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Document (Web, 2008)

Year

2008

Text

Nietzsche Archiv Weimar : Nietzsche Spuren : China : http://www.friedrichnietzsche.de/. (NAW)

Type

Web

Mentioned People (1)

Nietzsche, Friedrich  (Röcken bei Lützen 1844-1900 Weimar) : Philosoph, Klassischer Philologe

Subjects

Philosophy : Europe : Germany / References / Sources

Chronology Entries (2)

# Year Text Linked Data
1 1869-1908 Friedrich Nietzsche : Zitate über Buddhismus und Christentum
Fragmente I (1869-1871)

Heft (1870-1871)
Der Verehrungstrieb als Lustempfindung am Dasein schafft sich ein Objekt.
Wo diese Empfindung fehlt - Buddhismus.
Buddha übergab sich den dramatischen Vorstellungen, als er mit seiner Erkenntnis durchgedrungen war: ein Schlußsatz…
Das siebente Gebot Buddha's an seine Jünger ist - sich öffentlicher Schauspiele zu enthalten…
Buddha: "lebt ihr Heiligen, indem ihr eure guten Werke verheimlicht und eure Sünden sehen laßt“…
Wir haben es Buddha nachzumachen, der die Weisheit der Wenigen nahm und davon einen Theil zum Nutzen der Menge ausprägte.
Mappe mit losen Blättern (1871)
Und was sollen wir vor allem von den Griechen lernen? Durch unsere Philosophie nicht zum thatlosen Ausruhen, durch unsere Musik nicht zu orgiastischen Wesen zu werden? Vor dem Buddhaismus soll uns die Tragödie, vor dem Musikorgiasmus ebenfalls der Mythus in der Tragödie retten…
Sonderbare Erzählung über Buddha, der in der Feier des Frühlingsanfanges, da mit dem zugleich der siegreiche Kampf des Stifters der Lehre gegen die falschen Lehren überhaupt festlich begangen wird ---. Hier gibt er sich dramatischen Vorstellungen hin. Priester in orgiastischer Trunkenheit und Ausgelassenheit: Buddha selbst über seine Erlösung unzähliger Menschen, acht Tage lang weltliche Ergötzungen.
"Rad Wasserblase, hohle Bogenlinie."
Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872)
Mit diesem Chore tröstet sich der tiefsinnige und zum zartesten und schwersten Leiden einzig befähigte Hellene, der mit schneidigem Blicke mitten in das furchtbare Vernidhtungstreiben der sogenannten Weltgeschichte, eben so wie in die Grausamkeit der Natur geschaut hat und in Gefahr ist, sich nach einer buddhaistischen Verneinung des Willens zu sehnen. Ihn rettet die Kunst, und durch die Kunst rettet ihn sich - das Leben.
Fragmente II (1872-74)
Mappe : Aufzeichnungen zu "Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen", Aufzeichnungen zu "Über Wahrheit und Lüge" (1872-1873)
Dreierlei nicht mit Parmenides Seinslehre zu verwechseln:
1) die Frage: können wir einen Inhalt im Denken finden, der im Sein ist?
2) die primären Eigenschaften, im Gegensatz zu den sekundären
3) Konstitution der Materie. Schopenhauer.
4) Keine buddhaische Traumphilosophie.
Unzeitgemäße Betrachtung (1873-1876)
Die Frage aber: sind wir noch Christen? verdirbt sofort die Freiheit der philosophischen Betrachtung und färbt sie in unangenehmer Weise theologisch; überdies hat er dabei ganz vergessen, daß der grössere Theil der Menschheit auch heute noch buddhaistisch und nicht christlich ist…
Jeder Mensch pflegt in sich eine Begrenztheit vorzufinden, seiner Begabung sowohl als seines sittlichen Wollens, welche ihn mit Sehnsucht und Melancholie erfüllt; und wie er aus dem Gefühl seiner Sündhaftigkeit sich hin nach dem Heiligen sehnt, so trägt er, als intellectuelles Wesen, ein tiefes Verlangen nach dem Genius in sich. Hier ist die Wurzel aller wahren Kultur; und wenn ich unter dieser die Sehnsucht der Menschen verstehe, als Heiliger und als Genius wiedergeboren zu werden, so weiss ich, daß man nicht erst Buddhaist sein muss, um diesen Mythus zu verstehen…
Es ist gar nicht zu bestimmen, wie frühzeitig Schopenhauer dieses Bild des Lebens geschaut haben muss, und zwar gerade so wie er es später in allen seinen Schriften nachzumalen versuchte; man kann beweisen, daß der Jüngling, und möchte glauben, daß das Kind schon diese ungeheure Vision gesehn hat. Alles, was er später aus Leben und Büchern, aus allen Reichen der Wissenschaft sich aneignete, war ihm beinahe nur Farbe und Mittel des Ausdrucks; selbst die Kantische Philosophie wurde von ihm vor Allem als ein außerordentliches rhetorisches Instrument hinzugezogen, mit dem er sich noch deutlicher über jenes Bild auszusprechen glaubte: wie ihm zu gleichem Zwecke auch gelegentlich die buddhaistische und christliche Mythologie diente. Für ihn gab es nur Eine Aufgabe und hunderttausend Mittel, sie zu lösen: Einen Sinn und unzählige Hieroglyphen, um ihn auszudrücken.
Fragmente III (1874-1876)
Mappe loser Blätter : Notizen zu 'Wir Philologen' ; Vorarbeit zu 'Richard Wagner in Bayreuth'.
Gehet hin und verbergt eure guten
Werke und bekennt vor den Leuten
die Sünden, die ihr begangen.
Buddha.
Es sind Elemente da in Wagner, die reaktionär erscheinen: das Mittelalterlich-christliche, die Fürstenstellung, das Buddhaistische; das Wunderhafte…
Wenn nun Wagner bald den christlich-germanischen Mythus, bald Schiffahrer-Legenden, bald buddhaistische, bald heidnisch-deutsche Mythen, bald protestantisches Bürgerthum nimmt, so ist deutlich, daß er über der religiösen Bedeutung dieser Mythen frei steht und dies auch von seinen Zuhörern verlangt; so wie die griechischen Dramatiker darüber frei standen und schon Homer.
Heft (1875) : Der Werth des Lebens von E. Dühring 1865
Und so geht die unverschämte Schimpferei vor; darin kommt vor: "die Entwurzelung alles Großen und Edlen, die Verhöhnung und Anfeindung aller humanen Empfindungen und Gefühle" -; "im Bunde mit der Ausschweifung und der abgestumpften Ausgelebtheit" -"geht eine vermeinte Philosophie dann kühn daran, den Haß des Lebens und des Lebendigen auszusäen." Nun denke man dabei einmal an Buddha und Christus usw.!
Fragmente IV (1877-1879)
Mappe loser Blätter (1876-1877)
Wie wenig geforderte Liebe überhaupt zu bedeuten hat, namentlich aber eine Liebe dieser indirekten Art, wie die christliche Nächstenliebe, das hat die Geschichte des Christenthums bewiesen: welche im Gegensatz zu den Folgen der buddhaistischen, reissenden Moral durchweg gewaltsam und blutig ist.
Menschliches, Allzumenschliches (1878-1880)
Bd. 1 : 9. Hauptstück : Der Mensch mit sich allein
Die religiös strengen Menschen, welche gegen sich selber unerbittliche Richter sind, haben zugleich am meisten Uebles der Menschheit überhaupt nachgesagt: ein Heiliger, welcher sich die Sünden und den Anderen die Tugenden vorbehält, hat nie gelebt: ebensowenig wie jener, welcher nach Buddha's Vorschrift sein Gutes vor den Leuten verbirgt und ihnen sein Böses allein sehen läßt.
Fragmente V (1880)
Notizbuch (1880)
Zeichen des nächsten Jahrhunderts: 1) das Eintreten der Russen in die Kultur. Ein grandioses Ziel. Nähe der Barbarei, Erwachen der Künste. Großherzigkeit der Jugend und phantastischer Wahnsinn und wirkliche Willenskraft. 2) die Sozialisten.
Ebenfalls wirkliche Triebe und Willenskraft. Association. Unerhörter Einfluß Einzelner. Das Ideal des armen Weisen ist hier möglich. Feurige Verschwörer und Phantasten ebenso wie die großen Seelen finden ihres Gleichen. - Es kommt eine Zeit der Wildheit und Kraftverjüngung. 3) die religiösen Kräfte könnten immer noch stark genug sein zu einer atheistischen Religion á la Buddha, welche über die Unterschiede der Konfession hinweg striche, und die Wissenschaft hätte nichts gegen ein neues Ideal. Aber allgemeine Menschenliebe wird es nicht sein! Ein neuer Mensch muß sich zeigen. - Ich selber bin ferne davon und wünsche es gar nicht! es ist aber wahrscheinlich…
Die sittliche Delikatesse und der hohe Geschmack in den Erzählungen von Jesus wird vielleicht von uns nicht abzuschätzen sein, weil wir damit geimpft worden sind, daß hier der höchste Geschmack des Guten sei. Was würde Aristoteles empfinden! Was Buddha!
Fragmente VI (1881-1882)
Manuskript (1881)
Überall wo verehrt, bewundert, beglückt, gefürchtet, gehofft, geahnt wird, steckt noch der Gott, den wir todt gesagt haben - er schleicht sich allerwegen herum und will nur nicht erkannt und bei Namen genannt sein. Da nämlich erlischt er wie Buddhas Schatten in der Höhle - er lebt fort unter der seltsamen und neuen Bedingung, daß man nicht mehr an ihn glaubt. Aber ein Gespenst ist er geworden! Freilich!...
An einem jeden Moralsysteme wäre die Menschheit zu Grunde gegangen, wenn im Großen nach ihm gelebt worden wäre - das ist leicht einzusehen: die Menschheit besteht noch vermöge ihrer unüberwindlichen "Unmoralität". Aber, was vielleicht weniger einleuchtet und doch nicht weniger gewiß ist: auch der Einzelne, der nach seinem Glauben vollkommen war als Vollstrecker seines moralischen Willens, ein Jesus, ein Epiktet, ein Zarathustra, ein Buddha, auch ein Solcher hat ebenso nur vermöge der tiefsten und gründlichsten "Unmoralität" gelebt und fortgelebt, so wenig ihm dieselbe ins Bewußtsein getreten ist.
Morgenröthe (1881)
1. Buch
Wie viel Dichterei und Aberglaube hier auch immer dazwischengelaufen sein mag: die Sätze sind wahr! Einen Schritt weiter: und man warf die Götter bei Seite, - was Europa auch einmal thun muß! Noch einen Schritt weiter: und man hatte auch die Priester und Vermittler nicht mehr nöthig, und der Lehrer der Religion der Selbsterlösung, Buddha, trat auf: - wie ferne ist Europa noch von dieser Stufe der Cultur!
5. Buch
Ich liebe die Menschen, welche durchsichtiges Wasser sind und die, mit Pope zu reden, auch "die Unreinlichkeiten auf dem Grunde ihres Stromes sehen lassen." Selbst für sie giebt es aber noch eine Eitelkeit, freilich von seltener und sublimirter Art: Einige von ihnen wollen, daß man eben nur die Unreinlichkeiten sehe und die Durchsichtigkeit des Wassers, die dieß möglich macht, für Nichts achte. Kein Geringerer, als Gotama Buddha, hat die Eitelkeit dieser Wenigen erdacht, in der Formel: "lasset eure Sünden sehen vor den Leuten und verberget eure Tugenden!" Dies heißt aber der Welt kein gutes Schauspiel geben, - es ist eine Sünde wider den Geschmack.
Fragmente VI (1881-1882)
Die Moral der Ausgewählten oder die freie Moral.
Wir als die Erhalter des Lebens.
Unvermeidlich entstehend die Verachtung und der Haß gegen das Leben. Buddhismus. Die europäische Thatkraft wird zum Massen-Selbstmord treiben. Dazu: meine Theorie der Wiederkunft als furchtbarste Beschwerung.
Wenn wir nicht uns selber erhalten, geht Alles zu Ende. Uns selber durch eine Organisation.
Die Freunde des Lebens.
Nihilismus als kleines Vorspiel.
Unmöglichkeit der Philosophie.
Wie der Buddhismus unproduktiv und gut macht, so wird auch Europa unter seinem Einfluß: müde!
Heft (1882)
Das Ausbrechen ganzer moralischer Strömungen als Korrekturen des Leibes.
Was bedeutet Asketismus?
Buddhismus und Mönchthum als Herstellung gesunder Leiber (gegen die vernichtenden und schwächenden Affekte).
Die fröhliche Wissenschaft (1882)
3. Buch
Wo eine tiefe Unlust am Dasein überhand nimmt, kommen die Nachwirkungen eines großen Diätfehlers, dessen sich ein Volk lange schuldig gemacht hat, an's Licht. So ist die Verbreitung des Buddhismus (nicht seine Entstehung) zu einem guten Theile abhängig von der übermäßigen und fast ausschließlichen Reiskost der Inder und der dadurch bedingten allgemeinen Erschlaffung.
5. Buch
Der Glaube ist immer dort am meisten begehrt, am dringlichsten nöthig, wo es an Willen fehlt: denn der Wille ist, als Affekt des Befehls, das entscheidende Abzeichen der Selbstherrlichkeit und Kraft. Das heißt, je weniger Einer zu befehlen weiß, um so dringlicher begehrt er nach Einem, der befiehlt, streng befiehlt, nach einem Gott, Fürsten, Stand, Arzt, Beichtvater, Dogma, Partei-Gewissen. Woraus vielleicht abzunehmen wäre, daß die beiden Weltreligionen, der Buddhismus und das Christenthum ihren Entstehungsgrund, ihr plötzliches Um-sich-greifen zumal, in einer ungeheuren Erkrankung des Willens gehabt haben möchten. Und so ist es in Wahrheit gewesen: beide Religionen fanden ein durch Willens-Erkrankung in's Unsinnige aufgethürmtes, bis zur Verzweiflung gehendes Verlangen nach einem "du sollst" vor, beide Religionen waren Lehrerinnen des Fanatismus in Zeiten der Willens-Erschlaffung und boten damit Unzähligen einen Halt, eine neue Möglichkeit zu wollen, einen Genuß am Wollen.
Neue Kämpfe. - Nachdem Buddha todt war, zeigte man noch Jahrhunderte lang seinen Schatten in einer Höhle, - einen ungeheuren schauerlichen Schatten. Gott ist todt: aber so wie die Art der Menschen ist, wird es vielleicht noch Jahrtausende lang Höhlen geben, in denen man seinen Schatten zeigt. - Und wir - wir müssen auch noch seinen Schatten besiegen!
Räucherwerk. - Buddha sagt: "schmeichle deinem Wohlthäter nicht!" Man spreche diesen Spruch nach in einer christlichen Kirche: - er reinigt sofort die Luft von allem Christlichen...
So viel Mißtrauen, so viel Philosophie. Wir hüten uns wohl zu sagen, daß sie weniger werth ist: es erscheint uns heute selbst zum Lachen, wenn der Mensch in Anspruch nehmen wollte, Werthe zu erfinden, welche den Werth der wirklichen Welt überragen sollten, - gerade davon sind wir zurückgekommen als von einer ausschweifenden Verirrung der menschlichen Eitelkeit und Unvernunft, die lange nicht als solche erkannt worden ist. Sie hat ihren letzten Ausdruck im modernen Pessimismus gehabt, einen älteren, stärkeren in der Lehre des Buddha; aber auch das Christenthum enthält sie, zweifelhafter freilich und zweideutiger, aber darum nicht weniger verführerisch...
Buddha insgleichen fand jene Art Menschen vor, und zwar zerstreut unter alle Stände und gesellschaftliche Stufen seines Volks, welche aus Trägheit gut und gütig (vor Allem inoffensiv) sind, die, ebenfalls aus Trägheit, abstinent, beinahe bedürfnisslos leben: er verstand, wie eine solche Art Menschen mit Unvermeidlichkeit, mit der ganzen vis inertiae, in einen Glauben hineinrollen müsse, der die Wiederkehr der irdischen Mühsal (das heißt der Arbeit, des Handelns überhaupt) zu verhüten verspricht, - dies "Verstehen" war sein Genie. Zum Religionsstifter gehört psychologische Unfehlbarkeit im Wissen um eine bestimmte Durchschnitts-Art von Seelen, die sich noch nicht als zusammengehörig erkannt haben. Er ist es, der sie zusammenbringt; die Gründung einer Religion wird insofern immer zu einem langen Erkennungs-Feste.
Heft (1882-1883)
Ich habe von allen Europäern, die leben und gelebt haben, die umfänglichste Seele: Plato Voltaire - - - es hängt von Zuständen ab, die nicht ganz bei mir stehen, sondern beim "Wesen der Dinge" - ich könnte der Buddha Europas werden: was freilich ein Gegenstück zum indischen wäre.
Fragmente VII (1883)
Hinter meiner ersten Periode grinst das Gesicht des Jesuitismus: ich meine: das bewußte Festhalten an der Illusion und zwangsweise Einverleibung derselben als Basis der Kultur. Oder aber: Buddhismus und Verlangen ins Nichts (der Schopenhauerische Widerspruch zwischen Theorie und Praxis unhaltbar). Der ersten Gefahr ist Wagner erlegen
Fragmente VIII (1983-1884)
"Man muß den Menschen verschönern und erträglich machen": dagegen sagte das Christenthum und der Buddhismus — man muß ihn verneinen. Es hat also im Grunde nichts so gegen sich als den guten Menschen: den haßt es am meisten. Deshalb suchen die Priester Selbst-Zerstörung des Genusses an sich mit allen Mitteln.
Die griechischen Philosophen suchten nicht anders "Glück" als in der Form, sich schön zu finden: also aus sich die Statue zu bilden, deren Anblick wohlthut (keine Furcht und Ekel erregt)...
Der "häßlichste Mensch" als Ideal weltverneinender Denkweisen. Aber auch die Religionen sind noch Resultate jenes Triebs nach Schönheit (oder es aushalten zu können): die letzte Consequenz wäre — die absolute Häßlichkeit des Menschen zu fassen, das Dasein ohne Gott, Vernunft usw. — reiner Buddhismus. Je häßlicher, desto besser.
Umwertungsheft (1883)
Es gab denkendere und zerdachtere Zeiten als die unsere ist: Zeiten, wie zum Beispiel jene, in der Buddha auftrat, wo das Volk selbst, nach Jahrhunderte alten Sekten-Streitigkeiten, sich endlich so tief in die Klüfte der philosophischen Lehrmeinungen verirrt fand, wie zeitweilig Europäische Völker in Feinheiten des religiösen Dogma's.
Überwindung der Eitelkeit
Ehrfurcht
Zarathustra.
Große kosmische Rede "ich bin die Grausamkeit, "ich bin die List" usw. Hohn auf die Scheu, die Schuld auf sich zu nehmen — Hohn des Schaffenden — und alle Leiden — böser als je einer böse war usw. Höchste Form der Zufriedenheit mit seinem Werk — er zerbricht es, um es immer wieder zusammen zu fügen. Buddha p. 44, 46.
neue Überwindung des Todes, des Leides und der Vernichtung
der Gott, der sich klein (eng) macht und sich hindurchdrängt durch die ganze Welt (das Leben immer da) — Spiel, Hohn — als Dämon auch der Vernichtung…
Aussermoralische Betrachtung
1 wahr verlogen
gut und böse
2 als rein und unrein Buddha, p. 50
3 verehrlich verächtlich p. 296
4 als vornehm und niedrig
5 nützlich schädlich
gut 6 als sich Los-Lösen von der Welt weltensagend
(nicht "handelndes Gestalten") p. 50
böse = weltlich
7 geboten verboten
8 unegoistisch egoistisch
9 arm (Ebion) reich
elend glücklich
gut 10 Umkehrung: besitzend, reich (auch arya)
(im Eranischen, und übergehend ins Slavische.
rein = glücklich
böse = unglücklich : p. 50
die höchste Kraft, im Brahmanismus und Christenthum — sich abzuwenden von der Welt. p. 54…
Umwertungsheft (1884)
"Man muß den Menschen verschönern und erträglich machen": dagegen sagte das Christenthum und der Buddhismus — man muß ihn verneinen. Es hat also im Grunde nichts so gegen sich als den guten Menschen: den haßt es am meisten. Deshalb suchen die Priester Selbst-Zerstörung des Genusses an sich mit allen Mitteln.
Die griechischen Philosophen suchten nicht anders "Glück" als in der Form, sich schön zu finden: also aus sich die Statue zu bilden, deren Anblick wohlthut (keine Furcht und Ekel erregt)...
Der "häßlichste Mensch" als Ideal weltverneinender Denkweisen. Aber auch die Religionen sind noch Resultate jenes Triebs nach Schönheit (oder es aushalten zu können): die letzte Consequenz wäre — die absolute Häßlichkeit des Menschen zu fassen, das Dasein ohne Gott, Vernunft usw. — reiner Buddhismus. Je häßlicher, desto besser.
Fragmente IX (1885)
In diesem Sinne heiße ich das bestehende Christenthum und den Buddhismus, die beiden umfänglichsten Formen jetziger Welt-Verneinung, willkommen; und, um entartenden und absterbenden Rassen z.B. den Indern und den Europäern von heute den Todesstreich zu geben, würde ich selber die Erfindung einer noch strengeren, ächt nihilistischen Religion oder Metaphysik in Schutz nehmen.
Fragmente X
Umwertungsheft 1885-1886
Der Nihilismus steht vor der Thür: woher kommt uns dieser unheimlichste aller Gäste? —
1. Ausgangspunkt: es ist ein Irrthum, auf "social Nothstände" oder "physiologische Entartungen" oder gar auf Corruption hinzuweisen als Ursache des Nihilismus. Diese erlauben immer noch ganz verschiedene Ausdeutungen. Sondern in einer ganz bestimmten Ausdeutung, in der christlich-moralischen steckt der Nihilismus. Es ist die honnetteste, mitfühlendste Zeit. Noth, seelische, leibliche, intellektuelle Noth ist an sich durchaus nicht vermögend, Nihilismus d.h. die radikale Ablehnung von Werth, Sinn, Wünschbarkeit hervorzubringen
2. Der Untergang des Christenthums — an seiner Moral (die unablösbar ist — ) welche sich gegen den christlichen Gott wendet (der Sinn der Wahrhaftigkeit, durch das Christenthum hoch entwickelt, bekommt Ekel vor der Falschheit und Verlogenheit aller christlichen Welt- und Geschichtsdeutung. Rückschlag von "Gott ist die Wahrheit" in den fanatischen Glauben "Alles ist falsch". Buddhismus der That...
3. Skepsis an der Moral ist das Entscheidende. Der Untergang der moralischen Weltauslegung die keine Sanktion mehr hat, nachdem sie versucht hat, sich in eine Jenseitigkeit zu flüchten: endet in Nihilismus "Alles hat keinen Sinn" (die Undurchführbarkeit Einer Weltauslegung, der ungeheure Kraft gewidmet worden ist — erweckt das Mißtrauen ob nicht alle Weltauslegungen falsch sind — ) Buddhistischer Zug, Sehnsucht in's Nichts. (Der indische Buddhism hat nicht eine grundmoralische Entwicklung hinter sich, deshalb ist bei ihm im Nihilismus nur unüberwundene Moral: Dasein als Strafe, Dasein als Irrthum combinirt, der Irrthum also als Strafe — eine moralische Werthschätzung) Die philosophischen Versuche, den "moralischen Gott" zu überwinden (Hegel, Pantheismus). Überwindung der volksthümlichen Ideale: der Weise. Der Heilige. Der Dichter. Antagonismus von "wahr" und "schön" und "gut"…
Wir behalten uns viele Arten Philosophie vor, welche zu lehren noth thut: unter Umständen die pessimistische, als Hammer; ein europäischer Buddhismus könnte vielleicht nicht zu entbehren sein.
NB. Die Religionen gehn an dem Glauben der Moral zu Grunde: der christlich-moralische Gott ist nicht haltbar: folglich "Atheismus" — wie als ob es keine andere Art Götter geben könne.
Insgleichen geht die Cultur am Glauben an die Moral zu Grunde: denn wenn die nothwendigen Bedingungen entdeckt sind, aus denen allein sie wächst, so will man sie nicht mehr: Buddhismus.
Das ganze europäische System der menschlichen Bestrebungen fühlt sich theils sinnlos, theils bereits "unmoralisch". Wahrscheinlichkeit eines neuen Buddhismus. Die höchste Gefahr. "Wie verhalten sich Wahrhaftigkeit, Liebe, Gerechtigkeit zur wirklichen Welt?" Gar nicht!
Aber ein Christenthum, das vor allem kranke Nerven beruhigen soll, hat jene furchtbare Lösung eines "Gottes am Kreuze" überhaupt nicht nöthig: weshalb im Stillen überall der Buddhismus in Europa Fortschritte macht.
Jenseits von Gut und Böse (1886)
3. Hauptstück : Das religiöse Wesen
Wer, gleich mir, mit irgend einer räthselhaften Begierde sich lange darum bemüht hat, den Pessimismus in die Tiefe zu denken und aus der halb christlichen, halb deutschen Enge und Einfalt zu erlösen, mit der er sich diesem Jahrhundert zuletzt dargestellt hat, nämlich in Gestalt der Schopenhauerischen Philosophie; wer wirklich einmal mit einem asiatischen und überasiatischen Auge in die weltverneinendste aller möglichen Denkweisen hinein und hinunter geblickt hat - jenseits von Gut und Böse, und nicht mehr, wie Buddha und Schopenhauer, im Bann und Wahne der Moral -, der hat vielleicht ebendamit, ohne daß er es eigentlich wollte, sich die Augen für das umgekehrte Ideal aufgemacht: für das Ideal des übermüthigsten lebendigsten und weltbejahendsten Menschen, der sich nicht nur mit dem, was war und ist, abgefunden und vertragen gelernt hat, sondern es, so wie es war und ist, wieder haben will, in alle Ewigkeit hinaus, unersättlich da capo rufend, nicht nur zu sich, sondern zum ganzen Stücke und Schauspiele, und nicht nur zu einem Schauspiele, sondern im Grunde zu Dem, der gerade dies Schauspiel nöthig hat - und nöthig macht: weil er immer wieder sich nöthig hat - und nöthig macht - - Wie? Und dies wäre nicht - circulus vitiosus deus?
Fragmente X (1886)
Umwertungsheft (1885-1886)
Vorrede zur "Fröhlichen Wissenschaft"
Eine Lustbarkeit vor einer großen Unternehmung, zu der man jetzt endlich die Kraft bei sich zurückkehren fühlt: wie Buddha sich 10 Tage den weltlichen Vergnügungen ergab, als er seinen Hauptsatz gefunden.
Notizbuch (1886-1887)
Nihilismus, als Symptom davon, daß die Schlechtweggekommenen keinen Trost mehr haben: daß sie zerstören, um zerstört zu werden, daß sie, von der Moral abgelöst, keinen Grund mehr haben, "sich zu ergeben" — daß sie sich auf den Boden des entgegengesetzten Princips stellen und auch ihrerseits Macht wollen, indem sie die Mächtigen zwingen, ihre Henker zu sein. Dies ist die europäische Form des Buddhismus, das Nein-thun, nachdem alles Dasein seinen "Sinn" verloren hat…
Was Christus und Buddha auszuzeichnen scheint: es scheint das innere Glück zu sein, das sie religiös mache…
"Gott, Moral, Ergebung" waren Heilmittel, auf furchtbaren tiefen Stufen des Elends: der aktive Nihilismus tritt bei relativ viel günstiger gestalteten Verhältnissen auf. Schon, daß die Moral als überwunden empfunden wird, setzt einen ziemlichen Grad geistiger Cultur voraus; diese wieder ein relatives Wohlleben. Eine gewisse geistige Ermüdung, durch den langen Kampf philosophischer Meinungen bis zur hoffnungslosen Scepsis gegen Philosophie gebracht, kennzeichnet ebenfalls den keineswegs niederen Stand jener Nihilisten. Man denke an die Lage, in der Buddha auftrat. Die Lehre der ewigen Wiederkunft würde gelehrte Voraussetzungen haben (wie die Lehre Buddhas solche hatte z.B. Begriff der Causalität usw.).
Umwertungsheft 1886-1887
Denken wir diesen Gedanken in seiner furchtbarsten Form: das Dasein, so wie es ist, ohne Sinn und Ziel, aber unvermeidlich wiederkehrend, ohne ein Finale ins Nichts: "die ewige Wiederkehr".
Das ist die extremste Form des Nihilismus: das Nichts (das "Sinnlose") ewig!
Europäische Form des Buddhismus: Energie des Wissens und der Kraft zwingt zu einem solchen Glauben. Es ist die wissenschaftlichste aller möglichen Hypothesen. Wir leugnen Schluß-Ziele: hätte das Dasein eins, so müßte es erreicht sein.
Mappe (1886-1887)
Kritik der menschlichen Ziele. Was wollte die antike Philosophie? Was das Christenthum? Was die Vedanta-Philosophie? Was Buddha? — Und hinter diesem Willen was steckt da?
Psychologische Genesis der bisherigen Ideale: was sie eigentlich bedeuten?
Zur Genealogie der Moral (1887)
Es handelte sich insonderheit um den Wert des "Unegoistischen", der Mitleids-, Selbstverleugnungs, Selbstopferungs-Instinkte, welche gerade Schopenhauer so lang vergoldet, vergöttlicht und verjenseitigt hatte, bis sie ihm schließlich ah die "Werte an sich" übrigblieben, auf Grund deren er zum Leben, auch zu sich selbst, nein sagte. Aber gerade gegen diese Instinkte redete aus mir ein immer grundsätzlicherer Argwohn, eine immer tiefer grabende Skepsis! Gerade hier sah ich die große Gefahr der Menschheit, ihre sublimste Lockung und Verführung wohin doch? ins Nichts? -, gerade hier sah ich den Anfang vom Ende, das Stehenbleiben, die zurückblickende Müdigkeit, den Willen gegen das Leben sich wendend, die letzte Krankheit sich zärtlich und schwermütig ankündigend: ich verstand die immer mehr um sich greifende Mitleids-Moral, welche selbst die Philosophen ergriff und krank Machte, als das unheimlichste Symptom unsrer unheimlich gewordnen europäischen Kultur, als ihren Umweg zu einem neuen Buddhismus? zu einem Europäer-Buddhismus? zum - Nihilismus? ...
Man kann nicht zweifeln: zunächst gegen den "Schuldner", in dem nunmehr das schlechte Gewissen sich dermaßen festsetzt, einfrißt, ausbreitet und polypenhaft in jede Breite und Tiefe wächst, bis endlich mit der Unlösbarkeit der Schuld auch die Unlösbarkeit der Buße, der Gedanke ihrer Unabzahlbarkeit (der "ewigen Strafe") konzipiert ist -; endlich aber sogar gegen den "Gläubiger", denke man dabei nun an die causa prima des Menschen, an den Anfang des menschlichen Geschlechts, an seinen Ahnherrn, der nunmehr mit einem Fluche behaftet wird ("Adam", "Erbsünde", "Unfreiheit des Willens"), oder an die Natur, aus deren Schoß der Mensch entsteht und in die nunmehr das böse Prinzip hineingelegt wird ("Verteufelung der Natur"), oder an das Dasein überhaupt, das als unwert an sich übrigbleibt (nihilistische Abkehr von ihm, Verlangen ins Nichts oder Verlangen in seinen "Gegensatz", in ein Anders-sein, Buddhismus und Verwandtes)…
3. Abh. Was bedeuten asketische Ideale ?
Jeder Philosoph würde sprechen, wie einst Buddha sprach, als ihm die Geburt eines Sohns gemeldet wurde: "Râhula ist mir geboren, eine Fessel ist mir geschmiedet" (Râhula bedeutet hier "ein kleiner Dämon"); jedem "freien Geiste" müßte eine nachdenkliche Stunde kommen, gesetzt, daß er vorher eine gedankenlose gehabt hat, wie sie einst demselben Buddha kam - "eng bedrängt", dachte er bei sich, "ist das Leben im Hause, eine Stätte der Unreinheit; Freiheit ist im Verlassen des Hauses": "dieweil er also dachte, verließ er das Haus". Es sind im asketischen Ideale so viele Brücken zur Unabhängigkeit angezeigt, daß ein Philosoph nicht ohne ein innerliches Frohlocken und Händeklatschen die Geschichte aller jener Entschlossnen zu hören vermag, welche eines Tages Nein sagten zu aller Unfreiheit und in irgendeine Wüste gingen: gesetzt selbst, daß es bloß starke Esel waren und ganz und gar das Gegenstück eines starken Geistes.
Fragmente XI (1887)
Umwertungsheft (1887)
Sein [Nihilismus] Maximum von relativer Kraft erreicht er als gewaltthätige Kraft der Zerstörung: als aktiver Nihilism. Sein Gegensatz wäre der müde Nihilism, der nicht mehr angreift: seine berühmteste Form der Buddhismus: als passivischer Nihilism.
Der Buddhismus ist darum die mildmöglichste Form des Moral-Castratismus, weil er keine Gegnerschaft hat und er insofern seine ganze Kraft auf die Ausrottung der feindseligen Gefühle richten darf. Der Kampf gegen das ressentiment erscheint fast als erste Aufgabe des Buddhisten: erst damit ist der Frieden der Seele verbürgt. Sich loslösen, aber ohne Rancune: das setzt allerdings eine erstaunlich gemilderte und süß gewordene Menschlichkeit voraus.
Im Buddhismus überwiegt dieser Gedanke: "Alle Begierden, alles, was Affekt, was Blut macht, zieht zu Handlungen fort", — nur in sofern wird gewarnt vor dem Bösen. Denn Handeln — das hat keinen Sinn, Handeln hält im Dasein fest: alles Dasein aber hat keinen Sinn. Sie sehen im Bösen den Antrieb zu etwas Unlogischem: zur Bejahung von Mitteln, deren Zweck man verneint. Sie suchen nach einem Wege zum Nichtsein und deshalb perhorresciren sie alle Antriebe seitens der Affekte. Z.B. ja nicht sich rächen! ja nicht feind sein! — der Hedonism der Müden giebt hier die höchsten Werthmaaße ab. Nichts ist dem Buddhisten ferner als der jüdische Fanatism eines Paulus: nichts würde mehr seinem Instinkt widerstreben als diese Spannung, Flamme, Unruhe des religiösen Menschen, vor allem jene Form der Sinnlichkeit, welche das Christenthum unter dem Namen der "Liebe" geheiligt hat. Zu alledem sind es die gebildeten und sogar übergeistigten Stände, die im Buddhismus ihre Rechnung finden: eine Rasse, durch einen Jahrhunderte langen Philosophen-Kampf abgesotten und müde gemacht, nicht aber unterhalb aller Cultur, wie die Schichten, aus denen das Christenthum entsteht... Im Ideal des Buddhismus erscheint das Loskommen auch von Gut und Böse wesentlich: es wird da eine raffinirte Jenseitigkeit der Moral ausgedacht, die mit dem Wesen der Vollkommenheit zusammenfällt unter der Voraussetzung, daß man auch die guten Handlungen bloß zeitweilig nöthig hat, bloß als Mittel, — nämlich um von allem Handeln loszukommen.
Die Praxis des Christenthums ist keine Phantasterei, so wenig die Praxis des Buddhismus sie ist: sie ist ein Mittel, glücklich zu sein...
Buddhismus Christlichkeit sind Schluß-Religionen: jenseits der Cultur, der Philosophie, der Kunst, des Staates
A. Gemeinsam: der Kampf gegen die feindseligen Gefühle, — diese als Quell des übels erkannt. Das "Glück": nur als innerlich, — Indifferenz gegen den Anschein und Prunk des Glückes.
Buddhismus: loskommen-wollen vom Leben, philosophische Klarheit; einem hohen Grad von Geistigkeit entsprungen, mitten aus den höheren Ständen...
Christlichkeit: will im Grunde dasselbe ( —schon "die jüdische Kirche" ist ein décadence-Phänomen des Lebens), aber, gemäß einer tiefen Unkultur, ohne Wissen um das, was man will... hängen bleibend bei der "Seligkeit" als Ziel...
B. die kräftigsten Instinkte des Lebens nicht mehr als lustvoll empfunden vielmehr als Leidens-Ursachen für den Buddhisten: insofern diese Instinkte zum Handeln antreiben (das Handeln aber als Unlust gilt...) für den Christen: insofern sie Anlaß zur Feindschaft und Widerspruch geben (das Feindsein, das Wehe-thun aber als Unlust, als Störung des "Seelen-Friedens" gilt). (Ein tüchtiger Soldat hat umgekehrt keine Freude außer in einem rechtschaffenen Kriegführen und Feindseinwollen.)…
Das Gesetz, die gründlich realistische Formulirung gewisser Erhaltungsbedingungen einer Gemeinde, verbietet gewisse Handlungen in einer bestimmten Richtung, namentlich insofern sie gegen die Gemeinde sich wenden: sie verbietet nicht die Gesinnung, aus der diese Handlungen fließen, — denn sie hat dieselben Handlungen in einer anderen Richtung nöthig — nämlich gegen die Feinde der Gemeinschaft. Nun tritt der Moral-Idealist auf und sagt "Gott siehet das Herz an: die Handlung selbst ist noch nichts; man muß die feindliche Gesinnung ausrotten, aus der sie fließt..." Darüber lacht man in normalen Verhältnissen; nur in jenen Ausnahmefällen, wo eine Gemeinschaft absolut außerhalb der Nöthigung lebt, Krieg für ihre Existenz zu führen, hat man überhaupt das Ohr für solche Dinge. Man läßt eine Gesinnung fahren, deren Nützlichkeit nicht mehr abzusehn ist.
Dies war z.B. beim Auftreten Buddhas der Fall, innerhalb einer sehr friedlichen und selbst geistig übermüdeten Gesellschaft.
Umwertungsheft (1887-1888)
Jesus leugnet Kirche Staat Gesellschaft Kunst, Wissenschaft, Cultur, Civilisation
Alle Weisen haben so zu ihrer Zeit den Werth der Cultur und der staatlichen Organisation geleugnet. —
Plato, Buddha…
Unser Zeitalter ist in einem gewissen Sinne reif (nämlich décadent), wie es die Zeit Buddha's war...
Deshalb ist eine Christlichkeit ohne die absurden Dogmen möglich...
die widerlichsten Ausgeburten des antiken Hybridism
Die Barbarisirung der Christlichkeit
Fragmente XII (1888)
Umwertungsheft (1888)
Der Buddhismus war keine Moral, — es wäre ein tiefes Mißverständniß, ihn nach solchen Vulgär-Cruditäten, wie das Christenthum ist, abzuwürdigen: er war eine Hygiene…
die Religion als décadence
Buddha gegen den "Gekreuzigten"
Innerhalb der nihilistischen Bewegung darf man immer noch die christliche und die buddhistische scharf auseinander halten : die buddhistische drückt einen schönen Abend aus, eine vollendete Süßigkeit und Milde, — es ist Dankbarkeit gegen alles, was hinten liegt, mit eingerechnet, es fehlt die Bitterkeit, die Enttäuschung, die Rancune…
Pyrrho, der mildeste und geduldigste Mensch, der je unter Griechen gelebt hat, ein Buddhist obschon Grieche, ein Buddha selbst, wurde ein einziges Mal außer Rand und Band gebracht, durch wen? — durch seine Schwester, mit der er zusammenlebte: sie war Hebamme. Seitdem fürchteten sich am Allermeisten die Philosophen vor der Schwester — die Schwester! Schwester! 's klingt so fürchterlich! — und vor der Hebamme!... (Ursprung des Coelibats)…
Das Ressentiment, der Ärger, die Lust nach Rache — das sind für Kranke die schädlichsten aller möglichen Zustände: eine Religion, wie die Buddha's, welche wesentlich mit Geistig-Raffinirten und Physiologisch-Ermüdeten zu thun hatte, wendete sich deshalb mit dem Hauptgewicht ihrer Lehre gegen das Ressentiment.
Der Antichrist 1895
Mit meiner Verurtheilung des Christenthums möchte ich kein Unrecht gegen eine verwandte Religion begangen haben, die der Zahl der Bekenner nach sogar überwiegt, gegen den Buddhismus. Beide gehören als nihilistische Religionen zusammen - sie sind décadence-Religionen -, beide sind von einander in der merkwürdigsten Weise getrennt. Daß man sie jetzt vergleichen kann, dafür ist der Kritiker des Christenthums den indischen Gelehrten tief dankbar. - Der Buddhismus ist hundert Mal realistischer als das Christenthum, - er hat die Erbschaft des objektiven und kühlen Probleme-Stellens im Leibe, er kommt nach einer Hunderte von Jahren dauernden philosophischen Bewegung, der Begriff "Gott" ist bereits abgethan, als er kommt. Der Buddhismus ist die einzige eigentlich positivistische Religion, die uns die Geschichte zeigt, auch noch in seiner Erkenntnisstheorie (einem strengen Phänomenalismus -), er sagt nicht mehr "Kampf gegen Sünde", sondern, ganz der Wirklichkeit das Recht gebend, "Kampf gegen das Leiden". Er hat - dies unterscheidet ihn tief vom Christenthum - die Selbst-Betrügerei der Moral-Begriffe bereits hinter sich, - er steht, in meiner Sprache geredet, jenseits von Gut und Böse. - Die zwei physiologischen Thatsachen, auf denen er ruht und die er ins Auge fasst, sind: einmal eine übergroße Reizbarkeit der Sensibilität, welche sich als raffinirte Schmerzfähigkeit ausdrückt, sodann eine Übergeistigung, ein allzulanges Leben in Begriffen und logischen Prozeduren, unter dem der Person-Instinkt zum Vortheil des "Unpersönlichen" Schaden genommen hat (- Beides Zustände, die wenigstens Einige meiner Leser, die "Objektiven", gleich mir selbst, aus Erfahrung kennen werden) Auf Grund dieser physiologischen Bedingungen ist eine Depression entstanden: gegen diese geht Buddha hygienisch vor. Er wendet dagegen das Leben im Freien an, das Wanderleben, die Mässigung und die Wahl in der Kost; die Vorsicht gegen alle Spirituosa; die Vorsicht insgleichen gegen alle Affekte, die Galle machen, die das Blut erhitzen; keine Sorge, weder für sich, noch für Andre. Er fordert Vorstellungen, die entweder Ruhe geben oder erheitern - er erfindet Mittel, die andren sich abzugewöhnen. Er versteht die Güte, das Gütig-sein als gesundheitfördernd. Gebet ist ausgeschlossen, ebenso wie die Askese; kein kategorischer Imperativ, kein Zwang überhaupt, selbst nicht innerhalb der Klostergemeinschaft (- man kann wieder hinaus -) Das Alles wären Mittel, um jene übergroße Reizbarkeit zu verstärken. Eben darum fordert er auch keinen Kampf gegen Andersdenkende; seine Lehre wehrt sich gegen nichts mehr als gegen das Gefühl der Rache, der Abneigung, des ressentiment (- "nicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende": der rührende Refrain des ganzen Buddhismus ... ) Und das mit Recht: gerade diese Affekte wären vollkommen ungesund in Hinsicht auf die diätetische Hauptabsicht. Die geistige Ermüdung, die er vorfindet, und die sich in einer allzugroßen "Objektivität" (das heißt Schwächung des Individual-Interesses, Verlust an Schwergewicht, an "Egoismus") ausdrückt, bekämpft er mit einer strengen Zurückführung auch der geistigsten Interessen auf die Person. In der Lehre Buddha's wird der Egoismus Pflicht: das "Eins ist Noth", das "wie kommst du vom Leiden los" regulirt und begrenzt die ganze geistige Diät (- man darf sich vielleicht an jenen Athener erinnern, der der reinen "Wissenschaftlichkeit" gleichfalls den Krieg machte, an Sokrates, der den Personal-Egoismus auch im Reich der Probleme zur Moral erhob.)
Die Voraussetzung für den Buddhismus ist ein sehr mildes Klima, eine große Sanftmuth und Liberalität in den Sitten, kein Militarismus; und daß es die höheren und selbst gelehrten Stände sind, in denen die Bewegung ihren Heerd hat. Man will die Heiterkeit, die Stille, die Wunschlosigkeit als höchstes Ziel, und man erreicht sein Ziel. Der Buddhismus ist keine Religion, in der man bloß auf Vollkommenheit aspirirt: das Vollkommne ist der normale Fall.
Das Christenthum hatte barbarische Begriffe und Werthe nöthig, um über Barbaren Herr zu werden: solche sind das Erstlingsopfer, das Bluttrinken im Abendmahl, die Verachtung des Geistes und der Cultur; die Folterung in allen Formen, sinnlich und unsinnlich; der große Pomp des Cultus. Der Buddhismus ist eine Religion für späte Menschen, für gütige, sanfte, übergeistig gewordne Rassen, die zu leicht Schmerz empfinden (Europa ist noch lange nicht reif für ihn -): er ist eine Rückführung derselben zu Frieden und Heiterkeit, zur Diät im Geistigen, zu einer gewissen Abhärtung im Leiblichen. Das Christenthum will über Raubthiere Herr werden; sein Mittel ist, sie krank zu machen, - die Schwächung ist das christliche Rezept zur Zähmung, zur "Civilisation". Der Buddhismus ist eine Religion für den Schluß und die Müdigkeit der Civilisation, das Christenthum findet sie noch nicht einmal vor, - es begründet sie unter Umständen.
Der Buddhismus, nochmals gesagt, ist hundert Mal kälter, wahrhafter, objektiver. Er hat nicht mehr nöthig, sich sein Leiden, seine Schmerzfähigkeit anständig zu machen durch die Interpretation der Sünde, - er sagt bloß, was er denkt "ich leide". Dem Barbaren dagegen ist Leiden an sich nichts Anständiges: er braucht erst eine Auslegung, um es sich einzugestehn, daß er leidet (sein Instinkt weist ihn eher auf Verleugnung des Leidens, auf stilles Ertragen hin) Hier war das Wort "Teufel" eine Wohlthat: man hatte einen übermächtigen und furchtbaren Feind, - man brauchte sich nicht zu schämen, an einem solchen Feind zu leiden. –
Man sieht, was mit dem Tode am Kreuz zu Ende war: ein neuer, ein durchaus ursprünglicher Ansatz zu einer buddhistischen Friedensbewegung, zu einem thatsächlichen, nicht bloß verheißenen Glück auf Erden. Denn dies bleibt - ich hob es schon hervor - der Grundunterschied zwischen den beiden décadence-Religionen: der Buddhismus verspricht nicht, sondern hält, das Christenthum verspricht Alles, aber hält Nichts.
Ecce homo (1908)
Das Ressentiment ist das Verbotene an sich für den Kranken - sein Böses: leider auch sein natürlichster Hang. - Das begriff jener tiefe Physiolog Buddha. Seine "Religion", die man besser als eine Hygiene bezeichnen dürfte, um sie nicht mit so erbarmungswürdigen Dingen wie das Christenthum ist, zu vermischen, machte ihre Wirkung abhängig von dem Sieg über das Ressentiment: die Seele davon frei machen - erster Schritt zur Genesung. "Nicht durch Feindschaft kommt Feindschaft zu Ende, durch Freundschaft kommt Feindschaft zu Ende": das steht am Anfang der Lehre Buddha‘s - so redet nicht die Moral, so redet die Physiologie.
  • Person: Nietzsche, Friedrich
2 1873-1895 Friedrich Nietzsche : Zitate über China
Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen (1873)

Zwar hat man im Eifer darauf hingezeigt, wie viel die Griechen im orientalischen Auslande finden und lernen konnten, und wie mancherlei sie wohl von dort geholt haben. Freilich gab es ein wunderliches Schauspiel, wenn man die angeblichen Lehrer aus dem Orient und die möglichen Schüler aus Griechenland zusammenbrachte und jetzt Zoroaster neben Heraklit, die Inder neben den Eleaten, die Ägypter neben Empedokles oder gar Anaxagoras unter den Juden und Pythagoras unter den Chinesen zur Schau stellte.
Fragmente III (1875)
Mappe loser Blätter : Notizen zu Wir Philologen
Es ist schwer, die Bevorzugung zu rechtfertigen, in der das Alterthum steht: denn sie ist aus Vorurtheilen entstanden:
1) aus Unwissenheit des sonstigen Alterthums, 2) aus einer falschen Idealisierung zur Humanitäts-Menschheit überhaupt; während Inder und Chinesen jedenfalls humaner sind…
Menschliches, Allzumenschliches (1878-1879)
Bd. 1 : 3. Hauptstück : Das religiöse Leben
Die geringen Leute in China umwinden, um die fehlende Gunst ihres Gottes zu ertrotzen, das Bild desselben, der sie in Stich gelassen hat, mit Stricken, reißen es nieder, schleifen es über die Strassen durch Lehm- und Düngerhaufen; "du Hund von einem Geiste, sagen sie, wir ließen dich in einem prächtigen Tempel wohnen, wir vergoldeten dich hübsch, wir fütterten dich gut, wir brachten dir Opfer und doch bist du so undankbar".
Fragmente V (1880)
Notizbuch : Vom Aberglauben, Vom Loben und Tadeln, Von der zulässigen Lüge
- Was ist der Charakter dieser Moralität? Aber wonach bemißt man den Rang der verschiedenen Moralitäten? Zudem wollen es die Nicht-Europäer wie die Chinesen gar nicht Wort haben, daß die Europäer sich durch Moralität vor ihnen auszeichneten. Es gehört vielleicht mit zum Wesen der jüdischen Moralität, daß sie sich für die erste und höchste hält: es ist vielleicht eine Einbildung. Ja man kann fragen: gibt es überhaupt eine Rangordnung der Moralitäten?
Manuskript : L’ombra di Venezia
Das Christenthum und die Demokratie haben bis jetzt die Menschheit auf dem Wege zum Sande am weitesten gefahren. Ein kleines, schwaches, dämmerndes Wohlgefühlchen über Alle gleichmäßig verbreitet, ein verbessertes und auf die Spitze getriebenes Chinesenthum, das wäre das letzte Bild, welches die Menschheit bieten könnte?
Notizbuch (1880)
Auch die (chinesische) Tugend der Höflichkeit ist eine Folge des Gedankens: ich thue den Anderen wohl, weil es mir so zu Gute kommt - doch so daß dies Weil vergessen worden ist. Nicht aber entsteht Wohlwollen auf dem angegebenen Wege durch Vergessen. - Aber Höflichkeit ist doch sehr benachbart. Die Chinesen haben die Familienempfindung durchgeführt (Kinder zu den Eltern), die Römer mehr die der Väter zu der Familie (Pflicht).
Morgenröthe (1881)
3. Buch
So käme doch endlich auch wieder reinere Luft in das alte, jetzt übervölkerte und in sich brütende Europa! Mag es immerhin dann an "Arbeitskräften" etwas fehlen! Vielleicht wird man sich dabei besinnen, daß man an viele Bedürfnisse sich erst seitdem gewöhnt hat, als es so leicht wurde, sie zu befriedigen, - man wird einige Bedürfnisse wieder verlernen! Vielleicht auch wird man dann Chinesen hereinholen: und diese würden die Denk- und Lebensweise mitbringen, welche sich für arbeitsame Ameisen schickt. Ja, sie könnten im Ganzen dazu helfen, dem unruhigen und sich aufreibenden Europa etwas asiatische Ruhe und Betrachtsamkeit und - was am meisten wohl noth thut - asiatische Dauerhaftigkeit in's Geblüt zu geben.
Liu Weijian : Das konfuzianische China sei abzulehnen, weil es der dogmatischen Kirche ähnlich sei, die die Menschen uniformiere und alle Verschiedenheit als unmoralisch empfinde. Er nennt sowohl Konfuzius als auch das Papsttum "grosse Regierungskünstler", die die Menschen zum sklavenhaften Herdentier machen. Er indentifizert China nicht nur mit den rationalen Konfuzianismus, sondern entdeckt eine taoistische Denk- und Lebensweise... Durch den Hinweis auf die Ruhe, Betrachtsamkeit und die Dauerhaftigkeit führt Nietzsche den Europäern die Sinnlosigkeit des hektischen Strebens nach Macht und Geld vor Augen und hebt die innere Harmonie des Menschen hervor... Dagegen hält er die chinesische Denkweise für einen erstrebenswerten Dauergeist. Ihm scheint diese Denkweise den wohlgeratenen Typus des Chinesen hervorzubringen, der daher fähiger als der Europäer sei.
Fragmente VI (1881)
Manuskript
Die Sinne der Menschen im Fortschritt der Zivilisation sind schwächer geworden, Augen und Ohren: weil die Furcht geringer wurde und der Verstand feiner. Vielleicht wird mit der Vermehrung der Sicherheit die Feinheit des Verstandes nicht mehr nöthig sein: und abnehmen: wie in China! In Europa hat der Kampf gegen das Christenthum, die Anarchie der Meinungen und die Concurrenz der Fürsten Völker und Kaufleute bis jetzt den Verstand verfeinert.
Irrthum der positiven Philosophie nachzuweisen: sie will die Anarchie der Geister vernichten, und sie wird den dumpfen Druck unbefriedigter Auslösung hervorbringen (wie China)!
Die thierischen Gattungen haben meistens, wie die Pflanzen, eine Anpassung an einen bestimmten Erdtheil erreicht, und haben nun darin etwas Festes und Festhaltendes für ihren Charakter, sie verändern sich im Wesentlichen nicht mehr. Anders der Mensch, der immer unstet ist und sich nicht Einem Klima endgültig anpassen will, die Menschheit drängt hin zur Erzeugung eines allen Klimaten gewachsenen Wesens (auch durch solche Phantasmen wie "Gleichheit der Menschen"): ein allgemeiner Erdenmensch soll entstehen, deshalb verändert sich der Mensch noch (wo er sich angepaßt hat z. B. in China bleibt er durch Jahrtausende fast unverändert).
Die Chinesen: ohne Scham, ohne Vorurtheile, geschwätzig, maßvoll: ihre Leidenschaften Opium Spiel Weiber. Sie sind reinlich...
Unsere Triebe und Leidenschaften sind ungeheure Zeiträume hindurch in Gesellschafts- und Geschlechtsverbänden gezüchtet worden (vorher wohl in Affen-Herden): so sind sie als soziale Triebe und Leidenschaften stärker als als individuelle, auch jetzt noch. Man haßt mehr, plötzlicher, unschuldiger (Unschuld ist den ältest vererbten Gefühlen zu eigen) als Patriot als als Individuum; man opfert schneller sich für die Familie als für sich: oder für eine Kirche, Partei. Ehre ist das stärkste Gefühl für Viele d.h. ihre Schätzung ihrer selber ordnet sich der Schätzung Anderer unter und begehrt von dort seine Sanktion. - Dieser nicht individuelle Egoismus ist das Ältere, Ursprünglichere; daher so viel Unterordnung, Pietät (wie bei den Chinesen) Gedankenlosigkeit über das eigene Wesen und Wohl, es liegt das Wohl der Gruppe uns mehr am Herzen...
Die Verwandlung des Menschen braucht erst Jahrtausende für die Bildung des Typus, dann Generationen: endlich läuft ein Mensch während seines Lebens durch mehrere Individuen.
Warum sollen wir nicht am Menschen zu Stande bringen, was die Chinesen am Baume zu machen verstehen - daß er auf der einen Seite Rosen, auf der anderen Birnen trägt?...
Das Erscheinen der Individuen ist das Anzeichen der erlangten Fortpflanzungsfähigkeit der Gesellschaft: sobald es sich zeigt, stirbt die alte Gesellschaft ab. Das ist kein Gleichnis. - Unsere ewigen "Staaten" sind etwas Unnatürliches. - Möglichst viel Neubildungen! - Oder umgekehrt: zeigt sich die Tendenz zur Verewigung des Staates, so auch Abnahme der Individuen und Unfruchtbarkeit des Ganzen: deshalb halten die Chinesen große Männer für ein nationales Unglück; sie haben die ewige Dauer im Auge. Individuen sind Zeichen des Verfalls...
Der Wohlstand, die Behaglichkeit, die den Sinnen Befriedigung schafft, wird jetzt begehrt, alle Welt will vor allem das. Folglich wird sie einer geistigen Sklaverei entgegengehen, die nie noch da war. Denn dies Ziel ist zu erreichen, die größten Beunruhigungen jetzt dürfen nicht täuschen. Die Chinesen sind der Beweis, daß auch Dauer dabei sein kann. Der geistige Cäsarismus schwebt über allem Bestreben der Kaufleute und Philosophen...
Im Grunde haben alle Zivilisationen jene tiefe Angst vor dem "großen Menschen", welche allein die Chinesen sich eingestanden haben, mit dem Sprichwort "der große Mensch ist ein öffentliches Unglück". Im Grunde sind alle Institutionen darauf hin eingerichtet, daß er so selten als möglich entsteht und unter so ungünstigen Bedingungen als nur möglich ist heranwächst: was Wunder! Die Kleinen haben für sich, für die Kleinen gesorgt!...
Die Vorwegnehmenden. - Ich zweifle, ob jener Dauermensch, welchen die Zweckmäßigkeit der Gattungs-Auswahl endlich produziert, viel höher als der Chinese stehen wird. Unter den Würfen sind viele unnütze und in Hinsicht auf jenes Gattungsziel vergängliche und wirkungslose - aber höhere: darauf laßt uns achten! Emanzipieren wir uns von der Moral der Gattungs-Zweckmäßigkeit! - Offenbar ist das Ziel, den Menschen ebenso gleichmäßig und fest zu machen, wie es schon in Betreff der meisten Thiergattungen geschehen ist: sie sind den Verhältnissen der Erde usw. angepaßt und verändern sich nicht wesentlich. Der Mensch verändert sich noch - ist im Werden.
Die fröhliche Wissenschaft (1882)
1. Buch
China ist das Beispiel eines Landes, wo die Unzufriedenheit im Großen und die Fähigkeit der Verwandelung seit vielen Jahrhunderten ausgestorben ist; und die Sozialisten und Staats-Götzendiener Europa's könnten es mit ihren Maaßregeln zur Verbesserung und Sicherung des Lebens auch in Europa leicht zu chinesischen Zuständen und einem chinesischen "Glücke" bringen, vorausgesetzt, daß sie hier zuerst jene kränklichere, zartere, weiblichere, einstweilen noch überreichlich vorhandene Unzufriedenheit und Romantik ausrotten könnten.
3. Buch
Vergessen wir doch nicht, daß die Völkernamen gewöhnlich Schimpfnamen sind. Die Tartaren sind zum Beispiel ihrem Namen nach "die Hunde": so wurden sie von den Chinesen getauft. Die "Deutschen": das bedeutet ursprünglich "die Heiden": so nannten die Gothen nach ihrer Bekehrung die große Masse ihrer ungetauften Stammverwandten, nach Anleitung ihrer Übersetzung der Septuaginta, in der die Heiden mit dem Worte bezeichnet werden, welches im Griechischen "die Völker" bedeutet: man sehe Ulfilas.
Fragmente VII (1883)
Mappe mit losen Blättern
Die Scham verbietet in China der Frau den Fuß zu zeigen, unter den Hottentotten muß sie nur den Nacken verhüllen.
Weiß ist in China Trauerfarbe.
Der Chinese ißt sehr viel Gerichte in sehr kleinen Portionen.
Friedloslegung: ein Genosse wird aus der Friedensgenossenschaft ausgestoßen; er ist jetzt vollkommen rechtlos. Leben und Gut können von Jedermann genommen werden. Der Übelthäter kann bußlos von Jedermann erschlagen werden. Grundgefühl: tiefste Verachtung, Unwürdigkeit z.B. noch im moslemischen Recht bei Ketzerei oder Schmähung des Propheten: während es bei Mord und Körperverletzung lediglich Blutrache und friedensgenossenschaftliche Bußen kennt. Es ist Ächtung: Haus und Hof wird zerstört, Weiber und Kinder und wer im Hause wohnt, wird vernichtet, z. B. Im peruanischen Inkareiche, wenn eine Sonnen-Jungfrau sich mit einem Manne verging, mußte ihre ganze Verwandtschaft es mit dem Leben büßen, das Haus ihrer Eltern wurde dem Erdboden gleichgemacht usw. Ebenso in China, wenn ein Sohn den Vater tödtet.
Man will sich nicht die Fehler eines Thiers aneignen z. B. die Feigheit des Hirsches (auf Borneo) - Weiber und Kinder dürfen davon essen.
Auch Fledermäuse Kröten Würmer Larven Raupen werden gegessen. Gemästete Ratten Leckerbissen der Chinesen. "Das Tigerherz zu essen macht trutzig" (Java) Hundeleber macht klug...
Ein alter Chinese [Laozi] sagte, er habe gehört, wenn Reiche zu Grunde gehen sollen, so hätten sie viele Gesetze.
Umwertungsheft (1884)
Erste Frage: die Herrschaft der Erde — angelsächsisch. Das deutsche Element ein gutes Ferment, es versteht nicht zu herrschen. Die Herrschaft in Europa ist nur deshalb deutsch, weil es mit ermüdeten greisen Völkern zu thun hat, es ist seine Barbarei, seine verzögerte Cultur, die die Macht giebt.
Frankreich voran in der Cultur, Zeichen des Verfalls Europa's. Rußland muß Herr Europas und Asiens werden — es muß colonisiren und China und Indien gewinnen. Europa als das Griechenland unter der Herrschaft Roms...
Die thatsächliche Barbarei Europa's — und zunehmend: die Verdummung ("der Engländer" als Normal-Mensch sich anlegend)
die Verhäßlichung ("Japanisme") (der revoltirende Plebejer)
die Zunahme der sklavischen Tugenden und ihrer Werthe ("der Chinese")
die Kunst als neurotischer Zustand bei den Künstlern, Mittel des Wahnsinns: die Lust an dem Thatsächlichen (Verlust des Ideals).
Fragment VIII (1884)
Umwertungsheft
Die Consequenzen absterbender Rassen verschieden z.B. pessimistische Philosophie, Willens-Schwäche
wollüstige Ausbeutung des Augenblicks, mit hysterischen Krämpfen und Neigung zum Furchtbaren
Zeichen des Alters kann auch Klugheit und Geiz sein (China), Kälte.
Europa unter dem Eindrucke einer sklavenhaft gewöhnten furchtsamen Denkweise: eine niedrigere Art wird siegreich — seltsames Widerstreiten zweier Principien der Moral...
Das 20te Jahrhundert hat zwei Gesichter: eines des Verfalls. Alle die Gründe, wodurch von nun an mächtigere und umfänglichere Seelen als es je gegeben hat (vorurtheilslosere, unmoralischere) entstehen könnten, wirken bei den schwächeren Naturen auf den Verfall hin. Es entsteht vielleicht eine Art von europäischem Chinesenthum, mit einem sanften buddhistisch-christlichen Glauben, und in der Praxis klug-epikureisch, wie es der Chinese ist — reduzirte Menschen...
Grundsatz. Wenn es sich um bien public handelte, so wäre der Jesuitism im Recht, ebenso das Assassinenthum; ebenso das Chinesenthum...
Bei altgewordenen Völkern große Sinnlichkeit, z.B. Ungarn, Chinesen, Juden, Franzosen (denn die Kelten waren schon ein Culturvolk!).
Der Wille zur Macht (1884-1888) [ID D11905]
Luo Wei : Nietzsche hofft in der sanftmütigen Denk- und Lebensweise der Chinesen, die eine innige Verbundenheit mit der Natur pflegt, ein Mittel zu finden, das dem kulturellen Verfall Europas entgegenwirken könnte. Was Nietzsche an China bewundert, ist eine Naturverbundenheit, ein Einklang mit der Natur, worin der Konfuzianismus und Taoismus sich einig sind, obwohl seine Metapher der „arbeitsamen Ameisen“alles andere als romantisch idyllisch gemeint war.
Fragmente IX (1885)
Umwertungsheft
Feindschaft gegen alles Litteratenhafte und Volks-Aufklärerische, insonderheit gegen alles Weibs-Verderberische, Weibs-Verbildnerische — denn die geistige Aufklärung ist ein unfehlbares Mittel, um die Menschen unsicher, willensschwächer, anschluß- und stütze-bedürftiger zu machen, kurz das Heerdenthier im Menschen zu entwickeln: weshalb bisher alle großen Regierungs-Künstler (Confucius in China, das imperium romanum, Napoleon, das Papstthum, zur Zeit, wo es die Macht und nicht nur den Pöbel zum Besten hielt) wo die herrschenden Instinkte bisher kulminirten, auch sich der geistigen Aufklärung bedienten; mindestens sie walten ließen (wie die Päpste der Renaissance). Die Selbsttäuschung der Menge über diesen Punkt z.B. in aller Demokratie, ist äußerst werthvoll: die Verkleinerung und Regierbarkeit des Menschen wird als "Fortschritt" erstrebt!...
Jenseits von Gut und Böse (1886)
2. Hauptstück : Der freie Geist
Die längste Zeit der menschlichen Geschichte hindurch - man nennt sie die prähistorische Zeit - wurde der Werth oder der Unwerth einer Handlung aus ihren Folgen abgeleitet: die Handlung an sich kam dabei ebensowenig als ihre Herkunft in Betracht, sondern ungefähr so, wie heute noch in China eine Auszeichnung oder Schande vom Kinde auf die Eltern zurückgreift, so war es die rückwirkende Kraft des Erfolgs oder Mißerfolgs, welche den Menschen anleitete, gut oder schlecht von einer Handlung zu denken.
9. Hauptstück – Was ist vornehm ?
Es giebt ein Sprichwort bei den Chinesen, das die Mütter schon ihre Kinder lehren: siao-sin "mache dein Herz klein!" Dies ist der eigentliche Grundhang in späten Civilisationen: ich zweifle nicht, daß ein antiker Grieche auch an uns Europäern von Heute zuerst die Selbstverkleinerung herauserkennen würde, - damit allein schon giengen wir ihm "wider den Geschmack".
Zur Genealogie der Moral (1887)
1. Abh. Gut und böse, gut und schlecht
Die Römer waren ja die Starken und Vornehmen, wie sie stärker und vornehmer bisher auf Erden nie dagewesen, selbst niemals geträumt worden sind; jeder Überrest von ihnen, jede Inschrift entzückt, gesetzt daß man errät, was da schreibt. Die Juden umgekehrt waren jenes priesterliche Volk des Ressentiment par excellence, dem eine volkstümlich-moralische Genialität sondergleichen innewohnte: man vergleiche nur die verwandt-begabten Völker, etwa die Chinesen oder die Deutschen, mit den Juden, um nachzufühlen, was ersten und was fünften Ranges ist.
Fragmente XI (1887)
Umwertungsheft
Die Unterwerfung der Herren-Rassen unter das Christenthum ist wesentlich die Folge der Einsicht, daß das Christenthum eine Heerdenreligion ist, daß es Gehorsam lehrt: kurz daß man Christen leichter beherrscht als Nichtchristen. Mit diesem Wink empfiehlt noch heute der Papst dem Kaiser von China die christliche Propaganda
Umwertungsheft (1887-1888)
ein Christ in Indien hätte sich der Formeln der Sankhya-Philosophie bedient, in China der des Laotse — darauf kommt gar nichts an —
Christus als "freier Geist": er macht sich aus allem Festen nichts (Wort, Formel, Kirche, Gesetz, Dogmen) "alles, was fest ist, tödtet..." er glaubt nur ans Leben und Lebendige — und das "ist" nicht, das wird...
Umwertungsheft (1988)
Das Weib reagirt langsamer als der Mann, der Chinese langsamer als der Europäer...
Der Mensch ist kein Fortschritt gegen das Thier: der Cultur-Zärtling ist eine Mißgeburt im Vergleich zum Araber und Corsen; der Chinese ist ein wohlgerathener Typus, nämlich dauerfähiger als der Europäer...
Bescheiden, fleißig, wohlwollend, mäßig, voller Friede und Freundlichkeit: so wollt ihr den Menschen? so denkt ihr euch den guten Menschen? Aber was ihr damit erreicht, ist nur der Chinese der Zukunft, das "Schaf Christi", der vollkommene Socialist...
Götzen-Dämmerung (1889)
Die Verbesserer der Menschheit
Die Moral der Züchtung und die Moral der Zähmung sind in den Mitteln, sich durchzusetzen, vollkommen einander würdig: wir dürfen als obersten Satz hinstellen, daß, um Moral zu machen, man den unbedingten Willen zum Gegentheil haben muß. Dies ist das große, das unheimliche Problem, dem ich am längsten nachgegangen bin: die Psychologie der "Verbesserer" der Menschheit. Eine kleine und im Grunde bescheidne Thatsache, die der sogenannten pia fraus, gab mir den ersten Zugang zu diesem Problem: die pia fraus, das Erbgut aller Philosophen und Priester, die die Menschheit "verbesserten". Weder Manu, noch Plato, noch Confucius, noch die jüdischen und christlichen Lehrer haben je an ihrem Recht zur Lüge gezweifelt. Sie haben an ganz andren Rechten nicht gezweifelt ... In Formel ausgedrückt dürfte man sagen: alle Mittel, wodurch bisher die Menschheit moralisch gemacht werden sollte, waren von Grund aus unmoralisch...
Die Arbeiter-Frage. - Die Dummheit, im Grunde die Instinkt-Entartung, welche heute die Ursache aller Dummheiten ist, liegt darin, daß es eine Arbeiter-Frage giebt. Über gewisse Dinge fragt man nicht: erster Imperativ des Instinktes. - Ich sehe durchaus nicht ab, was man mit dem europäischen Arbeiter machen will, nachdem man erst eine Frage aus ihm gemacht hat. Er befindet sich viel zu gut, um nicht Schritt für Schritt mehr zu fragen, unbescheidner zu fragen. Er hat zuletzt die große Zahl für sich. Die Hoffnung ist vollkommen vorüber, daß hier sich eine bescheidene und selbstgenügsame Art Mensch, ein Typus Chinese zum Stande herausbilde: und dies hätte Vernunft gehabt, dies wäre geradezu eine Nothwendigkeit gewesen.
Fragmente XI (1889)
Umwertungsheft 1887-1888
ein Christ in Indien hätte sich der Formeln der Sankhya-Philosophie bedient, in China der des Laotse — darauf kommt gar nichts an — Christus als "freier Geist".
Der Antichrist (1895)
..das erste Christenthum handhabt nur jüdischsemitische Begriffe (- das Essen und Trinken beim Abendmahl gehört dahin, jener von der Kirche, wie alles jüdische, so schlimm mißbrauchte Begriff). Aber man hüte sich darin mehr als eine Zeichenrede, eine Semiotik, eine Gelegenheit zu Gleichnissen zu sehn. Gerade, daß kein Wort wörtlich genommen wird, ist diesem Anti-Realisten die Vorbedingung, um überhaupt reden zu können. Unter Indern würde er sich der Sankhyam-Begriffe, unter Chinesen der des Laotse bedient haben - und keinen Unterschied dabei fühlen...
Das "Gesetz", der "Wille Gottes", das "heilige Buch", die "Inspiration" - Alles nur Worte für die Bedingungen, unter denen der Priester zur Macht kommt, mit denen er seine Macht aufrecht erhält, - diese Begriffe finden sich auf dem Grunde aller Priester-Organisationen, aller priesterlichen oder philosophisch-priesterlichen Herrschafts-Gebilde. Die "heilige Lüge" - dem Confucius, dem Gesetzbuch des Manu, dem Muhamed, der christlichen Kirche gemeinsam: sie fehlt nicht bei Plato. "Die Wahrheit ist da": dies bedeutet, wo nur es laut wird, der Priester lügt ...
…das erste Christenthum handhabt nur jüdischsemitische Begriffe (- das Essen und Trinken beim Abendmahl gehört dahin, jener von der Kirche, wie alles jüdische, so schlimm mißbrauchte Begriff) Aber man hüte sich darin mehr als eine Zeichenrede, eine Semiotik, eine Gelegenheit zu Gleichnissen zu sehn. Gerade, daß kein Wort wörtlich genommen wird, ist diesem Anti-Realisten die Vorbedingung, um überhaupt reden zu können. Unter Indern würde er sich der Sankhyam-Begriffe, unter Chinesen der des Laotse bedient haben - und keinen Unterschied dabei fühlen.

Adrian Hsia [zu Zitaten aus dem Nachlass] : In describing the Chinese customs, Nietzsche characterized the Chinese as an old race which is clever, miserly, and cold. The Chinese were for him not only senile, but also cowardly, but then so were the Germans of the Reformation era. They were just the opposite of ‘Übermensch¨and could be considered 'reduced' or 'coastrated' human beings. In many ways, China served as the worst example of what Europa could become in the future. It was painted as a country where the capability to develop, and reason had been lost. Nietzsche emphasized that China was a country which had hardly changed in the last few thousand years. It was the home of mediocrity (Vermittelmässigung), chinesery (Chineserei), and slave mentality (sklavische Tugenden) where absolute submission and service were the highest virtues (Unterordnung, Pietät), Bedientenseele. Thus calling somebody a Chinese is meant to be an insult. Alternately, the Chinese were mere 'mechanical yea-sayers' and 'marionettes' who said and did whatever the master wanted. They were really hardworking ants instead of individuals.
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 30-31. (LiuW1, Publication)
  • Document: Luo, Wei. "Fahrten bei geschlossener Tür" : Alfred Döblins Beschäftigung mit China und dem Konfuzianismus. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 2003). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1896). Diss. Beijing-Univ., 2003. S. 26-30. (Döb2, Publication)
  • Person: Nietzsche, Friedrich