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Chronology Entry

Year

1907

Text

Hofmannsthal, Hugo von. Der weisse Fächer : ein Zwischenspiel [ID D12664].
Nachdichtung von France, Anatole. Histoire de la dame à l'éventail blanc [ID D12663].

Ellen Ritter : Der weisse Fächer handelt von der Problematik einer missverstandenen Treue der Ehegatten über den Tod hinaus.
Die treulose Witwe von Eduard Grisebach [ID D4688]. Darin enthalten ist eine chinesische Novelle aus Jin gu qi guan. In einer Neubarbeitung erscheint die Novelle in seinem Chinesisches Novellenbuch [ID D5491]. Es ist anzunehmen, dass Hofmannsthal diese Novelle gekannt hat, obwohl bisher keine Belege dafür vorliegen. Die Handlungen weisen unverkennbare Parallelen auf. Die Analogien betreffen in erster Linie das äussere Geschehen, die Ereignisse um die Dame mit dem Fächer…
Hofmannsthal macht sich die Position des chinesischen Weisen zu eigen, der die bittere Wahrheit des Lebens kennt und darüber zu lachen vermag. Das ironisch behandelte Motiv der Treue, der Gegensatz zwischen einer idealen Wunschwelt und der realen Wirklichkeit wie auch die äusseren Motive sind in der Novelle aus dem Jin gu qi guan vorgegeben. In der Intention aber unterscheidet sich Hofmannsthals Stück fundamental…
Hofmannsthal übernimmt Fremdes, um es zu Eigenem zu machen, indem er seine eigene Problematik in den fremden Stoff hineinträgt und mit übernommenen Mitteln dem eigenen Thema adäquaten Ausdruck zu verleihen sucht. Im Weissen Fächer sind es die äusseren Handlungsmotive und die ironisch distanzierte Haltung, mit deren Hilfe er das Problem der Treue darstellt.

Ingrid Schuster : Hofmannsthal hat im Weissen Fächer ein chinesisches Motiv verwendet, auf das Ellen Ritter erstmals hingewiesen hat. Ritter hielt es für wahrscheinlich, dass es sich bei der Quelle um Eduard Grisebachs Studie Die treulose Witwe [ID D4688] oder um sein Chinesisches Novellenbuch [ID D4591] handelt, obwohl bisher keine direkten Belege dafür vorliegen. Gegen diese Annahme spricht aber nicht nur der fehlende biographische Bezug, sondern auch der Inhalt des Weissen Fächers selbst.
Seine Quelle war Anatole France. France behandelt in seinem Essay die Contes chinois [ID D15182] des Generals Tscheng Ki-tong [Chen Jitong] und die chinesische Literatur im allgemeinen. Er kommt auch auf die Contes chinois von Abel Rémusat zu sprechen, wobei er besonders La Dame du pays de Soung hervorhebt.
Die Unterschiede zwischen dem chinesischen Original und Histoire de la dame à l’éventail blanc von Anatole France [ID D12663] sind erheblich. Hofmannsthal hielt sich an die französiche Vorlage, viele Details, nicht nur der Titel, weisen Übereinstimmungen auf. Vor allem entspricht die Lösung des Problems im Weissen Fächer ganz dem Geist von France. Hofmannsthal machte sich nicht „die Position des chinesischen Weisen zu eigen“, wie sie im Original geschildert wird, denn dieser wendet sich ja am Ende höhnisch von der Welt ab, sondern er akzeptierte – wie Zhuangzi in der Geschichte von France – die Wirklichkeit des Lebens mit einem toleranten Lächeln. Andererseits ironisierte er – ebenfalls wie France – den chinesischen Philosophen selbst, indem er dessen weltabgewandte Einstellung in Forunio als nicht zu realisierenden Wunschtraum entlarvt.

France schreibt : La version chinoise, autant qu’il m’en souvient, est moins heureuse que la version rapportée dans le Satyricon. Elle est gâtée par des lourdeurs et des invraisemblances, poussée au tragique et défigurée par cet air grimaçant qui nous rend, en somme, toute la littérature chinoise à peu près insupportable. Mails il me reste un souvenir charmant d’un épisode qui y est intercalé, celui de l’éventail. Si madame Tian nous divertit médiocrement, la dame à l’éventail est tout à fait amusante... Je suis obligé de conter de mémoire... Ce ne sera peut-être pas tout à fait chinois... Tchouang-tsen [Zhuangzi], du pays de Soung, était un lettré qui poussait la sagesse jusqu’au détachement de toutes les choses éternelles, il en lui restait pour contenter son âme que la conscience d’échapper aux communes erreurs des hommes qui s’agitent pour acquérir d’inutiles richesses ou de vains honneurs. Mais il faut que cette satisfaction soit profonde, car il fu, après sa mort, proclamé heureux et digne d’envie.

1891 erscheinen die Contes chinois von General Tcheng Ki-tong in La vie littéraire, Bd. 3.
Hofmannsthal schreibt 1891 in seinem Tagebuch über dieses Buch : Anatole France : Typische Dilettantenbildung mit der Unausgeglichenheit der herangezogenen Beispiele je nach zufälliger Vorliebe.
Aus einem Brief von Hofmannsthal an Marie Herzfeld 1892 kann man entnehmen, dass er sich weiterhin mit France beschäftigt, den er 1900 persönlich aufsucht.

Luo Wei : Er verwertet des taoistische Motiv des „Grab-Fächelns“ nach Zhuangzi als Probe der Liebestreue, ohne aber zu versäumen, im gleichen Jahr das Gedicht „Der Kaiser von China spricht“ im Sinne des konfuzianischen Idealismus zu gestalten.

Mentioned People (2)

France, Anatole  (Paris 1844-1924 Saint-Cyr-sur-Loire) : Schriftsteller, Dramatiker, Dichter, Nobelpreisträger

Hofmannsthal, Hugo von  (Wien 1874-1929 Rodaun = Wien) : Schriftsteller, Dramatiker

Subjects

Literature : Occident : Austria

Documents (3)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 1968 Ritter, Ellen. Die chinesische Quelle von Hofmannsthals Dramolett Der weisse Fächer. In : Arcadia ; Bd. 3, Nr. 3 (1968). Publication / Rit1
2 2003 Luo, Wei. "Fahrten bei geschlossener Tür" : Alfred Döblins Beschäftigung mit China und dem Konfuzianismus. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 2003). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1896). Diss. Beijing-Univ., 2003. S. 48. Publication / Döb2
  • Source: Dehmel, Richard. Chinesisches Trinklied : nach Li-tai-po. In : Moderner Musen-Almanach auf das Jahr 1893. Hrsg. von Otto Julius Bierbaum. [Li Bo]. (Deh1, Publication)
  • Source: Dehmel, Richard. Die ferne Laute, Der dritte im Bund, Frühlingsrausch : [drei Nachdichtungen von Li-Tai-Pe]. In : Die neue Rundschau ; Jg. 17 (1906). [Li Bo]. (Deh2, Publication)
  • Source: Wilhelm, Richard. Licht aus Osten. In : Genius. Buch 1 (1921). (WilR1, Publication)
  • Source: [Döblin, Alfred. Die Ermordung einer Butterblume ; Segelfahrt ; Der Dritte]. Wang Zhiqian, Lin Shizhong yi. In : Wai guo wen yi = Foreign literature and art. (Shanghai : Shanghai yi wen chu ban she, 1982). Übersetzung von Die Ermordung einer Butterblume. (1910), Segelfahrt, Der Dritte. In : Die Ermordung einer Butterblume : ausgewählte Erzählungen 1910-1950. (Olten : Walter, 1962). (Ausgewählte Werke in Einzelbänden).
    外国文艺 (Döb6, Publication)
  • Source: Liao, Xingqiao. Wai guo xian dai pai wen xue dao lun. (Beijing : Beijing chu ban she, 1988). [500 Fragen zur Literatur der westlichen Moderne. Darin wird Alfred Döblin als berühmter deutscher expressionistischer Romancier erwähnt].
    外国现代派文学导论 / 廖星桥 (Döb7, Publication)
  • Source: Luo, Wei. [Döblin’s philosophische Meditation in Berlin Alexanderplatz]. In : Wai guo wen xue ping lun = Foreign literature review. 4 (1993). (Beijing : Zhongguo she hui ke xue chu ban she, 1987-).
    外国文学评論 (Döb9, Publication)
  • Source: [Döblin, Alfred]. Di san zhe. Cai Maoyou zhu bian. In : Mo sheng nü ren di lai xin. Cai Maoyou zhu bian. (Beijing : Huaxia chu ban she, 1994). (Shi jie hun lian xiao shuo cong shu. Deguo juan). [Übersetzung von Der Dritte. In : Die Ermordung einer Butterblume : ausgewählte Erzählungen 1910-1950. (Olten : Walter, 1962). (Ausgewählte Werke in Einzelbänden). Ehe und Liebe. Darin wird in Form einer Inhaltsangabe Berlin Alexanderplatz erwähnt].
    第三者 / 陌生女人的来信 (Döb10, Publication)
  • Source: Er shi shi ji Ou Mei wen xue shi. Zhang Yushu zhu bian. (Beijing : Beijing da xue chu ban she, 1995). [Europäische und amerikanische Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts]. Darin werden Alfred Döblin einige Seiten gewidmet.
    二十世纪欧美文学史 (Döb12, Publication)
  • Source: Wei, Maoping. Zhongguo dui Deguo wen xue ying xiang shi shu. (Shanghai : Shanghai wai yu jiao yu chu ban she, 1996). [ Geschichte des chinesischen Einflusses auf die deutsche Literatur]. [Erwähnung von Alfred Döblins Roman Die drei Sprünge des Wang-lun].
    中国对德国文学影响史述 (Döb13, Publication)
  • Source: Gao, Zhongfu ; Ning, Ying. 20 shi ji Deguo wen xue shi. (Qingdao : Qingdao chu ban she, 1998). (20 shi ji wai guo guo bie wen xue shi cong shu). [Deutsche Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts]. Darin enthalten ist ein Beitrag über Alfred Döblins frühes Schaffen.
    20世纪德囯文学史 (Döb14, Publication)
  • Source: [Döblin, Alfred]. Bolin Yalishan da guang chang. Debulin zhu ; Luo Wei yi. (Shanghai : Shanghai yi wen, 2003). Übersetzung von Döblin, Alfred. Berlin Alexanderplatz : die Geschichte von Franz Biberkopf. (Berlin : S. Fischer, 1929). Erster von Döblin übersetzter Roman.
    阿德布林著 (Döb15, Publication)
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
  • Person: Döblin, Alfred
  • Person: Luo, Wei
3 2007 Schuster, Ingrid. Faszination Ostasien : zur kulturellen Interaktion Europa-Japan-China : Aufsätze aus drei Jahrzehnten. (Bern : Lang, 2007). (Kanadische Studien zur deutschen Sprache und Literatur ; Bd. 51). S. 69-72. Publication / Schu5
  • Source: Dehmel, Richard. Gedichte nach Li-tai-pe. In : Neue Rudschau ; Jg. 17 (1906). [Li Bo]. (Deh3, Publication)
  • Source: Haussmann, Conrad. Gedichte nach Li-tai-pe. In : März (1907). [Li Bo]. (HauC1, Publication)
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)