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“Hermann Hesse und China : Darstellung, Materialien und Interpretation” (Publication, 1974)

Year

1974

Text

Hsia, Adrian. Hermann Hesse und China : Darstellung, Materialien und Interpretation. (Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 1974). [2nd enl. ed. (1981) ; 3rd ed., with an add. chapter (2002)]. (Hes2)

Type

Publication

Contributors (1)

Hsia, Adrian  (Chongqing, Sichuan 1938-2010 Montreal) : Professor für Germanistik, Department of German Studies, McGill University, Montreal, Professor of Chinese, Chinese University of Hong Kong

Mentioned People (1)

Hesse, Hermann  (Calw 1877-1962 Montagnola) : Schriftsteller

Subjects

Literature : Occident : Germany : Prose / References / Sources / Sinology and Asian Studies : Canada / Sinology and Asian Studies : China

Chronology Entries (68)

# Year Text Linked Data
1 1902-1962 Bücher in Beziehung zu China der Privat-Bibliothek von Hermann Hesse in den Hermann-Hesse-Archiven der Nationalbibliothek Bern und dem Deutschen Literaturarchiv Marbach.

Bethge, Hans. Die chinesische Flöte [ID D11977].
Brandt, Max von. Die chinesische Philosophie und der Staats-Confucianismus [ID D6294].
Chang, Wu. 105 interessante chinesische Erzählungen [ID D14745].
Chinesisch-deutscher Almanach (1926-1931) [ID D3214].
Chinesische Abende. Übertr. von Leo Greiner [ID D11983].
Chinesische Gedichte. Versuchte Eindeutschung von O.E.H. Becker. MS 1942.
Chinesische Lyrik vom 12. Jahrhundert v. Chr. bis zur Gegenwart. Übers. von Hans Heilmann [ID D11976].
Chinesische Meisternovellen. Übertr. von Franz Kuhn (1952) [ID D1011].
Chinesische Novellen. Übertr. von H. Rudelsberger [ID D11981].
Chinesische Novellen. Deutsch von Paul Kühnel [ID D11982].
Chinesische Volksmärchen. Übers. von Richard Wilhelm [ID D1585].
Chung-jung. Übers. von Richard Wilhelm [ID D1599].
Danz, Walter. China [ID D15093].
Djin-gu tji-guan. Übers. Walter Strzoda [ID D15094].
Do-Dinh, Pierre. Konfuzius in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. [ID D14744].
Dschuang Dsi. Übers. von Richard Wilhelm [ID D4447].
Dschung Kue : oder die Bezwinger der Teufel [ID D14741].
Dumoulin, H. Zen : Geschichte und Gestalt [ID D14743].
Ewald, Oskar. Laotse [ID D14746].
Frühling und Herbst des Lü Bu We. Übers. von Richard Wilhelm [ID D1594].
Das Geheimnis der goldenen Blüte [ID D1597].
Die goldene Truhe [ID D4122].
Graefe, Hugo. Situations-Erkenntnis nach I ging. MS o.J.
Greiner, Leo. Chinesische Abende. [ID D11983].
Guan, Hsiu. Die 16 Lohans [ID D14760].
Herbstlich helles Leuchten überm See. Übertr. von Günther Debon [ID D504].
Hesse, Johannes. Lao Tsze : ein vorchristlicher Wahrheitszeuge [ID D11980].
Hiau ging : das Buch der Ehrfucht. Übers. von Richard Wilhelm [ID D14754].
Hsüeh-tou. Bi-yän-lu [ID D835].
I ging. Übers. von Richard Wilhelm [ID D1589].
Im Tau der Orchideen und andere chinesische Lieder aus drei Jahrtausenden. Deutsch von Conrad Haussmann [ID D13388].
Ju-kiao-li. Deutsche Bearb. von Emma Wuttke-Biller [ID D15095].
Kin ku ki kwan. Übers. von Franz Kuhn [ID D1022].
Klabund. Li-tai-pe : Nachdichtungen [ID D2998].
Krieg, Claus W. Chinesische Mythen und Legenden [ID D15097].
Kungfutse. Lun yü. Verdeutscht von Richard Wilhelm [ID D1581].
Kungfutse. Schulgespräche. Übers. von Richard Wilhelm ; hrsg. von Hellmut Wilhelm [ID D4443].
Lao tse. Hrsg. von Lin Yutang [ID D14758].
Lao, Tse. Die Bahn und der rechte Weg des Lao Tse. Übers. von Alexander Ular [ID D11974].
Lao Tse. Das Buch von Tao und Te. Übers. von Eberhard Cold. [Manuskript]. [ID D14752].
Lao Tse. Sprüche. Übers. von Klabund [ID D11984].
Lao Tse. Tao te king : das Buch vom Weltgrund und der Weltweise. Übers. von Haymo Kremsmayer [ID D5008].
Lao Tse. Tao te king. Übers. von Richard Wilhelm [ID D4445].
Laotse. Tao teh king : vom Geist und seiner Tugend. Übers. von Hertha Federmann [ID D14756].
Lao Tsze. Buch vom höchsten Wesen und vom höchsten Gut. Übers. von Julius Grill [ID D11979].
Lau Dse : das Eine als Weltgesetz und Vorbild. Übers. von Vincenz Hundhausen [ID D7637].
Li gi. Übers. von Richard Wilhelm [ID D1599].
Li-tai-pe. Drei chinesische Gedichte. (Berlin : Höhere Graphische Fachschule, 1936-1937). 4 gez. Bl.
Li-tai-po. Gedichte. Übers. von Otto Hauser [ID D4640].
Liä Dsi. Übers. von Richard Wilhelm [ID D4446].
Lin, Yutang. Mein Land und mein Volk [ID D13801].
Lin, Yutang. Weisheit des lächelnden Lebnes [ID D14759].
Ling, Tsiu-sen. Ein Körnchen Wahrheit [ID D14757].
Lyrik des Ostens. Hrsg. von Wilhelm Gundert [ID D4186].
Mao, Tse-tung. Gedichte. Deutsche Nachdichtung von Rolf Schneider. (Berlin : Volk und Welt, 1958).
Mong Dsi. Verdeutscht von Richard Wilhelm [ID D4445].
Der Ochs und sein Hirte : eine altchinesische Zen-Geschichte [ID D14762].
P'u, Sung-ling. Chinesische Geister- und Liebesgeschichten [ID D3083].
Pu-ssung-ling. Chinesische Novellen [ID D13174].
P’u, Sung-ling. Die Füchsin und die tote Geliebte [ID D14753].
P'u, Sung-ling. Höllenrichter Lu [ID D13668].
Schi-king. Dem Deutschen angeeignet von Friedrich Rückert [ID D4634].
Schi-king. Nach Friedrich Rückert von Albert Ehrenstein [ID D12457].
Schi, Nai Ngan. Wie Lo-ta unter die Rebellen kam [ID D12206].
Seltsame Hochzeitsfahrt. Übertr. von Anna von Rottauscher [ID D4986].
Sheng, Cheng. Meine Mutter [ID D13131].
Strasser, Charlot. Über chinesische und japanische Lyrik [ID D15098].
Streiter, Artur. Wanderungen im Lande des Chinesen Dschuang Dsi [ID D15099].
Tang, Hsiän Dsu. Die Rückkehr der Seele. In deutscher Sprache von Vincenz Hundhausen [ID D7646].
Tang, Hsiän Dsu. Vor dem Selbstbildnis eines schönen Mädchens. In deutscher Sprache von Vincenz Hundhausen. [S.l., s.n.].
Tau, Yüan-ming. Ausgewählte Gedichte in deutscher Nachdichtung von Vincenz Hundhausen [ID D7649].
Das tibetanische Totenbuch [ID D14734].
Tscharner, Eduard Horst von. Chinesischer Kulturgeist : Vortrag. Aus : Der kleine Bund ; 20 (1939).
Tschuang-tse. Reden und Gleichnisse. Deutsche Ausw. von Martin Buber [ID D11976].
Tu, Fu. Die grossen Klagen [ID D15100].
Valn, Nora. Süsse Frucht, bittre Frucht China [ID D3326].
Wang, She-fu. Das Westzimmer. In deutscher Sprache von Vincenz Hundhausen [ID D5118].
Wilhelm, Richard. Chinesische Lebensweisheiten (1950) [ID D1588].
Wilhelm, Richard. Der Mensch und das Sein [ID D14761].
Wilhelm, Richard. Ostasien [ID D4679].
Wilhelm, Salome. Richard Wilhelm [ID D14008].
Wu, Ch'eng-en. Der rebellische Affe [ID D8874].
Zenker, E.V. Geschichte der chinesischen Philosophie. Bd. 1 [ID D4896].
2 1903 Erste Begegnung von Hermann Hesse mit China. Er liest Die Bahn und der rechte Weg des Lao-tse von Alexander Ular [ID D11974]. 1907 schreibt er in der Rezension : Aus China hat der [Insel]-Verlag eine schöne Übersetzung der Sprüche des Lao Tse [Laozi] gebracht.
Durch seinen Vater ist Hesse schon in seiner Kindheit in Kontakt mit der indischen und chinesischen Kultur gekommen. Er schreibt später : Viele Welten kreuzen ihre Strahlen in diesem Hause. Hier wurde gebetet und in der Bibel gelesen, hier wurde studiert und indische Philosophie getrieben, hier wurde gute Musik gemacht, hier wusste man von Buddha und Laotse [Laozi].
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 43. (LiuW1, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
  • Person: Ular, Alexander
3 1905 In der Bibliothek von Hermann Hesse befindet sich das Buch : Chinesische Lyrik vom 12. Jahrhunder v. Chr. bis zur Gegenwart. [ID D11976]. Darin hat Hesse alle Gedichte, die ihm gefallen haben, im Inhaltsverzeichnis angestrichen. Es betrifft vor allen Li Bo und Du Fu.
4 1907 Hermann Hesse schreibt über Bethge, Hans. Die chinesische Flöte [ID D11977], seine erste Rezension zu einem Buch das China betrifft : Ein erstaunliches Buch ! Oft ahnt man zwar betrübt das Köstliche, was auf dem weiten Umweg von den Originalen bis in diese deutschen Nachbildungen verloren gehen musste, aber einstweilen und für lange Zeit ist eine getreuere Wiedergabe wohl unmöglich. Den Gipfel bildet Li Tai Po [Li Bo], der schwermütige Zecher und Liebende, mit seinen Versen, dessen Aussenseite lockend glänzt und die innen voll trostloser Trauer sind. Zwischen dem fremdländischen Schmuck der Lotosblumen dringen uns immer wieder Gefühle entgegen, die mit unbeschränkter Menschlichkeit uns an die Griechen, die alten Italiener, die Minnesänger erinnern.
5 1910 Das älteste China-Buch, das in der Bibliothek von Hermann Hesse steht, ist Schi-king [Shi jing]… von Friedrich Rückert [ID D4634]. Hesse muss das Buch vor 1910 gelesen haben, denn in seinem Aufsatz Lieblingslektüre gibt er an, dass er diese Übersetzung schon gekannt hat, bevor Richard Wilhelm mit seiner Übersetzung 1910 begonnen hat.
6 1910 Hermann Hesse liest die Übersetzung Gespräche des Kung-futse von Richard Wilhelm [Lun yu] [ID D1581], Reden und Gleichnisse des Tschuang-tse von Martin Buber [ID D11978] und Lao-tszes Buch vom höchsten Wesen und vom höchsten Gut (Tao-te-kin) von Julius Grill. [ID D11979].

Adrian Hsia : Durch diese beiden Bücher [Wilhelm und Grill] erhält Hesse eine systematische Einführung in den Taoismus…. Die beiden Übersetzungen zeigen zwei verschiedene Ausgangspunkte und Interpretationsmöglichkeiten der Übersetzer. Grill geht von einer christlich-theologischen und Wilhelm von einer metaphysisch-ontologischen Betrachtungsweise aus. Hesse schätzte beide Übersetzungen, zieht aber die von Wilhelm vor.

Zu Gespräche des Kung-futse schreibt Hesse in : Confucius deutsch. In : Die Propyläen ; Jg. 7 (1910)] : Leicht ist die Lektüre nicht, und immer wieder hat man das Gefühl, eine fremde Luft zu atmen, welche von anderer Art und Zusammensetzung ist als die, die wir zum Leben brauchen. Dennoch bereue ich die mit diesen Gesprächen verbrachten Tage nicht… Denn als innersten Kern im Wesen des grossen Fremdlings Confucius erkennen wir dieselben Eigenschaften, die wir bei den grossen Menschen der abendländischen Geschichte längst kennen. Wir empfinden Dinge als natürlich, die uns anfänglich wie groteske Verirrungen erschienen, und finden Dinge reizvoll, ja schön, die uns zuerst abschreckend trocken vorkamen. Und wir Individualisten beneiden diese chinesische Welt um die Sicherheit und Grösse ihrer Pädagogik und Systematik, der wir nichts an die Seite zu stellen haben als unsre Kunst und unsere vielleicht grössere Bescheidenheit vor der aussermenschlichen Natur.
7 1911 Hermann Hesse liest die Übersetzungen von Richard Wilhelm : Lao-tse. Tao de king [ID D4445] und Liä dsi : das wahre Buch vom quellenden Urgrund [ID D4446].

Adrian Hsia : Im Gegensatz zu Zhuangzi äussert sich Hesse nicht besonders lobenswert über Liezi, doch findet man in seinem Handexemplar angekreuzte Dialoge, Anekdoten und Gedanken.

Liu Weijian : Laozis Lehre wird ihm eine Art geistige Quelle und für lange Zeit zur wichtigsten Offenbarung.
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 48. (LiuW1, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
  • Person: Laozi
8 1911 Hesse, Hermann. Chinesisches in München. In : Die Welt im Buch II. (Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 1998).
Er schreibt : In den vierziger Jahren [19. Jh.] hat der Orientalist und Ethnograph [Karl Friedrich] Neumann dem bayerischen Staat eine chinesische Bibliothek von etwa zehntausend Bänden geschenkweise überlassen. Zum Dank dafür wurde er, als freisinniger Neigungen verdächtig, einige Jahre später vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Das war eine der einfachen, begreiflichen politischen Grausamkeiten, die niemanden aufregen. Dass aber der bayerische Staat das Andenken dieses Neumann heute noch mit sonderbarer Hartnäckigkeit zu unterdrucken scheint und dessen Stiftung, die ein unschätzbares Unikum darstellt, geflissentlich totschweigt und der Wirkung beraubt, ist immerhin bemerkenswert. In der Münchener Hof- und Staatsbibliothek stehen jene zehntausend Bände chinesischer Literatur seit all diesen langen Jahrzehnten unbenützbar als altes Papier, denn es existiert kein Katalog darüber, und die gewaltige Sammlung, die in Europa wenig ihresgleichen hat, verstaubt auf dem Speicher… Oder fürchten die Herren davon eine Art gelber Gefahr, nachdem doch der seit Jahrzehnten, verstorbene Demagoge Neumann nicht mehr zu fürchten ist.
Die Direktion der Königlichen Hof- und Staatsbibliothek bestreitet es und antwortet, dass die Bibliothek allgemein benützbar sei, in der Bibliothek aufgestellt ist, Kataloge bestehen und auch eine Neukatalogisierung geplant sei.
9 1911 Hermann Hesse schreibt über die chinesischen Bücher die er gelesen hat : Es steht mir nicht an, weder über die chinesischen Bücher selbst noch über die Arbeit ihrer Übersetzer klug zu reden ; ich wollte nur erzählen, dass diese merkwürdigen Bücher mir, der ich vom alten Orient nur die buddhistischen und dem Buddhismus verwandte Philosophien als Laie gekannt hatte, ganz neue Werte mitgeteilt haben. Ostasien hat, zwischen Buddha und Christus, eine nie zur Volksreligion gewordene Philosophie besessen, deren aktive, lebendig schöne Ethik der christlichen entschieden näher steht, als der indisch-buddhistischen.
10 1911 Hermann Hesse tritt seine Reise nach Indien an, die ihn den Chinesen näher als den Indern bringt. Er schreibt : Ich war gegangen, um den Urwald anzusehen, die Krokodile zu streicheln und Schmetterlinge zu fangen, und fand nebenbei und ungesucht etwas viel Schöneres : die Chinesenstädte von Hinterindien und das chinesische Volk, das erste wirkliche Kulturvolk, das ich sah…. Die Inder haben mir im ganzen wenig imponiert, sie sind wie die Malayen schwach und zukunftslos. Den Eindruck unbedingter Stärke und Zukunft machen nur die Chinesen und die Engländer, die Holländer etc. nicht.
Nach seiner Rückkehr schreibt er : Geblieben ist das Erlebnis eines Traumbesuches bei fernen Vorfahren, einer Heimkehr zu märchenhaften Kindheitszuständen der Menschheit, und eine tiefe Ehrfurcht vor dem Geist des Ostens, der in indischer oder chinesischer Prägung mir seither immer wieder nahe kam und zum Tröster und Propheten wurde.
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 46. (LiuW1, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
11 1911 Ku, Hung-ming [Gu Hongming]. Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen [ID D11435].
Er schreibt : Der Engländer kann nicht durch die gelbe Haut hindurch das Innere sehen, das moralische Wesen und den geistigen Wert des Chinesen. Wenn er es könnte, so würde er sehen, was für eine Feenwelt tatsächlich im Innern des Chinesen mit Zopf und gelber Haut verborgen ist. Er würde unter anderen Dingen den Taoismus erblicken, mit Bildern von Feen und Genien, die den Göttern des alten Griechenlandes nichts nachleben : er würde den Buddhismus finden und seinen Sang von unendlichem Leid, Mitleid und Gnade, so süss und traurig und tief wie der mystische unendliche Gesang des Dante. Und schliesslich würde er den Konfuzianismus finden mit seinem Weg des „Edlen“…

Hermann Hesse schreibt eine Rezension über das Buch. Daraus erfährt er etwas über die chinesische Geschichte des 19. Jahrhunderts, den Boxeraufstand und den Opiumkrieg. Er schreibt : Man erfährt daraus viel über die massgebenden politischen Persönlichkeiten Chinas, speziell über die Ära von Li-Hung-Tschang [Li Hongzhang], und darunter manches Erstaunliche. Der sympatische Autor ist, ohne sonderlich originall zu sein, ein feiner, gescheiter Vertreter der alten chinesischen Kultur und Moral, die einer Verteidigung gegen Europa freilich sehr bedarf. Im letzten Grunde hat er Recht : Wir Europäer haben den Chinesen wenig Gutes und viel Schlechtes ins Land gebracht.

Wu Xiaoqiao : Gu Hongming verfasste dieses Werk um zu zeigen, wie seit der Ankunft der Europäer in China wir Chinesen versucht haben, die zerstörenden Kräfte der materialistischen Zivilisation Europas zu bekämpfen und verhindern, dass dadurch Schaden geschehe an der Sache der guten Regierung und wahren Kultur. Er schreibt : "Wir Chinesen als Nationa haben uns bisher dieser echten Macht innerhalb der chinesischen Kultur noch wenig bedient, um die Kräfte der modernen Zivilisation Europas zu bekämpfen". Er versucht den Geist, oder die Seele der chinesischen Zivilisation zu erklären und ihren Wert zu zeigen. Das Buch gilt als eine Erklärung an die europäische Welt und erweist sich als heftige Verteidigung der traditionellen chinesischen Kultur gegen die militärischen und materialistischen Tendenzen der modernen europäischen Zivilisation sowie als Kritik gegen den Gedanken der "Pöbelverehrung". Seiner Ansicht nach führte diese Rücksichtsnahme auf die Masse des Volkes auch zum Weltkrieg. Was die Ähnlichkeiten der verschiedenen Kulturen betrifft, meint Gu : "Wenn man in der Tat die a+b=c Gleichung richtig gelöst hat, wird man finden, dass nur ein geringer Unterschied zwischen dem Osten des Konfuzius und dem Westen Shakespeares und Goethes besteht..."
Gu übte heftige Kritik an der Übertragung von klassischen chinesischen Werken, die seiner Meinung nach zum falschen Verständnis der chinesischen Kultur in Europa beigetragen haben.

Walter Benjamin schreibt an einen Freund über das Buch : Es ist im einzelnen bei meiner völligen Unkenntnis der chinesischen Politik nich anschaulich gewesen ; doch es überrascht, unter ganz fernen Verhältnissen einen so radikalen Kulturwillen zu bemerken, wie Gu Hongming ihn bewährt. Er steht jenseits der Parteipolitik, beurteilt die führenden Persönlichkeiten rücksichtslos nach ihrer moralischen Dignität und sieht für das heutige China mit Schrecken die Gefahr, dass es vom zynischen industrialistischen Geist Europas vergewaltigt werden kann.

Im Vorwort wird erwähnt, dass Gu Hongming in Weimar war und Goethe kannte. Er schreibt, dass die Aufklärung ihre "wirksamsten Ideen" dem Studium chinesischer Ideen und chinesischer Einrichtungen zu verdanken hat.
  • Document: Aurich, Ursula. China im Spiegel der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. (Berlin : Emil Ebering, 1935). (Germanische Studien ; H. 169). (Aur1, Publication)
  • Document: Wei, Maoping. Günter Eich und China : Studien über die Beziehungen des Werks von Günter Eich zur chinesischen Geisteswelt. (Heidelberg : Universität Heidelberg, 1989). Diss. Univ. Heidelberg, 1989. S. 94. (Eich4, Publication)
  • Document: Yang, Wuneng. Goethe in China (1889-1999). (Frankfurt a.M. : P. Lang, 2000). (YanW1, Publication)
  • Document: Wu, Xiaoqiao. Ku Hung-ming und der Kulturdialog zwischen China und Europa im 20. Jahrhundert : http://www.inst.at/studies/s_0712_d.htm. (KuHu1, Web)
  • Person: Benjamin, Walter
  • Person: Goethe, Johann Wolfgang von
  • Person: Gu, Hongming
  • Person: Hesse, Hermann
12 1911 Die erste chinesische Prosadichtung, die Hermann Hesse liest, ist P'u, Sung-ling. Chinesische Geister- und Liebes-Geschichte…in der Übersetzung von Martin Buber. [ID D3083]. Er nennt sie „das dichterische Wertvollste“ nach dem Shi-king [Shi jing] und den Gleichnissen des Dschuang Tsi [Zhuangzi].
Er schreibt : Diese zauberhaften Geschichten fanden mich wohl vorbereitet und haben mir einen tieferen Eindruck gemacht als alles, was ich sonst seither gelesen habe.
13 1913 Hesse, Hermann. Aus Indien. (Berlin : S. Fischer, 1913). Darin erzählt er, dass er auf der Hinreise auf dem Schiff dem ersten, einem gebildeten Chinesen aus Shanghai, begegnet ist. Nachher habe er nur noch chinesische Kaufleute und Diener getroffen. Dieser Chinese kenne das Shi jing auswendig, spreche in geläufigem Englisch über das Mondlicht über dem Wasser und lächle immerzu wie ein Buddha. Über die Bevölkerung schreibt Hesse : Überall Chinesen, die heimlichen Herrscher des Ostens, überall chinesische Läden, chinesische Schaubuden, chinesische Handwerker, chinesische Hotels und Klubs, chinesische Teehäuser und Freudenhäuser… Japanische Dirnen sitzen kauernd am Steinrand der Gosse und girren wie fette Tauben, aus chinesischen Freudenhäusern glänzt golden der wohlbestellte steife Hausaltar, hoch über der Strasse in offenen Veranden hocken alte Chinesen mit kühlen Gebärden und heissen Augen beim aufregenden Glücksspiel, andere liegen und ruhen oder rauchen und hören der Musik zu, der feinen, rhythmisch unendlich komplizierten und exakten chinesischen Musik.
Er schreibt später : Meine damalige Philosophie war die eines erfolgreichen, aber müden und übersättigten Lebens, ich fasste den Buddhismus als Resignation und Askese auf, als Flucht in Wunschlosigkeit, und blieb Jahre dabei stehen...
  • Document: Ye, Fang-xian. China-Rezeption bei Hermann Hesse und Bertolt Brecht. (Irvine : University of California, 1994). Diss. Univ. of California, Irvine, 1994). S. 18. (Hes80, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
14 1914 Hesse, Hermann. Der Dichter. In : O mein Heimatland ; Jg. 3 (1914).
Adrian Hsia : Dieses Märchen weist eine Vielzahl chinesischer Elemente und taoistischer Einflüsse auf.
15 1914 Hermann Hesse liest die Übersetzungen der Chinesischen Volksmärchen von Richard Wilhelm [ID D1585]. Er schreibt : Wir finden viel Naivität, Kindlichkeit und Spielerei, daneben eine grosse Feinfühligkeit im Ästhetischen, Betonung der poetischen Einzelheit, Freude am Detail überhaupt neben einer gewissen Gleichgültigkeit gegen den erzählerischen Aufbau (mit Ausnahme der Kunstmärchen), Geisterglaube und andere animistische Vorstellungen herrschen durchaus, selten siegt persönliche Überlegenheit über diese dämonischen Abhängigkeiten. Dafür aber steht der Gebundenheit und Primitivität solcher Anschauungen ein Gebäude von moralisch-politischer Lebensbeherrschung gegenüber, eine Autorität der Sitte, eine Zucht der Höflichkeit, eine Heiligkeit der auf der Familie aufgebauten sozialen Autorität, die wir voll Hochachtung bewundern müssen.
16 1914 Hermann Hesse schreibt an seinen Vater : In letzter Zeit kam ich, nach zehn Jahren Pause, wieder an die Lektüre Nietzsches und finde darin sehr viel neue Anregung und Genuss… Dabei ist mir in seinem Antichrist eine kleine Stelle über Lao Tse [Laozi] aufgefallen… Es heisst da, Jesus würde sich unter Indern der Sankhyam-Begriffe, unter Chinesen derer des Lao Tse bedient haben. Diese Verwandtschaft hat also Nietzsche schon 1888 gefühlt.
17 1914 Hesse, Hermann. Erinnerung an Asien. In : März ; Jg. 8 (1914).
Er schreibt : Bei den Chinesen war von allem Anfang an der Eindruck eines Kulturvolkes da, eines Volkes, das in langer Geschichte geworden und gebildet ist und im Bewusstsein der eigenen Kultur nicht nach rückwärts, sondern in eine tätige Zukunft blickt… Den Chinesen gegenüber war mein Gefühl zwar stets eine tiefe Sympathie, aber gemischt mit einer Ahnung von Rivalität, von Gefahr ; mir schien, das Volk von China müssen wir studieren wie einen gleichwertigen Mitbewerber, der uns je nachdem Freund oder Feind werden, jenfalls aber uns unendlich nützen oder schaden kann…
Nach dem Besuch eines chinesischen Theaters schreibt er : Es gibt in Europa kein einziges Opernhaus, in dem Musik und Bewegungen des Bühnenbildes so tadellos, so exakt und harmonisch miteinandergehen wie hier in dieser Bretterbude… Es ist klar, dass kein Import aus Osten uns hier helfen kann, kein Zurückgehen auf Indien oder China, auch kein Zurückflüchten in ein irgendwie formuliertes Kirchenchristentum. Aber es ist ebenso klar, dass Rettung und Fortbestand der europäischen Kultur nur möglich ist durch das Wiederfinden seelischer Lebenskunst und seelischen Gemeinbesitzes. Dass Religion oder deren Ersatz das ist, was uns zutiefst fehlt, das ist mir nie so unerbittlich klar geworden wie unter den Völkern Asiens.

Adrian Hsia : Hesse hat nur die Chinesen Hinterindiens kennen gelernt. Er wusste nichts vom Elend des Volkes und von der Korruption der gebildeten Schichten. Auch wusste er nichts von der Unterdrückung und Ausbeutung der Chinesen durch die Kolonialmächte… Deshalb sah er die Chinesen vielleicht etwas idealisiert…Hesses Sympathie und Bewunderung für die Chinesen haben ihn nach der Rückkehr bewogen, sich die chinesische Philosophie und Literatur weiter zu erschliessen.
  • Document: Gellner, Christoph. Weisheit, Kunst und Lebenskunst : fernöstliche Religion und Philosophie bei Hermann Hesse und Bertolt Brecht. (Mainz : Matthias-Grünewald-Verlag, 1996). (Theologie und Literatur ; Bd. 8). Diss. Univ. Tübingen, 1996. S. 100. (Gel2, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
18 1915 Hermann Hesse liest Chinesische Novellen übertragen von Hans Rudelsberger [ID D11981] ; Chinesische Novellen übertragen von Paul Kühnel [ID D11982] ; Chinesische Abende übertragen von Leo Greiner [ID D11983] ; Li Tai Pe. Nachdichtungen von Klabund [ID D2998].

Er schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung ; Nr. 811 (1915) : Diese paar Bücher, deren jedes ein eigenes Stück China bringt und deutlich die Subjektivität seiner Auswahl spüren lässt, haben mich ungezählte Tage bschäftigt und unterhalten… Das doppelte Gesicht Chinas sieht mir daraus entgegen ; denn alles chinesische Wesen, vor allem alle chinesische Dichtung hat für mein Gefühl zwei Gesichter, zwei Seiten, zwei Pole. Die eine Seite ist eine stille, naive Gegenwärtigkeit, ein konservativ praktisches Verharren bei den Realitäten des täglichen Lebens, eine Achtung vor Leben, Gesundheit, Famlienglück, vor Gedeihen, Besitz, Reichtum in jeder Form...

Adrian Hsia : Die Bücher in Hesses Besitz enthalten eigenhändige Bemerkungen, bei Geschichten, die sich in anderen Ausgaben wiederholen, und zwar immer mit dem Namen des Übersetzers. Er stellt nicht unbedeutende Abweichungen fest.

Hesse schreibt über Li Bo : Bis heute ist Wesen und Sinn der chinesischen Lyrik dem Westen noch ebenso fremd wie Wesen und Sinn der chinesischen Malerei.
  • Document: Chen, Zhuangying. Hermann Hesse und der chinesische Lyriker Li Tai Pe. In : Literaturstrasse ; Bd. 5 (2004). (Hes36, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
  • Person: Li, Bo
19 1916 Hesse, Hermann. Faldun. In : Westermanns Monatshefte ; Jg. 60, Bd. 120 (1915-1916).
Adrian Hsia : Faldun enthält Motive aus chinesischen Erzählungen.
20 1916 Nach seiner Indien-Reise widmet sich Hermann Hesse der indischen und chinesischen Philosophie und Literatur. Gleichzeitig beschäftigt er sich mit dem politischen Zeitgeschehen und ergreift Partei gegen die in Europa herrschenden Vorurteile über China und die koloniale Machtpolitik. Er verurteilt die Meinungen über die Grausamkeit, die Rückständigkeit und die Opiumsucht Chinas und der chinesischen Bevölkerung.
Er schreibt : Man erzählt viel von der Spielsucht der Chinesen aller Stände und munkelt je und je geheimnisvoll von einem Zuge tiefer, wilder Grausamkeit, der allen Chinesen im Grunde eigen sei. In der Wirklichkeit bekommt man von dieser Grausamkeit nie etwas zu sehen, als seltene Polizeinachrichten oder Berichte aus älterer Zeit, meist aus Kriegs- oder Revolutionszeiten, und diese melden nichts Schlimmeres, als was uns auch aus europäischen Kriegen, selbst den allerneuesten, vertraut und geläufig ist. Das Opiumrauchen, an sich und als Volksgefahr gewiss nicht schlimmer als die Trunksucht in Europa, scheint im Rückgang begriffen, wird von europäischen Opiumhändlern unterstützt und von grossen chinesischen Gesellschaften genau so bekämpft und überwacht wie bei uns die Trunksucht von den Abstinenzgesellschaften.
21 1918 Hermann Hesse schreibt : Noch schöner und mir unendlich wichtiger aber war die je und je in aller Sinnlichkeit und Frische wiederholte Erfahrung, dass nicht nur der Osten und der Westen, nicht nur Europa und Asien Einheiten sind, sondern es darüber hinaus eine Zugehörigkeit und Gemeinschaft gibt, die Menschheit. Jeder weiss das, und jedem ist es doch unendlich neu und köstlich, wenn er es nicht in Büchern liest, sondern Aug’ in Auge mit ganz fremden Völkern erlebt.
22 1918 Hesse, Hermann. Iris. In : Die neue Rundschau ; Jg. 29 (1918).
Adrian Hsia : Wir erkennen Hesses Bestreben, das Asiatische zu assimilieren. Es ist schwer, in diesem Märchen einerseits das Indische vom Chinesischen, andrerseits das Asiatische vom Romantischen zu unterscheiden. Trotz allem aber überwiegen eindeutig die asiatischen Elemente.
23 1919 Hermann Hesse schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung : Die Weisheit, die uns nottut, steht bei Lao Tse [Laozi], und sie ins Europäische zu übersetzen, ist die einzige geistige Aufgabe, die wir zur Zeit haben. Darauf schreibt ihm Klabund, der eben seine Übersetzung des Dao de jing abgeschlossen hat [ID D11984] : Ich brauche Ihnen kaum zu sagen, dass ich das Tao te king für das politische Buch halte, das der Welt augenblicklich am meisten not täte : als Erlebnis und Verwirklichung.
24 1919 Hesse, Hermann. Demian : die Geschichte einer Jugend. Von Emil Sinclair. (Berlin : S. Fischer, 1919).
Adrian Hsia : Es lassen sich chinesische Motive nachweisen… und es finden sich Gemeinsamkeiten mit Zhuangzi und Liezi… Frau Eva und Demian scheinen dem Yin- und Yang-Prinzip zu entsprechen… Eva hat auch männliche Züge, obwohl das Weibliche überwiegt. Umgekehrt verhält es sich mit Demian. Das Zusammenwirken von Yin und Yang bewirkt die Schöpfung und Wandlung alles Seienden. Da Eva und Demian das Innere Sinclairs ausmachen, kann er zu Recht sage, dass in ihm die ganze Natur abgebildet sei. Hesse hat Yin und Yang als Bilder nach aussen projiziert. Sinclairs Selbstwerdung besteht aus der bildlichen Rückkehr der beiden Prinzipien in ihn. Deshalb erreicht er auch einen zunehmend vollkommeneren Zusammenklang zwischen sich und der Natur, je näher er seiner Selbstverwirklichung kommt.

Liu Weijian : Bei der Bemühung, den inneren, christlich geprägten Konflikt von Gut und Böse zu überwinden und eine harmonische Ordnung in sich selbst herzustellen, sieht Hesse in der taoistischen Einheit von Yin und Yang eine Hilfe : Yin und Yang sind für Hesse zwar zwei entgegengesetzte Pole, schliessen aber einander nicht aus ; einem ununterbrochenen Wechselspiel unterworfen, bilden sie ein harmonisches Verhältnis. Diese neue Erkenntnis kennzeichnet einen bedeutenden Einschnitt in Hesses Leben und zeigt sich zuerst in seinem Roman Demian… In Sinclairs Yang-Welt herrschen Unschuld und Harmonie, Güte und Glaube, Liebe und Achtung. Seine Yin-Welt ist böse, wild, dunkel und geheimnisvoll… Er strebt danach, die Gegensätze von Yin und Yang zu überwinden… In der Einheit von Yin und Yang wird die Trennung zwischen männlich und weiblich aufgehoben.
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 51-60. (LiuW1, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
25 1920 Hesse, Hermann. Das Haus der Träume. In : Der Schwäbische Bund ; Jg. 2, Ht. 2 (1920).
Adrian Hsia : Die Hauptperson Neander enthält Chrakaterisierungen aus chinesischen Erzählungen.
26 1920 Hesse, Hermann. Klingsors letzter Sommer : Erzählungen. (Berlin : S. Fischer, 1920).
Adrian Hsia : Klingsor nennt sich selbst Li Tai Po [Li Bo] und sein Freund Hermann nennt sich Thu Fu [Du Fu]. Nicht nur der Dichter Hermann, sondern auch Klingsor ist Hesse… Sie stehen für die Polaritäten der Psyche Hesses. Die Beschreibung von Li in Die chinesische Flöte von Hans Bethge [ID D11977], die Hesse 1907 gelesen hat, entspricht vollständig dem Wesen Klingsors. Auch er ist ein Trinker und Abenteurer. Beide fühlen sich von der Schönheit der Welt angezogen – Li hat sie im Gedicht wiedergegeben, während Klingsor sie malt. Dabei kreisen beider Gedanken um die Vergänglichkeit…

Chen Zhuangying : Li Tai Pes [Li Bo] Gedichte, die einen Grundton des ewigen Schwmerzes und der Trauer enthalten, stossen bei Hesse auf grosse Resonanz. Auch in der Persönlichkeit des Dichters fühlt sich Hesse mit Li Tai Pe [Li Bo], dem von frustrierender und resignierender Lebenseinstallung tief geprägten chinesischen Lyrikers, identisch. Beide sind traditionsmissachtende, unbändige Aussenseiter, gescheiterte Ehemänner, besitzen eine sich stets nach Freiheit und Unruhe sehnende Natur, die jegliche Anpassung an das bürgerlich-gesellschaftliche Leben unmöglich macht. Li Tai Pe, der ewige Trinker, trinkt, um seine Schwermut zu betäuben ; Klingsor, der leidenschaftliche Maler zecht, weil er die gleiche Schwermut zu überwinden hat.
  • Document: Chen, Zhuangying. Hermann Hesse und der chinesische Lyriker Li Tai Pe. In : Literaturstrasse ; Bd. 5 (2004). (Hes36, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
27 1920-1921 Hermann Hesse schreibt in sein Tagebuch : Wir können und dürfen nicht Chinesen werden, wollen es im Innersten auch gar nicht. Wir dürfen Ideal und höchstes Bild des Lebens nicht in China und nicht in irgendeiner Vergangenheit suchen, sonst sind wir verloren und hängen an einem Fetisch. Wir müssen China, oder das, was es uns bedeutet, in uns selber finden und pflegen.
Hier schmeckt mir die reine Vernünftigkeit der Buddhalehre heute nicht mehr so vollkommen, und gerade was ich in der Jugend an ihr bewunderte, wird mir jetzt zum Mangel : diese Vernünftigkeit und Gottlosigkeit, diese unheimliche Exaktheit und dieser Mangel an Theologie, an Gott, an Ergebung.

Hesse schreibt über Chinesische Landschaftsmalerei von Otto Fischer [ID D653] : Wunderbar ist die Erzählung vom Tode des berümtesten chinesischen Malers, des Wu Tao Tse [Wu, Daozi] : er malt, in Gegenwart von Zuschauern und Freunden, an eine Wand ein Landschaftsbild, dann geht er magisch in sein gemaltes Bild hinein, verschwindet darin in einer gemalten Höhle und ist weg, mit ihm ist auch sein Bild verschwunden.
28 1921 Hesse, Hermann. Chinesische Betrachtung. In : Neue Zürcher Zeitung (1921).
Hesse schreibt : In den letzten zwanzig Jahren hat das alte, geistige China, das vorher kaum einigen Gelehrten bekannt war, uns durch Übersetzungen seiner alten Bücher, durch den Einfluss seines alten Geistes zu erobern begonnen. Erst seit zehn Jahren ist Lao Tse [Laozi] in allen Sprachen Europas durch Übertragungen bekanntgeworden und zu gewaltigem Einfluss gelangt… Jetzt denken wir, wenn vom Geiste Ostasiens die Rede ist, ebensosehr oder mehr an China, an die chinesische Kunst, an Lao Tse [Laozi], an Dschuang Dsi [Zhuangzi], auch an Li Tai Pi [Li Bo]. Und es zeigt sich, dass das Denken des alten China, zumal das des frühen Taoismus, für uns Europäer keineswegs eine entlegene Kuriosität ist, sondern uns im Wesentlichen bestätigt, im Wesentlichem berät und hilft. Nicht als ob wir aus diesen alten Weisheitsbüchern plötzlich eine neue, erlösende Lebensauffassung gewinnen könnten, nicht als ob wir unsere westliche Kultur wegwerfen und Chinesen werden sollten ! Aber wir sehen im alten China, zumal bei Lao Tse [Laozi], Hinweisungen auf eine Denkart, welche wir allzusehr vernachlässigt haben, wir sehen dort Kräfte gepflegt und erkannt, um welche wir uns, mit anderm beschäftigt, allzulange nicht gekümmert haben.
29 1921 Romain Rolland erkundigt sich bei Hermann Hesse nach guten Übersetzungen des Dao de jing. Hesse empfiehlt ihm die Übersetzungen von Julius Grill [ID D11979] und Richard Wilhelm. [ID D444]. Er schreibt ihm : Laozi ist für mich seit vielen Jahren das weiseste und tröstlichste, was ich kenne, das Wort Tao bedeutet für mich den Inbegriff jeder Weisheit.
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 45. (LiuW1, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
  • Person: Laozi
  • Person: Rolland, Romain
30 1921 Hesse, Hermann. Piktors Verwandlungen : ein Liebesmärchen. (Chemnitz : Gesellschaft, 1921).
Adrian Hsia : In diesem Märchen hat sich Hesse eine Grundidee der taoistischen Weltanschauungen zu eigen gemacht : Yin und Yang, die alle Verwandlungen auslösen, bilden eine Einheit. Piktors Verwandlungen ist das letzte der kurzen Prosastücke Hesses, worin er taoistische Ideen assimiliert hat.
31 1921 Hermann Hesse schreibt : Ich gehe zu der Ecke meiner Bibliothek, wo die Chinesen stehen – eine schöne, eine friedliche, glückliche Ecke ! In diesen uralten Büchern stehen so gute und oft so merkwürdig aktuelle Sachen. Wie oft während der furchtbaren Kriegsjahre fand ich hier Gedanken, die mich trösteten und aurichteten !
32 1922 Hesse, Hermann. Siddhartha : eine indische Dichtung. (Berlin : S. Fischer, 1922).
Hermann Hesse schreibt : Keinem wird Erlösung zuteil durch Lehre. Wissen kann man mitteilen, Weisheit aber nicht. Man kann sie finden, man kann sie leben, man kann von ihr getragen werden… aber sagen und lehren kann man sie nicht.

Er schreibt an Felix Braun : Der Weg des Heraklius ist auch mir vertraut, ich spinne schon lang an etwas Ähnlichem, an etwas in indischem Kleid, das von Brahman und Buddha ausgeht und bei Tao endet.

Er schreibt an Stefan Zweig, nachdem er dessen Legende Die Augen des ewigen Bruders gelesen hat : Schon als ich Ihre Legende vom gerechten Richter las, schien mir dies meinem Siddhartha ein wenig verwandt zu sein. Mein Heiliger ist indisch gekleidet, seine Weisheit steht aber näher bei Lao Tse [Laozi] als bei Gotama. Laotse ist ja jetzt in unserem guten armen Deutschland sehr Mode, aber fast alle finden ihn doch eigentlich paradox, während sein Denken gerade nicht paroadox, sondern streng bipolar, zweipolig ist, also eine Dimension mehr hat. An seinem Brunnen trinke ich oft.

Liu Weijian : Für Hesse stellt die Einheit der Polarität einen Weg zur Selbstverwirklichung des Menschen dar. Er befreit sich von der christlich-bürgerlichen Ethik und will seinen eigenen, von der taoistischen Einheit der Polarität geprägten Werten suchen. Er ist überzeugt, dass er die tatsächliche Erlösung allein durch die beharrliche Suche nach dem Selbst erlangen kann : Der Weg der Erlösung führt nicht nach links und nicht nach rechts, er führt ins eigene Herz, und dort allein ist Gott, und dort allein ist Friede.
Hesse schreibt in einem Brief (1923) darüber : Nicht bloss drei Jahre voll Arbeit und schwerem Erleben, sondern auch mehr als zwanzig Jahre einer inneren, vielfältigen Beschäftigung mit ostasiatisches Weisheit.

Adrian Hsia : Nicht zufällig wählt Hesse das strömende Wasser als die unpersönliche Verkörperung des Tao. Denn der Fluss ist Inbegriff aller Wandlung… Die Vermutung liegt nahe, dass Hesse in seinem Siddhartha nicht nur die Lehren, sondern auch die Person des Lao Tse [Laozi] dargestellt hat. Diese Vermutung wird zusätzlich bestätigt durch Hesses Äusserung, Siddhartha ende im Tao.

Liu Weijian : Die Erlösungslehre verspricht Siddhartha das Nivana nur im Jenseits, während er einen Ausweg im vielfältigen, beweglichen Diesseits sucht. So kann ihn Buddhas Heilversprechten nicht befriedigen. Ausserdem kann er Buddhas Ablehnung des Bösen als Voraussetzung zum Nirvana nicht akzeptieren… Er steht Laozi näher, dem nicht der Erwerb des Wissens anderer, sondern die Selbsterkenntnis Lebensweisheit bedeutet : Wer andere kennt, ist klug. Wer sich selber kennt, ist weise. Hesse greift diese Idee auf und stellt sie weiterhin in Zusammenhang mit einem einheitlichen Weltbild… Siddhartha muss das weltliche äussere Leben auskosten, um dann zum inneren Wesen des Ich zurückzukehren… Siddharthas Liebe zu den Menschen und sein Hineinversetzen in die Dinge verrät Hesses Einsicht in die daoistische Dialektik. Er lässt Siddhartha zur Erkenntnis kommen, dass Weich stärker ist als Hart, Wasser stärker als Fels, Liebe stärker als Gewalt… So wird der Gedanke, dass der Mensch über die die zwei Erfahrungsbereiche Yang und Yin, der Welt des Geistigen und der Welt des Irdischen, hinausgeht und sich in einem dritten Bereich, dem des Tao, findet…
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 6-73. (LiuW1, Publication)
  • Document: Gellner, Christoph. Weisheit, Kunst und Lebenskunst : fernöstliche Religion und Philosophie bei Hermann Hesse und Bertolt Brecht. (Mainz : Matthias-Grünewald-Verlag, 1996). (Theologie und Literatur ; Bd. 8). Diss. Univ. Tübingen, 1996. S. 115. (Gel2, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
33 1925 Hermann Hesse schreibt eine Rezension über Krause, F.E.A. Ju-tao-fo… [ID D4650]. Er bekommt zum ersten Mal einen Eindruck des chinesichen Buddhismus.
34 1925 Hermann Hesse schreibt eine Rezension über die Übersetzung des I ging [Yi jing] von Richard Wilhelm [ID D1589] :
Es ist in diesem Buch… ein System von Gleichnissen für die ganze Welt aufgebaut, welchem acht Eigenschaften oder Bilder zugrunde liegen, deren zwei erste der Himmel und die Erde, der Vater und die Mutter, das Starke und das Hingebende sind. Diese acht Eigenschaften sind je durch ein einfaches Zeichen ausgedrück, sie treten in Kombinationen zueinander und ergeben dann 64 Möglichkeiten, auf diesen beruht das Orakel… Dieses Buch der Wandlungen liegt seit einem halben Jahre in meinem Schlafzimmer, und nie habe ich auf einmal mehr als eine Seite gelesen… Dort steht alles geschrieben, was gedacht und was gelebt werden kann.

Hesse schreibt : Ich werde nicht vergessen, wie erstaunt und märchenhaft entzückt ich dieses Buch (Gespräche des Konfuzius) in mich aufnahm, wie fremd und zugleich wie wichtig, wie vorgeahnt, wie erwünscht und herrlich mir das alles entgegenschlug.
  • Document: Epkes, Gerwig. "Der Sohn hat die Mutter gefunden..." : die Wahrnehmung des Fremden in der Literatur des 20. Jahrhunderts am Beispiel Chinas. (Würzburg : Königshausen und Neumann, 1992). (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft ; Bd. 79). Diss. Univ. Freiburg i.B., 1990. S. 108. (Epk, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
  • Person: Wilhelm, Richard
35 1925 Hesse, Hermann. Kurzgefasster Lebenslauf. In : Frankfurter Rundschau (1925).
Hesse schreibt, dass, wenn es in seiner Wahl gestanden hätte, für sich persönlich eine Religion zu wählen, so würde er sich einer konservativen Relgion, dem Konfuzianismus, dem Brahmanismus oder der römischen Kirche angeschlossen haben.
Er schreibt : Auf dem östlichen Wege des Lao Tse [Laozi] und des I ging [Yi jing] war ich längst weit genug vorgedrungen, um die Zufälligkeit und Verwandelbarkeit der sogenannten Wirklichkeit genau zu kennen. Nun zwang ich diese Wirklichkeit durch Magie nach meinem Sinne, und ich muss sagen, ich hatte viel Freude daran... Ohne Magie war diese Welt nicht zu ertragen.
Adrian Hsia : Biographisches und Fiktives sind einzigartig verflochten. Hesse hat die Elemente der chinesischen Erzählungen nicht mehr europäisiert. Er ist hauptsächlich mit Malen und chinesischen Zaubermethoden beschäftigt ; auch ist er in Lao Tse [Laozi] und im I ging [Yi jing] weit genug vorgedrungen, um die Zufälligkeit und Verwandelbarkeit der sogenannten Wirklichkeit zu kennen.
  • Document: Ye, Fang-xian. China-Rezeption bei Hermann Hesse und Bertolt Brecht. (Irvine : University of California, 1994). Diss. Univ. of California, Irvine, 1994). (Hes80, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
36 1926 Hermann Hesse schreibt an Richard Wilhelm über das Yi jing : Ihre chinesische Welt zieht mich mit seiner magischen Seite an, während ihre prachtvolle moralische Ordnung mir, dem Unsozialen, bei aller Bewunderung fremd bleibt. Leider ist mir dadurch auch das I ging [Yi jing] nur teilweise zugänglich. Ich betrachte zuweilen seine tiefe, satte Bilderwelt, ohne zur Ethik der Kommentare eine eigentliche Beziehung zu haben…

Liu Weijian : Während die Kommentare zur konfuzianischen Ethik und Staatslehre Hesse nur sehr schwer verständlich sind, fühlt er sich von der Symbolik der Zeichen und Bilder, die den natürlichen Wandel des Kosmos darstellen und die daoistische Philosophie prägen, stark angezogen.
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 49. (LiuW1, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
  • Person: Wilhelm, Richard
37 1927 Hesse, Hermann. Der Steppenwolf. (Berlin : S. Fischer, 1927).

Adrian Hsia : Der Spiegel ist das dominierende Symbol… Der Begriff der 'Seele' entspricht dem des 'Herzens' im Chinesischen, wo das Herz als der Sitz aller Formen des Bewusstseins gilt. Daher mag es kommen, dass Harry Haller seine Seele wie einen Spiegel gebraucht. Doch dabei ist eine Verschiebung festzustellen. Denn Schuang Dsi [Zhuangzi] sagt, man solle sein Herz wie einen Spiegel gebrauchen, um den ganzen Kosmos widerzuspiegeln, d.h. in sich aufzunehmen : Der höchste Mensch gebraucht sein Herz wie einen Spiegel. Er geht den Dingen nicht nach und geht ihnen nicht entgegen ; er spiegelt sie wider, aber hält sie nicht fest. Dies ist bei Klingsor und auch bei Siddhartha der Fall. Harry Haller dagegen verwendet den Spiegel, um sein wahres Ich, die Einheit seines Ichs wiederzufinden. In der Tat spielt auch bei C.G. Jung das Motiv des Spiegels und die Spiegelungsfähigkeit des Wassers eine wichtige Rolle. Das Spiegel-Motiv im Steppenwolf belegt sowohl Hesses Beschäftigung mit den Schriften C.G. Jungs als auch seine Auseinandersetzung mit den Schriften des alten China.

Liu Weijian : Hermine erfüllt die Funktion, als personifizierter Spiegel Hallers inneres Ich zu reflektieren… Haller und Hermine tragen beide Pole Yin und Yang in sich. Haller ist vor allem durch das männliche, geistige Yang geprägt. So soll er in die rechte, die ihm bisher wie weitem nicht genug geöffnete Yin-Welt, eindringen. Hermine steht hingegen unter dem weiblichen Vorzeichen und ist trotz einiger Züge der Unsterblichen noch nicht vollendet, so dass sie sich nach dem linken, dem Yang-Geist richten sll, um sich zu vervollkommnen, um so den Weg zu den Unsterblichen zu Ende zu führen… Hallers Lebensweg zur Selbstverwirklichung, zur Einheit von Yin und Yang, die die Unsterblichen auszeichnet, ist durch seinen Mord an Hermine und die Zerstörung des Spiegelbildes unmöglich geworden.
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 76-81. (LiuW1, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
  • Person: Jung, Carl Gustav
38 1929 Hermann Hesse schreibt eine Rezension über die Übersetzung Frühling und Herbst des Lü Bu We von Richard Wilhelm [ID D1594] : Ich verbringe gute Stunden mit diesem weisen und liebenswerten Buch… Die Zeit vergeht, und die Weisheit bleibt. Sie wechselt ihre Formen und Riten, aber sie beruht zu allen Zeiten auf demselben Fundament : auf der Einordnung des Menschen in die Natur, in den kosmischen Rhythmus…
39 1929 Hesse, Hermann. Eine Bibliothek der Weltliteratur. (Leipzig : P. Reclam, 1929).
Herman Hesse schreibt : Und nun begann eine chinesische Bücherreihe zu erscheinen, die ich für eines der wichtigsten Ereignisse im jetzigen deutschen Geistesleben halte : Richard Wilhelms Übersetzungen der chinesischen Klassiker… nicht aus dritter und vierter Hand, sondern unmittelbar, übersetzt von einem Deutschen, der sein halbes Leben in China glebt und im geistigen Leben unglaublich zu Hause war, der nicht nur chinesisch, sondern auch deutsch konnte, und der die Bedeutung der chinesischen Geistigkeit für das ganze Europa an sich erlebt hatte.
Er schreibt : An diesen Chinesenbüchern nun habe ich seit anderhalb Jahrzehnten meine immer zunehmende Freude, eines von ihnen liegt meistens neben meinem Bett. Was jenen Indern gefehlt hatte : die Lebensnähe, die Harmonie einer edlen, zu den höchsten sittlichen Forderungen entschlossenen Geistigkeit mit dem Spiel und Reiz des sinnlichen und alltäglichen Lebens – das weise Hin und Her zwischen hoher Vergeistigung und naivem Lebensbehagen, das alles war hier in Fülle vorhanden. Wenn Indien in der Askese und im mönchischen Weltentsagen Hohes und Rührendes erreicht hatte, so hatte das alte China nicht minder Wunderbares erreicht in der Zucht einer Geistigkeit, für welche Natur und Geist, Religion und Alltag nicht feindliche, sondern freundliche Gegensätze bedeuten und beide zu ihren Rechten kommen.
  • Document: Epkes, Gerwig. "Der Sohn hat die Mutter gefunden..." : die Wahrnehmung des Fremden in der Literatur des 20. Jahrhunderts am Beispiel Chinas. (Würzburg : Königshausen und Neumann, 1992). (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft ; Bd. 79). Diss. Univ. Freiburg i.B., 1990. S. 103. (Epk, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
40 1929 Hermann Hesse schreibt an Heinrich Wiegand : Der Dschuang Dsi [Zhuangzi] ist eines der herrlichsten Bücher Chinas und kommt in meiner Schätzung gleich nach den grossen Schöpfern und Weisen, dem Kung [Kungfuzi] und dem Laotse [Laozi]. Es gibt in Europa manche Nation, die in ihrer ganzen Geschichte nie ein Werk vom Rang des Dschuang Dsi [Zhuangzi] hervorgebracht hat… Sie werden ihn in kleinen Raten zu sich nehmen, und fürs Leben um einen Freund und eine hohe Quelle reicher sein.
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 48. (LiuW1, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
  • Person: Wiegand, Heinrich
41 1929 Hesse, Hermann. König Yus Untergang. In : Kölnische Zeitung (1929).
Adrian Hsia : Hesse bearbeitet einen Stoff aus der chinesichen Geschichte. Es ist nicht bekannt, ob Hesse Das schöne Mächen von Pao von Otto Julius Bierbaum [ID D11835] gekannt hat, sicher ist aber, dass er die gekürzte Fassung Die Tochter aus Drachensamen in Chinesische Abende [ID D11983] in der Übersetzung von Leo Greiner gelesen hat. Hesse hat diese Geschichte modernisiert und das Mythologische gänzlich ausgelassen.
42 1929 Jung, C[arl] G[ustav]. Zum Gedächtnis Richard Wilhelms. In : Das Geheimnis der goldenen Blüte [ID D1597].
Jung schreibt : Heute, wo in Russland weit Ungerhörteres geschieht als damals in Paris, wo in Europa selber das christliche Symbol einen derartigen Schwächezustand erreicht hat, dass selbst die Buddhisten den Moment für Mission in Europa für gekommen erachten, ist es Wilhelm, der wie er kam von der Seele Europas, uns ein neues Licht von Osten bringt. Das ist die Kulturaufgabe, die Wilhelm gefühlt hat. Er hat erkannt, wie vieles der Osten uns geben könnte zur Heilung unserer geistigen Not… Was China in Tausenden von Jahren aufgebaut, können wir nicht stehlen. Wir müssen vielmehr lernen zu erwerben, um zu beseitzen. Was der Osten uns zu geben hat, soll uns blosse Hilfe sein bei einer Arbeit, die wir noch zu tun haben… Die Einsichten des Ostens, vor allem die Weisheit des I ging [Yi jing], haben keinen Sinn, wo man sich vor der eigenen Problematik verschliesse, wo man ein mit hergebrachten Vorurteilen künstlich zurechtgemachtes Leben lebt, wo man sich seine wirkliche Menschennatur mit ihren gefährlichen Untergründen und Dunkelheiten verschleiert… Wir müssen Wilhelms Übersetzungsarbeit in weiterem Sinne fortsetzen, wollen wir uns als würdige Schüler des Meisters erweisen. Wie er östliches Geistesgut in europäischen Sinn übersetzte, so sollten wir wohl diesen Sinn in Leben übersetzen.
Wilhelm hat den Europäern die durch alle Jahrtausende lebendige geistige Wurzel des chinesischen Geistes mitgebracht un in den Boden Europas gepflanzt... Er hat uns einen lebendigen Keim des chinesischen Geistes eingeimpft, der geeignet ist, unser Weltbild wesentlich zu verändern.
  • Document: Fang, Weigui. Das Chinabild in der deutschen Literatur, 1871-1933 : ein Beitrag zur komparatistischen Imagologie. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1992). (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1. Deutsche Sprache und Literatur ; Bd. 1356). Diss. Technische Hochschule Aachen, 1992. S. 308. (FanW1, Publication)
  • Person: Jung, Carl Gustav
  • Person: Wilhelm, Richard
43 1929 Carl Gustav Jung schreibt : Wenn wir Tao als Methode oder als bewussten Weg, der Getrenntes vereinigen soll, auffassen, so dürften wir dem psychologischen Gehalt des Begriffes wohl nahe kommen… und die Absicht dieser Vereinigung ist die Erziehung bewussten Lebens, chinesisch ausgedrückt : Herstellung des Tao.
Adrian Hsia : Auf seiner Suche nach einem adäquanten deutschen Begriff für Tao fand C.G. Jung nur eine Definition, wie sie im Geheimnis der goldenen Blüte von Richard Wilhelm [ID D1597] erscheint.
44 1930 Hesse, Hermann. Die chinesische Weisheit. In : Die Propyläen ; Jg. 28 (1903-1931).
Hermann Hesse schreibt : Die Weisheit dieser alten Chinesen ist, wie jede Weisheit, zum Teil Tugendlehre ; dies ist der konfuzianische Teil der chinesischen Philosophie. Zum Teil aber ist sie auch Mystik, Ergebnis einsamer Meditation und Vorstoss in die glühendsten Regionen seelischen Lebens – dies ist der taoistische Teil. Gemeinsam ist beiden der Geist der Ehrfurcht und Lauterkeit, der Verzicht auf jedes Schönsein und jede Sophistik, und eine gewisse über allem schwebende Heiterkeit, eine gewisse Diesseitigkeit oder Weltfrömmigkeit, ausserdem ist diese Weisheit bildhaft und nicht abstrakt, und wird oft zu märchenhafter Gleichnis-Dichtung wie etwa bei Dschang Dsi [Zhuangzi].
45 1930 Hesse, Hermann. Narziss und Goldmund : Erzählung. (Berlin : S. Fischer, 1930).
Adrian Hsia : Das Wichtigste ist wohl das Bild der Urmutter. Sie ist Anima, das Yin-Prinzip und zugleich das Tao… Vergleichen wir die Eigenschaften der Urmutter mit der des Yin-Prinzip, wie es im Yi jing steht, so fallen die Ähnlichkeiten sofort auf… Hesse hat Goldmund als die Verkörperung des Yin- und Narziss als die des Yang-Prinzip dargestellt. Doch sowohl im Yin ist das Yang vorhanden, als auch umgekehrt.
46 1930 Carl Gustav Jung schreibt : Die in der Praxis des I ging [Yi jing] zugrunde liegende Funktion – wenn ich mich so ausdrücken darf – steht nämlich, allem Anschein nach, in schärfstem Wiederspruch zu unserer abendländischen wissenschaftlich-kausalistischen Weltanschauung. Sie ist mit anderen Worten äusserst unwissenschaftlich, sie ist geradezu verboten, daher unserem wissenschaftlichen Urteil entzogen und unverständlich.
47 1931 Hermann Hesse schreibt eine Rezension zu China frisst Menschen von Richard Huelsenbeck [ID D11986] : Auch in diesem erregenden und eindrücklichen Buch steht die anklagende Frage nach Gerechtigkeit hinter jeder Zeile. Das China der Nachkriegszeit ist der Schauplatz der Geschichte, mit deutschen Waffenschmuggelkapitänen, ausgehungerten Seeleuten, englischen Geschäftsleuten und Richtern, trägen Chinesen, eine Hölle voll greller Figuren und Situationen. Huelsenbeck begnügt sich mit einem grimmigen Aufzeigen, er deutet mit unerbittlichem Finger auf lauter Pestbeulen, ohne viel darüber zu philosophieren…
Adrian Hsia : Es ist das letzte Mal, dass Hesse Partei für das politische China ergreift.
48 1932 Hesse, Hermann. Morgenlandfahrt. (Berlin : S. Fischer, 1932).
Hesse schreibt : Allein das Paradoxe muss immer wieder gewagt, das an sich Unmögliche muss immer neu unternommen werden. Ich halte es mit Siddhartha, unserem weisen Freund aus dem Osten, der einmal gesagt hat : Die Worte tun dem geheimen Sinn nicht gut, es wird immer alles gleich ein wenig anders, ein wenig verfälscht, ein wenig närrisch – ja, und auch das ist gut, auch damit bin ich einverstanden, dass das, was eines Menschen Schatz und Weisheit ist, dem andern immer wie Narrheit klingt.
Hesse schreibt in einem Brief : Wer nicht beweisen, sondern Weisheit atmen und leben will, dem geht es immer wie es Lao Tse [Laozi] ging, dem weisesten der Menschen, welcher erkannte, dass jeder Versuch, die eigentliche Weisheit in Formeln auszusprechen, sie schon zur Narrheit mache.
Adrian Hsia : Mit diesem Zitat wird eine Brücke geschlagen zwischen der Morgenlandfahrt und China. Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen dem Diener Leo und Laozi.
49 1933 Hermann Hesse schreibt an eine Leserin : Der Begriff 'Tugend' ist von Kung Fu Tse [Konfuzius] bis Sokrates und Christentum immer der gleiche. Der 'Weise' oder 'Vollkommene' der alten chinesischen Schriften ist derselbe Typus wie der indische und der sokratische 'gute' Mensch.
50 1934 Hermann Hesse schreibt eine Rezension zu Die Räuber vom Liang Schan Moor [ID D4245] : Die Abenteuer dieser figurenreichen Geschichte (sie ist ein ganz kleiner Sagenkreis) aus dem dreizehnten Jahrhundert zu lesen, ist ähnlich wie einen Gobelin oder eine alte orientalische Malerei zu betrachten ; mir kommt es dabei nicht auf den geschichtlichen Inhalt an, obwohl auch er interessant ist, sondern auf das Wandeln in einem Garten der Überwirklichkeit, der Abenteuer, Erfindungen und schön gewundenen Verschlingungen ; im Gegensatz zu unserem naiven Naturalismus wird hier das Nahe fern, das Wirkliche zum Spiegelbild gemacht…
51 1935 Bertolt Brecht besucht in Moskau die Peking-Oper mit dem Frauendarsteller Mei Lanfang.
Brecht, Bertolt. Über das Theater der Chinesen (1935). Er schreibt : Mei Lanfang demonstriert, im Smoking, gewisse weibliche Bewegungen. Das sind deutlich zwei Figuren. Eine zeigt, eine wird gezeit. Seine Ansichten über das Wesentliche sind ihm die Hauptsache, etwas Kritisches, Philosophisches über die Frau.

Wang Jian : Für den Besuch in der Sowjetunion hat Mei Lanfang ein Sonderprogramm zusammengestellt. Darunter sind sechs Theaterstücke und sechs Tanzabschnitte aus andern Stücken ausgewählt. Brecht hat einige englische Broschüren, die Mei Lanfang mitgebracht hat, über diese Stücke gelesen. Auch haben in Moskau und St. Petersburg eine Reihe von Vorträgen und Diskussionen stattgefunden, die Brecht besucht hat.
Produzent und Schauspieler aus der chinesischen, Rezipient und Zuschauer aus der europäischen Theatertradition. Genau betrachtet spielt hier die europäische Theatertradition die dominierende Rolle, da die Aufführung in einem europäischen Theater stattfindet. In der europäischen Tradition ist das Theater und in der chinesischen Tradition das Teehaus der typische Ort der Aufführung. Im europäischen Theater lässt sich ein Rückzug der Kommunikation auf der Darstellungsebene und ein Vormarsch der Kommunikation auf der Ebene von Produktion und Rezeption konstatieren, was durch das Hervortreten des Regietheaters bewiesen wird. Im chinesischen Teehaus steht immer noch die Darstellungsebene im Mittelpunkt. Hier stehen sich nicht der Autor bzw. der Regisseur als Produzent und das Publikum als Rezipient gegenüber, sondern der Schauspieler und seine Zuschauer, wobei diese Zuschauer nicht als ein Kollektiv, sondern durchaus als einzelne Individuen betrachtet werden können. Mei Lanfang erkannte die Dominanz der europäischen Theatertradition und versuchte auch, sich dieser Tradition anzupassen. Schon mit der Auswahl der Stücke bemühte er sich, den europäischen Geschmack zu berücksichtigen.
Dass Brecht die Beijing-Oper und das chinesische Theater im allgemeinen missverstanden hat, kann als ein schönes Missverständnis betrachtet werden, denn er hat diese falsche Interpretation immerhin dazu genutzt, seine Theorie des epischen Theaters auszuarbeiten. Man darf den Einfluss der Beijing-Oper auf Brecht nicht überschätzen, indem man glaubt, dass eine Reihe von Theatertechniken aus dem chinesischen Theater ins epische Theater übertragen worden sind.
52 1935 Jung, C[arl] G[ustav]. Über die Archetypen des kollektiven Unbewussten. In : Eranos Jahrbuch, Zürich 1935.
Jung schreibt : Das Wasser ist das geläufige Symbol für das Unbewusste… ist der „Talgeist“, der Wasserdrache des Tao, dessen Natur dem Wasser gleicht, ein in Yin aufgenommenes Yang. Wasser heisst darum psychologisch : Geist, der unbewusst geworden ist… der Spiegel… zeigt getreu, was in ihn hineingeschaut, nämlich jenes Gesicht, das wir der Welt nie zeigen, weil wir es durch die Persona, die Maske des Schauspielers, verhüllen. Der Spiegel aber liegt hinter der Maske und zeigt das wahre Gesicht.
Adrian Hsia : Bei C.G. Jung spielt das Motiv des Spiegels und die Spiegelungsfähigkeit des Wassers eine wichtige Rolle…. Die Sprache Jungs zeigt, wie sehr er den taoistischen Erkenntnissen verpflichtet ist.
53 1939 Carl Gustav Jung schreibt im Geleitwort von Suzuki, Daisetz Teitaro. Die grosse Befreiung... [ID D11817] : Zen ist wohl eine der wunderbarsten Blüten des chinesischen Geistes, welcher sich willig von der ungeheuren Gedankenwelt des Buddhismus befruchten liess... Der Buddha ist nichts anderes als der Geist (mind) oder vielmehr jener, der diesen Geist zu sehen strebt... Einblick in die eigene Natur mit Erreichung der Buddhaschaft.
54 1943 Hesse, Hermann. Das Glasperlenspiel. (Zürich : Fretz & Wasmusth, 1943).
Adrian Hsia : Das Sinnliche des Glasperlenspiels ist die Ideographie. Aber was ist der Geist der abendländischen und chinesischen Musik, der eins der wichtigsten Bestandteile des Glasperlenspiels ausmacht ? Die klassische Musik gibt dem Glasperlenspiel die tragische, aber zugleich tapfere und heitere Würde : Die Tragik des Menschengeschicks muss mit einem Trotzdem, mit dem Todesmut und mit einen Klang von übermenschlichem Lachen bejaht werden. Die chinesische Musik dagegen verbindet das Glasperlenspiel mit dem Ursprung des Seins. Im alten China soll die Musik in Tao wurzeln, das Yin und Yang enthält, die alles erzeugt haben. Zugleich sei die Musik auch die Seele des Volkes. Wenn die Musik den oberen Gesetzen des Tao folge, so sei sie vollkommen, und demzufolge herrsche auch Harmonie in der Welt, im Kosmos und unter den Menschen ; auch die Leidenschaft befinde sich auf der Bahn zur Selbstvervollkommnung und zu Tao, das Rechte dominiere. Denn nach Konfuzius stellt die Musik die höchste Stufe der Sittlichkeit dar. Wer das rechte Wesen der Musik erfasst, der erkennt auch den Weg zu Tao, dem Weltsinn…
Die Meditation ist zwar der letzte Bestandteil, der in das Glasperlenspiel aufgenommen wurde, doch ist sie zusammen mit der Musik die Hauptsache des Ganzen geworden. Sie verleiht dem Glasperlenspiel die Wendung zum Religiösen und gibt ihm eine 'Seele'…Die Meditation ist nach wie vor eine Atemübung, verbunden mit der Konzentration auf eine bestimmte Vorstellung. Die Versenkung ist für das Glasperlenspiel notwendig, weil sie nicht nur die Ideogramme vor Entartung bewahrt, sondern auch der Weg aus der Vielfalt zur Einheit, zu Tao, der Urquelle alles Seins und Werdens ist… Das Glasperlenspiel wird erst durch Knechts intensives Studium der chinesischen Klassikers, besonders des Buches Yi jing ermöglicht… Die Analogie zwischen dem Glasperlenspiel und dem System des Yi jing, aus dem auch das Schema des Hausbaus abgeleitet wurde, ist offensichtlich. Beide bedienen sich einer Ideographie, und beide wurzeln in der Idee der Einheit und Harmonie… Es bestehen grundlegende Unterschiede zwischen dem System des Yi jing und dem des Glasperlenspiels. Der entscheidende Unterschied ist, dass die Wandlungen, die das uralte chinesische System des Yi jing ausdruckt, dem Tao unterworfen sind, während das Glasperlenspiel nicht mehr den Geist an sich darstellen will, sondern zum Abstraktum des Geistes geworden ist.
Nach Beendigung des Glasperlenspiels, steigt Konfuzius höher in der Achtung Hesses.

Liu Weijian : Für das Leben eines Glasperlenspielers ist die Musik ein wichtiger Bestandteil. Die Entstehung und Bedeutung dieser Musik versucht Hesse durch Zitate aus Frühling und Herbst des Lü Bu Wei [ID D1694] im taoistischen Sinne zu erklären… Der Gedanke, dass die Musik Ausdruck der Harmonie der Polarität von Yin und Yang ist und dass deren Verlust der Harmonie auf soziale Disharmonie hinweist, lässt sich auch auf Zhuangzi zurückzuführen… Die Vereinigung von Yin und Yang ist bei Knecht nicht nur eine persönlich angestrebte Synthese, er versucht sie auch in der Welt zu verwirklichen. Als meisterhafter Glasperlenspieler begnügt er sich nicht damit, nur eine Synthese des Geistes herzustellen, er fühlt sich zugleich vor die Aufgabe gestellt, eine Einheit von Welt und Geits, von Yin und Yang durch den Dienst an der Menschheit zu realisieren und dabei sein Selbst zu vervollkommnen.

Gerwig Epkes : Das Glasperlenspiel ist Hesses Verarbeitung des Yi jing. Um ein Lebensglück zu erlangen, muss der Spieler ein Verhalten zeigen, welches an Hesses Reaktionsbildung auf seinen Vaterhass erinnert. Statt Ich-Erweiterung und Entscheidungskompetenz soll er Selbstverzicht üben. So ist Hesses Glasperlenspiel ein Fluchtweg aus der Dialektik von Schuld und Sühne.
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 83-91. (LiuW1, Publication)
  • Document: Epkes, Gerwig. "Der Sohn hat die Mutter gefunden..." : die Wahrnehmung des Fremden in der Literatur des 20. Jahrhunderts am Beispiel Chinas. (Würzburg : Königshausen und Neumann, 1992). (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft ; Bd. 79). Diss. Univ. Freiburg i.B., 1990. S. 117. (Epk, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
55 1945 Hesse, Hermann. Traumfährte : neue Erzählungen und Märchen. (Zürich : Fretz & Wasmuth, 1945).
Diese Gottheit, und noch andere, haben sich meiner Kindheit angenommen, und haben mich, lange schon ehe ich lesen und schreiben konnte, mit morgenländischen, uralten Bildern und Gedanken so erfüllt, dass ich später jede Gegegnung mit indischen und chinesischen Weisen als eine Wiederbegegnung, als eine Heimkehr empfand. (Gesamt-Werke, Bd. 6)
56 1945 Hesse, Hermann. Lieblingslektüre. In : Neue Züricher Zeitung Nr. 585 (1945).
Hesse schreibt : Kung Fu Tse [Konfuzius], der grosse Gegenspieler des Lao Tse [Laozi], der Systematiker und Moralist, der Gesetzgeber und Bewahrer der Sitte, der einzige etwas Feierliche unter den Weisen der alten Zeit, wird zum Beispiel gelegentlich so charakterisiert : "Ist das nicht der, der weiss, dass es nicht geht, und es doch tut ?" Das ist von einer Gelassenheit, einem Humor und einer Schlichtheit, für die ich in keiner Literatur ein ähnliches Beispiel weiss…

Er schreibt : Aber dass es eine wunderbare chinesische Literatur und eine chinesische Spezialität von Menschentum und Menschengeist gebe, die mir nicht nur lieb und teuer werden, sondern weit darüber hinaus eine geistige Zuflucht und zweite Heimat werden könnte, davon hatte ich über meine dreissigstes Jahr hinaus nichts geahnt. Aber dann geschah das Unverwartete, dass ich, der ich bis dahin vom literarischen China nichts gekannt als das Schi king in Rückerts Nachdichtung, durch die Übertragungen Richard Wilhelms und anderer mit etwas bekannt wurde, ohne das ich gar nicht mehr zu leben wüsste : das chinesisch-taoistische Ideal des Weisen und Guten.

Ich suchte in dieser indischen Welt etwas, was dort nicht zu finden war, eine Art von Weisheit, deren Möglichkeiten und deren Vorhandenseinmüssen ich ahnte, die ich aber nirgends im Wort verwirklicht antraf. Christoph Gellner : Bei aller Indien- und Buddhismusschwärmerei bleibt für Hesse stets ein Rest von Unbefriedigtsein und Enttäuschung dabei.
  • Document: Gellner, Christoph. Weisheit, Kunst und Lebenskunst : fernöstliche Religion und Philosophie bei Hermann Hesse und Bertolt Brecht. (Mainz : Matthias-Grünewald-Verlag, 1996). (Theologie und Literatur ; Bd. 8). Diss. Univ. Tübingen, 1996. S. 85. (Gel2, Publication)
  • Document: Yu, Tianxin. Hesse und Goethe und China - eine interkulturelle Konstllation. (Hannover : Universität Hannover, 1998). Diss. Univ. Hannover, 1998). S. 69. (Goe103, Publication)
  • Person: Hesse, Hermann
57 1946 Hesse, Hermann. Mein Glaube. In : Neue Schweizer Rundschau ; Bd. 13, Nr. 11 (1946).
Hesse schreibt : Ich halte viel vom Heiligsein, aber ich bin kein Heiliger, ich bin von einer ganz andern Art, und was ich an Wissen um das Geheimnis habe, ist mir nicht offenbart worden, sondern gelernt und zusammengesucht, es ging bei mir den Weg über das Leben und Denken und Suchen, und das ist nicht der göttliche und unmittelbarste Weg, aber ein Weg ist es auch. Eimal bei Buddha, einmal bei Laotze [Laozi] oder Dsuang Dsi [Zhuangzi], einmal auch bei Goethe oder andern Dichtern spürte ich mich vom Geheimnis berührt.
58 1947 Hermann Hesse schreibt an Salome Wilhelm : Dass Ihnen China Sorgen macht, verstehe ich wohl. Seit Kommunismus, Nationalismus und Militarismus Brüder geworden sind, hat der Osten seinen Zauber vorläufig verloren.
59 1947 Hermann Hesse schreibt in einen Brief nach Tokyo : Ich habe von Zen nur eine leise Ahnung, aber hinter dem, was ich darüber glesen habe, fühle ich eine äusserst durchgebildete geistige Welt und eine bewundernswürdige seelische Disziplin walten…
60 1950 Hermann Hesse schreibt an Salome Wilhelm : Die Chinesen, einst das friedlichste und an kriegs- und militärfeindlichen Bekundungen reichste Volk der Erde, sind heute die gefürchteste und rücksichtsloseste Nation geworden. Sie haben das heilige Tibet, neben Indien das frömmste aller Völker, barbarisch überfallen und erobert, und sie bedrohen dauernd Indien und andere Nachbarländer.
61 1954 Hermann Hesse schreibt an Yang Enlin : Wie ich erfahre, sind in China die grossen chinesischen Klassiker, die ich über alles verehre, heute verboten : Kung Fu Tse [Kongfuzi], Lao Tse [Laozi], Dschuang Tse [Zhuangzi] etc. Ich kann diese Nachricht nicht nachprüfen. Aber ich möchte in einem Lande, das seine edelsten Geister nicht mehr erträgt und nicht mehr dulden will, lieber zu den Verbotenen als zu den Geduldeten gehören.

Adrian Hsia : Hesse konnte nicht wissen, dass die chinesischen Klassiker in China nicht verboten waren. Vielmehr bemühte sich China, sein gewaltiges Kulturerbe neu zu interpretieren, allerdings nach marxistischer Sicht.
62 1955 Hesse, Heruman. Zenshû. Vol. 1-16. (Tokyo : Mikasa Shobo, 1957-1979).
Hesse schreibt im Geleitwort zur japanischen Ausgabe seiner Gesammelten Werke : Der fernste Osten ist willig, uns kennen zu lernen, auf unser Gedanken und Spiele einzugehen, von uns zu lernen, mit uns geistigen Tauschhandel zu treiben. Leider kann ich nicht sagen, dass die abendländische Intelligenz ebenso breit und begierig wäre, sich mit dem Geist des Ostens zu befreunden und vertraut zu machen… Es geht heute nicht mehr darum, Japaner zum Christentum, Europäer zum Buddhismus oder Taoismus zu bekehren. Wir sollen und wollen nicht bekehren und bekehrt werden, sondern uns öffnen und weiten, wir erkennen östliche und westliche Weisheit nicht mehr als feindlich sich bekämpfende Mächte, sondern als Pole, zwischen denen fruchtbares Leben schwingt.
63 1956 Hermann Hesse schreibt in einem Brief : Die chinesische geistige Welt hat mancherlei Gesichter, aber innerlich ist sie von stärkster Einheitlichkeit. So hat z.B. der Buddhismus in China eine völlig neue, sehr vitale Form angenommen (Zen), von der man bei uns wenig erfährt, weil die Sinologen sich davor scheuen, die mir aber durch meinen Vetter W[ilhelm] Gundert wohlbekannt ist…
64 1959 Hesse, Hermann. Ein paar indische Miniaturen. In : Sonntagsbeilage der National Zeitung Basel ; Nr. 220, 17.5.1959.
Hesse schreibt : Der Weg zwischen China und Indien ist für mich nicht weit.
Adrian Hsia : Der Buddhismus stellt eine Brücke zwischen China und Indien. Ein Teil der chinesischen Prosadichtung ist buddhistisch beeinflusst, meisterns integriert sie taoistische, buddhistische und konfuzianische Elemente. In Hesses Werken bilden abendländische, indische und chinesische Züge ein einheitliches Ganzes.
65 1959 Hesse, Hermann. Chinesische Legende. (St. Gallen : Privatdruck, 1959).
Adrian Hsia : Hesses Hinwendung zum Konfuzianismus bedeutet in Chinesische Legende keine Absage an die taoistische Weltanschauung. Meng Hsiä [Name von Hesse erfunden] ist Hesse selbst im chinesischen Gewand. Die Sprüche Meng Hsiäs sind seine, alles Emotionale bewusst umgehende Antwort auf die erwähnten Angriffe. Um Missverständnisse persönlicher Art zu vermeiden, hat er seine Antwort einem Meng Hsiä in den Mund gelegt.
66 1960 Hermann Hesse schreibt an Otto Engel : Ich habe schon früh die abendländische Untergangsstimmung gewittert und habe mich, da es mir nicht immer gelang, den Kopf in den Sand zu stecken, immer wieder zu den Weisheiten und Lebenslehren hingezogen gefühlt, die uns vom Altertum und vom Orient her überliefert sind.
67 1960 Hermann Hesse schreibt an Wilhelm Gundert über dessen Übersetzung des Bi-yän-lu [ID D835] : Seit jenem schönen Ereignis, der Verdeutschung des I ging [Yi jing] durch Richard Wilhelm… hat keine Eroberung fernöstlicher Schätze durch den abendländischen Geist mich so tief berührt, so herzerfreuend alles Westöstliche in mir angerufen wie die grosse, mir vorerst nur im grossen Umriss erfassbare Leistung, an die du deinen Lebensabend, wohl mehr als ein Jahrzehnt geduldigster und heikelster Arbeit, hingegeben hast… Der Sinn der Zen-Weisheit, das Geheimnis… ist jenes mit Worten nicht erfassbare höchste Gut, das Ziel und Anliegen jeder Frömmigkeit. Worte, die daran zu rühren, daran zu mahnen suchen, sind etwa : Seligkeit, Friede, Erlösung, Übertritt aus der Zeit in die Ewigkeit, Nirwana. Damit das Mögliche entstehe, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden.
68 1960 Hesse, Hermann. Blick nach dem Fernen Osten : Erzählungen, Legenden, Gedichte und Betrachtungen. Hrsg. von Volker Michels. (Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 2002).
Hermann Hesse schreibt : Wenn der indische Geist ein vorwiegend seelenhafter und frommer ist, so gilt das geistige Streben der chinesischen Denker vor allem dem praktischen Leben, dem Staat und der Familie… Die Tugenden der Selbstbeherrschung, der Höflichkeit, der Geduld, des Gleichmuts werden ebenso wie in der abendländischen Stoa hoch bewertet. Es gibt aber daneben auch metaphysische und elementare Denker obenan Lao Tse [Laozi] und sein poetischer Schüler Tschuang Tse [Zhuangzi].
Adrian Hsia : Hesse erkennt den Konfuzanismus voll und ganz als Hauptströmung des philosophischen Denkens in China an.

Sources (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 1939 Suzuki, Daisetz Teitaro. Die grosse Befreiung : Einführung in den Zen-Buddhismus. [Übersetzt von Heinrich Zimmer] ; Geleitwort von C[arl] G[ustav] Jung . (Leipzig : C. Weller, 1939). Publication / Jung1

Cited by (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2000- Asien-Orient-Institut Universität Zürich Organisation / AOI
  • Cited by: Huppertz, Josefine ; Köster, Hermann. Kleine China-Beiträge. (St. Augustin : Selbstverlag, 1979). [Hermann Köster zum 75. Geburtstag].

    [Enthält : Ostasieneise von Wilhelm Schmidt 1935 von Josefine Huppertz ; Konfuzianismus von Xunzi von Hermann Köster]. (Huppe1, Published)