Ueber den Willen in der Natur. Kapitel Sinologie. 2. Aufl. [ID D11903].
Quellen siehe 1819-1854.
Schopenhauer schreibt einen handschriftlichen Zusatz : Der Verfall des Christentums rückt sichtlich heran. Dereinst wird gewiß indische Weisheit sich über Europa verbreiten. Denn der in allem andern den übrigen weit vorangehende Teil der Menschheit [näml. der Westen] kann nicht in der Hauptsache [näml. Religion und Weltanschauung] große Kinder bleiben; angesehn, daß das metaphysische Bedürfnis unabweisbar, Philosophie aber immer nur für wenige ist. Jener Eintritt der Upanischaden-Lehre oder auch des Buddhaismus würde aber nicht wie einst der des Christentums in den unteren Schichten der Gesellschaft anfangen, sondern in den obern; wodurch jene Lehren sogleich in gereinigter Gestalt und möglichst frei von mythischen Zutaten auftreten werden.
Sekundärliteratur
Werner Lühmann : Schopenhauers philosophisches Lebenswerk ist von den Ideen der indischen Hochkultur durchdrungen, für China hat er nur Augen für den Buddhismus. Taoistische Glaubensvorstellungen lässt er gelten, da diese nach seiner Meinung eine engere Beziehung zur buddhistischen Lehre aufweisen ; dem Konfuzianismus, dessen Gedankengut für die überwiegende Mehrheit der Chinesen Richtschnur und geistiges Fundament ihres Denkens und Handelns bildet, bringt Schopenhauer nur geringschätzige Verachtung entgegen. Die Anmerkungen im Aufsatz ‚Sinologie’ bieten eine Fülle von Angaben zum Schrifttum jener Zeit über den Buddhismus, ein Ausweis dafür, wie einseitig sich Schopenhauer mit der Philosophie des alten Chinas auseinandergesetzt hat.
Nach einer allgemeinen Bemerkung zum ‚hohen Stand der Civilisation China’s’ geisselt Schopenhauer zunächst die nach seiner Auffassung ebenso eitle wie unverständige geistige Haltung der Jesuitenmissionare, die nicht dazu gekommen seien, sich über die Glaubenslehren in China gründlich zu unterrichten. Er ist wenig bereit, die Bemühungen der Jesuiten um ein auf die Texte der Klassiker gegründetes und von Achtung für den philosophischen Gehalt jener Schriften geprägtes Verständnis der konfuzianischen Morallehre anzuerkennen. Sodann streift er einen ‚nationalen Naturkultus’, um sich dem Taoismus zuzuwenden.
Den Chinesen sei der Monotheismus fremd, meint Schopenhauer, und lenkt damit auf den eigentlichen Zweck seiner Abhandlung : die Erörterung der Frage, wie denn, wenn es eine solche gebe, die Gottesvorstellung der Chinesen beschaffen sei. Er scheut keine Mühe, diese für ihn zentrale Frage chinesischer Weltanschauung, durch Lektüre einschlägigen Schrifttums kundig zu machen.
Luo Wei : Arthur Schopenhauer schreibt in der Vorrede der 2. Aufl., dass das Buch für seine Philosophie von besonderer Wichtigkeit sei. Das Kapitel 'Sinologie' behandelt den 'hohen Stand der Zivilisation Chinas' und die chinesische Religion. Im Vergleich zum Konfuzianismus schenkt er dem Buddhismus, dessen Geist und Sinn seiner Meinung nach, ganz mit dem der Tao-Lehre übereinstimmt, die grösste Aufmerksamkeit, verweist aber zur gleichen Zeit bewusst darauf, dass in China diese drei Glaubenslehren weit davon entfernt sind, sich anzufeinden, sondern ruhig nebeneinander bestehen und durch wechselseitigen Einfluss ein gewisse Übereinstimmung miteinander haben. Der Kaiser als solcher bekenne sich zu allen dreien. Der Name des Konfuzius taucht mehrmals auf. Wenn es um den Heroenkultus geht, heisst es, dass Kung-fu-tse (Konfuzius) allein 1650 Tempel hätte. Laotse [Laozi] wird als ein älterer Zeitgenosse von Konfuzius bezeichnet. Obwohl er die Lehre des Konfuzius, der besonders die Gelehrten und Staatsmänner zugetan sind, für eine breite, gemeinplätzige und überwiegend politische Moralphilosophie ohne Metaphysik hält, die etwas ganz spezifisch Fades und Langweiliges an sich hat, räumt er jedoch gleichzeitig unmissverständlich einen gewissen Vorbehalt ein, indem er die Formulierung 'nach den Übersetzungen zu urteilen' dazwischen steckt und die negative Assoziation gegenüber Konfuzius’ Lehre absichtlich einschränkt.
Han Ruixin : Schopenhauer erlangt die Erkenntnis, dass sich seine Lehre und die chinesische Anschauung über den ‚Himmel’ im metaphysischen Sinne, über das absolute ‚Dao’ entsprechen. Die Berührungspunkte zwischen Schopenhauers und Nietzsches Philosophie und der östlich-chinesischen Weltanschuung haben das Aufkommen östlicher Glaubens- und Lebenslehren Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit vorbereitet.
Philosophy : Europe : Germany