HomeChronology EntriesDocumentsPeopleLogin

“Döblin und China : Untersuchung zu Döblins Rezeption des chinesischen Denkens und seiner literarischen Darstellung Chinas in "Drei Sprünge des Wang-lun"” (Publication, 1993)

Year

1993

Text

Ma, Jia. Döblin und China : Untersuchung zu Döblins Rezeption des chinesischen Denkens und seiner literarischen Darstellung Chinas in "Drei Sprünge des Wang-lun". (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1993). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur : Bd. 1394). Diss. Univ. Karlsruhe, 1992. (Döb1)

Type

Publication

Contributors (1)

Ma, Jia (2)  (Sichuan 1955-) : Germanistin

Mentioned People (1)

Döblin, Alfred  (Stettin 1878-1957 Emmendingen) : Schriftsteller, Arzt

Subjects

Literature : Occident : Germany / References / Sources

Chronology Entries (11)

# Year Text Linked Data
1 1912 Die erste Beschäftigung mit China von Albert Ehrenstein erscheint in der Erzählung Tai-gin [ID D12455]. Taigin tritt als Kaiser von China auf, der unsäglich unter den Qualen seines Elternhauses leidet und ein einsames Leben führt.
  • Document: Li, Changke. Der China-Roman in der deutschen Literatur 1890-1930 : Tendenzen und Aspekte. (Regensburg : S. Roderer, 1992). (Theorie und Forschung ; Bd. 209. Literaturwissenschaft ; Bd. 12). S. 175. (LiC1, Publication)
  • Person: Ehrenstein, Albert
2 1915 Döblin, Alfred. Die drei Sprünge des Wang-lun [ID D12338].
Die Quellen, denen Döblin seine Kenntnisse über die historische Person des Wang-lun und die von diesem geführte Rebellion entnimmt sind folgende Werke :
Sectarianism and religious persecution in China von J.J.M. de Groot [ID D789].
The religious system of China von J.J.M. de Groot [ID D787].
Die Bewohner der Mandschurey von Johann Heinrich Plath [ID D40989].
Die Geschichte des chinesischen Reiches… von Karl Gützlaff [ID D832].
Religion und Kultus der Chinesen von Wilhelm Grube [ID D799].
Zur Pekinger Volkskunde von Wilhelm Grube [ID D797].
Geschichte der chinesischen Literatur von Wilhelm Grube [ID D798].
Laotse. Tao te king übersetzt von Richard Wilhelm [ID D4445].
Dschuang Dsi. Das wahre Buch vom südlichen Blütenland übersetzt von Richard Wilhelm [ID D4447].
Liä Dsi. Das Wahre Buch vom quellenden Urgund übersetzt von Richard Wilhelm [ID D4446].
Samuel Turner’s Gesandtschaftsreise an den Hof des Teshoo Lama… [ID D1898].
P’u T’o shan von Ernst Boerschmann [ÍD D444].
Aus China von Leopold Katscher [ID D12204].
Die Religion des Buddha von Karl Friedrich Koeppen [ID D12205].
Die Welt als Wille und Vorstellung von Arthur Schopenhauer [ID D11901].

Alfred Döblin hat Die Welt als Wille und Vorstellung sehr gut gekannt und daraus auch Hinweise auf seine Lektüre der Bücher über China für Wang-lun bekommen.

Ma Jia : Döblin ist der erste, der den Stoff des in der chinesischen Geschichte im Jahre 1744 unter Wang Lun stattgefundenen Aufstandes gegen Kaiser Qianlong als literarisches Werk bearbeitet.
Der Roman handelt von der religiösen Sekte des Reinen Wassers (Jin shui jiao) in Shandong, die unter Wang Lun die taoistische Botschaft des Schwachseins und Nicht-Handelns zu ihrem Lebensprinzip erklärt.
Voller Hochachtung widmet er dem chinesischen 'weisen alten Mann' Liä Dsi (Liezi) seinen chinesischen Roman, predigt in dessen Sinne Rückkehr zum natürlichen Leben und entwickelt die daoistische Botschaft des Nicht-Handelns zum Hauptmotiv seines Romans. In dieser Hinsicht ist Wang-lun Produkt einer Zeit der Desorientierung in der eigenen entfremdeten Kulturwelt, ein Bekenntnis Döblins zu einer Distanzierung von der eigenen Kultur und Suche nach einer neuen Identifikationsmöglichkeit in der chinesischen Kultur… China ist bei Döblin eine zwar nicht historisch getreue, aber in sich geschlossene sozialpolitische Realität. Nicht nur die Tatsache, dass die Haupthandlung auf eine geschichtlich nachweisbare Rebellion zurückgeht, verleiht ihm einen realen Zug. Die Lehre des Nicht-Handelns bettet er in die gesellschaftliche Situation Chinas ein, die ebenso konfliktreich ist wie seine eigene. Die daoistische Botschaft verliert im Wang-lun den allgemeinen Charakter, indem sie ausschliesslich zum Lebensprinzip der Ausgestossenen und Gestrandeten wird. In der Konfrontation mit der sozialen Wirklichkeit lässt Döblin die heilige Lehre, mit der die armen Menschen die schöne Hoffnung auf einen Lebensweg verbinden, an der Intoleranz der despotischen Herrschaft scheitern.
Döblin zitiert im Roman wörtlich das Gleichnis von dem Mann, der seinen Schatten fürchtet und sich zu Tode rennt von Zhuangzi. Es ist der Hauptgedanke des Wang-lun.
Das Werk gehört zu den wichtigsten Ergebnissen der Beschäftigung deutscher Autoren mit der chinesischen Kultur. Seine Einzigartigkeit besteht nicht nur darin, dass ihm, im Unterschied zu den in jener Zeit zahlreich erschienenen Übersetzungen von chinesischen Geschichten, Nachdichtungen von chinesischer Lyrik oder dramatischen Umgestaltungen von chinesischen Motiven, die das Prinzip der Imitation befolgen, ein mehr schöpferisches Prinzip zugrundeliegt. Es ist Döblin - der die chinesische Sprache nicht versteht und nicht einmal in China gewesen ist - gelungen, aus seinen Leseerfahrungen eine fremde Welt in breitem Umfang zu schaffen. Die so entstandene China-Welt basiert nicht auf einzelnen sinnlichen Eindrücken, wie sie die zu seiner Zeit nach China Reisenden bekommen haben, sondern auf einem von Deutschen und Europäern vielseitig wahrgenommenen und vermittelten Gesamtbild Chinas.
Wang-lun ist keine Chinoiserie, ist auch keinem klassischen chinesischen Werk nachgedichtet. Döblin ist es gelungen, die chinesische Philosophie des Taoismus aus dem akademischen Elfenbeinburm zu befreien. Er hat als erster dem Taoismus eine gesellschaftliche Relevanz gegeben, hat die Philosophie des Nicht-Handelns mit politisch-sozialen Wirklichkeiten konfrontiert.
Döblins Wendung nach China bildet eine der ersten Stationen eines langen ununterbrochenen geistigen Suchprozesses. Sie ist ein Versuch, in der Berufung auf die östliche Philosophie das ihn ständig bewegende Problem des Daseins zu lösen und die in der Industriegesellschaft verschärfte geistige Krise zu überwinden… Die Rätselhaftigkeit der Welt, die Unübersichtlichkeit des Wirklichkeitsbildes und der Verlust des Sicherheitgefühls des Menschen in der technischen Zivilisation führen ihn zu Laozi, Zhuangzi und Liezi. Seine Begegnung mit dem Taoismus ist vor allem den Übersetzungen von Richard Wilhelm zu verdanken.
Wang-lun im Vergleich mit dem Shui hu zhuan siehe Döb1, S. 115-160.

Luo Wei : Döblin leistet mit seiner Hinwendung zur chinesischer Philosophie, unter ausdrücklicher Ablehnung der gängigen China-Mode, mit seinem Einrücken der chinesischen Menschenmassen in den Rang von Romanfiguren einen Beitrag zur Herausbildung und Bereicherung eines neuen objektiven Chinabildes im 20. Jahrhundert, das sich sowohl von dem idealisierten der Aufklärer im 18. Jahrhundert als auch von dem negativen des 19. Jahrhunderts unterscheidet.
Mit der Niederschrift findet Döblins erste umfassende Beschäftigung mit dem Konfuzianismus und Taoismus statt, die im Hinblick auf die Beschleunigung der Technisierung und Industrialisierung Deutschlands um die Jahrhundertwende mit all ihren Folgen ausserdem noch durch eine persönliche 'Verlorenheit' und eine verwirrende Atmosphäre der allgemeinen Kulturkrise genährt wurde.
Seine literarische Kritik am Konfuzianismus im Wang-lun gilt nicht der Person Konfuzius und seiner Lehre, sondern an deren Missbrauch und Entstellung durch den feudalistischen Despotismus und der kaiserlichen Macht.
Die Lehre von Laozi und dem Taoismus macht einen tiefen Eindruck auf Döblin, der aus Unbehagen an der eigenen Kultur und an den negativen Aspekten der Industrialisierung in der chinesischen geistigen Welt nach Alternativen sucht.

Liu Weijian : Döblin schreibt : Ich habe niemals daran gedacht, mit mit China zu befassen, der Gedanke etwa, nach China zu fahren, ist mir nicht im Traum eingefallen : ich hatte ein seelisches Grunderlebnis oder eine Grundeinstellung, diese liess ich mit höchster Schonung gewähren und legte ihr vor, unterbreitete ihr, wessen sie zu ihrer Auswirkung bedurfte.
Diese Grundeinstellung findet sich im Roman als tiefes Gefühl wieder und korrespondiert mit dem daoistischen Wuwei, das als grundlegendes Motiv den Roman durchzieht.
Döblin schreibt : Die Welt erobern wollen durch Handeln, misslingt. Die Welt ist von geistiger Art, man soll nicht an ihr rühren. Wer handelt, verliert sie, wer festhält, verliert sie.
So widmet Döblin die Zueignung dem taoistischen weisen alten Mann Liezi. Zugleich spricht er Laozi, dem Wuwei-Meister, seine besondere Anerkennung aus : Was ging mich, der nicht einmal Europa kennt, China an, von Laotse abgesehen.
Als Kind einer kleinbürgerlichen jüdischen Familie ist Döblin entbehrungsreich aufgewachsen und fühlt sich den Unterdrückten und Ausgestossenen zugehörig. Er ist empört über die ungerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und empfindet den Staat als Handlanger der Mächtigen. Dieser Eindruck wird zur Zeit der Entstehung von Wang-lun noch durch die imperialistische Aussenpolitik und Aufrüstung für den Krieg Kaiser Wilhelms II. verstärkt. Dieser deutschen Machtpolitik stellt Döblin die daoistische Wuwei-Lehre gegenüber, die sich seiner Ansicht nach durch den Sieg des chinesischen Volkes über die zweitausendjährige Feudalherrschaft ausgezeichnet hatte und die ihm auf deutsche Verhältnisse übertragbar erscheint. In der Vorrede zu Wang-lun unterstreicht er den sozialen Aspekt der Wuwei-Lehre durch ein Zitat Liezis : Dass ich nicht vergesse – Im Leben dieser Erde sind zweitausend Jahre ein Jahr. Gewinnen, Erobern ; ein alter Mann sprach : Wir gehen und wissen nicht wohin. Wir bleiben und wissen nicht wo. Wir essen und wissen nicht warum. Das alles ist die starke Lebenskraft von Himmel und Erde. Wer kann da sprechen von Gewinnen, Besitzen. So sieht Döblin in der Wuwei-Lehre ein Perspektive für die Unterdrückten. Sie kommt seiner Vorstellung nach einer gesellschaftlichen Verbesserung entgegen und führt ihn dazu, sich der Niederschrift des Wang-lun zu widmen.
Die Auseinandersetzung Döblins mit dem Buddhismus drückt sich in den Vorstudien zu Wang-lun, den zu Lebzeiten unveröffentlicheten Aufsätzen Der Wille zur Macht als Erkenntnis bei Friedrich Nietzsche (1902) und zu Niezsches Morallehren (1902-1903) aus.

Ingrid Schuster : Döblin hat die Konzeption vom neuen Menschen mit der Lehre vom wu-wei verschmolzen und eine Sonderform des neuen Menschen geschaffen : den chinesischen neuen Menschen… Wang-lun ist religiöser Führer und politischer Revolutionär zugleich ; er versucht, Idee und Tat, religiöse Vision und politische Praxis, Erlösung und Existenz miteinander zu versöhnen. Wang-luns Ziel ist wu-wei, der Zustand der Übereinstimmung mit dem Weltgesetz, der Zustand der Ruhe ohne die Polarität von Freude und Schmerz, Gut und Böse, Glück und Unglück. Der Weg zum Ziel ist : Nicht handeln ; wie das weisse Wasser schwach und folgsam sein…
Döblin schreibt in Wissen und Verändern : Wir haben als Ziel den auch im Natürlichen, im Ökonomischen, Politischen und Geistigen freien Menschen, dessen Verwirklichung wir nicht in die graue Zukunft schieben können. Die Verwirklichung dieses freien Menschen besteht für Döblin in dem Einswerden mit dem tao, das durch wu-wei erreicht wird.

Tan Yuan : Der Zauber von Wang-lun zeigt die Andersartigkeit der chinesischen Welt und ein Bild der chinesischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts : Arme Dörfer, staubige Landstrassen, nordchinesisches Gebirge, brausende Flüsse, einsame Einsiedlerhütten, chaotische Provinzstädte, majestätische Hauptstadt, prächtige Paläste, buddhistische Klöster, düstere Gefängnisse. Es treten auf : Bauern, Handwerker, Kaufleute, Bettler, Diebe, Räuber, Dirnen, Zauberer, Soldaten, Beamte, Generäle, Kaiser, Lama, Mönche, Taoisten und Literaten. Die Chinoiserie ist berückend : Es gibt prunkvolle Darstellung des Kaiserhofes, detaillierte Schilderungen der exotischen Sitten, Bräuche, Rituale und Lebensgewohnheiten. Die Metaphorik ist faszinieren : Mit den ungewöhnlichen Assoziationen und Vergleichen verleiht Döblin der chinesischen Gefühlswelt einen sinnlich erfahrbaren Charakter und eröffnet den Lesern einen neuen Raum für ihre Phantasie. Döblin charakterisiert den Kaiser Khien-lung [Qianlong] als Staatsoberhaupt und Führer der Staatsreligion Konfuzianismus. Dass der Kaiser der 'Himmelssohn' ist, wird nur in Khien-lungs Selbstäusserung erwähnt : Ich bin als Sohn des Himmels geboren und werde auf dem Drachenthron sterben.
Wang-lun kommt nach seiner Flucht in die Nan-ku-Berge erstmals mit der taoistischen Lehre in Berührung. Er hört zuerst von 'den niedrigen Leuten' die Sprüche aus dem Dao de jing : "In den niedrigen Leuten schwang der alte Geist des Volkes ; mehr als in den Literaten strömte in den Gestrandeten, viel Erfahrenen das tiefe Grundgefühl : Die Welt ist von geistiger Art, man soll nicht an ihr rühren. Wer handelt, verliert sie ; wer festhält, verliert sie". Wang-luns Bekehrung zum Wu-wei basiert auf seinem Nachdenken über den elenden Zustand der 'armen ausgestossenen Menschen'. Er sieht, dass jemand zuerst handeln muss, damit das Wu-wei verwirklicht werden kann. Als er sieht, dass die Bandenmitglieder der 'Gebrochenen Melone' bald den Regierungstruppen zum Opfer fallen werden, vergiftet er den Brunnen in der Stadt, so dass die Truppen nur noch die toten Mitglieder finden. Es ist für ihn die einzige Möglichkeit, den gewaltigen Kampf zu vermeiden und die Gewaltlosigkeit der 'wahrhaft Schwachen' durchzuhalten. Mit der Vergiftung macht er sich zum Mörder und handelt der Wu-wei-Lehre zuwider. Aber er verwirklicht den Spruch im Dao de jing, indem er allen 'Schmutz' auf sich nimmt und das Unglück trägt. Döblin weist darauf hin, dass jemand die Verantwortung übernehme und sich für das Nichthandeln der Brüder opfern muss.
Im Roman zitiert Döblin zudem eine Fabel von Zhuangzi, um die Hektik des Menschen in Frage zu stellen : "Es war einmal ein Mann, der fürchtete sich vor seinem Schatten und hasste seine Fussspuren. Und um beiden zu entgehen, ergriff der die Flucht. Aber je öfter er den Fuss hob, umso häufiger liess er Spuren zurück. Und so schnell er auch lief, löste sich der Schatten nicht von seinem Körper. Da wähnte er, er säume noch zu sehr ; begann schneller zu laufen, ohne Rast, bis seine Kraft erschöpft war und er starb. Er hatte nicht gewusst, dass er nur an einem schattigen Ort zu weilen brauchte, um seinen Schatten los zu sein. Dass er sich nur ruhig zu verhalten brauchte, um keine Fussspuren zu hinterlassen".

Gerwig Epkes : China ist für Döblin ein Weg zur Rechtfertigung seiner Schriftstellerei. Durch die Beschäftigung mit dem fremden Land vermeidet er unbewusst, sich mit seinen Eltern auseinanderzusetzten. Damit klammert er Schuld- und Angstgefühle aus, die sein strenges Über-Ich von ihm fordern würde. Er idealisiert China. Später wird ihm selbst bewusst, dass China ihm als 'Vehikel' zur Lösung persönlicher Probleme diente.

Otto Jensen schreibt 1922 : Dies Buch ist nicht nur ein Roman. Wie jedes grosse Kunstwerk ist es ein Zeitbild. Es ist ein Beitrag zur Sozialgeschichte eines Volkses, das steigende Bedeutung in der Weltpolitik unserer Tage erlangt. Wir müssen die alte Kultur der Chinesen kennen, um die Wandlungen im Fernen Osten zu begreifen.

Lion Feuchtwanger schreibt 1916 : Und während allerorten geschäftige Kärrner an der Arbeit sind, Grenzwälle aufzuwerfen zwischen Nation und Nation, legt hier ein Dichter eine Bresche in die chinesische Mauer, die das geistige Europa von der östlichen Welt schied... die tiefste Weisheit des Ostens, die uns bisher höchstens in sentimental-transzendentalen, akademisch theosophischen Abhandlungen europäisch frisiert, verwässert und verflüchtigt entgegendämmerte, ist in diesem Prosa-Epos rein, naiv, unsentimental, mit überzeugender Gegenständlichkeit gestaltet... Der Sinn des Buches ist die weiche, süsse Weisheit des Wu-Wei, des Nichtwiderstrebens. Das Epos sei ungefähr die Erfüllung dessen, was Goethe träumte, als er den Westöstlichen Diwan konzipierte : östliches Fühlen und Denken, in eine vollendete westliche Kunstform gezwungen. Nebel zerreissen, eine neue ungeahnte Welt ist da, Menschen und Dinge stehen da, ungeheuer fremd und seltsam, aber sie sind da, greifbar, wirklich, vom Ungläubigsten nicht wegzuleugnen. Sind da und überzeugen mit ihren abertausend neuen, unbekannten, ungeahnten Erscheinungen, Weisheiten, Lüsten, Schmerzen, Träumen, Erkenntnissen, Verzichten.
  • Document: Felbert, Ulrich von. China und Japan als Impuls und Exempel : fernöstliche Ideen und Motive bei Alfred Döblin, Bertolt Brecht und Egon Erwin Kisch. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1986). (Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte ; Bd. 9). S. 46. (Döb3, Publication)
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 93-99. (LiuW1, Publication)
  • Document: Epkes, Gerwig. "Der Sohn hat die Mutter gefunden..." : die Wahrnehmung des Fremden in der Literatur des 20. Jahrhunderts am Beispiel Chinas. (Würzburg : Königshausen und Neumann, 1992). (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft ; Bd. 79). Diss. Univ. Freiburg i.B., 1990. S. 102. (Epk, Publication)
  • Document: Ostasienrezeption zwischen Klischee und Innovation : zur Begegnung zwischen Ost und West um 1900. Walter Gebhard (Hg.). (München : Iudicium, 2000). S. 85. (Geb1, Publication)
  • Document: Luo, Wei. "Fahrten bei geschlossener Tür" : Alfred Döblins Beschäftigung mit China und dem Konfuzianismus. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 2003). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1896). Diss. Beijing-Univ., 2003. S. 16, 39, 51, 54-59. (Döb2, Publication)
  • Document: Schuster, Ingrid. Faszination Ostasien : zur kulturellen Interaktion Europa-Japan-China : Aufsätze aus drei Jahrzehnten. (Bern : Lang, 2007). (Kanadische Studien zur deutschen Sprache und Literatur ; Bd. 51). S. 89-90. (Schu5, Publication)
  • Document: Tan, Yuan. Der Chinese in der deutschen Literatur : unter besonderer Berücksichtigung chinesischer Figuren in den Werken von Schiller, Döblin und Brecht. (Göttingen : Cuvillier, 2007). Diss. Univ. Göttingen, 2006. S. 84-111, 128. (Tan10, Publication)
  • Person: Döblin, Alfred
  • Person: Feuchtwanger, Lion
  • Person: Jensen, Otto
  • Person: Wilhelm II.
3 1917 Kafka, Franz. Beim Bau der chinesischen Mauer [ID D124553].
Quellen : Heilmann, Hans. Chinesische Lyrik [ID D11976]. Bethge, Hans. Die chinesische Flöte [ID D11977]. Dittmar, Julius. Im neuen China.
Max Brod sagt, dass Kafka das Buch Chinesische Lyrik von Hans Heilmann [ID D11976] sehr geliebt, zeitweilig allen anderen vorgezogen und oft mit Begeisterung daraus vorgelesen hat.

Ma Jia : China ist bei Franz Kafka ein Ideenschauplatz in seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit Macht und Gesetz. Beim Bau der chinesischen Mauer ist eines der wichtigsten Werke aus Kafkas China-Beschäftigung, denn darin werden die China-Motive häufiger und konzentrierter als in anderen Werken verwendet... Das Ziel, die chinesische Mauer zu bauen, bedeutet, Nordchina vor Angriffen der Nomaden zu schützen. Es ist aber ein illusionäres, imaginäres Ziel. Denn der Schutzfunktion, die der Mauer zukommen soll, kann diese nicht gerecht werden, zunächst wegen der mangelnden Kontinuität beim Mauerbau. Wie kann man aber eine Mauer schützen, die nicht zusammenhängend gebaut ist…. Die chinesische Mauer wird zum Symbol der Vergeblichkeit aller menschlichen Bemühungen und des Tragischen des Menschen, mit grösster Sorgfalt und unermüdlichem Fleiss das verwirklichen, dem Sinn geben zu wollen, was in der Gesamtheit unzweckmässig, ja überflüssig ist… China ist nur ein Schauplatz zwischen Traum und Wirklichkeit, auf dem Kafka seine Erfahrung des Menschen in einem undurchschaubaren mystischen Ganzen zeigt und das scheinbar sinnvolle Dasein in Frage stellt.

Meng Weiyan : Kafka behauptet, dass die Mauer zum ersten Mal in der Menschenzeit ein sicheres Fundament für einen neuen Babelturm schaffen werde. Der Babelturm ist ein Traum, der nur unter der Beteiligung aller Menschen in Erfüllung gehen kann. Die geographische Entfernung dient bei Kafka dazu, die Nutzlosigkeit der Mauer zu betonen. Er betont die Entfernung zwischen dem Kaiser und dem Volk, die ein Bote nicht hinter sich bringen kann, nicht nur weil das Land gross ist, sondern die Menge der Höflinge um den Kaiser, das Gedränge im Palast und auf den Strassen, sein Vorwärtskommen vereiteln.

Armin Schäfer : Kafka kennzeichnet China durch seine Grösse und das Volk, den Kaiser als Symbol und das Reich sind symbolische Üercodierungen einer dezentralen Politik.

Nakazawa Hideo. In : JDZB : Veröffentlichungen des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin ; Bd. 12 (1991), S. 233-235.
Die Erzählung ist ein allegorisches Werk, in dem das Wort „Jude“ durchwegs durch das Wort „Chinese“ ersetzt ist, und das sich mit der Situation des Judentums auseinandersetzt. Nach Kafkas Meinung hat weder der Kaiser noch die Nordvölker den Bau angeordnet. Es ist eher die „Führerschaft“, die ihn beschlossen haben. Die Führerschaft ist eine allegorische Darstellung der jüdischen Überlieferung, der Aufbau des Judenstaates.
  • Document: Meng, Weiyan. Kafka und China. (München : Iudicium, 1986). (Studien Deutsch ; Bd. 4). Diss. Ludwig-Maximilians-Univ. München, 1986. S. 77, 80. (Kaf2, Publication)
  • Document: Han, Ruixin. Die China-Rezeption bei expressionistischen Autoren. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1993). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1421). Diss. Univ. München, 1993. S. 94. (HanR1, Publication)
  • Person: Kafka, Franz
4 1920 Döblin, Alfred. Der deutsche Maskenball. (Berlin : S. Fischer, 1921).
Darin enthalten : Alfred Döblin. Der rechte Weg. (1920) : Rezension der 4. Aufl. (1919) von Ular, Alexander. Die Bahn und der rechte Weg des Lao-tse… [ID D11974]. Er schreibt : Einundachtzig Sprüche, einige nur vier bis sechs Zeilen lang, hat Laotses Taoteking, die Bahn und der rechte Weg. Neben diesem Buch kann sich keins halten, denn es nimmt sie alle auf. Es überwindet sie im Hegelschen Sinne, indem er sie nicht beseitigt oder widerlegt, sondern ihnen ihren Platz anweist. Es haben noch einige Jahrtausende Literatur Raum in diesem Buch… Dies Buch müsste klein bequem gebunden sein. Es wird so gebunden werden ; wird von vielen Europäern der folgenden Jahrzehnte in den Taschen getragen werden.
  • Document: Luo, Wei. "Fahrten bei geschlossener Tür" : Alfred Döblins Beschäftigung mit China und dem Konfuzianismus. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 2003). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1896). Diss. Beijing-Univ., 2003. S. 66. (Döb2, Publication)
  • Person: Döblin, Alfred
  • Person: Ular, Alexander
5 1924 Ehrenstein, Albert. China klagt [ID D12458].
Quellen : Pfizmaier, August. Po, Chü-i. Der chinesische Dichter Pe-lo-thien [ID D4779]. Arthur Waley.
Darin enthalten : Gedichte von unbekannten Dichtern (26), Shi jing (13), Du Fu (2), Bo Juyi (9).

Ehrenstein schreibt : Im Schi-king [Shi jing], der dokumentarischen Sammlung chinesischer Volkslieder … finden wir viele Verse des Unmutes, des Ärgers, der Empörung über die unfähige Gewaltherrschaft und vor allem eine stetig zunehmende Unlust und Aversion gegen den Soldatendienst und die Kriegsführerei. Doch erst um 800 nach Christi Geburt lebte der Mann und Ankläger, der den Übermut und die Verschwendung der Mandarine und Fürsten geisselte, den Schrei der leidenden und hungernden Massen ausstiess : Po Chü-i [Bo Juyi].
Darin klagt das chinesische Volk über die Gewaltherrschaft, den Soldatendienst und die Kriegsführerei und soziale Ungerechtigkeit.

Han Ruixin : Es ist offensichtlich, dass Ehrenstein mit diesem Werk seinen eigenen Gedanken und Intentionen Ausdruck geben wollte.
  • Document: Schuster, Ingrid. China und Japan in der deutschen Literatur 1890-1925. (Bern : Francke, 1977). S. 105. (Schu4, Publication)
  • Document: Han, Ruixin. Die China-Rezeption bei expressionistischen Autoren. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1993). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1421). Diss. Univ. München, 1993. S. 183-185. (HanR1, Publication)
  • Person: Bo, Juyi
  • Person: Ehrenstein, Albert
6 1925 Klabund. Der Kreidekreis [ID D12520].
Uraufführung im Stadttheater Meissen, dann in Frankfurt.
Quellen : Julien, Stanislas. Hoei-lan-ki [ID D4646] ; Fonsecas, Wollheim da. Der Kreidekreis [ID D12699] ; Wilhelm Grube bespricht das Stück in Geschichte der chinesischen Literatur [ID D798] und macht auszugsweise Übersetzungen ins Deutsche.

Klabund schreibt : Es ist drei Jahre her, dass eines Abends in der „Wilden Bühne“ Elisabeth Bergner auf mich zu kam : „Wir haben ein Schauspielertheater gegründet : wollen Sie ein Stück für uns, für mich schreiben?... Kennen Sie den Kreidekreis?“. Natürlich kannte ich (alter Chinese) den Kreidekreis : In der (ausgezeichneten) Übersetzung Stanislav Juliens, in der (weniger guten) Reclamschen Ausgabe (Fonsecas). Dass die Figur der Haitang eine Rolle für Elisabeth Bergner ergeben könnte wie kaum eine zweite, leuchtete mir blitzartig ein.
Es galt, ein chinesisches Märchenspiel zu ersinnen. Keine strenge Chinoiserie. Es sollte sein, wie wenn jemand von China träumt.

Dscheng Fang-hsiung : Max Reinhardt macht die Inszenierung. Klabund habe zwar die Fabel weitgehend beibehalten, ebenfalls die Spielform, jedoch einige Figuren ausgewechselt, Ortsnamen und Personen und Einzelheiten erfunden.

Klabund schreibt in Die literarische Welt vom 13.11.1925 den Artikel Klabund gegen die Berliner Kritik seines Kreidekreises : Der Kreidekreis ist bereits an etwa 100 Bühnen gespielt worden. Ich habe etwa 1000 (uff) Kritiken gelesen. Vielleicht darf ich mir einmal gestatten, meine Herren Kritiker zu kritisieren – selbstverständlich mit der mir gebührenden Zurückhaltung und der mir als Chinesen innewohnenden Höflichkeit des Herzens. Sie reden soviel davon, dass wir kein Drama haben – haben wir eine Kritik ?

Herbert Ihering schreibt in seiner Theaterkritik : Klabund ging zum chinesischen Drama, um abgenutzte europäische Sentiments, um Kastengegensätze, um politische Aktualitäten zu finden und noch einmal zu betonen. Der Publikumserfolg des Stückes liegt in der bourgeoisen Gefühlsüberschwemmung und in der exotischen Formgebung. Ein Literatenstück, was den Stil, ein Spiesserstück, was den Kern betrifft.

Chen Chuan : Die Bearbeitung des Kreidekreis enthält zwar noch vieles Unchinesische, aber der Dichter hat uns doch die Möglichkeit aufgewiesen, ein echt chinesisches Drama bei einigen Veränderungen dem deutschen Theater zugänglich zu machen. Auch ihm ist noch nicht Vollendetes gelungen, auch bei ihm vermischen sich noch deutlich chinesische Elemente mit europäischen, auch bei ihm überschneiden sich noch chinesische Weltanschauung mit europäischem Lebensgefühl.

Ma Jia : Auf der Realitätsflucht macht Klabund seine geistige Pilgerfahrt zu Lao Zi [Laozi] in dem Glauben, mit dessen Lehre der Dekandenz der westlichen Kultur entgegenwirken zu können. Für den "Revolutionär der Seele" ist China, ähnlich wie für [Hermann] Hesse, in erster Linie eine geistige Gegenwelt. Der gesellschaftlichen Situation Chinas und der sozialen Wirkung der daoistischen Lehre schenkt er wenig Beachtung. Begeistert entdeckt er in der daoistischen Weisheit ein Heilrezept für die erkrankte Seele seiner Landsleute und hofft, durch Veränderung der Menschen eine Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Zustände herbeizuführen. Dass Klabund China von der realen gesellschaftlichen Situation löst und die daoistische Botschaft als Möglichkeit, den realen politischen, gesellschaftlichen Konflikten auszuweichen, betrachtet, zeigt sich in seinem erfolgreichen Theaterstück Der Kreidekreis.

Kuei-fan Pan-hsu : Die Fabel des Originals ist bei Klabund unverändert erhalten. Doch ist sein Stück im Grunde genommen nicht chinesisch. Dabei liegt die Abweichung des Dramas von der chinesischen Welt nicht nur darin, dass sich Klabund weitgehend vom Original löst, sondern vor allem darin, dass er seine eigene Kenntnis über China entsprechend seiner Konzeption in das Stück einarbeitet… Er vermittelt chinesisches Selbstverständnis, konfuzianische Verhaltensweisen und Elemente der chinesischen Volksreligion ; er bemüht sich im Stück um eine Widerspiegelung des Lebens in China, indem er chinesische Lyrik einflicht und mit Sprichwörtern chinesische Vorstellungswelt nahebringt. Allerdings ist die von Klabund gezeichnete chinesische Welt zum grossen Teil eine Illusion, die wenig mit den tatsächlichen Gegebenheiten gemein hat… Was das Stück anziehend macht, ist die lyrische Sprache. Klabund verwendet chinesische Bilder, Vergleiche und Symbole… Die Abweichung des Stückes liegt darin, dass Klabund die Personencharaktere umgestaltet : Haitang, der Richter Bao, Herr Ma und Zhang Lin… Ein weiterer einflussreicher Faktor, der die Gestaltung des Kreidekreis bestimmt, ist der Publikumsgeschmack. Das Publikum empfindet die "Zartheit" des Stückes als den "lang erwarteten Kontrast zu den extremen Texten der neuen Autoren".

Ye Fang-xian : Anders als im chinesischen Drama zeigt der Kreidekreis nicht eine menschliche Weisheit, sondern eine mystische Kraft, derer Quelle die Liebe ist. Der konkrete historische Hintergrund ist total verschwunden. Was vom chinesischen Original übrig bleibt, sind nur einzelne Szenen und das Muttermotiv. Alfred Forke hat Klabunds Abweichung vom chinesischen Original kritisiert.
  • Document: Chen, Chuan. Die chinesische schöne Literatur im deutschen Schrifttum. (Kiel : Christian-Albrecht-Universität, 1933). Diss. Christian-Albrecht-Univ. Kiel, 1933. = Zhong de wen xue yan jiu. (Shanghai : Shang wu yin shu guan, 1936). S. 53. (Che2, Publication)
  • Document: Pan-Hsu, Kuei-fen. Die Bedeutung der chinesischen Literatur in den Werken Klabunds : eine Untersuchung zur Entstehung der Nachdichtungen und deren Stellung im Gesamtwerk. (Frankfurt a.M. : P. Lang,, 1990). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1179). Diss. Univ. Hamburg, 1988. S. 150-161. (Pan2, Publication)
  • Document: Fang, Weigui. Das Chinabild in der deutschen Literatur, 1871-1933 : ein Beitrag zur komparatistischen Imagologie. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1992). (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1356). Diss. Technische Hochschule Aachen, 1992. S. 282-283, 287. (FanW1, Publication)
  • Document: Epkes, Gerwig. "Der Sohn hat die Mutter gefunden..." : die Wahrnehmung des Fremden in der Literatur des 20. Jahrhunderts am Beispiel Chinas. (Würzburg : Königshausen und Neumann, 1992). (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft ; Bd. 79). Diss. Univ. Freiburg i.B., 1990. S. 66-67. (Epk, Publication)
  • Document: Han, Ruixin. Die China-Rezeption bei expressionistischen Autoren. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1993). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1421). Diss. Univ. München, 1993. S. 97. (HanR1, Publication)
  • Document: Ye, Fang-xian. China-Rezeption bei Hermann Hesse und Bertolt Brecht. (Irvine : University of California, 1994). Diss. Univ. of California, Irvine, 1994). S. 190-191. (Hes80, Publication)
  • Person: Klabund
7 1927 Ehrenstein, Albert. Räuber und Soldaten [ID D12207].
Albert Ehrenstein schreibt im Nachwort : Abneigung gegen den penetranten Zuckerguss derartiger Süsspeisen trieb mein Interesse für chinesische Epik in minder ätherische Gegenden – von der langweiligen Apotheose des Dutzendliteraten weg in die Regionen der Volksromane.

Chuan Chen : Shui hu zhuan ist zwar ein revolutionärer Roman, der sich aber mit tiefinnerlichen, ernsthaften mit allgemein menschlichen Problemen auseinandersetzt. Ehrenstein sieht nur die radikalen und revolutionären Elemente. Er hält diesen Roman für einen grossen, aber noch rohen Entwurf, für eine Darstellung vieler Episoden und Geschehnisse ohne schöpferische Konzentration, ohne letzte künstlerische Einheit. Ehrenstein befindet sich im Irrtum : dieser Roman ist unzweifelhaft ein künstlerisch vollendetes Werk. So entstand aus der Absicht Ehrensteins, der aus diesem „rohen Stoff“ ein künstlerisches Werk schaffen wollte, in Wirklichkeit der ungewollte Versuch, aus einem Kunstwerk ein Kunstwerk zu machen.
Da Ehrenstein die chinesische Sprache nicht beherrscht, hat er durch einen Chinesen namens Ta Ko-an, der über hundert Bruchstücke aus verschiedenen chinesischen Erzählungen für ihn übersetzte, Shui hu zhuan kennengelernt. Er hat das Buch in richtiger Reihenfolge nicht lesen können, es ist ihm lediglich in Bruchstücken bekannt geworden. Das ist der Grund für seinen Irrtum, und deshalb unternahm er den Versuch, durch radikale Vereinfachung der Geschehnisse und Zuschreibung und Konzentration der Taten auf eine Hauptfigur, der Arbeit ein Einheit zu geben, die sie im Original noch nicht besitzt.
Er hat gerade die Episoden aus dem Leben Su Sungs ausgelassen, die die wichtigsten für seine menschliche Entwicklung sind, und statt dessen hat er viele Abenteuer anderer Räuber ihm zugeschrieben, ohne zu bedenken, dass die andern andere Charaktere sind… Es genügt ihm, wenn der Held ein Räuber und Revolutionär ist. Dadurch bringt er in seine Umarbeitung eine absolut unchinesische Aggressivität, eine leidenschaftliche Spannung, die in einem gewissen Widerspruch steht zu der lyrischen Grundstimmung, die das ganze Buch durchzieht.

Ma Jia : Die Nachdichtung ist nach sinologischer Ansicht ein misslungener Versuch... Durch das Zusammenpressen verschiedener, einander wiedersprüchlicher Charaktere in eine Figur und durch die Häufung der Handlungen gehen nicht nur die formalen Merkmale des chinesischen Romans, sondern auch die chinesische Mentalität verloren.

Karl-Markus Gauss : Seine chinesischen Nach- und Umdichtungen bilden einen Spiegel seines leidenden und rebellischen Wesens, das in der chinesischen Literatur Resonanz sucht und zum Ausdruck drängt, China ist für ihn keine fernöstlich dargebrachte Religion des Sich-Ertragens, sondern ein Reich der Rebellen, die keine Herrschaft und sich selbst nur in der Empörung ertragen.

Li Changke : Die bewusste Suche nach "Kampf" bestimmt Ehrensteins Beschäftigung mit China. Der Rebellionsgeist gegen die bestehende Gesellschaftsordnung liegt diesem Buch zugrunde... Der Shui Chuan mit seinem sozialkritisch-rebellischen Gehalt begeisterte den Dichter. Fortan wollte er das chinesische Werk "unter Beibehaltung des charakteristisch Chinesischen : des kolklorisch, sittengeschichtlich wichtigen Details zu einem zusammenhängenden, für Europäer lesenswerten Kunstwerk bearbeiten"... Die grossen Züge, mit denen Ehrenstein den chinesischen Roman umformte, verleihen ihm einen selbständigen Charakter. Der Erzähler selbst betrachtete sein Buch offenbar auch als eine eigenständige Leistung... Ein Textvergleich mit dem Original erübrigt sich sicher... Ehrenstein scheint sich weitgehend mit Wu Sung identifiziert zu haben, indem er die Geschicke seines Helden bis zu einem gewissen Grad zu einer literarischen Reflexion seiner eigenen sozialen Lage umgestaltete.
  • Document: Chen, Chuan. Die chinesische schöne Literatur im deutschen Schrifttum. (Kiel : Christian-Albrecht-Universität, 1933). Diss. Christian-Albrecht-Univ. Kiel, 1933. = Zhong de wen xue yan jiu. (Shanghai : Shang wu yin shu guan, 1936). S. 25. (Che2, Publication)
  • Document: Li, Changke. Der China-Roman in der deutschen Literatur 1890-1930 : Tendenzen und Aspekte. (Regensburg : S. Roderer, 1992). (Theorie und Forschung ; Bd. 209. Literaturwissenschaft ; Bd. 12). S. 180, 182-183. (LiC1, Publication)
  • Person: Ehrenstein, Albert
8 1928 Döblin, Alfred. Das Ich über der Natur. (Berlin : S. Fischer, 1928).
Er schreibt : Das Tao verkündet : Durch Handeln wird nichts geändert. Buddha aber – Dieser Unterschied zwischen dem Stillen, Stummen der Taolehre und Buddhas.

Liu Weijian : Döblin betont wie Laozi das Erkennen der Welt. Dieses Erkennen beruht vor allem auf dem intuitiven Denken, das mit dem Fühlen und Erleben der Natur eng verbunden ist. Durch diese Naturalisierung des Denkens ist man in der Lage, das innere Gesetz der Welt zu erkennen und dementsprechend durch eigenes Handeln zur Veränderung der Welt beizutragen… Wie das Dao verfügt der „Ursinn“ bei Döblin über Merkmale des Wuwei. Er schlägt sich als Zeichen des Geistigen in der Zeitlichkeit nieder, die keine Entwicklung, sondern eine Verkrümmung darstellt. Aber trotzdem ist die Welt sinndurchflossen. Die stille Wirksamkeit des Ursinns zeigt Döblin durch das weiche, fügsame Wasser, das Symbol des Wuwei… Zugleich ist das Wuwei für ihn auch ein wichtiges Verhaltensprinzip. Wer das Wuwei nicht versteht und am persönlichen Ich festhält, der ist zerbrechlich und hinfällig… Er soll sein zerbrechliches Ich aufgeben und sich im Ursinn auflösen. Er schwimmt im vom Ursinn durchströmten Weltlauf mit und beteiligt sich damit als Handelnder am Prozess der Welt.

Ma Jia : Döblin bezeichnet das „Tao“ als Ursinn, Urich, Urgewalt und Urgeist... Bei Döblin hat das anonyme Urwesen einen Aspekt des Materiellen, der in den Begriffen „Urich“ und „überpersönliche Ichheit“ enthalten ist. Im Unterschied zu der intuitiven und direkten Art der Naturphilosophie Laozis, versucht er die grosse Welteinheit, die aus einer Ursubstanz hevorgeht, mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu untermauern… Das Welturwesen ist nach ihm ein lebendiger schaffender Geist, der seinen Sinn in der Welt durch eine allgemeine Beseelung entfaltet.

Luo Wei : Döblin erscheint der Buddhismus aktiver und optimistischer als die taoistische Ruhe und Passivität der gesellschaftlichen Verpflichtung gegenüber.
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 116-117. (LiuW1, Publication)
  • Document: Luo, Wei. "Fahrten bei geschlossener Tür" : Alfred Döblins Beschäftigung mit China und dem Konfuzianismus. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 2003). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1896). Diss. Beijing-Univ., 2003. S. 68. (Döb2, Publication)
  • Person: Döblin, Alfred
9 1928 Ma Jia : Albert Ehrenstein schreibt in einem Brief, er sei ein freier Schriftsteller Europas, dessen eigene Arbeiten die Verleger nicht drucken, ihn so zur Reproduktion chinesischer Provenienzen zwingen.
Er verbrachte seine Kindheit in der Atmosphäre einer armen jüdischen Familie. In der Diskriminierung, die er damals erlitt, keimt seine allgemeine Auflehnung. Einsam und trostlos kämpft er gegen den Krieg und die Gesellschaft. Seine Verbitterung gipfelt in einer grenzenlosen Verzweiflung am Leben… Die Expressivität des Klagegestus, die Unverwechselbarkeit des Leidenstons findet man auch in seiner chinesichen Dichtung wieder. Er sucht in der chinesischen Dichtung Resonanzen seiner Klage und Anklage.
10 1937 Albert Ehrenstein schreibt : Meine Auswanderung nach China hatte ihre Ursache in einer unglücklichen Liebe, die mich für längere Zeit vor der Wirklichkeit fliehen liess - ohne alle östlichen Tendenz.
Li Changke : Bei Ehrenstein mag Liebeskummer als Hintergrund für dessen Hinwendung zu China von nur äusserer Natur gewesen sein. So sieht man heute in der Zuwendung des Dichters zu China zum Beispiel einen "poetischen Selbstrettungsversuch" des in einer künstlerischen Krise befindlichen, um Anerkennung kämpfenden Schriftsteller, oder man interpretiert sie als einen Versuch Ehrensteins, "in der chinesischen Mimikry die völlige Assimilation herbeizuführen", da das Chinesentum noch mehr als die religiös tolerante Antike, zu der sich der Dichter ebenfalls hingzogen gefühlt habe, in der Lage sei, "die Leiden der Vereinzelung und Isolation auszulöschen oder besser, sie angesichts des Fortbestandes seiner uralten Kultur zu relativieren". Ein Zeitgenosse begründete das Chinainteresse Ehrensteins primär politisch : Gegen Ende der zwanziger Jahre zerplatzte die Hoffnung des Dichters auf eine Revolution in Deutschland. Infolgedessen wandte er sich vom Heimatland ab und China zu, das gerade im Umbruch begriffen war und Revolution und Sozialisierung versprach.
  • Document: Li, Changke. Der China-Roman in der deutschen Literatur 1890-1930 : Tendenzen und Aspekte. (Regensburg : S. Roderer, 1992). (Theorie und Forschung ; Bd. 209. Literaturwissenschaft ; Bd. 12). S. 177-178. (LiC1, Publication)
  • Person: Ehrenstein, Albert
11 1940 Confucius. The living thoughts of Confucius. Presented by Alfred Döblin. (New York, N.Y. ; Toronto : Longmans, Green and Co., 1940). (The living thoughts library).

Quellen : Si shu (Lun yu, Mengzi, Da xue, Zhong yong), Xiao jing, Shu jing, Shi jing in der englischen Übersetzung von James Legge [ID D2212]. Anthony W. Riley verweist als Quelle auf das Buch von Johann Heinrich Plath. Confucius und seine Schüler Leben und Lehre [ID D4469]. Weitere Quellen sind die Bücher von Wilhelm Grube und Richard Wilhelm. Als mögliche Quelle könnte „Die Religion und Kultur Chinas“ von Ferdinand Heigl sein. [ID D12328].

Döblin schreibt im Vorwort : Confucius makes us the guarantors of a regular world order and we must not forget our responsibility for a moment because one move follows directly on the other, and only a crash trade is carried on... Times have certainly changed since Confucius, but the mind of man and human nature have remained unchanged for these two thousand five hundred years... Today, just as in Confuius’s time, men are still striving for a social society ; the will to live to see a spiritual moral world and the (uncertain) feeling that such an existence is possible prevails unchanged ; the struggle for happiness and stability goes on.

Ma Jia : Döblin bezeichnete Konfuzius in seiner Wang-lun-Zeit als „giftigsten Feind“ und das „dritte Übel“. Diese unversönliche oppositionelle Einstellung erklärt sich zunächst aus der historischen Tatsache, dass Konfuzius von den Mandschu-Kaisern verehrt wurde… Ausserdem ist Döblins antikonfuzianische Haltung durch seinen politischen Standpunkt, seine innere Identifikation mit den sozial niederen Schichten und seine Ablehnung der feudalen Herrschaft bestimmt. Als Sozialist freut er sich über den Sieg der chinesischen bürgerlichen Revolution von 1911…
1941 lässt er sich katholisch taufen. Damit vollzieht er den Wandel vom Atheisten zum Christen, vom Naturanbeter zum Gottesgläubigen. Parallel mit seiner Konversion wird Döblin von einem Gegner Konfuzuius’ zu seinem Verehrer. Konfuzius ist für ihn nicht mehr der Volksfeind, sondern „the man of the people“, „the democrat“, „the friend of humanity and practical moralist“... Das Grundgefühl der grossen Natureinheit, das er mit den daoistischen Denkern teilt, und die Überzeugung von der Kraft des Schwachseins werden nun durch die Begeisterung von der praktischen, aktivistischen und moralischen Lehre des Konfuzius ersetzt…
Sowohl seine Begeisterung für die daoistische Botschaft in der Wang-lun-Zeit als auch seine Neuentdeckung des „Himmels“ als göttlichen Prinzips bei der Hinwendung zu Konfuzius offenbaren Döblins Interesse an einem universalen Denken… Auf dem Weg zur Konversion von der Naturmystik zum christlichen Gott begegnet er Konfuzius auf einer neuen Ebene, auf der er sich vom daoistischen Weltbild trennt und sich zu einem jenseitigen Gott bekennt. Nicht das abgeschlossene Weltganze, sondern der Himmel als geistiges Prinzip, nicht Demut, sondern aktive Bemühung um die soziale Ordnung und das Praktizieren der moralischen Prinzipien der Liebe und Humanität, nicht mehr das Triebhaft Spontane, sondern rationales Handeln sind nun für Döblin die wesentlichen Momente…

Luo Wei : Zu Beginn des Vorwortes geht Döblin auf die Natur der Lehre des Konfuzius ein und legt das konfuzianische China als Literatenstaat fest… „Confucius is, then, both the founder of the official religion and the patron of the literary class“.
Döblins Einleitung setzt sich aus fünf Teilen zusammen, wobei Döblin jeweils auf die Eigentümlichkeit des konfuzianischen China, auf Konfuzius’ Leben, seinem grossen Charakter, seine Lehre und deren historische Entwicklung sowie die Bedeutung des Konfuzianismus für die moderne westliche Welt eingeht. Von Anfang bis zum Ende stellt er den berühmtesten chinesischen Weisen immer als Leitbild für die Gegenwart heraus und zollt dessen Persönlichkeit und Lehre grosse Bewunderung. Im zweiten und fünften Teil lassen sich besonders verblüffende historische Parallelen zu der Periode nach der Machtergreifung Hitlers und Döblins persönlichen Exilerfahrungen beobachten…
Er stilisiert Konfuzius zu einem verfehmten Leidensgenossen und zugleich auch einem unbeugsamen Kampfgenossen, der wie er unter der anarchistischen Kondition seiner Zeit leidet und unermüdlich um eine friedliche, stabile Ordnung ringt…
Er übt eine umfassende Kritik an den negativen Erscheinungen der westlichen Kultur… und macht nach der Bestimmung der Mittelstellung des Konfuzius zwischen Religionsstiftern und Staatsgründern auf die markante Charakteristik des konfuzianischen Staates aufmerksam, die darin besteht, dass mit der Lehre des Konfuzius eine besondere Klasse sich herausbildet, die zwischen den Herrschern und dem Volk steht und einen geistigen Kampf auf zwei Fronten führt : einerseits gegen die Regierung… und andererseits für die Erziehung, die dem Volk das Wissen zugänglich macht…
Er erklärt gleich zu Anfang seinen Hauptgedanken, dass die Ideen von Konfuzius für moderne Abendländer von Nutzen sind und ihnen weiterhelfen können, sich selbst zu erkennen.
Er sagt : So, im Kontrast zu unserer materialistischen Linie des Denkens, das den Menschen zum hilflosen Objekt eines dummen, sinnlosen Prozesses der Ereignisse macht, kann unser Handeln beeinflussen und es beeinflusst die Geschehnisse der Welt, weil wir hier geistige Kraft, beeinflussende geistige Kraft haben…
Döblin führt weiter aus, dass Konfuzius’ Einsicht in die engen Beziehungen zwischen Mensch und Natur verschieden von der abendländischen und zugleich eine tiefere und wahrere als diese sei…
  • Document: Luo, Wei. "Fahrten bei geschlossener Tür" : Alfred Döblins Beschäftigung mit China und dem Konfuzianismus. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 2003). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1896). Diss. Beijing-Univ., 2003. S. 105-1934, 110, 113-134, 133, 105-134. (Döb2, Publication)
  • Person: Döblin, Alfred

Cited by (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2000- Asien-Orient-Institut Universität Zürich Organisation / AOI
  • Cited by: Huppertz, Josefine ; Köster, Hermann. Kleine China-Beiträge. (St. Augustin : Selbstverlag, 1979). [Hermann Köster zum 75. Geburtstag].

    [Enthält : Ostasieneise von Wilhelm Schmidt 1935 von Josefine Huppertz ; Konfuzianismus von Xunzi von Hermann Köster]. (Huppe1, Published)