres, aber noch möglich erscheinendes zwischenmenschliches Verhalten von Geben und Nehmen... Es scheint jedoch feststellbar, das Brecht in der Beziehung zwischen dem alten Weisen und dem Zollwächter eine Alternative zur „trostlosen“, „unendlichen Vereinzelung des Menschen“ in der bürgerlichen Welt erblickt… In dem Laotse-Motiv sind folgende Momente angezeigt, die für Brechts Verhältnis zur chinesischen Philosophie allgemein bestimmend und zugleich für sein Denken und Werk relevant sind : Die Auffassung der Philosophie als einer antimetaphysischen Verhaltenslehre ; die chinesische Philosophie als Ausgangs- bzw. Bezugspunkt für die Kritik am klassischen Philosophiebegriff ; die Beziehung zwischen Laotse und dem Zollwächter als Sinnbild für ein produktives Lehrer-Schüler-Verhältnis, das auch in Brechts Traditionsbegriff reflektiert ist ; der historische Hintergrund des alten China als ein Gesellschaftszustand, in dem die Menschen unterdrückt und vertrieben wurden ; inhaltliche und funktionale Gehalte der chinesischen Philosophie als Stoff und Material… Die eigentliche Bedeutung der chinesischen Philosophie hat Brecht in der Laotse-Geschichte ausdrücklich formuliert : Es handelt sich um eine „Kunst zu leben“, eine Lehre des Verhaltens, die in den Alltag des Niederen Volkes einzugreifen vermag.

Der chinesische Traditionalismus spielt in Brechts Beziehung zu China eine grosse Rolle. Er spricht nicht nur von der Lehre des Weisen – der Kunst zu leben – sondern auch von der Dauerhaftigkeit und Fortführbarkeit der Lehre : Die Chinesen leben bis heute danach. Die alte Lehre bleibt lebendig, weil sie eine Lebenskunst und eine Lehre der gegenseitigen Anerkennung und Bereicherung ist. Der zweite Themenkomplex in Brechts Denken und Werk ist das Lehrer-Schüler-Verhältnis.
Brechts Verhältnis zur chinesischen Philosophie kennzeichnet sich durch die Auffassung der Philosophie als Verhaltenslehre und als Ausgangs- und Bezugspunkt für die Kritik an der klassischen Philosophie.
In dieser Ballade hat Brecht das schiefe Verhältnis von Erzähler und Erzähltem zugunsten des letzteren ausgeglichen, indem er vor allem die konkrete Lehre von Laozi an einem Wasserbild vorführt, und zwar gerade in der gewichtigen 5. Strophe. Der Spruch von Laozi selbst, dass das weiche Wasser das harte überwinde, hat in Brechts Version zwei Konditionalen erhalten, die im Original fehlen : 'Mit Bewegung' und 'mit der Zeit'.
38 1925 Stolzenburg, Wilhelm. Oestlicher Divan [ID D13275].
Quellen : Forke, Alfred. Blüthen chinesischer Dichtung [ID D664], die Übersetzungen von Erwin von Zach und Strauss, Victor von. Schi-king [ID D4648].

Darin enthalten sind 39 Gedichte, vor allem aus dem Werk von Li Bo und Du Fu, ein Gedicht von Wang Wei und Bai Juyi und von den Dichtern Wang Sengru, Wu Jun, Xu Ling und Kaiser Yuan Di. Ein Gedicht aus dem Shi jing und 14 Gedichte von einem unbekannten Dichter.
Die Gedichte von Stolzenburg sind zumeist von einer pessimistischen und düsteren Stimmung oder betreffen die Sinnlosigkeit des Krieges.
Die Gedichte weichen stark vom chinesischen Original ab, es gibt Hinzudichtungen, die keinen Bezug zum Original haben, Umformulierungen, Auslassungen und umgeänderte Strukturen. Fast alle Gedichte enthalten Reimbindungen und Metren.
  • Person: Stolzenburg, Wilhelm
39 1927 Brecht, Bertolt. Bertolt Brechts Hauspostille : mit Anleitungen, Gesangsnoten und einem Anhange. (Berlin : Propyläen-Verlag, 1927).
Richard Wilhelms Übersetzung von Laotse. Tao te king [ID D4445] hat Einfluss auf dieses Werk.
40 1933 Ehrenstein, Albert. Das gelbe Lied [ID D12454].
Quellen : Arthur Waley und Erwin von Zach.
Darin enthalten : Gedichte aus dem Shi jing (33), von Li Bo (58), Du Fu (30), Bo Juyi (158) und 55 andere Gedichte.

Han Ruixin : Ehrenstein hat an der Verbesserung und Erweiterung seiner Nachdichtungen chinesischer Lyrik gearbeitet. Themen sind Kummer und Leiden des Daseins, Armut, soziale Ungerechtigkeit, Krieg, Sehnsucht nach Liebe, Heimweh, Vergänglichkeit und Einsamkeit.
41 1965 Schiebelhuth, Hans. Übertragungen chinesischer Gedichte [ID D13277].
Quelle : Li, Po [Li, Bo]. The works of Li Po [ID D13279].

Darin enthalten sind die Übersetzungen der 40 Gedichte von 1924 und 31 Gedichte, die aus den 1920er Jahren stammen. 52 Gedichte sind von Li Bo, die anderen von Meng Haoran, Du Fu, Bai Juyi, Cui Zongzhi, Du Mu, Li Shangyin, Li Pin und einige Gedichte aus unbekannter Herkunft.
Die Gedichte sind grösstenteils eine wörtliche Anlehnung an die englische Vorlage. Abweichungen zum Original bestehen im Ersatz einzelner chinesischer Ausdrücke, Umformulierungen, Auslassungen, sowie ein struktureller Umbau. Die Übertragungen sind durchgehend reimlos. Schiebelhuth verzichtet auf Anmerkungen, da er seine dichterische Qualität genau so wichtig nimmt, wie sein Bestreben, den Sinngehalt des Originals möglichst genau wiederzugeben. Die Sprache zeugt von seiner Feinfühligkeit, ist reich an Phantasien, Gleichnissen, Metaphern und Anspielungen. Die Themen Krieg, Politik und soziale Ungerechtigkeit spielen in den Übertragungen keine Rolle, sondern sie sind aus dem menschlichen Alltag, über die Gefühle der Menschen, die Freundschaft, Heimweh und die Natur.
42 1966-1967 Schiebelhuth, Hans. Werke [ID D13278].
Manfred Schlösser und Günther Debon ergänzen Erläuterungen zu den einzelnen Gedichten und korrigieren einige Druckfehler aus der Ausgabe von Fritz Usinger von 1965. Schlösser hat die Übertragungen mit der englischen Vorlage verglichen und an manchen Stellen den Text geändert.

Sources (8)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 1889 France, Anatole. Histoire de la dame à l’éventail blanc. In : Le Temps ; juillet 28 (1889). [Geschichte von Zhuangzi und der Dame mit dem weissen Fächer]. Publication / Fra2
2 1898 Hofmannsthal, Hugo von. Der weisse Fächer : ein Zwischenspiel. In : Die Zeit ; 29.1. und 5.2. (1898). = Mit vier Holzschnitten von Edward Gordon Craig. (Leipzig : Insel-Verlag, 1907). Publication / Hof2
3 1898 Jürgens, Hans. Die Dame mit dem weissen Fächer. In : Jugend ; Nr. 1 (1898). Gekürzte Übersetzung von Histoire de la dame à l'éventail blanc von Anatole France. [ID D12663]. Publication / Jür1
4 1903 Lieder aus dem Rinnstein. Hrsg. von Hans Ostwald. (Leipzig : Karl Henckell, 1903). [Darin enthalten ist das Gedicht Chinesisches Vagabundenlied von Li Bo]. Publication / Ost10
5 1914 Chinesische Volksmärchen. Übersetzt und eingeleitet von Richard Wilhelm. (Jena : Diederichs, 1914). ]Darin enthalten sind Texte aus Liao zhai zhi yi, Jin gu qi guan, San guo yan yi, Dong Zhou lie guo zhi, Feng shen yan yi, Xi you ji und Sou shen ji].
http://gutenberg.spiegel.de/buch/6252/1.
Publication / WIR5
6 1922 Blei, Franz. Liebesgeschichten des Orients : mit einleitender Prosa. (Hannover : P. Steegemann, 1922). Nachdichtung von Die Dame mit dem weissen Fächer von Hans Jürgens. [ID D12665]. Publication / Blei1
7 1923 Brecht, Bertolt. Im Dickicht der Städte : der Kampf zweier Männer in der Riesenstadt Chicago : Schauspiel. (Berlin : Propyläen-Verlag, 1927). [Uraufführung 1923 in München ; geschrieben 1921-1923]. Publication / Bre7
8 1925 Brecht, Bertolt. Die höflichen Chinesen. In : Brecht, Bertolt. Werke ; Bd. 19. Prosa ; 4 (1925). Richard Wilhelms Übersetzung von Laotse. Tao te king [ID D4445] hat Einfluss auf diese Erzählung. Publication / Bre5

Cited by (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2000- Asien-Orient-Institut Universität Zürich Organisation / AOI
  • Cited by: Huppertz, Josefine ; Köster, Hermann. Kleine China-Beiträge. (St. Augustin : Selbstverlag, 1979). [Hermann Köster zum 75. Geburtstag].

    [Enthält : Ostasieneise von Wilhelm Schmidt 1935 von Josefine Huppertz ; Konfuzianismus von Xunzi von Hermann Köster]. (Huppe1, Published)