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Ludovici, Anthony Mario

(London 1882-1971 London) : Philosoph

Subjects

Index of Names : Occident / Philosophy : Europe : Great Britain

Chronology Entries (1)

# Year Text Linked Data
1 1920 Mao, Dun. Nicai de xue shuo [ID D18302].
Quellen : Thilly, Frank. A history of philosophy. (New York, N.Y. : H. Holt, 1914).
Ludovici, Anthony Mario. Nietzsche : his life and his work. (London : Constable 1910).
Hoffding, Harald. Moderne Filosoffer. (Kopenhagen : Gyldendal, 1904). = Moderne Philosophen. (Leipzig : O.R. Reisland, 1905). = Modern philosophers. (London : Macmillan, 1915).
Von Ludovici übernimmt Mao Dun die Kapiteleinteilung : Einleitung, Nietzsches Leben und Werk, Nietzsches Ethik, Nietzsche als Anhänger der Evolutionstheorie, Nietzsche als Soziologe, Schlussfolgerungen.

Mao Dun schreibt : Die Deutschen respektierten von jeher die Lehre Nietzsches. Aber man machte für die Schuld am letzten Krieg Nietzsches Lehre verantwortlich. Hat sie wirklich den Menschen in der Welt Schaden zugefügt ? Oder haben sie die Deutschen selbst missverstanden ? Ich glaube, der einsichtige Leser kann es begreifen. Aber eins muss ich hier sagen : Nach dem Krieg wurde in Deutschland noch grösseres Interesse an Nietzsches Lehre an den Tag gelegt.
Wir müssen uns noch im klaren darüber sein, dass es sich nur um eine Lehre bzw. um ein Werkzeug handelt, das uns zur Verbesserung des Lebens, zum Suchen nach Wahrheit verhelfen kann. Wir versuchen aus seiner Lehre etwas Nützliches zu gewinnen, lassen sein Unnützliches im Stich, ja wir vergessen es gänzlich.
Ob Nietzsche als Dichter oder als Philosoph gilt, ist längst umstritten. Nun ordnen wir ihn in die Kategorie der Philosophen ein. Hätte Nietzsche früher mit dramatischem oder dialogischem Stil seine Meinungen geäussert, so hätte es wahrscheinlich noch mehr Leute gegeben, die Nietzsche priesen. Nur hinsichtlich des Werks Also sprach Zarathustra wissen wir es, dass Nietzsche in der Tat ein poetisches Genie war. Man sollte ihn in diesem Fall nicht so sehr als Philosoph, sondern vielmehr als grossen Schriftsteller bezeichnen. Dank seiner Lehre vom Übermenschen und vom sozialen Dualismus hat er den Titel des Philosophen gewonnen.
Spricht man früher von Moral, so kann man die Fessel der historischen Konvention nicht sprengen. Das von jeher vorbestimmte Gute kann nicht gründlich kritisiert werden. Man versucht nur, Moral zu revidieren, statt sie zu untersuchen. Bei Nietzsche ist dies nicht der Fall. Indem er sich mit dem Moralbegriff seit der Zeit der ursprünglichen Menschheit auseinandersetzt, stellt Nietzsche die Moral in ihrem Ursprung in Frage und versucht herauszufinden, wie das sogenannte Gute jetzt von den Menschen anerkannt würde. Von diesem Standpunkt aus ist Nietzsche bestrebt, alle Werte der Moral neu zu bewerten. Wir akzeptieren Nietzsches Äusserungen über den historischen Ursprung der Moral, indem wir seine Theorie als scharfe Waffe im Kampf gegen die historisch überlieferte, entstellte und geistig gefesselte Moral benutzen.
Darwin sagte, der Mensch habe sich aus dem Tier entwickelt, nun behauptete Nietzsche ebenfalls, der zukünftige Mensch werde aus dem modernen Menschen entwickelt. Aber nach welchen Gesetzen soll dies zustande kommen ? Nietzsches Konzeption : nach Gesetzen der Macht. Was wir bezüglich der Gemeinsamkeiten zwischen Nietzsche und den modernen Theoretikern des Evolutionismus zur Kenntnis nehmen, ist die Anerkennung des Menschen, nicht die Gottes. Ihre Unterschiede bestehen darin, dass Nietzsche aufs äusserste für Macht plädiert. Den 'Willen zur Macht' hat der Mensch bereits gleich nach der Geburt. Da der Menschen diesen Willen zur Macht hat, will er nicht als Sklave in demütigenden Umständen leben. Dass der Mensch, ohne Angst vor der Macht zu haben, nach Kampf, Befreiung und Selbstbestimmung sucht, dies alles geht davon aus. Wird das Aufhören als das Suchen nach der Existenz angesehen, so wäre dies das Leben wie ein Schwein und ein Hund. Aber Nietzsche bezeichnet den stärksten Willen des Lebens als den 'zu Macht' ; dies wäre sehr interessant, denn nur der Mensch hat diesen 'Willen zur Macht'. Der Mensch will kein Sklave sein, er hat keine Angst vor Mächten, sondern den Willen, zu kämpfen, zur Suche nach Befreiung und Selbstentscheidung. Alles geht hiervon aus. Die Philosophie vom Übermenschen ist gerechtfertigt, denn der Übermensch ist nach seiner Auffassung progressiv. Der Vergleich zwischen Übermensch und dem heutigen Menschen ist so wie der Vergleich zwischen dem heutigen Menschen und dem Affenmenschen.
Im Hinblick auf meine beschränkte Kenntnis bin ich der Meinung, dass Nietzsche in der Tat ungerecht behandelt wurde, als man die Auffassung vertrat, dass Nietzsche für die Betonung der Machtstärkung eintrete. Nietzsche behauptet, dass nur kluge und gesunde Menschen weiterleben sollten, die anderen aber sterben müssten. Solche Aussagen sind natürlich belastend. Hat denn nicht etwa Platon Ähnliches geäussert ? Äusserte nicht Shaw ebenso solche Behauptungen ? Warum macht man nur Nietzsche allzu strenge Vorwürfe ? A.M. Ludovici nannte Nietzsche einen Anarchisten auf geistigem Gebiet, der alle philosophischen Lehren zerstört. Ich halte diese Worte für gerechtfertigt.

Yu Longfa : Anlässlich der Diskussion um Verantwortungsprobleme des vergangenen Krieges scheint Mao Dun eine neue Bewertung von Nietzsche besonders notwendig, um ein 'neues China' zu begründen und zugleich die damit verbundene Kulturbewegung weiter zu fördern. Mao Duns Nietzsche-Rezeption ist keine wissenschaftliche Studie über die Lehre Nietzsches. Er konnte kein Deutsch und war deshalb auf englischsprachige Sekundärliteratur angewiesen. Er hat eine Teilübersetzung von Zarathurstra : Thus spoke Zarathustra gelesen, sowie Beyond good and evil und Genealogy of morals.
Mao Dun betrachtet Nietzsches Lehre an vielen Stellen als widersprüchlich, ist allerdings nicht bereit, diese Widersprüche im Denken Nietzsches aufzuzeigen. Er kritisiert, dass Nietzsche kaum Möglichkeiten habe, mit dem einfachen Volk umzugehen, so dass ihm die Fähigkeiten und Lebensumstände des Volkes unbekannt seien. Er betrachtet Nietzsche in erster Linie nur als Kulturkritiker, der einen Niedergang in der westlichen Kultur sieht. Mao Dun geht auf Nietzsches Übermensch-Gedanken und die dualistischen Faktoren der Gesellschaft ein, um dem chinesischen Leser den deutschen Philosphen zugänglich zu machen. Auch schenkt er Nietzsches Moralauffassung und dem Konzept des Übermenschen Aufmerksamkeit. Besonders hat er grossen Wert auf Nietzsches Begriff der Umwertung aller Werte gelegt, den er sich zum Massstab nimmt, um an den Kulturkampf der 4. Mai-Bewegung anzuknüpfen. Er betont 'die grösste und die beste Einsicht Nietzsches', dass er 'alle philosophischen Lehren, alle sozialen Grundsätze, alle Lebens- und Moralanschauungen aufs neue beurteilt und bewertet hat'. Da sich in Nietzsches Denken nach Ansicht Maos Widersprüche finden, setzt er den chinesischen Leser in Kenntnis, dass sowohl Leichtgläubigkeit an Nietzsches Gedanken als auch Verzicht auf das Studium seiner Schriften nicht empfehlenswert sei.
Der grösste Teil über die Gedanken Nietzsches ist das Kapitel über die Moraltheorie. Dort zeigt es sich, dass ein wesentliches Motiv von Mao Duns Betonung der Moraltheorie Nietzsches die Untersuchung des überlieferten Begriffes des Guten und des Bösen war. Im Gegensatz zu Nietzsches Moralvorstellung hält Mao Dun den Unterschied zwischen der vornehmen Moral und der Sklaven-Moral für falsch : "Nietzsches Kritik an der Moral hat sich nicht als falsch erwiesen ; falsch ist eigentlich die Behauptung über die Moraltendenz". Maos Augenmerk liegt im Zusammenhang mit seiner neuen Moral auf der breiten Masse der Menschen, die zum Erwachen für eine Änderung der sozialen Ordnung berufen war.
Wie Lu Xun rezipiert auch Mao Dun Nietzsches Übermensch-Denken unter dem Aspekt, dass der gegenwärtige Mensch den vorangegangenen Menschen überholten sollte und präsentiert ihn als Evolutionsprediger, dem Darwins Evolutionstheorie zugrunde liegt. Mao Duns Begriff vom 'Willen zur Macht' ist als Synonym für Selbstentscheidung, Befreiung und Kampf gegen Mächte zu verstehen und zu verwenden.
Mao Duns Vermittlung von Nietzsches Lehre führte in damaliger Zeit zur Popularisierung von Nietzsches Denken einerseits und zu neuen Begriffen andererseits, die extreme Gedanken der damaligen Intellektuellen widerspiegeln.

Raoul David Findeisen : Mao Dun betont, dass Nietzsche ein Elfenbeinturmdasein geführt habe und deshalb ihm gegenüber Vorsicht geboten sei, denn 'er habe keine Ahnung, unter welchen Bedingungen das gewöhnliche Volk lebt'. Mao setzt sich mit dem konfuzianischen Wertesystem auseinander und fordert, sich der 'Umwertung' zu bedienen, um ‚die alte Moral zu zerstören’. Der Wert der Tradition müsse ‚neu festgesetzt’ werden. Er bezeichnet den 'Übermenschen' als einen ‚fortschrittlichen Menschen’. Zwar betont er, das Ideal des Übermenschen sei die wichtigste Forderung in Nietzsches Ethik, doch wie durchschlagend sein darwinistisches Vorverständnis war und wie sehr er den Übermenschen als zuallererst biologisches Phänomen verstand, wird deutlich wenn er ihn charakterisiert : "Der Übermensch steht zum jetzigen Menschen im gleichen Verhältnis wie der jetzige Mensch zum Affen". Mao Dun betont den Wert von Nietzsches Moralkritik, lehnt aber dessen Ableitungen, die er mit "Die Herren werden stärker und die Sklaven schwächer" wiedergibt, entschieden ab, weil sie sich mit den elementarsten Forderungen der Demokratie und des Sozialismus nicht vereinbaren liessen.
Aus einem aufklärerischen Erziehungsbegriff heraus, sieht Mao Dun die vorrangige Bedeutung von Nietzsches Ikonoklasmus darin, ‚das Volk aufzurütteln’, dessen 'Sklavenmoral' er darauf zurückführt, dass es ‚in Unwissenheit gehalten wurde, damit es dem Kaiser gehorcht’.
Er vergleicht Nietzsches Begriff vom 'Willen zur Macht' mit Darwins 'struggle for life' und Spencers 'dynamic element in life'. Dieser Gruppe gegenüber stellt er Kropotkins 'assistance mutuelle', die deshalb überlegen sei, weil sie sowohl demokatischen Ansprüchen genüge, als auch biologisch begründet werde. Nietzsches 'Willen zur Macht' versteht er unter dem Begriff ‚Willen zur politischen Macht’. In diesem Zusammenhang sieht er im 'Übermenschen' einen aktiven Kämpfer gegen bestehende gesellschaftliche Verhältnisse aus der Position eines zunächst 'Schwachen' heraus, der dann, wenn er politische Macht erlangt hat, eine 'Umwertung' vornimmet. Aus Mao Duns Antithesen von ‚Wille zur politischen Macht’ und 'Überlebenstrieb' entstehen Kampf (Übermensch), Dekadenz, Aktivität (Herrenmoral), Passivität (Sklavenmoral). Die von Mao Dun vorgenommenen Transformationen der Begriffe Nietzsches gehen vermutlich auf Ludovici zurück und dort auf das grundlegende Missverständnis, konkrete gesellschaftliche Modelle von Nietzsche ableiten zu wollen. Yue Daiyun schreibt 1979 : Mao Dun hat bloss einige Ideen von Nietzsche als Material herangezogen und sie den tatsächlichen gesellschaftlichen Bedürfnissen Chinas gemäss umgewandelt, so dass sie hinterher mit Nietzsches ursprünglicher Absicht nichts mehr gemein hatten.
Mao Duns zentrale Thesen lauten : Seid unabhängig und nicht unterwürfig, seid fortschrittlich und nicht konservativ, seid kämpferisch und zieht euch nicht zurück, seit utilitaristisch und nicht formalistisch, seid wissenschaftlich und phantasiert nicht.
  • Document: Findeisen, Raoul David. Die Last der Kultur : vier Fallstudien zur chinesischen Nietzsche-Rezeption. In : Miima sinica ; 2 (1989)-1 (1990). S. 23-28. (Find2, Publication)
  • Document: Yu, Longfa. Begegnungen mit Nietzsche : ein Beitrag zu Nietzsche-Rezeptionstendenzen im chinesischen Leben und Denken von 1919 bis heute. Diss. Univ. Wuppertal, 2000.
    http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=959811869. S. 74-81, 91. (Yu1, Publication)
  • Person: Hoffding, Harald
  • Person: Mao, Dun
  • Person: Nietzsche, Friedrich
  • Person: Thilly, Frank