2003
Publication
# | Year | Text | Linked Data |
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1 | 1836 |
Ueber den Willen in der Natur [ID D11903]. Quellen siehe 1819-1854. Text siehe 1867. Sekundärliteratur Liu Weijian : Arthur Schopenhauer schreibt im Kapitel "Sinologie" über seine Beschäftigung mit der Tao-Lehre. Als Grundlage dient ihm Lao-tseu. Tao-te-king : le livre de la voie et de la vertu von Stanislas Julien [ID D2060]. Er bezeichnet das Tao als innewohnendes Prinzip aller Dinge, als grosses Eins. Es lasse sich durch den erhabenen Giebelbalken Taiki [Taiji], der alle Dachsparren trägt und doch über ihnen steht, versinnbildlichen und sei die "alles durchdringende Weltseele". Zugleich sei es für den Menschen im Sinne des Wuwei ein Weg zum Heile... zur Erlösung von der Welt und ihrem Jammer. Damit hebt Schopenhauer das Tao als Einheit aller Erscheinungen hervor, deren Erlangung durch das Wuwei dem Menschen die Befreiung von den irdischen Leiden verheisst. Seine positive Einstellung zur Tao-Lehre beruht auf seiner Auseinandersetzung mit dem christlichen Monotheismus und dem bürgerlichen Optimismus des Westens. Er meint, dass die Jesuiten das östliche Denken deshalb für abnorm halten, weil sie in ihm keinen Glauben an einen obersten Gott und Weltschöpfer fänden. Ein weiterer Grund für die westliche ablehnende Haltung bestehe darin, dass die westlichen Intellektuellen im Optimismus erzogen seien, während man im Osten die Welt als Bühne des Übels und Jammers betrachte. Dadurch erklärt Schopenhauer die bisherigen Vorurteile über die taoistische Philosophie sowie die daraus resultierende Ablehnung und zollt ihr im Anschluss an seine eigene antichristliche und pessimistische Weltanschauung Anerkennung. |
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2 | 1861 | James Legge schreibt über Konfuzius : Ich bin ausserstande, ihn als einen grossen Mann anzusehen. |
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3 | 1869-1908.2 |
Buddhismus bei Friedrich Nietzsche : Liu Weijian : Nietzsche hat sich Bücher über Buddhismus aus der Basler Universitätsbibliothek ausgeliehen. So z.B. Die Religion des Buddha von Carl Friedrich Koeppen [ID D12205] und von bedeutendem Einfluss Buddha von Hermann Oldenberg [ID D18109]. Auch in seiner Bibliothek gibt es Bücher über indische Philosophie und Buddhismus. Nietzsche steht der Interpretation des Buddhismus durch Arthur Schopenhauer kritisch gegenüber. Er weist auf die Auffassung von einer müden agnostischen und mystischen Art des Buddhismus hin, die den freien kritischen Geist entkräftigt und den Willen zum Leben schwächt... Er erklärt den Buddhismus als ein Synonym des antidogmatischen Nihilismus und fasst seine geistige Funktion aus der Perspektive des Niedergangs des Christentums auf… Nietzsche weist auf die Auffassung von einer 'müden' agnostischen und mystischen Art des Buddhismus hin, die den freien kritischen Geist entkräftigt und den Willen zum Leben schwächt. Für ihn ist das Christentum ein Unterdrückungsmittel, den Menschen 'krank zu machen' und seine Raubtier-Natur geistig zu zähmen, zu ‚civilisieren’. Einen solchen, mit dem Christentum vergleichbaren Buddhismus charakterisiert er als 'passivischen Nihilismus, als ein Zeichen der Schwäche : die Kraft des Geistes kann ermüdet, erschöpft sein, so dass die bisherigen Ziele und Werte unangemessen sind und keinen Glauben mehr finden'. Dieser passiven Art begegnet Nietzsche durch eine Interpretation des Buddhismus im Sinne der skeptischen Kraft. Er erklärt den Buddhismus als ein Synonym des antidogmatischen Nihilismus und fasst seine geistige Funktion aus der Perspektive des Niedergangs des Christentums auf. Nietzsches Auffassung dieses ‚nihilistischen’ Buddhismus ist unmittelbar aus dem Hintergrund des Endes der christlichen metaphysischen und Moralischen Welt- und Wertauslegung in Europa zu verstehen : 'Sein Maximum von relativer Kraft erreicht er als gewaltige Kraft der Zerstörung : als aktiver Nihilismus'. Er ist eine geschichtlich notwendige Konsequenz aus der Zeit, wo der konfessionelle Glaube und der krankhafte moralische Zwang zusammenbrechen. Die realitätsfernen metaphysischen Kategorien 'Sinn' und 'Wahrheit', mit denen man ansonsten die Welt interpretiert, werden als Irrtum und Lüge hinfällig. Es gilt jetzt, dass sich der Mensch selbst als religiöses Subjekt betrachtet, im eigenen Lebensfeld neuen Wert sucht und setzt. Nietzsches Hinweis auf Buddhas Begriff der Kausalität betrifft offensichtlich die buddhistische zwölfgliedrige Kausalitätsformel, die Verkettung von Ursachen und Wirkungen, in der das eine nicht ohne das andere besteht und keine Ursache zum alleinigen Entscheidungsfaktor emporgehoben werden kann. Diese Formel der Abhängigkeit des Entstehens beginnt vorerst mit dem 'Nichtwissen' der Wahrheit über die Entstehung der leidvollen Welt, aus dem der 'Wille zum Leben', die Triebkräfte hervorgehen. Aus diesen kommt dann das 'Bewusstsein', das eine scheinbare Persönlichkeit mit 'Namen und Körperlichkeit' erzeugt. Daraus ergeben sich 'Sechs Sinne', die die gewöhnlichen fünf äusseren Sinne und den sogenannten sechsten Denksinn beinhalten. Die Gemeinsamkeit von Buddhas Ethik und Nietzsches Übermenschmoral liegt in der Selbsterlösung. So soll sich das Streben des Menschen zum höheren Übermenschentypus auf seine eigene Kraft stützen. Der Buddhismus ist für Nietzsche keine nihilistische Weltanschauung über die Sinnlosigkeit des Daseins, sondern ein realistischer Weg aus den überlieferten Erklärungsmustern, ein subversives Konzept für das Denken und Handeln, mit dem der Mensch sich selbst als der Seiende aus dem Bann der überkommenen abstrakten Wahrheit herauszieht, die Wirklichkeit als positivistisches Phänomen erfasst und den neuen Sinn durch eigene Kraft schöpft. Eben vor dieser geistesgeschichtlichen Zeitkulisse lässt Alfred Döblins Hinweis auf den Versuch Nietzsches, des 'antichristlichen Advokaten des Teufels ohne Gott', die alte Religion wieder ins Leben zu rufen, als Buddhismus bezogen gewahr werden. Aufgrund eines skeptischen Geistes schlägt für Nietzsche der Buddhismus als 'nihilistisches' Konzept ins Konstruktive um, indem er als Kampfmittel gegen alle abstrakten, lebensfernen Werte fungiert und einen aktiven, diesseitig orientierten Charakter zeigt. Die gütige Mitempfindung des Buddhismus gegenüber den anderen ist nach Nietzsche zugleich mit dem gesunden selbstliebenden 'Egoismus' angesichts der Erlösung vom Leiden verbunden, was das christliche Dogma mit der scheinheiligen Lobeserhebung des Altruismus und der daraus resultierenden 'geistig-diätetischen' 'Schwächung des Individual-Interesses' übertrifft : Er kämpft nicht ‚gegen die Sünde’, sondern praktisch 'gegen das Leiden' ; er hat im ‚tiefen’ Unterschied zum Christen, ‚die Selbst-Betrügerei der Moral-Begriffe bereits hinter sich. In der Lehre Buddha’s wird der Egoismus Pflicht : das 'Eins ist Noth', das 'Wie kommst du vom Leiden los' reguliert und begrenzt die ganze geistige Diät. Jügen Offermanns : Es scheint, dass der Buddhismus Nietzsche als Kontrastmittel dient, um die Schwächen des Christentums noch besser hervorheben zu können. Sein Buddhismus ist markant von seinen eigenen philosophischen Ideen geprägt, von seinem verbissenen Hass auf das Christentum und seiner Abneigung gegenüber Kantianischer Moralphilosophie. Für ihn ist der Buddhismus atheistisch und er sieht darin eine antiritualistische und rationalistische Lehre. |
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4 | 1873-1895 |
Friedrich Nietzsche : Zitate über China Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen (1873) Zwar hat man im Eifer darauf hingezeigt, wie viel die Griechen im orientalischen Auslande finden und lernen konnten, und wie mancherlei sie wohl von dort geholt haben. Freilich gab es ein wunderliches Schauspiel, wenn man die angeblichen Lehrer aus dem Orient und die möglichen Schüler aus Griechenland zusammenbrachte und jetzt Zoroaster neben Heraklit, die Inder neben den Eleaten, die Ägypter neben Empedokles oder gar Anaxagoras unter den Juden und Pythagoras unter den Chinesen zur Schau stellte. Fragmente III (1875) Mappe loser Blätter : Notizen zu Wir Philologen Es ist schwer, die Bevorzugung zu rechtfertigen, in der das Alterthum steht: denn sie ist aus Vorurtheilen entstanden: 1) aus Unwissenheit des sonstigen Alterthums, 2) aus einer falschen Idealisierung zur Humanitäts-Menschheit überhaupt; während Inder und Chinesen jedenfalls humaner sind… Menschliches, Allzumenschliches (1878-1879) Bd. 1 : 3. Hauptstück : Das religiöse Leben Die geringen Leute in China umwinden, um die fehlende Gunst ihres Gottes zu ertrotzen, das Bild desselben, der sie in Stich gelassen hat, mit Stricken, reißen es nieder, schleifen es über die Strassen durch Lehm- und Düngerhaufen; "du Hund von einem Geiste, sagen sie, wir ließen dich in einem prächtigen Tempel wohnen, wir vergoldeten dich hübsch, wir fütterten dich gut, wir brachten dir Opfer und doch bist du so undankbar". Fragmente V (1880) Notizbuch : Vom Aberglauben, Vom Loben und Tadeln, Von der zulässigen Lüge - Was ist der Charakter dieser Moralität? Aber wonach bemißt man den Rang der verschiedenen Moralitäten? Zudem wollen es die Nicht-Europäer wie die Chinesen gar nicht Wort haben, daß die Europäer sich durch Moralität vor ihnen auszeichneten. Es gehört vielleicht mit zum Wesen der jüdischen Moralität, daß sie sich für die erste und höchste hält: es ist vielleicht eine Einbildung. Ja man kann fragen: gibt es überhaupt eine Rangordnung der Moralitäten? Manuskript : L’ombra di Venezia Das Christenthum und die Demokratie haben bis jetzt die Menschheit auf dem Wege zum Sande am weitesten gefahren. Ein kleines, schwaches, dämmerndes Wohlgefühlchen über Alle gleichmäßig verbreitet, ein verbessertes und auf die Spitze getriebenes Chinesenthum, das wäre das letzte Bild, welches die Menschheit bieten könnte? Notizbuch (1880) Auch die (chinesische) Tugend der Höflichkeit ist eine Folge des Gedankens: ich thue den Anderen wohl, weil es mir so zu Gute kommt - doch so daß dies Weil vergessen worden ist. Nicht aber entsteht Wohlwollen auf dem angegebenen Wege durch Vergessen. - Aber Höflichkeit ist doch sehr benachbart. Die Chinesen haben die Familienempfindung durchgeführt (Kinder zu den Eltern), die Römer mehr die der Väter zu der Familie (Pflicht). Morgenröthe (1881) 3. Buch So käme doch endlich auch wieder reinere Luft in das alte, jetzt übervölkerte und in sich brütende Europa! Mag es immerhin dann an "Arbeitskräften" etwas fehlen! Vielleicht wird man sich dabei besinnen, daß man an viele Bedürfnisse sich erst seitdem gewöhnt hat, als es so leicht wurde, sie zu befriedigen, - man wird einige Bedürfnisse wieder verlernen! Vielleicht auch wird man dann Chinesen hereinholen: und diese würden die Denk- und Lebensweise mitbringen, welche sich für arbeitsame Ameisen schickt. Ja, sie könnten im Ganzen dazu helfen, dem unruhigen und sich aufreibenden Europa etwas asiatische Ruhe und Betrachtsamkeit und - was am meisten wohl noth thut - asiatische Dauerhaftigkeit in's Geblüt zu geben. Liu Weijian : Das konfuzianische China sei abzulehnen, weil es der dogmatischen Kirche ähnlich sei, die die Menschen uniformiere und alle Verschiedenheit als unmoralisch empfinde. Er nennt sowohl Konfuzius als auch das Papsttum "grosse Regierungskünstler", die die Menschen zum sklavenhaften Herdentier machen. Er indentifizert China nicht nur mit den rationalen Konfuzianismus, sondern entdeckt eine taoistische Denk- und Lebensweise... Durch den Hinweis auf die Ruhe, Betrachtsamkeit und die Dauerhaftigkeit führt Nietzsche den Europäern die Sinnlosigkeit des hektischen Strebens nach Macht und Geld vor Augen und hebt die innere Harmonie des Menschen hervor... Dagegen hält er die chinesische Denkweise für einen erstrebenswerten Dauergeist. Ihm scheint diese Denkweise den wohlgeratenen Typus des Chinesen hervorzubringen, der daher fähiger als der Europäer sei. Fragmente VI (1881) Manuskript Die Sinne der Menschen im Fortschritt der Zivilisation sind schwächer geworden, Augen und Ohren: weil die Furcht geringer wurde und der Verstand feiner. Vielleicht wird mit der Vermehrung der Sicherheit die Feinheit des Verstandes nicht mehr nöthig sein: und abnehmen: wie in China! In Europa hat der Kampf gegen das Christenthum, die Anarchie der Meinungen und die Concurrenz der Fürsten Völker und Kaufleute bis jetzt den Verstand verfeinert. Irrthum der positiven Philosophie nachzuweisen: sie will die Anarchie der Geister vernichten, und sie wird den dumpfen Druck unbefriedigter Auslösung hervorbringen (wie China)! Die thierischen Gattungen haben meistens, wie die Pflanzen, eine Anpassung an einen bestimmten Erdtheil erreicht, und haben nun darin etwas Festes und Festhaltendes für ihren Charakter, sie verändern sich im Wesentlichen nicht mehr. Anders der Mensch, der immer unstet ist und sich nicht Einem Klima endgültig anpassen will, die Menschheit drängt hin zur Erzeugung eines allen Klimaten gewachsenen Wesens (auch durch solche Phantasmen wie "Gleichheit der Menschen"): ein allgemeiner Erdenmensch soll entstehen, deshalb verändert sich der Mensch noch (wo er sich angepaßt hat z. B. in China bleibt er durch Jahrtausende fast unverändert). Die Chinesen: ohne Scham, ohne Vorurtheile, geschwätzig, maßvoll: ihre Leidenschaften Opium Spiel Weiber. Sie sind reinlich... Unsere Triebe und Leidenschaften sind ungeheure Zeiträume hindurch in Gesellschafts- und Geschlechtsverbänden gezüchtet worden (vorher wohl in Affen-Herden): so sind sie als soziale Triebe und Leidenschaften stärker als als individuelle, auch jetzt noch. Man haßt mehr, plötzlicher, unschuldiger (Unschuld ist den ältest vererbten Gefühlen zu eigen) als Patriot als als Individuum; man opfert schneller sich für die Familie als für sich: oder für eine Kirche, Partei. Ehre ist das stärkste Gefühl für Viele d.h. ihre Schätzung ihrer selber ordnet sich der Schätzung Anderer unter und begehrt von dort seine Sanktion. - Dieser nicht individuelle Egoismus ist das Ältere, Ursprünglichere; daher so viel Unterordnung, Pietät (wie bei den Chinesen) Gedankenlosigkeit über das eigene Wesen und Wohl, es liegt das Wohl der Gruppe uns mehr am Herzen... Die Verwandlung des Menschen braucht erst Jahrtausende für die Bildung des Typus, dann Generationen: endlich läuft ein Mensch während seines Lebens durch mehrere Individuen. Warum sollen wir nicht am Menschen zu Stande bringen, was die Chinesen am Baume zu machen verstehen - daß er auf der einen Seite Rosen, auf der anderen Birnen trägt?... Das Erscheinen der Individuen ist das Anzeichen der erlangten Fortpflanzungsfähigkeit der Gesellschaft: sobald es sich zeigt, stirbt die alte Gesellschaft ab. Das ist kein Gleichnis. - Unsere ewigen "Staaten" sind etwas Unnatürliches. - Möglichst viel Neubildungen! - Oder umgekehrt: zeigt sich die Tendenz zur Verewigung des Staates, so auch Abnahme der Individuen und Unfruchtbarkeit des Ganzen: deshalb halten die Chinesen große Männer für ein nationales Unglück; sie haben die ewige Dauer im Auge. Individuen sind Zeichen des Verfalls... Der Wohlstand, die Behaglichkeit, die den Sinnen Befriedigung schafft, wird jetzt begehrt, alle Welt will vor allem das. Folglich wird sie einer geistigen Sklaverei entgegengehen, die nie noch da war. Denn dies Ziel ist zu erreichen, die größten Beunruhigungen jetzt dürfen nicht täuschen. Die Chinesen sind der Beweis, daß auch Dauer dabei sein kann. Der geistige Cäsarismus schwebt über allem Bestreben der Kaufleute und Philosophen... Im Grunde haben alle Zivilisationen jene tiefe Angst vor dem "großen Menschen", welche allein die Chinesen sich eingestanden haben, mit dem Sprichwort "der große Mensch ist ein öffentliches Unglück". Im Grunde sind alle Institutionen darauf hin eingerichtet, daß er so selten als möglich entsteht und unter so ungünstigen Bedingungen als nur möglich ist heranwächst: was Wunder! Die Kleinen haben für sich, für die Kleinen gesorgt!... Die Vorwegnehmenden. - Ich zweifle, ob jener Dauermensch, welchen die Zweckmäßigkeit der Gattungs-Auswahl endlich produziert, viel höher als der Chinese stehen wird. Unter den Würfen sind viele unnütze und in Hinsicht auf jenes Gattungsziel vergängliche und wirkungslose - aber höhere: darauf laßt uns achten! Emanzipieren wir uns von der Moral der Gattungs-Zweckmäßigkeit! - Offenbar ist das Ziel, den Menschen ebenso gleichmäßig und fest zu machen, wie es schon in Betreff der meisten Thiergattungen geschehen ist: sie sind den Verhältnissen der Erde usw. angepaßt und verändern sich nicht wesentlich. Der Mensch verändert sich noch - ist im Werden. Die fröhliche Wissenschaft (1882) 1. Buch China ist das Beispiel eines Landes, wo die Unzufriedenheit im Großen und die Fähigkeit der Verwandelung seit vielen Jahrhunderten ausgestorben ist; und die Sozialisten und Staats-Götzendiener Europa's könnten es mit ihren Maaßregeln zur Verbesserung und Sicherung des Lebens auch in Europa leicht zu chinesischen Zuständen und einem chinesischen "Glücke" bringen, vorausgesetzt, daß sie hier zuerst jene kränklichere, zartere, weiblichere, einstweilen noch überreichlich vorhandene Unzufriedenheit und Romantik ausrotten könnten. 3. Buch Vergessen wir doch nicht, daß die Völkernamen gewöhnlich Schimpfnamen sind. Die Tartaren sind zum Beispiel ihrem Namen nach "die Hunde": so wurden sie von den Chinesen getauft. Die "Deutschen": das bedeutet ursprünglich "die Heiden": so nannten die Gothen nach ihrer Bekehrung die große Masse ihrer ungetauften Stammverwandten, nach Anleitung ihrer Übersetzung der Septuaginta, in der die Heiden mit dem Worte bezeichnet werden, welches im Griechischen "die Völker" bedeutet: man sehe Ulfilas. Fragmente VII (1883) Mappe mit losen Blättern Die Scham verbietet in China der Frau den Fuß zu zeigen, unter den Hottentotten muß sie nur den Nacken verhüllen. Weiß ist in China Trauerfarbe. Der Chinese ißt sehr viel Gerichte in sehr kleinen Portionen. Friedloslegung: ein Genosse wird aus der Friedensgenossenschaft ausgestoßen; er ist jetzt vollkommen rechtlos. Leben und Gut können von Jedermann genommen werden. Der Übelthäter kann bußlos von Jedermann erschlagen werden. Grundgefühl: tiefste Verachtung, Unwürdigkeit z.B. noch im moslemischen Recht bei Ketzerei oder Schmähung des Propheten: während es bei Mord und Körperverletzung lediglich Blutrache und friedensgenossenschaftliche Bußen kennt. Es ist Ächtung: Haus und Hof wird zerstört, Weiber und Kinder und wer im Hause wohnt, wird vernichtet, z. B. Im peruanischen Inkareiche, wenn eine Sonnen-Jungfrau sich mit einem Manne verging, mußte ihre ganze Verwandtschaft es mit dem Leben büßen, das Haus ihrer Eltern wurde dem Erdboden gleichgemacht usw. Ebenso in China, wenn ein Sohn den Vater tödtet. Man will sich nicht die Fehler eines Thiers aneignen z. B. die Feigheit des Hirsches (auf Borneo) - Weiber und Kinder dürfen davon essen. Auch Fledermäuse Kröten Würmer Larven Raupen werden gegessen. Gemästete Ratten Leckerbissen der Chinesen. "Das Tigerherz zu essen macht trutzig" (Java) Hundeleber macht klug... Ein alter Chinese [Laozi] sagte, er habe gehört, wenn Reiche zu Grunde gehen sollen, so hätten sie viele Gesetze. Umwertungsheft (1884) Erste Frage: die Herrschaft der Erde — angelsächsisch. Das deutsche Element ein gutes Ferment, es versteht nicht zu herrschen. Die Herrschaft in Europa ist nur deshalb deutsch, weil es mit ermüdeten greisen Völkern zu thun hat, es ist seine Barbarei, seine verzögerte Cultur, die die Macht giebt. Frankreich voran in der Cultur, Zeichen des Verfalls Europa's. Rußland muß Herr Europas und Asiens werden — es muß colonisiren und China und Indien gewinnen. Europa als das Griechenland unter der Herrschaft Roms... Die thatsächliche Barbarei Europa's — und zunehmend: die Verdummung ("der Engländer" als Normal-Mensch sich anlegend) die Verhäßlichung ("Japanisme") (der revoltirende Plebejer) die Zunahme der sklavischen Tugenden und ihrer Werthe ("der Chinese") die Kunst als neurotischer Zustand bei den Künstlern, Mittel des Wahnsinns: die Lust an dem Thatsächlichen (Verlust des Ideals). Fragment VIII (1884) Umwertungsheft Die Consequenzen absterbender Rassen verschieden z.B. pessimistische Philosophie, Willens-Schwäche wollüstige Ausbeutung des Augenblicks, mit hysterischen Krämpfen und Neigung zum Furchtbaren Zeichen des Alters kann auch Klugheit und Geiz sein (China), Kälte. Europa unter dem Eindrucke einer sklavenhaft gewöhnten furchtsamen Denkweise: eine niedrigere Art wird siegreich — seltsames Widerstreiten zweier Principien der Moral... Das 20te Jahrhundert hat zwei Gesichter: eines des Verfalls. Alle die Gründe, wodurch von nun an mächtigere und umfänglichere Seelen als es je gegeben hat (vorurtheilslosere, unmoralischere) entstehen könnten, wirken bei den schwächeren Naturen auf den Verfall hin. Es entsteht vielleicht eine Art von europäischem Chinesenthum, mit einem sanften buddhistisch-christlichen Glauben, und in der Praxis klug-epikureisch, wie es der Chinese ist — reduzirte Menschen... Grundsatz. Wenn es sich um bien public handelte, so wäre der Jesuitism im Recht, ebenso das Assassinenthum; ebenso das Chinesenthum... Bei altgewordenen Völkern große Sinnlichkeit, z.B. Ungarn, Chinesen, Juden, Franzosen (denn die Kelten waren schon ein Culturvolk!). Der Wille zur Macht (1884-1888) [ID D11905] Luo Wei : Nietzsche hofft in der sanftmütigen Denk- und Lebensweise der Chinesen, die eine innige Verbundenheit mit der Natur pflegt, ein Mittel zu finden, das dem kulturellen Verfall Europas entgegenwirken könnte. Was Nietzsche an China bewundert, ist eine Naturverbundenheit, ein Einklang mit der Natur, worin der Konfuzianismus und Taoismus sich einig sind, obwohl seine Metapher der „arbeitsamen Ameisen“alles andere als romantisch idyllisch gemeint war. Fragmente IX (1885) Umwertungsheft Feindschaft gegen alles Litteratenhafte und Volks-Aufklärerische, insonderheit gegen alles Weibs-Verderberische, Weibs-Verbildnerische — denn die geistige Aufklärung ist ein unfehlbares Mittel, um die Menschen unsicher, willensschwächer, anschluß- und stütze-bedürftiger zu machen, kurz das Heerdenthier im Menschen zu entwickeln: weshalb bisher alle großen Regierungs-Künstler (Confucius in China, das imperium romanum, Napoleon, das Papstthum, zur Zeit, wo es die Macht und nicht nur den Pöbel zum Besten hielt) wo die herrschenden Instinkte bisher kulminirten, auch sich der geistigen Aufklärung bedienten; mindestens sie walten ließen (wie die Päpste der Renaissance). Die Selbsttäuschung der Menge über diesen Punkt z.B. in aller Demokratie, ist äußerst werthvoll: die Verkleinerung und Regierbarkeit des Menschen wird als "Fortschritt" erstrebt!... Jenseits von Gut und Böse (1886) 2. Hauptstück : Der freie Geist Die längste Zeit der menschlichen Geschichte hindurch - man nennt sie die prähistorische Zeit - wurde der Werth oder der Unwerth einer Handlung aus ihren Folgen abgeleitet: die Handlung an sich kam dabei ebensowenig als ihre Herkunft in Betracht, sondern ungefähr so, wie heute noch in China eine Auszeichnung oder Schande vom Kinde auf die Eltern zurückgreift, so war es die rückwirkende Kraft des Erfolgs oder Mißerfolgs, welche den Menschen anleitete, gut oder schlecht von einer Handlung zu denken. 9. Hauptstück – Was ist vornehm ? Es giebt ein Sprichwort bei den Chinesen, das die Mütter schon ihre Kinder lehren: siao-sin "mache dein Herz klein!" Dies ist der eigentliche Grundhang in späten Civilisationen: ich zweifle nicht, daß ein antiker Grieche auch an uns Europäern von Heute zuerst die Selbstverkleinerung herauserkennen würde, - damit allein schon giengen wir ihm "wider den Geschmack". Zur Genealogie der Moral (1887) 1. Abh. Gut und böse, gut und schlecht Die Römer waren ja die Starken und Vornehmen, wie sie stärker und vornehmer bisher auf Erden nie dagewesen, selbst niemals geträumt worden sind; jeder Überrest von ihnen, jede Inschrift entzückt, gesetzt daß man errät, was da schreibt. Die Juden umgekehrt waren jenes priesterliche Volk des Ressentiment par excellence, dem eine volkstümlich-moralische Genialität sondergleichen innewohnte: man vergleiche nur die verwandt-begabten Völker, etwa die Chinesen oder die Deutschen, mit den Juden, um nachzufühlen, was ersten und was fünften Ranges ist. Fragmente XI (1887) Umwertungsheft Die Unterwerfung der Herren-Rassen unter das Christenthum ist wesentlich die Folge der Einsicht, daß das Christenthum eine Heerdenreligion ist, daß es Gehorsam lehrt: kurz daß man Christen leichter beherrscht als Nichtchristen. Mit diesem Wink empfiehlt noch heute der Papst dem Kaiser von China die christliche Propaganda Umwertungsheft (1887-1888) ein Christ in Indien hätte sich der Formeln der Sankhya-Philosophie bedient, in China der des Laotse — darauf kommt gar nichts an — Christus als "freier Geist": er macht sich aus allem Festen nichts (Wort, Formel, Kirche, Gesetz, Dogmen) "alles, was fest ist, tödtet..." er glaubt nur ans Leben und Lebendige — und das "ist" nicht, das wird... Umwertungsheft (1988) Das Weib reagirt langsamer als der Mann, der Chinese langsamer als der Europäer... Der Mensch ist kein Fortschritt gegen das Thier: der Cultur-Zärtling ist eine Mißgeburt im Vergleich zum Araber und Corsen; der Chinese ist ein wohlgerathener Typus, nämlich dauerfähiger als der Europäer... Bescheiden, fleißig, wohlwollend, mäßig, voller Friede und Freundlichkeit: so wollt ihr den Menschen? so denkt ihr euch den guten Menschen? Aber was ihr damit erreicht, ist nur der Chinese der Zukunft, das "Schaf Christi", der vollkommene Socialist... Götzen-Dämmerung (1889) Die Verbesserer der Menschheit Die Moral der Züchtung und die Moral der Zähmung sind in den Mitteln, sich durchzusetzen, vollkommen einander würdig: wir dürfen als obersten Satz hinstellen, daß, um Moral zu machen, man den unbedingten Willen zum Gegentheil haben muß. Dies ist das große, das unheimliche Problem, dem ich am längsten nachgegangen bin: die Psychologie der "Verbesserer" der Menschheit. Eine kleine und im Grunde bescheidne Thatsache, die der sogenannten pia fraus, gab mir den ersten Zugang zu diesem Problem: die pia fraus, das Erbgut aller Philosophen und Priester, die die Menschheit "verbesserten". Weder Manu, noch Plato, noch Confucius, noch die jüdischen und christlichen Lehrer haben je an ihrem Recht zur Lüge gezweifelt. Sie haben an ganz andren Rechten nicht gezweifelt ... In Formel ausgedrückt dürfte man sagen: alle Mittel, wodurch bisher die Menschheit moralisch gemacht werden sollte, waren von Grund aus unmoralisch... Die Arbeiter-Frage. - Die Dummheit, im Grunde die Instinkt-Entartung, welche heute die Ursache aller Dummheiten ist, liegt darin, daß es eine Arbeiter-Frage giebt. Über gewisse Dinge fragt man nicht: erster Imperativ des Instinktes. - Ich sehe durchaus nicht ab, was man mit dem europäischen Arbeiter machen will, nachdem man erst eine Frage aus ihm gemacht hat. Er befindet sich viel zu gut, um nicht Schritt für Schritt mehr zu fragen, unbescheidner zu fragen. Er hat zuletzt die große Zahl für sich. Die Hoffnung ist vollkommen vorüber, daß hier sich eine bescheidene und selbstgenügsame Art Mensch, ein Typus Chinese zum Stande herausbilde: und dies hätte Vernunft gehabt, dies wäre geradezu eine Nothwendigkeit gewesen. Fragmente XI (1889) Umwertungsheft 1887-1888 ein Christ in Indien hätte sich der Formeln der Sankhya-Philosophie bedient, in China der des Laotse — darauf kommt gar nichts an — Christus als "freier Geist". Der Antichrist (1895) ..das erste Christenthum handhabt nur jüdischsemitische Begriffe (- das Essen und Trinken beim Abendmahl gehört dahin, jener von der Kirche, wie alles jüdische, so schlimm mißbrauchte Begriff). Aber man hüte sich darin mehr als eine Zeichenrede, eine Semiotik, eine Gelegenheit zu Gleichnissen zu sehn. Gerade, daß kein Wort wörtlich genommen wird, ist diesem Anti-Realisten die Vorbedingung, um überhaupt reden zu können. Unter Indern würde er sich der Sankhyam-Begriffe, unter Chinesen der des Laotse bedient haben - und keinen Unterschied dabei fühlen... Das "Gesetz", der "Wille Gottes", das "heilige Buch", die "Inspiration" - Alles nur Worte für die Bedingungen, unter denen der Priester zur Macht kommt, mit denen er seine Macht aufrecht erhält, - diese Begriffe finden sich auf dem Grunde aller Priester-Organisationen, aller priesterlichen oder philosophisch-priesterlichen Herrschafts-Gebilde. Die "heilige Lüge" - dem Confucius, dem Gesetzbuch des Manu, dem Muhamed, der christlichen Kirche gemeinsam: sie fehlt nicht bei Plato. "Die Wahrheit ist da": dies bedeutet, wo nur es laut wird, der Priester lügt ... …das erste Christenthum handhabt nur jüdischsemitische Begriffe (- das Essen und Trinken beim Abendmahl gehört dahin, jener von der Kirche, wie alles jüdische, so schlimm mißbrauchte Begriff) Aber man hüte sich darin mehr als eine Zeichenrede, eine Semiotik, eine Gelegenheit zu Gleichnissen zu sehn. Gerade, daß kein Wort wörtlich genommen wird, ist diesem Anti-Realisten die Vorbedingung, um überhaupt reden zu können. Unter Indern würde er sich der Sankhyam-Begriffe, unter Chinesen der des Laotse bedient haben - und keinen Unterschied dabei fühlen. Adrian Hsia [zu Zitaten aus dem Nachlass] : In describing the Chinese customs, Nietzsche characterized the Chinese as an old race which is clever, miserly, and cold. The Chinese were for him not only senile, but also cowardly, but then so were the Germans of the Reformation era. They were just the opposite of ‘Übermensch¨and could be considered 'reduced' or 'coastrated' human beings. In many ways, China served as the worst example of what Europa could become in the future. It was painted as a country where the capability to develop, and reason had been lost. Nietzsche emphasized that China was a country which had hardly changed in the last few thousand years. It was the home of mediocrity (Vermittelmässigung), chinesery (Chineserei), and slave mentality (sklavische Tugenden) where absolute submission and service were the highest virtues (Unterordnung, Pietät), Bedientenseele. Thus calling somebody a Chinese is meant to be an insult. Alternately, the Chinese were mere 'mechanical yea-sayers' and 'marionettes' who said and did whatever the master wanted. They were really hardworking ants instead of individuals. |
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5 | 1884-1888 |
Nietzsche, Friedrich. Der Wille zur Macht [ID D11905]. Luo Wei : Nietzsche hofft in der sanftmütigen Denk- und Lebensweise der Chinesen, die eine innige Verbundenheit mit der Natur pflegt, ein Mittel zu finden, das dem kulturellen Verfall Europas entgegenwirken könnte. Was Nietzsche an China bewundert, ist eine Naturverbundenheit, ein Einklang mit der Natur, worin der Konfuzianismus und Taoismus sich einig sind, obwohl seine Metapher der 'arbeitsamen Ameisen' alles andere als romantisch idyllisch gemeint war. |
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6 | 1893 | Richard Dehmel ist der erste deutsche Schriftsteller, der mit seinem Chinesisches Trinklied von Li Bo [ID D12460], chinesische Lyrik nachdichtet. |
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7 | 1893 | James Legge ändert sein Urteil über Konfuzius und schreibt : Je mehr ich den Charakter und die Anschauungen des Konfuzius studiert habe, um so höher ist meine Achtung von ihm gestiegen. Er war ein grosser Mann, und sein Einfluss ist im Ganzen ein grosser Segen für die Chinesen gewesen, während seine Lehren wichtige Fingerzeige für uns selbst geben, die wir zur Schule Christi bekennen. |
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8 | 1907 |
Hofmannsthal, Hugo von. Der weisse Fächer : ein Zwischenspiel [ID D12664]. Nachdichtung von France, Anatole. Histoire de la dame à l'éventail blanc [ID D12663]. Ellen Ritter : Der weisse Fächer handelt von der Problematik einer missverstandenen Treue der Ehegatten über den Tod hinaus. Die treulose Witwe von Eduard Grisebach [ID D4688]. Darin enthalten ist eine chinesische Novelle aus Jin gu qi guan. In einer Neubarbeitung erscheint die Novelle in seinem Chinesisches Novellenbuch [ID D5491]. Es ist anzunehmen, dass Hofmannsthal diese Novelle gekannt hat, obwohl bisher keine Belege dafür vorliegen. Die Handlungen weisen unverkennbare Parallelen auf. Die Analogien betreffen in erster Linie das äussere Geschehen, die Ereignisse um die Dame mit dem Fächer… Hofmannsthal macht sich die Position des chinesischen Weisen zu eigen, der die bittere Wahrheit des Lebens kennt und darüber zu lachen vermag. Das ironisch behandelte Motiv der Treue, der Gegensatz zwischen einer idealen Wunschwelt und der realen Wirklichkeit wie auch die äusseren Motive sind in der Novelle aus dem Jin gu qi guan vorgegeben. In der Intention aber unterscheidet sich Hofmannsthals Stück fundamental… Hofmannsthal übernimmt Fremdes, um es zu Eigenem zu machen, indem er seine eigene Problematik in den fremden Stoff hineinträgt und mit übernommenen Mitteln dem eigenen Thema adäquaten Ausdruck zu verleihen sucht. Im Weissen Fächer sind es die äusseren Handlungsmotive und die ironisch distanzierte Haltung, mit deren Hilfe er das Problem der Treue darstellt. Ingrid Schuster : Hofmannsthal hat im Weissen Fächer ein chinesisches Motiv verwendet, auf das Ellen Ritter erstmals hingewiesen hat. Ritter hielt es für wahrscheinlich, dass es sich bei der Quelle um Eduard Grisebachs Studie Die treulose Witwe [ID D4688] oder um sein Chinesisches Novellenbuch [ID D4591] handelt, obwohl bisher keine direkten Belege dafür vorliegen. Gegen diese Annahme spricht aber nicht nur der fehlende biographische Bezug, sondern auch der Inhalt des Weissen Fächers selbst. Seine Quelle war Anatole France. France behandelt in seinem Essay die Contes chinois [ID D15182] des Generals Tscheng Ki-tong [Chen Jitong] und die chinesische Literatur im allgemeinen. Er kommt auch auf die Contes chinois von Abel Rémusat zu sprechen, wobei er besonders La Dame du pays de Soung hervorhebt. Die Unterschiede zwischen dem chinesischen Original und Histoire de la dame à l’éventail blanc von Anatole France [ID D12663] sind erheblich. Hofmannsthal hielt sich an die französiche Vorlage, viele Details, nicht nur der Titel, weisen Übereinstimmungen auf. Vor allem entspricht die Lösung des Problems im Weissen Fächer ganz dem Geist von France. Hofmannsthal machte sich nicht „die Position des chinesischen Weisen zu eigen“, wie sie im Original geschildert wird, denn dieser wendet sich ja am Ende höhnisch von der Welt ab, sondern er akzeptierte – wie Zhuangzi in der Geschichte von France – die Wirklichkeit des Lebens mit einem toleranten Lächeln. Andererseits ironisierte er – ebenfalls wie France – den chinesischen Philosophen selbst, indem er dessen weltabgewandte Einstellung in Forunio als nicht zu realisierenden Wunschtraum entlarvt. France schreibt : La version chinoise, autant qu’il m’en souvient, est moins heureuse que la version rapportée dans le Satyricon. Elle est gâtée par des lourdeurs et des invraisemblances, poussée au tragique et défigurée par cet air grimaçant qui nous rend, en somme, toute la littérature chinoise à peu près insupportable. Mails il me reste un souvenir charmant d’un épisode qui y est intercalé, celui de l’éventail. Si madame Tian nous divertit médiocrement, la dame à l’éventail est tout à fait amusante... Je suis obligé de conter de mémoire... Ce ne sera peut-être pas tout à fait chinois... Tchouang-tsen [Zhuangzi], du pays de Soung, était un lettré qui poussait la sagesse jusqu’au détachement de toutes les choses éternelles, il en lui restait pour contenter son âme que la conscience d’échapper aux communes erreurs des hommes qui s’agitent pour acquérir d’inutiles richesses ou de vains honneurs. Mais il faut que cette satisfaction soit profonde, car il fu, après sa mort, proclamé heureux et digne d’envie. 1891 erscheinen die Contes chinois von General Tcheng Ki-tong in La vie littéraire, Bd. 3. Hofmannsthal schreibt 1891 in seinem Tagebuch über dieses Buch : Anatole France : Typische Dilettantenbildung mit der Unausgeglichenheit der herangezogenen Beispiele je nach zufälliger Vorliebe. Aus einem Brief von Hofmannsthal an Marie Herzfeld 1892 kann man entnehmen, dass er sich weiterhin mit France beschäftigt, den er 1900 persönlich aufsucht. Luo Wei : Er verwertet des taoistische Motiv des „Grab-Fächelns“ nach Zhuangzi als Probe der Liebestreue, ohne aber zu versäumen, im gleichen Jahr das Gedicht „Der Kaiser von China spricht“ im Sinne des konfuzianischen Idealismus zu gestalten. |
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9 | 1908 |
Ular, Alexander. Die gelbe Flut ID D12463]. Ular schreibt : "Die Chinesen mussten zivilisiert werden, um ihnen [den Mächten] gemeinsam dauernde friedliche Herrschaft über die gefährliche gelbe Rasse zu sichern ; dies war das einzige Mittel, die Völker Europas zur Wahrung ihrer Kultur gegen die gelbe Flut zu einigen ; [wir werden dann] die Bewunderung der weissen Welt und die ewige Dankbarkeit der Gelben [haben]." Luo Wei : Ular lässt in seinem Roman die konfuzianisch-vernünftige Sicht in seinem Roman weiterwirken. Durch die Schilderung von Entstehung, Wirken und Untergang eines deutsch-englisch-französischen Unternehmnes in China, wird einerseits bezweifelt und andererseits eine gegenseitige Ergänzung und Befruchtung der zwei Kulturen propagiert. Li Changke : Der Roman spielt im Yangzi-Tal nach der Jahrhundertwende. Ular macht sich Gedanken über die jahrtausende alte Kultur und das Überleben des Chinesentums in der bedrohlichen imperialistischen Welt. Zhang Zhenhuan : Der Roman beginnt mit der Schilderung der Flussregulierungsarbeit, um Chinas Flüsse mit europäischen Schiffen zu bedecken und so den Aussen- und Binnenhandel in die Hände der Weissen zu bringen… Im Rahmen der Darstellung der Konflikte zwischen China und dem Westen spielt das Problem der nationalen Identität eine zentrale Rolle… Aus verschiedenen Perspektiven wird der Gegensatz zwischen dem chinesischen Kollektivismus und dem westlichen Individualismus gezeichnet. Die Gegenüberstellung von China und Europa ist eine Grundstimmung der Zeit, Furcht vor China… Unterstrichen wird auch Bild des alten China mit seinen ewigen unerschütterlichen Traditionen, seinen ewigen Gesetzen, seiner Verwaltungsweisheit und den tausendjährigen Prinzipien… Dem durch den Individualismus zersplitterten Europa wird ein Spiegel vorgehalten, damit Europa aus seiner Selbstverherrlichung erwacht…. Der Konflikt zwischen dem Westen und China wird deutlich bei der Forderung nach dem sogenannten „Zivilisieren“ Chinas durch den Westen : Der hartnäckige Glaube an der Überlegenheit der eigenen Kultur auf beiden Seiten und der Macht- und Profitgier des Westens. Einerseits wird im Roman Furcht vor China verbreitet, andererseits aber eine Bewunderung für die alten chinesische Kultur gezeigt. Lucie Bernier : Ular ne contient, à l'exception des descriptions physiques des Chinois, aucune description géographique, culturelle ou religieuse. Après une lecture exhaustive, il est étonnant de constatet cette lacune puisque l'auteur exprime son admiration pour la culture chinoise et souhaite une communion des deux peuples. Heinz Gollwitzer : Ular lässt als Vielschreiber notwendigerweise an Qualität zu wünschen übrig und als Lohnschreiber (wenn auch ersten Ranges) die Frage nach der Ehrlichkeit seiner Publikationen offen lässt… Es unterliefen ihm nicht wenige Widersprüche. |
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10 | 1912 | Alfred Döblin schreibt an Martin Buber : Ich sitze an einem chinesischen Roman und sammle mir alles irgendwie Erreichbare (besonders Sektenwesen, Taoismus). Er bittet Buber, ihn über Bücher betreffend chinesischer Religion oder Philosophie und Verwandtes zu unterrichten. In einem späteren Brief bittet er um Aufklärung über die daoistische "Wuwei-Sekte". Döblin erhält von ihm viele Informationen über China. | |
11 | 1912 |
Paquet, Alfons. Li oder Im neuen Osten [ID D2946]. Paquet schreibt : Die wirtschaftliche Entdeckung Chinas, die sich in unserer Gegenwart vollzieht, ist wie die Entdeckung einer letzten neuen Welt. Ist sie vollendet, dann kommt das Wesentliche, dann muss, dann darf sich endlich unser Sinn mehr auf die geistigen Dinge richten. Dann wird auch das Li, die Ehrerbietung des Menschen vor dem Menschen, des Nächsten vor dem Fernsten, das Gefühl einer letzten Unantastbarkeit und des Masshaltens zwischen den Völkern, mehr in Ehren kommen...Es ist am Ende klar, dass nicht einzelne Nationen allein, sondern, wie es teilweise ja auch heute schon stillschweigend geschieht, die europäischen Nationen nur zusammen ihre Aufgaben in Asien, insbesondere in China lösen können und einander stützen müssen… Für uns Deutsche ist es zunächst wichtig, die Sonderinteressen recht klar zu erkennen… Luo Wei : Paquet hebt sich gegen den Materialismus, die Übersättigung, die Entfremdung in den zwischenmenschlichen Beziehungen richtend, das konfuzianische Gedankengut mit Nachdruck hervor. Li Changke : Paquet ist von einer Aufgeschlossenheit, Ideologiefreiheit der Betrachtung und mit voraussetzungsloser Anerkennung des Fremden. Während seiner Reisen in China notiert Paquet was normal, bemerkenswert, ungewöhnlich oder kritisch schien. Der chinesischen Revolution steht er skeptisch gegenüber. Er schreibt : Es gilt die Voraussetzungen eines tieferen Respektes und Verständnisses wieder lebendig zu machen, die eine Zeitlang zwischen China und dem Westen nicht mehr vorhanden schienen. Liu Weijian : Während Schriftsteller wie Karl May, Alfred Döblin und Bertolt Brecht ihr fiktives Qingdao gestalten, gelingt es Alfons Paquet als Reiseschriftsteller, seine Kenntnisse vor Ort zu sammeln. Nach seinen zwei China-Reisen schrieb er 1911 die Reiseerzählung Li oder Im neuen Osten und problematisierte die Berechtigung der Beibehaltung Qingdaos als Kolonie : Über das wiederholte Argument Flottenstützpunkt als Leiter nach dem Fernen Osten sei schon jede Erörterung müßig ; auch die Ausfuhr chinesischer Erzeugnisse über Qingdao werde sich, verglichen mit anderen Häfen, nicht ins Unbegrenzte steigern lassen. Ferner bringe die koloniale Machtdemonstration einen immer stärkeren chinesischen Nationalismus hervor, der die Fremdlinge vertreibt und die materiellen Kräfte eines Volkes steigert, zuweilen auf Kosten der geistigen. Um so mehr machte Alfons Paquet auf Qingdao als Kulturträger aufmerksam und wies dabei nicht nur auf Laozis Wuwei hin, die goldene Praxis, die Dinge sich selber zu überlassen, die sich heutzutage für ganz China in einer vom raschen Schritt der westlichen Gewalten aufgezwungenen und in Zukunft vielleicht noch für Millionen Menschenleben verhängnisvollen Krise befindet. Vielmehr hob er Konfuzius' Begriff Li als Ehrerbietung des Menschen vor dem Menschen, des Nächsten vor dem Fernsten, das Gefühl einer letzten Unantastbarkeit und des Masshaltens zwischen den Völkern hervor. Von vielen gebildeten chinesischen „Alten von Tsingtau“, die während der Xinhai-Revolution 1911 wegen ihrer Verbindung zur kaiserlichen Monarchie in das deutsche Schutzgebiet geflüchtet waren und vom dort lebenden China-Kenner Richard Wilhelm aufgenommen wurden, hoffte Alfons Paquet mehr Kenntnisse über das konfuzianistisch geprägte Land zu gewinnen. Andererseits sah er in Europäern wie Richard Wilhelm und E. J. Voskamp die vorbildlichen Mittler jener tiefen Gedanken und Stimmungen Chinas. Im Sinne von Li, der zwischenmenschlichen Zuwendung, Verständigung und Liebe, soll Qingdao eines Tages ein gemeinsames Stück deutscher und chinesischer Erde, ein heiliger Boden des Verständnisses werden. Fang Weigui : Li oder im neuen Osten ist eine Frucht seiner drei Reisen nach China, die zwischen seinen Reiseeindrücken viele Reflexionen und Kommentare darbietet. Auch wenn seine Reisebücher und Reportagen Darstellungen aus der Geographie, Geschichte, Kultur und Politik enthalten, ist Li sehr auf die Wirtschaft bezogen. In privaten vertraulichen Briefen aus seiner dritten Reise informiert Paquet Wilhelm Merton, Gründer der Metallgesellschaft AG in Frankfurt, über die wirtschaftliche und politische Lage Chinas, über die Aktivitäten der Banken, der ausländischen Handelsgesellschaften und der Absichten und Beschlüsse der Regierungen. Er interessiert sich für Werften, Bergbau, Eisenbahn, Banken, Handel und Wirtschaftspolitik. Die Abschaffung des alten Systems und die Öffnung zur westlichen Welt war für ihn eine gute Sache ; aber er, dem die Neuerungen Jung-Chinas chaotisch und wenig durchdacht erschienen, sah in der Umwälzung auch eine latente Gefahr für westliche Interessen in China. Der Wechsel war für ihn auch deswegen unangenehm, weil er bei seiner dritten Chinareise stark die Verfluchung der ganzen weissen Rasse spürte und feststellen musste. Paquets Reisen führen durch viele chinesische Städte, in denen es ausländische Niederlassungen gab. Er beschreibt die Differenz zwischen Reichtum und Armut, Zivilisation und Primitiviät, Eigendünkel und Unterlegenheit. Seine Shanghai-Bilder stellen eine direkte Konfrontation zweier Welten dar. Er schreibt : Aus dem ewigen Schwären dieser Chinesenstadt erheben sich die Seuchen, die Laster, die Aufstände und die Feuersbrünste, gegen die sich das europäische Schanghai mit steter Wachsamkeit zu wehren hat. Armut, Dreck und Geheimnisse, Ironie und Verachtung, vor allem geprägt von Slogans der „Gelben Gefahr“. Über das Wort Li schreibt er : Es wird das erste bedeutende Fremdwort sein, das die europäischen Sprachen von China annehmen. Es ist vieldeutig und eindeutig zugleich, also unübersetzbar ; und es ist eigentlich nichts anderes als der wohlklingende Ausdruck für Anstand, Schönheit, Mass, innere Höflichkeit und Zeremonie ; der Schlüssel eines ganzen Volkes, das in seinen Handlungen wohl oft verbrecherisch, hassend und kindisch, in seinen Schicksalen unglücklich, aber in seinen Gebräuchen unendlich verfeinert, in seinen Riten geisterhaft und daher im Besitz einer bemerkenswerten Seelenruhe ist. |
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12 | 1914 |
Döblin, Alfred. Reims. In : Neue Rundschau (Dez. 1914). Erste offizielle Publikation von Döblin, in der das Thema China auftaucht. Er schreibt über den Verlust von Qingdao : Übrigbleiben wird die Erinnerung an eine Insel, eine ferne, traumschöne Insel im Osten, die unser war, die von nichts als verbrecherischer viehischer Gemeinheit zerstampft, zertrampelt, durchwühlt und besudelt wurde. |
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13 | 1915 |
Döblin, Alfred. Die drei Sprünge des Wang-lun [ID D12338]. Die Quellen, denen Döblin seine Kenntnisse über die historische Person des Wang-lun und die von diesem geführte Rebellion entnimmt sind folgende Werke : Sectarianism and religious persecution in China von J.J.M. de Groot [ID D789]. The religious system of China von J.J.M. de Groot [ID D787]. Die Bewohner der Mandschurey von Johann Heinrich Plath [ID D40989]. Die Geschichte des chinesischen Reiches… von Karl Gützlaff [ID D832]. Religion und Kultus der Chinesen von Wilhelm Grube [ID D799]. Zur Pekinger Volkskunde von Wilhelm Grube [ID D797]. Geschichte der chinesischen Literatur von Wilhelm Grube [ID D798]. Laotse. Tao te king übersetzt von Richard Wilhelm [ID D4445]. Dschuang Dsi. Das wahre Buch vom südlichen Blütenland übersetzt von Richard Wilhelm [ID D4447]. Liä Dsi. Das Wahre Buch vom quellenden Urgund übersetzt von Richard Wilhelm [ID D4446]. Samuel Turner’s Gesandtschaftsreise an den Hof des Teshoo Lama… [ID D1898]. P’u T’o shan von Ernst Boerschmann [ÍD D444]. Aus China von Leopold Katscher [ID D12204]. Die Religion des Buddha von Karl Friedrich Koeppen [ID D12205]. Die Welt als Wille und Vorstellung von Arthur Schopenhauer [ID D11901]. Alfred Döblin hat Die Welt als Wille und Vorstellung sehr gut gekannt und daraus auch Hinweise auf seine Lektüre der Bücher über China für Wang-lun bekommen. Ma Jia : Döblin ist der erste, der den Stoff des in der chinesischen Geschichte im Jahre 1744 unter Wang Lun stattgefundenen Aufstandes gegen Kaiser Qianlong als literarisches Werk bearbeitet. Der Roman handelt von der religiösen Sekte des Reinen Wassers (Jin shui jiao) in Shandong, die unter Wang Lun die taoistische Botschaft des Schwachseins und Nicht-Handelns zu ihrem Lebensprinzip erklärt. Voller Hochachtung widmet er dem chinesischen 'weisen alten Mann' Liä Dsi (Liezi) seinen chinesischen Roman, predigt in dessen Sinne Rückkehr zum natürlichen Leben und entwickelt die daoistische Botschaft des Nicht-Handelns zum Hauptmotiv seines Romans. In dieser Hinsicht ist Wang-lun Produkt einer Zeit der Desorientierung in der eigenen entfremdeten Kulturwelt, ein Bekenntnis Döblins zu einer Distanzierung von der eigenen Kultur und Suche nach einer neuen Identifikationsmöglichkeit in der chinesischen Kultur… China ist bei Döblin eine zwar nicht historisch getreue, aber in sich geschlossene sozialpolitische Realität. Nicht nur die Tatsache, dass die Haupthandlung auf eine geschichtlich nachweisbare Rebellion zurückgeht, verleiht ihm einen realen Zug. Die Lehre des Nicht-Handelns bettet er in die gesellschaftliche Situation Chinas ein, die ebenso konfliktreich ist wie seine eigene. Die daoistische Botschaft verliert im Wang-lun den allgemeinen Charakter, indem sie ausschliesslich zum Lebensprinzip der Ausgestossenen und Gestrandeten wird. In der Konfrontation mit der sozialen Wirklichkeit lässt Döblin die heilige Lehre, mit der die armen Menschen die schöne Hoffnung auf einen Lebensweg verbinden, an der Intoleranz der despotischen Herrschaft scheitern. Döblin zitiert im Roman wörtlich das Gleichnis von dem Mann, der seinen Schatten fürchtet und sich zu Tode rennt von Zhuangzi. Es ist der Hauptgedanke des Wang-lun. Das Werk gehört zu den wichtigsten Ergebnissen der Beschäftigung deutscher Autoren mit der chinesischen Kultur. Seine Einzigartigkeit besteht nicht nur darin, dass ihm, im Unterschied zu den in jener Zeit zahlreich erschienenen Übersetzungen von chinesischen Geschichten, Nachdichtungen von chinesischer Lyrik oder dramatischen Umgestaltungen von chinesischen Motiven, die das Prinzip der Imitation befolgen, ein mehr schöpferisches Prinzip zugrundeliegt. Es ist Döblin - der die chinesische Sprache nicht versteht und nicht einmal in China gewesen ist - gelungen, aus seinen Leseerfahrungen eine fremde Welt in breitem Umfang zu schaffen. Die so entstandene China-Welt basiert nicht auf einzelnen sinnlichen Eindrücken, wie sie die zu seiner Zeit nach China Reisenden bekommen haben, sondern auf einem von Deutschen und Europäern vielseitig wahrgenommenen und vermittelten Gesamtbild Chinas. Wang-lun ist keine Chinoiserie, ist auch keinem klassischen chinesischen Werk nachgedichtet. Döblin ist es gelungen, die chinesische Philosophie des Taoismus aus dem akademischen Elfenbeinburm zu befreien. Er hat als erster dem Taoismus eine gesellschaftliche Relevanz gegeben, hat die Philosophie des Nicht-Handelns mit politisch-sozialen Wirklichkeiten konfrontiert. Döblins Wendung nach China bildet eine der ersten Stationen eines langen ununterbrochenen geistigen Suchprozesses. Sie ist ein Versuch, in der Berufung auf die östliche Philosophie das ihn ständig bewegende Problem des Daseins zu lösen und die in der Industriegesellschaft verschärfte geistige Krise zu überwinden… Die Rätselhaftigkeit der Welt, die Unübersichtlichkeit des Wirklichkeitsbildes und der Verlust des Sicherheitgefühls des Menschen in der technischen Zivilisation führen ihn zu Laozi, Zhuangzi und Liezi. Seine Begegnung mit dem Taoismus ist vor allem den Übersetzungen von Richard Wilhelm zu verdanken. Wang-lun im Vergleich mit dem Shui hu zhuan siehe Döb1, S. 115-160. Luo Wei : Döblin leistet mit seiner Hinwendung zur chinesischer Philosophie, unter ausdrücklicher Ablehnung der gängigen China-Mode, mit seinem Einrücken der chinesischen Menschenmassen in den Rang von Romanfiguren einen Beitrag zur Herausbildung und Bereicherung eines neuen objektiven Chinabildes im 20. Jahrhundert, das sich sowohl von dem idealisierten der Aufklärer im 18. Jahrhundert als auch von dem negativen des 19. Jahrhunderts unterscheidet. Mit der Niederschrift findet Döblins erste umfassende Beschäftigung mit dem Konfuzianismus und Taoismus statt, die im Hinblick auf die Beschleunigung der Technisierung und Industrialisierung Deutschlands um die Jahrhundertwende mit all ihren Folgen ausserdem noch durch eine persönliche 'Verlorenheit' und eine verwirrende Atmosphäre der allgemeinen Kulturkrise genährt wurde. Seine literarische Kritik am Konfuzianismus im Wang-lun gilt nicht der Person Konfuzius und seiner Lehre, sondern an deren Missbrauch und Entstellung durch den feudalistischen Despotismus und der kaiserlichen Macht. Die Lehre von Laozi und dem Taoismus macht einen tiefen Eindruck auf Döblin, der aus Unbehagen an der eigenen Kultur und an den negativen Aspekten der Industrialisierung in der chinesischen geistigen Welt nach Alternativen sucht. Liu Weijian : Döblin schreibt : Ich habe niemals daran gedacht, mit mit China zu befassen, der Gedanke etwa, nach China zu fahren, ist mir nicht im Traum eingefallen : ich hatte ein seelisches Grunderlebnis oder eine Grundeinstellung, diese liess ich mit höchster Schonung gewähren und legte ihr vor, unterbreitete ihr, wessen sie zu ihrer Auswirkung bedurfte. Diese Grundeinstellung findet sich im Roman als tiefes Gefühl wieder und korrespondiert mit dem daoistischen Wuwei, das als grundlegendes Motiv den Roman durchzieht. Döblin schreibt : Die Welt erobern wollen durch Handeln, misslingt. Die Welt ist von geistiger Art, man soll nicht an ihr rühren. Wer handelt, verliert sie, wer festhält, verliert sie. So widmet Döblin die Zueignung dem taoistischen weisen alten Mann Liezi. Zugleich spricht er Laozi, dem Wuwei-Meister, seine besondere Anerkennung aus : Was ging mich, der nicht einmal Europa kennt, China an, von Laotse abgesehen. Als Kind einer kleinbürgerlichen jüdischen Familie ist Döblin entbehrungsreich aufgewachsen und fühlt sich den Unterdrückten und Ausgestossenen zugehörig. Er ist empört über die ungerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und empfindet den Staat als Handlanger der Mächtigen. Dieser Eindruck wird zur Zeit der Entstehung von Wang-lun noch durch die imperialistische Aussenpolitik und Aufrüstung für den Krieg Kaiser Wilhelms II. verstärkt. Dieser deutschen Machtpolitik stellt Döblin die daoistische Wuwei-Lehre gegenüber, die sich seiner Ansicht nach durch den Sieg des chinesischen Volkes über die zweitausendjährige Feudalherrschaft ausgezeichnet hatte und die ihm auf deutsche Verhältnisse übertragbar erscheint. In der Vorrede zu Wang-lun unterstreicht er den sozialen Aspekt der Wuwei-Lehre durch ein Zitat Liezis : Dass ich nicht vergesse – Im Leben dieser Erde sind zweitausend Jahre ein Jahr. Gewinnen, Erobern ; ein alter Mann sprach : Wir gehen und wissen nicht wohin. Wir bleiben und wissen nicht wo. Wir essen und wissen nicht warum. Das alles ist die starke Lebenskraft von Himmel und Erde. Wer kann da sprechen von Gewinnen, Besitzen. So sieht Döblin in der Wuwei-Lehre ein Perspektive für die Unterdrückten. Sie kommt seiner Vorstellung nach einer gesellschaftlichen Verbesserung entgegen und führt ihn dazu, sich der Niederschrift des Wang-lun zu widmen. Die Auseinandersetzung Döblins mit dem Buddhismus drückt sich in den Vorstudien zu Wang-lun, den zu Lebzeiten unveröffentlicheten Aufsätzen Der Wille zur Macht als Erkenntnis bei Friedrich Nietzsche (1902) und zu Niezsches Morallehren (1902-1903) aus. Ingrid Schuster : Döblin hat die Konzeption vom neuen Menschen mit der Lehre vom wu-wei verschmolzen und eine Sonderform des neuen Menschen geschaffen : den chinesischen neuen Menschen… Wang-lun ist religiöser Führer und politischer Revolutionär zugleich ; er versucht, Idee und Tat, religiöse Vision und politische Praxis, Erlösung und Existenz miteinander zu versöhnen. Wang-luns Ziel ist wu-wei, der Zustand der Übereinstimmung mit dem Weltgesetz, der Zustand der Ruhe ohne die Polarität von Freude und Schmerz, Gut und Böse, Glück und Unglück. Der Weg zum Ziel ist : Nicht handeln ; wie das weisse Wasser schwach und folgsam sein… Döblin schreibt in Wissen und Verändern : Wir haben als Ziel den auch im Natürlichen, im Ökonomischen, Politischen und Geistigen freien Menschen, dessen Verwirklichung wir nicht in die graue Zukunft schieben können. Die Verwirklichung dieses freien Menschen besteht für Döblin in dem Einswerden mit dem tao, das durch wu-wei erreicht wird. Tan Yuan : Der Zauber von Wang-lun zeigt die Andersartigkeit der chinesischen Welt und ein Bild der chinesischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts : Arme Dörfer, staubige Landstrassen, nordchinesisches Gebirge, brausende Flüsse, einsame Einsiedlerhütten, chaotische Provinzstädte, majestätische Hauptstadt, prächtige Paläste, buddhistische Klöster, düstere Gefängnisse. Es treten auf : Bauern, Handwerker, Kaufleute, Bettler, Diebe, Räuber, Dirnen, Zauberer, Soldaten, Beamte, Generäle, Kaiser, Lama, Mönche, Taoisten und Literaten. Die Chinoiserie ist berückend : Es gibt prunkvolle Darstellung des Kaiserhofes, detaillierte Schilderungen der exotischen Sitten, Bräuche, Rituale und Lebensgewohnheiten. Die Metaphorik ist faszinieren : Mit den ungewöhnlichen Assoziationen und Vergleichen verleiht Döblin der chinesischen Gefühlswelt einen sinnlich erfahrbaren Charakter und eröffnet den Lesern einen neuen Raum für ihre Phantasie. Döblin charakterisiert den Kaiser Khien-lung [Qianlong] als Staatsoberhaupt und Führer der Staatsreligion Konfuzianismus. Dass der Kaiser der 'Himmelssohn' ist, wird nur in Khien-lungs Selbstäusserung erwähnt : Ich bin als Sohn des Himmels geboren und werde auf dem Drachenthron sterben. Wang-lun kommt nach seiner Flucht in die Nan-ku-Berge erstmals mit der taoistischen Lehre in Berührung. Er hört zuerst von 'den niedrigen Leuten' die Sprüche aus dem Dao de jing : "In den niedrigen Leuten schwang der alte Geist des Volkes ; mehr als in den Literaten strömte in den Gestrandeten, viel Erfahrenen das tiefe Grundgefühl : Die Welt ist von geistiger Art, man soll nicht an ihr rühren. Wer handelt, verliert sie ; wer festhält, verliert sie". Wang-luns Bekehrung zum Wu-wei basiert auf seinem Nachdenken über den elenden Zustand der 'armen ausgestossenen Menschen'. Er sieht, dass jemand zuerst handeln muss, damit das Wu-wei verwirklicht werden kann. Als er sieht, dass die Bandenmitglieder der 'Gebrochenen Melone' bald den Regierungstruppen zum Opfer fallen werden, vergiftet er den Brunnen in der Stadt, so dass die Truppen nur noch die toten Mitglieder finden. Es ist für ihn die einzige Möglichkeit, den gewaltigen Kampf zu vermeiden und die Gewaltlosigkeit der 'wahrhaft Schwachen' durchzuhalten. Mit der Vergiftung macht er sich zum Mörder und handelt der Wu-wei-Lehre zuwider. Aber er verwirklicht den Spruch im Dao de jing, indem er allen 'Schmutz' auf sich nimmt und das Unglück trägt. Döblin weist darauf hin, dass jemand die Verantwortung übernehme und sich für das Nichthandeln der Brüder opfern muss. Im Roman zitiert Döblin zudem eine Fabel von Zhuangzi, um die Hektik des Menschen in Frage zu stellen : "Es war einmal ein Mann, der fürchtete sich vor seinem Schatten und hasste seine Fussspuren. Und um beiden zu entgehen, ergriff der die Flucht. Aber je öfter er den Fuss hob, umso häufiger liess er Spuren zurück. Und so schnell er auch lief, löste sich der Schatten nicht von seinem Körper. Da wähnte er, er säume noch zu sehr ; begann schneller zu laufen, ohne Rast, bis seine Kraft erschöpft war und er starb. Er hatte nicht gewusst, dass er nur an einem schattigen Ort zu weilen brauchte, um seinen Schatten los zu sein. Dass er sich nur ruhig zu verhalten brauchte, um keine Fussspuren zu hinterlassen". Gerwig Epkes : China ist für Döblin ein Weg zur Rechtfertigung seiner Schriftstellerei. Durch die Beschäftigung mit dem fremden Land vermeidet er unbewusst, sich mit seinen Eltern auseinanderzusetzten. Damit klammert er Schuld- und Angstgefühle aus, die sein strenges Über-Ich von ihm fordern würde. Er idealisiert China. Später wird ihm selbst bewusst, dass China ihm als 'Vehikel' zur Lösung persönlicher Probleme diente. Otto Jensen schreibt 1922 : Dies Buch ist nicht nur ein Roman. Wie jedes grosse Kunstwerk ist es ein Zeitbild. Es ist ein Beitrag zur Sozialgeschichte eines Volkses, das steigende Bedeutung in der Weltpolitik unserer Tage erlangt. Wir müssen die alte Kultur der Chinesen kennen, um die Wandlungen im Fernen Osten zu begreifen. Lion Feuchtwanger schreibt 1916 : Und während allerorten geschäftige Kärrner an der Arbeit sind, Grenzwälle aufzuwerfen zwischen Nation und Nation, legt hier ein Dichter eine Bresche in die chinesische Mauer, die das geistige Europa von der östlichen Welt schied... die tiefste Weisheit des Ostens, die uns bisher höchstens in sentimental-transzendentalen, akademisch theosophischen Abhandlungen europäisch frisiert, verwässert und verflüchtigt entgegendämmerte, ist in diesem Prosa-Epos rein, naiv, unsentimental, mit überzeugender Gegenständlichkeit gestaltet... Der Sinn des Buches ist die weiche, süsse Weisheit des Wu-Wei, des Nichtwiderstrebens. Das Epos sei ungefähr die Erfüllung dessen, was Goethe träumte, als er den Westöstlichen Diwan konzipierte : östliches Fühlen und Denken, in eine vollendete westliche Kunstform gezwungen. Nebel zerreissen, eine neue ungeahnte Welt ist da, Menschen und Dinge stehen da, ungeheuer fremd und seltsam, aber sie sind da, greifbar, wirklich, vom Ungläubigsten nicht wegzuleugnen. Sind da und überzeugen mit ihren abertausend neuen, unbekannten, ungeahnten Erscheinungen, Weisheiten, Lüsten, Schmerzen, Träumen, Erkenntnissen, Verzichten. |
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14 | 1917 |
Pannwitz, Rudolf. Die Krisis der europäischen Kultur. (Nürnberg : H. Carl, 1917). (Freiheit des Menschen ; Bd. 1. Werke ; Bd. 2). Ingrid Schuster : Es finden sich in diesem Buch vom Dao de jing abgeleitete Tiefsinnigkeiten : "die natur ist das unendliche der mensch das endliche der mensch als natur ist das unendliche der Übermensch das endliche der typus mensch ist der weg vom unendlichen ins endliche die kultur des menschen ist das mittel die natur des menschen zu überwinden die spannung des bogens bis der pfeil fliege. Pannwitz nennt Buddha und Konfuzius an erster Stelle, Laozi scheint ihm ebenfalls wichtig, aber im Wesentlichen beschränkt er sich auf unsachliche Kritik. Er schreibt : "wir brauchen dringend vollwertige übertragungen der klassischen werke des orients. Kungfutse ist uns überhaupt noch nicht zugänglich gemacht so wenig wie irgend etwas chinesisches, übertragungen wie die der gespräche des kungfutse oder des werks des laotse von dr. richard wilhelm spotten jedes begriffs und verdienen die härteste verdammung es ist unbeschreiblich mit welcher rohheit und frechheit die letzten zartesten bilder und sinne da in ein deutsches pastoren und assessoren tohuwabbohu zusammengerührt werden". Pannwitz, der keinerlei sinologische Qualifikation hatte, verliess sich ganz auf Gu Hongming. Er schreibt : "Der klassische chinese Kuhungming wie zu fürchten ist der einzige Mensch der heute noch lautere absichten mit der kultur hat - nicht der materialismus der idealismus im materialismus ist die verderbnis - hat die erstaunliche vergleichung der letzten vornehm geistigen bewegung in china mit der bis ins einzelne entsprechenden englischen oxfordbewegung die shelleyschen geist erweckt erschütternd durchgeführt und damit auf beide weltgeschichtes licht geworfen der chinesische demosthenes"... trotzdem sieht er das ganz entscheidende die krisis der europäischen kultur als tatsache und ihre letzten ursachen richtiger als die europäer heute und gibt weite strecken hin endgültige lösungen ob auch gerade die politische lösung aussichtslos optimistisch ist. damit dass wir keinen andern weg haben als die reine sittlichkeit - religion des kungfutse um aus unserer sogenannten sozialen frage herauszukommen wird er einfach recht haben - wenn wir jetzt nicht europäer werden so müssen wir schliesslich chinesen werden und grosze schichten europäer wollen und müssen chinesen werden auf alle fälle... Luo Wei : Über Buddha und Konfuzius schreibt Pannwitz : Dies sind die beiden gröszten Sittenlehrer des Ostens und eben die Elemente der Sittlichkeit fehlen dem Europäer… Wenn wir nicht Europäer werden so müssen wir schliesslich Chinesen werden und grosze Schichten Europäer wollen und müssen Chinesen werden auf alle Fälle. Trotz seines gleichzeitigen Interesses am Taoismus und Buddhismus, kommt für ihn an erster Stelle im Konfuzianismus das Vorbild und der Ausweg aus der Kulturkrise für den Westen… in der Verschmelzung der europäischen Halbkulturen mit den grossen orientalischen klassischen Kulturen. |
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15 | 1918 |
Klabund. Bracke [ID D12697]. Luo Wei : Trotz dem Enthusiasmus für den Taoismus versäumt Klabund nicht, sich auch vom Konfuzianismus inspirieren zu lassen. In seinem Roman Bracke vollzieht er eine literarische Darstellung der gedanklichen Anregungen, die er aus dem konfuzianischen Lun yu gewann. Hier mahnt er „Rechte Form“ (li) und Menschlichkeit (ren) an, die Kernbegriffe der konfuzianischen Lehre. Kuei-fen Pan-hsu : Klabund macht Bracke zur Symbolfigur des neuen Menschen und schliesst damit an den Grundgedanken des Expressionismus an… Klabund nähert sich der daoistischen Weltanschauung der Kreislauflehre, in der das Dao Allseiendes und Nichtseiendes umfasst. |
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16 | 1919 | Zippert, Henny. Kungfutse : Gespräche aus dem Chinesischen. [Rezension zur Übersetzung von Richard Wilhelm ID D1581]. In : Der Kritiker ; 1, Nr. 7 (1919). Sie betont die Bedeutung von Konfuzius' Lehre für die heutige Zeit. Seine Grösse bestehe in dem Streben nach einem harmonischen Zusammenleben der Menschen, dem Ehrfurcht und Liebe zugrunde lägen. | |
17 | 1919 |
Keyserling, Hermann. Das Reisetagebuch eines Philosophen [ID D3039]. Er schreibt : Demnach bedeutet das Chinesentum einerseits ein Überbleibsel aus vergangenen Entwicklungsstadien, andererseits eine Vorwegnahme des Zukunftsideals. Für mich besteht kein Zweifel darüber, dass der Höchstgebildete künftiger Zeiten dem traditionallen Konfuzianer näher stehen wird als dem modernen Menschen, dass die soziale Ordnung der Zukunft der chinesischen ähnlicher sehen wird als dem, was unsere Utopisten erhoffen. Li Changke : Keyserling richtet sich vornehmlich auf die gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Aspekte in China. Er schreibt : Das Land ist ein Land des ewigen Friedens und der Ordnung… Das Chinesentum bedeutet einerseits ein Überbleibsel aus vergangenen Entwicklungsstadien, andrerseits eine Vorwegnahme des Zukunftsideals. Für mich besteht kein Zweifel darüber, das der Höchstgebildete künftiger Zeiten dem traditionellen Konfuzianer näher stehen wird als dem modernen Menschen, dass die soziale Ordnung der Zukunft der chinesischer ähnlicher sehen wird als dem, was unsere Utopisten erhoffen. Liu Weijian : Als Gast von Richard Wilhelm lernte Keyserling persönlich die 'Alten von Tsingtau' [Qingdao] kennen und gewann einen Einblick in die höchsten Möglichkeiten chinesischen Menschentums. Ihre überindividuelle Gelassenheit gegenüber dem schweren Schicksal und ihre innere Freiheit sowie Vitalität übertrafen Hermann von Keyserlings Erwartung und brachten ihn zu der Erkenntnis, daß der Konfuzianismus keine bloße rationalistische Morallehre, sondern das abstrahierte Schema einer gelebten oder zu lebenden Wirklichkeit sei. Er war davon überzeugt, daß der Höchstgebildete künftiger Zeiten dem traditionellen Konfuzianer, der sich als Teil der ganzheitlichen Lebenswelt begreife, näher stehen werde als dem modernen westlichen Individualisten. Es war, so bemerkte Richard Wilhelm als Augenzeuge, Keyserlings aufrichtige Absicht einer gegenseitigen Verständigung, die das Mißtrauen der Chinesen zerstreute und ermöglichte, das Tiefere aus dem Sein und der Persönlichkeit zu entnehmen und sich in den tiefsten Prinzipien zu verstehen. Eben dadurch wird die Kolonie Qingdao in einen Ort zum lebendigen Kulturaustausch umfunktioniert. Die verschiedenen Verarbeitungen des Qingdao-Themas zeigen einen dynamischen Prozess, der durch die Zeitbedürfnisse bestimmt wird. So wird kurz nach der deutschen Besitzergreifung Qingdao als ein aus der regressiven Mandarinherrschaft befreites Land dargestellt. Fang, Weigui : Keyserling wünscht sich als 'Weiser', als ein die Welt Verstehender, ein Neuordner der Welt, anerkannt zu werden. Auf der einen Seite hatte er Bewunderer, auf der anderen Seite radikale Gegner. In der Vorrede zu seinem Reisetagebuch, das ihn weltberühmt macht, schreibt er : Vorliegendes Tagebuch bitte ich zu lesen wie einen Roman. Keyserling schreibt : China ist das einzige Reich, welches je für eine längere Periode die soziale Frage gelöst hätte, das einzige, in dem die Masse der Bewohner je glücklich war ; mithin das einzige, welches das absolute sozial-politische Ideal der Erscheinungswelt je eingebildet hätte… Und wenn man bedenkt, dass das grosse chinesische Reich schon Jahrtausende entlang kaum schlechter regiert worden ist als das moderne Europa, und dieses ohne die Vermittlung eines Mechanismus, der die Menschen automatisch in Ordnung hielte, einzig dank der moralischen Qualifiziertheit seiner Bürger, so muss man zugeben, dass das durchschnittliche Niveau moralischer Bildung beim chinesischen Literaten ausserordentlich hoch sein muss. Ausserordentlich hoch ist es jedenfalls bei denen, mit welchen ich in Berührung gekommen bin… In diesem Riesenreich, in welchem noch nie radikale Massnahmen gegen bestehende Missbräuche ergriffen worden sind, hat im grossen mehr und dauerndere Ordnung geherrscht als in allen energischer betriebenen Staatswesen ; in diesem Land ohne Polizei, mit Behörden von zweifelhafter Integrität wird im ganzen weniger gestohlen, gemordet, veruntreut, gestritten, gehadert als im so wohlorganisierten Deutschen Reich… Dass die höchste Moral der gebildeten Chinesen erreicht worden ist, sieht Keyserling durch den Einfluss zweier Bücher : "Das ist das Werk zweier Schriften, die seit über zweitausend Jahren alle Erziehung im Reich der Mitte inspiriert haben : das Buch von der Ehrfurcht, das Hiau ging [Xiao jing], und des eigentlichen Katechismus der chinesischen Zivilisation, des Buches der Riten [Li ji]". Das Chinabild von Keyserling ist vor allem von Literaten, hohen Beamten, Konfuzianern, Taoisten und Buddhisten und von Büchern beeinflusst worden. Er zeichnet kein objektives Bild, interessiert sich nicht für den Alltag und das chinesische Gesellschaftssystem. Luo Wei : Keyserling glaubt in dem Geist des chinesischen konfuzianischen Klassizismus eine Zukunftshoffnung zu entdecken. |
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18 | 1920 |
Döblin, Alfred. Der deutsche Maskenball. (Berlin : S. Fischer, 1921). Darin enthalten : Alfred Döblin. Der rechte Weg. (1920) : Rezension der 4. Aufl. (1919) von Ular, Alexander. Die Bahn und der rechte Weg des Lao-tse… [ID D11974]. Er schreibt : Einundachtzig Sprüche, einige nur vier bis sechs Zeilen lang, hat Laotses Taoteking, die Bahn und der rechte Weg. Neben diesem Buch kann sich keins halten, denn es nimmt sie alle auf. Es überwindet sie im Hegelschen Sinne, indem er sie nicht beseitigt oder widerlegt, sondern ihnen ihren Platz anweist. Es haben noch einige Jahrtausende Literatur Raum in diesem Buch… Dies Buch müsste klein bequem gebunden sein. Es wird so gebunden werden ; wird von vielen Europäern der folgenden Jahrzehnte in den Taschen getragen werden. |
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19 | 1920 |
Ab 1920 beschäftigt sich Bertolt Brecht intensiv mit der chinesischen Philosophie. Während er sich der taoistischen Lehre in deren Gesellschafts- und Zivilisationskritik verbunden fühlt, interessiert ihn der Konfuzianismus als Wissenschaft vom Verhalten der Menschen. Antony Tatlow : In den Schriften der chinesischen Philosophen fand Brecht eine vorwegnehmende Bestätigung der durch das Marxismusstudium gewonnenen Erkenntnisse und eine nützliche Analyse menschlichen Verhaltens in einer chaotischen Welt. |
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20 | 1921 |
Döblin, Alfred. Der Überfall auf Chao-lao-sü. In : Genius. (München : K. Wolff, 1921) ; vol. 3 (1921). Wei Luo : Diese Erzählung war eigentlich das Eingangskapitel des Wang-lun. Döblin bemüht sich um eine stilistische Übereinstimmung mit dem typisch traditionellen chinesischen Roman… zweitens um das politisch-revolutionäre Element der Romanaussage hervorzuheben… Dem sozialpolitischen Hauptanliegen weicht nun die philosophische Reflexion, die im chinesischen Roman fast einen dominierenden Platz einnimmt. |
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21 | 1921 |
Döblin, Alfred. Staat und Schriftsteller : Rede… zur Tagung des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller am 7. Mai 1921, Berlin. (Berlin : Verlag für Sozialwissenschaft, 1921). Er schreibt : Bei der Niederwerfung des Boxeraufstandes marschierten die europäischen Truppen durch Tsingtau (Qingdao). Die chinesische Bevölkerung liess sich die einzelnen Formationen und Rangstufen demonstrieren : es gab Grinsen und Achselzucken beim Anblick der Uniformen, der Soldaten und der hohen Offiziere auf den schönen Pferden. Dann kam ein Mann hinten beim Gepäck, er fuhr in einem kleinen zweirädrigen Wagen, ein gewöhnlicher Zivilist. Als man ihnen diesen wies und sagte, dies sei ein Schreiber, ein Schriftsteller, ein Literat, traten sie achtungsvoll zurück, schwangen grüssend die Hände, verneigten sich… Dieses China hat seine ungeheure, eigentlich beispiellose und im Grunde auch jetzt noch unerschütterte Stabilität dadurch erlangt, dass in langen Jahrhunderten die Dynastien in grosser Ehrfurcht vor dem Volk, den hundert Familien, an sich zogen, was an Geistigkeit im Volk lebte, und selber in dieser Geistigkeit lebten. Wei Luo : Döblin richtet sich in dieser Rede bei der Erörterung des Verhältnisses zwischen Schriftsteller und Staat nach dem konfuzianischen Denken. Er hält dem materialistischen, unmenschlichen und chaotischen Deutschland und Europa das konfuzianische China als einen Spiegel vor… und fordert : Der Staat müsse sich humanisieren und kultivieren… |
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22 | 1921 |
Luo Wei : Wilhelm hat in Licht aus Osten [ID D12462] dem Konfuzianismus besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Er weist nachdrücklich darauf hin, dass im Unterschied zum Taoismus, der mit seiner Rückkehr zur Natur das Handeln, das denkende Erkennen, alles Logische und Bewusste meide, der Konfuzianimus sowohl von den überrationalen Kräften als auch von der höheren Bildung überzeugt sei. Er sieht sowohl in der konfuzianischen als auch in der taoistischen Lehre den östlichen Geist, der nach innen gewandt und dessen wichtigster Gegenstand der Beschäftigung der Mensch sei, wovon das machtgierige und vom Krieg zerstörte Europa das Heil erwarte, indem man die Innenwelt, die Menschen, die Lebenskunst, die Organisierung in den Blickpunkt des Bewusstseins treten lasse. |
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23 | 1922 |
Döblin, Alfred. Gespräch im Palast Khien-lungs. In : Sonntagsbeilag des Berliner Börsen-Couriers ; 16. April 1922. Untertitel : Ungedrucktes Stück aus dem Roman Wang-lun. Gespräch zwischen Kaiser und Sohn mit dem Hintergrund der Bezwingung der freumden Völker und der kaiserlichen Macht. |
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24 | 1923 | Alfred Döblin verwendet den Begriff „Tao“ in seiner Einleitung zu Heinrich Heines „Deutschland“ und „Atta Troll“. | |
25 | 1928 |
Döblin, Alfred. Das Ich über der Natur. (Berlin : S. Fischer, 1928). Er schreibt : Das Tao verkündet : Durch Handeln wird nichts geändert. Buddha aber – Dieser Unterschied zwischen dem Stillen, Stummen der Taolehre und Buddhas. Liu Weijian : Döblin betont wie Laozi das Erkennen der Welt. Dieses Erkennen beruht vor allem auf dem intuitiven Denken, das mit dem Fühlen und Erleben der Natur eng verbunden ist. Durch diese Naturalisierung des Denkens ist man in der Lage, das innere Gesetz der Welt zu erkennen und dementsprechend durch eigenes Handeln zur Veränderung der Welt beizutragen… Wie das Dao verfügt der „Ursinn“ bei Döblin über Merkmale des Wuwei. Er schlägt sich als Zeichen des Geistigen in der Zeitlichkeit nieder, die keine Entwicklung, sondern eine Verkrümmung darstellt. Aber trotzdem ist die Welt sinndurchflossen. Die stille Wirksamkeit des Ursinns zeigt Döblin durch das weiche, fügsame Wasser, das Symbol des Wuwei… Zugleich ist das Wuwei für ihn auch ein wichtiges Verhaltensprinzip. Wer das Wuwei nicht versteht und am persönlichen Ich festhält, der ist zerbrechlich und hinfällig… Er soll sein zerbrechliches Ich aufgeben und sich im Ursinn auflösen. Er schwimmt im vom Ursinn durchströmten Weltlauf mit und beteiligt sich damit als Handelnder am Prozess der Welt. Ma Jia : Döblin bezeichnet das „Tao“ als Ursinn, Urich, Urgewalt und Urgeist... Bei Döblin hat das anonyme Urwesen einen Aspekt des Materiellen, der in den Begriffen „Urich“ und „überpersönliche Ichheit“ enthalten ist. Im Unterschied zu der intuitiven und direkten Art der Naturphilosophie Laozis, versucht er die grosse Welteinheit, die aus einer Ursubstanz hevorgeht, mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu untermauern… Das Welturwesen ist nach ihm ein lebendiger schaffender Geist, der seinen Sinn in der Welt durch eine allgemeine Beseelung entfaltet. Luo Wei : Döblin erscheint der Buddhismus aktiver und optimistischer als die taoistische Ruhe und Passivität der gesellschaftlichen Verpflichtung gegenüber. |
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26 | 1929 |
Döblin, Alfred. Berlin Alexanderplatz : die Geschichte von Franz Biberkopf. (Berlin : S. Fischer, 1929). Luo Wei : Döblin beschäftigt sich mit dem konfuzianischen Aspekt der ‚zhixing’-Lehre. Dabei handelt es ich um „Wissen und Handeln“. Der ganze Lebensweg von Franz Biberkopf kann als eine Deduktion des Denkansatzes, dass das Wissen dem Verändern vorausgeht, betrachtet werden… Wie bei den Neokonfuzianern, lässt sich bei Döblin ebenfalls eine Trennung von Theorie und Praxis beobachten. Wie die neokonfuzianische Zhixing-Theorie verschwimmt seine Vorstellung von „Wissen und Verändern“ auch durch Abstraktheit und Allgemeinheit. Dies zeigt sich auch in Döblin, Alfred. Wissen und verändern ! : offene Briefe an einen jungen Maneschen. (Berlin : S. Fischer, 1931) und Döblin, Alfred. Die Ehe : drei Szenen und ein Vorspiel. (Berlin : S. Fischer, 1931). |
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27 | 1935 |
Brecht, Bertolt. Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. In : Unsere Zeit. (Basel : Verlag der Rote Aufbau, 1935). Jg. 8, H. 2-3 (1935). Quelle : Wilhelm, Richard. Frühling und Herbst des Lü Bu We. [ID D1594 ; Chun qiu]. Adrian Hsia : Brecht schreibt : Zu allen Zeiten wurde zur Verbreitung der Wahrheit, wenn sie unterdrückt und verhüllt wurde, List angewandt. Konfutse fälschte einen alten, patriotischen Geschichtskalender. Der Geschichtskalender stellt das Werk Frühling und Herbst-Annalen von Sima Qian dar. Dagegen stellt Brecht drei Methoden von Konfuzius fest, die gefälschte geschichtliche Wahrheit wiederherzustellen : Er berichtigt falsche Bezeichnungen, fälscht historische Tatsachen für die höhere Wahrheit und verschweigt die für ihn unbedeutenden Ereignisse. Brecht beschreibt den ersten Punkt genau, der auch am wichtigsten ist. Die Beschreibung ähnelt Sima Qian : Konfutse veränderte nur gewisse Wörter. Wenn es hiess : Der Herrscher von Kun liess den Philosphen Wan töten, setzt Konfutse statt töten ‚ermorden’. Hiess es, der Tyrann sei durch ein Attentat umgekommen, setzt er ‚hingerichtet worden’. Dadurch bricht Konfutse einer neuen Beurteilung der Geschichte Bahn… Die List des Konfutse ist auch heute noch verwendbar. Konfutse ersetzte ungerechtfertigte Beurteilungen nationaler Vorgänge durch gerechtfertigte. Luo Wei : Brecht würdigt die Schreibweise von Konfuzius als eine besondere „List“ bei der Verbreitung der verhüllten oder unterdrückten Wahrheit. Seine Vorliebe für den chinsischen Philosophen zeigt sich ausserdem darin, dass er ein Rollbild des Konfuzius besass, das ihn während seines Exils überall hin begleitete und immer in seinem Zimmer an der Wand hing. Als er sich in Ostberlin niederlässt, ist das Bild in schlechtem Zustand. Brecht lässt es von einen Bühnenarbeiter des Berliner Ensembles restaurieren und schenkt ihm als Dank ein Exemplar seiner Stücke mit Widmung. Yim Han-soon : Bei dem Geschichtskalender handelt es sich um Chun qiu Annalen, in dem Konfuzius über die politischen Ereignisse dieser Epoche vom Standpunkt des Zentralherrschers aus Rechtsentscheidungen getroffen haben soll. Richard Wilhelm : Konfuzius nahm diese Chronik vor, änderte da ein Wort, setzte dort eines zu, stellte ein paar Sätze um, liess manches weg. Und aus der trockenen Chronik wurde ein literarisches Weltgericht. |
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28 | 1940 |
Confucius. The living thoughts of Confucius. Presented by Alfred Döblin. (New York, N.Y. ; Toronto : Longmans, Green and Co., 1940). (The living thoughts library). Quellen : Si shu (Lun yu, Mengzi, Da xue, Zhong yong), Xiao jing, Shu jing, Shi jing in der englischen Übersetzung von James Legge [ID D2212]. Anthony W. Riley verweist als Quelle auf das Buch von Johann Heinrich Plath. Confucius und seine Schüler Leben und Lehre [ID D4469]. Weitere Quellen sind die Bücher von Wilhelm Grube und Richard Wilhelm. Als mögliche Quelle könnte „Die Religion und Kultur Chinas“ von Ferdinand Heigl sein. [ID D12328]. Döblin schreibt im Vorwort : Confucius makes us the guarantors of a regular world order and we must not forget our responsibility for a moment because one move follows directly on the other, and only a crash trade is carried on... Times have certainly changed since Confucius, but the mind of man and human nature have remained unchanged for these two thousand five hundred years... Today, just as in Confuius’s time, men are still striving for a social society ; the will to live to see a spiritual moral world and the (uncertain) feeling that such an existence is possible prevails unchanged ; the struggle for happiness and stability goes on. Ma Jia : Döblin bezeichnete Konfuzius in seiner Wang-lun-Zeit als „giftigsten Feind“ und das „dritte Übel“. Diese unversönliche oppositionelle Einstellung erklärt sich zunächst aus der historischen Tatsache, dass Konfuzius von den Mandschu-Kaisern verehrt wurde… Ausserdem ist Döblins antikonfuzianische Haltung durch seinen politischen Standpunkt, seine innere Identifikation mit den sozial niederen Schichten und seine Ablehnung der feudalen Herrschaft bestimmt. Als Sozialist freut er sich über den Sieg der chinesischen bürgerlichen Revolution von 1911… 1941 lässt er sich katholisch taufen. Damit vollzieht er den Wandel vom Atheisten zum Christen, vom Naturanbeter zum Gottesgläubigen. Parallel mit seiner Konversion wird Döblin von einem Gegner Konfuzuius’ zu seinem Verehrer. Konfuzius ist für ihn nicht mehr der Volksfeind, sondern „the man of the people“, „the democrat“, „the friend of humanity and practical moralist“... Das Grundgefühl der grossen Natureinheit, das er mit den daoistischen Denkern teilt, und die Überzeugung von der Kraft des Schwachseins werden nun durch die Begeisterung von der praktischen, aktivistischen und moralischen Lehre des Konfuzius ersetzt… Sowohl seine Begeisterung für die daoistische Botschaft in der Wang-lun-Zeit als auch seine Neuentdeckung des „Himmels“ als göttlichen Prinzips bei der Hinwendung zu Konfuzius offenbaren Döblins Interesse an einem universalen Denken… Auf dem Weg zur Konversion von der Naturmystik zum christlichen Gott begegnet er Konfuzius auf einer neuen Ebene, auf der er sich vom daoistischen Weltbild trennt und sich zu einem jenseitigen Gott bekennt. Nicht das abgeschlossene Weltganze, sondern der Himmel als geistiges Prinzip, nicht Demut, sondern aktive Bemühung um die soziale Ordnung und das Praktizieren der moralischen Prinzipien der Liebe und Humanität, nicht mehr das Triebhaft Spontane, sondern rationales Handeln sind nun für Döblin die wesentlichen Momente… Luo Wei : Zu Beginn des Vorwortes geht Döblin auf die Natur der Lehre des Konfuzius ein und legt das konfuzianische China als Literatenstaat fest… „Confucius is, then, both the founder of the official religion and the patron of the literary class“. Döblins Einleitung setzt sich aus fünf Teilen zusammen, wobei Döblin jeweils auf die Eigentümlichkeit des konfuzianischen China, auf Konfuzius’ Leben, seinem grossen Charakter, seine Lehre und deren historische Entwicklung sowie die Bedeutung des Konfuzianismus für die moderne westliche Welt eingeht. Von Anfang bis zum Ende stellt er den berühmtesten chinesischen Weisen immer als Leitbild für die Gegenwart heraus und zollt dessen Persönlichkeit und Lehre grosse Bewunderung. Im zweiten und fünften Teil lassen sich besonders verblüffende historische Parallelen zu der Periode nach der Machtergreifung Hitlers und Döblins persönlichen Exilerfahrungen beobachten… Er stilisiert Konfuzius zu einem verfehmten Leidensgenossen und zugleich auch einem unbeugsamen Kampfgenossen, der wie er unter der anarchistischen Kondition seiner Zeit leidet und unermüdlich um eine friedliche, stabile Ordnung ringt… Er übt eine umfassende Kritik an den negativen Erscheinungen der westlichen Kultur… und macht nach der Bestimmung der Mittelstellung des Konfuzius zwischen Religionsstiftern und Staatsgründern auf die markante Charakteristik des konfuzianischen Staates aufmerksam, die darin besteht, dass mit der Lehre des Konfuzius eine besondere Klasse sich herausbildet, die zwischen den Herrschern und dem Volk steht und einen geistigen Kampf auf zwei Fronten führt : einerseits gegen die Regierung… und andererseits für die Erziehung, die dem Volk das Wissen zugänglich macht… Er erklärt gleich zu Anfang seinen Hauptgedanken, dass die Ideen von Konfuzius für moderne Abendländer von Nutzen sind und ihnen weiterhelfen können, sich selbst zu erkennen. Er sagt : So, im Kontrast zu unserer materialistischen Linie des Denkens, das den Menschen zum hilflosen Objekt eines dummen, sinnlosen Prozesses der Ereignisse macht, kann unser Handeln beeinflussen und es beeinflusst die Geschehnisse der Welt, weil wir hier geistige Kraft, beeinflussende geistige Kraft haben… Döblin führt weiter aus, dass Konfuzius’ Einsicht in die engen Beziehungen zwischen Mensch und Natur verschieden von der abendländischen und zugleich eine tiefere und wahrere als diese sei… |
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29 | 1948 | Im Rundfunkbeitrag vom 3. Okt. 1948 zitiert Döblin Sprüche von Laozi, um an die Bedrohung des Friedens zu gemahnen : „Die Welt besteht aus zivilen Personen und nicht aus Miltär. Sie muss sich ihren zivilen Charakter gegen das Militär verteidigen. Ich erinnere an das Wort Lao-tses [Laozi], des alten chinesischen Weisen, der in seinem Spruchbuch sagte : Man soll nicht die Einheit anstreben. Vielheit sei besser als Einheit. Mögen das übrigens auch die Deutschen, die in den letzten Jahrhunderten so sehr einem Einheitsideal nachgejagt haben und darum gelitten haben, mögen sie diesen Satz auch für sich bedenken“. |
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30 | 1956 |
Döblin, Alfred. Hamlet ; oder, Die lange Nacht nimmt ein Ende. (Berlin : Rütten & Loening, 1956). Luo Wei : Döblin greift chinesische Weisheiten und Motive auf, um sich mit der Kriegsschuldfrage zu befassen und gegen den Kalten Krieg sowie für ein besseres Deutschland auszusprechen. Der Hauptheld Edward Allison ist vorwiegend chinesisch geprägt… Wir fahren nach Asien… wir lassen das elende Europa hinter uns… Bei der Darstellung der Fragen nach der Kriegsschuld, misst Döblin dem chinesischen Ahnenkult eine besondere Funktion bei… „Und heimlich, ohne jemandem etwas zu verraten, feierte Edward seine toten Freunde in den nächsten Tagen. Er trieb eine Art chinesischen Ahnenkult, aber ohne das demütige Zeremoniell“… |
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31 | 1984 | Erste Erwähnung Alfred Döblins in China in dem vom Russischen ins Chinesische übersetzte Werk Die neuere deutsche Literaturgeschichte hrsg. von der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften. (Beijing : Fremdspracheninstitut, 1984). Ein Kapitel wird Döblin gewidmet. |
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# | Year | Bibliographical Data | Type / Abbreviation | Linked Data |
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1 | 1893 | Dehmel, Richard. Chinesisches Trinklied : nach Li-tai-po. In : Moderner Musen-Almanach auf das Jahr 1893. Hrsg. von Otto Julius Bierbaum. [Li Bo]. | Publication / Deh1 |
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2 | 1906 | Dehmel, Richard. Die ferne Laute, Der dritte im Bund, Frühlingsrausch : [drei Nachdichtungen von Li-Tai-Pe]. In : Die neue Rundschau ; Jg. 17 (1906). [Li Bo]. | Publication / Deh2 |
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3 | 1921 | Wilhelm, Richard. Licht aus Osten. In : Genius. Buch 1 (1921). | Publication / WilR1 |
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4 | 1982 |
[Döblin, Alfred. Die Ermordung einer Butterblume ; Segelfahrt ; Der Dritte]. Wang Zhiqian, Lin Shizhong yi. In : Wai guo wen yi = Foreign literature and art. (Shanghai : Shanghai yi wen chu ban she, 1982). Übersetzung von Die Ermordung einer Butterblume. (1910), Segelfahrt, Der Dritte. In : Die Ermordung einer Butterblume : ausgewählte Erzählungen 1910-1950. (Olten : Walter, 1962). (Ausgewählte Werke in Einzelbänden). 外国文艺 |
Publication / Döb6 | |
5 | 1988 |
Liao, Xingqiao. Wai guo xian dai pai wen xue dao lun. (Beijing : Beijing chu ban she, 1988). [500 Fragen zur Literatur der westlichen Moderne. Darin wird Alfred Döblin als berühmter deutscher expressionistischer Romancier erwähnt]. 外国现代派文学导论 / 廖星桥 |
Publication / Döb7 | |
6 | 1993 |
Luo, Wei. [Döblin’s philosophische Meditation in Berlin Alexanderplatz]. In : Wai guo wen xue ping lun = Foreign literature review. 4 (1993). (Beijing : Zhongguo she hui ke xue chu ban she, 1987-). 外国文学评論 |
Publication / Döb9 |
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7 | 1994 |
[Döblin, Alfred]. Di san zhe. Cai Maoyou zhu bian. In : Mo sheng nü ren di lai xin. Cai Maoyou zhu bian. (Beijing : Huaxia chu ban she, 1994). (Shi jie hun lian xiao shuo cong shu. Deguo juan). [Übersetzung von Der Dritte. In : Die Ermordung einer Butterblume : ausgewählte Erzählungen 1910-1950. (Olten : Walter, 1962). (Ausgewählte Werke in Einzelbänden). Ehe und Liebe. Darin wird in Form einer Inhaltsangabe Berlin Alexanderplatz erwähnt]. 第三者 / 陌生女人的来信 |
Publication / Döb10 |
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8 | 1995 |
Er shi shi ji Ou Mei wen xue shi. Zhang Yushu zhu bian. (Beijing : Beijing da xue chu ban she, 1995). [Europäische und amerikanische Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts]. Darin werden Alfred Döblin einige Seiten gewidmet. 二十世纪欧美文学史 |
Publication / Döb12 | |
9 | 1996 |
Wei, Maoping. Zhongguo dui Deguo wen xue ying xiang shi shu. (Shanghai : Shanghai wai yu jiao yu chu ban she, 1996). [ Geschichte des chinesischen Einflusses auf die deutsche Literatur]. [Erwähnung von Alfred Döblins Roman Die drei Sprünge des Wang-lun]. 中国对德国文学影响史述 |
Publication / Döb13 | |
10 | 1998 |
Gao, Zhongfu ; Ning, Ying. 20 shi ji Deguo wen xue shi. (Qingdao : Qingdao chu ban she, 1998). (20 shi ji wai guo guo bie wen xue shi cong shu). [Deutsche Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts]. Darin enthalten ist ein Beitrag über Alfred Döblins frühes Schaffen. 20世纪德囯文学史 |
Publication / Döb14 | |
11 | 2003 |
[Döblin, Alfred]. Bolin Yalishan da guang chang. Debulin zhu ; Luo Wei yi. (Shanghai : Shanghai yi wen, 2003). Übersetzung von Döblin, Alfred. Berlin Alexanderplatz : die Geschichte von Franz Biberkopf. (Berlin : S. Fischer, 1929). Erster von Döblin übersetzter Roman. 阿德布林著 |
Publication / Döb15 |
# | Year | Bibliographical Data | Type / Abbreviation | Linked Data |
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1 | 2000- | Asien-Orient-Institut Universität Zürich | Organisation / AOI |
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