Keyserling, Hermann. Das Reisetagebuch eines Philosophen [ID D3039].
Er schreibt : Demnach bedeutet das Chinesentum einerseits ein Überbleibsel aus vergangenen Entwicklungsstadien, andererseits eine Vorwegnahme des Zukunftsideals. Für mich besteht kein Zweifel darüber, dass der Höchstgebildete künftiger Zeiten dem traditionallen Konfuzianer näher stehen wird als dem modernen Menschen, dass die soziale Ordnung der Zukunft der chinesischen ähnlicher sehen wird als dem, was unsere Utopisten erhoffen.
Li Changke : Keyserling richtet sich vornehmlich auf die gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Aspekte in China. Er schreibt : Das Land ist ein Land des ewigen Friedens und der Ordnung… Das Chinesentum bedeutet einerseits ein Überbleibsel aus vergangenen Entwicklungsstadien, andrerseits eine Vorwegnahme des Zukunftsideals. Für mich besteht kein Zweifel darüber, das der Höchstgebildete künftiger Zeiten dem traditionellen Konfuzianer näher stehen wird als dem modernen Menschen, dass die soziale Ordnung der Zukunft der chinesischer ähnlicher sehen wird als dem, was unsere Utopisten erhoffen.
Liu Weijian : Als Gast von Richard Wilhelm lernte Keyserling persönlich die 'Alten von Tsingtau' [Qingdao] kennen und gewann einen Einblick in die höchsten Möglichkeiten chinesischen Menschentums. Ihre überindividuelle Gelassenheit gegenüber dem schweren Schicksal und ihre innere Freiheit sowie Vitalität übertrafen Hermann von Keyserlings Erwartung und brachten ihn zu der Erkenntnis, daß der Konfuzianismus keine bloße rationalistische Morallehre, sondern das abstrahierte Schema einer gelebten oder zu lebenden Wirklichkeit sei. Er war davon überzeugt, daß der Höchstgebildete künftiger Zeiten dem traditionellen Konfuzianer, der sich als Teil der ganzheitlichen Lebenswelt begreife, näher stehen werde als dem modernen westlichen Individualisten. Es war, so bemerkte Richard Wilhelm als Augenzeuge, Keyserlings aufrichtige Absicht einer gegenseitigen Verständigung, die das Mißtrauen der Chinesen zerstreute und ermöglichte, das Tiefere aus dem Sein und der Persönlichkeit zu entnehmen und sich in den tiefsten Prinzipien zu verstehen. Eben dadurch wird die Kolonie Qingdao in einen Ort zum lebendigen Kulturaustausch umfunktioniert.
Die verschiedenen Verarbeitungen des Qingdao-Themas zeigen einen dynamischen Prozess, der durch die Zeitbedürfnisse bestimmt wird. So wird kurz nach der deutschen Besitzergreifung Qingdao als ein aus der regressiven Mandarinherrschaft befreites Land dargestellt.
Fang, Weigui : Keyserling wünscht sich als 'Weiser', als ein die Welt Verstehender, ein Neuordner der Welt, anerkannt zu werden. Auf der einen Seite hatte er Bewunderer, auf der anderen Seite radikale Gegner. In der Vorrede zu seinem Reisetagebuch, das ihn weltberühmt macht, schreibt er : Vorliegendes Tagebuch bitte ich zu lesen wie einen Roman.
Keyserling schreibt : China ist das einzige Reich, welches je für eine längere Periode die soziale Frage gelöst hätte, das einzige, in dem die Masse der Bewohner je glücklich war ; mithin das einzige, welches das absolute sozial-politische Ideal der Erscheinungswelt je eingebildet hätte… Und wenn man bedenkt, dass das grosse chinesische Reich schon Jahrtausende entlang kaum schlechter regiert worden ist als das moderne Europa, und dieses ohne die Vermittlung eines Mechanismus, der die Menschen automatisch in Ordnung hielte, einzig dank der moralischen Qualifiziertheit seiner Bürger, so muss man zugeben, dass das durchschnittliche Niveau moralischer Bildung beim chinesischen Literaten ausserordentlich hoch sein muss. Ausserordentlich hoch ist es jedenfalls bei denen, mit welchen ich in Berührung gekommen bin… In diesem Riesenreich, in welchem noch nie radikale Massnahmen gegen bestehende Missbräuche ergriffen worden sind, hat im grossen mehr und dauerndere Ordnung geherrscht als in allen energischer betriebenen Staatswesen ; in diesem Land ohne Polizei, mit Behörden von zweifelhafter Integrität wird im ganzen weniger gestohlen, gemordet, veruntreut, gestritten, gehadert als im so wohlorganisierten Deutschen Reich…
Dass die höchste Moral der gebildeten Chinesen erreicht worden ist, sieht Keyserling durch den Einfluss zweier Bücher : "Das ist das Werk zweier Schriften, die seit über zweitausend Jahren alle Erziehung im Reich der Mitte inspiriert haben : das Buch von der Ehrfurcht, das Hiau ging [Xiao jing], und des eigentlichen Katechismus der chinesischen Zivilisation, des Buches der Riten [Li ji]".
Das Chinabild von Keyserling ist vor allem von Literaten, hohen Beamten, Konfuzianern, Taoisten und Buddhisten und von Büchern beeinflusst worden. Er zeichnet kein objektives Bild, interessiert sich nicht für den Alltag und das chinesische Gesellschaftssystem.
Luo Wei : Keyserling glaubt in dem Geist des chinesischen konfuzianischen Klassizismus eine Zukunftshoffnung zu entdecken.
Literature : Occident : China as Topic
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Literature : Occident : Germany
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Philosophy : Europe : Germany