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“Vier westliche Philosophen in China : Dewey und Russell, Bergson und Nietzsche” (Publication, 1992)

Year

1992

Text

Findeisen, Raoul David. Vier westliche Philosophen in China : Dewey und Russell, Bergson und Nietzsche. In : Minima sinica ; 1 (1992). (Find1)

Type

Publication

Mentioned People (4)

Bergson, Henri  (Paris 1859-1941 Paris) : Philosoph, englisch-polnischer Herkunft, Professor Collège de France

Dewey, John  (Burlington 1859-1952 New York, N.Y.) : Philosoph, Pädagoge, Psychologe

Nietzsche, Friedrich  (Röcken bei Lützen 1844-1900 Weimar) : Philosoph, Klassischer Philologe

Russell, Bertrand  (Trelleck, Monmouthsire 1872-1970 Plas Penrhyn bei Penrhyndeudraeth, Wales) : Philosoph, Logistiker, Mathematiker, Literaturnobelpreisträger ; Dozent Cambridge, Oxford, London, Harvard University, Chicago, Los Angeles, Beijing

Subjects

Philosophy : Europe : France / Philosophy : Europe : Germany / Philosophy : Europe : Great Britain / Philosophy : United States of America / References / Sources

Chronology Entries (2)

# Year Text Linked Data
1 1908 Lu, Xun. Wen hua pian zhi lun [ID D18283].
Lu Xun schreibt über Friedrich Nietzsche : "Was den Materialismus und Massenbegriff betrifft, so könnte man damit wohl auf eine Seite der Zivilisation des ausgehenden 19. Jahrhunderts hindeuten. Allerdings halte ich diese Auffassung nicht für angebracht. Denn alle Erfolge von heute sind in vergangener Zeit spürbar. Auch Zivilisation entwickelt sich in der Art und Weise Tag für Tag. Es gab in ihrer Entwicklung sogar auch Strömungen gegen die Vergangenheit. Dass Zivilisation einseigite Kultur mit sich bringen wird, kann deswegen unvermeidlich sein. Wenn man wirklich Konzepte für die heutige Zeit entwerfen will, so ist es notwendig, die Vergangenheit zu betrachten, die Zukunft zu bedenken, gegen den Materialismus zu polemisieren, Geist zu entfalten, den Einzelnen hochzuschätzen, die Masse zu beseitigen. Da man seit langer Zeit die Gunst der materiellen Zivilisation erlangte, wurde der Glaube des Menschen an den Materialismus immer fester. Dieser wurde allmählich als eine Norm respektiert und eine existentielle Grundlage für alle Dinge angesehen. Man war sogar der Ansicht, dass alle Erscheinungen auf geistigem Gebiet durch den Materialismus eingeschränkt seien. Der Materialismus stehe in engem Zusammenhang mit dem realen Leben. Er solle nur respektiert und verehrt werden, anstatt ihn zu berühren.
Neue Ideen entwickelten sich in gewaltigen Strömungen. Der Geist von Ideen war bereichert durch Protest und Veränderung. Man setzte Hoffnung auf die Gewinnung neuen Lebens, indem man speziell die gegebene Kultur kritisierte und sie aus dem Weg räumte.
Der Deutsche F. Nietzsche verlieh der Gestalt des Zarathustra seine eigenen Worte : "Zu weit hinein flog ich in die Zukunft. Und als ich um mich sah, siehe : da war die Zeit mein einziger Zeitgenosse. Da floh ich rückwärts, heimwärts : so kam ich zu euch, Ihr Gegenwärtigen, und ins Land der Bildung. Aber Heimat fand ich nirgends ; und vertrieben bin ich aus Vater- und Mutterländern. An meinen Kindern will ich es gut machen". Was Nietzsche erwartete, ist beispiellose Willenskraft, die Ausdruck vom Übermenschen ist. Er ist fast wie ein Gott, einer der ausgeprägtesten Individualisten. Nietzsche setzte seine Hoffnungen auf grosse Persönlichkeiten und Genies, aber er war dagegen, dass die dumme Masse eine zentrale Rolle spielte. Nietzsche sagte, wenn ein Land von der Masse regiert werde, so werde die Vitalität eines Landes zugrunde gehen. Es wäre besser, wenn man die Volksmassen als Opfer ausnutzte, um ein oder zwei Genies erscheinen zu lassen. Sobald ein Genie zum Vorschein komme, werde die Gesellschaft dynamisch sein. Dies war die sogenannte Übermensch-Lehre, die den Intellektuellenkreis in Europa einmal erschüttert hat.
Nachdem manche Intellektuelle etwas von neuen Gedanken gehört haben, schämen sie sich zutiefst. Sie wollen deshalb gleich eine Reform durchführen. Sie halten daran fest, nie davon zu sprechen, was den westlichen Grundsätzen nicht entspricht. Sie halten auch daran fest, dass sie nie tun, was der westlichen Art und Weise zuwiderläuft."

Lu Xun schreibt über Henrik Ibsen : "[Byron's ideas] are close to those of the Norwegian writer Ibsen. Ibsen was born in the modern world, and he was anguished at seeing that the world was full of follies, whereas truth was discarded. In An enemy of the people, he presents his ideas through the protagonist Dr. Stockmann, who in upholding truth against the prejudices of society is attacked by the people. Dr. Stockmann is expelled from his house by the landlady and his son is rejected by the school, but he is not frightened and continues in his fight. At the end, he says that he has made a discovgery : the strongest man in the world is he who stands most alone. This is Ibsen's own view of the world.
Henrik Ibsen was well know in the literary world for his talent and as an interpreter of Kierkegaard. His works were full of ideas opposing conventions in society, beliefs or morals, so long as they were biased and narrow-minded, Ibsen would attack them. He saw that in the modern world there were many people who did evil things in the name of equality. Mediocrity and superficiality grew day after day. Follies and hypocrisy became more and more widespread in people's behaviour. Thos who had high ideals and did not compromise their integrity for the favour of others were rejected in society. The dignity of the individual and the value of mankind were going to be lost. All these conditions gave Ibsen more anguish. For example, in his play An enemy of the people, he portrays a person who upholds truth and does not give in to popular beliefs. The person is totally isolated from the other people. But the cunning and evil persons become leaders of the fools. These people use the majority to bully the minority. They form parties as a means to achieve their selfish transactions. Thus a series of struggles arise and Ibsen's work comes to an end. The reality in society is fully depicted here."

Yu Longfa : Die nach Japan geflohenen Reformatoren unter der Führung von Kang Youwei und Liang Qichao plädieren für eine Umformung der Staatsverfassung in eine konstitutionelle Monarchie. Innerhalb der Gruppe gibt es Meinungsverschiedenheiten, einige vertreten die Ansicht, dass ein parlamentarisches System nicht in China eingeführt werden sollte, weil das Wahlsystem, das nur zur Machtergreifung der herrschenden Klasse dient, für das chinesische Volk nicht geeignet sei. Lu Xun unterscheidet sich sowohl von den revolutionären als auch den konservativen Auffassungen und schenkt dem Individualismus im Sinne Nietzsches Aufmerksamkeit. Was die Einseitigkeit westlicher Kultur des 19. Jahrhunderts betrifft, so hat Lu Xun Hinweise auf zwei in Frage zu stellende Begriffe gegeben : den der 'Materie' und den der 'Masse'.
Nachdem Lu Xun die historische Entwicklung der Persönlichkeiten, deren Geist voll zur Geltung gebracht worden ist, dargestellt hat, führt er als anschauliches Beispiel Nietzsche u.a. an, die ‚nach ihrem eigenen Willen mit ganzer Kraft gegen Sitten und Gebräuche ihrer Zeit kämpfen.
Von Nietzsche spricht er als ein Zerstörer alter Kultur und Konventionen. Nach seiner Auffassung ist eine gründliche soziale Umgestaltung nichts wert, wenn die Menschen geistig noch nicht aufgeklärt sind. Er appelliert an die ‚Entfaltung des Individualismus’ vor der neuen Kulturbewegung und für ihn ist der 'Übermensch-Gedanke' der Ausdruck einer bereits von Konventionen befreite Individualität.

Zhang Yushu : Für Lu Xun ist ‚der tiefsinnige und weitsichtige Nietzsche, der das Falsche und das Bornierte der modernen Zivilisation durchschaut hat’ deshalb bewundernswert, weil er unerschrockenen Kampfesmut und unversöhnlichen Rebellengeist ausweist, einen offenen Krieg an die westliche Welt, also an die kapitalistische Gesellschaft erklärt, und den deutschen Staat mit seiner herrschenden Moral und seiner kriecherischen Kultur schonungslos und treffend kritisiert. Nietzsche hat die verbreiteten Übel des zwanzigsten Jahrhunderts vorausgesehen : die Überbetonung des Materiellen und der Massen. Die Ideen von Nietzsche dienten Lu Xun als Waffe, mit der er sein Vaterland aus Not und Elend retten wollte.
Lu Xun erklärt dem Drachen den Krieg. Tausend Jahre lang litt das chinesische Volk unter dem Drachen, der den Willen des Volkes vergewaltigte und ihm seinen Willen aufzwang. Jetzt sollte der Löwe seinen eigenen Willen ausdrücken : Ich will auf Erden glücklich sein und nicht mehr darben, ich will so handeln, wie es mir recht ist, ich will lieben und hassen, wie mein Herz mir befiehlt, ich will nicht mehr Sklave sein mit allen sklavischen Tugenden, Zeichen der Schwachheit, die nur billiges Mitleid erregen und nie dazu beitragen können, meine Lage zu verändern. Ich will mich selbst überwinden und mit übermenschlichen Fähigkeiten und Eigenschaften übermenschliche Leistungen vollbringen, ich will den Drachen besiegen und Herr meines eigenen Schicksals sein. Daher kritisiert Lu Xun auch alles, was mit dem Drachen verbunden ist, und alle, die versuchen den Drachen mit Theorie und Taten auf seinem Thron zu belassen.
Nur wenn man seine Liebe und seinen Hass, seine Hoffnung und seine Enttäuschung kennt, kann man verstehen, warum Lu Xun von Nietzsches Übermensch-Philosophie beeindruckt werden konnte. Es war eine tragische Zeit, die Helden brauchte und Helden hervorbrachte. Es ist uns völlig klar, dass es, um die Volksmassen wachzurütteln, einiger hervorragender Persönlichkeiten bedarf, die als Avantgarde den Massen vorangehen sollten. Für Nietzsche waren sie anfangs hervorragende Philosophen und Künstler wie Schopenhauer und Wagner, und später Halbgötter und Übermenschen. Auch Lu Xun war für die Genies und die Philosophen. Er fragt : "Ist es nicht ratsamer, die Massen zu ignorieren, umd die Genies und Philosophen zu feiern, als umgekehrt, die Philosophen und die Genies zu hindern, um die Massen zu fördern ?"

Raoul David Findeisen : In Nietzsches Ideal des Übermenschen sieht Lu Xun den Höhepunkt einer solchen ethischen Evolution : "Erst wenn der Übermensch erscheint, herrscht Frieden auf Erden".
  • Document: Tam, Kwok-kan. Ibsen in China : reception and influence. (Urbana, Ill. : University of Illinois, Graduate College, 1984). Diss. Univ. of Illinois, 1984. S. 36, 38. (Ibs115, Publication)
  • Document: Zhang, Yushu. Nietzsche und Lu Xun. In : Veröffentlichungen JDZB ; Bd. 12 (1991). (Nie8, Publication)
  • Document: Yu, Longfa. Begegnungen mit Nietzsche : ein Beitrag zu Nietzsche-Rezeptionstendenzen im chinesischen Leben und Denken von 1919 bis heute. Diss. Univ. Wuppertal, 2000.
    http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=959811869. S. 46, 49-54, 58. (Yu1, Publication)
  • Person: Lu, Xun
  • Person: Nietzsche, Friedrich
2 1929 Lu, Xun. Lu Xun quan ji [ID D11283]
Lu Xun schreibt : Nietzsche, der die Evolutionslehre Darwins auf die Spitze getrieben, das Christentum angegriffen und die Lehre des Übermenschen verkündet hat, behauptet zwar, wissenschaftlich vorzugehen, doch [seine Philosophie] hat religiösen Charakter. Ich verstehe daher nicht, warum seine Theorien so sehr bewundert und gelobt werden. Die frühesten Anhänger Nietzsches waren gebildet und in allen Wissenschaften bewandert. Doch wenn einer etwas verkündet, schnappen es die Laute auf wie Nahrung. Diejenigen, die an ihn glauben, wollen noch mehr Anhänger gewinnen, aber es wird ihnen nicht gelingen, das Publikum zu überzeugen, weil sie nicht sachlich bleiben.

Raoul David Findeisen : Lu Xun hat den Ausdruck 'Genie' als Synonym für den 'wahren Menschen' verwendet, für den 'unabhängig handelnden Menschen', von dem er letztlich erwartet, er würde den Übermenschen verwirklichen. Nietzsche greift das Christentum an, während sich die Polemik von Lu Xun gegen die konfzianische Ethik und ihren ‚Kannibalismus’ richtet. Beide Protagonisten sind der Gleichgültigkeit und dem Spott ihrer Umgebung ausgesetzt. Beider Einsamkeit geht auf eine hoch entwickelte Sensibilität zurück, die bei Lu Xun unmittelbar als Wahnsinn gekennzeichnet erscheint.
  • Document: Findeisen, Raoul David. Die Last der Kultur : vier Fallstudien zur chinesischen Nietzsche-Rezeption. In : Miima sinica ; 2 (1989)-1 (1990). S. 21. (Find2, Publication)
  • Person: Lu, Xun
  • Person: Nietzsche, Friedrich

Cited by (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2000- Asien-Orient-Institut Universität Zürich Organisation / AOI
  • Cited by: Huppertz, Josefine ; Köster, Hermann. Kleine China-Beiträge. (St. Augustin : Selbstverlag, 1979). [Hermann Köster zum 75. Geburtstag].

    [Enthält : Ostasieneise von Wilhelm Schmidt 1935 von Josefine Huppertz ; Konfuzianismus von Xunzi von Hermann Köster]. (Huppe1, Published)