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“Begegnungen mit Nietzsche : ein Beitrag zu Nietzsche-Rezeptionstendenzen im chinesischen Leben und Denken von 1919 bis heute” (Publication, 2000)

Year

2000

Text

Yu, Longfa. Begegnungen mit Nietzsche : ein Beitrag zu Nietzsche-Rezeptionstendenzen im chinesischen Leben und Denken von 1919 bis heute. Diss. Univ. Wuppertal, 2000.
http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=959811869. (Yu1)

Type

Publication

Contributors (1)

Yu, Longfa  (1954-) : Professor Jiaotong-Universität, Deutsche Fakultät, Shanghai

Mentioned People (1)

Nietzsche, Friedrich  (Röcken bei Lützen 1844-1900 Weimar) : Philosoph, Klassischer Philologe

Subjects

Philosophy : Europe : Germany / References / Sources

Chronology Entries (41)

# Year Text Linked Data
1 1902 Liang, Qichao. Jing hua lun ge min zhe jie de zhi xue shuo [ID D18278].
Quellen : Kidd, Benjamin. Principles of Western civilisation. (New York, N.Y. : Macamillan, 1902). Kidd, Benjamin. Social evolution. (New York, N.Y. : Macmillan, 1894).
Liang Qichao schreibt : Heute gibt es in Deutschland zwei sehr einflussreiche Lehren : Die eine ist der Sozialismus Marx’, die andere der Egoismus Nietzsches. Nach Marx besteht das heutige soziale Übel darin, dass eine Mehrheit der Schwachen von der Minderheit der Starken unterdrückt werde. Mit Bündigkeit drückt Nietzsche das soziale Übel aus : eine Minderheit der Überlegenen sei von der Mehrheit der Unterlegenen gefesselt. Obwohl ihre beiden Theorien wohlbegründete Standpunkte hatten, richtete sich das Ziel beider auf die Gegenwart, ohne dass das Zukünftige berücksichtigt wurde. Die Bedeutung der Evolution besteht darin, dass eine Zukunft erzeugt wird. Was die Vergangenheit und Gegenwart betrifft, so machen sie nur einen Übergang aus. Wirft man einen Blick auf die heutigen Politiker und Sozialwissenschaftler und deren verschiedene Äusserungen, so ist dennoch festzustellen, dass ihr Hauptaugenmerk auf die Gegenwart gerichtet ist. Von der Zukunft ist kaum die Rede. Das ist schade.

Yu Longfa : Literaturwissenschaftler waren sich sicher, dass Wang Guowei 1904 als erster Friedrich Nietzsche erwähnt hat, bis Chen Guying dies dementiert und Liang Qichao erwähnt, der Nietzsche zum ersten Mal in China bekannt gemacht hat.
Liang beschreibt Nietzsche als eine grosse Persönlichkeit und beschreibt seinen Individualismus, der eine der beiden grössten Ideen in Deutschland darstelle. Diese frühen kurzen Bemerkungen bilden eine Grundlage für die spätere Nietzsche-Auseinandersetzung.
Liang hat Nietzsche neben Karl Marx als einen der grössten deutschen Denker im 19. Jahrhundert angesehen. Er hat die Idee, dass die Rettung seines Landes die Vorstellung von einem verjüngten Nationalstaat voraussetzt. Von dieser Veraussetzung aus sieht er ‚den Kampf der Bevölkerung um das Überleben, der gemäss den Gesetzen der natürlichen Auslese und des Überlebens der Fähigsten nicht zu unterdrücken ist, als bewegende Kraft der modernen Geschichte an. Liangs Begegnung mit Nietzsche findet im wesentlichen im Rahmen des evolutionistischen Gedankengutes statt. Er plädiert dafür, dass man, auch ohne Umsturz des Herrscherhauses eine gesellschaftliche Revolution durchführen könne. Sein Einstieg in das Denken von Nietzsche erfolgte unter dem Einfluss der Nietzsche-Rezeption während der Meiji-Zeit in Japan. Raphael von Koeber hat 1897-1898 an der Universität Tokyo während einer Philosophie-Vorlesung auch Nietzsche behandelt.
Die Äusserungen Liangs zeigen seinen Standpunkt, China sei für einen plötzlichen Wandel nicht bereit und eine konstitutionelle Monarchie sei der sicherste Weg zu Modernisierung und Wachstum, der mit dem Einfluss von Benjamin Kidd unmittelbar verbunden ist.
In seiner Beurteilung von Marx kommt Liang zur Einsicht, dass Marx 'zwar den Menschen in Frage gestellt hat, aber keine Lösung zur Problematik des Menschen vorlegen konnte'. Was Nietzsche anbelangt, so bezeichnet er ihn als den ‚extremen Machtbefürworter, der im vorletzten Jahr durch geistige Krankheit gestorben war. Sein Einfluss erstreckte sich über ganz Europa, so dass die Welt von heute seine Lehre auch als eine neue Religion des 19. Jahrhuneerts bezeichnet. Aus Liangs Anmerkungen zum Evolutionismus wird deutlich, dass sein Haltung zu Nietzsche einseitig geprägt ist. Diese Einseitigkeit führt in zu der Behauptung, dass in Nietzsches Lehre von einer Zukunft kaum die Rede sei. Bezieht man sich hier auf den Begriff des Übergangs zwischen Vergangenheit und Gegenwart, so ist es offenkundig, dass dieser Übergangsbegriff einen Entwicklungsprozess darstellt, der parallel zu Nietzsches Konzept des zukünftigen Übermenschen verläuft, in dem Nietzsche die menschliche Entwicklung thematisiert, was Liang dabei aber nicht ins Auge fasste. Nietzsche lässt Zarathustra die Bedeutung des Menschen so ausdrücken : "Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein Zweck ist : was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang und ein Untergang ist… Ich will die Menschen den Sinn ihres Seins lehren : welcher ist der Übermensch…" Der Übermensch im Sinne Nietzsches soll nach dem Tod Gottes als eine ideale Menschengestalt gelten. Liangs Behauptung, dass Nietzsches Lehre nur in Verbindung mit dem Gegenwärtigen, aber nicht mit dem Zukünftigen stehe, ist offensichtlich unhaltbar.
Die Erwähnungen Liangs über Nietzsche haben keine nachhaltige Wirkung auf die chinesische Geisteswelt ausgeübt.

Shao Lixin : Liang Qichao presented Kidd as the latest and greatest representative of the theory of evolution. He credited him for having supplied answers to the 'two most important questions in the world' which all other thinkers, including Marx and Nietzsche, failed to answer. What he presented was a simplicistic picture of Western thought : Marx stands for the collective interest of the majority of the current generation, Nietzsche for indiviudals and for an elite minority of the current generation, Benjamin Kidd for ‘future generations’ of mankind.
It is obvious that, as an introduction to Kidd's thought, Liang's essay was a miserable failure. Howewer the essay cannot be dismissed as merely a piece of evidence pointing of the primitive status of the early Chinese reception of Western ideas.
Nietzsche was described in the essay as representing individualism and as ‘an extremist advocate of the right of the strong’.

Raoul David Findeisen : Im japanischen Exil hat Liang Qichao zunächst sozialdarwinistisches Gedankengut übernommen und die Welt als Schauplatz für einen Wettstreit der Nationen gesehen, sich aber gegen eine individualistische Interpretation des Sozialdarwisnismus gewandt und die Religion als geeignetes Korrektiv für egoistische Auswüchse betrachtet. Als er den Philosophen B. Kidd vorstellt, sieht er bei diesem eine Synthese zwischen humanistisch-altruistischen Gesellschaftmodellen, die sich auf den Indealismus zurückführen liessen und für die er Marx als Beispiel nennt, während er Nietzsche als Materialisten bezeichnet, dessen sozialdarwinistisch-egoistische Lehre in ganz Europa einflussreich ist und sich als fin-de-siècle-Religion bezeichnen lässt'.
  • Document: Treadgold, Donald W. The West in Russia and China : religious and secular thought in modern times. Cambridge : University Press, 1973. Vol. 2 : China, 1582-1949. S. 147. (Tre1, Publication)
  • Document: Findeisen, Raoul David. Die Last der Kultur : vier Fallstudien zur chinesischen Nietzsche-Rezeption. In : Miima sinica ; 2 (1989)-1 (1990). S. 2-3. (Find2, Publication)
  • Document: Shao, Lixin. Nietzsche in China. (New York, N.Y. : Lang, 1999). (Literature and the sciences of Man ; vol. 11). S. 2-4, 10. (Shao1, Publication)
  • Person: Liang, Qichao
  • Person: Marx, Karl
  • Person: Nietzsche, Friedrich
2 1904 Wang, Guowei. Nicai shi zhi jiao yu guan [ID D2747].
Wang schreibt : Nietzsche geht immer Gedanken nach, wie man die moderne Kultur verbessern und wie man den modernen Menschen erziehen könne. Solche Frage zu beantworten soll nach Nietzsches Meinung die Aufgabe von Philosophen sein. Der Philosoph ist ein Kulturbefehlender, Gesetzgebender und Zukunftszeigender. Dementsprechend wird Nietzsche von Kritikern auch als Kulturphilosoph bezeichnet… Nietzsches Denken ist oft mit Erziehungsproblemen verbunden. Im Vergleich zu anderen Philosophen geht es ihm in seinem Werk vielmehr um Erziehung. Gerade von diesem Gesichtspunkt aus könnte man nicht zu Unrecht Nietzsche einen erziehenden Philosphen nennen. Nur eine geringe Anzahl von grossen Persönlichkeiten steht hoch und blickt weit. Sie sind in der Lage, zahlreiche Massen zu beherrschen. Und diese dagegen müssen sich den Persönlichkeiten gegenüber treu und gehorsam verhalten, um sich ihnen zu unterwerfen. Dies gilt in den intellektuellen Kreisen als natürlicher Klassenunterschied und als heilige Ordnung. Der Versuch, diese Differenzierungen vergrössern zu wollen, war für Nietzsche gerade mit den dem Menschen innewohnenden ursprünglichen Trieben verbunden, die nur der Naturmensch besitzt. Die Herrscher sind berechtigt, eine Erziehung zu geniessen, während die Masse, der andere Menschentypus, kein Recht auf allgemeine Ausbildung hat.
Nietzsches Philosophie greift die heutige Kultur an, die zum Verfallen und zur Vernichtung des Handelns des Menschen abgestempelt ist. Der ‚absolute Egoismus’ ist seine Lehre. Innerhalb der Gesellschaft gibt es nach der Ansicht Nietzsches Persönlichkeiten und Masse, die sich gegenüberstehen. Die Persönlichkeiten sind befähigt, Kultur zu schaffen, von daher haben sie Privilegien der Erziehung zu geniessen. Letztere existiert nur um der Persönlichkeiten willen, daher soll die Masse nur den Persönlichkeiten gehorsam bleiben. Man lässt sie nichts von Bildung wissen. Dies entspricht sinngemäss Konfuzius Aussage : "Das Volk kann nur zum Gebrauch gemacht, nicht in Kenntnis gesetzt werden", und widerspricht dem Geist der modernen Zeit. Natürlich bedarf jede Nation einer oder zwei grosser Persönlichkeiten, um ihre eigene Kultur umzugestalten. Aber dafür, dass sie in der Welt erscheinen, gibt es bestimmt eine Veranlassung. Es muss zuerst eine Gesellschaft gegeben sein, in der sich grosse Persönlichkeiten herausbilden können. Eine schwache Mutter kann nämlich kein gesundes Kind gebären… Ist diese Behauptung, dass die Bildung nicht auf Masse, sondern nur auf Persönlichkeit zu richten sei, in diesem Fall nicht einseitig ?

Yu Longfa : Die erste grössere Verbreitung Nietzsches in China ist auf Wang Guowei zurückzuführen, der als erster auf der Grundlage der aus dem westlichen Gedankengut erworbenen Kenntnisse über die Literaturprinzipien Kritik an den literarischen Traditionen Chinas übte. Wang Guowei hat Nietzsche vornehmlich als Lehrer und Kulturkritiker betrachtet. Zur Vermittlung von Nietzsches Ansichten über die Erziehung gehört in Wangs Artikel zuerst die Behandlung des Gegenstands Erziehung an sich. Da er sich wie Nietzsche bewusst war, dass die Herrenklasse eine Minderheit ist, sollten gemäss Wang aus dem von ihm so genannten 'Bildungsbereich' ‚gewöhnliche Menschen’ ausgeschlossen werden. Die Kluft zwischen Herren und Knechten sei deshalb nicht zu überwinden, weil der Naturzustand, in dem die Menschen miteinander leben, die Ungleichheit von Menschen deutlich mache. Um diese Ungleichheit zu verdeutlichen, hat Wang einen Vergleich zwischen Rousseau und Nietzsche vorgenommen. Nach der Erläuterung von Rousseaus Ansichten über die Naturbildung macht Wang Guowei darauf aufmerksam, dass Nietzsche in der Politik wie in der Gesellschaft ein Gegner der Gleichheitslehre ist. Hinsichtlich der menschlichen Natur verweist er noch auf eine kämpferische Komponente im Menschen, die sich ebenfalls im Unterschied zwischen Herren und Knechten darstellt. Für Wang ist der Naturmensch Ausdruck des Beginns einer neuen Kultur, denn er hat dem Wesen nach dem Naturgesetz entsprechende Triebe in sich, die schöpferische Quellen freisetzen. Wang macht zum ersten Mal dem chinesischen Publikum den Begriff des 'Übermenschen' zugänglich. Unter dem Begriff des 'Übermenschen' ist bei Wang nichts anderes zu verstehen, als der durch die Eigenschaften 'Selbstachtung, Risikobereitschaft, Unnachgiebigkeit und Ichbezogenheit' gekennzeichnete Mensch.

Shao Lixin : According to Wang Guowei, Nietzsche agrees with Schopenhauer in viewing the 'will' as the essence of existence, but he rejects the latter’s ethics that is based on the annulment of the 'will'. It appears to Nietzsche that the ‘will’ to annul the 'will' is still a 'will'. Nietzsche has developed his own ethics on the basis of Schopenhauer’s esthetics. Just as a Schopenhauerian genius is unrestrained by sufficient reason in his artistic creations, a Nietzschean superman is not bound by moral principles in his deeds. Wang Guowei found further evidence of kinship between the two philosophers when he compared the spirit’s three metamorphoses from So sprach Zarathustra with Schopenhauer’s remarks on the child-like character of genius. Schopenhauerian genius is like a child whose intellect has developed ahead of its other organs, especially its genitals, and who therefore is able to look at the world with pure objectivity ; similarly a Nietzschean superman-child enjoys complete freedom since he is motivated by a will unbridley by ethics... Thus both Schopenhauer and Nietzsche were seeking ultimate self-affirmation and self-expansion. The only difference is that Nietzsche was more aware of his real motive and was bold enough to give it full expression. The moral, Wang Guowei explained, is that a Schopenhauerian genius suffers just like the old slave awake in the daytime and Schopenhauer’s aesthetic elitism and his theory of the universal ‘will’ are nothing but the old slave’s dreams in the night. Compared with Schopenhauer, Nietzsche had a better grasp of reality.

Raoul David Findeisen : Nach eingehender Lektüre von Schopenhauer, zunächst um Antwort auf persönliche Lebensfragen zu finden, dann mit dem Akzent auf dessen Ästhetik und ihrer Nutzanwendung auf die Literaturwissenschaft, war er von Schopenhauers Willensmetaphysik unbefriedigt und wandte sich Nietzsche zu. Bei einem Vergleich zwischen Schopenhauer und Nietzsche, die beide Modephilosophen seien und den Willen als Grundeigenschaft der menschlichen Natur betrachteten, kommt er zum Schluss, Nietzsche sei mit seinem Ideal des Übermenschen über die Genielehre und den 'Erkenntnisaristokratismus' Schopenhauers nicht hinausgegangen, sondern habe dessen erkenntnistheoretische und ästhetische Auffassungen lediglich auf die Ethik übertragen. Somit sei der Übermensch Verkörperung unbegrenzter Willensentfaltung, die moralische Wertvorstellungen überwindet, während Schopenhauers Genie die mittelbare Erkenntnis in der Erlösung durch die Kunst überwinde und zu unbegrenztem Wissen gelange.
  • Document: Findeisen, Raoul David. Die Last der Kultur : vier Fallstudien zur chinesischen Nietzsche-Rezeption. In : Miima sinica ; 2 (1989)-1 (1990). S. 3-4. (Find2, Publication)
  • Document: Shao, Lixin. Nietzsche in China. (New York, N.Y. : Lang, 1999). (Literature and the sciences of Man ; vol. 11). S. 19, 21. (Shao1, Publication)
  • Person: Nietzsche, Friedrich
  • Person: Schopenhauer, Arthur
3 1907 Wang, Guowei. San shi zi xu. [ID D18281].
Wang schreibt : "Mein Körper ist schwach, ich bin auch sehr melancholisch. Ich hänge der Frage nach dem Sinn des Lebens des Menschen Tag für Tag nach". Als Antwort auf diese Frage beschäftigt er sich intensiv mit Kant, Schopenhauer und Nietzsche. Über Kant schreibt er : "Kant hat mich bezüglich der Fragestellung des Leidens des Menschen angeregt und meine Ansprüche auf Wissen befriedigt". Infolge der Schwerverständlichkeit der Kritik der reinen Vernunft wendet er sich Schopenhauer zu. Besonders den Gedanken der Erlösung vom Leiden und das Schlüsselwort 'Wille' in Die Welt als Wille und Vorstellung finden bei Wang eine starke Resonanz und führen ihn zur Einsicht, dass der Wille das Grundprinzip für alle Erscheinungen darstellt.
4 1908 Lu, Xun. Mo luo shi li shuo = On the power of Mara poetry. [ID D26228]. [Auszüge].
Lu Xun erwähnt George Byron, Percy Bysshe Shelley, Thomas Carlyle, William Shakespeare, John Milton, Walter Scott, John Keats, Friedrich Nietzsche, Johann Wolfgang von Goethe, Henrik Ibsen [erste Erwähnung], Nikolai Wassil'evich Gogol, Platon, Dante, Napoleon I., Ernst Moritz Arndt, Friedrich Wilhelm III., Theodor Körner, Edward Dowden, John Stuart Mill, Matthew Arnold, John Locke, Robert Burns, Aleksandr Sergeevich Pushkin, Adam Mickiewicz, Sandor Petöfi, Wladimir Galaktionowitsch Korolenko.

Lu Xun schreibt :
"He who has searched out the ancient wellspring will seek the source of the future, the new wellspring. O my brothers, the works of the new life, the surge from the depths of the new source, is not far off". Nietzsche...
Later the poet Kalidasa achieved fame for his dramas and occasional lyrics ; the German master Goethe revered them as art unmatched on earth or in heaven...
Iran and Egypt are further examples, snapped in midcourse like well-ropes – ancient splendor now gone arid. If Cathay escapes this roll call, it will be the greatest blessing life can offer. The reason ? The Englishman Carlyle said : "The man born to acquire an articulate voice and grandly sing the heart's meaning is his nation's raison d'être. Disjointed Italy was united in essence, having borne Dante, having Italian. The Czar of great Russia, with soldiers, bayonets, and cannon, does a great feat in ruling a great tract of land. Why has he no voice ? Something great in him perhaps, but he is a dumb greatness. When soldiers, bayonets and cannon are corroded, Dante's voice will be as before. With Dante, united ; but the voiceless Russian remains mere fragments".
Nietzsche was not hostile to primitives ; his claim that they embody new forces is irrefutable. A savage wilderness incubates the coming civiliization ; in primitives' teeming forms the light of day is immanent...
Russian silence ; then stirring sound. Russia was like a child, and not a mute ; an underground stream, not an old well. Indeed, the early 19th century produced Gogol, who inspired his countrymen with imperceptible tear-stained grief, compared by some to England's Shakespeare, whom Carlyle praised and idolized. Look around the worls, where each new contending voice has its own eloquence to inspire itself and convey the sublime to the world ; only India and those other ancient lands sit motionless, plunged in silence...
I let the past drop here and seek new voices from abroad, an impulse provoked by concern for the past. I cannot detail each varied voice, but none has such power to inspire and language as gripping as Mara poetry. Borrowed from India, the 'Mara' – celestial demon, or 'Satan' in Europe – first denoted Byron. Now I apply it to those, among all the poets, who were committed to resistance, whose purpose was action but who were little loved by their age ; and I introduce their words, deeds, ideas, and the impact of their circles, from the sovereign Byron to a Magyar (Hungarian) man of letters. Each of the group had distinctive features and made his own nation's qualities splendid, but their general bent was the same : few would create conformist harmonies, but they'd bellow an audience to its feet, these iconoclasts whose spirit struck deep chords in later generations, extending to infinity...
Humanity began with heroism and bravado in wars of resistance : gradually civilization brought culture and changed ways ; in its new weakness, knowing the perils of charging forward, its idea was to revert to the feminine ; but a battle loomed from which it saw no escape, and imagination stirred, creating an ideal state set in a place as yet unattained if not in a time too distant to measure. Numerous Western philosophers have had this idea ever since Plato's "Republic". Although there were never any signs of peace, they still craned toward the future, spirits racing toward the longed-for grace, more committed than ever, perhaps a factor in human evolution...
Plato set up his imaninary "Republic", alleged that poets confuse the polity, and should be exiled ; states fair or foul, ideas high or low – these vary, but tactics are the same...
In August 1806 Napoleon crushed the Prussian army ; the following July Prussia sued for peace and became a dependency. The German nation had been humiliated, and yet the glory of the ancient spirit was not destroyed. E.M. Arndt now emerged to write his "Spirit of the Age" (Geist der Zeit), a grand and eloquent declaration of independence that sparked a blaze of hatred for the enemy ; he was soon a wanted man and went to Switzerland. In 1812 Napoleon, thwarted by the freezing conflagration of Moscow, fled back to Paris, and all of Europe – a brewing storm – jostled to mass its forces of resistance. The following year Prussia's King Friedrich Wilhelm III called the nation to arms in a war for three causes : freedom, justice, and homeland ; strapping young students, poets, and artists flocked to enlist. Arndt himself returned and composed two essays, "What is the people's army" and "The Rhine is a great German river, not its border", to strengthen the morale of the youth. Among the volunteers of the time was Theodor Körner, who dropped his pen, resigned his post as Poet of the Vienne State Theater, parted from parents and beloved, and took up arms. To his parents he wrote : "The Prussian eagle, being fierce and earnest, has aroused the great hope of the German people. My songs without exception are spellbound by the fatherland. I would forgot all joys and blessings to die fighting for it ! Oh, the power of God has enlightened me. What sacrifice could be more worthy than one for our people's freedom and the good of humanity ? Boundless energy surges through me, and I go forth ! " His later collection "Lyre and sword" (Leier und Schwert), also resonates with this same spirit and makes the pulse race when one recites from it. In those days such a fervent awareness was not confined to Körner, for the entire German youth were the same. Körner's voice as the voice of all Germans, Körner's blood was the blood of all Germans. And so it follows that neither State, nor Emperor, nor bayonet, but the nation's people beat Napoleon. The people all had poetry and thus the poets' talents ; so in the end Germany did not perish. This would have been inconceivable to those who would scrap poetry in their devotion to utility, who clutch battered foreign arms in hopes of defending hearth and home. I have, first, compared poetic power with rice and beans only to shock Mammon's disciples into seeing that gold and iron are far from enough to revive a country ; and since our nation has been unable to get beyond the surface of Germany and France, I have shown their essence, which will lead, I hope, to some awareness. Yet this is not the heart of the matter...
England's Edward Dowden once said : "We often encounter world masterpieces of literature or art that seem to do the world no good. Yet we enjoy the encounter, as in swimming titanic waters we behold the vastness, float among waves and come forth transformed in body and soul. The ocean itself is but the heave and swell of insensible seas, nor has it once provided us a single moral sentence or a maxim, yet the swimmer's health and vigor are greatly augmented by it"...
If everything were channeled in one direction, the result would be unfulfilling. If chill winter is always present, the vigor of spring will never appear ; the physical shell lives on, but the soul dies. Such people live on, but hey have lost the meaning of life. Perhaps the use of literaure's uselessness lies here. John Stuart Mill said, "There is no modern civilization that does not make science its measure, reason its criterion, and utility its goal". This is the world trend, but the use of literature is more mysterious. How so ? It can nurture our imagination. Nurturing the human imagination is the task and the use of literature...
Matthew Arnold's view that "Poetry is a criticism of life" has precisely this meaning. Thus reading the great literary works from Homer on, one not only encounters poetry but naturally makes contact with life, becomes aware of personal merits and defects one by one, and naturally strives harder for perfection. This effect of literature has educational value, which is how it enriches life ; unlike ordinary education, it shows concreteley a sense of self, valor, and a drive toward progress. The devline and fall of a state has always begun with is refusal to heed such teaching...
[The middle portion of this essay is a long and detailed description of Lu Xun's exemplary Mara poets, including Byron, Shelley, Pushkin, Lermontov, Michiewicz, Slowacki and Petöfi].
In 18th-century England, when society was accustomed to deceit, and religion at ease with corruption, literature provided whitewash through imitations of antiquity, and the genuine voice of the soul could not he heard. The philosopher Locke was the first to reject the chronic abuses of politics and religion, to promote freedom of speech and thought, and to sow the seeds of change. In literature it was the peasant Burns of Scotland who put all he had into fighting society, declared universal equality, feared no authority, nor bowed to gold and silk, but poured his hot blood into his rhymes ; yet this great man of ideas, not immediately the crowd's proud son, walked a rocky outcast road to early death. Then Byron and Shelley, as we know, took up the fight. With the power of a tidal wave, they smashed into the pillars of the ancien régime. The swell radiated to Russia, giving rise to Pushkin, poet of the nation ; to Poland, creating Mickiewicz, poet of revenge ; to Hungary, waking Petéfi, poet of patriotism ; their followers are too many to name. Although Byron and Shelley acquired the Mara title, they too were simply human. Such a fellowship need not be labeled the "Mara School", for life on earth is bound to produce their kind. Might they not be the ones enlightened by the voice of sincerity, who, embracing that sincerity, share a tacit understanding ? Their lives are strangely alike ; most took up arms and shed their blood, like swordsmen who circle in public view, causing shudders of pleasure at the sight of mortal combat. To lack men who shed their blood in public is a disaster for the people ; yet having them and ignoring them, even proceeding to kill them, is a greater disaster from which the people cannot recover...
"The last ray", a book by the Russian author Korolenko, records how an old man teaches a boy to read in Siberia : “His book talked of the cherry and the oriole, but these didn't exist in frozen Siberia. The old man explained : It's a bird that sits on a cherry branch and carols its fine songs”. The youth reflected. Yes, amid desolation the youth heard the gloss of a man of foresight, although he had not heard the fine song itself. But the voice of foresight does not come to shatter China's desolation. This being so, is there nothing for us but reflection, simply nothing but reflection ?

Ergänzung von Guo Ting :
Byron behaved like violent weaves and winter wind. Sweeping away all false and corrupt customs. He was so direct that he never worried about his own situation too much. He was full of energy, and spirited and would fight to the death without losing his faith. Without defeating his enemy, he would fight till his last breath. And he was a frank and righteous man, hiding nothing, and he spoke of others' criticism of himself as the result of social rites instead of other's evil intent, and he ignored all those bad words. The truth is, at that time in Britain, society was full of hypocrites, who took those traditions and rites as the truth and called anyone who had a true opinion and wanted to explore it a devil.

Ergänzung von Yu Longfa :
Die Bezeichnung Mara stammt aus dem Indischen und bedeutet Himmelsdämon. Die Europäer nennen das Satan. Ursprünglich bezeichnete man damit Byron. Jetzt weist das auf alle jene Dichter hin, die zum Widerstand entschlossen sind und deren Ziel die Aktion ist, ausserdem auf diejenigen Dichter, die von der Welt nicht sehr gemocht werden. Sie alle gehören zu dieser Gruppe. Sie berichten von ihren Taten und Überlegungen, von ihren Schulen und Einflüssen. Das beginnt beim Stammvater dieser Gruppe, Byron, und reicht letztlich hin bis zu dem ungarischen Schriftsteller Petöfi. Alle diese Dichter sind in ihrem äusserlichen Erscheinungsbild sehr unterschiedlich. Jeder bringt entsprechend den Besoderheiten des eigenen Landes Grossartiges hervor, aber in ihrer Hauptrichtung tendieren sie zur Einheitlichkeit. Meistens fungieren sie nicht als Stimme der Anpassung an die Welt und der einträchtigen Freude. Sobald sie aus voller Kehle ihre Stimme erheben, geraten ihre Zuhörer in Begeisterung, bekämpfen das Himmlische und widersetzen sich den gängigen Sitten. Aber ihr Geist rührt auch tief an die Seelen der Menschen nachfolgender Generationen und setzt sich fort bis in die Unendlichkeit. Sie sind ohne Ausnahme vital und unnachgiebig und treten für die Wahrheit ein… Nietzsche lehnt den Wilden nicht ab, da er neue Lebenskraft in sich berge und gar nicht anders könne, als ehrlich zu sein. So stammt die Zivilisation denn auch aus der Unzivilisation. Der Wilde erscheint zwar roh, besitzt aber ein gütmütiges Inneres. Die Zivilisation ist den Blüten vergleichbar und die Unzivilisation den Knospen. Vergleicht man jedoch die Unzivilisation mit den Blüten, so entspricht die Zivilisation den Früchten. Ist die Vorstufe bereits vorhanden, so besteht auch Hoffnung.

Sekundärliteratur
Yu Longfa : Lu Xun befasst sich zwar nicht ausführlich mit Friedrich Nietzsche, aber auf der Suche nach dem 'Kämpfer auf geistigem Gebiet', dessen charakteristische Eigenschaften, besonders die Konfiguration des Übermenschen, macht er ausfindig. Lu Xun ist überzeugt, dass die Selbststärkung eines Menschen und der Geist der Auflehnung kennzeichnend für den Übermenschen sind. In Anlehnung an den Übermenschen zitiert er aus Also sprach Zarathustra : "Diejenigen, die auf der Suche nach den Quellen des Altertums alles ausgeschöpft haben, sind im Begriff, die Quellen der Zukunft, die neuen Quellen zu suchen. Ach, meine Brüder, die Schaffung des neuen Lebens und das Sprudeln der neuen Quellen in der Tiefe, das dürft wohl nicht weit sein !"

Tam Kwok-kan : Earliest reference to Henrik Ibsen. This is the first Chinese article that discusses in a comprehensive manner the literary pursuits of the Byronic poets. Lu Xun ranks Ibsen as one of these poets and compares the rebellious spirit exemplified in Ibsen's drama to Byron's satanic tendency. Lu Xun had a particular liking for the play An enemy of the people, in which Ibsen presented his ideas through the iconoclast Dr. Stockmann, who in upholding truth against the prejudices of society, is attacked by the people. Lu Xun thought that China needed more rebels like Ibsen who dared to challenge accepted social conventions. By introducing Ibsen in the image of Dr. Stockmann, the moral superman, together with the satanic poets, Lu Xun believed that he could bring in new elements of iconoclasm in the construction of a modern Chinese consciousness. As Lu Xun said, he introduced Ibsen's idea of individualism because he was frustrated with the Chinese prejudice toward Western culture and with the selfishness popular among the Chinese.

Chu Chih-yu : Lu Xun adapted for the greater part of Mara poetry his Japanese sources (Kimura Katataro), he also added some of his own comments and speculations.

Guo Ting : Given Lu Xun's leading position in the Chinese literary field at that time, his defense of Byron was powerful and set the overarching tone for the time of Byron when he was first introduced to Chinese readers.

Liu Xiangyu : On the power of Mara poetry itself is an expression of Byronism to 'speak out against the establisment and conventions' and to 'stir the mind'. Lu Xun criticized traditional Chinese culture and literature.
  • Document: Von der Kolonialpolitik zur Kooperation : Studien zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen. Hrsg. von Kuo Heng-yü. (München : Minerva Publikation, 1986). (Berliner China Studien ; 13).
    [Enthält] : Yin, Xuyi. Zur Verbreitung des Marxismus in China. S. 444. (KUH7, Publication)
  • Document: Chu, Chih-yu. Byron's literary fortunes in China. (Hong Kong : University of Hong Kong, 1995). Diss. Univ. of Hong Kong, 1995.
    http://hub.hku.hk/bitstream/10722/34921/1/FullText.pdf. [Accept]. S. 24. (Byr1, Web)
  • Document: Tam, Kwok-kan. An unfinished project : Ibsen and the construction of a modern Chinese consciousness. In : East-West dialogue ; vol. 4, noa 2 (2000). (Ibs109, Publication)
  • Document: Liu, Xiangyu ; Ma, Hailiang. Byronism in Lu XunIn : Images of Westerners in Chinese and Japanese literature. Ed. by Hua Meng and Sukehiro Hirakawa. (Amsterdam : Rodopi, 2000). (Proceedings of the XVth Congress of the International Comparative Literature Association ; vol. 10, Leiden 1997). (Byr5, Publication)
  • Document: Tam, Kwok-kan. Ibsen in China 1908-1997 : a critical-annotated bibliography of criticism, translation and performance. (Hong Kong : Chinese Univesity Press, 2001). S. 34. (Ibs1, Publication)
  • Document: Hao, Tianhu. Ku Hung-ming, an early Chinese reader of Milton. In : Milton quarterly ; vol. 39, no 2 (2005). [Gu Hongming]. (Milt1, Publication)
  • Document: Guo, Ting. Translating a foreign writer : a case study of Byron in China. In : Literature compass ; vol. 7, no 9 (2010).
    http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1741-4113.2010.00727.x/full. (Byr3, Publication)
  • Person: Arndt, Ernst Moritz
  • Person: Arnold, Matthew
  • Person: Burns, Robert
  • Person: Byron, George Gordon
  • Person: Carlyle, Thomas
  • Person: Dante, Alighieri
  • Person: Dowden, Edward
  • Person: Friedrich Wilhelm III.
  • Person: Goethe, Johann Wolfgang von
  • Person: Gogol, Nikolai Vasil'evich
  • Person: Ibsen, Henrik
  • Person: Keats, John
  • Person: Korolenko, Vladimir Galaktionovich
  • Person: Körner, Theodor
  • Person: Locke, John
  • Person: Lu, Xun
  • Person: Mickiewicz, Adam
  • Person: Mill, John Stuart
  • Person: Napoleon I.
  • Person: Nietzsche, Friedrich
  • Person: Petöfi, Sándor
  • Person: Platon
  • Person: Pushkin, Aleksandr Sergeevich
  • Person: Scott, Walter
  • Person: Shakespeare, William
  • Person: Shelley, Percy Bysshe
5 1908 Lu, Xun. Po’e sheng lun [ID D18282].
Lu Xun schreibt : Wenn wir die heute vertretenen gesamten Behauptungen ins Auge fassen, so können wir solche in zwei Arten gliedern : die eine besagt : Du solltest Staatsbürger sein ; die andere heisst : Du solltest Weltbürger sein. Die einen fürchten, dass, wenn man sich nicht der Staatsbürgerschaft zuwendet, China in Unterjochung geraten werde ; die anderen machen sich aber Sorgen, dass man der [abendländischen] Zivilisation zuwiderlaufe, wenn man kein Weltmensch werden wolle. Bei genauer Betrachtung beider Auffassungen kann man schon feststellen, dass innerhalb solcher Meinungen – wenn auch ganz verschieden – das Ich zu verneinen ist, d.h. den Leuten ist hier nicht zumute, das Ich zu betonen und sich von anderen Menschen zu unterscheiden. Daraus ergibt sich offensichtlich, dass die Individualität unterdrückt wird. Kurzum, die Vertreter der Menschen als Staatsbürger sprechen über das Loswerden abergläubischer Vorstellungen, über Befürwortung von Aggression und Verpflichtungen gegenüber dem Staat. Was die zweite betrifft, so ist damit eine Befürwortung einer weltweit einheitlichen Sprache, mit Verzicht auf das eigene Land, mit der Suche nach einer gemeinsamen Welt gemeint.
Die chinesische Elite bezeichnet die beiden Völker als ein Rätsel, aber ich halte sie für vorwärtsschreitende. Sie wollen die beschränkte, relative und gegenwärtige Welt loswerden, suchen aber nach einem unendlichen, absoluten Kosmos. Ein Mensch muss einen inneren Halt haben. Der keine innere Gewissheit besitzende Mensch ist in diesem Sinne kein vollkommener.
Was Friedrich Nietzsche betrifft, so kritisierte er das Christentum. Indem er die Darwinistische Evolutionslehre benutzte, stellte er seine 'Übermensch-Theorie' auf. Auch wenn Nietzsche selbst diese Lehre als eine wissenschaftliche bezeichnete, war sie vom religiösen Glauben nicht weit entfernt. Das Ziel seiner Lehre bestand nicht darin, Glaube zu vernichten, sondern darin, ihn zu verwandeln. Dieser Gedanke ist bis heute noch nicht verbreitet.

Yu Longfa : Lu Xuns Kritik basiert auf der Erkenntnis, dass der Einzelne das Wichtigste ist. Dass Wert auf eine Veränderung von Politik und Ökonomie gelegt werden könnte, ist ihm nicht bewusst. Vielmehr scheint ihm ein Appell an die Subjektivität des Menschen unentbehrlich zu sein. Er war der Auffassung, dass man zur Beherrschung der Welt nicht von der Veränderung eines politischen Systems ausgeht, weil das System einer Gesellschaft in Anbetracht seiner kollektiven Eigenschaften eines solchen Systems der Natur des Einzelnen zuwider handelt.
Lu Xun benutzt den Begriff des Individuums Nietzschescher Prägung als Mittel zur Bekämpfung der 'bösen Stimmen' und setzt sich mit der seit einigen tausend Jahren dominierenden konfuzianischen Ideologie auseinander.
6 1908 Lu, Xun. Wen hua pian zhi lun [ID D18283].
Lu Xun schreibt über Friedrich Nietzsche : "Was den Materialismus und Massenbegriff betrifft, so könnte man damit wohl auf eine Seite der Zivilisation des ausgehenden 19. Jahrhunderts hindeuten. Allerdings halte ich diese Auffassung nicht für angebracht. Denn alle Erfolge von heute sind in vergangener Zeit spürbar. Auch Zivilisation entwickelt sich in der Art und Weise Tag für Tag. Es gab in ihrer Entwicklung sogar auch Strömungen gegen die Vergangenheit. Dass Zivilisation einseigite Kultur mit sich bringen wird, kann deswegen unvermeidlich sein. Wenn man wirklich Konzepte für die heutige Zeit entwerfen will, so ist es notwendig, die Vergangenheit zu betrachten, die Zukunft zu bedenken, gegen den Materialismus zu polemisieren, Geist zu entfalten, den Einzelnen hochzuschätzen, die Masse zu beseitigen. Da man seit langer Zeit die Gunst der materiellen Zivilisation erlangte, wurde der Glaube des Menschen an den Materialismus immer fester. Dieser wurde allmählich als eine Norm respektiert und eine existentielle Grundlage für alle Dinge angesehen. Man war sogar der Ansicht, dass alle Erscheinungen auf geistigem Gebiet durch den Materialismus eingeschränkt seien. Der Materialismus stehe in engem Zusammenhang mit dem realen Leben. Er solle nur respektiert und verehrt werden, anstatt ihn zu berühren.
Neue Ideen entwickelten sich in gewaltigen Strömungen. Der Geist von Ideen war bereichert durch Protest und Veränderung. Man setzte Hoffnung auf die Gewinnung neuen Lebens, indem man speziell die gegebene Kultur kritisierte und sie aus dem Weg räumte.
Der Deutsche F. Nietzsche verlieh der Gestalt des Zarathustra seine eigenen Worte : "Zu weit hinein flog ich in die Zukunft. Und als ich um mich sah, siehe : da war die Zeit mein einziger Zeitgenosse. Da floh ich rückwärts, heimwärts : so kam ich zu euch, Ihr Gegenwärtigen, und ins Land der Bildung. Aber Heimat fand ich nirgends ; und vertrieben bin ich aus Vater- und Mutterländern. An meinen Kindern will ich es gut machen". Was Nietzsche erwartete, ist beispiellose Willenskraft, die Ausdruck vom Übermenschen ist. Er ist fast wie ein Gott, einer der ausgeprägtesten Individualisten. Nietzsche setzte seine Hoffnungen auf grosse Persönlichkeiten und Genies, aber er war dagegen, dass die dumme Masse eine zentrale Rolle spielte. Nietzsche sagte, wenn ein Land von der Masse regiert werde, so werde die Vitalität eines Landes zugrunde gehen. Es wäre besser, wenn man die Volksmassen als Opfer ausnutzte, um ein oder zwei Genies erscheinen zu lassen. Sobald ein Genie zum Vorschein komme, werde die Gesellschaft dynamisch sein. Dies war die sogenannte Übermensch-Lehre, die den Intellektuellenkreis in Europa einmal erschüttert hat.
Nachdem manche Intellektuelle etwas von neuen Gedanken gehört haben, schämen sie sich zutiefst. Sie wollen deshalb gleich eine Reform durchführen. Sie halten daran fest, nie davon zu sprechen, was den westlichen Grundsätzen nicht entspricht. Sie halten auch daran fest, dass sie nie tun, was der westlichen Art und Weise zuwiderläuft."

Lu Xun schreibt über Henrik Ibsen : "[Byron's ideas] are close to those of the Norwegian writer Ibsen. Ibsen was born in the modern world, and he was anguished at seeing that the world was full of follies, whereas truth was discarded. In An enemy of the people, he presents his ideas through the protagonist Dr. Stockmann, who in upholding truth against the prejudices of society is attacked by the people. Dr. Stockmann is expelled from his house by the landlady and his son is rejected by the school, but he is not frightened and continues in his fight. At the end, he says that he has made a discovgery : the strongest man in the world is he who stands most alone. This is Ibsen's own view of the world.
Henrik Ibsen was well know in the literary world for his talent and as an interpreter of Kierkegaard. His works were full of ideas opposing conventions in society, beliefs or morals, so long as they were biased and narrow-minded, Ibsen would attack them. He saw that in the modern world there were many people who did evil things in the name of equality. Mediocrity and superficiality grew day after day. Follies and hypocrisy became more and more widespread in people's behaviour. Thos who had high ideals and did not compromise their integrity for the favour of others were rejected in society. The dignity of the individual and the value of mankind were going to be lost. All these conditions gave Ibsen more anguish. For example, in his play An enemy of the people, he portrays a person who upholds truth and does not give in to popular beliefs. The person is totally isolated from the other people. But the cunning and evil persons become leaders of the fools. These people use the majority to bully the minority. They form parties as a means to achieve their selfish transactions. Thus a series of struggles arise and Ibsen's work comes to an end. The reality in society is fully depicted here."

Yu Longfa : Die nach Japan geflohenen Reformatoren unter der Führung von Kang Youwei und Liang Qichao plädieren für eine Umformung der Staatsverfassung in eine konstitutionelle Monarchie. Innerhalb der Gruppe gibt es Meinungsverschiedenheiten, einige vertreten die Ansicht, dass ein parlamentarisches System nicht in China eingeführt werden sollte, weil das Wahlsystem, das nur zur Machtergreifung der herrschenden Klasse dient, für das chinesische Volk nicht geeignet sei. Lu Xun unterscheidet sich sowohl von den revolutionären als auch den konservativen Auffassungen und schenkt dem Individualismus im Sinne Nietzsches Aufmerksamkeit. Was die Einseitigkeit westlicher Kultur des 19. Jahrhunderts betrifft, so hat Lu Xun Hinweise auf zwei in Frage zu stellende Begriffe gegeben : den der 'Materie' und den der 'Masse'.
Nachdem Lu Xun die historische Entwicklung der Persönlichkeiten, deren Geist voll zur Geltung gebracht worden ist, dargestellt hat, führt er als anschauliches Beispiel Nietzsche u.a. an, die ‚nach ihrem eigenen Willen mit ganzer Kraft gegen Sitten und Gebräuche ihrer Zeit kämpfen.
Von Nietzsche spricht er als ein Zerstörer alter Kultur und Konventionen. Nach seiner Auffassung ist eine gründliche soziale Umgestaltung nichts wert, wenn die Menschen geistig noch nicht aufgeklärt sind. Er appelliert an die ‚Entfaltung des Individualismus’ vor der neuen Kulturbewegung und für ihn ist der 'Übermensch-Gedanke' der Ausdruck einer bereits von Konventionen befreite Individualität.

Zhang Yushu : Für Lu Xun ist ‚der tiefsinnige und weitsichtige Nietzsche, der das Falsche und das Bornierte der modernen Zivilisation durchschaut hat’ deshalb bewundernswert, weil er unerschrockenen Kampfesmut und unversöhnlichen Rebellengeist ausweist, einen offenen Krieg an die westliche Welt, also an die kapitalistische Gesellschaft erklärt, und den deutschen Staat mit seiner herrschenden Moral und seiner kriecherischen Kultur schonungslos und treffend kritisiert. Nietzsche hat die verbreiteten Übel des zwanzigsten Jahrhunderts vorausgesehen : die Überbetonung des Materiellen und der Massen. Die Ideen von Nietzsche dienten Lu Xun als Waffe, mit der er sein Vaterland aus Not und Elend retten wollte.
Lu Xun erklärt dem Drachen den Krieg. Tausend Jahre lang litt das chinesische Volk unter dem Drachen, der den Willen des Volkes vergewaltigte und ihm seinen Willen aufzwang. Jetzt sollte der Löwe seinen eigenen Willen ausdrücken : Ich will auf Erden glücklich sein und nicht mehr darben, ich will so handeln, wie es mir recht ist, ich will lieben und hassen, wie mein Herz mir befiehlt, ich will nicht mehr Sklave sein mit allen sklavischen Tugenden, Zeichen der Schwachheit, die nur billiges Mitleid erregen und nie dazu beitragen können, meine Lage zu verändern. Ich will mich selbst überwinden und mit übermenschlichen Fähigkeiten und Eigenschaften übermenschliche Leistungen vollbringen, ich will den Drachen besiegen und Herr meines eigenen Schicksals sein. Daher kritisiert Lu Xun auch alles, was mit dem Drachen verbunden ist, und alle, die versuchen den Drachen mit Theorie und Taten auf seinem Thron zu belassen.
Nur wenn man seine Liebe und seinen Hass, seine Hoffnung und seine Enttäuschung kennt, kann man verstehen, warum Lu Xun von Nietzsches Übermensch-Philosophie beeindruckt werden konnte. Es war eine tragische Zeit, die Helden brauchte und Helden hervorbrachte. Es ist uns völlig klar, dass es, um die Volksmassen wachzurütteln, einiger hervorragender Persönlichkeiten bedarf, die als Avantgarde den Massen vorangehen sollten. Für Nietzsche waren sie anfangs hervorragende Philosophen und Künstler wie Schopenhauer und Wagner, und später Halbgötter und Übermenschen. Auch Lu Xun war für die Genies und die Philosophen. Er fragt : "Ist es nicht ratsamer, die Massen zu ignorieren, umd die Genies und Philosophen zu feiern, als umgekehrt, die Philosophen und die Genies zu hindern, um die Massen zu fördern ?"

Raoul David Findeisen : In Nietzsches Ideal des Übermenschen sieht Lu Xun den Höhepunkt einer solchen ethischen Evolution : "Erst wenn der Übermensch erscheint, herrscht Frieden auf Erden".
  • Document: Tam, Kwok-kan. Ibsen in China : reception and influence. (Urbana, Ill. : University of Illinois, Graduate College, 1984). Diss. Univ. of Illinois, 1984. S. 36, 38. (Ibs115, Publication)
  • Document: Zhang, Yushu. Nietzsche und Lu Xun. In : Veröffentlichungen JDZB ; Bd. 12 (1991). (Nie8, Publication)
  • Document: Findeisen, Raoul David. Vier westliche Philosophen in China : Dewey und Russell, Bergson und Nietzsche. In : Minima sinica ; 1 (1992). (Find1, Publication)
  • Person: Lu, Xun
  • Person: Nietzsche, Friedrich
7 1915 Chen, Duxiu. Jin gao qing nian [ID D18284].
Chen schreibt : Es wäre besser, wenn unser gesamtes nationales Kulturerbe verschwinden würde, denn es ist in der modernen Welt nicht lebensfähig. Das Bewusstwerden von Moral ist das allerletzte Bewusstwerden meiner Landsleute. Eine der chinesischen Sitten besteht aus der Apathie des Menschen.
Seit dem Popularisieren der Lehren über die Menschenrechte und Gleichheit können die mutigen Jugendlichen es unter dem Namen Sklaven nicht mehr aushalten. Die Geschichte des modernen Europa wird die 'Emanzipationsgeschichte' genannt : monarchische Gewalt wurde zerstört, um sich politisch zu emanzipieren ; Kirchenmächte wurden abgeleugnet, um sich von der Religion zu emanzipieren ; die Idee von gleicher Arbeit wurde befürwortet, um sich wirtschaftlich zu emanzipieren ; Frauen sind an der Politik beteiligt, um sich von den Mächten der Männer zu emanzipieren. Emanzipation bedeutet Bruch mit den Fesseln der Sklaverei, um die freie und selbständige Menschenwürde zu vervollkommnen.
Ich bin nicht bereit, den andern zum Sklaven zu machen, um dem Willen des Herrn zu entsprechen. Ich betrachte den selbständigen, freien Charakter als das Höchste. Alles Benehmen, alle Mächte, aller Glaube haben sich der eigenen Intelligenz zu unterwerfen, ohne dem anderen zu gehorchen.
Differenziert hat der grosse Philosoph Nietzsche, was den Begriff der Moral betrifft, zwei Arten von Moral : die eine heisst Herrenmoral, die andere Sklavenmoral. Die Herrenmoral stellt die Selbständigkeit und Tapferkeit dar, während Bescheidenheit und Gehorsam zur Sklavenmoral gehören. Loyalität, Pietät, Integrität, Rechtschaffenheit sind alles Sklavenmoral. Zum Sklavenglück gehören die Geringschätzung des Strafrechts und der Grundsteuer ; zum sklavischen Stil der Literatur gehört die Hochschätzung von Verdiensten und Tugenden ; zum sklavischen Ruhm gehört die Verehrung der Adelsränge ; Erinnerungsstücke im Sinne auch des Klaven sind Monument und Mausoleum…
Loyalität, Kindesliebe, Tugend und Brüderlichkeit – das ist die Moral der Sklaven ; leichtere Folter und mindere Grundsteuer – das ist das Glück der Sklaven ; Gnadegewinsel und Rangverehrung – das ist die Ehre der Sklaven ; grosses Grabmal und hoher Grabhügel – das ist das Gedenken der Sklaven. Denn all diese Entscheidungen zwischen Recht und Unrecht, zwischen Ehre und Schande können sie selbst nicht treffen, sondern sie lassen sie durch andere fällen. Die indivuduelle, unabhängige und gleiche Persönlichkeit ist völlig vernichtet. Wer Gut und Böse nicht mit eigenem Willen beurteilen kann, der ist ein Sklave.

Yu Longfa : Chen Duxiu befasst sich mit Friedrich Nietzsche, um sich mit den moralischen Traditionen Chinas, die systematisch der Dynamik und dem Unternehmungsgeist des Westens gegenübergestellt werden, auseinanderzusetzen. Chens Übernahme der Ideen Nietzsches ist von seinen frühen revolutionären Gedanken zu Philosophie, Ökonomie und Politik nicht zu trennen. Seine Beiträge haben keinen grossen Anteil an der chinesischen Nietzsche-Rezeption, aber der Einfluss der Artikel war damals in der neuen Kulturbewegun eindeutig zu spüren. Chen Betrachtet den Konfuzianismus nicht nur als eine Hauptursache für den Untergang des Landes, sondern auch als absolut unverträglich mit einer auf den Werten der Freiheit und Gleichheit aufgebauten Gesellschaft. Wichtige Voraussetzungen für eine Änderung der sozialpolitischen Lage Chinas sieht er im Widerstand gegen die Tyrannei der konfuzianischen Tradition wie der Ethik. Er ist sich darüber klar, dass China, wenn es überleben wolle, sich der Modernisierung und dem Westen weiter öffnen müsse. Die Ideen des Westens enthalten neue, aufblühende, demokratische und wissenschaftliche Aspekte. Es ist für Chen relevant, dass der einzelne Mensch im Sinne des westlich geprägten individuellen Charakters einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung des Landes leisten würde.
  • Document: Von der Kolonialpolitik zur Kooperation : Studien zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen. Hrsg. von Kuo Heng-yü. (München : Minerva Publikation, 1986). (Berliner China Studien ; 13).
    [Enthält] : Yin, Xuyi. Zur Verbreitung des Marxismus in China. 444. (KUH7, Publication)
  • Person: Chen, Duxiu
  • Person: Nietzsche, Friedrich
8 1915 Xie, Wuliang. Deguo da zhe xue zhe Nicai zhi lüe zhuan ji xue shuo [ID D18285].
Xie schreibt : Nietzsche ist eine grosse Persönlichkeit, die über seinen Zeitgenossen steht. Er ist der hochherzige Mann, den es zu bewundern gilt. Die Lehre Nietzsches ist durch hervorragende Besonderheiten gekennzeichnet, die dazu dienen, einen Beitrag zur Steuerung allen Übels des Landes zu leisten, den schwachen Menschen zur Selbständigkeit und Selbststärkung zu begünstigen.
Das gegenwärtige grösste Übel in der Welt liegt nicht in den Äusserungen von besorgten Meinungen, nicht in unreinem Denken und auch nicht in unnmässigem Handeln des Menschen. Alles Übel kommt vom Menschen selbst. Die Massen neigen zur Gleichheit, haben eine Abneigung gegen Ungleichheit. Die heutigen Menschen suchen nach der Kriecherei, indem sie sich den gesellschaftlichen Konventionen fügen, um einem lächelnden Gesicht entgegenzusehen. Sie wagen nicht zu sagen, was schwarz, was weiss ist. Sie trauen sich auch nicht von Recht und Unrecht zu reden. Die Inelligenz der Chinesen geht Tag für Tag weiter zugrunde. Sie sind deprimiert. Für die ganze Nation droht die Unterjochensgefährdung des Landes. Zwar haben wir noch heilige Persönlichkeiten zur Verfügung, aber sie wissen selber auch nicht, wie sie zu handeln haben.
Nietzsche befürwortete den Begriff des Willens zur Macht, der zum Genie entwickelt und vervollkommnet worden ist, was zur primären Entwicklung gehört. Ob man Herr oder Knecht wird, dies ist davon abhängig, wie gross der Wille zur Macht ist. Gut heisst Erlangen von Macht ; Böse heisst Verlieren der Macht. Schutz der Macht bedeutet Gut ; Beschädigung der Macht bedeutet Böse. Die gegenwärtige europäische Moralanschauung ist durch die Massenmoral gekennzeichnet. Wer sich solch einer Moral unterwirft, der ist gut ; wer sie nicht befolgt, der ist schlecht. Der Schwache muss auf jeden Fall zugrunde gehen. Dies ist der erste Sinn der Humanität.

Yu Longfa : Cheng Fang schreibt 1993, dass sich Xie Wuliang nicht unter wissenschaftlichem Aspekt, sondern aus der Sicht des konfuzianischen Gelehrten mit Nietzsche auseinandergesetzt habe. Es liegt aber nahe, dass Xie wahrscheinlich viel mehr wie Lu Xun von der japanischen Nietzsche-Präsentation beeinflusst worden ist, als dass er sich mit konfuzianischer Morallehre befasst hat. Xie macht besonders auf Nietzsches charakteristische Eigenschaften aufmerksam, die in China eingeführt zu werden ihm notwendig scheint. Angesichts des schwachen chinesischen Nationalcharakters ist er überzeugt, dass Nietzsche mit seinem 'Kuang-Geist' imstande sein kann, die augenblicklichen Zustände in China zu ändern. Nietzsches Lehre inspiriert ihn im wesentlichen zur formalen Diagnose der Zustände der Zeit. Nach seinem Verständnis empfindet Nietzsche über den gegenwärtigen Stand von Sitte und Moral in Europa ein tiefes Unbehagen : Es fehlt an Humanität und Gerechtigkeit. Deshalb appelliert er an die Menschen, damit sie eine grundlegende geistige Erneuerung unternehmen könnten. Ohne sich darum zu kümmern, was man für recht oder unrecht halte, verkünde Nietzsche offen seine Idee vom Willen zur Macht, die Xie betont und zugleich als eine Therapie gegen soziale Übelstände in China ansieht.
Xie behandelt in seinem Beitrag vorwiegend essentielle Lehren Nietzsches wie 'Jenseits von Gut und Böse', 'Lehre des sündhaften Christentums' und die 'Lehre des Übermenschen'. Er betrachtet den Begriff Willen zur Macht als wesentliches Element der Entwicklung der Menschen. Der Mensch wird von ihm primär als Naturwesen gesehen, das den Kampf ums Dasein zu bestehen habe. Man soll nicht nach Befriedigung streben, sondern nach immer grösserer Macht, nicht nach Frieden, sondern nach Krieg. Er kommt zum Schluss : Kampf und Krieg stellen das grundlegende Prinzip für die Weiterentwicklung der biologischen und soziologischen Welt dar. Seiner Ansicht nach steht Nietzsche auf dem Boden des Selektionsprinzips vom Überleben des Tüchtigen, nach dem der Starke berechtigt ist, den Schwachen zu seinen eigenen Zwecken zu benutzen. Nach Xies Ansicht plädiere das Christentum für das Prinzip des Schwachen, der sich an die vorhandenen Regeln und Bestimmungen zu halten bereit sei. Er hält dies für einen sündhaften Gedanken und stellt fest, dass Nietzsche nicht unberechtigt als Antichrist anzusehen sei, weil das Christentum Nietzsches Lebensphilosophie völlig entgegenlaufe.
Die letzte Passage beginnt mit der Idee des Übermenschen, den Xie mit dem konfuzianischen Ausdruck des Weisen oder Heiligen bezeichnet. Schopenhauer, Napoleon und Wagner werden erwähnt, die allgemein als Vorbilder für zukünftige Menschen angesehen werden. Xie bringt Nietzsches Übermensch-Gedanke mit der Lehre der Verbesserung von körperlichen und geistigen Tüchtigkeit des Menschen in Verbindung, indem er sagt : "Nietzsches Übermensch in eugenischem Sinne setzt das Ehesystem voraus".
9 1916 Chen, Duxiu. Ren sheng zhi zheng yi [ID D18286].
Yu Longfa : Chen thematisiert Nietzsches Begriff des Willens zur Macht und den Übermensch-Gedanken, wobei die Betonung auf der "Betrachtung des einzelnen Willens, Entfaltung der einzelnen Begabung, um grosser Künstler, 'Übermensch' zu werden, dies bedeutet den wahren Sinn des Lebens", liegt.
10 1918 Chen, Duxiu. Ren sheng zhen yi [ID D18292].
Chen schreibt : Der Deutsche Friedrich Nietzsche plädierte dafür, der Einzelne solle seinen Willen durchsetzen, seine Talente entwickeln und ein grosser Künstler oder Geschäftsmann werden. Als Ziel des Lebens sah er an, ein Übermensch zu werden, der über den gewöhnlichen Menschen steht.

Yu Longfa : Chen betrachtet die Befreiung des Individuums als gesellschaftliche Notwendigkeit. Eine moralische Erneuerung Chinas bedarf nach seiner Ansicht erneuerter Individuen. Die Idee Friedrich Nietzsches vom Übermenschen spiegele nicht nur die rückständige Realität des alten China wider, sondern deute auch auf den wahren Wert des menschlichen Lebens hin. Er vertritt die Ansicht, dass Nietzsches Idee vom Übermenschen für sein Konzept geeignet sei, dem chinesischen Volk ein Vorbild zu geben. Er betont vor allem Nietzsches Moralauffassung, die er als Waffe im Kampf gegen die konfuzianischen Moralvorstellungen einsetzt.
11 1919 4. Mai Bewegung = May fourth movement = Wu si yun dong = 五四运动
Befürwortung einer westlichen Kultur und Neuorientierung an nach China gelangten Literaturtheorien. Es beginnt eine völlige Neubewertung der literarischen Gattungen. Die jungen Intellektuellen sind bestrebt, im Westen nach der Wahrheit zu suchen, in der westlichen Literatur ihr Vorbild zu finden. Die meisten lehnen das traditionelle Musiktheater ab und fordern ein Sprechtheater nach europäischem Vorbild. Im Sprechtheater sehen sie vor allem eine neue Form, die geeignet ist, die Bevölkerung aufzuklären und die neuen Ideen zu verbreiten.
Huang Jiande : Die Entfaltung der Individualität, die geistige Freiheit, Zerstörung des Traditionalismus weisen objektiv eine ziemlich fortschrittliche Bedeutung auf.
Yue Dafu : Der grösste Erfolg der 4. Mai Bewegung war als erstes der, dass 'das Individuum' entdeckt wurde. Frühe Menschen existierten um Willen des Kaisers und des Tao. Die heutigen Menschen haben zur Kenntnis genommen, dass sie für sich selbst existieren.
Jessica Wang : On May 4, 3000 students in Beijing held a mass demonstration against Japanese imperialism and domestic political corruption. In big cities, general strikes supporting the students ensued along with larg-scale boycotts against Japanese goods.
  • Document: Huang, Guozhen. Die Aufnahme des deutschen Expressionismus in China und sein Einfluss auf die moderne chinesische Literatur. In : German quarterly ; vol. 60, no 3 (1987). (Hua10, Publication)
  • Document: Schmidt-Glintzer, Helwig. Geschichte der chinesischen Literatur : die 3000jährige Entwicklung der poetischen, erzählenden und philosophisch-religiösen Literatur Chinas von den Anfängen bis zur Gegenwart. (Bern ; München : Scherz, 1990). (SH5, Publication)
  • Document: Ding, Na. Die Rezeption deutschsprachiger Literatur in der Volksrepublik China 1949-1990. (München : Ludwig-Maximilians-Universität, 1995). Diss. Ludwig-Maximilians-Univ., 1995. S. 47. (Din10, Publication)
  • Document: Wang, Jessica Ching-Sze. John Dewey in China : to teach and to learn. (Albany, N.Y. : State University of New York Press, 2007). (Suny series in Chinese philosophy and culture). S. 66. (DewJ2, Publication)
12 1919 Tian, Han. Shuo Nicai de 'Bei ju zhi fa sheng' [ID D18072].
Tian Han schreibt : Obgleich Nietzsche in Anlehnung an Schopenhauer die Welt als Willenswelt konzipiert, ist der pessimistische Sinn Schopenhauers bei Nietzsche nicht zu sehen. Schopenhauer tritt für den Verzicht auf den Willen des Menschen und auf alle Ideen ein. Nietzsche dagegen bejaht positiv den Willen und akzeptiert die Daseins-Gedanken. Er behauptet, dass der Mensch auf jeden Fall kräftig und unnachgiebig weiterleben solle. Je entsetzlicher das irdische Dasein wird, einen desto stärkeren Willen soll der Mensch haben. Die Schönheit und die Kraft (das Höhere des Geistigen) des Einzelnen wird erst zur Entfaltung kommen, wenn er gegen die 'Leiden des Lebens' kämpft. Dies ist das Leben als das Entsetzliche ! Das entsetzliche Leben stellt in der Tat Quellen des Schönen und des Höheren, als Stimulans zur Entwicklung des Daseinswertes dar. Schopenhauer war der Ansicht, dass man infolge des aus Leiden bestehenden Lebens die Flucht ergreifen solle, wohingegen der Wert des Lebens für Nietzsche gerade im Leiden liegt. Die beiden Philosophen gehen von der übereinstimmenden Anerkennung des universalen Willens aus, gehen aber in zwei entgegengesetzten Richtungen weiter.

Yu Longfa : Tian Han begegnet neuen westlichen Ideen, die ihm eine neue Perspektive in Hinblick auf Ästhetizismus und Individualismus eröffnen. Er hat aufgrund der Untersuchung der griechischen Tragödie dem Leben des Menschen eine ästhetische Bedeutung gegeben.

He Lin : Tian Han sagt, Nietzsche habe in seiner Frühzeit enthusiatisch Richard Wagner verehrt, sei aber bald darauf in Opposition gegen ihn geraten, u.a. wegen Parsifal. Denn Nietzsche meinte, dass Parsifal eine zu starke religiöse Färbung trage und ein Rauschmittel für das Volk sei. Allerdings seien seine allgemeinen Ansichten jenem Gefühl, das Richard Wagner in seinem Ring der Nibelungen zum Ausdruck brachte, noch sehr ähnlich. In Wirklichkeit trüge Nietzsches Übermensch sehr verwandte Züge mit Siegfried – die beiden unterschieden sich im Grunde nur darin voneinander, dass ersterer Griechisch spreche. Tian Han meinte zum tragischen Geist in Nietzsches Die Geburt der Tragödie : "Je mühsamer das Menschenleben, desto notwendiger brauchen wir den Willen zur Stärkung des Landes".
  • Document: Von der Kolonialpolitik zur Kooperation : Studien zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen. Hrsg. von Kuo Heng-yü. (München : Minerva Publikation, 1986). (Berliner China Studien ; 13).
    [Enthält] : Yin, Xuyi. Zur Verbreitung des Marxismus in China. S. 445. (KUH7, Publication)
  • Person: Nietzsche, Friedrich
  • Person: Schopenhauer, Arthur
  • Person: Tian, Han
  • Person: Wagner, Richard
13 1919 Manifest in Xin qing nian (1919).
Darin steht : Wir glauben, dass Politik, Ethik, Wissenschaft, Religion und Erziehung auf praktische Ziele ausgerichtet sein müssen, um Fortschritte im gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen Leben erreichen zu können. Wir müssen die nutzlosen und beziehungslosen Elemente der traditionellen Literatur und Ethik aufgeben, um solche neuen Elemente schaffen zu können, die für den Fortschritt der neuen Zeit und der neuen Gesellschaft erforderlich sind. Wir glauben, dass für den Fortschritt unserer gegenwärtigen Gesellschaft Naturwissenschaften und pragmatische Philosophie Vorbedingungen sein sollten und dass Aberglaube und Spekulation abgeschafft werden müssen.

Hua Kang : Die Intellektuellen traten dafür ein, von den fortschrittlichen ausländischen Kulturen zu lernen, um eine neue eigene nationalchinesische Kultur zu schaffen.

Yu Longfa : Die Erörterung der europäischen Kultur und die Überwindung der Tradition im Zuge einer Neubewertung der eigenen Vergangenheit ist aufs Engste mit Friedrich Nietzsche verknüpft.
  • Person: Nietzsche, Friedrich
14 1919 [Nietzsche, Friedrich]. Xin ou xiang, Shi chang zhi ying [ID D18298].
Mao Dun schreibt im Vorwort : Nietzsche war ein grosser Schriftsteller und führte eine scharfe Feder. In seinen Werken sind oft erschreckende Worte zu finden. Seine Arbeit Also sprach Zarathustra gilt als literarische Kostbarkeit.

Yu Longfa : Trotz der unlänglichen Übersetzung gilt dieser Versuch als der erste, Zarathustra ins Chinesische zu übertragen um das Buch dem chinesischen Publikum zugänglich zu machen.
  • Document: Von der Kolonialpolitik zur Kooperation : Studien zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen. Hrsg. von Kuo Heng-yü. (München : Minerva Publikation, 1986). (Berliner China Studien ; 13).
    [Enthält] : Yin, Xuyi. Zur Verbreitung des Marxismus in China. S. 446. (KUH7, Publication)
  • Person: Mao, Dun
  • Person: Nietzsche, Friedrich
15 1920 Mao, Dun. Nicai de xue shuo [ID D18302].
Quellen : Thilly, Frank. A history of philosophy. (New York, N.Y. : H. Holt, 1914).
Ludovici, Anthony Mario. Nietzsche : his life and his work. (London : Constable 1910).
Hoffding, Harald. Moderne Filosoffer. (Kopenhagen : Gyldendal, 1904). = Moderne Philosophen. (Leipzig : O.R. Reisland, 1905). = Modern philosophers. (London : Macmillan, 1915).
Von Ludovici übernimmt Mao Dun die Kapiteleinteilung : Einleitung, Nietzsches Leben und Werk, Nietzsches Ethik, Nietzsche als Anhänger der Evolutionstheorie, Nietzsche als Soziologe, Schlussfolgerungen.

Mao Dun schreibt : Die Deutschen respektierten von jeher die Lehre Nietzsches. Aber man machte für die Schuld am letzten Krieg Nietzsches Lehre verantwortlich. Hat sie wirklich den Menschen in der Welt Schaden zugefügt ? Oder haben sie die Deutschen selbst missverstanden ? Ich glaube, der einsichtige Leser kann es begreifen. Aber eins muss ich hier sagen : Nach dem Krieg wurde in Deutschland noch grösseres Interesse an Nietzsches Lehre an den Tag gelegt.
Wir müssen uns noch im klaren darüber sein, dass es sich nur um eine Lehre bzw. um ein Werkzeug handelt, das uns zur Verbesserung des Lebens, zum Suchen nach Wahrheit verhelfen kann. Wir versuchen aus seiner Lehre etwas Nützliches zu gewinnen, lassen sein Unnützliches im Stich, ja wir vergessen es gänzlich.
Ob Nietzsche als Dichter oder als Philosoph gilt, ist längst umstritten. Nun ordnen wir ihn in die Kategorie der Philosophen ein. Hätte Nietzsche früher mit dramatischem oder dialogischem Stil seine Meinungen geäussert, so hätte es wahrscheinlich noch mehr Leute gegeben, die Nietzsche priesen. Nur hinsichtlich des Werks Also sprach Zarathustra wissen wir es, dass Nietzsche in der Tat ein poetisches Genie war. Man sollte ihn in diesem Fall nicht so sehr als Philosoph, sondern vielmehr als grossen Schriftsteller bezeichnen. Dank seiner Lehre vom Übermenschen und vom sozialen Dualismus hat er den Titel des Philosophen gewonnen.
Spricht man früher von Moral, so kann man die Fessel der historischen Konvention nicht sprengen. Das von jeher vorbestimmte Gute kann nicht gründlich kritisiert werden. Man versucht nur, Moral zu revidieren, statt sie zu untersuchen. Bei Nietzsche ist dies nicht der Fall. Indem er sich mit dem Moralbegriff seit der Zeit der ursprünglichen Menschheit auseinandersetzt, stellt Nietzsche die Moral in ihrem Ursprung in Frage und versucht herauszufinden, wie das sogenannte Gute jetzt von den Menschen anerkannt würde. Von diesem Standpunkt aus ist Nietzsche bestrebt, alle Werte der Moral neu zu bewerten. Wir akzeptieren Nietzsches Äusserungen über den historischen Ursprung der Moral, indem wir seine Theorie als scharfe Waffe im Kampf gegen die historisch überlieferte, entstellte und geistig gefesselte Moral benutzen.
Darwin sagte, der Mensch habe sich aus dem Tier entwickelt, nun behauptete Nietzsche ebenfalls, der zukünftige Mensch werde aus dem modernen Menschen entwickelt. Aber nach welchen Gesetzen soll dies zustande kommen ? Nietzsches Konzeption : nach Gesetzen der Macht. Was wir bezüglich der Gemeinsamkeiten zwischen Nietzsche und den modernen Theoretikern des Evolutionismus zur Kenntnis nehmen, ist die Anerkennung des Menschen, nicht die Gottes. Ihre Unterschiede bestehen darin, dass Nietzsche aufs äusserste für Macht plädiert. Den 'Willen zur Macht' hat der Mensch bereits gleich nach der Geburt. Da der Menschen diesen Willen zur Macht hat, will er nicht als Sklave in demütigenden Umständen leben. Dass der Mensch, ohne Angst vor der Macht zu haben, nach Kampf, Befreiung und Selbstbestimmung sucht, dies alles geht davon aus. Wird das Aufhören als das Suchen nach der Existenz angesehen, so wäre dies das Leben wie ein Schwein und ein Hund. Aber Nietzsche bezeichnet den stärksten Willen des Lebens als den 'zu Macht' ; dies wäre sehr interessant, denn nur der Mensch hat diesen 'Willen zur Macht'. Der Mensch will kein Sklave sein, er hat keine Angst vor Mächten, sondern den Willen, zu kämpfen, zur Suche nach Befreiung und Selbstentscheidung. Alles geht hiervon aus. Die Philosophie vom Übermenschen ist gerechtfertigt, denn der Übermensch ist nach seiner Auffassung progressiv. Der Vergleich zwischen Übermensch und dem heutigen Menschen ist so wie der Vergleich zwischen dem heutigen Menschen und dem Affenmenschen.
Im Hinblick auf meine beschränkte Kenntnis bin ich der Meinung, dass Nietzsche in der Tat ungerecht behandelt wurde, als man die Auffassung vertrat, dass Nietzsche für die Betonung der Machtstärkung eintrete. Nietzsche behauptet, dass nur kluge und gesunde Menschen weiterleben sollten, die anderen aber sterben müssten. Solche Aussagen sind natürlich belastend. Hat denn nicht etwa Platon Ähnliches geäussert ? Äusserte nicht Shaw ebenso solche Behauptungen ? Warum macht man nur Nietzsche allzu strenge Vorwürfe ? A.M. Ludovici nannte Nietzsche einen Anarchisten auf geistigem Gebiet, der alle philosophischen Lehren zerstört. Ich halte diese Worte für gerechtfertigt.

Yu Longfa : Anlässlich der Diskussion um Verantwortungsprobleme des vergangenen Krieges scheint Mao Dun eine neue Bewertung von Nietzsche besonders notwendig, um ein 'neues China' zu begründen und zugleich die damit verbundene Kulturbewegung weiter zu fördern. Mao Duns Nietzsche-Rezeption ist keine wissenschaftliche Studie über die Lehre Nietzsches. Er konnte kein Deutsch und war deshalb auf englischsprachige Sekundärliteratur angewiesen. Er hat eine Teilübersetzung von Zarathurstra : Thus spoke Zarathustra gelesen, sowie Beyond good and evil und Genealogy of morals.
Mao Dun betrachtet Nietzsches Lehre an vielen Stellen als widersprüchlich, ist allerdings nicht bereit, diese Widersprüche im Denken Nietzsches aufzuzeigen. Er kritisiert, dass Nietzsche kaum Möglichkeiten habe, mit dem einfachen Volk umzugehen, so dass ihm die Fähigkeiten und Lebensumstände des Volkes unbekannt seien. Er betrachtet Nietzsche in erster Linie nur als Kulturkritiker, der einen Niedergang in der westlichen Kultur sieht. Mao Dun geht auf Nietzsches Übermensch-Gedanken und die dualistischen Faktoren der Gesellschaft ein, um dem chinesischen Leser den deutschen Philosphen zugänglich zu machen. Auch schenkt er Nietzsches Moralauffassung und dem Konzept des Übermenschen Aufmerksamkeit. Besonders hat er grossen Wert auf Nietzsches Begriff der Umwertung aller Werte gelegt, den er sich zum Massstab nimmt, um an den Kulturkampf der 4. Mai-Bewegung anzuknüpfen. Er betont 'die grösste und die beste Einsicht Nietzsches', dass er 'alle philosophischen Lehren, alle sozialen Grundsätze, alle Lebens- und Moralanschauungen aufs neue beurteilt und bewertet hat'. Da sich in Nietzsches Denken nach Ansicht Maos Widersprüche finden, setzt er den chinesischen Leser in Kenntnis, dass sowohl Leichtgläubigkeit an Nietzsches Gedanken als auch Verzicht auf das Studium seiner Schriften nicht empfehlenswert sei.
Der grösste Teil über die Gedanken Nietzsches ist das Kapitel über die Moraltheorie. Dort zeigt es sich, dass ein wesentliches Motiv von Mao Duns Betonung der Moraltheorie Nietzsches die Untersuchung des überlieferten Begriffes des Guten und des Bösen war. Im Gegensatz zu Nietzsches Moralvorstellung hält Mao Dun den Unterschied zwischen der vornehmen Moral und der Sklaven-Moral für falsch : "Nietzsches Kritik an der Moral hat sich nicht als falsch erwiesen ; falsch ist eigentlich die Behauptung über die Moraltendenz". Maos Augenmerk liegt im Zusammenhang mit seiner neuen Moral auf der breiten Masse der Menschen, die zum Erwachen für eine Änderung der sozialen Ordnung berufen war.
Wie Lu Xun rezipiert auch Mao Dun Nietzsches Übermensch-Denken unter dem Aspekt, dass der gegenwärtige Mensch den vorangegangenen Menschen überholten sollte und präsentiert ihn als Evolutionsprediger, dem Darwins Evolutionstheorie zugrunde liegt. Mao Duns Begriff vom 'Willen zur Macht' ist als Synonym für Selbstentscheidung, Befreiung und Kampf gegen Mächte zu verstehen und zu verwenden.
Mao Duns Vermittlung von Nietzsches Lehre führte in damaliger Zeit zur Popularisierung von Nietzsches Denken einerseits und zu neuen Begriffen andererseits, die extreme Gedanken der damaligen Intellektuellen widerspiegeln.

Raoul David Findeisen : Mao Dun betont, dass Nietzsche ein Elfenbeinturmdasein geführt habe und deshalb ihm gegenüber Vorsicht geboten sei, denn 'er habe keine Ahnung, unter welchen Bedingungen das gewöhnliche Volk lebt'. Mao setzt sich mit dem konfuzianischen Wertesystem auseinander und fordert, sich der 'Umwertung' zu bedienen, um ‚die alte Moral zu zerstören’. Der Wert der Tradition müsse ‚neu festgesetzt’ werden. Er bezeichnet den 'Übermenschen' als einen ‚fortschrittlichen Menschen’. Zwar betont er, das Ideal des Übermenschen sei die wichtigste Forderung in Nietzsches Ethik, doch wie durchschlagend sein darwinistisches Vorverständnis war und wie sehr er den Übermenschen als zuallererst biologisches Phänomen verstand, wird deutlich wenn er ihn charakterisiert : "Der Übermensch steht zum jetzigen Menschen im gleichen Verhältnis wie der jetzige Mensch zum Affen". Mao Dun betont den Wert von Nietzsches Moralkritik, lehnt aber dessen Ableitungen, die er mit "Die Herren werden stärker und die Sklaven schwächer" wiedergibt, entschieden ab, weil sie sich mit den elementarsten Forderungen der Demokratie und des Sozialismus nicht vereinbaren liessen.
Aus einem aufklärerischen Erziehungsbegriff heraus, sieht Mao Dun die vorrangige Bedeutung von Nietzsches Ikonoklasmus darin, ‚das Volk aufzurütteln’, dessen 'Sklavenmoral' er darauf zurückführt, dass es ‚in Unwissenheit gehalten wurde, damit es dem Kaiser gehorcht’.
Er vergleicht Nietzsches Begriff vom 'Willen zur Macht' mit Darwins 'struggle for life' und Spencers 'dynamic element in life'. Dieser Gruppe gegenüber stellt er Kropotkins 'assistance mutuelle', die deshalb überlegen sei, weil sie sowohl demokatischen Ansprüchen genüge, als auch biologisch begründet werde. Nietzsches 'Willen zur Macht' versteht er unter dem Begriff ‚Willen zur politischen Macht’. In diesem Zusammenhang sieht er im 'Übermenschen' einen aktiven Kämpfer gegen bestehende gesellschaftliche Verhältnisse aus der Position eines zunächst 'Schwachen' heraus, der dann, wenn er politische Macht erlangt hat, eine 'Umwertung' vornimmet. Aus Mao Duns Antithesen von ‚Wille zur politischen Macht’ und 'Überlebenstrieb' entstehen Kampf (Übermensch), Dekadenz, Aktivität (Herrenmoral), Passivität (Sklavenmoral). Die von Mao Dun vorgenommenen Transformationen der Begriffe Nietzsches gehen vermutlich auf Ludovici zurück und dort auf das grundlegende Missverständnis, konkrete gesellschaftliche Modelle von Nietzsche ableiten zu wollen. Yue Daiyun schreibt 1979 : Mao Dun hat bloss einige Ideen von Nietzsche als Material herangezogen und sie den tatsächlichen gesellschaftlichen Bedürfnissen Chinas gemäss umgewandelt, so dass sie hinterher mit Nietzsches ursprünglicher Absicht nichts mehr gemein hatten.
Mao Duns zentrale Thesen lauten : Seid unabhängig und nicht unterwürfig, seid fortschrittlich und nicht konservativ, seid kämpferisch und zieht euch nicht zurück, seit utilitaristisch und nicht formalistisch, seid wissenschaftlich und phantasiert nicht.
  • Document: Findeisen, Raoul David. Die Last der Kultur : vier Fallstudien zur chinesischen Nietzsche-Rezeption. In : Miima sinica ; 2 (1989)-1 (1990). S. 23-28. (Find2, Publication)
  • Person: Hoffding, Harald
  • Person: Ludovici, Anthony Mario
  • Person: Mao, Dun
  • Person: Nietzsche, Friedrich
  • Person: Thilly, Frank
16 1920 [Nietzsche, Friedrich]. Chalatusitela de xu yan yi zhe fu ji [ID D12594].
Lu Xun schreibt im Vorwort : Nietzsches Stil ist ausgezeichnet, das Buch ist auch in Aphorismen verfasst. Von aussen her gesehen, finden sich darin oft Widersprüche, daher ist der Text nicht leicht zu verstehen. Das aus vier Kapiteln und einer Vorrede bestehende Werk wurde von 1883 bis 1886 [sic 1883-1884] geschrieben. Da das Buch in nur drei Jahren verfasst wurde, versteht sich von selbst, dieses Werk nicht als Gesamtheit des Denkens von Nietzsche zu sehen ; es gibt darin Widersprüche. Es gibt in der Übersetzung vielerorts Unzutreffendes, auf das ich nach weiterer Übersetzung noch einmal eingehen werde.
Später schreibt er : Meine 'Einsamkeit' brauchte nicht lange Zeit, weil es bei mir noch etwas Nachwirkung von Nietzsches Zarathustra gibt, den ich gelesen habe.
17 1920 Li, Shicen. Nicai si xiang zhi pi pan [ID D18303].
He Lin : Diese Sonderausgabe ist der erste Versuch, Nietzsche im Ganzen dem chinesischen Leser vorzustellen. Li Shicen, Chefredaktor der Zeitschrift Min duo za zhi, ist Herausgeber dieser Ausgabe über Nietzsche. Das Heft enthält Chalatusitela de xu yan übersetzt von Zhang Shudan [Übersetzung von Zarathustras Vorrede] ; Zi ji yu zi shen zhi lei übersetzt von Liu Wenchao [Übersetzung von Teilen Nietzsche, Friedrich. Menschliches Allzumenschliches] ; Bai, Shan. Nicai zhuan. [Biographie von Nietzsche] ; S.T.W. Nicai xue shuo zhi jia zhi [Der wahre Wert der Lehren von Nietzsche ; Zhu, Lüyun. Chao ren he wei ren. [Übermenschen und grosse Männer] ; Fu, Sinian. Nicai de zhu shu ji guan yu Nicai yan jiu zhi can kao shu. [Nietzsches Werke und Hilfmittel zur Nietzsche-Forschung].
Die meisten der Beiträge der enthalten vor allem Nietzsches Bezug zu Darwins Evolutionstheorie.
Als Anhang folgt [Mügge, Maximilian]. Nicai zhi yi sheng ji qi si xiang [ID D18349].

Li Shicen schreibt : Bevor Nietzsches Denken nach China kam, gab es schon unzählige Menschen, die [Nietzsches Lehren] verfluchten, schmähten oder gegen sie Einwände erhoben. Es gab keinen giftigeren und schärferen Vorwurf als den, dass Nietzsche der Hauptschuldige am letzten Krieg sei. Man sah in Nietzsches Denken die ernsteste Gefahr der Gegenwart. Ohne Nietzsche wäre der Erste Weltkrieg nicht zustandegekommen. Dass Deutschland es gewagt habe, allen Ländern den Krieg zu erklären, beruhe ausschliesslich auf Nietzsches geistigem Einfluss.
Die heutigen Ansichten, dass Nietzsches Philosophie Ursache für den Krieg in Europa war, sind lediglich oberflächliche Auffassungen. Man sollte das Wesen der deutschen Zivilisation kennen : Sie besteht aus bewusstem Idealismus, technischen Fähigkeiten und Institutionen, die miteinander verbunden sind. Ich teile zwar nicht Nietzsches Auffassungen, wage aber nicht deren Wert zu leugnen, nachdem ich mich mit seinem Denken etwas eingehender beschäftigt habe. Obwohl man über gewisse Aspekte seines Denkens streiten kann, handelt es sich zweifellos um nichts als Verleumdung, wenn man dieses Denken als im Widerspruch zur neuen ideologischen Strömung der letzten Zeit kritisiert oder sogar als hauptverantortlich für den letzten europäischen Krieg angreift.
Der Wille zur Macht ist eine Tätigkeit, in der ständig produziert wird. Sie arbeitet sich unermüdlich empor. Den Willen zur Macht kann man in diesem Sinne mit dem Herzen des Menschen gleichsetzen, d.h. er ist Ausdruck der unaufhaltsamen Sucht nach Macht.
Das sogenannte Prinzip vom Kampf ums Dasein ist nur auf die Erhaltung des Lebens gerichtet. Das ideale Ziel unseres Lebens besteht jedoch aus dynamischen Wiederholungen und aus dem Schaffen, einen Höhepunkt des Kraftgefühls zu erreichen. Es ist sinnlos, wenn der Mensch nur auf die Erhaltung des Lebens bedacht ist.
Den wahren Sinn der Gedanken Nietzsches kann man tatsächlich nicht negieren. Der Schleim-Charakter der Chinesen wird von der anderen Welt deshalb geringschätzig betrachtet, weil es ihnen an mutigem Unternehmungsgeist und an Schöpfungskraft mangelt. Ich bin der Meinung, dass Nietzsches Denken dabei eine Hilfe leisten könnte.
Li Shicens Hauptauffassungen sind in Stichworten zusammengefasst : Nietzsches Hauptgedanken entstammen Schopenhauers Lehre vom Willen, aber sie sind gründlicher als die Schopenhauers. Der Übermensch-Gedanke ist von der Darwinischen Evolutionstheorie beeinflusst worden, der Übermensch ist ein Symbol für die Entwicklung der Menschheit. Der pragmatische Beigeschmack der Philosophie Nietzsches ist vor allem Ausdruck seiner neuen Werte und seiner Theorie einer neuen Moral. Die grösste Besonderheit der Philosophie Nietzsches ist durch eine 'neue Bewertung aller Werte' gekennzeichnet. Um neue Werte, Ideale und eine neue Zivilisation zu schaffen, war Nietzsche bemüht, die alten Werte, Ideale und die alte Zivilisation zu zerstören. Das Ideal des Übermenschen ist von aktueller Bedeutung. Aber Nietzsches Idee von der ewigen Wiederkehr entspricht dem Übermensch-Ideal nicht, so dass der Wert seiner ganzen Philosophie in Frage gestellt werden muss. Nietzsches Philosophie ist eine ästhetische Philosophie. Da sie auf eigenen Lebenserfahrungen gründet, sollte der Leser aus ästhetischer Sicht die Philosophie Nietzsches studieren. Die von Nietzsche befürwortete Kunst ist Kunst neuer Art. Nietzsches Individualismus ist ein positiver Ausdruck, der nicht unter einem falschen Geschichtspunkt interpretiert werden sollte.

Yu Longfa : Li Shicen betont den Hauptgedanken aus Also sprach Zarathustra, wobei er Begriffe wie 'Wille zur Macht', die 'Evolutionslehre', den 'Übermensch-Gedanken', die 'Umwertung aller Werte' und schliesslich die 'ewige Wiederkunft' in vergleichender Weise interpretiert… Bei der Darlegung des Verhältnisses von Nietzsche zu Darwin führt er die Unterschiede beider Auffassungen über die Entwicklung der Menschheit an. Angesichts der Mechanismen des Prinzip vom Überleben des Tüchtigen zeigt Li Interesse für Nietzsches Auffassung über die Lebensentwicklung des Menschen, insbesondere für den durch den Willen zur Macht reflektierten Geist des Schaffens… Für Li scheint Nietzsches Philosophie geeignet, die Lebensgewohnheiten und den Nationalcharakter der Chinesen zu verändern.

Raoul David Findeisen : Li Shicen sagt von sich selber, dass die Begegnung mit Nietzsches Philosophie während seiner Studienzeit in Japan sein Leben verändert hat. Sein Artikel enthält insgesamt eine positive Würdigung Nietzsches und nimmt ihn zunächst gegen den Vorwurf der moralischen Mitschuld am Weltkrieg in Schutz, indem der das bis dahin oft politisch-sozial verstandene Konzept des 'Willens zur Macht' enger an Nietzsches Lebensbegriff koppelt. Er begreift den 'Willen zur Macht' ästhetisch als Formel des Selbstausdruck, und das Ideal des Übermenschen ethisch unter dem Aspekt der Selbstüberwindung.

He Lin : In diesem Heft wird die Behauptung widerlegt, Nietzsche sei der Hauptverantwortliche für den Ersten Weltkrieg gewesen.
  • Document: Von der Kolonialpolitik zur Kooperation : Studien zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen. Hrsg. von Kuo Heng-yü. (München : Minerva Publikation, 1986). (Berliner China Studien ; 13).
    [Enthält] : Yin, Xuyi. Zur Verbreitung des Marxismus in China. S. 446-448. (KUH7, Publication)
  • Document: Findeisen, Raoul David. Die Last der Kultur : vier Fallstudien zur chinesischen Nietzsche-Rezeption. In : Miima sinica ; 2 (1989)-1 (1990). S. 11-12. (Find2, Publication)
  • Person: Li, Shicen
  • Person: Nietzsche, Friedrich
18 1923-1924 [Nietzsche, Friedrich]. Ya yan yu zi li : gao wo ai du Chalatusiquala de you ren [ID D18308].
Guo Moruo schreibt : Vor einigen Jahren war Nietzsches Denken im Inland mit einem diffusen Bild vermittelt worden. Von seinem Gesamtwerk ist kein einziges im ganzen übersetzt. Sogar das berühmteste Werk Also sprach Zarathustra – trotz einer Annonce der Übersetzung des Werks vor Jahren – wurde bislang nicht übersetzt… Anfänglich übersetzte ich jede Woche ein Stück und hatte Freude daran. Es kam nur zu spärlichen Reaktionen. Ab und zu befragte ich Freunde. Die sagten, dass es schwer zu verstehen wäre. Deshalb verlor ich allmählich den Mut, weiter zu übersetzen.
Nach Abschluss der Übersetzung schreibt er in einem Artikel, als Reaktion auf zahlreiche Leserbriefe, die Zarathurstra als schwer verständlich bezeichnen und den Übersetzer um eine Interpretation bitten : Die Werke oder Gedanken eines Menschen zu interpretieren, ist eine schwierige Angelegenheit, erst recht, wenn es sich um ein so schwer zu durchdringendes Werk und einen to tiefschürfenden Autor handelt. Wer den Text nicht versteht, dem bleibt nichts anderes übrig, als konzentriert zu lesen und gründlich nachzudenken, mit anderen Worten : zu warten. Wer wartet, bis er mit seinen eigenen Erfahrungen weitergekommen ist, dem wird sich zuletzt ein gründliches Verständnis des Textes offenbaren. Wer in seinem Verständnis weitergekommen ist, darf darüber hinaus nicht gleichgültig bleiben, sondern braucht einen kritischen Blick und muss im Rahmen seiner Fähigkeiten in der Lage sein, das Werk zu negieren. Erst dann kann das Leben des Werks zum eigenen Leben und das Herzblut des Autors zum eigenen Herzblut werden.
Später schreibt er : Schliesslich konnte das Buch nicht übersetzt werden, aus dem Grund, da ich es in der Tat 'ablehnte'. Da sich die Bewegung der chinesischen Revolution weiter entwickelte, musste ich nicht hinaus- sondern hinabblicken. Die revolutionäre Bewegung entfernte mich von Nietzsche. Lu Xun übersetzte nur die Vorrede des Buches, ohne das ganze Buch, wohl auch aus demselben Grund.

Raoul David Findeisen : Guo Moruo bezeichnet sich selber als für eine Interpretation Nietzsches weder zuständig noch qualifiziert. Stattdessen verweist er die Leser auf Nietzsches Schwester und deren Werk Die Entstehung von Zarathustra. Er erwähnt auch Nietzsches eigene Bedenken hinsichtlich der Verständlichkeit des Werkes. Aufgrund seines heroischen Individualismus hebt Guo Moruo Nietzsches Neigung zum 'Geniekult' hervor. Er begreift den Umstand, dass Zarathustra seine Sprüche an ‚Grosse und Hochwüchsige’ richtet, als Aufforderung, sich ausschliesslich auf die eigenen Kräfte zu verlassen, so auch bei der Interpretation von Nietzsches Werk. Er unterscheidet zwischen der Fähigkeit zu verstehen und der Fähigkeit zu kritisieren.
Guo Moruo hat in seinem Aufsatz kein einziges Mal den Begriff des ‚Übermenschen’ erwähnt. Daraus lässt sich schliessen, dass sich sein Verständnis dieses Ideals seit seinem 'Loblied auf die Banditen' nicht gewandelt hat. Andererseits unternimmt er auch nicht den naheliegenden Versuch, den 'Übermenschen' mit seinem immer noch virulenten Heroismus zu verbinden.

Yu Longfa : Guo Moruo hat auf eine Übersetzung der Vorrede verzichtet. Die übrigen Teile bestehen aus zusammenhanglosen Abschnitten. Deshalb bereitet seine Übersetzung den Lesern Schwierigkeiten, da sie ohne Zugang der wichtigen Vorrede, direkt in einzelne Abschnitte eingeführt werden. Die Übersetzung von Guo Moruo führen zu einer grösseren Verbreitung und Intensivierung der Rezeption der Gedanken Friedrich Nietzsches.

Shao Lixin : Guo Moruo needed Nietzsche in his effort to create a better mankind and he needed Marx to simulate a battle against capitalism. His essays and his incomplete translation demonstrate beyond doubt, that he understood neither Nietzsche nor Marx at that time. He admired Nietzsche as a literary genius and continued to respect him after his conversion to marxism.
  • Document: Findeisen, Raoul David. Die Last der Kultur : vier Fallstudien zur chinesischen Nietzsche-Rezeption. In : Miima sinica ; 2 (1989)-1 (1990). S. 37-40. (Find2, Publication)
  • Document: Shao, Lixin. Nietzsche in China. (New York, N.Y. : Lang, 1999). (Literature and the sciences of Man ; vol. 11). S. 40. (Shao1, Publication)
  • Person: Guo, Moruo
  • Person: Nietzsche, Friedrich
19 1927 Lu, Xun. Fen [ID D18309].
Lu Xun schreibt : Da der Starke den Schwachen besiegt hat, so Friedrich Nietzsche, nennt der Schwache das Tun oder Handeln des Starken das Böse. Das Wort Böse ist deshalb in der Tat ein Fürwort für den Stärkeren ; Nietzsche fordert zur Selbststärkung auf und preist den Starken.

Yu Longfa : Wie Nietzsche betont Lu Xun die Tapferkeit. Wer auf den Weg zu sich selbst gelangt, macht nach Nietzsche die Züge des künftigen 'Übermenschen' kenntlich. Lu Xuns Begegnung mit Nietzsche stützt sich vorwiegend auf den Übermensch-Gedanken, indem er dessen Ideen im Wesentlichen als Mittel für die geistige Aufklärung der Bevölkerung benutzt. Der Übermensch Nietzschescher Prägung besitzt den Willen, der im emotionalen Bereich frei werden kann. Gerade diesen übermenschlichen Willen will Lu Xun betonen und den moralischen und ästhetischen Werten vor den materiellen den Vorrang geben. Von daher zeigt sich bei ihm eine Tendenz, nicht die gesamten Werken von Nietzsche heranzuziehen, sondern eine selektive Nietzsche-Rezeption durchzuführen.
20 1936 Chen, Quan. Cong Shubenhua dao Nicai [ID D15102].
Chen Quan schreibt : Was die politischen Ideen Nietzsches betrifft, so können wir mehrere Gesichtspunkte sehen, nämlich : Staat, Krieg, Demokratie und Sozialismus. Auf solche Fragen gab Nietzsche je eine klare und feste Antwort. Er hat die Schwäche westlicher Kultur erkannt und danach eine neue Welt vorgestellt, die fortschrittlich, gesund, stark und voll Leben sein wird. Er wagte es, alle traditionellen Auffassungen herauszufordern und alle Werte neu zu bewerten, um diese neue Welt in die Tat umzusetzen.
Der Übermensch ist ein idealer Mensch, ein Genie und auch ein Führer der Menschen. Der Übermensch ist auch der Reformator einer Gesellschaft, ein mutiger Kämpfer. Der moderne Staat, die politische Institution und juristische Regelung verhindern die Entfaltung eines Genies, berauben den Führer seiner Freiheit. Nietzsche war gegen den modernen Staat, denn die moderne Staatsorganisation war nicht geeignet für eine Entwicklung des Übermenschen. Wenn der Übermensch in einer neuen Staatsorganisation allein herrschen könnte, die den Willen zur Macht symbolisiert, so müsste Nietzsche auch mit solch einer stattlichen Organisation zufrieden sein.
Nietzsche war der Ansicht, dass Mann und Frau in geistiger Hinsicht ganz verschieden seien. Er sieht den Mann als Kraft an und die Frau als Gefühl. Zur Kraft gehören Eroberung, Zerstörung und Aufbau. In diesem Sinne stellt eine Kraft Trost dar, der aber gefüllos ist. Kraft kann sich nicht ausruhen und entwickeln. Deshalb besteht die Aufgabe für einen Mann zu Kämpfen. Die Frau sollte dem Mann einen Trost geben, damit er seine Kräfte zum Kampf bewahren kann. Für den Mann ist die Frau absolut notwendig. Ihre Mächte sind auch sehr gross. Aber ihre grossen Kräfte sind jedoch nicht vom selbständigen Handeln bestimmt, sondern sie liegen in der Bereitschaft, dabei zu helfen.
Chen Quan schreibt : In The birth of tragedy, Nietzsche told us that the world of suffering is in dire need for the art of tragedy. Only through the art of tragedy, can an individual have illusory images of release, can he immerse himself in observing these illusory images, as if sitting peacefully in a boat, swaying in the sea. It ist unlikely that Schopenhauer himself would have agreed to such a modification and interpretation of his philosophy.

Lin Tongji schreibt im Vorwort : Ich finde, es soll die beste Lösung sein, wenn man Nietzsche als Künstler ansieht. Nietzsches Denken ! Dieses Thema kann man kaum erwähnen. Nietzsche kann zu einem der grössten modernen Denker, die von der Welt missverstanden werden, gezählt werden. Der Beschimpfende missversteht ihn. Auch der Respektierende missversteht ihn. Wo ist denn der Fehler ? Man hat eins vergessen : Nietzsches Texte sind Kunst. Du solltest in der Kunstatmosphäre Nietzsche begegnen, um sein Denken als Denken zu verstehen.

He Lin : Der Autor meint, dass die Ursache dafür, dass Nietzsche zunächst Schopenhauer verehrte, darin liege, dass er den damals weit verbreiteten Optimismus des Philisters abgelehnt habe. Er habe verucht im Sinne des Pessimismus Schopenhauers seinen Zeitgenossen das Wesen des Lebens näherzubringen. Es sei offensichtlich, dass Nietzsches und Schopenhauers Absichten von Anfang an unterschiedlich gewesen seien. Mit der Zeit habe sich Nietzsche von den Lehren Schopenhauers abgewandt, da er erkannt habe, dass der Pessimismus Schopenhauers lediglich das Leid des menschlichen Lebens vor Augen stellte, ohne jedoch den Menschen dazu anzuregen, sich im Sinne der griechischen Tragödie aktiv zu erheben. Er verführe ihn vielmehr zu einer niedergeschlagenen, dekadenten Haltung, so wie auch die Opern Richard Wagners die Zuschauer betäubten. Nietzsche sei dafür eingetreten, mit dem reinen Optimismus und dem reinen Pessimismus zu brechen und den blossen Willen zur Existenz durch den Willen zur Macht zu ergänzen, zu diesem überzugehen und schliessich den ‚Übermenschen’ zu realisieren. Der Übermensch sei ein idealisierter Mensch, ein Genie, der Führer der Menschheit, ein Reformer der Gesellschaft und ein tapferer Kämpfer.
Chen Quan weist darauf hin, dass Nietzsche einen von Schopenhauer abweichenden Standpunkt Frauen betreffend vertrat. Nietzsche sei der Meinung gewesen, die Frau solle ihre eigene Persönlichkeit behalten und sich nicht wie ein heuchlerischer Mann verhalten.
Die Bedeutung des Lebens läge nicht darin, das Ich zu unterdrücken, sondern darin, es zu entwickeln ; nicht darin, die anderen zu trösten, sondern darin, sie zu besiegen. Nietzsche habe die Ansicht vertreten, die traditionellen moralischen Normen seien weder von Gott erlassen noch natürlich gewachsen, sondern seien von schwachen und unfähigen Menschen geschaffen worden. Um sich selbst zu schützen, versuchten diese, mit diesen Normen die grossen Menschen in Fesseln zu halten und zu unterdrücken. Zuletzt ist Chen Quan auf Nietzsches Angriff gegen das Christentum und seine Befürwortung des Atheismus eingegangen.

Yu Longfa : Nietzsches Werk scheint Chen Quan ein geeignetes Instrument für die Rettung seines Landes nach Kämpfern, Übermenschen und Genies zu suchen. In Ermangelung des richtigen Verständnisses des Zarathustra hat er allerdings den Übermenschen nicht im Sinne Nietzsches interpretiert. Chen Quans Vermittlung der Anschauungen Nietzsches über Politik und Staatswesen sind ziemlich beschränkt. Obwohl Nietzsche nicht allseitig auf die Politik eingegangen war, war er bemüht, das Prinzip der Demokratie und des Sozialismus im modernen Staat, insbesondere das Gleichheitsprinzip, in Frage zu stellen und ein ideales Vorbild des Übermenschen vorzustellen, der stark von der Einsamkeit, der höchsten Form der Ungleichheit, geprägt ist, was Chen Quan nicht berücksichtigt hat.
Chens Vermittlung der Ansichten Nietzsches über die Frauen konzentrieren sich im wesentlichen auf die soziale Nebenrolle, die besonders in der antijapanischen Zeit eine andere Bedeutung als die Nietzsches erhält. Man versuchte damals, jeweils etwas Nützliches aus Nietzsches Werk herauszusuchen, um indirekt seine politische Stellungnahme zum Zeitgeschehen auszudrücken. Chen Quans Vorstellung von Nietzsches Werk zeugt weiterhin ein entstelltes Bild in China.

Shao Lixin : Chen Quan created a Nietzsche that was shamelessly immoral and philosophically unintelligent. He then glorified his own creation. According to Chen Quan, Nietzsche characterized Schopenhauer's 'ideal man' in the follwing words : He ist always ready to be the first to sacrifice himself for the sake of truth, thouth being fully aware that truth carries the seeds of suffering. Certainly his courage will destroy his wordly happiness. He must hate the mankind he loves and the society from which he has come. He must destroy those men and things without mercy, even though he feels sorrow for them. He will be misunderstood. He will be regarded as a comrade to the forces which he loathes. The masses will consider his opinions wrong. But he must fight for justice.
  • Document: Von der Kolonialpolitik zur Kooperation : Studien zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen. Hrsg. von Kuo Heng-yü. (München : Minerva Publikation, 1986). (Berliner China Studien ; 13).
    [Enthält] : Yin, Xuyi. Zur Verbreitung des Marxismus in China. S. 457-460. (KUH7, Publication)
  • Document: Shao, Lixin. Nietzsche in China. (New York, N.Y. : Lang, 1999). (Literature and the sciences of Man ; vol. 11). S 106. (Shao1, Publication)
  • Person: Chen, Quan
  • Person: Nietzsche, Friedrich
  • Person: Schopenhauer, Arthur
21 1937 Yuan, Zhen. Nicai de chao ren. Rede zum Jubiläum einer Pädagogischen Schule in Wuxi über den 'Übermenschen' von Friedrich Nietzsche.
Yuan Zhen sagt : Wir sollen nicht glauben, dass Japaner mit ihrem Eindringen in China wegen der Beachtung der Macht nicht ungerecht sind. Wir selbst haben überhaupt keinen Ehrgeiz. Der Angriff der Japaner auf unser Land ist absolut berechtigt ! Nun bedeutet Macht Recht.
Nietzsche vertrat die Auffassung, dass die Entwicklung aller Wesen jederzeit durch die Kampfstärke erfolgte. Beim Blick auf die Historie gab es keinen ewigen Frieden. Der sogenannte ewige Frieden bedeutet Zaghaftigkeit, Faulheit, Sich-Abfinden, Nicht-Zielstrebigkeit und schliesslich Erwartung des Verkommens. Wenn man zum Übermenschen werden will, soll man eine grosse Ausdauer und starken Willen haben. Man soll sich selbst auch unbarmherzig behandeln und sich niemals an einem stumpfsinnigen Leben orientieren. Die Moral des Übermenschen ist die des Kampfes. Nur Kampf kann die Menschheit zum Fortschritt führen, dem Leben eine neue Chance geben und uns zur Annäherung an den Übermenschen bringen. Das Starke ist das Gute, das Schwache ist das Böse. Der Kampf kann uns zum Guten führen ; Nicht-Kampf nur zum Bösen.
Nietzsches Lehre gilt als Heilmittel gegen chinesisch-nationale Eigenschaften wie Zaghaftigkeit, Faulheit, Schicksalsergebenheit, mangelnde Zielstrebigkeit und die Bereitschaft, sich selbst verkommen zu lassen… Unser Volk wird zugrunde gehen. Nun muss es erwachen. Von jetzt an sollen wir die Macht beachten, ohne sie zu beschimpfen !
22 1939 Feng, Zhi. Salatusitela de wen ti [ID D18317].
Feng schreibt : Im allgemeinen Blick auf den Stil sollen wir jederzeit die Bibelübersetzung von Luther im Auge haben. Im Zarathustra kann man vielerorts Aussageweisen und Satzstrukturen der Lutherschen Bibelübersetzung finden. Wann man die beiden Werke vergleicht, sind viele ähnliche Sätze zu finden. Auch Nietzsche selbst hat dies einmal gesagt.
23 1940 Lin, Tongji. Nicai Salatusiteda de lian zhong yi ben [ID D18316].
Lin schreibt über die Übersetzungen von Xu Fancheng und Xiao Gan. [Nietzsche, Friedrich]. Suluzhi yu lu [ID D18331] und [Nietzsche, Friedrich]. Zalatushitela ru shi shuo [ID D18351] :
Nietzsches Lehre wurde in der Zeit des 4. Mai von Lu Xun und Guo Moruo u.a. auszugsweise vorgestellt. Diese ganz primäre Beschäftigung war leider nicht mehr weiter vor sich gegangen, so dass der 'mit dem Hammer philosophierende' Philosoph mit seinen Ideen über das gesunde, mutige, starke und grosse Leben seit 20 Jahren keinen Einfluss auf die geistige Welt in China hatte. Ich habe zunächst die Ausgabe von Xu Fancheng gelesen, weil man sagte, dass er aus dem deutschen Originaltext übersetzt habe und dass er bei seiner Nietzsche-Forschung erfolgreich sei. Nachdem ich zu der zweiten Seite seiner Übersetzung gelangt war, hatte ich an der Übersetzung etwas auszusetzen. Etwa bei der dritten Seite wusste ich mir nicht mehr zu helfen. Als ich noch eine oder zwei Steiten weiterblätterte, wendete ich mich wütend ab. Da war mir schon bewusst, dass dieser Herr Nietzsche ganz missverstanden hat. Auch bezüglich der Übersetzungsausgabe von Xiao Gan war ich skeptisch. Tatsächlich war er wie Xu Fancheng von gleichem Schlag. Obwohl alles in chinesischer Sprache geschrieben ist, habe ich doch das Gefühl, dass alles im Schlag gesprochen ist. Ich weiss nicht, mit welcher Sprache er übersetzt hat. Mein Urteil dazu lautet : Ihr Chinesisch ist umständlich und verwirrend ; die Übersetzer verstehen den Originaltext nicht. Unflüssiges Chinesisch hängt mit Lernen und Talent zusammen. Hier geht es aber um die Moral- und Charakterfrage. Sie verstehen das Originalwerk nicht, tun aber so, als ob sie Experten wären. Das Übersetzen ist eine wichtige Sache, denn das Übersetzen sieht man als ein Werkzeug für die Vorstellung anderer Kulturen an, was für eine andere Nation notwendig ist. Die Begegnung mit anderen Kulturen macht eine Voraussetzung für die eigene nationale Existenz aus.
24 1940 Lin, Tongji. Gao Zhongguo qing nian [ID D18318].
Lin Tongji schreibt : Ihr kämpft gegen die Japaner. So erkennt ihr das erste Mal den wahren Sinn des Lebens. Durch den Kampf gegen die Japaner seid ihr auch das erste Mal berechtigt, 'Mensch' – moderner Mensch – zu werden. Ein Kampf ist Leben. Ich brauche euch nicht erst zu fragen, worum ihr kämpft. Gut ist, dass man kämpfen kann. Im Kampf geht es natürlich um euer Ideal. Euer Ideal bleibt für immer euer höchstes Ziel, das will ich… Tut, was ihr im alltäglichen Leben nicht zu tun wagt ! Also sprach Zarathustra [Friedrich Nietzsche].
25 1940 [Nietzsche, Friedrich]. Chalasitula ru shi shuo. Chu Tunan yi [ID D18319].
Chu Tunan schreibt im Vorwort : Im Winter 1930 wurde ich im Norden Chinas wie manche anderen progressiven Lektoren und Studenten wegen 'kommunistischer Hauptverbrechen' verhaftet und zu lebenslangem Gefängnis verurteilt. Was die Werke von Nietzsche betrifft, so hatte ich früher nur Rezensionen und Schriften von Lu Xun, Guo Moruo und Maxim Gorki gelesen. Eine umfassende und systematische Begegnung mit Nietzsche verdankte ich der Zeit im Gefängnis. Die Genossen im Gefängnis und ich befanden uns in Zuständen, in denen jeden Augenblick Terror und Tod drohten. In Nietzsches Werk gaben mir der Aufruf zum Kampf gegen die soziale Realität und zur Zerstörung des gesamten gesellschaftlichen Netzes und das Verlangen nach Zukunft und nach ‚Übermenschen’ Inspirationen. Zuspruch fand ich auch bei Nietzsches Hass gegen die Realität und gegen die Gesellschaft von 'Wolfsmassen'.
26 1944 Sun, Fuyuan. Lu Xun xian sheng er san shi [ID D18320].
Sun schreibt : Liu Bannongs Widmung 'Lehre von Tolstoy und Nietzsche, Stil der Wei-Jing-Zeit' an Lu Xun hielten Freunde jener Zeit für sehr angebracht. Lu Xun selbst war auch nicht dagegen. Der Titel bezieht sich auf zwei berühmte Persönlichkeiten im 19. Jahrhundert. Ihre zahlreichen Werke hatten grosse Wirkung auf die Gesellschaft. Lu Xun war in seinen Studienjahren sehr beeinflusst von den Lehren der beiden.
27 1957 Diskussion in der Philosophischen Fakultät der Beijing-Universität über die chinesische Philosophiegeschichte und Besprechung über die Forschungszustände der westlichen Philosophie in China. Es werden neue Forderungen hinsichtlich des sozialistischen Aufbaus an die Wissenschaftler und Kulturforscher gestellt.
28 1965 Chen, Guying. Bei ju zhe xue jia Nicai [ID D18321].
Chen schreibt : Die Kulturbewegung vom 4. Mai, in der die Befreiung des Denkens, der Kampf gegen die feudale Ethik, die Entfaltung des Individualismus und die Befürwortung des romantischen Stils von Schriftstellern in den dreissiger Jahren beschworen wurden, war bestimmt von Friedrich Nietzsches Denken beeinflusst worden. Danach brach der Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression aus. In diesem Zeitraum (1937-1945) war ganz China in grosses Unheil geraten. Um die nationale Krise zu beseitigen, war es notwendig, die Massen zusammenzubringen und alle Kräfte zu sammeln. So wurden Nietzsches Ansichten über Individualismus und dessen Stil von der Zeit in den Hintergund gerückt.
Innerhalb der nur sehr kurzen Entwicklungsgeschichte des Existentialismus besetzt Nietzsche eine zentrale Position. Über alle drei Grossmeister des Existentialismus – die Deutschen Jaspers und Heidegger sowie den Franzosen Sartre – lässt sich sagen, dass Nietzsche die Quelle ihres Denkens ist. Nietzsches Philosophie ist in der Tat ein schmerzvoller Aufschrei im Angesicht des Schicksals der gesamten Menschheit und des gesamten Zeitalters. Mit diesem Aufschrei bringt er einen tief verankerten Widerstand gegen und eine Kampfansage an die traditionelle Kultur des Westens zum Ausdruck. Von Nietzsche geht eine nach vorn gerichtete Triebkraft aus, seine Philosophie ist durchdrungen von einem aufwärts strebenden Geist.

Hans-Georg Möller : Chens Arbeit über Nietzsche als tragischen Philosophen stellt den deutschen Denker dem chinesischen Publikum einführend vor. Auf eine kurze Übersicht über Biographie und Werke folgen Darstellungen über einige Leitmotive wie den Tod Gottes, den Übermenschen und den Willen zur Macht. Dabei stützt sich Chen vorwiegend auf englischsprachige Übersetzungen und Sekundärliteratur. Aus der Sicht Chens begehrt Nietzsche gegen den seit dem Altertum in der westlichen Kultur verwurzelten ‚Dualismus’ auf und vertritt eine radikal auf den Menschen bezogene Lebensphilosophie.
Nietzsche wird als Erneuerer der westlichen Kultur zum Pendant der geistigen Erneuerer Chinas zu Beginn des Jahrhunderts. Zudem wird er auch als ein Vertreter einer am Menschen orientierten Lebensphilosophie ausgegeben. Über eine solche Lebensphilosophie hoffte man in den 1920er Jahren im Anschluss an die Beweung von 4. Mai traditionelles chinesisches Denken mit neuem westlichen Gedankengut verknüpfen zu können. Auch wird der Optimismus Nietzsches hervorgehoben, der ihn dann doch von den späteren Existentialisten grundsätzlich unterscheiden soll.
  • Document: Möller, Hans-Georg. Sino-Nietzscheanismus : eine geistesgeschichtliche Analyse und ein Plädoyer für eine negative Dialektik in der philosophischen Komparatistik. In : Minima sinica ; 2 (2000). (Möl11, Publication)
  • Person: Chen, Guying
  • Person: Nietzsche, Friedrich
29 1981 Zhang, Hua. Lu Xun he Nicai [ID D18323].
Zhang schreibt : Der Einfluss von Nietzsche auf Lu Xun war äusserst gering. Nietzsche war im Grunde ein feindliches Bild für Lu Xun. Durch die Beschränktheit der Zeit und durch Lu Xuns engen Denkhorizont gibt es bei ihm einige Missverständnisse bezüglich Nietzsche. Unter dem extremen kleinbürgerlich-demokratischen Aspekt beginnt Lu Xun, nur einen kleinen Teil von Nietzsches Denkzu schätzen, zu selektieren und zu rezipieren. In der Übernahme hat Lu Xun Nietzsches Ideen zum grössten Teil geändert, so dass die Originalität der Philosophie Nietzsches nicht mehr zu sehen ist. Besonders nachdem Lu Xun Kommunist geworden war, hat er Nietzsches Denken gründlich kritisiert und sogar überwunden.
30 1983 Xu, Fancheng. [Einige Erinnerungen an Lu Xun]. (Tianjin : 1983).
Xu Fancheng schreibt : Diejenigen, die damals in Shanghai von der westlichen Philosophie redeten, hatten meistens mit ausländischen Lehrbüchern, mit Grundrissen oder Geschichtsbüchern zu tun, behandelten sie nachlässig. Obwohl es nicht unbedingt Fehler gab, ging es ihnen meistens nicht um das Wesen der wetlichen Philosophie. Bei der Vorstellung einer philosophischen Schule sollte man Übersetzungen aus dem Original zeigen, damit man Seichtheit und Nachlässigkeit vermeiden kann.
31 1984-1986 Chen Guying hält einen Vortrag über Nietzsche und Zhuangzi an der Beijing-Universität. Damit setzt eine umfassende Wiederbelebung der Nietzsche-Rezeption ein.
Er sagt : Im Herbst 1984 kehrte ich nach 35 Jahren in mein Land zurück. Ich hielt an der Beijing-Universität zum ersten Mal einen Vortrag über die Philosophie von Nietzsche und Zhuangzi. Auf Vorschlag von Professor Tang Zijie an der Fakultät für Philosophie gab ich zugleich an der chinesischen Kulturakademie Vorlesungen über östliche und westliche Philosophie. Seit Herbst 1986 gab ich an der Beijing-Universität Veranstaltungen mit dem Thema Die Philosophien von Nietzsche und Zhuangzi. Es war gerade die Zeit, wo sich auf dem Festland eine Kulturwelle entwickelte. Intellektuelle Kreise begannen begeistert über die Einflüsse der traditionellen Kultur auf das moderne Leben zu sidkutieren, die westlichen Lehren zu erforschung und unterschiedliche geistige Strömungen in umfassender Weise vorzustellen. Wie Pilze aus dem Boden geschossen, fanden landesweit Seminare und Diskussionen statt. Seit über 30 Jahren war eine solch rege akademische Situation kaum zu sehen.
32 1986 [Nietzsche, Friedrich]. Bei ju de dan sheng [ID D18325].
Li Changjun schreibt im Vorwort zur Ausgabe von 1986 : Die Geburt der Tragödie ist das erste Buch Nietzsches. Der gewöhnliche Leser weiss etwas über Nietzsche, der ein Tragödien-Philosoph ist, aber er kennt das Tragödienbuch nicht. Dafür gibt es wahrscheinlich einen Grund : Die Schrift behandelt die spezielle Ästhetik. Am attraktivsten sind die Erkenntnisse und die tiefsten Betrachtungen in bezug auf das Kunstwesen und den psychischen Prozess im künstlerischen Schaffen. Die Phänomene des Dionysischen und Apollinischen, die der Autor dieser Schrift entdeckt hat, sind Vorbilder für das Tragische und Schöne im ästhetischen Sinn. Für denjenigen, der ästhetisch nicht geschult ist oder keine Schaffenswerfahrung hat, ist die Schrift nicht leicht verständlich. Manche Leser sprechen zwar von der Tragödie, aber sie haben nicht nach dem Sinn der Tragödie gefragt. Daher sind sie leichtsinnig.
33 1986 [Nietzsche, Friedrich]. Bei ju de dan sheng : Nicai mei xue wen xuan. Zhou Guoping yi [ID D18326].
Zhou Guoping kritisiert die Übersetzung von Li Changjun, da dieser die englische Fassung als Vorlage genommen hat und es eine fehlerhafte Übersetzung sei. Er schreibt : Ich bin nicht gegen die Übersetzungen aus Taiwan oder Hong Kong. Aber man soll doch die Qualität der Übersetzung beachten. Eine Vorstellung der weltlichen Kultur ist eine ernsthafte Arbeit.

Nach der Übersetzung schreibt Zhou : Es war nicht leicht, Nietzsches Werke zu übersetzen. Er ist ein grosser Philosoph und auch ein grosser Dichter. Seine Werke enthalten sowohl philosophische Lehre, als auch Poesie. Ein Übersetzer soll das Originalwerk verstehen und ziemlich hohe philosophische und literarische Bildung haben. Ich darf natürlich nicht sagen, dass meine Übersetzung am besten ist. Aber ich habe ernsthaft gearbeitet. Für die Übersetzung habe ich fast drei Jahre gebraucht.
34 1986 Zhou, Guoping. Nicai zai shi ji de zhuan zhe dian shang [ID D18327].
Ru Xin schreibt im Vorwort : Das Schicksal der Lehre Nietzsches in China war nicht glücklich. Anfang dieses Jahrhunderts, als sie nach China eingeführt wurde, waren manche Intellektuelle von seiner Lehre eine Zeitlang sehr begeistert. Später wurde Nietzsches Lehre missverstanden und falscher Gebrauch von ihr gemacht, was der vom deutschen Faschismus provozierten ‚Nietzsche-Welle’ entsprach. Von da an war Nietzsche immer von bösartigen Bezeichnungen belastet. Obwohl Nietzsches Einfluss in der modernen westlichen Welt immer grösser wird, sieht es bei uns immer noch schlecht aus : Seit über dreissig Jahren gibt es keine Übersetzung der Schriften Nietzsches, auch kein einziges Studienwerk, das von chinesischen Gelehrten selbst geschrieben wurde. Dieses Phänomen kann ja nicht als normal verstanden werden.

Zhou Guoping schreibt : In der Geburt der Tragödie hat Nietzsche die Prinzipien für den Ursprung der Kunst aufgestellt : die Kunsttriebe des Dionysischen und des Apollinischen. Sie gelten als prinzipielle Grundlage für die frühe Kunstphilosophie, aus der sich die späte Lehre des Willens zur Macht entwickelt hat. Besonders dieser Aspekt soll ins Auge gefasst werden.
Nietzsche war Schopenhauer begegnet, als er zu Anfang dem Dasein des Menschen nachging. Er hat die Voraussetzung des Schopenhauerischen Pessimismus akzeptiert. Das ist aber kein Wunder. Wo es Zweifel gibt, da gibt es ständiges aufrichtiges Nachvollziehen. Der Pessimismus kann nur Ausgangspunkt der Überlegungen sein, aber nicht Schlusspunkt. Selbst wenn das Dasein im eigenlichen Sinne ohne jede Bedeutung ist, wollen wir ihm einen Sinn verleihen. Um dies zu realisieren, hat er zunächst vom ‚Dionyischen’ und dann vom ‚Willen zur Macht’ gesprochen. Im Wesentlichen sind das Dionysische und der Wille zur Macht eins und meinen das Hervorheben von Lebenskraft. Die Schlussfolgerung von Nietzsche war, dass man mit dem Hervorheben der Lebenskraft die tragische Eigenschaft des Lebens überwindet. Dies ist entscheidend für den Sinn des Daseins.
Nietzsches Philosophie setzte mit der ästhetischen Frage an, er fragte nämlich nach dem Entstehen der Tragödie. Unter dem besonderen Aspekt der Ästhetik musste er das menschliche Leben betrachten. Einerseits beeinflusst von Schopenhauers pessimistischen Ansichten zum Leben konnte er andererseits das sinnlose Leben nicht dulden. Er suchte deswegen in der Ästhetik einen Weg zu finden, mittels der Kunst dem Dasein Sinn zu verleihen. Der Anfgang seiner ästhetischen Gedanken findet sich gerade in der Schrift Die Geburt der Tragödie, in der er sich von den Einflüssen der Schopenhauerschen Philosophie zu distanzieren suchte, um seine eigene Philosophie zu entwerfen. Aus den frühen ästhetischen Prinzipien hat sich das Phänomen des Dionysischen ergeben, aus dem sich dann der Begriff 'Wille zur Macht' entwickelt hat. Sowohl das Dionysische als auch der Wille zur Macht dienen dazu, auf die Frage nach dem Sinn des Daseins zu beantworten.
Sowohl die Naturwissenschaften als auch die idealistische Philosophie haben die Grundlagen des christlichen europäischen Glaubens stark erschüttert. An die Stelle ist der Aberglaube an Wissenschaft, Vernunft und materielle Zivilisation getreten. Nach kurzer Zeit wurde dieser Glaube auch erschüttert. Man hat gesehen, dass Wissenschaften auch beschränkt sind. Die materielle Blüte kann nur ein scheinbares Glück bringen. Von da an hat man im Westen den Glauben ans Leben verloren und war angesichts der öden Wüste der traditionellen Werte rat- und fassungslos.
Nicht das reine akademische Interesse hat Nietzsche zum Philosophieren geführt, sondern die Suche nach dem Sinn des Lebens. Philosophie war nicht sein Beruf, nicht sein Hobby, sondern sein ganzes Leben. Für ihn bedeutet Philosophie nicht die Trennung des Lebens, sondern die einzige Aufgabe, nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Die Aufrichtigkeit der Lebenssuche in seinem Charakter ist mit dem Zeithintergrund der allgemeinen Wertekrise in der kapitalistischen Welt verbunden, was Nietzsche zu einem Propheten über die künftige Menschensentwicklung in der westlichen Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts geworden.
Wir können seine Antworten zusammenfassend so formulieren : Erstens die Beseitigung der Unterdrückung der Instinkte des Menschen durch Vernunft und Moral, um die menschlichen Instinkte gesund zu entwickeln. Zweitens die Entfaltung des Vermögens der Selbst-Überwindung, damit der Mensch zum Schöpfer der Kulturwerte wird. Drittens soll das Ethische und Wissenschaftliche durch das Ästhetische ersetzt werden.
Wenn man heutzutage den Quellen der abendländischen Denkströmungen dieses Jahrhunderts nachgehen will, hat man gesehen, dass man Nietzsche auf keinen Fall ausser Acht lassen dar. Er ist von uns gegangen, aber sein Schatten fällt noch immer auf das ganze Zeitalter. Wenn man die Literatur über die westliche Philosophie seit einem halben Jahrhundert liest, ist Nietzsches Einfluss ganz eindeutig. Was die heutige westliche Philosophie diskutiert, hat Nietzsche bereits in expliziter Weise besprochen. Nietzsche war der Anreger für die wichtigsten westlichen Denkströmungen.

Shao Lixin : Nietzsche gave meaning to individual existence through the concept of the universal life. He demanded that indivuduals, from the standpoint of universal life, welcome the eternal becoming, including the destruction of finite indivuduals.
When Nietzsche stressed that the highest degree of affirmation is possible only when the eternal recurrence is accepted as fate, he was actually saying that life is meaningless, and the yesayers should accept this meaningless life as it is. After seeing through the true nature of life – the meaninglessness of life, if you still love life and glorify it, only then you prove yourself a true tragic hero, and only then you arrive at the ultimate affirmation of life. There is a heroism in this attitude, but unmistakably there is also a desperation in it.
Among many choices that are open to him, man ought to choose those that will guarantee his access to further choices. That is, man should always remain undefined, man's every activity of self-creation should simultaneously create freedom for new creation. Therefore Nietzsche has proposed a new kind of morality for creators.
Nietzsche was dissatified with the status quo of the bourgeois society. Instead of formulating a more progressive social ideal, he was always nostalgic of a hierarchical society based largely on slavery. This is a most distressing contradiction in Nietzsche’s thought.
We must understand that when Nietzsche emphasized the instincts of life he had the species in mind ; when such instincts are expressed in an individual, they are the individual’s inner vitality.

Yu Longfa : Zhou Guoping plädiert für eine nüchterne Beschäftigung mit der Lehre Nietzsches. Unter dem Banne der marxistischen Methodologie, die er auf seine Weise verstanden hat, beginnt er Nietzsches Philosophie zum Gegenstand seiner wissenschaftlichen Arbeit zu machen, indem er zunächst dem Originalwerk Nietzsches nachzugehen versucht. Es geht im wesentlichen um die Frage nach zentralen Ideen der Philosophie Nietzsches, mit denen die chinesische Gelehrtenwelt konfrontiert sein soll.
Zhou sagt, dass niemand an Nietzsche vorbeikommen könne, denn Nietzsches Philosophie sei neben dem Marxismus für die chinesische Rezeption der westlichen Philosophie ein gleichwertiger Platz einzuräumen. Diese bevorzugte Feststellung der Position der Philosophie Nietzsches wurde später von manchen linksorientierten chinesischen Wissenschaftlern in Frage gestellt.
Das Übermensch-Konzept wird als Konzeption einer Art von neuen Menschen angesehen, die nach Ansicht Zhous reich an Willen zur Macht sein sollten. Die Expansion des Willens zur Macht gilt hier als Massstab für die Umwertung aller Werte. Zhous Hinweise auf Nietzsches Gedanken wie 'Wille zur Macht' 'Übermensch' und 'Umwertung aller Werte', die auf das Dionysische zurückgehen, haben dem chinesischen Leser geholfen, Mängel bei der Erkenntnis des Dionysischen Geistes zu beseitigen.
Zhou Guopings Vermittlung der Einflüsse Nietzsches auf die moderne westliche Philosophie gibt dem chinesischen Leser ein unzulängliches Bild von der Aufnahme und Wirkungsgeschichte in der westlichen Welt.
  • Document: Shao, Lixin. Nietzsche in China. (New York, N.Y. : Lang, 1999). (Literature and the sciences of Man ; vol. 11). S. 121-124. (Shao1, Publication)
  • Person: Nietzsche, Friedrich
  • Person: Ru, Xin
  • Person: Zhou, Guoping
35 1986 Zhou, Guoping. Cong jiu sheng chong dong dao quan li yi zhi [ID D18328].
Zhou schreibt : Wenn man das Wesen der Ästhetik in der Philosophie Friedrich Nietzsches erfassen will, so muss man diesen Punkt unbedingt beachten : Was Nietzsche bei philosophischem Denken interessiert, ist die Lebensfrage. Die Ästhetik ist sein besonderer Blickwinkel, um das Leben zu bedenken. Er hat der Kunst einen metaphysischen Sinn verliehen, denn es ist sein Ziel, ein Anwort auf die Lebensfrage zu geben.
36 1986 Zhou, Guoping. Sheng min de kun ao he chuang zao de huan xin [ID D18329].
Zhou schreibt : Wenn man den Begriff 'Willen zur Macht' im Sinne Friedrich Nietzsches als einen politischen Begriff versteht, so kann Nietzsche nur als Befürworter für die politische Macht missdeutet werden. In der Tat ist dieser Begriff nur ein poetischer Ausdruck der nie zu Ende gehenden Schöpfungskraft des Lebens. Gerade in diesem Sinn bezeichnet Nietzsche seinen Begriff Willen zur Macht als 'Lebenswillen'. Nietzsche war immer gegen die Macht im politischen Sinne und nannte sie deshalb 'Machtgier', 'Willen zur Landnahme' und 'Verdummung des Menschen'.
37 1986 Zhou, Guoping. Nicai. In : Xu, Chongwen. Cun zai zhu yi zhe xue [ID D18330].
Zhou schreibt : Die wesentlichen Fragen, die Nietzsche gestellt hat, sind die, wie die Menschen, die sich in der Zeit des Bruchs der traditionellen Wertauffassungen befinden, den Sinn des Lebens erneut bestimmen sollten. Nietzsche geht den Weg des Philosophen, um nach dem Lebenssinn zu suchen. Er war nicht bereit, Schopenhauer zu folgen, denn dieser hatte die Schlussfolgerung der Verneinung des Lebens gezogen. Nietzsche wollte für das leidvolle pessimistische Leben einen Grund, einen Sinn und einen Rettungsweg suchen.
Nietzsche kritisierte, dass das Ideal in die Unterdrückung der menschlichen Instinkte gesehen wurde. Die materielle Zivilisation der Menschheit nahm unter der Herrschaft der Vernunft zwar wunderbar zu, aber der menschliche Instinkt wurde immer schwächer, so dass eine dekadente Geselleschaft zustande kam.
38 1992 [Nietzsche, Friedrich]. Suluzhi yu lu [ID D18331].
Xu Fancheng schreibt im Vorwort : Dies ist eine Prosadichtung. Im Westen ist sie sehr umstritten. Auch Nietzsches Denken ist bis heute noch umstritten. Manche behaupteten, dass dieser Zarathustra eine epische Dichtung oder psychische Ballade oder Ballade des Geistkampfes ist ; es gibt auch Leute, die meinten, dass sie das Epos des Mythos oder das prophetische Apos ist. Nietzsche selbst hat sein Werk niemals als Epos oder epische Dichtung bezeichnet, sondern nur als ‚Drama’ oder ‚Symphoni’. Es ist angebracht zu sagen, dass wir den Text vom Aufbau her als ‚Prosadichtung’ betrachtet haben. Nur im Blick auf die verwendete Philologie gibt es im Buch einige neue Wörter, die von ihm selbst erfunden wurden. Manche Wörter haben eine starke Ausdruckskraft und Lebendigkeit. Man liest Wörter wie Vogel, Tier, Gras und Baum, die zwar nicht häufig vorkommen, aber das Wesen dieser Dichtung ausmachen. Solche Bezeichnungen finden sich auch in der alten chinesischen Dichtung. Symbolische Darstellungen sind im Werk ein Schwerpunkt : Löwe z.B. bedeutet 'stark' und 'kräftig', Adler den Hochmut, Pfau die Heiterkeit, Fliege den kleinen Menschen, Schmetterling der Nacht die Hochachtung, ein den Berg hinabrollender kleiner Stein den rückständigen Menschen, Blitz die Hoffnung auf einen Übermenschen, Berggipfel das hohe Talent, Meer die Weite und Breite von Perspektiven.
39 1994 [Halévy, Daniel]. Nicai zhuan [ID D18332].
Zhang Peiheng schreibt im Vorwort : Warum waren Wang Guowei und Lu Xun von Nietzsches Lehre begeistert ? Warum ist die heutige Jugend noch von Nietzsche entzückt ? Kann seine Philosophie tatsächlich einen Trost für das menschliche Leben oder der Menschheit einen Weg nach dem Höhern geben ? Oder hat man eine besondere Vorliebe für Nietzsches Philosophie als Aktion gegen das Leiden des Menschen ? Wird Nietzsche als Philosoph der Tragödie betrachtet, so ist in der Leserschaft doch ein gewisser Sinn der Tragödie zu sehen.
40 1996 Chen, Guying. Bei ju zhe xue jia Nicai [Neuaufl.] [ID D18321].
Chen Guying schreibt : Das Lebensgefühl im Werk von Friedrich Nietzsche hat mich vom Schopenhauerischen Pessimismus entfernt. Die begeisternde Einstellung des Einstiegs ins Leben und der Geist der Unnachgiebigkeit ermutigten mich immerfort. Durch den Vergleich zwischen Nietzsche und Zhuangzi habe ich die Tragödie und deren Geist der Kunst hoch eingeschätzt. Was das grossartige Denken Nietzsches betrifft, so wird die Kraft des Menschen als Quelle für Schöpfungen angesehen. So pries Nietzsche das Leben, das Emporkommen und das Überwinden. Nietzsches Geist ist wie ein Appell zum Bewusstwerden des dominierenden Rationalismus, der als überkommene Philosophie angesehen wird. Besonders in der heutigen Zeit, wo der Hegemonismus wütet und die Konkurrenz des Daseins gross ist, scheint eine neue Erkenntnis des Denkens von Nietzsche notwendig. Dies ist auch mein grösstes Anliegen für das Schreiben dieses Werkes.
Ausdrücke, die den Sinn der Philosophie von Nietzsche verdreht haben, wirken dem wahren Sinn entgegen. Das Missverständnis führte zur leidenschaftlichen Favorisierung gegenüber dem postumen Philosophen Nietzsche. Jetzt sollten wir nüchtern sein, um seinem Werk nachzugehen und nach dem eigentlichen Sinn seiner Philosophie zu suchen. Nietzsche hat sich als wahrer Lebensphilosoph erwiesen. Das Leben ist eine Dynamik, ist reich im Sinne des Kampfes. Gegenstand des Kampfes ist das 'Selbst' – dies ist das stagnierende und 'passive' Dasein. Will man zum Übermenschen werden, so soll man ständig vorwärts kommen und sich erhöhen. Auf dem Weg zum ständigen Vorwärtskommen macht die Entwicklung das Ziel und die höchste Freiheit aus : das Vorhandensein des menschlichen Potentials und des Willens zur Selbstüberwindung. Nietzsches Übermensch ist der Mensch, der es wagt, alle Werte neu zu bewerten und die alte Werteliste zu zerstören, insbesondere die des Christentums. Übermensch ist auch der Mensch, der mit reicher Lebenskraft fähig ist, neue Werte aufzustellen.
Der Wille zur Macht stellt eine Triebkraft von Nietzsches Philosophie dar. Der im Innern befindliche Wille ist latente Energie oder potentielle Energie. Der sich nach aussen äussernde Wille ist Antriebskraft. In der Philosophie Nietzsches ist der Wille zur Macht ein wichtiger Begriff. Viele beachten nur das Wort Macht und verstehen es sogar als Macht und Einfluss. In der Tat meint Nietzsche mit dem Wort Macht kreative Kraft, nicht konventionelle Macht. Daraus ergibt sich, dass die alte Übersetzung des Chinesischen leicht zu Missdeutungen führt. Es ist auch nicht angebracht, wenn man ihn als Willen zur Kraft übersetzen soll, denn es enthält noch potentielle Energie. Man soll es als 'chong chuang yi zhi' übertragen, denn dieser Wille zeigt sich ständig nach aussen und nach oben.
Nietzsches Denken besteht darin, den ständigen Vollzug des Lebens des Einzelnen zu entfalten, zur unbeschränkten Selbsterhöhung zu gelangen. Das Leben soll in das System der grossen Kräfte integriert werden. Lebenskraft verleiht dem Schöpferischen einen Sinn.

Yu Longfa : Das Werk von Chen Guying besteht aus vier Teilen : Nietzsche – Philosoph der Tragödie (1962) über Leben und Werk, vor allem Also sprach Zarathurstra. Über Nietzsches Gedanken zum Lebensgebriff, zum Tod Gottes und zur Umwertung aller Werte (1960er-1970er Jahre). Vergleich zwischen Nietzsche und Zhuangzhi. Vergleich der Kulturansichten von Nietzsche und Chen Duxiu. Übersetzungen von Auszügen aus Geburt der Tragödie, Die fröhliche Wissenschaft, Also sprach Zarathustra, Ecce homo, Antichrist. Lebensdaten von Nietzsche.
Chen vergleicht zwischen der abendländischen Welt, die sich in grossem Masse mit Nietzsche beschäftigte und der chinesischen Geisteswelt, die sich nur in geringem Mass mit Nietzsche auseinandersetzt. Dabei vertritt er die Ansicht, man solle sich der Philosophie Nietzsches zuwenden, wenn man zur modernen westlichen Philosophie gelangen will.
41 1996 Kang, Jian. Sheng ming zhi yue : chong du Nicai [ID D18333].
Kang Jian schreibt : In den fünfziger und sechziger Jahren wurde die Philosophie Friedrich Nietzsches in der akademischen Welt in China of falsch ausgelegt. Dies war im wesentlichen vom sowjetischen Arbeitsstil abhängig. Infolge der akademischen Diskussion von 1957 bis 1962 in China kam die westliche Philosophie (einschliesslich der Nietzsches) zu kurz. Nietzsche war vor allem wegen seiner Gott-ist-tot-Auffassung für das 'rote' China ‚unzeitgemäss’ und dadurch als 'reaktionär' gekennzeichnet. Seine Werke wurden entweder falsch gedeutet oder gar nicht mehr gelesen.

Sources (18)

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