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Chronology Entry

Year

1927

Text

Ehrenstein, Albert. Räuber und Soldaten [ID D12207].
Albert Ehrenstein schreibt im Nachwort : Abneigung gegen den penetranten Zuckerguss derartiger Süsspeisen trieb mein Interesse für chinesische Epik in minder ätherische Gegenden – von der langweiligen Apotheose des Dutzendliteraten weg in die Regionen der Volksromane.

Chuan Chen : Shui hu zhuan ist zwar ein revolutionärer Roman, der sich aber mit tiefinnerlichen, ernsthaften mit allgemein menschlichen Problemen auseinandersetzt. Ehrenstein sieht nur die radikalen und revolutionären Elemente. Er hält diesen Roman für einen grossen, aber noch rohen Entwurf, für eine Darstellung vieler Episoden und Geschehnisse ohne schöpferische Konzentration, ohne letzte künstlerische Einheit. Ehrenstein befindet sich im Irrtum : dieser Roman ist unzweifelhaft ein künstlerisch vollendetes Werk. So entstand aus der Absicht Ehrensteins, der aus diesem „rohen Stoff“ ein künstlerisches Werk schaffen wollte, in Wirklichkeit der ungewollte Versuch, aus einem Kunstwerk ein Kunstwerk zu machen.
Da Ehrenstein die chinesische Sprache nicht beherrscht, hat er durch einen Chinesen namens Ta Ko-an, der über hundert Bruchstücke aus verschiedenen chinesischen Erzählungen für ihn übersetzte, Shui hu zhuan kennengelernt. Er hat das Buch in richtiger Reihenfolge nicht lesen können, es ist ihm lediglich in Bruchstücken bekannt geworden. Das ist der Grund für seinen Irrtum, und deshalb unternahm er den Versuch, durch radikale Vereinfachung der Geschehnisse und Zuschreibung und Konzentration der Taten auf eine Hauptfigur, der Arbeit ein Einheit zu geben, die sie im Original noch nicht besitzt.
Er hat gerade die Episoden aus dem Leben Su Sungs ausgelassen, die die wichtigsten für seine menschliche Entwicklung sind, und statt dessen hat er viele Abenteuer anderer Räuber ihm zugeschrieben, ohne zu bedenken, dass die andern andere Charaktere sind… Es genügt ihm, wenn der Held ein Räuber und Revolutionär ist. Dadurch bringt er in seine Umarbeitung eine absolut unchinesische Aggressivität, eine leidenschaftliche Spannung, die in einem gewissen Widerspruch steht zu der lyrischen Grundstimmung, die das ganze Buch durchzieht.

Ma Jia : Die Nachdichtung ist nach sinologischer Ansicht ein misslungener Versuch... Durch das Zusammenpressen verschiedener, einander wiedersprüchlicher Charaktere in eine Figur und durch die Häufung der Handlungen gehen nicht nur die formalen Merkmale des chinesischen Romans, sondern auch die chinesische Mentalität verloren.

Karl-Markus Gauss : Seine chinesischen Nach- und Umdichtungen bilden einen Spiegel seines leidenden und rebellischen Wesens, das in der chinesischen Literatur Resonanz sucht und zum Ausdruck drängt, China ist für ihn keine fernöstlich dargebrachte Religion des Sich-Ertragens, sondern ein Reich der Rebellen, die keine Herrschaft und sich selbst nur in der Empörung ertragen.

Li Changke : Die bewusste Suche nach "Kampf" bestimmt Ehrensteins Beschäftigung mit China. Der Rebellionsgeist gegen die bestehende Gesellschaftsordnung liegt diesem Buch zugrunde... Der Shui Chuan mit seinem sozialkritisch-rebellischen Gehalt begeisterte den Dichter. Fortan wollte er das chinesische Werk "unter Beibehaltung des charakteristisch Chinesischen : des kolklorisch, sittengeschichtlich wichtigen Details zu einem zusammenhängenden, für Europäer lesenswerten Kunstwerk bearbeiten"... Die grossen Züge, mit denen Ehrenstein den chinesischen Roman umformte, verleihen ihm einen selbständigen Charakter. Der Erzähler selbst betrachtete sein Buch offenbar auch als eine eigenständige Leistung... Ein Textvergleich mit dem Original erübrigt sich sicher... Ehrenstein scheint sich weitgehend mit Wu Sung identifiziert zu haben, indem er die Geschicke seines Helden bis zu einem gewissen Grad zu einer literarischen Reflexion seiner eigenen sozialen Lage umgestaltete.

Mentioned People (1)

Ehrenstein, Albert  (Wien 1886-1950 New York, N.Y., Armenhospiz auf Welfare Island) : Österreichischer Schriftsteller

Subjects

Literature : China : Prose / Literature : Occident : Austria / Literature : Occident : China as Topic / Periods : China : Ming (1368-1644)

Documents (3)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 1933 Chen, Chuan. Die chinesische schöne Literatur im deutschen Schrifttum. (Kiel : Christian-Albrecht-Universität, 1933). Diss. Christian-Albrecht-Univ. Kiel, 1933. = Zhong de wen xue yan jiu. (Shanghai : Shang wu yin shu guan, 1936). S. 25. Publication / Che2
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
2 1992 Li, Changke. Der China-Roman in der deutschen Literatur 1890-1930 : Tendenzen und Aspekte. (Regensburg : S. Roderer, 1992). (Theorie und Forschung ; Bd. 209. Literaturwissenschaft ; Bd. 12). S. 180, 182-183. Publication / LiC1
  • Source: May, Karl. Kiang-lu : ein Abenteuer in China. In : Deutscher Hausschatz in Wort und Bild : für das Jahr 1880. (Regensburg : O. Pustet, 1880) ; May, Karl. Am Stillen Ocean. (Freiburg i.B. : Fehsenfeld, 1880). (MayK4, Publication)
  • Source: Birkhäuser, Ernst Adolf. Das Mädchen von Schanghai. (Leipzig : Grunow, 1938). Schauerroman ohne chinesischen Hintergrund. [Shanghai]. (Birk1, Publication)
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
3 1993 Ma, Jia. Döblin und China : Untersuchung zu Döblins Rezeption des chinesischen Denkens und seiner literarischen Darstellung Chinas in "Drei Sprünge des Wang-lun". (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1993). (Europäische Hochschulschriften ; Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur : Bd. 1394). Diss. Univ. Karlsruhe, 1992. S. 29. Publication / Döb1
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
  • Person: Döblin, Alfred
  • Person: Ma, Jia (2)