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Li, Shicen

(1892-1934) : Professor für Philosophie Fudan- und Guanghua-Universität

Subjects

Index of Names : China / Periods : China : Republic (1912-1949) / Philosophy : China

Chronology Entries (3)

# Year Text Linked Data
1 1920 Li, Shicen. Nicai si xiang zhi pi pan [ID D18303].
He Lin : Diese Sonderausgabe ist der erste Versuch, Nietzsche im Ganzen dem chinesischen Leser vorzustellen. Li Shicen, Chefredaktor der Zeitschrift Min duo za zhi, ist Herausgeber dieser Ausgabe über Nietzsche. Das Heft enthält Chalatusitela de xu yan übersetzt von Zhang Shudan [Übersetzung von Zarathustras Vorrede] ; Zi ji yu zi shen zhi lei übersetzt von Liu Wenchao [Übersetzung von Teilen Nietzsche, Friedrich. Menschliches Allzumenschliches] ; Bai, Shan. Nicai zhuan. [Biographie von Nietzsche] ; S.T.W. Nicai xue shuo zhi jia zhi [Der wahre Wert der Lehren von Nietzsche ; Zhu, Lüyun. Chao ren he wei ren. [Übermenschen und grosse Männer] ; Fu, Sinian. Nicai de zhu shu ji guan yu Nicai yan jiu zhi can kao shu. [Nietzsches Werke und Hilfmittel zur Nietzsche-Forschung].
Die meisten der Beiträge der enthalten vor allem Nietzsches Bezug zu Darwins Evolutionstheorie.
Als Anhang folgt [Mügge, Maximilian]. Nicai zhi yi sheng ji qi si xiang [ID D18349].

Li Shicen schreibt : Bevor Nietzsches Denken nach China kam, gab es schon unzählige Menschen, die [Nietzsches Lehren] verfluchten, schmähten oder gegen sie Einwände erhoben. Es gab keinen giftigeren und schärferen Vorwurf als den, dass Nietzsche der Hauptschuldige am letzten Krieg sei. Man sah in Nietzsches Denken die ernsteste Gefahr der Gegenwart. Ohne Nietzsche wäre der Erste Weltkrieg nicht zustandegekommen. Dass Deutschland es gewagt habe, allen Ländern den Krieg zu erklären, beruhe ausschliesslich auf Nietzsches geistigem Einfluss.
Die heutigen Ansichten, dass Nietzsches Philosophie Ursache für den Krieg in Europa war, sind lediglich oberflächliche Auffassungen. Man sollte das Wesen der deutschen Zivilisation kennen : Sie besteht aus bewusstem Idealismus, technischen Fähigkeiten und Institutionen, die miteinander verbunden sind. Ich teile zwar nicht Nietzsches Auffassungen, wage aber nicht deren Wert zu leugnen, nachdem ich mich mit seinem Denken etwas eingehender beschäftigt habe. Obwohl man über gewisse Aspekte seines Denkens streiten kann, handelt es sich zweifellos um nichts als Verleumdung, wenn man dieses Denken als im Widerspruch zur neuen ideologischen Strömung der letzten Zeit kritisiert oder sogar als hauptverantortlich für den letzten europäischen Krieg angreift.
Der Wille zur Macht ist eine Tätigkeit, in der ständig produziert wird. Sie arbeitet sich unermüdlich empor. Den Willen zur Macht kann man in diesem Sinne mit dem Herzen des Menschen gleichsetzen, d.h. er ist Ausdruck der unaufhaltsamen Sucht nach Macht.
Das sogenannte Prinzip vom Kampf ums Dasein ist nur auf die Erhaltung des Lebens gerichtet. Das ideale Ziel unseres Lebens besteht jedoch aus dynamischen Wiederholungen und aus dem Schaffen, einen Höhepunkt des Kraftgefühls zu erreichen. Es ist sinnlos, wenn der Mensch nur auf die Erhaltung des Lebens bedacht ist.
Den wahren Sinn der Gedanken Nietzsches kann man tatsächlich nicht negieren. Der Schleim-Charakter der Chinesen wird von der anderen Welt deshalb geringschätzig betrachtet, weil es ihnen an mutigem Unternehmungsgeist und an Schöpfungskraft mangelt. Ich bin der Meinung, dass Nietzsches Denken dabei eine Hilfe leisten könnte.
Li Shicens Hauptauffassungen sind in Stichworten zusammengefasst : Nietzsches Hauptgedanken entstammen Schopenhauers Lehre vom Willen, aber sie sind gründlicher als die Schopenhauers. Der Übermensch-Gedanke ist von der Darwinischen Evolutionstheorie beeinflusst worden, der Übermensch ist ein Symbol für die Entwicklung der Menschheit. Der pragmatische Beigeschmack der Philosophie Nietzsches ist vor allem Ausdruck seiner neuen Werte und seiner Theorie einer neuen Moral. Die grösste Besonderheit der Philosophie Nietzsches ist durch eine 'neue Bewertung aller Werte' gekennzeichnet. Um neue Werte, Ideale und eine neue Zivilisation zu schaffen, war Nietzsche bemüht, die alten Werte, Ideale und die alte Zivilisation zu zerstören. Das Ideal des Übermenschen ist von aktueller Bedeutung. Aber Nietzsches Idee von der ewigen Wiederkehr entspricht dem Übermensch-Ideal nicht, so dass der Wert seiner ganzen Philosophie in Frage gestellt werden muss. Nietzsches Philosophie ist eine ästhetische Philosophie. Da sie auf eigenen Lebenserfahrungen gründet, sollte der Leser aus ästhetischer Sicht die Philosophie Nietzsches studieren. Die von Nietzsche befürwortete Kunst ist Kunst neuer Art. Nietzsches Individualismus ist ein positiver Ausdruck, der nicht unter einem falschen Geschichtspunkt interpretiert werden sollte.

Yu Longfa : Li Shicen betont den Hauptgedanken aus Also sprach Zarathustra, wobei er Begriffe wie 'Wille zur Macht', die 'Evolutionslehre', den 'Übermensch-Gedanken', die 'Umwertung aller Werte' und schliesslich die 'ewige Wiederkunft' in vergleichender Weise interpretiert… Bei der Darlegung des Verhältnisses von Nietzsche zu Darwin führt er die Unterschiede beider Auffassungen über die Entwicklung der Menschheit an. Angesichts der Mechanismen des Prinzip vom Überleben des Tüchtigen zeigt Li Interesse für Nietzsches Auffassung über die Lebensentwicklung des Menschen, insbesondere für den durch den Willen zur Macht reflektierten Geist des Schaffens… Für Li scheint Nietzsches Philosophie geeignet, die Lebensgewohnheiten und den Nationalcharakter der Chinesen zu verändern.

Raoul David Findeisen : Li Shicen sagt von sich selber, dass die Begegnung mit Nietzsches Philosophie während seiner Studienzeit in Japan sein Leben verändert hat. Sein Artikel enthält insgesamt eine positive Würdigung Nietzsches und nimmt ihn zunächst gegen den Vorwurf der moralischen Mitschuld am Weltkrieg in Schutz, indem der das bis dahin oft politisch-sozial verstandene Konzept des 'Willens zur Macht' enger an Nietzsches Lebensbegriff koppelt. Er begreift den 'Willen zur Macht' ästhetisch als Formel des Selbstausdruck, und das Ideal des Übermenschen ethisch unter dem Aspekt der Selbstüberwindung.

He Lin : In diesem Heft wird die Behauptung widerlegt, Nietzsche sei der Hauptverantwortliche für den Ersten Weltkrieg gewesen.
  • Document: Von der Kolonialpolitik zur Kooperation : Studien zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen. Hrsg. von Kuo Heng-yü. (München : Minerva Publikation, 1986). (Berliner China Studien ; 13).
    [Enthält] : Yin, Xuyi. Zur Verbreitung des Marxismus in China. S. 446-448. (KUH7, Publication)
  • Document: Findeisen, Raoul David. Die Last der Kultur : vier Fallstudien zur chinesischen Nietzsche-Rezeption. In : Miima sinica ; 2 (1989)-1 (1990). S. 11-12. (Find2, Publication)
  • Document: Yu, Longfa. Begegnungen mit Nietzsche : ein Beitrag zu Nietzsche-Rezeptionstendenzen im chinesischen Leben und Denken von 1919 bis heute. Diss. Univ. Wuppertal, 2000.
    http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=959811869. S. 20, 82-87. (Yu1, Publication)
  • Person: Nietzsche, Friedrich
2 1924 Li, Shicen. Li Shicen lun wen ji [ID D18346].
Li Shicen schreibt : Schopenhauer regarded self-consciousness of the 'will' as a higher consciousness ; Nietzsche on the other hand saw it as a higher action. 'Drunken ecstasy' for him is the state when all man’s powers of symbolizing reach their full extent. Reaching the ultimate of human existence depends not on language and concepts but on the expression of the symbols of a self which has liberated all its strenght.
I am not an advocate of Nietzsche, but after close consideration of his thought I can't but admit his real value. We Chinese, due to our phlegmatic disposition, have been despised by the peoples of other countries. Lacking the courage to advance and deficient in creativity, we are docile slaves of custom, merely out of cringing timidity. Bringing up such docile slaves is a waste of the country's money, giving birth to them is a waste of the race’s energy. I suggest that we might perhaps find the salvation of these phlegmatic vassals in the thought of Nietzsche, who is so reviled, abused and refuted by our countrymen.
  • Document: Kelly, David. The highest Chinadom : Nietzsche and the Chinese mind, 1907-1989. In : Graham, Parkes. Nietzsche and Asian thought [ID D18271]. S. 156-157. (Kel10, Publication)
  • Person: Nietzsche, Friedrich
3 1931 Li, Shicen. Chao ren zhe xue qian shuo [ID D18311].
Li Shicen schreibt im Vorwort über Friedrich Nietzsche : Ich möchte die Philosophie vom Übermenschen empfehlen, weil die ganze chinesische Nation zu niedergeschlagen, zu herabgesetzt ist, mit zu viel Phantasterei befasst und zu träge ist. Die chinesische Nation muss eine grundsätzlich Änderung durchsetzen. Nietzsches Philosophie ist eine Philosophie des Widerstands und der Umwertung. Aber Nietzsche kämpfte gegen das menschenfressende Christentum, dieses Buch attackiert die menschenfressende kannibalische feudale Ethik. Einem herkömmlichen chinesischen Grundsatz entsprechend wogen ethische Gesetze bzw. Prinzipien schwerer als menschliche Triebe, das letztere Bestandteil der 'Himmlischen Prinzipien' sind ; wenn man jedoch die menschlichen Triebe leugnet, sehe ich nicht, welche 'Himmlischen Prinzipien' es geben soll. Man hält die Prinzipien hoch, aber alles, was dabei herauskommt, ist die Erziehung zur Lüge, Heuchelei und zum Sklaventum, ein unmenschliches Leben und die giftige Luft, welche in allen patriarchalischen Gesellschaften herrscht. Deshalb müssen alle alten Werte energisch umgewertet werden. Die chinesische Nation scheint sich zu keiner Religion zu bekennen, aber in Wirklichkeit folgt sie dem Polytheismus. Nun sagt Nietzsche : 'Blasphemie ist erlaubt, denn Gott ist längst tot'. Wenn man den Polytheismus nicht verwirft, kann die Wissenschaft sich keine Autorität verschaffen.
Die Chinesen haben nur die Gesinnung der Kindesliebe, der Tugend der Frauen und Mütter und überhaupt keinen Begriff vom Ich und der Persönlichkeit. Sie verstehen bloss ernst und würdevoll als gehorsamer Sohn und als gute Mutter auf der Welt zu leben und nicht zu richtigen Menschen zu werden. Nietzsche gab uns einen energischen Anstoss : Zunächst muss man für jedes einzelne menschliche Individuum eine feste Basis schaffen, dann für den Staat, schliesslich für die ganze Gesellschaft und für die Menschheit. Die auf Selbstaufopferung beruhende Moral ist die Tugend der Schwachen und der Sklaven. Was Nietzsche uns zu lehren hat, kann zumindest bewirken, dass der 'kranke alte Mann' China einen gewaltigen Schreck bekommt, und das ist immerhin schon ein gutes Mittel, ihn aufzurütteln.

David Kelly : Li Shicen strikingly compares Nietzsche and Kierkegaard, who were united in their passionate praise of life, their use of the methods of creation and overcoming to bring about the elevation of one’s own authentic life, and from that to go on to plan the authentic life of mankind.
  • Document: Von der Kolonialpolitik zur Kooperation : Studien zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen. Hrsg. von Kuo Heng-yü. (München : Minerva Publikation, 1986). (Berliner China Studien ; 13).
    [Enthält] : Yin, Xuyi. Zur Verbreitung des Marxismus in China. S. 452-453. (KUH7, Publication)
  • Document: Kelly, David. The highest Chinadom : Nietzsche and the Chinese mind, 1907-1989. In : Graham, Parkes. Nietzsche and Asian thought [ID D18271]. S. 157. (Kel10, Publication)
  • Person: Nietzsche, Friedrich

Bibliography (8)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 1920 Li, Shicen. Nicai si xiang zhi pi pan. In : Min duo za zhi ; vol. 2, no 1 (15 Aug. 1920). [Sonderausgabe] [Kritik an Friedrich Nietzsches Denken].
尼采思想之批判
Publication / Nie38
2 1920 Li, Shicen. Nicai zhi zhu shu ji guan yu Nicai yan jiu zhi can kao shu. In : Min duo (15. Aug. 1920). [Bibliographie von Friedrich Nietzsches Werken und Sekundärliteratur].
尼采之著述及關於尼采研究之參考書
Publication / Nie235
  • Cited by: Cheung, Chiu-yee. Nietzsche in China (1904-1992) : an annotated bibliography. (Canberra : Australian National University, 1992). (Faculty of Asian Studies monographs new series ; no 19). (Nie12, Published)
  • Person: Nietzsche, Friedrich
3 1924 Li, Shicen. Li Shicen lun wen ji. (Shanghai : Shang wu yin shu guan, 1924). [Gesammelte Essays. Enthalten Artikel über Friedrich Nietzsche, Henri Bergson, Rudolph Eucken, Joh n Dewey, Bertrand Russell].
李石岑論文集
Publication / Nie76
4 1924 Li, Shicen. Nicai si xiang yu wu ren zhi sheng huo. In : Li Shicen jiang yan ji. (Shanghai : Shang wu yin shu guan, 1924).
/李石岑講演集
Publication / Nie236
5 1925 Li, Shicen. Mei shen yu jiu shen. In : Yi ban ; vol. 2, no 2 (5. Okt. 1925). [Apollo und Dionysos ; Friedrich Nietzsche].
美神與酒神
Publication / Nie233
  • Cited by: Cheung, Chiu-yee. Nietzsche in China (1904-1992) : an annotated bibliography. (Canberra : Australian National University, 1992). (Faculty of Asian Studies monographs new series ; no 19). (Nie12, Published)
  • Person: Nietzsche, Friedrich
6 1931 Li, Shicen. Chao ren zhe xue qian shuo. (Shanghai : Shang wu yin shu guan, 1931). [Abhandlung über Friedrich Nietzsche].
超人哲學淺說
Publication / Nie47
  • Cited by: Von der Kolonialpolitik zur Kooperation : Studien zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen. Hrsg. von Kuo Heng-yü. (München : Minerva Publikation, 1986). (Berliner China Studien ; 13).
    [Enthält] : Yin, Xuyi. Zur Verbreitung des Marxismus in China. (KUH7, Published)
  • Person: Nietzsche, Friedrich
7 1931 Li, Shicen. Xian dai zhe xue xiao yin. (Shanghai : Shang wu yin shu guan, 1931). [Einführung in die moderne Philosophie ; enthält Friedrich Nietzsche].
現代哲學小引
Publication / Nie237
8 1971 Li, Shicen. Nicai yu xian dai zhe xue. (Taibei : Zheng wen shu ju, 1971). [Abhandlung über Friedrich Nietzsche].
尼采與現代哲學
Publication / Nie234