Hesse, Hermann. Chinesische Betrachtung. In : Neue Zürcher Zeitung (1921).
Hesse schreibt : In den letzten zwanzig Jahren hat das alte, geistige China, das vorher kaum einigen Gelehrten bekannt war, uns durch Übersetzungen seiner alten Bücher, durch den Einfluss seines alten Geistes zu erobern begonnen. Erst seit zehn Jahren ist Lao Tse [Laozi] in allen Sprachen Europas durch Übertragungen bekanntgeworden und zu gewaltigem Einfluss gelangt… Jetzt denken wir, wenn vom Geiste Ostasiens die Rede ist, ebensosehr oder mehr an China, an die chinesische Kunst, an Lao Tse [Laozi], an Dschuang Dsi [Zhuangzi], auch an Li Tai Pi [Li Bo]. Und es zeigt sich, dass das Denken des alten China, zumal das des frühen Taoismus, für uns Europäer keineswegs eine entlegene Kuriosität ist, sondern uns im Wesentlichen bestätigt, im Wesentlichem berät und hilft. Nicht als ob wir aus diesen alten Weisheitsbüchern plötzlich eine neue, erlösende Lebensauffassung gewinnen könnten, nicht als ob wir unsere westliche Kultur wegwerfen und Chinesen werden sollten ! Aber wir sehen im alten China, zumal bei Lao Tse [Laozi], Hinweisungen auf eine Denkart, welche wir allzusehr vernachlässigt haben, wir sehen dort Kräfte gepflegt und erkannt, um welche wir uns, mit anderm beschäftigt, allzulange nicht gekümmert haben.
Literature : Occident : Germany
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Philosophy : China : Daoism