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“China als Wunsch und Vorstellung : eine Untersuchung der China- und Chinesenbilder in der deutschen Unterhaltungsliteratur 1890-1945” (Publication, 1992)

Year

1992

Text

Zhang, Zhenhuan. China als Wunsch und Vorstellung : eine Untersuchung der China- und Chinesenbilder in der deutschen Unterhaltungsliteratur 1890-1945. (Regensburg : S. Roderer, 1993). (Theorie und Forschung ; Bd. 241. Literaturwissenschaft ; Bd. 14). Diss. Univ. Heidelberg, 1992. (ZhaZ3)

Type

Publication

Contributors (1)

Zhang, Zhenhuan  (um 1992) : Dozent Universität Mainz, Germersheim

Chronology Entries (22)

# Year Text Linked Data
1 1886-1904 Heyking, Elisabeth von. Tagebücher aus vier Erdteilen [ID D2462].
Heyking beklagt sich 1896, dass sowohl Europäer als auch Chinesen sich kulturell überlegen fühlen, was dazu führt, die anderen zu verachten, ohne dass sie jedoch irgend etwas vom eigentlichen Wert der anderen kennen würden.
Sie schreibt : "In Peking sieht man recht drastisch, dass es vielen schlecht gehen muss, damit es einigen wenigen gut gehen kann. Die wenigen haben natürlich kein Interesse daran, etwas an diesem Tatbestand zu ändern, und die vielen sind hier viel zu indolent und stur, um es zu versuchen."
"Chinesen verstehen nur die Dollar - oder Kanonensprache. Was sie auch früher gewesen sein mögen, heute sind die Chinesen schmutzige Barbaren, welche keine europäischen Gesandten, wohl aber europäische Herren brauchen - je eher, je besser."
"Gleich Ameisen rackern sie sich ab. Und wenn Ameisen, die sicher nur Ameisen sind, noch intelligentere Gesichter tragen und dabei unzweifelhaft gebildet sind, so wirkt das beängstigend."

Lucie Bernier : La citation contient pratiquement tous les clichés récurrents sur les Chinois et, en particulier, ceux qui, aux yeux des Européens, expliquent la prévalence de la corruption en Chine, à savoir la cupidité et le matérialisme des Chinois. Selon Heyking, l'amour de l'argent fait partie intégrante de la culture chinoise et démontre à quel point les Chinois n'accordent aucune importance au spirituel. Non contente de l'expansion coloniale, Heyking insiste sur l'influence bénéfique des Européens sur ceux qu'elle traite de 'barbares'. Enfin du 'barbare crasseux' à la 'créature qui dépasse à peine le stade de l'animal', les descriptions ne sont pas loin de l'assimilation des Chinois aux animaux.

Zhang Zhenhuan : Das zeigt, dass Heyking sich nicht nur über das soziale Elend in China beklagt, sondern auch sich fragt, ob nicht auch das ganze chinesische Gesellschaftssystem für diese Ungerechtigkeit verantwortlich sei. Damit wird das alte Klischee, die konfuzianistische Gesellschaft, die jedem das Glück ermöglicht, die beste für China sei, in Frage gestellt.
2 1900 ca. Robert Löbbecke. Ein Westfale in China [ID D13133].
Er schreibt : Im Grossen und Ganzen beschränkt sich die Kenntnis unserer Landsleute über China... zumeist auf das, was wir auf den Schulbänken über dasselbe gelernt haben, nämlich : dass die Chinesen geschlitzte Augen haben und Zöpfe tragen ; dass sie eine lächerliche Sprache sprechen, zu deren Erlernung ein Menschenalter nicht ausreicht ; dass die Frauenwelt durch Einschnüren ihre Füsse verkrüppelt ; dass das Volks Stockprügel bekommt, wenn es nicht gehorcht ; dass es Thee trinkt, Opium raucht und sich im allgemeinen aus recht eigenartigen Käuzen zusammensetzt. Von dem wunderbaren Staatsorganismus und der sonderbaren Kultur Chinas weiss man eben nur wenig.
3 1900 Werner, Reinhold von. Entscheidungskampf der europäischen Völker gegen China [ID D13136].
Er schreibt : Den Erzeugnissen der chinesischen Küche dürfte ein Europäer wenig Geschmack abgewinnen, und wenn auch Rattenrippchen, Katzenragout und Hundefilet, in Öl gebraten und mit Knoblauch zugerichtet, auf der chinesischen Speisekarte nicht zu häufig sind, wie man vielfach behauptet, so verzeichnet sie doch Gerichte genug, die uns ein gelindes Gruseln bereiten, so Schneckenmuss mit gedämpften Lilienwurzeln, eingesalzene, wochenlang in der Erde begrabene Enteneier, Seetangsalat, Fischlunge und dergleichen. Die Hauptzuspeise besteht aus Reis. Schweinefleisch wird ebenfalls viel genossen. Beim Essen bedient sich der Chinese zweier dünner Stäbchen, mittels deren er mit bewunderungswürdiger Fertigkeit feine Brocken aus dem Napf in den Mund hineinführt. An berauschenden Getränken hat man im südlichen China einen durch Gährung erzielten ungebrannten Reisschnaps.
  • Person: Werner, Reinhold von
4 1900 Kaiser Wilhelm II. hält seine Hunnenrede in Bremerhaven nach dem Boxer-Aufstand : Die Aufgabe, zu der Ich Euch hinaussende, ist eine grosse. Ihr sollt schweres Unrecht sühnen. Ein Volk, das, wie die Chinesen, es wagt, tausendjährige alte Völkerrechte umzuwerfen, und der Heiligkeit der Gesandten und der Heiligkeit des Gastrechts in abscheulicher Weise Hohn spricht, das ist ein Vorfall, wie er in der Weltgeschichte noch nicht vorgekommen ist, und dazu von einem Volke, welches stolz ist auf eine vieltausendjährige Cultur. Aber ihr könnt daraus ersehen, wohin eine Cultur kommt, die nicht auf dem Christenthum aufgebaut ist. Jede heidnische Cultur, mag sie noch so schön und gut sein, geht zu Grunde, wenn grosse Aufgaben an sie herantreten. So sende ich Euch aus... Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht ! Wer Euch in die Hände fällt, sei in Eurer Hand. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter König Etzel sich einen Namen gemacht haben, der sie noch jetzt in der Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise auf tausend Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.
  • Document: Mein Bild in deinem Auge : Exotismus und Moderne : Deutschland - China im 20. Jahrhundert. Hrsg. von Wolfgang Kubin. (Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995). S. 132. (KW6, Publication)
  • Document: Fang, Weigui. Das Chinabild in der deutschen Literatur, 1871-1933 : ein Beitrag zur komparatistischen Imagologie. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1992). (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1356). Diss. Technische Hochschule Aachen, 1992. S. 213. (FanW1, Publication)
  • Person: Wilhelm II.
5 1900-1901 Deutsche Romane, Jugendromane und Theater befassen sich mit dem Boxer-Aufstand als anti-chinesische Propaganda, ohne den historischen Zusammenhang zu kennen. Sie verbreiten ein Feindbild von China, indem sie von Gewalttaten der Chinesen gegenüber den Fremden erzählen. Die schweren Verbrechen des Westens versucht man dadurch zu rechtfertigen, dass man die noch viel grössere Grausamkeit der Boxer betont.
Um die Jahrhundertwende steht das Schlagwort „die Gelbe Gefahr“ im Dienst der Propaganda zur Verteidigung der europäischen Kultur vor dem Eindringen der gelben Asiaten. Die Furcht vor der „Gelben Gefahr“ leitete sich vor allem von der Konkurrenz in der Wirtschaft her, von der Bedrohung der chinesischen Arbeitsemigranten, man sah fast überall eine Bedrohung der gelben Rasse. Max Brandt schreibt, dass man unrecht tun würde, diese Gefahr zu überschätzen.

Wladimir Iljitsch Lenin schreibt : Der Krieg ist nicht erklärt, aber das ändert nicht das geringste am Wesen der Sache, denn es wird trotzdem Krieg geführt. Wodurch nun wurde der Überfall der Chinesen auf die Europäer veranlasst, dieser Aufruhr, der von den Engländern, Franzosen, Deutschen, Russen, Japanern usw. mit so viel Eifer unterdrückt wird ? „Durch die Feindschaft der gelben Rasse gegen die weisse Rasse“, „durch den Hass der Chinesen gegen die europäische Kultur und Zivilisation“ – versichern die Fürsprecher des Krieges. Man schreibt über die barbarische gelbe Rasse, ihre Feindschaft gegen die Zivilisation. Die vor der Regierung und vor dem Geldsack auf dem Bauche liegenden Journalisten schreiben sich die Finger wund, um Hass gegen China im Volk zu entfachen.
  • Document: Fang, Weigui. Das Chinabild in der deutschen Literatur, 1871-1933 : ein Beitrag zur komparatistischen Imagologie. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1992). (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1356). Diss. Technische Hochschule Aachen, 1992. S. 216-218. (FanW1, Publication)
  • Document: Li, Changke. Der China-Roman in der deutschen Literatur 1890-1930 : Tendenzen und Aspekte. (Regensburg : S. Roderer, 1992). (Theorie und Forschung ; Bd. 209. Literaturwissenschaft ; Bd. 12). S. 17-18, 20. (LiC1, Publication)
  • Person: Lenin, Wladimir Iljitsch
6 1901 Armand von Schweiger-Lerchenfeld. Der Chinese und chinesisches Leben [ID D2671].
Er schreibt : In erster Linie entscheidend für chinesisches Wesen ist der mongolische Grundcharakter : Kindlichkeit, Naivität, Sanftmut. Das Agressive, Impulsive fehlt diesem Volk gänzlich. Heldengestalten, grosse Männer der That, sind äusserst dünn gesäet... In der That ist der Grunzug seines Wesens ein an völlige Entäusserung grenzender Sinn für das Praktische, Nützlich, absolut Notwendige. Sich für Dinge zu interessieren, welche ausserhalb der täglichen Lebensbedürfnisse stehen, hält der Chinese für die denkbar grösste Thorheit. Deshalb fehlt ihm jeder Sinn für das Ideale ; sein Leben ist vielmehr sozusagen nach innen gekehrt, woraus sich eine gewisse Vertiefung in das Einheimische, in das Herkommen erklärt, was andererseits zur Folge hat, dass dem Sohne des Reiches der Mitte alles Fremdländische im Grunde seiner Seele verhasst ist. Dieses Insichkonzentrieren benimmt dem Chinesen jede Initiative und prägt seinem Thun und Lassen jene sprichwörtlich gewordene Nüchternheit auf, welche das hervorragende Typische am chinesischen Charakter ist. Geistige Regsamkeit lässt sich bei solcher Sachlage naturgemäss nicht erwarten... Dass im Hinblick auf eine Kultur, welche seit undenklichen Zeiten im Zustand der Stagnation sich befindet, geistige Fähigkeiten sich nur schwer entwickeln können, liegt auf der Hand.
  • Document: Von der Kolonialpolitik zur Kooperation : Studien zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen. Hrsg. von Kuo Heng-yü. (München : Minerva Publikation, 1986). (Berliner China Studien ; 13).
    [Enthält] : Yin, Xuyi. Zur Verbreitung des Marxismus in China. S. 413. (KUH7, Publication)
  • Person: Schweiger-Lerchenfeld, Amand
7 1901 May, Karl. Ex in terra pax = Friede auf Erden [ID D2671].
Roman der Abenteuer einer kleinen deutsch-abendländischen Reisegesellschaft.
Zhang Zhenhuan : Karl Mays Chinabild hat sich radikal geändert : von dem verdammten China mit seinen negativen, bis zum idealisierten in Ex in terra pax und Und Friede auf Erden. Er hat den Nachholbedarf an räuberischem Imperialismus erkannt und distanziert sich ganz bewusst von dieser Propaganda. Statt Flusspiraten, grausame Boxer und Räuber gestaltet er ein idealisiertes China, das als das Land der östlichen Weisheit bereits im Europa der Aufklärung die Vorstellung bestimmt hat. Mit dem Roman Und Friede auf Erden will May dem Leser vor Augen führen, dass alle Kulturen und Religionen brüderlich zusammenleben können. May gestaltet ein völlig gegen den Wunsch von Joseph Kürschner und damit auch gegen den Zeitgeist gerichtetes Chinabild und er zeigt, dass die Einstellung eines Autors zu einem andern Land durchaus veränderbar ist, dass die Wiedergutmachung auf einem idealisierten Chinabild basiert. May strebt an, die imperialistischen Gewalttaten in China und die Vorurteile, zu bekämpfen. Er schreibt : Von den ersten Kinderschuhen an hat man durch alle Klassen der Volks- und höheren und höchsten Schulen über die Chinesen nichts Anderes gehört, als dass sie wunderlich gewordene, verschrobene Menschen seien, über welche die Weltgeschichte schon längst den Fluch der Lächerlichkeit ausgesprochen hat.

Fang Weigui : May zeigt ein wunderbares China-Bild. Er hat seine kolonialistischen und imperialistischen Vorurteile abgelegt und stellt ein Bild der Wiedergutmachung dar. Die Personen stellt er als Gelehrte und Konfuzianer dar. Sie repräsentieren allgemein menschliche, humanistische Werte – nicht dogmatisch, sondern in Wort und Tat.
May schreibt : Der Osten hat gegeben, so lange und so viel er geben konnte. Wir haben uns an ihm bereichert fort und fort ; er ist der Vater, der für uns und an uns arm geworden ist. Denken wir doch endlich nun an unsere Pflicht !... Leute die ein halbes, ja gar ein ganzes Menschenalter in China zugebracht haben und also wohl mit Recht behaupten, Land und Leute zu kennen, dieses Land und diese Leuten genau noch ebenso falsch beurteilen wie einer, der niemals dort gewesen ist. Ihre Kenntnis ist – Photographie ! Ihr ganzes, vielleicht ausserordentlich reiches Wissen besteht aus leb- und seelenlosen Kamerabildern, die in den aus Europa mitgebrachten Apparaten entstanden sind. Aus dem Vorurteil der kaukasischen Rasse werden die Filme geschnitten, denen man die Unmöglichkeit zumutet, uns die chinesische Volksseele in allen, auch ihren tiefsten und geheimnisvollsten Regungen, treu, wahr und aufrichtig darzustellen.
May schreibt über Joseph Kürschner : Damals fragte ein rühmlichst bekannter, inzwischen verstorbener Bibliograph bei mir an, ob ich ihm ebenso wie zu früheren Unternehmungen nun auch zu einem grossen Sammelwerk über China einen erzählenden Beitrag liefern könnte…Da mir nichts Gegenteiliges gesagt wurde, nahm ich als ganz selbstverständlich an, dass es sich um ein gewiss unbegangenes, rein geographisches Unternehmen handle, das nicht von mir verlange, anstatt bisher nur für die Liebe und den Frieden, nun plötzlich für den Hass, den Krieg zu schreiben… Das Werk war nämlich der patriotischen Verherrlichung des Sieges über China gewidmet… Ich hatte mich und das ganze Buch blamiert, und mir wurde bedeutet, einzulenken. Ich tat dies aber nicht, sondern schloss ab, und zwar sofort, mit vollem Recht.
  • Document: Fang, Weigui. Das Chinabild in der deutschen Literatur, 1871-1933 : ein Beitrag zur komparatistischen Imagologie. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1992). (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1356). Diss. Technische Hochschule Aachen, 1992. S. 152, 160, 170-171. (FanW1, Publication)
  • Person: May, Karl
8 1903 Heyking, Elisabeth von. Briefe die ihn nicht erreichten [ID D13134].
Heyking schreibt : Wir haben die Chinesen nur als arme, gedrückte Menschen gekannt ! Knechtung, Erpressung und Ungerechtigkeit, wie auch grosse verheerende Naturkatastrophen schienen sie geduldig zu tragen ; vielleicht sahen sie in ihnen nur die verhältnismässig gleichgültigen Begleiterscheinungen des einen grossen Übels, des Lebens. Jahrhundertelang sind sie gezüchtigt worden in einem System, dessen Erpressung, Ungerechtigkeit und Betrug so recht auf der ewigen Trägheit und Feigheit der grossen Massen beruhen. Jeder hatte dort immer Mächtigere zu versöhnen, umzustimmen, zu erkaufen. Die einzige Erleichterung und Rettung vor der ungeheuren Last war schlaue Überlistung der Bedrücker. Wie so oft in menschlichen Verhältnissen, knechtet dort der Stärkere den Schwächeren und wird dafür von ihm hintergangen… Wieviel noch namenloseres Elend wird entstehen ?... Zwischen den Europäern und Chinesen besteht eine derartige Anschuldigungskluft, dass sie nie zu überbrücken sein wird.

Li Changke : Der Roman spielt um die Jahrhundertwende in China, übt Kritik an den kolonialen Mächten und widerspiegelt Einfühlung und Sensibilität der Dichterin für China.

Fang Weigui : Die Briefe, die durch Form, Inhalt und Klang sofort ergriffen, wurden zu einem Bestseller. In fiktiven Briefen an einen Freund in China, in denen die Geschichte einer unerfüllten Liebe erzählt wird, gibt die Autorin ihre Fremderfahrung in China wieder und verfolgt mit brennendem Herzen das Zeitgeschehen während des Boxer-Aufstandes. Heyking passt sich dem Faible für das Fremdländische und dem exotischen Geschmack der Leser an. Sie macht auf die Tatsache aufmerksam, dass nicht nur der Tod von Europäern zu beklagen sei, sondern dass Tausende von Chinesen auch dabei zugrunde gehen oder obdachlos umherirren. Man kann nicht behaupten, dass Heyking völlig von rassistischen Vorurteilen befreit war, aber es gibt ihr zu bedenken, dass die Europäer nicht das Recht haben, sich über andere zu überheben.

Zhang Zhenhuan : Heyking ist bemüht, China nicht einseitig als vorbildliches oder rückständiges System hinzustellen. Die Chinesen seien jahrhundertelang gezüchtet worden in einem System, dessen Erpressung, Ungerechtigkeit und Betrug auf der ewigen Trägheit und Feigheit der grossen Massen beruhen. Jeder hatte dort immer Mächtigere zu versöhnen, umzustimmen, zu erkaufen.
  • Document: Li, Changke. Der China-Roman in der deutschen Literatur 1890-1930 : Tendenzen und Aspekte. (Regensburg : S. Roderer, 1992). (Theorie und Forschung ; Bd. 209. Literaturwissenschaft ; Bd. 12). S. 111. (LiC1, Publication)
  • Document: Fang, Weigui. Das Chinabild in der deutschen Literatur, 1871-1933 : ein Beitrag zur komparatistischen Imagologie. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1992). (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1356). Diss. Technische Hochschule Aachen, 1992. S. 175-195, 183-187, 194. (FanW1, Publication)
  • Person: Heyking, Elisabeth von
9 1908 Ular, Alexander. Die gelbe Flut ID D12463].
Ular schreibt : "Die Chinesen mussten zivilisiert werden, um ihnen [den Mächten] gemeinsam dauernde friedliche Herrschaft über die gefährliche gelbe Rasse zu sichern ; dies war das einzige Mittel, die Völker Europas zur Wahrung ihrer Kultur gegen die gelbe Flut zu einigen ; [wir werden dann] die Bewunderung der weissen Welt und die ewige Dankbarkeit der Gelben [haben]."

Luo Wei : Ular lässt in seinem Roman die konfuzianisch-vernünftige Sicht in seinem Roman weiterwirken. Durch die Schilderung von Entstehung, Wirken und Untergang eines deutsch-englisch-französischen Unternehmnes in China, wird einerseits bezweifelt und andererseits eine gegenseitige Ergänzung und Befruchtung der zwei Kulturen propagiert.

Li Changke : Der Roman spielt im Yangzi-Tal nach der Jahrhundertwende. Ular macht sich Gedanken über die jahrtausende alte Kultur und das Überleben des Chinesentums in der bedrohlichen imperialistischen Welt.

Zhang Zhenhuan : Der Roman beginnt mit der Schilderung der Flussregulierungsarbeit, um Chinas Flüsse mit europäischen Schiffen zu bedecken und so den Aussen- und Binnenhandel in die Hände der Weissen zu bringen… Im Rahmen der Darstellung der Konflikte zwischen China und dem Westen spielt das Problem der nationalen Identität eine zentrale Rolle… Aus verschiedenen Perspektiven wird der Gegensatz zwischen dem chinesischen Kollektivismus und dem westlichen Individualismus gezeichnet. Die Gegenüberstellung von China und Europa ist eine Grundstimmung der Zeit, Furcht vor China… Unterstrichen wird auch Bild des alten China mit seinen ewigen unerschütterlichen Traditionen, seinen ewigen Gesetzen, seiner Verwaltungsweisheit und den tausendjährigen Prinzipien… Dem durch den Individualismus zersplitterten Europa wird ein Spiegel vorgehalten, damit Europa aus seiner Selbstverherrlichung erwacht…. Der Konflikt zwischen dem Westen und China wird deutlich bei der Forderung nach dem sogenannten „Zivilisieren“ Chinas durch den Westen : Der hartnäckige Glaube an der Überlegenheit der eigenen Kultur auf beiden Seiten und der Macht- und Profitgier des Westens.
Einerseits wird im Roman Furcht vor China verbreitet, andererseits aber eine Bewunderung für die alten chinesische Kultur gezeigt.

Lucie Bernier : Ular ne contient, à l'exception des descriptions physiques des Chinois, aucune description géographique, culturelle ou religieuse. Après une lecture exhaustive, il est étonnant de constatet cette lacune puisque l'auteur exprime son admiration pour la culture chinoise et souhaite une communion des deux peuples.

Heinz Gollwitzer : Ular lässt als Vielschreiber notwendigerweise an Qualität zu wünschen übrig und als Lohnschreiber (wenn auch ersten Ranges) die Frage nach der Ehrlichkeit seiner Publikationen offen lässt… Es unterliefen ihm nicht wenige Widersprüche.
  • Document: Gollwitzer, Heinz. Die Gelbe Gefahr : Geschichte eines Schlagworts : Studien zum imperialistischen Denken. (Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1962). S. 157. (Goll1, Publication)
  • Document: Bernier, Lucie. Fin de siècle et exotisme : le récit de voyage en Extrême-Orient. In : Klincksieck : revue de littérature comparée ; vol. 53, no 1 (2001).
    http://www.cairn.info/article.php?ID_REVUE=RLC&ID_NUMPUBLIE
    =RLC_297&ID_ARTICLE=RLC_297_0043
    . (Bern, Publication)
  • Document: Luo, Wei. "Fahrten bei geschlossener Tür" : Alfred Döblins Beschäftigung mit China und dem Konfuzianismus. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 2003). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1896). Diss. Beijing-Univ., 2003. S. 47. (Döb2, Publication)
  • Person: Ular, Alexander
10 1914 Heyking, Elisabeth von. Tschun [ID D13180].
Der Roman spielt um die Jahrhundertwende und trägt autobiographische Züge aus ihren China-Erfahrungen. Der Hintergrund ist der Boxer-Aufstand. Heyking hat Mitleid mit dem chinesischen Volk und versucht Gefühle für das unterdrückte China zu mobilisieren. Sie kritisiert das imperial-kolonialistische Vorgehen Europas in China.

Heyking beginnt mit den Sätzen : "Tschun war ein schmutziger kleiner chinesischer Junge. Er war nicht schmutziger als andere kleine chinesische Jungen. Er war im Gegenteil etwas reiner. Denn Tschuns Mutter war Christin. Und Christentum bedeutet in China unter anderem auch gelegentliches Waschen."
Sie schreibt über den Sommerpalast : "Der Sommerpalast umfasste eine ganze Sammlung von Palästen, samt Hallen, Paogden, Pavillons und Kiosken. Die blutrote Umfassungsmauer mit ihrer goldenen Kachelkrönung wand sich wie ein seltsames Schlangenungetüm in Zickzacklinien um das ganze Gelände, Wälder, Gärten, Grotten, einen riesigen See, hochgeschwungene Marmorbrücken über Lotosteichen."

Fang Weigui : Heyking tritt als Augenzeugin der Ereignisse auf und macht zahlreiche Aussagen über den geschichtlichen Hintergrund der Boxer-Aufstandes. Sie bietet eine umfangreiche Darstellung vom Leben der einfachen Leute, den lokalen Verhältnissen und Sitten, über den Kaiserhof, Politik und Reform. Sie schildert nicht nur das Verhältnis zwischen China und den imperialistischen Mächten, die Schauer des Boxer-Aufstandes, sondern auch ausführlich die Plünderungen der Alliierten, von denen man damals nichts wusste oder nichts wissen wollte.

Zhang Zhenhuan : Die Bemerkung Heykings in Bezug auf die Jiaozhou-Frage, dass die Chinesen, diese schmutzigen Barbaren, welche nur die Dollar- oder Kanonensprache verständen, keine europäischen Gesandten, wohl aber europäische Herren bräuchten. Otto Franke schreibt über Elisabeth von Heyking und ihren Mann, die er persönlich gekannt hat : Über die Chinesen hatten beide die in Berlin und anderswo damals vorgeschriebenen Ansichten : sie galten für schmutzig, feige, zurückgeblieben und widerwärtig, gut genug nur dafür, dass man ihnen ihre Besitztümer abnehmen und auf ihrem Rücken die Karriere fördern konnte. Sich mit chinesischen Kulturfragen abzugeben, war das Zeichen eines subalternen Geistes, im besten Falle eine Gelehrtenschrulle ; es war nichts an diesem Volk, das man ernst nehmen musste.
Heyking hat in diesem Roman versucht, einen Chinesen zu gestalten, der sich deutlich von den „armseligen“ und „bösen“ Chinesen unterscheidet. Die Enttäuschung Tschuns über den Westen sollte eine Mischung aus dem persönlichen Schicksal und der Wiederentdeckung alter chinesischer Tugenden beinhalten.
Man findet in diesem Roman eine teilweise recht kritische Analyse der europäischen Kolonial- und Missionspolitik. Mit der Figur Tschun korrigiert Heyking das einst von ihr selbst vermittelte stereotype Bild der Chinesen.
  • Document: Mein Bild in deinem Auge : Exotismus und Moderne : Deutschland - China im 20. Jahrhundert. Hrsg. von Wolfgang Kubin. (Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995). S. 30. (KW6, Publication)
  • Document: Li, Changke. Der China-Roman in der deutschen Literatur 1890-1930 : Tendenzen und Aspekte. (Regensburg : S. Roderer, 1992). (Theorie und Forschung ; Bd. 209. Literaturwissenschaft ; Bd. 12). S. 115-116. (LiC1, Publication)
  • Document: Fang, Weigui. Das Chinabild in der deutschen Literatur, 1871-1933 : ein Beitrag zur komparatistischen Imagologie. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1992). (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1356). Diss. Technische Hochschule Aachen, 1992. S. 180-181. (FanW1, Publication)
  • Document: Bernier, Lucie. Fin de siècle et exotisme : le récit de voyage en Extrême-Orient. In : Klincksieck : revue de littérature comparée ; vol. 53, no 1 (2001).
    http://www.cairn.info/article.php?ID_REVUE=RLC&ID_NUMPUBLIE
    =RLC_297&ID_ARTICLE=RLC_297_0043
    . (Bern, Publication)
  • Person: Franke, Otto
  • Person: Heyking, Elisabeth von
11 1921 Karlin, Alma Maximiliana. Mein kleiner Chinese [ID D13135].
Die Geschichte spielt in China in der Zeit nach 1911.

Karlin schreibt : Selbst die chinesische Bühne, die wirklich für unsere Begriffe sehr langweilig und unschön ist, und bei der die Phantasie des Zuschauers fast alles Fehlende ersetzen muss, erfreut mit ihren fast kindlichen Darstellungen die Chinesen... aber die lärmenden Musikanten und die übereinfache Bühnenausstattung macht jeden Theatergang uns Europäern eher zu einer Folter als zu einem Vergnügen.

Zhang Zhenhuan : Karlin verbrachte auf ihrer Weltreise auch einige Zeit in China. Für ihren Roman wählt sie nur Orte, die sie besucht hat. Es ist anzunehmen, dass sie auch einen Teil der Informationen in London sammelte. Der Roman trägt autobiographische Züge… Der Versuch, Informationen über China umfassend zu vermitteln, dient dem Zweck, die Charaktere der Figuren mit dem Wesen des Landes in Zusammenhang zu bringen. Man hat das Gefühl, dass eine literarische Illustration der Charakteres aus Kürschners China [ID D2671] vorliegt. Die chinesischen Charaktere werden folgendermassen beschrieben : Vorgetäuschte Höflichkeit, Gefühllosigkeit, Grausamkeit, Verlogenheit bis zur Vorliebe für Lärm und Schmutz.
Karlin versucht den Eindruck zu erwecken, dass sie alles aus erster Hand und eigener Erfahrung weiss. Deshalb ist es kein Wunder, dass sie auf gängige Klischees zurückgreift.
Sie schreibt : Finger weg von den Asiaten ! Eine solche Beziehung verdirbt uns die Rasse.
  • Person: Karlin, Alma Maximiliana
12 1925 Grautoff, Ferinand. Fu, Gebieter der Welt [ID D13273]
Zhang Zhenhuan : Der Roman beginnt mit einem Zitat von Li Hongzhang : Es ist töricht von Euch Weissen, dass Ihr uns aus unserm Schlummer aufwecken wollt. Ihr werdet es bereuen, wenn wir einmal erwacht sind, und werdet dann den frühen Schlummer zurückwünschen.
Thema ist eine fiktiv-historische Protestbewegung der Bevölkerung in Mittelchina in den 1920er Jahren gegen die westlichen Mächte. Dr. Fu wird nicht als Individuum dargestellt, sondern als Verkörperung der chinesischen unheimlichen Masse.
Chinesen, die in anderen Romanen als dumm und unfähig beschrieben werden, sind hier als sehr gebildet dargestellt und beherrschen europäische Sprachen. Es besteht eine Gemeinsamkeit der Beziehung zwischen China und Deutschland, beide leiden nach dem 1. Weltkrieg unter der Herrschaft von England und Frankreich. Die Auseinandersetzung zwischen China und dem Westen wird ohne Deutschland ausgetragen. Der deutsche Ingenieur Wegener hofft, dass es China mit seiner Hilfe gelingen wird, Deutschland aus der Misere zu helfen. Um das zu realisieren, wird das Schlagwort „gelbe Gefahr“ umgedeutet in eine Vorstellung, dass China mit seiner nicht von der westlichen Zivilisation verdorbenen Menschenmasse in Zusammenarbeit mit Deutschland die Weltherrschaft erringt. Wegener glaubt : China ist eine werdende Macht und in einem Jahre holen die Chinesen technisch und wirtschaftlich Jahrzehnte nach.
13 1925 Salzmann, Erich von. Gelb gegen Weiss [ID D13241].
Salzmann schreibt : Ich kann China heute als meine zweite Heimat bezeichnen. Andrerseits behauptet er aber : Die Fremden kleben an China, lieben es, hassen es, und können doch nicht fort. 1932 schreibt er, dass man aus China fliehen muss, wenn man China nicht anheimfallen will.
14 1929 Paul Valéry schreibt im Vorwort von Sheng, Cheng. Meine Mutter [ID D13131] über China :
"China war uns lange ein getrennter Planet. Wir bevölkern ihn mit Phantasiegestalten, denn nichts ist natürlicher, als die andern auf das zu beschränken, was sie unserem Blick Bizarres bieten. Ein Kopf mit Perücke und Puder, oder mit einem Zylinder versehen, kann man sich langbezöpfte Köpfe nicht vorstellen. Diesem extravaganten Volk schrieben wir, durcheinander, zu : Weisheit und Albernheit, Schwäche und Dauerhaftigkeit, märchenhafte Trägheit und märchenhaften Fleiss ; Unwissenheit, aber Geschicklichkeit ; Naivität, aber unvergleichliche Spitzfindigkeit ; Nüchternheit und wunderbares Raffinement ; eine Unzahl lächerlicher Dinge. Man hielt China für riesenhaft und machtlos, erfinderisch und stationär, abergläubisch und atheistisch, grausam und philosophisch, patriarchalisch und korrupt, und verwirrt durch diese unsere durcheinandergewürfelte Vorstellung wussten wir nicht, wo wir China in das System unserer Zivilisation einreihen sollten, das wir unweigerlich auf Ägypter, Juden, Griechen und Römer beziehen ; da wir es nicht auf Barbarenrang herabwürdigen konnten, den es seinerseits uns verleith, noch zu unserer eigenen stolzen Höhe erheben, verlegen wir es in eine andere Sphäre und eine andere Chronologie, in die Katagorie dessen, was zugleich wirklich und unverständlich ist ; zeitgenössisch aber zeitlos."
15 1929 Karlin, Alma M. Einsame Weltreise [ID D13189].
Karlin schreibt : Ich hätte nicht die Hälfte meiner Novellen geschrieben, wenn ich nicht so viel durch all die Hintergässchen, in denen es von Verborgenem wogte, geirrt wäre… Dann fuhr der Zug an den elenden braunen Lehmhütten der Dörfer vorbei und erreichte zum Schulss Tientsin [Tianjin], die Stadt, in der Mein kleiner Chinese leben sollte. Aber da ich nicht sicher war, mit welcher Art Messer er mir bei der Begegnung den Hals durchschneiden würde, gab ich mich damit zufrieden, nur das Europäerviertel zu durchstreifen.

Zhang Zhenhuan : Karlin warnt die Leser vor einem Verhältnis mit Asiaten : Man muss im Orient gelebt haben, um zu verstehen, was es bedeutet, sich mit einem Eingeborenen vermählt zu haben… Man kann nicht mehr in seine eigene Gesellschaft zurückkehren… die Europäerin ist für immer aus dem Kreise ihresgleichen ausgestossen. Sie hat das Heiligste – ihre eigene Rasse – verraten… Die christliche Missionspolitik wird als Vergewaltigung der chinesischen Kultur entlarvt. Sie schreibt : Ich hatte nie Sympathie für die Missionare gefühlt, die ihre Überzeugung anderen Rassen aufzwangen.
  • Person: Karlin, Alma Maximiliana
16 1929 Salzmann, Erich von. China siegt [ID D3250].
Zhang Zhenhuan : Salzmann galt als der „hervorragendste Wortführer“ der Deutschen in China. Deshalb sollte er mit den damaligen chinesischen Sitten und Problemen recht vertraut gewesen sein. In seinen journalistischen Arbeiten ist eine Wandlung seiner Einstellung zu China zu beobachten, die vor allem in seiner Auseinandersetzung mit der China-Darstellung in den westlichen Medien dokumentiert ist. Nach fast dreissig Jahren China-Erfahrung lehnte er ab, dass man das Problem nach einer Reihe von „Schlagwortschlüsseln“ behandelt, und kommt zur Erkenntnis : „In China wird genau so mit Wasser gekocht wie in Europa“. Genau dieser Umstand, dass er China nicht bloss aus Büchern kennt, sondern auch aus lebendiger Erfahrung, gibt Anlass zu untersuchen, ob sein fast 30 Jahre langer Aufenthalt in China, seine Reisen kreuz und quer durch das Land, sowie seine chinesischen Sprachkenntnisse ihm die Möglichkeit gaben, die gängigen Vorurteile jener Zeit zu überprüfen.
Salzmanns Einstellung zu China ist widerspruchsvoll. Zwar enthalten seine Reiseberichte eigenwillige Detailbeobachtungen und momenthafte Eindrücke chinesischen Lebens, doch treten diese konkreten Erfahrungen chinesischen Lebens eindeutig hinter eine extreme Sterotypisierung des chinesischen Charakters zurück.

Salzmann schreibt : Die Welt wurde es müde, von den Versprechungen flüchtiger Besuchsjournalisten oder jener Politiker, die China um jeden Preis gut und bewunderungswürdig finden, zu leben, denn diese Versprechungen sind so gut wie niemals realisiert worden. Sie wurden gemacht, weil die Betreffenden die Chinesen nur wenig kannten, weil sich von den Verherrlichern Chinas nur ein geringer Teil die Mühe und Strapazen auflud, dieses Land wirklich einmal im Innern kennenzulernen. Die guten und die schlechten Urteile über China, die sich im diametralen Gegensatz in fast monatlich erscheinenden Büchern aller Sprachen folgen, entstammen doch zumeist nur den Anschauungen der sogenannten Vertragshäfen oder dem faszinierenden Peking-Milieu, in dem die Diplomaten aller Länder ein herrliches und bequemes Sinekurendasein führen.
Wenn man erwartet, dass Salzmann aufgrund seiner reichhaltigen autobiographischen Chinaerfahrungen sich darum bemühen würde, konventionelle Chinastereotype zu korrigierung und einem gesättigten Denken entgegenzuarbeiten, der sieht sich in diesem Buch enttäuscht… Die Aussagen seiner Reiseberichte und die seiner Romane widersprechen sich teilweise sehr stark…
17 1930 Lücke, Walter. Ins Land der fliegenden Köpfe [ID D3264].
Er schreibt : Das asiatische Riesenvolk gleicht einer Sphinx !... Täglich gibt es uns neue Rätel zu lösen, und hinter dem freundlich lächelnden Gesicht des Chinesen, ist das wahre Gesicht des Reiches der Mitte in gehimnisvolles Dunkel gehüllt. Die Seele des chinesischen Volkes gleicht einem Bergsee. In wundervollen Farben glitzert die Oberfläche, doch seine Tiefe ist unergründlich. Unter dem Spiegel seiner Wellen an der Oberfläche liegen dunkle, unbekannte Welten, und kein Taucher vermag in jenes Reich der Unterwelt hinabzusteigen. Der Chinese sagt meistens 'ja', wenn man eine Frage an ihn richtet, doch er denkt gar nicht daran, auch dementsprechend zu handeln.
18 1932 Salzmann, Erich von. Yolanthe Lewenegg [ID D13123].
Li Changke. Der Roman enthält ein schlechtes China-Bild. China und die Chinesen sind grausam und herzlos.

Zhang Zhenhuan : Der Roman hat direkt die Auseinandersetzung zwischen Deutschland und China zum Thema, der Schauplatz ist sowohl Deutschland als auch China. China ist nicht bloss Schauplatz, sondern ein wichtiger Bestandteil… Er versucht, verschiedene Chinesenbilder, die damals unter der Bevölkerung herrschten, aus verschiedenen Perspektiven zu zeigen : aus der unteren und der höheren Gesellschaftsschicht… Er entwickelt die in seiner Zeit geläufigen vorurteilhaften Sterotypen, aber dennoch bereits rhetorische Firguen des Zweifels verwendend, erzählt er von der angeblich uralten Kultur Chinas und der Höflichkeit und Ehrerbietung aller Chinesen. Er zweifelt jedoch an diesem hyperpositiven Chinabild, unternimmt aber keine Richtigstellung, sondern vielmehr eine Uminterpretation auf der Grundlage der zeitgemässen Beurteilung über China… Yolanthe sieht während ihres Aufenthaltes nur Ekel, Greueltaten und Brutalität.
Im Kontrast zu China werden immer wieder die Humanität, die Gerechtigkeit, die Fortschritte, die Ordnung bis hin zu Sauberkeit und Fleiss in Deutschland dargestellt.
Neben recht vielen autobiographischen Zügen ähnelt nicht nur die Reiseroute von Yolanthe der von Salzmann, sondern viele Erlebnisse sind fast identisch. So z.B. werden die Sänftenträger folgendermassen dargestellt : Sie schrien sich gegenseitig an, schimpften, spuckten. Es schien jeden Augenblick in eine Schlacht auszuarten. Aber das war nur eine harmlose Unterhaltung. Im Reisebericht schreibt er : Ich mochte diese Leute gern. Ich wäre für die mit meinem Leben in der Not eingesprungen. Ich wusste, dass sie uns auch nicht im Stich gelassen hätten. Zwischen uns entspann sich ein unbedingtes Vertrauensverhältnis, was nur zeigt, dass weisser und gelber Mann durchaus nebeneinander in Frieden leben können, ohne über Hautfarbe und Schlagwörter nachzudenken.
Hass und Enttäuschung durchdringen fast jede Seite dieses Romans.
Salzmann kann an seinem Chinabild keine Korrekturen anbringen.
19 1933 Ilse Langner reist mit ihrem Mann Werner Siebert um die Welt und macht einen längeren Aufenthalt in China.
  • Person: Langner, Ilse (Pseud.)
20 1937 Langner, Ilse. Die purpurne Stadt [ID D13207].
Zhen Zhenhuan : Thema des Romans ist das Schicksal der Europäer im modernen China von 1933, im selben Jahr als Langner in China war.
Horst Schumacher schreibt im Nachwort zur 2. Aufl. : Langner hat beobachtet und gestaltet, wie die Europäer sich der Begegnung mit China stellen oder ihr erliegen, Im Unterschied etwa zu Pearl S. Buck, deren Anliegen die Ergründung von Chinas Wesen und die Darstellung des dortigen Elends war. Die Hauptpersonen sind Gloria, die autobiographische Züge trägt, auf der Suche nach einem märchenhaften China und Roy, der für einen chinesischen General arbeitet. Das Exotische trifft sich mit der Klage über den Verlust der alten Kultur. Der Versuch, in China ein Stück märchenhaftes Land zu entdecken, führt zur sterotypen Darstellung der Landschaft.
Nach Langer zählen die Mädchen in China nicht, wichtig sind nur die Söhne. Langner beschreibt zwei gegensätzliche chinesische Frauen-Typen : Mön Yülo die erste, ist eine Frau vom alten ehrwürdigen China, sie hat gebundene Füsse und bleibt meistens stumm. Für sie ist alles, was aus dem Westen kommt schädlich für die Chinesen, die von den westlichen Sitten verdorben werden. Yü Dji, die zweite Frau betet alles Fremde an. Roy will aus ihr etwas Ausserordentliches, und zwar die vollendete Mischung aus Gelb und Weiss schaffen.
Da die chinesischen Frauen im Roman nach dem Gesetz wenig Recht haben, um so uneingeschränkter beherrschen sie die Hausgemeinschaft, kennen alle Schlupfwinkel der Bosheit und werden selbst vor Grausamkeit nicht zurückschrecken, um ihr verletztes Ansehen zu rächen.
Die Fremdenfeindlichkeit wird als ein Grundzug des chinesischen Charakters bezeichnet. Auch nach jahrelangem Kontakt und Freundschaft zwischen Chinesen und Europäern ändert sich nichts daran. Den Chinesen wird auch bescheinigt, dass sie kein Mitgleidsgefühl kennen, weil sie keine Christen sind. Andere werden als „Heilige“ beschrieben : Tradition, Güte und Bescheidenheit, kombiniert mit Herz und Ahnenkult.
Langner kritisiert auch den Kolonialismus, China ist von der westlichen mechanischen Zivilisation mit Gewalt überrannt worden, was den Reichtum einiger Europäer erhöht hat und eine Verflachung der chinesischen Kultur und Verarmung des chinesischen Volkes bewirkt hat.
Zivilisationskritik bedeutet bei Langner fundamentale Kritik an der Zerstörung der altchinesischen Kultur durch Aufzwingen und blinder Nachahmung westlicher Zivilisation. In der Tradition der Idealisierung der altchinesischen Kultur bezeichnet sie die Suche nach dem wahren Glück im Innern eines Menschen als das höchste Ideal : „Das Herz ist Buddha, und Buddha ist Herz“. In diesem Roman schwankt das Chinabild zwischen den Klischees der Idealisierung des märchenhaften alten China und Ablehnung des neuen chaotischen China. Ein Brückenschlag zwischen China und Europa scheitert.

Horst Denkler : Ihren eigenen Asien-Erlebnissen entsprechend und übereinstimmend mit der nationalsozialistischen Ideologie, die nationale Identität auf Rassenreinheit gründet, greift Langner als Thema das Problem, die Herausforderung und die Entscheidungsalternative des weissen Europäers und des weissen Deutschen, den Reizen der gelben Fremde zu verfallen und sich mit dem fremden Blut der gelben Rasse zu vermischen oder sich gegen beide Versuchungen zu behaupten und dem eigenen Gesetz treu bleiben. Im Roman werden aber auch Meinungen und Aussagen geäussert, die nicht der Überzeugung der deutschen Nationalsozialisten entspricht. Langner warnt davor, einen einzelnen im Guten oder im Bösen für sein ganzes Volk, seine ganze Rasse verantwortlich zu machen.
Nach dem Sturz des Nazi-Regimes, bereut Langner ihre Anpassungsbereitschaft und bereitet eine neue Auflage des Romans vor. Trotzdem lässt sich der Text nicht gänzlich entnazifizieren. Denn der Rassenkonflikt zwischen Gelb und Weiss bleibt strukturprägend.
  • Document: "Wenn Freunde aus der Ferne kommen" : eine west-östliche Freundschaftsgabe für Zhang Yushu zum 70. Geburtstag. Naoji Kimura & Horst Thomé (Hrsg.). (Bern : P. Lang, 2005). (Deutsch-ostasiatische Studien zur interkulturellen Literaturwissenschaft ; Bd. 3). S. 59-65. (Kim1, Publication)
  • Person: Langner, Ilse (Pseud.)
21 1939 Baum, Vicki. Hotel Shanghai [ID D13147].
Zhang Zhenhuan : Als Quelle nennt Baum Malraux, André. La condition humaine [ID D13269], dessen Thema sie bei ihrer Figur Dr. Chang verwendet. Der Roman spielt am Vorabend des Bombenangriffs auf Shanghai 1937, kurz vor dem chinesisch-japanischen Krieg. Durch Zufall kreuzen sich die Lebenswege von neun Menschen aus der ganzen Welt. Für alle Figuren ist es eine Zeit der Katastrophen, denn sie alle sind mit der Hoffnung nach Shanghai gekommen, hier ihre Wünsche zu erfüllen. Was sie dann aber in Shanghai erleben, wo Rastlosigkeit und Unersättlichkeit, Gottlosigkeit und Verdorbenheit herrschen aber auch chaotische Buntheit, ist nicht nur der Verlust ihrer Identitäten, sondern auch ihres Lebens. Beim Bombenangriff wird das Hotel vernichtet und die Hauptfiguren finden den Tod. Die Figuren sind mit grosser Hoffnung nach Shanghai gekommen, um einen Ausweg für ihre Probleme zu suchen, die sie in der Heimat nicht lösen konnten.
Die chinesischen Figuren werden zwar mit viel Sorgfalt und Einfühlung dargestellt, jedoch weisen sie allerlei stereotypische, den Chinesen zugeschriebene Charakterzüge auf. Die Fremden verachten und bewundern die Chinesen, die Chinesen verachten und bewundern die Fremden.
In Harmonie mit der konfuzianischen Weisheit, in der ein Mensch nur ein kleiner Bestandteil einer allumfassenden Ordnung ist, wird ein Bild vom alten China gezeichnet, wo alle Chinesen, selbst der ärmste Kuli, glücklich leben können.
Baums Lebensphilosophie ist, sich selbst und die Welt als solche nicht zu wichtig zu nehmen. In ihren Erinnerungen schreibt sie, dass sie immer dann besonders glücklich sei, wenn es ihr gelingt, den Kontakt mit primitiven Menschen aufzunehmen : „Wenn Sie echtes Glück sehen wollen, betrachten Sie einen chinesischen Kuli, wenn er seinen Reis isst und mit seinen Freunden scherzt“.
Um einen Ausweg aus der Identitätskrise zu finden, reist Dr. Chang, eine der Hauptfiguren, durch China. Zum ersten Mal sieht er das Elend und die Armut des Volkes. Zugleich entdeckt er die grosse Lebensfreude, die Bescheidenheit und den Fleiss des Volkes. Er schliesst sich der revolutionären Bewegung an und erfährt dann Gewalt.
Baum schreibt über die Stellung der Frau : „Wenn eine Frau der Familie keinen männlichen Nachwuchs sichern kann, ist sie wertlos, und reiche Männer nehmen sich Konkubinen“.
Es ist Baum trotz genauer Beobachtungsgabe nicht gelungen, den zeitgemässen Vorstellungen über China, die Chinesen und vor allem Shanghai entgegenzuwirken.

Christian von Zimmermann : Vicki Baum schliesst an die spannenden trivialen Shanghai-Romana an, gibt aber zugleich ein differenziertes Bild der politischen und sozialen Verhältnisse. Durch das internationale Nebeneinander, der die Lebensläufe und Konflikte von Emigranten, Abenteuern, Touristen und Chinesen unterschiedlicher sozialer Schichten gleichgewichtig nebeneinander entwickelt, werden den Lesern neutrale Kulturvergleiche ermöglicht, während die Figuren in ihrer subjektiven Lebensperspektive befangen bleiben.
  • Document: Zimmermann, Christian von. Schanghai – Zuflucht, Ghetto, Passage : Indentitätsbedürfnisse und Fremdheitserfahrungen in Exiltexten jüdischer Migranten. In : Exil : Forschung, Erkenntnisse, Ergebnisse ; Jg. 25 (2005). [Shanghai]. (Zim10, Publication)
  • Person: Baum, Vicki
22 1940 Löhndorff, Ernst Friedrich. Yangtsekiang [ID D13216].
Zhang Zhenhuan : Der Roman spielt in den 1930er Jahren in China. Die Hauptperson ist der deutsche Ingenieur Wendt.
Löhndorff beginnt mit den Worten : So gelb wie die Haut der rätselhaft lächelnden, geduldigen Menschen. Gelb wie die Gegend, die der Yangtsekiang durchfliesst ! Gelb wie die Prachtgewänder der alten Mandschukaiser. So gelb wie die Segel und das Holz der Dschunken. Gelb wie die unermesslichen Sümpfe und Seen. Not und Tod, Zwist und Verzweiflung bedrohen diese gelben Menschen, aber fast immer lächeln sie. Warten sie und lächeln, lächeln…
Die Person Wendt erfährt, dass diese ewig lächelnden und stets höflichen Chinesen unzählige gute und bewundernswerte Charakterzüge besitzen, aber auch, dass die Moral Chinas von der westlichen so verschieden ist wie Tag und Nacht : „Wir Europäer werden nie China verstehen, aber ihr Chinesen versteht uns auch nicht“.
Löhndorff schreibt : „China, das Land der guten, segenspendenden Drachen und der höflichen, geduldigen, leidenden und immer lächelnden Menschen ! China, das Land, das ihr Europäer mit euerer Kultur und mit eurem Handel nie erobern werdet, wenn ihr es euch auch einbildet ! China ist China !

Zum lächelnden Chinesen wird auch das Bild des geduldigen Chinesen gezeigt, der die asiatische, alles hinnehmende, nie verwzeifelnde Gelassenheit hat : „Die Geduld des Chinesen ist zwar bewundernswert und schier unendlich, aber in gewissen Dingen reisst sie sehr bald. Und die Hast und Grobheit Europas empfindet jeder Chinese schmerzlich und handelt danach, imdem er den weissen Teufel einfach lächelnd ignoriert oder ihn lächelnd in die Irre schickt“.
Löhndoff beschreibt auch die Grausamkeit, die zu einem Chinabild jener Zeit gehört. Löhndorff will das Chinabild korrigieren, verbreitet aber andere stereotype Ansichten. Das alte China ist bezaubernd und märchenhaft, aber erstarrt und greisenhaft. Dagegen ist das junge China abstossend, chaotisch und unheimlich. Er weist auf auf die Moralschwäche der Engländer hin, die die Chinesen mit dem Opium verdorben haben und hebt die Stärke Deutschlands in allen Aspekten hervor.
  • Person: Löhndorff, Ernst Friedrich

Sources (3)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 1900 Werner, R[einhold] von. Entscheidungskampf der europäischen Völker gegen China. (Chemnitz : [s.n.], 1900). Publication / Wern2
2 1901 Enzberg, Eugen von. Drachenbrut : Antheilnahme Deutschlands an den Kämpfen in China : der reiferen Jugend erzhält. (Berin : [s.n.], 1901). Publication / Enz1
3 1963 Kaim, Julius Rudolf. Damals in Shanghai. (München : Prestel, 1963). [Exil in Shanghai 1920er und 1930er Jahre]. Publication / Kaim1

Cited by (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2000- Asien-Orient-Institut Universität Zürich Organisation / AOI
  • Cited by: Huppertz, Josefine ; Köster, Hermann. Kleine China-Beiträge. (St. Augustin : Selbstverlag, 1979). [Hermann Köster zum 75. Geburtstag].

    [Enthält : Ostasieneise von Wilhelm Schmidt 1935 von Josefine Huppertz ; Konfuzianismus von Xunzi von Hermann Köster]. (Huppe1, Published)