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Chronology Entry

Year

1943

Text

Hesse, Hermann. Das Glasperlenspiel. (Zürich : Fretz & Wasmusth, 1943).
Adrian Hsia : Das Sinnliche des Glasperlenspiels ist die Ideographie. Aber was ist der Geist der abendländischen und chinesischen Musik, der eins der wichtigsten Bestandteile des Glasperlenspiels ausmacht ? Die klassische Musik gibt dem Glasperlenspiel die tragische, aber zugleich tapfere und heitere Würde : Die Tragik des Menschengeschicks muss mit einem Trotzdem, mit dem Todesmut und mit einen Klang von übermenschlichem Lachen bejaht werden. Die chinesische Musik dagegen verbindet das Glasperlenspiel mit dem Ursprung des Seins. Im alten China soll die Musik in Tao wurzeln, das Yin und Yang enthält, die alles erzeugt haben. Zugleich sei die Musik auch die Seele des Volkes. Wenn die Musik den oberen Gesetzen des Tao folge, so sei sie vollkommen, und demzufolge herrsche auch Harmonie in der Welt, im Kosmos und unter den Menschen ; auch die Leidenschaft befinde sich auf der Bahn zur Selbstvervollkommnung und zu Tao, das Rechte dominiere. Denn nach Konfuzius stellt die Musik die höchste Stufe der Sittlichkeit dar. Wer das rechte Wesen der Musik erfasst, der erkennt auch den Weg zu Tao, dem Weltsinn…
Die Meditation ist zwar der letzte Bestandteil, der in das Glasperlenspiel aufgenommen wurde, doch ist sie zusammen mit der Musik die Hauptsache des Ganzen geworden. Sie verleiht dem Glasperlenspiel die Wendung zum Religiösen und gibt ihm eine 'Seele'…Die Meditation ist nach wie vor eine Atemübung, verbunden mit der Konzentration auf eine bestimmte Vorstellung. Die Versenkung ist für das Glasperlenspiel notwendig, weil sie nicht nur die Ideogramme vor Entartung bewahrt, sondern auch der Weg aus der Vielfalt zur Einheit, zu Tao, der Urquelle alles Seins und Werdens ist… Das Glasperlenspiel wird erst durch Knechts intensives Studium der chinesischen Klassikers, besonders des Buches Yi jing ermöglicht… Die Analogie zwischen dem Glasperlenspiel und dem System des Yi jing, aus dem auch das Schema des Hausbaus abgeleitet wurde, ist offensichtlich. Beide bedienen sich einer Ideographie, und beide wurzeln in der Idee der Einheit und Harmonie… Es bestehen grundlegende Unterschiede zwischen dem System des Yi jing und dem des Glasperlenspiels. Der entscheidende Unterschied ist, dass die Wandlungen, die das uralte chinesische System des Yi jing ausdruckt, dem Tao unterworfen sind, während das Glasperlenspiel nicht mehr den Geist an sich darstellen will, sondern zum Abstraktum des Geistes geworden ist.
Nach Beendigung des Glasperlenspiels, steigt Konfuzius höher in der Achtung Hesses.

Liu Weijian : Für das Leben eines Glasperlenspielers ist die Musik ein wichtiger Bestandteil. Die Entstehung und Bedeutung dieser Musik versucht Hesse durch Zitate aus Frühling und Herbst des Lü Bu Wei [ID D1694] im taoistischen Sinne zu erklären… Der Gedanke, dass die Musik Ausdruck der Harmonie der Polarität von Yin und Yang ist und dass deren Verlust der Harmonie auf soziale Disharmonie hinweist, lässt sich auch auf Zhuangzi zurückzuführen… Die Vereinigung von Yin und Yang ist bei Knecht nicht nur eine persönlich angestrebte Synthese, er versucht sie auch in der Welt zu verwirklichen. Als meisterhafter Glasperlenspieler begnügt er sich nicht damit, nur eine Synthese des Geistes herzustellen, er fühlt sich zugleich vor die Aufgabe gestellt, eine Einheit von Welt und Geits, von Yin und Yang durch den Dienst an der Menschheit zu realisieren und dabei sein Selbst zu vervollkommnen.

Gerwig Epkes : Das Glasperlenspiel ist Hesses Verarbeitung des Yi jing. Um ein Lebensglück zu erlangen, muss der Spieler ein Verhalten zeigen, welches an Hesses Reaktionsbildung auf seinen Vaterhass erinnert. Statt Ich-Erweiterung und Entscheidungskompetenz soll er Selbstverzicht üben. So ist Hesses Glasperlenspiel ein Fluchtweg aus der Dialektik von Schuld und Sühne.

Mentioned People (1)

Hesse, Hermann  (Calw 1877-1962 Montagnola) : Schriftsteller

Subjects

Literature : Occident : China as Topic / Literature : Occident : Germany : Prose / Philosophy : China : Confucianism and Neoconfucianism / Philosophy : China : Daoism

Documents (3)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 1974 Hsia, Adrian. Hermann Hesse und China : Darstellung, Materialien und Interpretation. (Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 1974). [2nd enl. ed. (1981) ; 3rd ed., with an add. chapter (2002)]. S. 114. Publication / Hes2
  • Source: Suzuki, Daisetz Teitaro. Die grosse Befreiung : Einführung in den Zen-Buddhismus. [Übersetzt von Heinrich Zimmer] ; Geleitwort von C[arl] G[ustav] Jung . (Leipzig : C. Weller, 1939). (Jung1, Publication)
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
  • Person: Hesse, Hermann
  • Person: Hsia, Adrian
2 1991 Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 83-91. Publication / LiuW1
  • Source: Lohenstein, Daniel Casper von. Grossmüthiger Feldherr Arminius, oder, Hermann : als ein tapfferer Beschirmer der deutschen Freyheit nebst seiner durchlauchtigen Thussnelda, in einer sinnreichen Staats-, Liebes- und Helden-Geschichte dem Vaterlande zu Liebe, dem deutschen Adel aber zu Ehren und rühmlichen Nachfolge in zwey Theilen vorgestellet, und mit annehmlichen Kupffern bezieret. (Leipzig : Johann Friedrich Gleditsch, 1689-1690). Der fünfte Teil des ersten Bandes des Romans ist China gewidmet. Lohenstein hat seine Kenntnisse aus Berichten von jesuitischen Missionaren. (Loh1, Publication)
  • Source: Seckendorff, Karl Siegmund von. Das Rad des Schicksals. In : Das Journal von Tiefurt ; Bd. 1 (1781). = Seckendorff, Karl Siegmund von. Das Rad des Schicksals, oder Die Geschichte Tchoan-gsees. (Dessau : Buchhandlung der Gelehrten, 1783). [Zhuangzi]. (Sec1, Publication)
  • Source: Schopenhauer, Arthur. Ueber den Willen in der Natur : eine Erörterung der Bestätigungen welche die Philosophie des Verfassers, seit ihrem Auftreten, durch die empirischen Wissenschaften erhalten hat. (Frankfurt a.M. : Schmerber, 1836). [2. verb. und verm. Aufl. (Frankfurt a.M. : Joh. Christ. Hermann, 1854). 3., verb. und verm. Aufl. (Leipzig : F.A. Brockhaus, 1867)]. Darin enthalten ist das 7. Kapitel "Sinologie". (Schop2, Publication)
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
  • Cited by: Zentralbibliothek Zürich (ZB, Organisation)
  • Person: Brecht, Bertolt
  • Person: Döblin, Alfred
  • Person: Hesse, Hermann
  • Person: Liu, Weijian
3 1992 Epkes, Gerwig. "Der Sohn hat die Mutter gefunden..." : die Wahrnehmung des Fremden in der Literatur des 20. Jahrhunderts am Beispiel Chinas. (Würzburg : Königshausen und Neumann, 1992). (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft ; Bd. 79). Diss. Univ. Freiburg i.B., 1990. S. 117. Publication / Epk
  • Source: Klabund. Tao : eine Auswahl aus den Sprüchen des Lao Tse. In : Vivoc voco ; (1919). [Laozi]. [Später publiziert in Laotse. Sprüche [ID D11984]. (Klab22, Publication)
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)