Hesse, Hermann. Siddhartha : eine indische Dichtung. (Berlin : S. Fischer, 1922).
Hermann Hesse schreibt : Keinem wird Erlösung zuteil durch Lehre. Wissen kann man mitteilen, Weisheit aber nicht. Man kann sie finden, man kann sie leben, man kann von ihr getragen werden… aber sagen und lehren kann man sie nicht.
Er schreibt an Felix Braun : Der Weg des Heraklius ist auch mir vertraut, ich spinne schon lang an etwas Ähnlichem, an etwas in indischem Kleid, das von Brahman und Buddha ausgeht und bei Tao endet.
Er schreibt an Stefan Zweig, nachdem er dessen Legende Die Augen des ewigen Bruders gelesen hat : Schon als ich Ihre Legende vom gerechten Richter las, schien mir dies meinem Siddhartha ein wenig verwandt zu sein. Mein Heiliger ist indisch gekleidet, seine Weisheit steht aber näher bei Lao Tse [Laozi] als bei Gotama. Laotse ist ja jetzt in unserem guten armen Deutschland sehr Mode, aber fast alle finden ihn doch eigentlich paradox, während sein Denken gerade nicht paroadox, sondern streng bipolar, zweipolig ist, also eine Dimension mehr hat. An seinem Brunnen trinke ich oft.
Liu Weijian : Für Hesse stellt die Einheit der Polarität einen Weg zur Selbstverwirklichung des Menschen dar. Er befreit sich von der christlich-bürgerlichen Ethik und will seinen eigenen, von der taoistischen Einheit der Polarität geprägten Werten suchen. Er ist überzeugt, dass er die tatsächliche Erlösung allein durch die beharrliche Suche nach dem Selbst erlangen kann : Der Weg der Erlösung führt nicht nach links und nicht nach rechts, er führt ins eigene Herz, und dort allein ist Gott, und dort allein ist Friede.
Hesse schreibt in einem Brief (1923) darüber : Nicht bloss drei Jahre voll Arbeit und schwerem Erleben, sondern auch mehr als zwanzig Jahre einer inneren, vielfältigen Beschäftigung mit ostasiatisches Weisheit.
Adrian Hsia : Nicht zufällig wählt Hesse das strömende Wasser als die unpersönliche Verkörperung des Tao. Denn der Fluss ist Inbegriff aller Wandlung… Die Vermutung liegt nahe, dass Hesse in seinem Siddhartha nicht nur die Lehren, sondern auch die Person des Lao Tse [Laozi] dargestellt hat. Diese Vermutung wird zusätzlich bestätigt durch Hesses Äusserung, Siddhartha ende im Tao.
Liu Weijian : Die Erlösungslehre verspricht Siddhartha das Nivana nur im Jenseits, während er einen Ausweg im vielfältigen, beweglichen Diesseits sucht. So kann ihn Buddhas Heilversprechten nicht befriedigen. Ausserdem kann er Buddhas Ablehnung des Bösen als Voraussetzung zum Nirvana nicht akzeptieren… Er steht Laozi näher, dem nicht der Erwerb des Wissens anderer, sondern die Selbsterkenntnis Lebensweisheit bedeutet : Wer andere kennt, ist klug. Wer sich selber kennt, ist weise. Hesse greift diese Idee auf und stellt sie weiterhin in Zusammenhang mit einem einheitlichen Weltbild… Siddhartha muss das weltliche äussere Leben auskosten, um dann zum inneren Wesen des Ich zurückzukehren… Siddharthas Liebe zu den Menschen und sein Hineinversetzen in die Dinge verrät Hesses Einsicht in die daoistische Dialektik. Er lässt Siddhartha zur Erkenntnis kommen, dass Weich stärker ist als Hart, Wasser stärker als Fels, Liebe stärker als Gewalt… So wird der Gedanke, dass der Mensch über die die zwei Erfahrungsbereiche Yang und Yin, der Welt des Geistigen und der Welt des Irdischen, hinausgeht und sich in einem dritten Bereich, dem des Tao, findet…
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