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Jaspers, Karl

(Oldenburg 1883-1969 Basel) : Deutscher Philosoph, Psychiater, Professor für Philosophie Universität Basel, Schweizer Staatsbürger

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Jaspers, Karl Theodor

Subjects

Index of Names : Occident / Philosophy : Europe : Germany / Philosophy : Europe : Switzerland

Chronology Entries (17)

# Year Text Linked Data
1 1938-1960 Jaspers, Karl. Quellen.

Crow, Carl. [Werke].
Forke, Alfred. Geschichte der alten chinesischen Philosophie [ID D1927].
Forke, Alfred. Mê Ti des Sozialethikers und seiner Schüler philosophische Werke [ID D669].
Franke, Otto. [Werke].
Gabelentz, Georg von der. [Werke].
Granet, Marcel. Danses et légendes de la Chine ancienne [ID D3253].
Granet, Marcel. Fêtes et chansons anciennes de la Chine [ID D3044].
Granet, Marcel. La civilisation chinoise [ID D3234].
Granet, Marcel. La pensée chinoise [ID D3346].
Granet, Marcel. La religion des chinois [ID D3100].
Groot, J.J.M. de. [Werke]-
Grube, Wilhelm. [Werke].
Haas, Hans. Konfuzius in Worten aus seinem eigenen Mund [ID D19242].
Hackmann, Heinrich. Chinesische Philosophie [ID D6247].
Kitayama, Junyu. Der Shintoismus, die Nationalreligion Japans. (Berlin : Limpert, 1943).
Kuhn, Franz. Djin ping meh = Schlehenblüten in goldener Vase [ID D3763].
Kuhn, Franz. Die drei Reiche [ID D1018].
Kuhn, Franz. Eisherz und Edeljaspis oder die Geschichte einer glücklichen Gattenwahl [ID D4242].
Kuhn, Franz. Die Räuber vom Liang Schan Moor [ID D4245].
Kuhn, Franz. Der Traum der roten Kammer [ID D4244].
Lao-tsze. Buch vom höchsten Wesen und vom höchsten Gut (Tao-te-kin). Aus dem Chinesischen übersetzt und erläutert von Julius Grill [ID D11979].
Lao-tse. Tao-te-king. Hrsg. und erläutert von J[ohn] G[ustav] Weiss [ID D17009].
Lao-tse. Tao te king. Aus dem Chinesischen ins Deutsche übersetzt, eingeleitet und commentirt von Victor von Strauss [ID D4587].
Lao-tsze. Weisheitsworte des Lao-tsze. [Übersetzt von] Hans Haas [ID D16076].
Laotse. Hrsg. von Lin Yutang [ID D14758].
Lin, Yutang. [Übersetzungen].
Mao, Tse-tung. Gedichte.
P'u, Sung-ling. Chinesische Geister- und Liebesgeschichten. Übers. von Martin Buber [ID D3083].
Stübe, Rudolf. [Werke].
Suzuki, Daisetz Teitaro. Die grosse Befreiung : Einführung in den Zen-Buddhismus. (Leipzig : Weller, 1939).
Sze, Mai-mai. The tao of painting : a study of the ritual disposition of Chinese painting [ID D30310].
Waley, Arthur. Lebensweisheit im alten China [ID D888].
Weber, Max. Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen : Hinduismus und Buddhismus [ID D18958].
Weber, Max. Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen : Konfuzianismus und Taoismus [ID D18412].
Wilhelm, Richard :
Das Geheimnis der goldenen Blüte : ein chinesisches Lebensbuch. Übersetzt und erläutert von Richard Wilhelm [ID D1597].
Kung-futse. Gespräche (Lun yü). Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm [ID D1581].
I ging : das Buch der Wandlungen : erstes und zweites Buch. Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm [ID D1589].
Wilhelm, Richard. K'ungtse und der Konfuzianismus [ID D1596]. [Enthält : Sima Qian].
Mong Dsi (Mong Ko). Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm [ID D4448].
Laotse. Tao te king : das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm [ID D4445].
Zenker, E[rnst] V[iktor]. Geschichte der chinesischen Philosophie [ID D4896].
  • Document: Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen. Bd. 1. (München : R. Piper, 1957). [Enthält : Buddha, Confucius, Laozi]. (Jasp2, Publication)
  • Document: Gens, Jean-Claude. Jaspers' Begegnung mit und Verhältnis zu China. (Seoul : Sixth International Jaspers Conference, 2008). [Vortrag]. (Gens2, Publication)
2 1938 Karl Jaspers schreibt an seine Schwester Erna : "Ich arbeite täglich Logik, aber nur vormittags. Nachmittags lese ich viel China. In letzter Zeit ein indisches Drama (Kausikes Zorn bei Reclam), ferner Savitri und Nala Damayanti (beides indische Erzählungen aus dem alten Epos Mahabharata, auch bei Reclam). Es sind grossartige Situationen, Anschauungen, Gesinnungen in diesen uns im Ganzen sehr fremden Gebilden. Ich habe seit einiger Zeit so stark dieses Bedürfnis nach dem unendlich Fernen, wenn es in den Wurzeln uns doch verwandt ist, - und ich habe noch immer den Globus vor mir auf dem Schreibtisch."
  • Document: Gens, Jean-Claude. Jaspers' Begegnung mit und Verhältnis zu China. (Seoul : Sixth International Jaspers Conference, 2008). [Vortrag]. (Gens2, Publication)
3 1947 Jaspers, Karl. Die Sprache. In : Von der Wahrheit. (München : R. Piper, 1947).
Jaspers schreibt : Es lässt sich nicht jeder philosophische Gedanke in jeder Sprache ausdrücken. Wenn aber eine Übersetzung des Gedankens in eine andere Sprache gelingt, so hätte er doch mit dieser anderen Sprache nicht gefunden werden können. Drei historische Sprachen der Philosophie, wo sie ursprünglich gewachsen ist (Schritt zum Rationalen) : Griechenland, Indien und China.

Das reine Denken ist Erfindung der indogermanischen Sprachen. Hat demnach Indien mehr an Wissenschaft als China ?
  • Document: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
4 1947 Jaspers, Karl. Vom europäischen Geist : Vortrag gehalten bei den Rencontres internationales de Genève, Sept. 1946. (München : R. Piper, 1947).
Jaspers schreibt : "Die Rückkehr aus der Beschäftigung mit asiatischen Werken zur Bibel und zu unseren klassischen Texten bringt uns das Gefühl des Heimatlichen. Wir werden bei längerem Verweilen in Asien müde infolge der vielen Wiederholungen, des Ausbleibens breiterer Entfaltung in der Weltverwirklichung, des Mangels an unablässig umwälzenden geistigen Bewegungen – es sei denn, dass wir aufhörten, Abendländer zu sein. Aber wir spüren dort die grosse endgültige Überwindung, eine unüberschreitbare Wahrheit und die Quelle einer tieferen Ruhe, als sie je ein Abendländer gewonnen hätte."
  • Document: Gens, Jean-Claude. Jaspers' Begegnung mit und Verhältnis zu China. (Seoul : Sixth International Jaspers Conference, 2008). [Vortrag]. (Gens2, Publication)
5 1947 Karl Jaspers schreibt an Hanna Arendt :
"Dort in China gab es reinste, unbefangenste Humanität."
"Im nächsten Semester will ich über antike Philosophie (in China, Indien, Griechenland) lesen, reichlich übermutig bei meiner Angewiesenheit auf Übersetzungen in den asiatischen Welten. Was mir während der Nazizeit eine Wohltat war als Besinnung auf die menschlichen Grundlagen überhaupt möchte ich jetzt in die Lehre sichtbar werden lassen. China ist mir – wenn man so übertrieben und töricht reden dürfte – fast zu einer zweiten Heimat geworden."
Jean-Claude Gens : Jaspers Bekanntschaft mit der asiatischen und besonders mit der chinesischen Kultur bedeutet eine Begegnung mit einer andern Menschheit zu einer Zeit, wo er am europäischen Menschsein verzweifelt.
  • Document: Gens, Jean-Claude. Jaspers' Begegnung mit und Verhältnis zu China. (Seoul : Sixth International Jaspers Conference, 2008). [Vortrag]. (Gens2, Publication)
6 1947 Qian, Zhongshu. Bu ping 'Ying wen xin zi ci dian'. In : Guan cha zhou kan ; vol. 3, no 5 (1947). [Kritik zum A dictionary of new English words, phrases, and usages ID D24242].
Er schreibt über das Wort 'existentialism' : « Cette explication n'est pas très exacte. Il vaut mieux dire : c'est une école philosophique moderne qui a été très répandue en Allemagne avant la Seconde Guerre mondiale et qui est devenue pratique courante en France après la Guerre. J'ai Die Existenzphilosophie de Karl Jaspers. Ce livre est imprimé en 1938. Sa publication est donc de quatre ou cinq ans avant L'être et le néant de Jean-Paul Sartre et Le mythe de sisyphe d'Albert Camus. Maintenant, la version anglaise des oeuvres de Kierkegaard et de Heidegger sont déjà disponibles. Il semble que cette philosophie commenc à se faire une vogue en Angleterre et aux Etats-Unis. »
  • Document: Zhang, Chi. Sartre en Chine (1939-1976) : histoire de sa réception et de son influence : essai historique. (Paris : Ed. Le manuscrit, 2008). (Basiert auf Diss. Univ. Sorbonne nouvelle. La réception de Sartre en Chine (1939-1989). Lille : Atelier national de Reproduction des Thèses, 2006). S. 162-163. (Sar1, Publication)
  • Person: Camus, Albert
  • Person: Qian, Zhongshu
  • Person: Sartre, Jean-Paul
7 1949 Jaspers, Karl. Vom Ursprung und Ziel der Geschichte [ID D19283].
Jörg Dittmer : Getragen vom Bewusstsein der Zusammengehörigkeit der verschiedenen Menschheitskulturen hat Jaspers wie nur wenige andere Philosophen seiner Zeit sich bereits früh auch der Philosophie der nichteuropäischen Kulturen zugewandt und sie in vergleichender Perspektive in seine philosophiegeschichtlichen Darstellungen einbezogen. Auf der Suche nach einem empirisch verifizierbaren einheitlichen Bezugspunkt für eine Menschheitsgeschichte jenseits aller Nationalgeschichten und eurozentrischer Perspektiven stiess Jaspers auf den Zeitraum von 800 bis 200 v. Chr., den er zusammenfassend mit dem Begriff 'Achsenzeit' umschrieb und der nur für den Gläubigen zugänglichen traditionellen christlich-abendländischen Deutung von Christus als Achse der Weltgeschichte gegenüberstellte. In dieser Zeit sei "für alle Völker ein gemeinsamer Rahmen geschichtlichen Selbstverständnisses erwachsen... Es entstand der Mensch, mit dem wir bis heute leben."
Materiale Voraussetzung dieser These ist zunächst die Beobachtung ausserordentlicher und in China, Indien und dem Abendland annähernd gleichzeitiger Entwicklungen, die Jaspers zunächst nur durch Nennung einiger Namen andeutet : "In China lebten Konfuzius und Laotse [Laozi], entstanden alle Richtungen der chinesischen Philosophie, dachten Mo-ti [Mozi], Tschuang-tse [Zhuangzi], Lie-tse [Liezi] und ungezählte andere, - in Indien entstanden die Upanischaden, lebte Budda, wurden alle philosophischen Möglichkeiten bis zur Skepsis und bis zum Materialismus, bis zur Sophistik und zum Nihilismus, wie in China, entwickelt..."
In Japsers Sichtweise geht die so charakterisierte Achsenzeit an ihrem Ende in eine Phase der Konsolidierung über, in der die Lehrmeinungen fixiert und in grossen Universalreichen "zum Gegenstand von Schule und Erziehung" gemacht wurden (die Han-Dynastie konstituierte den Konfuzianismus, Asoka den Buddhismus, das Augusteische Zeitalter die bewusste hellenisch-römische Bildung)". Was aber auch nach dem Zerfall dieser Reiche am Ende blieb, war "die Spannung zum Geiste, der in der Achsenzeit erwachsen ist und von daher ständig wirksam wurde, indem er allem menschlichen Tun eine neue Fragwürdigkeit und Bedeutung gab".
Jaspers sieht die Bedeutung der gemeinsamen Achsenzeit folgendermassen : "Von dem, was damals geschaffen und gedacht wurde, lebt die Menschheit bis heute. In jedem ihrer neuen Aufschwünge kehrt sie erinnernd zu jener Achsenzeit zurück, lässt sich von dorther neu entzünden." Das Phänomen der Renaissancen als "Erinnerung und Wiedererweckung der Möglichkeiten der Achsenzeit" schafft die Voraussetzung dafür, dass zwischen den drei Welten Chinas, Indiens und des Abendlandes "ein gegenseitiges Verstehen bis in die Tiefe möglich" ist. "Sie erkennen, wenn sie sich treffen, gegenseitig, dass es sich beim andern auch um das eigene handelt. Bei aller Ferne geschieht ein gegenseitiges Betroffensein."
Die den drei Kulturen gemeinsame historische Bezugsgrösse aber, die mehr ist als das allem Menschlichen zugrundeliegende anthropologische Substrat und weniger als die historisch-individuelle Erscheinungsform einer der drei Kulturen oder ihrer Gestaltungen, versteht er als "Aufforderung zur grenzenlosen Kommunikation. Die anderen zu sehen und zu verstehen, hilft zur Klarheit über sich selbst, zur Überwindung der möglichen Enge jeder in sich abgeschlossenen Geschichtlichkeit, zum Absprung in die Weite" und wird so zum besten "Mittel gegen die Irrung der Ausschliesslichkeit einer Glaubenswahrheit" religiöser oder weltanschaulich-ideologischer Art.
8 1949 Martin Heidegger sendet an Karl Jaspers : die Rede Was ist Metaphysik, den Vortrag Vom Wesen der Wahrheit und den Brief über den Humanismus an Karl Jaspers.
Jaspers antwortet : "Ich helfe mit etwa mit Erinnerungen an Asiatisches, zu dem ich all die Jahre gern gegangen bin, wohl wissend, nicht eigentlich einzudringen, aber auf eine wundersame Weise von dort her erweckt. Ihr 'Sein', die 'Lichtung des Seins', Ihre Umkehrung unseres Bezuges zum Sein in den Bezug des Seins zu uns, das Übrigbleiben des Seins selbst – in Asien glaube ich davon etwas wahrgenommen zu haben. Dass Sie überhaupt dahin drängen und, wie Ihre Interpretation von Sein und Zeit aussagt, immer gedrängt haben, ist ausserordentlich".
Heidegger schreibt zurück : "Was Sie über das Asiatische sagen, ist aufregend ; ein Chinese, der in den Jahren 1943-44 meine Vorlesungen über Heraklit und Parmenides hörte (ich las damals nur noch einstündig Interpretationen weniger Fragmente), fand ebenfalls Anklänge an das östliche Denken. Wo ich in der Sprache nicht einheimisch bin, bleibe ich skeptisch ; ich wurde es noch mehr, als der Chinese, der selbst christlicher Theologe und Philosoph ist, mit mir einige Worte von Laotse [Laozi] übersetzte ; durch Fragen erfuhr ich erst, wie fremd uns schon das ganze Sprachwesen ist ; wir haben den Versuch dann aufgegeben."
Trotzdem bliebe hier (im Übersetzen zwischen dem Europäischen und dem Ostasiatischen) etwas Erregendes, das wesentlich sei für die Zukunft. Die Anklänge an das Ostasiatische in seinen eigenen Schriften hätten 'vermutlich eine ganz andere Wurzel'.
  • Document: Pöggeler, Otto. Noch einmal : Heidegger und Laotse. In : Phänomenologie der Natur. Beiträge von Kah Kyung Cho [et al.] ; hrsg. von Kah Kyung Cho [et al.]. (Freiburg i.B. : Alber, 1999). (Phänomenologische Forschungen. Sonderband). S. 108. (Heid15, Publication)
  • Person: Heidegger, Martin
9 1957 Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen ]ID D17060].
Buddha.
Wirkungsgeschichte: Die Ausbreitung, damit die Verwandlung und Verzweigung des Buddhismus ist ein großes Thema der Religionsgeschichte Asiens (Die Ausbreitung ist, nur einmal durch die Initiative eines mächtigen Herrschers (Asoka) bewußt ins Weite gebracht, im ganzen ein stiller gewaltiger Vorgang.
Aus den Texten trifft uns die Einzigartigkeit einer Stimmung, die so nur hier in der Welt aufgetreten ist und ihren Widerhall im weiten Asien gefunden hat. Eine neue Lebenshaltung und metaphysische Grundverfassung werden zu einem Element chinesischen und japanischen Lebens, sänftigen die Völker Tibets, Sibiriens, der Mongolei.
Aber etwas höchst Merkwürdiges ist geschehen. In Indien, das den Buddhismus hervorgebracht hat, ist er wieder erloschen. Sofern Indien aus einem überwältigenden Instinkt indisch bleiben, d.h. in Kasten mit den alten Göttern im Rahmen der philosophisch gedachten Totalität leben wollte, verschwand dort der Buddhismus. Er war menschheitlich gemeint, hat Jahrhunderte in grossen Teilen Indiens geherrscht, und er blieb menschheitlich, als er in Indien ohne Gewaltanwendung im Laufe eines Jahrtausends ausstarb. Überall in Asien wurde er der Befreier einer vorher schlummernden Seelentiefe, aber auch überall wurde er wieder bekämpft und beiseite gedrängt, wenn die nationalen Strebungen der Völker sich durchsetzen wollten (in China und Japan).
Das Echo auf das Schweigen Buddhas ist nicht nur die Stille asiatischer Souveränität des Inneren, sondern auch der stimmenreiche und farbenreiche Lärm der phantastischen religiösen Inhalte. Das zu Überwindende wurde faktisch die Lebenssubstanz. Die zunächst fremden religiösen Formen werden zu Kleidern des buddhistischen Denkens und bald zu diesem selber. Ein eindrucksvolles Beispiel ist Tibet : Die alten Zaubermethoden werden selber zu buddhistischen Methoden, die Mönchsgemeinschaft zu einer organisierten Kirche mit weltlicher Herrschaft (mit so vielen Analogien zur katholischen Kirche, daß die erstaunten Christen hier ein Werk des Teufels sahen, der die christliche in einem verzerrten Gegenbild nachgemacht habe).
  • Document: Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen. Bd. 1. (München : R. Piper, 1957). [Enthält : Buddha, Confucius, Laozi]. S. 147, 151. (Jasp2, Publication)
  • Document: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
10 1957.1 Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen [ID D17060].
Konfuzius (1)
Durch die Schichten der umformenden Überlieferung hindurch das Bild des historischen Konfuzius zu erreichen, kann unmöglich scheinen. Obgleich seine Arbeit auch im Redigieren von Überlieferungen und in eigenem Schreiben bestand, besitzen wir doch keine Zeile, die in dieser Form sicher von ihm stammt. Die Meinungsverschiedenheiten der Sinologen sind beträchtlich auch in bezug auf wichtige Tatsachenfragen: z.B. hat nach Franke Konfuzius das I-king [Yi jing] gar nicht gekannt, das doch nach der Überlieferung in seinen letzten Lebensjahren Gegenstand seiner Studien war. Nach Forke hat Laotse [Laozi], der nach der Überlieferung der verehrte alte Meister für Konfuzius war, beträchtlich später als er gelebt. Die Befunde sind derart, daß sich plausible Gründe für und gegen vorbringen lassen. Ein historisches, wenn auch im einzelnen Ungewisses Bild ist trotzdem zu gewinnen, wenn man sich an das hält, was in den gehaltreichen Texten am überzeugendsten auf ihn selbst zurückzuführen ist. Es macht die großartige Einheit seines Wesens, oft im Widerspruch mit späteren chinesischen Bildern, fühlbar. Man darf in der alten Lebensgeschichte des Se-ma-tsien [Sima Qian] aus dem letzten Jahrhundert vor Chr. und im Lun-Yü [Lun yu] persönliche, unerfindbare Züge wahrnehmen. Man kann die geistige Situation vergegenwärtigen, in der er lebte und dachte, und die Gegner, die ein Licht auf ihn werfen.
1. Lebensgeschichte: Konfuzius (etwa 551-479) wurde geboren und starb im Staate Lu. Mit drei Jahren verlor er den Vater, wuchs, von seiner Mutter versorgt, in dürftigen Verhältnissen heran. Schon als Knabe stellte er gern Opfergefäße auf und ahmte die Gebärden der Feierlichkeiten nach. Mit 19 Jahren schloß er seine Ehe, hatte einen Sohn und zwei Töchter. Weder zu seiner Frau noch zu seinen Kindern hatte er ein herzliches Verhältnis. Er war groß an Gestalt und von überlegener Körperkraft.
Mit 19 Jahren trat er in den Dienst einer vornehmen Familie als Aufseher der Äcker und Herden. Mit 32 Jahren war er für die Söhne eines Ministers in Lu Lehrer des alten Rituals. Mit 33 Jahren machte er eine Reise zur Reichshauptstadt Lo-yang, um die Institutionen, Gebräuche und Überlieferungen des Tschou-Reiches (des alten chinesischen Einheitsreiches) zu studieren, das, faktisch zerfallen in die zahlreichen größeren und kleineren sich bekämpfenden Staaten, dort ein nur noch religiöses Zentrum hatte. Damals soll ein Besuch bei Laotse stattgefunden haben. Mit dem Herzog von Lu floh Konfuzius, 34 Jahre alt, vor der Bedrohung durch mächtige Adelsfamilien in einen Nachbarstaat. Dort hörte er Musik, lernte sie ausüben, war so hingerissen, daß er das Essen vergaß. Heimgekehrt lebte er in Lu 15 Jahre lang nur seinen Studien.
Mit 51 Jahren trat er wieder in ein Amt des Staates Lu, wurde Justizminister und schließlich Kanzler. Seine Wirksamkeit stärkte die Macht des Herzogs. Die Adelsfamilien wurden überwunden, ihre Städte der Befestigungen beraubt. Das Land blühte. Die Außenpolitik war erfolgreich. Aus Sorge vor diesem Aufschwung Lus sandte der Herzog eines Nachbarstaates dem Herzog von Lu ein Geschenk von achtzig in Tanz und Musik wohl ausgebildeten schönen Mädchen und dreißig Viergespannen prächtiger Pferde. Der Herzog fand daran so viel Vergnügen, daß er die Regierung vernachlässigte. Auf Konfuzius hörte er nicht mehr. Dieser ging - nach vierjähriger glanzvoller Tätigkeit. Langsam, mit Unterbrechungen, reiste er aus dem Lande, immer noch in der Hoffnung, zurückgerufen zu werden.
Nun folgte eine zwölfjährige Wanderzeit von seinem 56. bis 68. Lebensjahr. Er ging von Staat zu Staat, um irgendwo seine Lehre politisch verwirklichen zu können. Augenblickliche Hoffnungen und dann wieder Niedergedrücktheit, Abenteuer und erlittene Überfälle waren sein Los. Viele Geschichten werden erzählt, wie Schüler ihn begleiten, ihn mahnen und trösten, wie er einen erzwungenen Eid bricht, wie der Herzog von Wei mit seiner berüchtigten Gattin Nan-tse über den Marktplatz fährt, Konfuzius in einem Wagen nachfolgen läßt und das Volk höhnt: »Wollust voran und Tugend hinterher.« Ein Schüler macht dem Meister darob Vorwürfe. Konfuzius verläßt auch diesen Staat. Durch die Jahre verliert Konfuzius nicht das Vertrauen auf seine Berufung als politischer Erzieher und Ordner des Reiches. Wohl spricht er gelegentlich: »Laßt mich heim, laßt mich heim.« Als er schließlich, alt geworden, im 68. Lebensjahr, völlig erfolglos, in seinen Staat zurückkehrt, klagt er in einem Gedicht, nach dem langen Wandern durch neun Provinzen winke ihm am Ende kein Ziel: die Menschen sind ohne Einsicht, schnell vergehen die Jahre.
Seine letzte Lebenszeit verbrachte er still in Lu. Kein Staatsamt nahm er an. Eine tiefe Verwandlung soll mit ihm vorgegangen sein. Einst hatte ein Eremit von ihm gesagt: »Ist das nicht der Mann, der weiß, daß es nicht geht, und dennoch fortmacht?« Konfuzius’ Größe war es in der Tat all die Jahre gewesen, so zu handeln. Jetzt aber hatte der Greis verzichtet. Er studierte das geheimnisreiche »Buch der Wandlungen« und vollendete seine planvolle Begründung der neuen Erziehung literarisch durch die Redaktion der Schriften der Überlieferung und praktisch durch seine Lehrtätigkeit für einen Kreis von Schülern. Eines Morgens fühlte Konfuzius den Tod herannahen. Er ging im Hof und summte vor sich hin die Worte: »Der große Berg muß zusammenstürzen, der starke Balken muß zerbrechen, und der Weise schwindet dahin wie eine Pflanze.« Als ein besorgter Schüler ihn ansprach, sagte er: »Kein weiser Herrscher ersteht, und niemand im Reich will mich zu seinem Lehrer machen. Meine Todesstunde ist gekommen.« Er legte sich und starb nach acht Tagen, 73 Jahre alt.
2. Konfuzius' Grundgedanke: Rettung des Menschen durch Erneuerung des Altertums: In der Not der Auflösung des Reichs, in der Friedlosigkeit und Zerrüttung der Zeit, war Konfuzius einer von den vielen wandernden Philosophen, die mit ihrem Rat das Heil bringen wollten. Für alle war der Weg das Wissen, für Konfuzius der Weg des Wissens um das Altertum. Seine Grundfragen waren: Was ist das Alte? wie ist es anzueignen? wodurch wird es verwirklicht?
Diese Weise des Alten war selber etwas Neues. Was wirklich gelebt und getan wird, das ist, zum Bewußtsein gebracht, verwandelt. Weiß es um sich, dann ist es nicht mehr naiv. Ist es bloße Gewohnheit geworden, kommt in sie durch das Wissen ein bewegender und zugleich verläßlicher Charakter. Ist es vergessen, wird es wiedererinnert und wiederhergestellt. Aber wie es auch verstanden wird, es ist als Verstandenes nicht mehr dasselbe.
Durch die Übersetzung der Überlieferung in bewußte Grundgedanken wird in der Tat eine neue Philosophie wirklich, die sich als Identität mit der uralten versteht. Eigene Gedanken werden nicht als eigene zur Geltung gebracht. Die jüdischen Propheten verkündeten Gottes Offenbarung, Konfuzius die Stimme des Altertums. Das Sichbeugen unter das Alte verwehrt den Übermut, aus der eigenen Winzigkeit den ungeheuren Anspruch zu erheben. Es erhöht die Chance, Glauben und Gefolgschaft zu finden bei allen, die noch in der Substanz einer Herkunft leben. Das eigene Denken, aus dem Nichts bloßen Verstandes, ist vergeblich. »Ich habe nicht gegessen und nicht geschlafen, um nachzudenken; es nützt nichts: besser ist es zu lernen.« Aber Lernen und Denken gehören zusammen. Eins verlangt das andere. Einerseits: »Denken und nicht lernen ist ermüdend, gefährlich.« Andrerseits: »Lernen und nicht denken ist nichtig.«
»Ein Überlieferer bin ich, nicht einer, der Neues schafft: treu bin ich, liebe das Altertum.« Mit solchen Worten spricht Konfuzius seine Grundstimmung der Pietät aus. Die Substanz unseres Wesens liegt im Ursprung der Geschichte. Konfuzius entwirft ein Geschichtsbild, das die einzige Wahrheit zur Geltung bringen soll. Dabei beachtet er wenig die großen Erfinder von Wagen, Pflug, Schiff, die Fu-Hsi, Sehen Nung (den göttlichen Landmann), Huang Ti. Die eigentliche Geschichte beginnt ihm mit den Gründern von Gesellschaft und Regierung, der Sitten und Ordnungen. Am Anfang stehen die Idealgestalten von Yao, Schun, Yü: sie schauten die ewigen Urbilder im Himmel. Er preist diese Männer mit den höchsten Worten. »Nur der Himmel ist groß, nur Yao entsprach ihm.« Diese größten Gründer und Herrscher wählten jeweils den Besten der Menschen zu ihrem Nachfolger. Das Unheil begann, als mit der Hsiadynastie die Erblichkeit zur Geltung kam. Damit sank notwendig der Rang der Herrscher. Es endete schließlich mit einem Tyrannen, der als Nichtherrscher gemäß dem Willen des Himmels abgelöst wurde durch eine Umwälzung, die wieder einen echten Herrscher, Tang, den Begründer der Schangdynastie einsetzte. Da die Erblichkeit blieb, wiederholte sich dasselbe Spiel. Der Letzte der Dynastie, wieder der vollendete Tyrann, wurde im 12. Jahrhundert ersetzt durch die Tschoudynastie. Diese schuf von neuem die Grundlage durch Erneuerung der nun schon uralten chinesischen Welt. Nun, als Konfuzius lebte, ist diese wieder ohnmächtig geworden im Zerfall zu vielen Staaten. Für die Erneuerung will Konfuzius wirken. In seinem Erneuerungswillen bezieht er sich auf die Gründer der Tschoudynastie, insbesondere auf den Herzog von Tschou, der für seinen minderjährigen Neffen die Regierung führte, ohne treulos den Kaiserthron zu usurpieren. Er ist durch seine Schriften und Handlungen das Vorbild für Konfuzius selbst.
Diese Auffassung der Geschichte durch Konfuzius ist erstens »kritisch«: er unterscheidet, was gut und böse war, wählt aus, was der Erinnerung wert ist als Vorbild oder als abschreckendes Beispiel. Zweitens weiß er, daß nichts identisch in seiner Äußerlichkeit wiederhergestellt werden darf. »Ein Mann, der geboren ist in unseren Tagen und zurückkehrt zu den Wegen des Altertums, er ist ein Tor und bringt sich ins Unglück.« Es handelt sich um Wiederholung des ewig Wahren, nicht um Nachahmung des Vergangenen. Die ewigen Gedanken waren im Altertum nur offenbarer. Jetzt in der verdunkelten Zeit will er sie von neuem leuchten lassen, indem er sich selbst durch sie erfüllt.
Jedoch trägt diese Gesinnung des Abgeschlossenseins der ewigen Wahrheit in sich eine Dynamik durch die Weise, wie das Alte angeeignet wird. Sie wirkt in der Tat nicht abschließend, sondern vorantreibend. Konfuzius bringt eine lebendige Lösung des großen Problems jener Autorität, die nicht nur durch das Monopol der Gewaltanwendung die Macht ist. Wie das tatsächlich Neue in Koinzidenz mit der Überlieferung aus dem Quell ewiger Gültigkeit Substanz des Daseins wird, ist hier zum erstenmal in der Geschichte durch eine große Philosophie zum Bewußtsein gebracht: die konservative Lebensform, die bewegt ist durch aufgeschlossene Liberalität.
Wenn das Wahre in der Vergangenheit offenbar war, so ist der Weg zum Wahren die Erforschung dieser Vergangenheit, aber mit der Unterscheidung des Wahren und Falschen in ihr selber. Der Weg ist Lernen, nicht des bloßen Wissens von etwas, sondern als Aneignung. Die Wahrheit, die schon da ist, ist nicht auswendig zu lernen, sondern innerlich und damit auch äußerlich zu verwirklichen.
Der Leitfaden dieses echten »Lernens« ist das Dasein der Bücher und der Schule. Die Bücher schuf Konfuzius, indem er alte Schriften, Urkunden, Lieder, Orakel, Vorschriften für Sitten und Gebräuche auswählte und redigierte nach dem Maßstab der Wahrheit und Wirksamkeit. Die Erziehung begründete er durch Schule, zunächst durch seine private Schule, in der die Jünglinge zu kommenden Staatsmännern gebildet werden sollten. Damit ist die Weise des Lernens und Lehrens zu einem Grundproblem geworden.
Was Konfuzius unter Lernen versteht, ist nicht erreichbar ohne die Voraussetzung des sittlichen Lebens beim Schüler. Der Jüngling soll Eltern und Brüder lieben. Er soll wahrhaftig und pünktlich sein. Wer sich schlecht benimmt, wird im Lernen nie das Wesentlidie treffen. Als ein Schüler sich auf den Platz eines Älteren setzt, heißt es: »Er strebt nicht danach, Fortschritte zu machen, er will es rasch zu etwas bringen.« Im sittlichen Wandel soll er die Künste erlernen: Riten, Musik, Bogenschießen, Wagenlenken, Schreiben und Rechnen. Erst auf diesem Grunde gedeihen die literarischen Studien.
Sinnvolles Studium weiß die Schwierigkeiten und erträgt sie in dem Ringen, das nie ans Ende kommt. Ein das Lernen Liebender weiß täglich, was ihm fehlt; er vergißt nicht, was er kann; denn er gibt sich ständig Rechenschaft. Der Weg ist schwer: »Wer lernt, dringt darum noch nicht zur Wahrheit vor; wer zur Wahrheit vordringt, ist noch nicht imstande, sie zu festigen; wer sie festigt, kann darum noch nicht sie im Einzelfall abwägen.« Darum muß der Jüngling lernen, als gäbe es nimmer ein Zum-Ziele-Kommen, und als hätte er zu fürchten, es noch zu verlieren. Aber einen Schüler, der meint, seine Kraft reiche nicht aus, ermutigt Konfuzius: »Wem seine Kraft nicht ausreicht, der bleibt auf halbem Wege liegen; aber du beschränkst dich ja von vornherein selber.« Fehler dürfen nicht lahmen: »Einen Fehler begehen und ihn nicht wieder gutmachen (sich nicht ändern), erst das heißt fehlen.« Sein Lieblingsschüler wird gerühmt: »Er machte keinen Fehler zum zweitenmal.«
Konfuzius spricht von seinem Verhältnis zu den Schülern. »Wem es nicht ernstlich darum zu tun ist, etwas zu lernen, dem erteile ich nicht meinen Unterricht; wer sich nicht wirklich bemüht, sich auszudrücken, dem helfe ich nicht nach. Habe ich eine Ecke gezeigt, und er kann nicht von sich selber auf die drei anderen kommen, so ist es bei mir vorbei mit dem Erklären.« Aber die Weise der Bewährung liegt nicht in der sofortigen Antwort: »Ich redete mit Hui den ganzen Tag; er erwiderte nichts wie ein Tor. Ich beobachtete ihn beim Alleinsein; da war er imstande, meine Lehre zu entwickeln. Er ist kein Tor.« Konfuzius lobt nicht über Gebühr. »Spende ich einem Lob, so ist es, weil ich ihn erprobt habe.«
Seine eigenen Studien beschreibt Konfuzius. Nicht von Geburt habe er das Wissen, erst als Liebhaber des Altertums sei er ernstlich darauf aus, es zu gewinnen. Er achte auf seine Weggenossen, dem einen abzusehen, was Gutes an ihm sei, und es zu befolgen, dem ändern sein Nichtgutes, um es selber anders zu machen. Ihm sei das ursprüngliche Wissen versagt. »Vieles hören, das Gute davon auswählen und ihm folgen, vieles sehen und es sich merken, das ist wenigstens die zweite Stufe der Weisheit.« Langsam im Gange der Lebensalter vollzog sich sein Fortschritt: »Ich war fünfzehn, und mein Wille stand aufs Lernen, mit dreißig stand ich fest, mit vierzig hatte ich keine Zweifel mehr, mit fünfzig war mir das Gesetz des Himmels kund, mit sechzig war mein Ohr auf getan; mit siebzig konnte ich meines Herzens Wünschen folgen, ohne das Maß zu überschreiten.«
Der Sinn alles Lernens ist die Praxis. »Wenn einer alle dreihundert Stücke des Liederbuches auswendig hersagen kann, und er versteht es nicht, mit der Regierung beauftragt, (seinen Posten) auszufüllen oder kann nicht selbständig antworten, wenn er als Gesandter ins Ausland geschickt wird: wozu ist (einem solchen Menschen) alle seine viele Gelehrsamkeit nütze?«
Beim Lernen kommt es auf die innerliche Formung an. »Warum doch, Kinder, studiert ihr nicht die Lieder? An den Liedern kann man sich aufrichten, an ihnen kann man sich selbst prüfen, an ihnen Geselligkeit lernen, an ihnen hassen lernen und lernen, zu Hause dem Vater und draußen dem Fürsten zu dienen.« »Des Liederbuchs drei Hundert sind befaßt in dem einen Worte: Keine schlimmen Gedanken hegen.«
Ohne Lernen sind andererseits alle anderen Tugenden in der Umnebelung und entarten sogleich: Ohne Lernen wird Geradheit zu Grobheit, Tapferkeit zu Ungehorsam, Festigkeit zu Schrullenhaftigkeit, wird Humanität zu Dummheit, Weisheit zu Zerfahrenheit, Wahrhaftigkeit zum Ruin.
Wie das Neue dieser Philosophie in der Gestalt des Alten sich ausspricht, das ist nun als Philosophie des Konfuzius näher darzulegen. Es sind zu zeigen erstens das sittlich-politische Ethos und sein Gipfel im Ideal des »Edlen«, zweitens die Gedanken des beherrschenden Grundwissens, drittens wie die schöne Vollendung dieser Gedankenwelt in die Schwebe gebracht ist durch das Grenzbewußtsein des Konfuzius, nämlich sein Wissen um die Grenze der Erziehung und der Mitteilbarkeit, des Erkennens, sein Wissen um sein eigenes Scheitern und seine Berührung dessen, was sein gesamtes Werk zugleich in Frage stellt und trägt.

3. Das sittlich-politische Ethos des Konfuzius: Grundlegend sind die Sitten und die Musik. Es kommt an auf die Formung, nicht die Tilgung der gegebenen Natur. Das Ethos verwirklicht sich im Umgang der Menschen miteinander und in der Regierung. Es wird sichtbar in der Gestalt des einzelnen Menschen als dem Ideal des »Edlen«.
a) Li: Die Ordnung wird durch Sitten, (li, Gebote des Benehmens) erhalten. »Ein Volk kann nur durch Sitte, nicht durch Wissen geleitet werden.« Die Sitten schaffen den Geist des Ganzen und werden wiederum von ihm beseelt. Der Einzelne wird nur durch die Tugenden der Gemeinschaft zum Menschen. Die li bedeuten die ständige Erziehung aller. Sie sind die Formen, durch die in allen Daseinssphären die gehörige Stimmung entsteht, die ernsthafte Teilnahme an den Sachen, das Vertrauen, die Achtung. Sie lenken den Menschen durch etwas Allgemeines, das durch Erziehung erworben und zur zweiten Natur wird, so daß das Allgemeine als das eigene Wesen, nicht als aus Zwang empfunden und gelebt wird. Dem Einzelnen geben die Formen Festigkeit und Sicherheit und Freiheit.
Konfuzius hat die li in ihrer Gesamtheit zum Bewußtsein gebracht, sie beobachtet, gesammelt, ausgesprochen und geordnet. Die ganze Welt chinesischer Sitten steht ihm vor Augen: der Anstand, mit dem man geht, grüßt, sich gesellig verhält und dies je nach Situation in besonderer Form; die Weisen der Opfer, der Feiern, der Feste; die Riten bei Hochzeit, Geburt, Tod und Begräbnis; Regeln der Verwaltung; die Ordnungen der Arbeit, des Krieges, des Tageslaufs, der Jahreszeiten, der Lebensstufen, der Familie, der Behandlung der Gäste; die Funktionen des Hausvaters, des Priesters; die Formen des Lebens am Hofe, der Beamten. Die berühmte und vielgeschmähte chinesische Lebensordnung in Formen hat durch Jahrtausende einen Bestand gehabt, beherrscht von einem alles durchdringenden Ordnungszweck, aus dem der Mensch keinen Augenblick herausfallen kann, ohne Schaden zu nehmen.
Bei Konfuzius nun haben die li keineswegs einen absoluten Charakter. »Geweckt wird man durch die Lieder, gefestigt durch die li, vollendet durch Musik.« Die bloße Form hat wie das bloße Wissen keinen Wert ohne Ursprünglichkeit, die sie erfüllt, ohne die Menschlichkeit, die sich in ihr auswirkt.
Mensch wird, wer »sein Selbst überwindend sich in die Schranken der li, der Gesetze der Sitte, begibt.« Wenn zum Beispiel die Gerechtigkeit auch die Hauptsache ist, so »läßt sich der Edle bei ihrer Ausübung leiten von den li«. Die li und der Gehalt (Ursprünglichkeit) sollen im Gleichgewicht sein. »Bei wem der Gehalt überwiegt, der ist ungeschlacht, bei wem die Form überwiegt, der ist ein Schreiber (geistiger Stutzer).« Bei der Ausübung der Formen ist die Hauptsache »Freiheit und Leichtigkeit«, aber »diese Freiheit nicht durch den Rhythmus fester Formen regeln, das geht auch nicht«.
»Ein Mensch ohne Menschenliebe, was helfen dem die li?« »Hervorragende Stellung ohne große Artung, Kultus ohne Ehrfurcht, Beerdigungsgebräuche ohne Herzenstrauer: solche Zustände kann ich nicht mit ansehen.« Wer bei der Darbringung eines Opfers nicht innerlich anwesend ist, bei dem ist es, als habe er gar nicht geopfert.
Die Notwendigkeit des Gleichgewichts von li und Ursprünglichkeit läßt Konfuzius die eine wie die andere Seite betonen. »Die auf dem Gebiete der li und der Musik die Bahn gebrochen, sind uns rohe Leute; die in der Folge auf diesem Gebiete vorschritten, sind uns fein gebildet. Soll ich Gebrauch machen, so folge ich lieber denen, die zuerst die Bahn gebrochen haben.« Dann wieder wird die Form als Form bewertet: Tse-kung [Zigong] war für die Abschaffung des jeweils am ersten des Monats üblichen Schafopfers. Der Meister sprach: »Mein lieber Tse, dir ist es um das Schaf, mir um den Brauch« (li).
In dem Denken des Konfuzius wird Sitte, Sittlichkeit und Recht noch nicht unterschieden. Um so klarer fällt der Blick auf deren gemeinsame Wurzel. Es ist auch nicht die Unterscheidung von ästhetischunverbindlich und ethisch-verbindlich, des Schönen und des Guten da. Um so heller ist, daß das Schöne nicht schön ist, ohne gut zu sein, und das Gute nicht gut, ohne schön zu sein.
b) Musik: In der Musik sah Konfuzius mit den li den Erziehungsfaktor ersten Ranges. Der Geist der Gemeinschaft wird bestimmt durch die Musik, die gehört wird; der Geist des Einzelnen findet hier die Motive, die sein Leben ordnen. Daher hat die Regierung Musik zu fördern und zu verbieten: »Man nehme die Schan-Musik mit ihren Rhythmen, man verbiete die Dschong-Musik, denn der Klang der Dschong ist ausschweifend.«
In dem Liki [Li ji] finden sich Erörterungen, die dem Sinn des Konfuzius gemäß sind: »Wer Musik versteht, erreicht dadurch die Geheimnisse der Sitte.« »Die höchste Musik ist stets leicht und höchste Sitte stets einfach; die höchste Musik entfernt den Groll, die höchste Sitte entfernt den Streit.« »In der Sichtbarkeit herrschen Sitte und Musik; im Unsichtbaren herrschen Geister und Götter.« »Verwirrte Musik und das Volk wird zuchtlos ... Die Kraft der ausgelassenen Lust wird erregt, und die Geisteskraft der ruhigen Harmonie vernichtet.« »Wenn man die Töne der Lobgesänge hört, so wird Sinn und Wille weit.« Aber auch die Musik ist, wie die li, nicht an sich absolut: »Ein Mensch ohne Menschenliebe, was hilft dem die Musik?«
c) Natur und Formung: Konfuzius steht allem Natürlichen bejahend gegenüber. Allem wird seine Ordnung, sein Maß, sein Ort gegeben, nichts wird verworfen. Daher Selbstüberwindung, aber nicht Askese.
Durch Formung wird die Natur gut, durch Vergewaltigung entsteht Unheil. Auch Haß und Zorn haben ihr Recht. Der Gute kann in der rechten Weise lieben und hassen, z.B.: »Er haßt die, welche selbst niedrig sind und Leute, die über ihnen stehen, verleumden; er haßt die Mutigen, die keine Sitte kennen; er haßt die waghalsigen Fanatiker, die beschränkt sind.«
d) Umgang mit Menschen: Der Umgang mit Menschen ist das Lebenselement des Konfuzius. »Der Edle vernachlässigt nicht seine Nächsten.« Im Umgang aber stößt man auf Gute und Schlechte. Wohl gilt da: »Habe keinen Freund, der dir nicht gleich ist«, aber gegen den Satz: »Mit denen, die es wert sind, Gemeinschaft haben, die, die es nicht wert sind, fernhalten«, sagt Konfuzius vielmehr: »Der Edle ehrt den Würdigen und erträgt alle.« Doch im Umgang mit jedermann bleibt er besonnen: »Anlügen mag der Edle sich lassen, übertölpeln nicht. Der Edle befördert das Schöne der Menschen, der Gemeine das Unschöne.« Der Geist zusammenlebender Menschen wächst daher nach der einen oder anderen Seite hin. »"Was einen Ort schön macht, ist die dort waltende Humanität. Wer, wenn er wählen kann, nicht unter Humanen sich niederläßt, ist nicht weise.«
Die menschlichen Beziehungen wandeln sich ab in folgenden Grundbeziehungen: Zu den Lebensaltern: »Den Alten möchte ich Ruhe geben; gegen Freunde möchte ich Treue üben; die Jugend möchte ich zärtlich lieben.« - Das rechte Verhalten zu den Eltern: Ihnen im Leben dienen, sie nach dem Tode recht bestatten, in der Folge ihnen opfern. Es genügt nicht, die Eltern zu ernähren; »fehlt die Ehrerbietung, wo wäre da ein Unterschied zu den Tieren«. Man darf ihnen, im Falle sie zu irren scheinen, Vorstellungen machen, aber in Ehrerbietung, und hat ihrem Willen zu folgen. Der Sohn deckt die Verfehlungen des Vaters. — Gegen Freunde: Du sollst keine Freunde haben, die nicht wenigstens so gut sind wie du selbst. Treue ist die Grundlage. Man wird sich gegenseitig »getreulich ermahnen und geschickt zurecht führen«. Es gibt Verantwortung dafür, wem man sich verbindet oder nicht verbindet. »Läßt sich mit einem reden, und man redet nicht mit ihm, so hat man einen Menschen verloren; läßt sich nicht mit einem reden, und man redet mit ihm, so hat man seine Worte verloren.« Falsch sind glatte Worte, gefällige Miene, übertriebene Höflichkeit, falsch ist es, seinen Widerwillen zu verbergen und den Freund zu spielen. Freunde sind verläßlich: »Wenn das Jahr kalt ist, weiß man, daß Pinien und Zypressen immergrün sind.« - Gegen die Obrigkeit: »Ein guter Beamter dient dem Fürsten gemäß dem rechten Wege; ist ihm das nicht möglich, so tritt er zurück.« Er wird den Fürsten »nicht hintergehen, aber ihm offen widerstehen«, »wird mit belehrenden Vorstellungen nicht zurückhalten«. »Befindet sich das Land auf dem rechten Wege, mag er kühn reden und kühn handeln; befindet es sich nicht auf dem rechten Wege, so mag er kühn vorgehen, aber wird behutsam in seinen Worten sein.« - Gegen Untergebene: Der Edle gibt seinen Dienern keinen Anlaß zum Groll darüber, daß er sie nicht gebraucht, er verlangt aber nichts Vollkommenes von einem Menschen (während der Gemeine in seiner Verwendung der Leute Vollkommenheit fordert), er berücksichtigt ihre Fähigkeiten, er verwirft alte Vertraute nicht ohne schwerwiegenden Grund. Aber er weiß auch die Schwierigkeiten bei Schlechten: »Ist man zu intim, so werden sie plump vertraulich; hält man sich zurück, so werden sie unzufrieden.«
Auffällig ist die Gleichgültigkeit des Konfuzius gegen die Frauen. Er schweigt über das Verhältnis der Ehegatten, urteilt abfällig über Frauen, hat für einen Doppelselbstmord Liebender nur Verachtung, sagt gern, nichts sei schwieriger zu behandeln als Weiber. Die Atmosphäre um ihn ist maskulin.
e) Regierung: Die politische Regierung ist das, worauf sich alles andere bezieht und wovon es sich herleitet. Konfuzius denkt in der Polarität dessen, was zu machen ist, und dessen, was wachsen muß. Gute Regierung ist nur möglich in dem Zustand, der durch die li, durch die rechte Musik, durch die menschlichen Umgangsweisen geprägt ist als das heilvolle Zusammenleben. Dieser Zustand muß wachsen. Wenn er aber nicht zu machen ist, so läßt er sich doch fördern oder stören.
Ein Mittel der Regierung sind Gesetze. Aber Gesetze haben Folgen nur in begrenztem Umfang. Und an sich sind sie unheilvoll. Besser ist das Vorbild. Denn wo Gesetze leiten sollen, da wird sich das Volk ohne Scham den Strafen entziehen. Wo dagegen das Vorbild leitet, da wird das Volk Scham empfinden und sich bessern. Wenn an die Gesetze appelliert wird, ist schon etwas nicht in Ordnung. »Im Anhören von Klagesachen bin ich nicht besser als Irgendein anderer. Woran mir aber alles liegt, das ist, zu bewirken, daß gar keine Klagesachen entstehen.«
Für drei Ziele muß eine rechte Regierung sorgen: für genügende Nahrung, für genügende Wehrmacht und für das Vertrauen des Volkes zur Regierung. Muß man von diesen dreien etwas aufgeben, so kann man am ehesten auf die Wehrmacht verzichten, dann auf die Nahrung (»von altersher müssen die Menschen sterben«), nie aber kann man auf Vertrauen verzichten: »Wenn das Volk kein Vertrauen hat, so ist Regierung überhaupt unmöglich.« Das ist die Rangordnung des Wesentlichen. Im planenden Vorgehen aber kann man nicht mit der Forderung von Vertrauen anfangen. Dieses ist überhaupt nicht zu fordern, sondern zum spontanen Wachsen zu bringen. Für das Planen ist das erste: »das Volk wohlhabend machen«, — das zweite: »es bilden«.
Zur guten Regierung gehört der gute Fürst. Er läßt die natürlichen Quellen des Reichtums fließen. Er wählt vorsichtig, mit welcher Arbeit die Menschen zu bemühen sind; dann murren sie nicht. Er ist erhaben, ohne hochmütig zu sein, das heißt: er behandelt die Menschen nicht geringschätzig, ob er es mit Vielen oder Wenigen, mit Großen oder Kleinen zu tun hat. Er ist ehrfurchtgebietend, ohne heftig zu sein. Wie der Polarstern steht er ruhig und läßt alles um sich herum in Ordnung sich bewegen. Weil er selbst das Gute will, wird auch das Volk gut. »Lieben die Oberen die gute Sitte, so wird das Volk leicht zu handhaben sein.« »Wenn einer nur in eigener Person recht ist, so braucht er nicht zu befehlen, und es geht doch.«
Der gute Fürst versteht die Wahl der rechten Beamten. Selber würdig, fördert er die Würdigen. »Man muß die Geraden erheben, daß sie auf die Verdrehten drücken, dann werden die Verdrehten gerade.« »Vor allem sorge für geeignete Beamte, dann sieh hinweg über kleine Fehltritte.« Aber: »Mit jemandem, der sich dazu hergibt, zu tun, was unschön ist, läßt ein Edler sich nicht ein.«
Wer das Gute weiß und will, kann nicht gemeinsam mit Schlechten regieren: »Oh, dieses Pack! Ist es überhaupt möglich, mit ihnen zusammen dem Fürsten zu dienen?« Ihre Sorge ist nur, wie sie es zu etwas bringen, und, wenn sie es erreicht haben, daß sie es nicht verlieren. Es gibt nichts Schlimmes, dazu sie nicht fähig wären. Daher sagt, als Konfuzius berufen werden soll, ein Ratgeber: »Wenn ihr ihn berufen wollt, so dürft ihr ihn nicht durch kleine Menschen hemmen, dann geht es.«
Zahlreich sind des Konfuzius weitere Äußerungen über Regierungsweisheit. Es sind durchweg allgemeine sittliche Hinweise, z. B. »Man darf nichts überhasten wollen, damit dringt man nicht durch. Man darf nicht auf kleinen Vorteil sehen, denn so kann kein großes Werk geraten.«
Bei allem denkt Konfuzius an den Staatsmann, der, vom Fürsten erwählt, ihm dienend, mit seiner Zustimmung und seinem Verständnis den Gang der Dinge lenkt. Der große Staatsmann zeigt sich in der Wiederherstellung und Befestigung des sittlich-politischen Zustandes im Ganzen.
Für das Eingreifen in die geschichtliche Wirklichkeit im Sinne dieser Verwandlung des Gesamtzustandes zum Besseren stellt Konfuzius zwei Grundsätze auf. Erstens: Der befähigte Mann muß auch an der rechten Stelle stehen. »Wenn ein Mensch den Thron innehat, aber nicht die nötige Kraft des Geistes besitzt, soll er nicht wagen, Änderungen in der Kultur vorzunehmen. Ebenso wenn einer die Kraft des Geistes hat, aber nicht die höchste Autorität, so kann er es auch nicht wagen, Änderungen in der Kultur vorzunehmen.« Zweitens: Die öffentlichen Verhältnisse müssen derart sein, daß ein Wirken überhaupt möglich ist. Wo das Unheil durch die Realität der zur Zeit lebenden Menschen keine Chance zu vernünftig wirksamem Handeln zeigt, hält sich der echte Staatsmann verborgen. Er wartet. Er läßt sich nicht ein, mit dem Bösen zu wirken, mit niedrigen Menschen in Gemeinschaft zu treten. In diesen Grundsätzen steckt etwas von Platos Gedanken: die menschlichen Zustände werden nicht besser, ehe nicht die Philosophen Könige oder die Könige Philosophen werden. Daher suchte Konfuzius sein Leben lang den Fürsten, dem er die Kraft seines Geistes leihen könne. Es war vergeblich.
f) Der Edle: Alles Gutsein, alle Wahrheit, alles Schöne steht dem Konfuzius vor Augen in dem Ideal des Edlen (Kiün-tse). In ihm vereinigen sich die Gedanken an den höheren Menschen mit dem in der soziologischen Hierarchie Hochstehenden, vereinigt sich der Adel der Geburt und des Wesens, vereinigt sich das Benehmen des Gentleman mit der Verfassung des Weisen.
Der Edle ist kein Heiliger. Der Heilige wird geboren und ist, was er ist, der Edle wird erst durch Selbsterziehung. »Die Wahrheit haben ist des Himmels Weg, die Wahrheit suchen ist der Weg des Menschen. Wer das Wahre hat, trifft das Rechte ohne Mühe, erlangt Erfolg ohne Nachdenken.« Wer die Wahrheit sucht, der wählt das Gute und hält es fest. Er forscht, er fragt kritisch, er denkt sorgfältig darüber nach, er handelt entschlossen danach. »Andere können es vielleicht aufs erstemal, ich muß es zehnmal machen; andere können es vielleicht aufs zehntemal, ich muß es tausendmal machen. Wer aber wirklich die Beharrlichkeit besitzt, diesen Weg zu gehen: mag er auch töricht sein, er wird klar werden; mag er auch schwach sein, er wird stark werden.«
Der Edle wird in seinen einzelnen Charakterzügen, Denkweisen, Gebärden gezeigt:
Er wird kontrastiert dem Gemeinen. Der Edle versteht sich auf Gerechtigkeit, der Gemeine auf Profit. Der Edle ist ruhig und gelassen, der Gemeine beständig voller Ängste. Der Edle ist verträglich, ohne sich gemein zu madien, der Gemeine macht sich mit aller "Welt gemein, ohne verträglich zu sein. Der Edle ist würdevoll ohne Hochmut, der Gemeine hochmütig ohne Würde. Der Edle bleibt fest in der Not, der Gemeine gerät in Not außer Rand und Band. Der Edle geht bei sich selbst auf die Suche, der Gemeine geht bei Anderen auf die Suche. Den Edlen zieht es nach oben, den Gemeinen nach unten.
Der Edle ist unabhängig. Er erträgt langes Ungemach wie langes Glück, lebt frei von Furcht. Ihn schmerzt sein eigenes Unvermögen, nicht aber, daß die anderen ihn nicht kennen.
Er macht sich selber recht und verlangt nichts von anderen Menschen; er bleibt frei von Groll. Nach oben grollt er nicht dem Himmel, nach unten nicht den Menschen.
Er läßt sich auf kein Rivalisieren ein, oder, wenn es sein muß, etwa nur beim Bogenschießen. Aber auch beim Wettstreit bleibt er der Edle.
Er liebt es, langsam im Wort und rasch im Tun zu sein. Er scheut sich davor, daß seine Worte seine Taten übertreffen. Ihm gilt: erst handeln und dann mit seinen Worten sich danach richten.
Er hat Ehrfurcht vor der Bestimmung des Himmels, vor großen Männern.
Der Edle verliert sich nicht an das Ferne, nicht an das Abwesende. Er steht im Hier und Jetzt, in der wirklichen Situation. »Der Weg des Edlen ist gleich einer weiten Reise: man muß in der Nähe anfangen.« »Der Weg des Edlen nimmt seinen Anfang bei den Angelegenheiten des gewöhnlichen Mannes und Weibes, aber er reicht in Weiten, da er Himmel und Erde durchdringt.«
»Der Edle richtet sich nach seiner Stellung bei allem, was er tut... Wenn er sich in Reichtum und Ehren sieht ... in Armut und Niedrigkeit sieht... sich unter Barbaren sieht... sich in Leid und Schwierigkeiten sieht... der Edle kommt in keine Lage, in der er sich nicht selber findet.« In allem und jederzeit bleibt er sich selber gleich. »Wenn das Land auf rechtem Wege ist, bleibt er derselbe, der er war, als er noch nicht Erfolg hatte ... Wenn das Land auf falschem Wege ist, so ändert er sich nicht, ob er auch sterben müßte.«
  • Document: Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen. Bd. 1. (München : R. Piper, 1957). [Enthält : Buddha, Confucius, Laozi]. S. 154-185. (Jasp2, Publication)
11 1957.2 Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen [ID D17060].
Konfuzius (2)
4. Das Grundwissen: Unsere bisherige Darstellung sammelte, was in der Form der Spruchweisheit in den auf Konfuzius bezogenen Schriften als das sittlich-politische Ethos mitgeteilt wurde. Diese Weisheit ist aber durchdrungen von Grundgedanken, die einen begrifflichen Charakter gewinnen.
a) Die große Alternative: Konfuzius weiß sich vor der großen Alternative: sich von der Welt zurückzuziehen in die Einsamkeit oder mit den Menschen zusammen in der Welt zu leben und diese zu gestalten. Seine Entscheidung ist eindeutig. »Mit den Vögeln und Tieren des Feldes kann man doch nicht zusammen hausen. Wenn ich nicht mit Menschen zusammen sein will, mit wem soll ich dann Zusammensein?« Der Ausspruch ist: »Wer nur darauf bedacht ist, sein eigenes Leben rein zu halten, der bringt die großen menschlichen Beziehungen in Unordnung.« In schlimmen Zeiten mag es scheinen, daß nichts übrig bleibt, als in die Verborgenheit zu gehen und für sein persönliches Heil zu sorgen. Von zwei solchen Einsiedlern sagt Konfuzius: »In ihrem persönlichen Wandel trafen sie die Reinheit, in ihrem Rückzug trafen sie das den Umständen Entsprechende. Ich bin verschieden davon. Für mich gibt es nichts, das unter allen Umständen möglich oder unmöglich wäre.« Seine Toleranz gegenüber den Einsiedlern bringt für Konfuzius selber nur die Entschiedenheit: »Wenn der Erdkreis in Ordnung wäre, so wäre ich nicht nötig, ihn zu ändern.«
In der Hinwendung zum Menschen und seiner Welt entwickelt Konfuzius Gedanken, die als sein Grundwissen herauszuheben sind. Diese Gedanken gehen auf die Natur des Menschen, - dann auf die Notwendigkeit der Ordnung der Gemeinschaft, - dann auf die Frage, wie Wahrheit in der Sprache da ist, - dann auf die Grundform unseres Denkens, daß Wahrheit in ihrer Wurzel und in ihren Verzweigungen ist, im Unbedingten des Ursprungs und im Relativen der Erscheinung, - schließlich auf das Eine, das alles zusammenhält und auf das alles Bezug hat. Jedesmal sind der Mensch und seine Gemeinschaft das wesentliche Anliegen des Konfuzius.
b) Die Natur des Menschen: Die Natur des Menschen heißt Yen. Yen ist Menschlichkeit und ineins Sittlichkeit. Das Schriftzeichen bedeutet Mensch und zwei, das heißt: Menschsein ist in Kommunikation sein. Die Frage nach der Natur des Menschen findet Antworten erstens in der Erhellung des Wesens, das er ist und zugleich sein soll, zweitens in der Darstellung der Mannigfaltigkeit seines Daseins.
Erstens: Der Mensch soll zum Menschen werden. Denn der Mensch ist nicht wie die Tiere, die sind, wie sie sind, so daß die Instinkte ihr Dasein ohne denkendes Bewußtsein ordnen. Der Mensch vielmehr ist noch sich selbst Aufgabe. Darum kann er im Zusammenleben mit Tieren seinen Sinn nicht finden. Tiere kommen zusammen, sind aneinander gedankenlos gebunden oder laufen auseinander. Menschen gestalten ihr Zusammensein und binden es über alle Instinkte hinaus daran, daß sie Menschen sein sollen.
Das Menschsein ist Bedingung alles bestimmten Guten. Nur wer im Yen ist, kann wahrhaft lieben und hassen. Yen ist allumfassend, nicht eine Tugend unter anderen, sondern Seele aller Tugenden.
Da Yen das "Wesen des Menschen ist, ist es immer ganz nah. Wem es ernsthaft darum zu tun ist, dem ist es immer gegenwärtig.
Yen wird daher in allen besonderen Erscheinungen beschrieben: in der Pietät, in Weisheit und Lernen, in der Gerechtigkeit. Für einen Fürsten werden fünf Eigenschaften der Menschlichkeit angegeben: Würde, und er wird nicht mißachtet; Weitherzigkeit, und so gewinnt er die Menge; Wahrhaftigkeit, und so hat er Vertrauen; Eifer, so hat er Erfolg; Gütigkeit, so ist er fähig, die Menschen zu verwenden. Eine Ableitung der Tugenden kennt Konfuzius nicht. Yen ist der umfassende Ursprung. Von dort her wird alle Tüchtigkeit, Regelhaftigkeit, Richtigkeit erst zur Wahrheit. Von dort her kommt das zweckfreie Unbedingte: »Der Sittliche setzt die Schwierigkeit voraus und den Lohn hintan.«
Dem Yen gemäß handeln, das ist nicht Handeln nach einem bestimmten Gesetz, sondern nach dem, wodurch alle bestimmten Gesetze erst Wert haben und zugleich ihrer Absolutheit beraubt sind. Der Charakter des Yen, obgleich undefinierbar, wird aber doch von Konfuzius umschrieben: Er sieht ihn in dem, was er Maß und Mitte nennt. »Maß und Mitte sind der Höhepunkt menschlicher Natur.« Sie wirken von innen nach außen: »Der Zustand, da Hoffnung und Zorn, Trauer und Freude sich noch nicht regen, heißt die Mitte. Der Zustand, da sie sich äußern, aber in allem den rechten Rhythmus treffen, heißt Harmonie.« Weil dann das Innerste sich zeigt, hier im Ursprung aber alles entschieden wird, ist in bezug auf Maß und Mitte die größte Gewissenhaftigkeit gefordert: »Es gibt nichts Offenbareres als das Geheime, es gibt nichts Deutlicheres als das Allerverborgenste; darum ist der Edle vorsichtig in dem, was er allein für sich ist.«
Diese geheimnisvolle Mitte nun zu umschreiben, das gelingt Konfuzius nur durch den Gedanken des Mittleren zwischen den Extremen, z.B. Schun »faßte die beiden Enden einer Sache an und handelte den Menschen gegenüber der Mitte entsprechend«. Ein anderes Beispiel: »Weitherzig sein und mild im Lehren und nicht vergelten denen, die häßlich handeln: das ist die Stärke des Südens. In Stall und Leder schlafen und sterben, ohne zu müssen: das ist die Stärke des Nordens. Aber der Edle steht in der Mitte und beugt sich nach keiner Seite.«
Das Außerordentliche von Maß und Mitte wird so ausgesprochen: »Es kann einer ein Reich ins Gleiche bringen, es kann einer auf Amt und Würden verzichten, es kann einer auf bloße Messer treten - und Maß und Mitte doch noch nicht beherrschen.«
Zweitens: Was der Mensch sei, zeigt sich in der Mannigfaltigkeit des Menschseins. Durch das was ihr Wesen - Yen - ist, stehen die Menschen sich nahe. Sie gehen aber auseinander »durch die Gewöhnung«, weiter durch das, was sie als einzelne Menschen in ihrer Besonderheit, ihrem Alter, den Stufen ihrer Artung und ihres Wissens sind.
Die Lebensalter: »In der Jugend, wenn die Lebenskräfte noch nicht gefestigt sind, muß man sich vor der Sinnlichkeit hüten, im Mannesalter, wenn die Lebenskräfte in voller Stärke sind, vor Streitsucht, und im Greisenalter, wenn die Kräfte schwinden, vor Geiz.« - Vor der Jugend soll man Scheu haben. »Wenn einer aber vierzig, fünfzig Jahre alt geworden ist, und man hat noch nichts von ihm gehört, dann freilich braucht man ihn nicht mehr mit Scheu zu betrachten.« »Wer mit vierzig Jahren verhaßt ist, der bleibt so bis an sein Ende.«
Menschentypen: Konfuzius unterscheidet vier Stufen der menschlichen Artung. Die höchste umfaßt die Heiligen, die von Geburt an im Besitz des Wissens sind. Konfuzius hat keinen solchen Heiligen gesehen, aber er zweifelt nicht an ihrer Existenz in der Vorzeit. Die zweite Stufe sind die, die durch Lernen sich erst in den Besitz des Wissens setzen müssen; sie können »Edle« werden. Den Menschen der dritten Stufe fällt es schwer zu lernen, doch lassen sie es sich nicht verdrießen. Der vierten Stufe fällt es schwer und sie macht auch keine Anstrengung. Die beiden mittleren Stufen sind auf dem Wege, sie schreiten fort, und sie können versagen. »Nur die höchststehenden Weisen und tiefstehenden Narren sind unveränderlich.«
Konfuzius beobachtet auch Kennzeichen der Menschenartung. Zum Beispiel: »Die Überschreitungen eines Menschen entsprechen seiner Wesensartung.« Der Wissende freut sich am Wasser, denn der Wissende ist bewegt. Der Fromme (Sittliche) freut sich am Gebirge, denn der Fromme ist ruhig.
c) Unbedingtheit im Ursprung und Relativität in der Erscheinung: Wahrheit und Wirklichkeit sind eins. Der bloße Gedanke ist wie nichts. Die Wurzel des menschlichen Heils liegt in der »Erkenntnis, die die Wirklichkeit beeinflußt«, d.h. in der Wahrheit der Gedanken, die sich als inneres, verwandelndes Handeln vollziehen. Was im Innern wahr ist, das gestaltet sich im Äußeren.
Denkformen und Seinsformen bewegen sich in dem Grundverhältnis: »Die Dinge haben Wurzeln und Verzweigungen.« Die Unbedingtheit des Ursprungs tritt in die Relativität der Erscheinungen. Daher kommt es auf den ehrlichen Ernst im Ursprünglichen und auf die Liberalität in bezug auf die Erscheinungen an.
»Mit Wahrmachen der Gedanken ist gemeint, daß man sich nicht selbst betrügt.« Der Edle achtet stets auf sich, was er für sich allein tut. »Es ist, als ob zehn Augen auf dich blickten, wie ernst und furchtbar ist das doch!« Innere Würde wird erlangt durch Selbstachtung vermöge Selbstbildung. »Wenn einer sich innerlich prüft und kein Übles da ist, was sollte er da traurig sein, was sollte er fürchten?« Aber Konfuzius sieht auch, wie schwer, wie unerreichbar das ist.
Ist die Wurzel gut, d.h. ist sie die Erkenntnis, die Wirklichkeit ist, dann werden die Gedanken wahr, dann wird das Bewußtsein recht, wird der Mensch gebildet. Die weitere Folge ist, daß das Haus geregelt, der Staat geordnet, die Welt in Frieden ist. Vom Himmelssohn bis zum gewöhnlichen Mann, für alle ist die Bildung des Menschen die Wurzel. Wer seinen Hausgenossen nicht erziehen kann, kann auch andere Menschen nicht erziehen. Wenn aber »im Haus des ernsten Mannes die Menschlichkeit herrscht, so blüht im ganzen Staat die Menschlichkeit«.
In bezug auf die Erscheinungen: Weil aus der Wurzel oder dem Ursprung, aus einer Tiefe und Weite, die der endgültigen Formulierung sich entziehen, die Maßstäbe und Impulse kommen, darum genügen nie die Regeln, mit denen sich errechnen läßt, was zu tun sei. Wahrheit und Wirklichkeit können nicht in einem Sosein und in dogmatischen Aussagen endgültig fest werden. Daher ist die Fixierung verwehrt. Konfuzius »hatte keine Meinungen, keine Voreingenommenheit, keinen Starrsinn«. »Der Edle ist weder für noch gegen irgend etwas in der Welt unbedingt eingenommen. Einzig dem, was recht ist, tritt er bei.« Er ist »für alle da und nicht parteiisch«. Er bewahrt die Offenheit. Denn »er ist zurückhaltend, wenn er etwas nicht versteht«. Er bleibt biegsam. Denn er ist »charakterfest, aber nicht starrsinnig«, »verträglich, ohne sich gemein zu machen«, »selbstbewußt, aber nicht rechthaberisch«. Das Unbedingte erscheint im Relativen, zu dem alles Errechenbare herabgesetzt wird, nicht um es zu tilgen in der Willkür, sondern um es zu führen durch das Übergeordnete.
d) Notwendigkeit der Ordnung: Ordnung ist notwendig, weil das Wesen des Menschen nur in menschlicher Gemeinschaft wirklich ist. Sie beruht auf einem ersten Prinzip, »nach dem man das ganze Leben handeln kann«: »Was du selbst nicht liebst, wenn es dir angetan würde, das tu niemand anderem an.« Das Bewußtsein der Gleichheit (schu) verbindet die Menschen in dem Handeln nach dieser Regel. »Was du an deinen Oberen hassest, das biete nicht deinen Unteren. Was du an deinen Nachbarn zur Rechten hassest, das bringe nicht deinen Nachbarn zur Linken entgegen.«
Eine dieser negativen Formulierung entsprechende positive findet sich bei Konfuzianern: »Der Menschenliebende festigt die Menschen, da er selbst wünscht, gefestigt zu werden; er hilft den Menschen zum Erfolg, da er es selbst wünscht, Erfolg zu haben.«
Wenn jedoch Laotse lehrte, Feindschaft mit Wohltun zu vergelten, so antwortet Konfuzius: »Mit was dann Wohltun vergelten? Nein, Feindschaft vergelten mit Gerechtigkeit, und Wohltun vergelten mit Wohltun.« -
Ein zweites Prinzip der Ordnung ist: Weil die Menschen so verschieden sind, ist gute Regierung nur möglich in Stufen der Macht. Je höher die Macht, desto vorbildlicher, wissender, menschlicher muß der sein, der an ihrem Orte steht. Er muß »dem Volke vorangehen und es ermutigen. Er darf nicht müde werden.«
Immer wird es eine geringe Zahl derer sein, die als Befähigte in der Selbstüberwindung gelernt haben, zu tun, was gut ist, und zu wissen, was sie tun. Dagegen »das Volk kann man dazu bringen, etwas zu befolgen, man kann es nicht dazu bringen, es auch zu verstehen«. Das Grundverhältnis des vorbildlichen Mannes zum Volk ist dieses: »Des Fürsten Wesen ist wie der Wind, das Wesen der Masse wie das Gras. Streicht der Wind darüber hin, so muß das Gras sich beugen.« Nur durch Autorität ist Ordnung.
Auf die Koinzidenz von Amtsstellung und menschlicher Würdigkeit kommt alles an. Daher ist es notwendig, die Ordnung nicht zu verkehren. »Wer nicht in Amtsstellung ist, soll sich nicht mit Regierungsprojekten befassen.« Es ist notwendig, »die Guten zu erheben, die Schlechten zurückzusetzen, - die Ungeschickten zu unterweisen«.
Daher ist aber dem zur Regierung fähigen Manne auch eigen die innere Unabhängigkeit von der Meinung einer Öffentlichkeit. »Wo alle hassen, da muß man prüfen; wo alle lieben, da muß man prüfen.« Auf die Frage: »Wen seine Landsleute lieben, wie ist der?« antwortete Konfuzius: »Das sagt noch nichts«, und auf die Frage: »Wen seine Landsleute alle hassen, wie ist der?« wiederum: »Auch das sagt noch nichts. Besser ist es, wenn einen die Guten unter den Landsleuten lieben und einen die Nichtguten hassen.«
Ein drittes Prinzip der Ordnung ist: Unmittelbarer Eingriff in die schon in Entfaltung begriffenen Zustände kann nicht mehr entscheidend wirken. Er kommt zu spät. Man kann zwar durch Gewalt, durch Gesetze und Strafen wirken, aber zugleich unheilvoll, denn die Vergewaltigten weichen aus, die Heuchelei wird allgemein. Nur mittelbar sind die großen Wirkungen zu erzielen. Was erst im Keim da ist, kann noch in andere Richtung gelenkt oder gefördert werden. An ihm ist die entscheidende Wirkung möglich. Die menschlichen Ursprünge, die alles andere zur Folge haben, müssen gedeihen.
e) Richtigstellung der Worte: Auf die Frage, was bei Neuordnung in unheilvollen Zuständen zuerst zu tun sei, hat Konfuzius die merkwürdige Antwort gegeben: die Richtigstellung der Worte. Was in den Worten liegt, soll herausgeholt werden. Der Fürst sei Fürst, der Vater sei Vater, der Mensch Mensch. Die Sprache aber wird ständig mißbraucht, die Worte gelten für das, was ihnen nicht entspricht. Sein und Sprache trennen sich. »Wer das innere Sein hat, hat auch die Worte; wer Worte hat, hat nicht immer auch das innere Sein.«
Ist die Sprache in Unordnung, so wird alles unheilvoll. »Sind die Worte (Bezeichnungen, Begriffe) nicht richtig, so sind die Urteile nicht klar, dann gedeihen die Werke nicht, treffen die Strafen nicht das rechte, und das Volk weiß nicht, wo Hand und Fuß hinsetzen.«
»Darum wählt der Edle seine Worte, daß sie ohne Zweifel in der Rede angewandt werden können, und formt seine Urteile so, daß sie ohne Zweifel in Handlungen umgesetzt werden können. Der Edle duldet in seiner Rede nichts Ungenaues.«
f) Das Eine, worauf alles ankommt: Wenn von so vielen Dingen die Rede ist, von so vielen Tugenden, von all dem, was zu lernen sei, was zu tun sei, so sagt Konfuzius: »Du denkst, ich habe viel gelernt und wisse es nun? Nein, ich habe Eines, um alles zu durchdringen.« Also nicht vielerlei, sondern das Eine. Was ist das? Darauf gibt Konfuzius keine gleichbleibende Antwort. Er richtet seinen Blick dorthin, er erinnert an dies, woran alles andere hängt, aber wenn er antwortet, so das, was in unserer Darstellung schon vorkam. »Meine ganze Lehre ist in einem befaßt«: Tschung (Mitte), - oder allenfalls in dem einen Wort shu (Gleichheit, Gegenseitigkeit, Nächstenliebe). Oder er faßt die Lehre bloß zusammen: »Nicht kann als Edler gelten, wer nicht die Bestimmung des Himmels kennt; nicht kann gefestigt sein, wer nicht die Gesetze der Schicklichkeit (li) kennt; nicht kann die Menschen kennen, wer sich nicht auf ihre Worte versteht.« Oder die Zusammenfassung lautet: Sittlichkeit ist Menschenliebe, Weisheit ist Menschenkenntnis. Das alles aber ist nicht mehr das Eine.
Indirekt wird auf das Eine gewiesen in der ironischen Replik auf den Vorwurf, Konfuzius sei gewiß ein großer Mann, aber habe nichts Besonderes getan, das seinen Namen berühmt machen würde. Er antwortete: »Was könnte ich denn als Beruf ergreifen? Wagenlenken oder Bogenschießen? Ich denke, ich muß wohl das Wagenlenken ergreifen.«
Das Eine spüren wir bei Konfuzius eher dort, wo der Hintergrund, oder wo eine letzte Instanz fühlbar wird: Diese kann er in Verwandtschaft zur Idee des wuwei (Nichthandeln) des Laotse in einem heiligen Herrscher der Vergangenheit wahrnehmen (wobei er jedoch sagt, daß es heute so etwas nicht gibt): »Wer, ohne etwas zu tun, das Reich in Ordnung hielt, das war Schun. Denn wahrlich: was tat er? Er wachte ehrfürchtig über sich selbst und wandte ernst das Gesicht nach Süden, nichts weiter.« — Das Eine ist weiter fühlbar in der Weise, wie Konfuzius der Grenzen sich bewußt wird.
5. Das Grenzbewußtsein des Konfuzius: Unsere bisherige Darstellung scheint die Philosophie des Konfuzius als ein sich für vollendet haltendes Wissen zu zeigen und eine Grundstimmung, es könne und werde alles in Ordnung kommen. Ein solches Bild des Konfuzius wäre unzutreffend.
a) Nie hat Konfuzius das vollendete Wissen zu haben gemeint oder es auch nur für möglich gehalten. »Was man weiß als Wissen gelten lassen, was man nicht weiß als Nichtwissen gelten lassen: das ist Wissen.«
b) Das Unheil in der Welt steht Konfuzius vor Augen. Es hat seinen Grund im Versagen der Menschen. Er klagt: »Daß gute Anlagen nicht gepflegt werden, daß Gelerntes nicht wirksam wird, daß man seine Pflicht kennt und nicht davon angezogen wird, daß man Ungutes an sich hat und nicht imstande ist, es zu bessern: das sind Dinge, die mir Schmerz machen.« Zuweilen meint er, überhaupt keinen einzigen rechten Menschen mehr zu sehen. »Es ist vorbei. Mir ist noch keiner begegnet, der es vermocht hätte, seine eigenen Fehler zu sehen und in sich gehend sich selber anzuklagen.« Nirgends ist Verlaß auf Liebe zur Humanität und auf Abscheu gegen das Inhumane. »Ich habe noch keinen gesehen, der moralischen Wert ebenso liebte, wie er Frauenschönheit liebt.« Wenn er sich umsieht nach einem Manne, der Herrscher sein könnte, findet er keinen. Einen Gottmenschen zu sehen, ist ihm nicht vergönnt; einen Edlen zu sehen, das wäre schon gut, aber auch dieser ist nicht da, nicht einmal ein Beharrlicher.
Doch keineswegs will Konfuzius die Welt für schlecht halten. Nur dieses Zeitalter ist verfallen, wie es schon früher geschehen ist. Daher: »Daß die Wahrheit heutzutage nicht durchdringt, das weiß er.«
c) Die letzten Dinge werden nie zum Hauptthema für Konfuzius. An den Grenzen hat er eine Scheu zu reden. Selten redete der Meister vom Glück, vom Schicksal, von der reinen Güte. Wenn er vom Tode, von Natur und Weltordnung sprechen sollte, gab er Antworten, die offen ließen. Nicht aber, weil er zur Geheimnistuerei neigte (»Es gibt kein Ding, das ich euch vorenthielte«), sondern weil es in der Natur der Sache liegt. Es gibt nicht nur die falschen Motive zu den letzten Fragen, denen der Denker nicht entgegenkommen will (die Neugierde, das Umgehenwollen des gegenwärtig Notwendigen, das Sichdrücken um den Weg in das Leben selbst). Entscheidend ist vielmehr die Unmöglichkeit, gegenständlich von dem zu sprechen, was nie auf angemessene Weise Gegenstand wird. Daher, wenn von metaphysischen Fragen die Rede ist, die Abwehr des Konfuzius gegen Worte und Sätze und gegen alle Direktheit. Will man diese Haltung Agnostizismus nennen, so ist sie nicht Gleichgültigkeit gegen das Nichtwißbare, sondern vielmehr Betroffenheit, die das Berührte nicht in ein Scheinwissen verkehren, es nicht im Gesagten verlieren will. Man muß anerkennen: in Konfuzius ist kaum der Impuls ins Grenzenlose, in das Unerkennbare hinein, die verzehrende Frage der großen Metaphysiker fühlbar, wohl aber die Gegenwart der letzten Dinge in der frommen Ausübung der Gebräuche und in Repliken, die in bedrängenden Situationen hinweisen, ohne ausdrücklich viel zu sagen.
Konfuzius nahm teil an den überlieferten religiösen Vorstellungen. Geister, Omina bezweifelte er nicht. Ahnenkult und Opfer waren ihm eine wesentliche Wirklichkeit. Aber es geht durch die Weise, wie er mit all dem umgeht, eine Tendenz gegen Aberglauben und eine merkwürdige Distanz. »Der Meister sprach niemals über Zauberkräfte und widernatürliche Dämonen.« »Anderen Geistern als den eigenen Ahnen zu dienen, ist Schmeichelei.« Nach dem Dienst der Geister gefragt: »Wenn man noch nicht den Menschen dienen kann, wie sollte man den Geistern dienen können!« Nach der Weisheit gefragt, meint er: »Seiner Pflicht gegen die Menschen sich weihen, Dämonen und Götter ehren und ihnen fernbleiben, das mag man Weisheit nennen.« Zweideutig bleibt es, ob er damit ehrfurchtsvoll fernbleiben oder sie möglichst ignorieren will. Kein Zweifel aber ist über seinen Ernst im Kultus: Das Opfer hat eine große Bedeutung, aber er kennt sie nicht. »Wer die Bedeutung des großen Opfers (für den Ahn der Dynastie) wüßte, der wäre imstande, die Welt zu regieren so leicht wie hierher zu sehen«, und er wies auf seine flache Hand. Entscheidend ist ihm das innere Dabeisein. »Wenn das Herz in Unruhe ist, dann opfert man den Gebräuchen gemäß. Daher ist nur der Weise imstande, den Sinn des Opfers zu erschöpfen.« Es wird berichtet: »Wenn er auch nur einfachen Reis und Gurken hatte, so brachte er doch ehrfurchtsvoll ein Speiseopfer dar.«
Konfuzius spricht vom Himmel: »Nur der Himmel ist groß.« »Die Jahreszeiten gehen ihren Gang, und die Dinge allesamt entstehen. Aber redet dabei etwa der Himmel? « Reichtum und Ansehen stehen beim Himmel. Der Himmel kann vernichten. Unpersönlich ist dieser Himmel. Er heißt tien, nur einmal wird er shang-ti (Herr) genannt. Unpersönlich ist das von ihm gesandte Schicksal, die Bestimmung (ming oder tien-ming). »Das ist Bestimmung« ist des Konfuzius oft wiederholte Wendung: Als ein Jünger schwer krank ist, sagt er: »Es geht ihm ans Leben. Das ist nun Bestimmung. Daß solch ein Mann solch eine Krankheit haben muß!« »Wenn die Wahrheit sich ausbreiten soll, wenn sie untergehen soll, das ist Bestimmung.«
Von Gebet ist selten die Rede. Einmal heißt es: »Wer an dem Himmel sich versündigt, der hat niemand, zu dem er beten könnte«, ein andermal: »Daß ich gebetet, ist lange« (Wilhelm allerdings übersetzt: »Ich habe lange schon gebetet«) als Abweisung des Wunsches eines Jüngers, für den erkrankten Meister zu Göttern und Erdgeistern zu beten. Denn Bittgebet und gar zauberisches Gebet lag Konfuzius fern. Sein ganzes Leben, will er sagen (wenn Wilhelms Übersetzung zutrifft), war schon Gebet. Im Sinne des Konfuzius schrieb ein japanischer Konfuzianer des 9. Jahrhunderts: »Wenn nur das Herz der Wahrheit Pfad gemäß sich hält, so braucht ihr nicht zu beten, die Götter schützen dennoch« (Haas).
»Tod und Leben ist Bestimmung«, »Von alters her müssen alle sterben«, solche Sätze sprechen die Unbefangenheit des Konfuzius dem Tode gegenüber aus. Der Tod wird ohne Erschütterung hingenommen, er liegt nicht im Felde eines wesentlichen Bedeutens. Wohl kann er klagen über Vorzeitigkeit: »Daß manches keimt, das nicht zum Blühen kommt, - daß manches blüht, das nicht zum Reifen kommt, — ach, das kommt vor.« Aber: »Des Abends sterben, das ist nicht schlimm.« Als Schüler, wie er schwer krank ist, Vorbereitungen für ein prächtiges Begräbnis erwägen, bei dem sie zum Schein als Minister fungieren, wehrt er ab: »Wollen wir etwa den Himmel betrügen. - Und wenn ich auch kein fürstliches Begräbnis bekomme, so sterbe ich ja doch nicht auf der Landstraße.« Der Tod ist ohne Schrecken: »Wenn der Vogel am Sterben ist, so ist sein Gesang klagend; wenn der Mensch am Sterben ist, so sind seine Reden gut.« Es hat keinen Sinn, nach dem Tode zu fragen: »Wenn man noch nicht das Leben kennt, wie sollte man den Tod kennen?«
Auf die Frage, ob die Toten um die ihnen dargebrachten Opfer wissen, antwortet er: »Das Wissen darüber geht uns hier nicht an.« Die Antwort betrachtet er rein praktisch nach ihren Wirkungen und schließt, daß keine Antwort die beste ist: »Wenn ich ja sage, muß ich fürchten, daß pietätvolle Söhne ihr Hab und Gut durchbringen für die Abgeschiedenen, - wenn ich nein sage, so muß ich fürchten, daß pietätlose Söhne ihre Pflichten gegen die Abgeschiedenen versäumen.«
6. Über die Persönlichkeit des Konfuzius: Es sind Sätze überliefert, die Konfuzius über sich selbst sagte, und solche, die die Jünger ihrem Meister zumuteten.
Er hatte ein Bewußtsein seiner Berufung. In einer Situation tödlicher Bedrohung sagte er: »Da König Wen nicht mehr ist, ist doch die Kultur mir anvertraut? Wenn der Himmel diese Kultur vernichten wollte, so hatte ein Spätgeborener sie nicht überkommen. Wenn aber der Himmel diese Kultur nicht vernichten will, was können dann die Leute von Kuang mir anhaben?« In seinen Träumen verkehrte er mit dem Herzog von Tschou, seinem Vorbild. Vergeblich wartet er auf Zeichen seiner Berufung: »Der Vogel Fong kommt nicht, aus dem Fluß kommt kein Zeichen: es ist aus mit mir.« Ein Kilin (das herrlichste Zeichen) erscheint, aber es wird auf der Jagd getötet, Konfuzius weint.
Trotz seines Berufungsbewußtseins ist er bescheiden. An Bildung, meint er, könne er es wohl mit anderen aufnehmen, aber die Stufe des Edlen, der sein Wissen in Handeln umsetzt, habe er noch nicht erreicht. »Ich kann bloß von mir sagen, daß ich mich unersättlich bemüht, so zu werden, und daß ich andere lehre ohne Ermüden.«
Wiederholt machen Jünger ihm Vorwürfe. Seinen Besuch bei der Dame Nan-tse rechtfertigt er: »Was ich unrecht getan habe, dazu hat der Himmel mich gezwungen.« Einen Eidbruch rechtfertigt er, weil der Eid ihm durch Bedrohung erpreßt war.
Als ein Jünger eine Verstimmung des Konfuzius unwillig beschreibt, antwortet er: »Die Ähnlichkeit mit einem Hund im Trauerhause, das stimmt, das stimmt.« Ein anderer sagt: »Ihr seid so ernst und in Gedanken versunken. Ihr seid so heiter, voll hoher Hoffnung und weiter Stimmung.« Zur Befragung eines Jüngers über ihn durch einen Fürsten meint Konfuzius: »Warum hast du nicht erwidert: Er ist ein Mensch, der die Wahrheit lernt, ohne zu ermüden, die Menschen belehrt, ohne überdrüssig zu werden, der so eifrig ist, daß er das Essen darüber vergißt, der so heiter ist, daß er alle Sorgen vergißt, und so nicht merkt, wie das Alter allmählich herankommt.«
Konfuzius sieht sein eigenes Scheitern. In einer Situation von Lebensgefahr fragt er seine Schüler: »Ist mein Leben etwa falsch? Warum kommen wir in diese Not?« Der erste meint, die wahre Güte habe er noch nicht erreicht, darum vertrauen die Menschen nicht, die wahre Weisheit noch nicht, darum tun die Menschen nicht, was er sage. Aber Konfuzius erwidert: Heilige und Weise der Vergangenheit haben das schrecklichste Ende gefunden. Offenbar findet weder Güte notwendig Vertrauen, noch Weisheit notwendig Gehorsam. Der zweite meint, die Lehre des Meisters sei so groß, daß niemand auf der Erde sie aushaken kann. Die Lehre müsse ein wenig niedriger gemacht werden. Dagegen sagt Konfuzius: Der gute Landmann vermag zu säen, aber nicht die Ernte zu machen. Der Edle kann seine Lehre formen, aber er kann nicht machen, daß sie angenommen wird. Danach streben, daß sie angenommen werde, bedeutet, den Sinn nicht auf die Ferne zu richten. Der dritte meint: »Eure Lehre ist ganz groß, darum kann die Welt sie nicht fassen. Dennoch macht fort, danach zu handeln. Daß sie nicht aufgefaßt wird, was tut es? Daran, daß er nicht verstanden wird, erkennt man den Edlen.« Konfuzius lächelte.
Er weiß, daß die Weisen keineswegs in der Welt immer durchdringen. Unter dem Tyrannen Dschou Sin gab es drei Männer höchster Sittlichkeit. Einer wurde hingerichtet, ein anderer zog sich in die Verborgenheit zurück, der dritte gab sich am Hofe als Narr und ließ sich als solcher behandeln.
Konfuzius hat sein Scheitern nicht immer gelassen hingenommen, sondern es durchdacht und gedeutet. Er hat nicht von vornherein und nicht immer die gleiche Haltung gehabt.
Er kann klagen: »Der Edle leidet darunter, daß er die Welt verlassen soll, ohne daß sein Name genannt wird! Mein Weg wird nicht begangen. Wodurch werde ich der Nachwelt bekannt werden?«
Wenn er klagt: »Ach, niemand kennt mich!« findet er Trost: »Ich murre nicht gegen den Himmel, ich grolle nicht den Menschen. Ich forschte hier unten und bin in Verbindung mit droben. Wer mich kennt, das ist der Himmel.«
Er bescheidet sich: »Lernen und immerzu üben, gewährt das nicht auch Befriedigung? Und geschieht es dann, daß aus weiter Ferne Genossen sich zu einem finden, hat das nicht auch sein Beglückendes? Wenn aber die Menschen einen nicht kennen, sich doch nicht verbittern lassen, ist das nicht auch edel?« »Ich will mich nicht grämen, daß man mich nicht kennt; grämen soll es mich nur, wenn ich die anderen nicht kenne.«
Er läßt sich vom Narren zurufen: »Gib auf, gib auf dein eitles Mühen! Wer heut dem Staate dienen will, der stürzt nur in Gefahren sich.« Er läßt sich von Laotse sagen: »Die Klugen und Scharfsinnigen sind dem Tode nahe, denn sie lieben es, andere Menschen zu beurteilen.« Aber er behauptet seinen Sinn in der Aufgabe, zu helfen bei der menschlichen Ordnung in der Welt. Der Erfolg entscheidet nicht. Humanität bedeutet Mitverantwortung für den Zustand der Gemeinschaft. »Ein Mann von Humanität ist nicht auf das Leben aus um den Preis der Verletzung der Humanität. Ja, es gab solche, die, um ihre Humanität zu vollenden, ihren Leib in den Tod gegeben.«
Die Grundhaltung bleibt: bereit sein, »verwenden sie einen, sich betätigen; wollen sie nichts von einem wissen, sich im Hintergrund halten«.
Entscheidend aber ist: »Das einzige, worüber der Mensch Meister ist, das ist sein eigen Herz. Glück und Unglück sind kein Maßstab für den Wert des Menschen.« Nicht immer ist das äußere Unglück ein Übel, es kann »eine Probe« sein (Sün-tse). Die Verzweiflung darf nicht radikal werden. Selbst im Äußersten bleibt Hoffnung. »Es gibt Fälle, daß Menschen aus verzweifelten Umständen zu höchster Bestimmung aufsteigen.«
Moderne Urteile über Konfuzius sind erstaunlich. Er ist als Rationalist gering geachtet. »Weder die Persönlichkeit noch das Werk trägt die Züge wirklicher Größe. Er war ein braver Moralist«, meint Franke, »er glaubte mit seinem Tugendgesäusel die zerrüttete Ordnung wieder zurechtrücken zu können, wozu, wie die Ereignisse bewiesen, nur der Sturmwind der Macht imstande war.«
In der Tat ist Konfuzius nicht auf die Weise wirksam geworden, wie er sie sich in den Augenblicken seiner größten Hoffnung dachte. Wie zu seinen Lebzeiten ist auch nach seinem Tode der Sinn seines Tuns gescheitert. Denn nur eine Verwandlung machte sein Werk wirksam. Um so mehr ist es die Aufgabe, das Ursprüngliche, in der Verwandlung nie ganz Verlorene zu sehen und als einen Maßstab zu bewahren. Auf Grund der vorliegenden Sätze, sie auswählend durch Orientierung an den gehaltvollsten, eigentümlichsten, darf man es wagen, dies Bild zu gewinnen. Es muß verschwinden, wenn man die erstarrten und platten Formulierungen, die wahrscheinlich aus späteren Zeiten stammen, hervorhebt. Es ergibt sich, allein durch sachlich geführte Wahl und Anordnung der Sätze und Berichte, ein unersetzliches Bild, dessen Kern Wirklichkeit haben muß, denn sonst hätte es unmöglich entstehen können.
Konfuzius hat nicht die weitflüchtige Sorge des Einzelnen um sich selbst. Er entwirft auch keine wirtschaftstechnischen Einrichtungen, keine Gesetzgebung und keine formelle Staatsordnung, sondern er ist leidenschaftlich bemüht um das nicht direkt zu Wollende, nur indirekt zu Fördernde, an dem alles andere hängt: um den Geist des Ganzen in dem sittlich-politischen Zustand und um die innere Verfassung jedes einzelnen Menschen als Glied des Ganzen. Er hat keine religiöse Urerfahrung, kennt keine Offenbarung, vollzieht keine Wiedergeburt seines Wesens, ist kein Mystiker. Er ist aber auch nicht ein Rationalist, sondern in seinem Denken gelenkt von dem Umgreifenden der Gemeinschaft, durch die der Mensch erst Mensch wird. Seine Leidenschaft ist die Schönheit, Ordnung, Wahrhaftigkeit und das Glück in der Welt. Und dies alles steht auf dem Grunde von etwas, das durch Scheitern und Tod nicht sinnlos wird.
Die Beschränkung auf die Möglichkeiten in der Welt erwirkt bei Konfuzius seine Nüchternheit. Er ist vorsichtig und zurückhaltend, aber nicht aus Furcht, sondern aus Verantwortungsbewußtsein. Das Zweifelhafte und Gefährliche möchte er nach Möglichkeit meiden. Er will Erfahrung, hört darum überall zu. Er ist unersättlich für Nachrichten aus dem Altertum. Verbote sind viel seltener bei ihm als die Hinweise, dies und das zu tun, wenn man ein Mensch werden wolle. Maßhalten und Bereitbleiben, nicht Drang zur Macht als solcher, sondern Wille zu wahrer Herrschaft bewegt ihn.
Sein Wesen wirkt hell, offen, natürlich. Jede Vergötterung seiner Person wehrt er ab. Er lebt gleichsam auf der Straße, als ein Mensch mit seiner Schwäche.
Was hat Konfuzius getan? Er trat im Unterschied von Laotse in die Welthändel ein, getrieben von dem Gedanken der Berufung, die menschlichen Zustände zum Besseren lenken zu wollen. Er begründete eine Schule für künftige Staatsmänner. Er gab die klassischen Bücher heraus. Aber mehr noch bedeutet dies: Konfuzius ist in China das erste sichtbare großartige Aufleuchten der Vernunft in ihrer ganzen Weite und Möglichkeit, und zwar in einem Mann aus dem Volke.
7. Konfuzius und seine Gegner: Konfuzius bekämpfte und wurde bekämpft. Es sind zunächst die vordergründigen Kämpfe gegen das Nichtige und die Eifersucht der Konkurrenten. Dann aber kommt die tiefe, in der Sache liegende Polarität zwischen Konfuzius und Laotse zum Ausdruck.
a) Die Gegner, die Konfuzius bekämpfte, sind die Leute, die die Welt für ohnehin verdorben halten und geschickt darin mitmachen, die Sophisten, die für und gegen jede Sache ihre Gründe finden, die die Maßstäbe von Recht und Unrecht, von Wahr und Falsch in Verwirrung bringen.
Als Konfuzius einmal im Amt war, ließ er einen staatsgefährlichen Aristokraten hinrichten. Er begründete es: Schlimmer als Diebstahl und Raub sind: Unbotmäßigkeit der Gesinnung verbunden mit Arglist, Verlogenheit verbunden mit Zungenfertigkeit, Gedächtnis für Skandal verbunden mit ausgebreiteter Bekanntschaft, Billigung des Unrechts verbunden mit dessen Beschönigung. Dieser Mann hat alle diese Verbrechen in sich vereinigt. »Wo er verweilte, bildete er eine Partei; er betörte die Menge durch sein Geschwätz mit gleisnerischen Vorstellungen; durch seinen hartnäckigen Widerstand verkehrte er das Recht und setzte sich allein durch. Wenn die Gemeinen sich zu Horden zusammentun, das ist Grund zum Kummer.«
Dem Konfuzius wurde vorgeworfen: Seine Lehre könne man in einem langen Leben nicht bewältigen. Die Formen zu studieren, reichten Jahre nicht aus. Beides nütze dem Volke nichts. Zu vernünftiger Verwaltung und praktischer Arbeit sei er unfähig. Durch die prunkvollen Begräbnisfeierlichkeiten würde er den Staat verarmen lassen. Er reise wie alle Literaten als Ratgeber umher, um sich zu bereichern, führe ein Schmarotzerleben. Er habe ein hochfahrendes Wesen, suche durch auffallende Tracht und geziertes Wesen der Menge zu imponieren.
b) Die Legende berichtet von dem Besuch des jungen Konfuzius beim alten Laotse (Tschuang-tse, Übersetzungen bei von Strauß und Waley). Laotse belehrt ihn.
Das Planen und Raten und Studieren des Konfuzius billigt er nicht. Bücher sind fragwürdig, sie sind nur die Fußstapfen der großen Alten. Jene traten die Fußstapfen, die heutigen reden. Aber: »Deine Lehren beschäftigen sich mit Dingen, die nicht mehr bedeuten als Fußstapfen im Sande.« »Was du liesest, ist nur der Schall und Rauch längst vergangener Menschen. Was wert gewesen wäre, überliefert zu werden, sank mit ihnen ins Grab; der Rest geriet in die Bücher.«
Das Wesentliche dagegen ist das Grundwissen. Laotse wirft dem Konfuzius vor, das tao nicht zu kennen. Konfuzius verdirbt es durch die Absolutheit seiner sittlichen Forderungen. Denn Menschenliebe und Gerechtigkeit sind für den, der das tao liebt, nur eine Folge, selber sind sie nichts. Wenn Konfuzius fordert, unparteiisch jeden Menschen zu lieben, antwortet Laotse scharf: »Von jedem. Menschen zu sprechen, ist eine törichte Übertreibung, und der Entschluß, stets unparteiisch zu sein, bedeutet selbst schon eine Art Parteilichkeit. Du betrachtest am besten, wie es kommt, daß Himmel und Erde ihren ewigen Lauf beibehalten, daß die Vögel ihrem Zuge und die Tiere ihrer Herde folgen, und daß Bäume und Büsche ihren Standort behalten. Dann wirst du lernen, deine Schritte von des Inneren Kraft lenken zu lassen und dem Gange der Natur zu folgen; und bald wirst du einen Punkt erreichen, wo du es nicht mehr nötig hast, mühselig Menschenliebe und Gerechtigkeit anzupreisen.« »All dies Gerede über Menschenliebe und Gerechtigkeit, diese ständigen Nadelstiche, reizen. Der Schwan braucht nicht täglich zu baden, um weiß zu bleiben.«
Allein durch Nichttun (Nichthandeln, wu wei) zeigt sich tao. Alles andere ist äußerlich. Durch Spreu geblendete Augen sehen den Himmel nicht; wenn Mücken stechen, schläft man die Nacht nicht: so quälen Menschenliebe und Gerechtigkeit. Als solche machen sie eine erbitterte Stimmung und lassen das tao verlieren. Bloße Moral ohne den Grund im tao widerstrebt der Menschennatur. Wenn aber die Welt im tao, d.h. die Natureinfalt, nicht verloren ist, dann werden sich von selber die Sitten herstellen, wird die Tugend in Gang kommen.
Erst »als die Beachtung des großen tao verfiel, traten Wohlwollen und Gerechtigkeit auf; als Wissen und Klugheit erschienen, entstand die große Künstlichkeit«. Versiegt die Quelle des tao, dann brauchen die Menschen vergeblich die Notbehelfe von Menschenliebe und Gerechtigkeit. Es ist wie mit den Fischen: versiegt die Quelle und sinkt das Wasser im Teich, dann erst verhalten sich die Fische zueinander, sie bespritzen einander, um sich anzufeuchten, sie drängen einander, um besprudelt zu werden. Aber besser ist es: sie vergessen einander in Fluß und Seen. Daher ist das Rechte, daß die Menschen ohne Künstlichkeit und Zwang, ohne Denken und Wissen von Gut und Böse einfach im tao leben. »Im Altertum benutzte man das Halten am tao nicht dazu, das Volk zu erleuchten, sondern es in Unwissenheit zu lassen.«
Laotse gilt als der eigentliche, einzige Gegner des Konfuzius. Jedoch hat die spätere Polemik zwischen Taoisten und Konfuzianern ihre Schatten in jene legendarischen Gespräche geworfen. Die späteren gegnerischen Parteien waren beide dem Ursprung fern. Die späteren Taoisten flohen die Welt, waren Asketen, wurden Beschwörer, Alchimisten, Lebensverlängerer, Zauberer und Gaukler. Die späteren Konfuzianer waren Menschen der Welt, ordneten sie, sich anpassend und das Wirksame aufgreifend, ihre eigenen Interessen wahrnehmend, waren Literaten und Beamte, die zu trockenen und eigensüchtigen und machtgierigen Reglementierern und zu Genießern des Daseins wurden.
Aus der Anschauung der Sache und angesichts der inneren Haltung der beiden großen Philosophen darf man sagen: Laotse und Konfuzius sind wohl Gegenpole, aber solche, die zusammengehören und sich gegenseitig fordern. Es ist falsch, dem Konfuzius jene Verengungen zuzuschreiben, die erst im Konfuzianismus wirklich wurden. Gegen die Auffassung, Laotse habe das tao jenseits von Gut und Böse gedacht, Konfuzius habe das tao moralisiert, ist vielmehr zu sagen: Konfuzius läßt dieses Jenseits von Gut und Böse unangetastet, wenn er in der Welt die Aufgabe stellt, durch Wissen von Gut und Böse zur Ordnung in der Gemeinschaft zu kommen. Denn diese ist ihm nicht das Absolute schlechthin. Das Umgreifende ist ihm Hintergrund, nicht Thema, ist ihm Grenze und Grund der Scheu, nicht unmittelbare Aufgabe. Sagt man, das einzige metaphysische Element der Lehre des Konfuzius sei, daß der Herrscher den Himmel vertrete, der durch Naturerscheinungen (Erntesegen oder Katastrophen durch Dürre oder Überschwemmung) sein Wohlgefallen oder Mißfallen kundgebe, so wäre dieses Element, das erst im Konfuzianismus herrschend wurde, bei Konfuzius allenfalls nur eine Vordergrundserscheinung jener metaphysischen Tiefe, die Konfuzius und Laotse gemeinsam ist. Der Unterschied liegt zwischen dem direkten Weg zum tao des Laotse und dem indirekten Weg über die Ordnung der Menschheit des Konfuzius, und daher in den entgegengesetzten praktischen Folgen der gemeinsamen Grundanschauung.
Was Laotse im tao vor und über alles setzt, ist das Eine des Konfuzius. Aber Laotse vertieft sich darein, Konfuzius läßt sich durch das Eine in Ehrfurcht lenken bei dem Eintritt in die Dinge der Welt. Man findet in Augenblicken Neigung zur Weltflucht auch bei Konfuzius, man findet bei ihm an der Grenze die Idee dessen, der durch Nichthandeln handelt und dadurch die Welt in Ordnung hält, wie bei Laotse. Beide mögen ihren Blick nach entgegengesetzten Seiten wenden, sie stehen doch im selben Grunde. Die Einheit beider ist in China durch große Persönlichkeiten wiederholt worden, nicht durch eine Philosophie, die systematisch beide umfaßte, sondern in der chinesischen Weisheit des sich denkend erhellenden Lebens.
8. Wirkungs geschickte: Zu seiner Zeit war Konfuzius nur einer unter vielen anderen Philosophen und keineswegs der erfolgreichste. Aber aus ihm ist der Konfuzianismus erwachsen, der zweitausend Jahre China beherrscht hat, bis zum Ende seiner politischen Macht im Jahre 1912.
Die Stufen der Entwicklung des Konfuzianismus sind im Schema folgende: Erstens: In den Jahrhunderten nach Konfuzius erhielt der Konfuzianismus seine theoretische Gestalt durch Menzius [Mengzi] (ca. 372-289) und Hsün-tse [Xunzi] (ca. 310-230), die beide eine Schulüberlieferung zu gesteigerter Wirkung brachten. Das konfuzianische Denken ist begrifflicher, unterscheidender, systematischer geworden. Die schönsten und hellsten Formulierungen aus dem Geist des Konfuzius finden sich im Da hio [Da xue] und Tschung-Yung [Zhong yong]. Die Sätze des Lun-Yü, dem Konfuzius näher, und vielleicht zum Teil wörtlich von ihm, sind kurz, abgerissen, reich an Möglichkeiten der Interpretation. Sie sind die Gedanken in statu nascendi, wie die mandier Vorsokratiker, schon vollendet, aber mit unendlichen Entfaltungsmöglichkeiten ihres Gehalts. Die Ausarbeitung zu systematischer Form muß mit der Bereicherung der Begrifflichkeit verarmen lassen, was an der Quelle noch erfüllt ist. Daher wird Konfuzius bei seinen nächsten Nachfolgern wohl heller, aber zugleich schon begrenzter. Dieser Konfuzianismus war eine geistige Bewegung, getragen von Literaten, aber mit dem Anspruch auf Staatslenkung. Gegen ihn machte der Kaiser Tsin-schi-huang-ti (221-210) den Versuch der Vernichtung. Die konfuzianischen Bücher wurden verbrannt, ihrer Überlieferung sollte ein Ende gesetzt werden. Die Regierung des großen Despoten wurde nach seinem Tode in einem wilden Bürgerkriege gestürzt. Aber sein Werk blieb: Die Verwandlung des alten Lehensstaates in einen Beamtenstaat. - Zweitens: Nun geschah das Erstaunliche. Der neue von jenem Despoten geschaffene bürokratische Staat schloß den Bund mit dem Konfuzianismus unter der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.). Der verworfene Konfuzianismus wurde wiederhergestellt. Das neue Gebilde der Staatsmacht, die ihre Autorität durch den konfuzianischen Geist gewann, ist also zum Teil aus Motiven und Situationen erwachsen, die Konfuzius selbst fremd waren. Er hatte nichts anderes als den Lehensstaat gekannt. Jetzt gewann der Konf uzianimus seine neue Denkgestalt mit seiner faktischen Herrschaftsmacht. Die Literaten wurden zu Funktionären der Bürokratie. Sie entwickelten eine Orthodoxie bis zum Fanatismus, zugleich im Interesse der Geltung ihres Standes. Der Konfuzianismus wurde zugerichtet auf die Ausbildung der Beamten. Das Schulsystem wurde als staatliches Erziehungssystem eingerichtet, die Lehre ausgebaut zwecks Ordnung und Heiligung des Staatswesens. - Drittens: Der Ausbau nach allen Seiten, besonders nach der metaphysischen und naturphilosophischen, erfolgte in der Sung-Zeit (960-1276). Zugleich wurde die Orthodoxie auf der Grundlage des Menzius fixiert. Die Steigerung dieser ausschließenden Orthodoxie und die endgültige Verfestigung geschah in der Mandschu-Zeit (1644-1912). Mit diesem Gesicht einer geistigen Erstarrung zeigt sich China dem Abendland. Seine eigene Lehre, China sei immer so gewesen, wurde von Europa zunächst übernommen, bis die Sinologen die großartige wirkliche Geschichte Chinas enthüllten.
Der Konfuzianismus hat also eine lange ihn verwandelnde Geschichte wie das Christentum und wie der Buddhismus. Die lange Dauer seiner Aneignung in China entfernte ihn weit vom Ursprung in Konfuzius selber. Es war ein Kampf, geistig um die rechte Lehre, politisch um die Selbstbehauptung der Literatenschicht. Die Geistesgeschichte Chinas hat ihre großen künstlerischen, dichterischen, philosophischen Aufschwünge zum großen Teil im faktischen Durchbruch durch diesen Konfuzianismus oder in bewußter Opposition gegen ihn. In Ebbezeiten des geistigen Lebens ist der Konfuzianismus in China wie der Katholizismus im Abendland immer wieder da. Aber er hat auch selber seine geistigen Gipfel, wie der Katholizismus in Thomas, so der Konfuzianismus in Tschu-Hsi [Zhu Xi] (1130-1200).
Jeder hohe Impuls hat die zu ihm gehörenden Gefahren. Daß die Abgleitungen durch die Jahrhunderte überwiegen, läßt sie fälschlich schon im Ursprung erkennen. Dann sagen die Einwände gegen Konfuzius: Sein Denken ist »reaktionär«, es verabsolutiert die Vergangenheit, es fixiert und macht tot, es ist zukunftslos. Daher lahmt es alles Schaffende, Lebendige, Vorantreibende. Sein Denken macht zum Gegenstand bewußter Absicht, was in der Vergangenheit einmal seine Wahrheit hatte, jetzt aber nicht mehr haben kann. Es bringt ein Leben der Konventionen und der Hierarchie hervor, der äußerlichen Formen ohne Gehalt. So hält auch Franke Gericht über Konfuzius: Er habe das Ideal für sein Volk in die Vergangenheit verlegt, so daß es mit rückwärts gewandtem Haupte durch die Geschichte schreite. Konfuzius halte für das wahre Leben der Völker einen wohl balancierten Dauerzustand. Er verkenne, daß die Geschichte eine niemals rastende Bewegung sei. Dazu habe er die natürlichen metaphysischen Bedürfnisse unbefriedigt gelassen durch seine Lehre, man solle die Schranken des vernunftgemäßen Diesseits in der wohlgeordneten Menschheit nie übersteigen. Diese Auffassung wird durch die überlieferten klaren Sätze, die unsere Darstellung heraushob und in einem großartigen Zusammenhang zu sehen meinte, widerlegt. Aber es ist richtig, daß die Abgleitungen in der Folge für den Konfuzianismus weitgehend dem Urteil recht geben, das auf Konfuzius und viele Konfuzianer nicht zutrifft. Diese Abgleitungen sind zu charakterisieren:
Erstens: Die Verwandlung des Gedankens des Einen und des Nichtwissens in metaphysische Gleichgültigkeit. Wenn Konfuzius Abstand hält vom Denken des Absoluten, vom Bittgebet, so aus einer vom Umgreifenden her wirkenden Gewißheit, die ihm die Zuwendung zur Gegenwart und zu den Menschen unbeirrbar macht. Wenn er in der Ruhe vor dem Tode lebt, nicht wissen will, was wir nicht wissen können, so läßt er alles offen. Sobald aber diese Kraft des Konfuzius fehlt, wird die Skepsis mächtig und zugleich der unkontrollierte Aberglaube. Der Agnostizismus wird leer und ergänzt sich im Konfuzianismus durch handgreifliche Magien und illusionäre Erwartungen.
Zweitens: Die Verwandlung des nüchternen, aber leidenschaftlichen Drangs zur Menschlichkeit in ein Nützlichkeitsdenken. Es entwickelt sich ein pedantisches Zweckdenken ohne die Kraft des unabhängigen Menschseins.
Drittens: Die Verwandlung des freien Ethos, das sich in der Polarität der li und dessen, was sie führt, versteht, zur Gesetzlichkeit der li. Die li werden ohne den Grund im Yen und im Einen zu bloßen Regeln von Äußerlichkeiten. Während sie bei Konfuzius eine milde Macht sind, werden sie nun feste Formen, gewaltsam erzwungene Gesetze. Sie werden ausgearbeitet zu einer verwickelten Ordnung, zur Vielheit der Tugenden, zu den bestimmten menschlichen Grundbeziehungen und vollendet in zählbaren Anordnungen.
Während im Ursprung die Einheit von Sitte, Recht und Sittlichkeit vermöge ihrer gemeinsamen Beseelung aus dem Yen menschliche Freiheit war, wird jetzt die Fixierung der li für die Menschlichkeit verhängnisvoll. Denn die Trennung von Sitte, Recht und sittlicher Norm wurde nicht gemacht, aber die endlose Mannigfaltigkeit der Bestimmungen zur Äußerlichkeit herabgesetzt. Diese war definierbar und in jedem Fall rational zur Entscheidung zu bringen. Sie brauchte kein Gewissen mehr, wenn die geforderte Handlung getan wurde. Die Äußerlichkeit, das Gesicht zu wahren, wurde alles.
Viertens: Die Verwandlung der Offenheit des Denkens in Dogmen theoretischer Erkenntnis. Zum Beispiel wird Sache des Streitens, ob der Mensch von Natur gut oder böse sei, ob daher die Erziehung durch die li den Menschen überhaupt erst als gutes Wesen hervorbringe, oder nur in seinem eigentlichen Wesen wiederherstelle. Während Konfuzius solche Alternative gar nicht fand, sondern gegenüber den Grenzfällen des Heiligen einerseits, des Narren andrerseits, die unveränderlich seien, den meisten ihre Chance und ihren Spielraum gab, die Praxis entscheiden ließ, wurde jetzt die Theorie leidenschaftlich erörtertes Streitfeld. Man geriet hier wie sonst in die Sackgasse von Alternativen der Theorie, die Konfuzius unwesentlich gewesen wären vor dem, was sie übergreift.
Fünftens: Die Verwandlung des Wissens, das inneres Handeln war, in ein Lernen, das abfragbar wurde. Es entstand die Klasse der Literaten, die sich nicht durch Persönlichkeit, sondern durch Gelerntes und formal Gekonntes auszeichneten und im Schulexamen bewährten. Daß das Altertum in der Weise der Aneignung Norm war, verwandelte sich dahin, daß die alten Werke studiert wurden, der Gelehrte maßgebend, daß Nachahmen des Alten, nicht das Aneignen wesentlich wurde. Die Gelehrsamkeit brachte die Orthodoxie hervor. Diese verlor ihre Einheit mit dem Leben im Ganzen.
Aber alle Abgleitungen, so sehr sie in der chinesischen Geschichte gewirkt haben, konnten den Ursprung, aus dem sie kamen, nicht völlig verlieren. Konfuzius selber blieb lebendig in Antrieben, die ihn zu erneuern, das Erstarrte zu durchbrechen vermochten. Sie bewährten das hohe Ethos und den heroischen Mut, die immer wieder im Kon-fuzianismus auftraten. Dann geriet Konfuzius in Opposition zum Konfuzianismus. Konfuzius ist mehr als vorantreibende Lebensmacht denn in den Stabilisierungsformen gegenwärtig. Eine große Erscheinung solcher Erneuerung war Wang Yang Ming (1472-1528).
In dieser ganzen Entwicklung spielt die Person des Konfuzius eine große Rolle. Stets ist der Blick auf ihn, die einzige große Autorität, gerichtet. Von der Wirkung des Konfuzius auf seine Schüler wird noch erzählt, daß sie sich viel Kritik an seinen Handlungen erlaubten, dann aber auch, daß sie zu ihm emporblickten, wie »zur Sonne und dem Mond, über die man nicht hinwegschreiten kann«. An seinem Grabe wurden Opfer dargebracht, noch im Rahmen des Ahnenkultes. Später wurde ein Tempel gebaut. Schon um die Wende des zweiten zum ersten Jahrhundert vor Chr. schreibt von seinem Besuch dort der Historiker Se-ma-tsien [Sima Qian]: »So blieb ich voll Ehrfurcht dort und konnte mich kaum losmachen. Auf Erden gab es gar viele Fürsten und Weise, berühmt während ihres Lebens, mit denen es bei ihrem Tode zu Ende war. Kung-tse war ein einfacher Mann aus dem Volk. Aber seit zehn Generationen überliefert man auch seine Lehre. Vom Himmelssohn, Königen und Fürsten an nehmen alle ihre Entscheidungen und ihr Maß am Meister. Das kann man als höchste Heiligkeit bezeichnen.« In der Folge wurden ihm Tempel im ganzen chinesischen Reiche errichtet. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Konfuzius ausdrücklich zum Gott erklärt. Es ist eine denkwürdige Entwicklung, die Konfuzius, diesen Mann, der nichts als Mensch sein wollte, der wußte, daß er nicht einmal ein Heiliger sei, schließlich zum Gotte werden ließ.
  • Document: Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen. Bd. 1. (München : R. Piper, 1957). [Enthält : Buddha, Confucius, Laozi]. S. 254-185. (Jasp2, Publication)
12 1957.3 Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen [ID D17060].
Laotse [Laozi] (1)
Leben und Werk
Von dem Leben des Laotse wird erzählt (Se ma Tsien [Sima Qian] um 100 vor Chr.): Er wurde geboren im Staate Tschu (in der heutigen Provinz Honan im nördlichen China). Eine Zeitlang war er Staatsarchivar (Geschichtsschreiber) bei der Zentralregierung (dem Tschou-Herrscher). Es war sein Wille, sich zu verbergen und ohne Namen zu bleiben. In hohem Alter reiste er, als die Zustände in seinem Heimatlande Tschu verwahrlost waren, nach dem Westen. Dem Wächter am Grenzpasse schrieb er auf dessen Wunsch das Tao te king [Dao de jing] in 5000 Worten nieder. Dann verschwand er nach dem Westen. »Niemand weiß, wo er geendet.« Tschuang tse [Zhuangzi] aber sagt, Laotse sei im Kreise seiner Schreiber zu Hause gestorben. Seine Lebenszeit wird in das sechste Jahrhundert (traditionelle Auffassung, da nur so das von anderen als legendär aufgefaßte Gespräch zwischen Laotse und Konfuzius möglich ist) oder in das fünfte (Forke) oder noch später in das vierte gelegt. Die Tatsachen (z. B. daß sein Name weder von Konfuzius noch von Menzius [Mengzi] noch von Me-ti [Mozi] erwähnt wird, daß gewisse, immer spätere Überlieferungen vorliegen, die sich widersprechen usw.) bleiben die gleichen, ohne daß sie einen zwingenden Schluß zulassen. Ob aus dem Stil der Schrift bei dem Stand der Textüberlieferung der Literatur jenes geistig größten Jahrhunderts Chinas von kundigen Sinologen aus dem Vergleich mit anderen eine Zeitbestimmung möglich wird, ist für den Außenstehenden unentscheidbar und unwahrscheinlich. Die Zeitbestimmung ist für die Auffassung des Textes unwichtig. Die Diskussionen darüber bezeugen nur die Ungewißheit der Überlieferung.
Gewiß ist das Vorliegen des Tao te king. Auch dieses Buch ist in seiner Herkunft bezweifelt, als Ganzes zersetzt worden. Aber es ist innerlich von so überzeugendem Zusammenhang, daß man - trotz möglicher Interpolationen und Entstellungen des Textes - nicht zweifeln kann, daß es durch eine Persönlichkeit höchsten Ranges geschaffen worden ist. Sie scheint fast greifbar in seinen Worten vor uns zu stehen und zu uns zu sprechen.
Das Tao te king, das Buch vom Tao und Te, ist ein Werk von kürzeren und längeren Sprüchen, die abgeteilt sind in 81 kleine Kapitel. Die Anordnung ist ohne durchgeführtes System. Manchmal bilden sich Gruppen zusammenhängender Kapitel, so gegen Schluß die Gruppe der »politischen«. Von Anfang an ist alles "Wesentliche alsbald ausgesprochen und kehrt dann in sinnreichen Erweiterungen wieder. Es ist aphoristische Mitteilung des Fertigen ohne Begründung. Dem Leser zeigt sich eine großartige Geschlossenheit. Die Wiederholung in mannigfachen Modifikationen des Gleichen prägt die Einheit ein, die für uns als eine faktische, nicht in der Schrift selber als solche ausgeführte Systematik darstellbar ist. Obgleich keine methodische Terminologie vorliegt, ist eine methodisch interpretierbare Ganzheit zu fassen. Die Schlagkraft paradoxer Sätze (ohne die Willkür eines geistreich spielerischen Kopfes), der Ernst und eine zu sich hinziehende, unergründbar scheinende Tiefe machen die Schrift zu einem der unersetzlichen Werke der Philosophie.
Das Studium des Textes ist für Nichtsinologen nur durch Vergleichung der zahlreichen Übersetzungen und ihrer Kommentare möglich. Man gelangt nicht dahin, daß man Laotse liest, wie man Kant, Plato, Spinoza liest. Der übersetzte Text spricht nicht mehr unmittelbar selbst in eigener Sprache, sondern wie durch ein trübendes, dämpfendes oder dann grell erleuchtendes Medium hindurch. Hinzukommt, daß die monosyllabische chinesische Sprache und die Weise der chinesischen Schriftsprache unseren Sprachen so fremd ist, daß der Nichtsinologe aus der Ungewißheit nicht herauskommt (vgl. etwa Hackmann).
Die Abweichung des Sinns der Übersetzungen geht manchmal sehr weit (am tollsten in Kap. 6: bei de Groot handelt es sich um Atemregulierung, bei den anderen um die Wurzel des Weltalls, den »Talgeist«, das »tiefe Weibliche«; übrigens ist [Strauß] nach Liä-dsi dieses ganze Kapitel ein Zitat aus einer alten, Laotse vorliegenden Schrift, wie Laotse sonst häufig Zitate von Versen bringt, aus Liedern und Hymnen). Es ist zu widerraten, nur eine einzige Übersetzung zu lesen.
Grundlage des Studiums ist: Laotses Tao te king, übersetzt und kommentiert von Victor von Strauß, 1870. Strauß' Kommentar führt den Leser an die Schwierigkeiten der Übersetzung, an die chinesischen Worte, an die Vieldeutigkeiten heran. Dazu gibt er, gebildet durch die deutsche philosophische Überlieferung, eine eindringende, besonnene, zuweilen etwas wunderliche philosophische Interpretation. Selbst wo seine Aufstellungen nicht gültig sind, ist seine Begründung noch lehrreich. Mit diesem überragenden Werk sind beim Studium zusammenzunehmen die neueren Übersetzungen. Bei Abweichungen dieser Neueren gegenüber Strauß überzeuge man sich in Strauß' Kommentar, wie er seine Übersetzung begründet und manchmal die späteren Einwände schon vorwegnimmt. Die beim ersten Lesen zuweilen unverständliche Übersetzung von Strauß ist vielleicht gerade darum die beste: sie macht nicht leicht und ist nach Verständnis mit Hilfe des Kommentars gerade durch Kürze und Verborgenheit die sprechendste.
Ich zitiere nach den Übersetzungen, zum Teil in Kombinationen. Die Ziffern bezeichnen die Kapitel des Tao te king.
Zum Verständnis Laotses ist eine Anschauung der chinesischen Geisteswelt, des Zeitalters, in dem Laotse lebte, der Überlieferung, die ihm vorherging, förderlich. Daß wir hier darauf verzichten können, sie nach den Arbeiten der Sinologen wiederzugeben, bezeugt den überzeitlichen Sinn dieses metaphysischen Denkers, der um so wahrer und ergreifender wirkt, wenn man nur ihn selbst erblickt.

I. Darstellung der Philosophie Laotses
Der Welt und aller Dinge, so auch des Denkers Ursprung und Ziel ist das Tao. Der Inhalt dieser Philosophie ist erstens: was Tao sei; zweitens: wie alles, was ist, aus ihm und zu ihm ist; drittens: wie der Mensch im Tao lebt, und wie er es verlieren und wiedergewinnen kann, und zwar als Einzelner und im Zustand der Staatsregierung.
Wir hören also — nach abendländischer Klassifikation - von der Metaphysik, der Kosmogonie, dem Ethos und der Politik. Bei Laotse ist dies Eines in dem alles durchdringenden Grundgedanken. In wenigen Sätzen eines Kapitelchens können alle vier Momente zugleich auftreten. Während die Darstellung unterscheiden und nacheinander behandeln muß, kommt es doch auf den einen Grundgedanken oder die Lebensverfassung dieser Philosophie an. Die Darstellung gelingt, wenn dieses Eine im Nacheinander zur Gegenwärtigkeit im Bewußtsein kommt.
1. Das Tao
Der erste Satz des Buches, in die fernste Tiefe dringend, beginnt: »Das Tao, das ausgesprochen werden kann, ist nicht das ewige Tao; der Name, der genannt werden kann, ist nicht der ewige Name. Das Namenlose ist der Ursprung der Welt des Himmels und der Erde« (1). Dieser Satz weist nicht nur alles voreilige Wissen, sondern überhaupt die Wissensweise, die der Mensch für endliche Dinge besitzt, für das Tao zurück. »Ich kenne nicht seinen Namen; bezeichne ich es, nenne ich's Tao« (25).
Wird von ihm gesprochen, so werden es negative Aussagen sein müssen (wie die war, daß es keinen Namen habe, das heißt menschlicher Nennbarkeit nicht zugänglich sei), z.B.: »Man blickt nach ihm und sieht es nicht, daher nennt man es farblos. Man horcht nach ihm und hört es nicht, daher nennt man es lautlos. Man greift nach ihm und faßt es nicht, daher nennt man es stofflos« (14).
Sein Sein positiv aussprechen zu wollen, hieße es verendlichen. »Tao ist leer« (4), ist der unendliche Abgrund; dies Leere ist das Unermeßliche, das »durch sein Wirken nie gefüllt« wird (4). Nennt man, faßt man, begreift man es, will man es denkend unterscheiden oder in ihm Unterschiede sehen, so verschwindet es: »Es wendet sich zurück ins Nichtsein« (14). Seine ursprüngliche Fülle ist mehr als alle uns faßliche Erfüllung, seine Gestaltlosigkeit mehr als alle uns faßliche Gestalt. »Es heißt des Gestaltlosen Gestalt, des Bildlosen Bild; das ist gar unerfaßlich. Es erblickend, sieht man nicht sein Gesicht, ihm nachfolgend sieht man nicht seinen Rücken« (14).
Was uns zum Gegenstand wird, ist endlich: Im Unterschiedensein bestimmt zu sein, macht das Sein für uns aus. Ein Viereck ist durch seine Ecken, ein Gefäß durch den Raum, der etwas in sich fassen kann, das Bild durch seine Gestalt. Wird der Gegenstand aber unendlich und ununterscheidbar wie das Tao, so verliert er seine Bestimmtheit, hört auf zu sein, was er im Unterschiedensein war. Daher kann der Gedanke, in dem ein Gegenstand als unendlich geworden gedacht wird, als ein Leitfaden für das Denken des Tao gelten; Laotse sagt: »Das größte Viereck hat keine Ecken, das größte Gefäß faßt nicht, der größte Ton hat unhörbaren Laut, das größte Bild hat keine Gestalt« (41).
Sofern das Sein das ist, was wir sehen, hören, greifen, was Bild und Gestalt ist, ist das Tao nichts. Erst im seinsfreien Tao wird der Ursprung erreicht. Dieser Ursprung ist nicht nichts im Sinne von überhaupt nicht, sondern im Sinne des Mehr-als-Seins, aus dem das Seiende stammt: »Das Sein entsteht aus dem Nichtsein« (40).
Dieses Nichtsein, das als Ursprung und Ziel allen Seins selbst das eigentliche Sein, aber als Übersein ist, wird nun nach den Aussagen durch Negation alsbald mit scheinbar positiven Aussagen überhäuft. Das Tao ist unwandelbar, »es allein beharrt und wandelt sich nicht« (25). Es altert nicht (30, 55). Das Tao ist Richtmaß seiner selbst (während Mensch, Erde, Himmel, alle Dinge außer dem Tao ihr Richtmaß an einem anderen haben) (25). Das Tao ist einfach, einfältig (32, 37), ist still (25), in seiner Ruhe unbegreiflich vollkommen (25).
Des Tao Ruhe aber kann nicht das Gegenteil der Bewegung sein; dann wäre es ein bloß Negatives, weniger als Sein. Tao bewegt sich, aber ist in der Bewegung zugleich Ruhe; seine Bewegung ist »Rückkehr in sich« (40). Es bewegt sich nicht, weil es etwas erreichen wollte, das es noch nicht wäre und nicht hätte; denn Tao ist bedürfnislos »ohne Verlangen« (34), »ohne Begehren« (37), es ist anspruchslos (34).
Ein Begriff des Tao war dem Laotse aus der Überlieferung überkommen. Der ursprüngliche Sinn des Wortes war »Weg«, dann die Ordnung des Weltalls, mit dieser identisch das rechte Tun des Menschen. Tao war ein uralter Grundbegriff des chinesischen Universismus. Übersetzt hat man das Wort Tao mit: Vernunft, Logos, Gott, Sinn, rechter Weg usw. Wenn man es als persönliche - männliche oder weibliche - Gottheit meinte, hat man es »der Tao« oder »die Tao« genannt. Angemessen ist aber gewiß »das Tao«.
Laotse gab dem Wort einen neuen Sinn, indem er den Grund des Seins Tao nannte, obgleich dieser Grund an sich namenlos, unnambar ist. Er transzendierte mit dem Worte über alles, was Sein hieß, über das gesamte Weltall, auch über das Tao als Weltordnung. Wohl bewahrte er wie das Weltsein so den Gedanken der durchgehenden Ordnung des Seienden, beide aber wurzeln im transzendenten Tao:
Das Tao ist vor der Welt, daher vor allen Unterscheidungen. Wird es an sich selbst gedacht, kann es weder anderem gegenübergestellt, noch in sich selbst unterschieden werden. So sind in ihm z. B. Sein und Sollen dasselbe; was in der Welt getrennt und entgegengesetzt ist, ist vor der Welt eins; dasselbe ist das Gesetz, nach dem alles geschieht, und das Gesetz, nach dem alles geschehen soll; dasselbe ist die Ordnung, die ewig schon ist, und die Ordnung, die durch sittlich wahres Tun noch hervorgebracht wird. Aber dieses Einssein des Entgegengesetzten kann nicht etwa alsbald wieder ein besonderes Sein in der Welt und auch nicht das Ganze der Welt sein. Es bleibt vor der Welt und Ziel der Welt. Weltwerden heißt sich scheiden und unterschieden werden, sich spalten und entgegengesetzt werden.
Für uns ist in der Welt die Fülle durch Scheidung und Gegensatz. Das Tao heißt leer, weil es, ununterschieden, ohne Gegenstand, ohne Gegensatz, nicht Welt ist. Erfüllt sich das Tao, so setzt es Gegenständliches in sich, bringt es die Welt hervor. Aber nie wird dadurch das Tao selbst gefüllt (4). Könnte es durch die hervorgebrachte Welt gefüllt werden, würde es in der Welt aufgehen. Es bleibt - so dürfen wir interpretieren - in der Leere voller an Möglichkeit als alle bloße Wirklichkeit der Welt, im Nichtsein mehr als Sein, im ununterscheidbaren Grunde größer als alles gegenständlich unterscheidbare, bestimmte Seiende. Es bleibt das Umgreifende.

2. Das Tao und die Welt
Es war, bevor Himmel und Erde entstanden (25); es war auch vor dem Himmelsherrn Ti, dem höchsten Gotte der Chinesen (4). Aber das Tao ist nicht ein unzugängliches ganz Anderes, sondern ist gegenwärtig. Unwahrnehmbar, ist es doch erfahrbar als das eigentliche Sein in allem Seienden. Anwesend in allem, ist es das, wodurch dies, was auch immer es ist, sein Sein hat. Die Zeichen seiner Anwesenheit in der Welt sind:
a) Es ist als Nichtsein da: Auge, Ohr, Hand suchen das Tao umsonst, aber es ist überall, »das große Tao, wie es umherschwebt!« (34), Vergleichbar ist es dem greifbaren Nichtsein, durch das alles bestimmte Sein ist: so wie das Gefäß durch das Nichts (die Leere) der fassende Hohlraum ist, wie das Haus durch das Nichts (die Leere) der Fenster und Türen ist (11). So ist das Nichts des Tao das Nichtsein, das das Seiende erst zum Sein macht.
Vergleichbar ist es dem, was auch den massivsten, porenlosen Körper noch durchdringen würde: »Das Nichtseiende durchdringt das Zwischenraumlose« (43). Weil es wie das Nichts ist, darum leistet kein Seiendes ihm Widerstand. »Seine Einfachheit, so zart sie auch ist, die Welt vermag nicht, sie zu unterdrücken« (32). »Durch alles geht es und gefährdet sich nicht« (25).
b) Es wirkt, als ob es nicht wirke: »Tao ist allezeit ohne Handeln, dennoch bleibt nichts ungewirkt« (oder: »Tao ist ewig ohne Tun, und doch ohne Nichttun«) (37). Unmerkbar wirkt es, als ob es machtlos wäre. »Schwachheit ist Taos Äußerungsweise« (40). Tao ist unendlich wirkend, weil alles hervorbringend, aber es wirkt in der Unscheinbarkeit seiner Stille, die nichts tut.
Obgleich das Tao übermächtig alles Seiende hervorbringt, gibt es alles Seiende frei, als ob es nicht durch Tao, sondern ein jedes von sich selbst wäre, wie es ist. Daher ist zwar in alle Wesen von ihrem Ursprung her die Anbetung des Tao gelegt, aber so, daß die Anbetung dem eigenen Sein der Wesen überlassen bleibt: »Taos Anbetung ist niemandes Gebot und immerdar freiwillig« (51). Tao bewirkt das freie Entgegenkommen der Wesen: »Des Himmels Weise ist: Er streitet nicht und überwindet doch; er redet nicht, doch versteht, die rechte Antwort zu bekommen; er ruft nicht, doch alles kommt von selbst ihm entgegen« (73).
Das Nichtzwingen der Wesen gelingt dem Tao dadurch, daß es sich vor ihnen zum Verschwinden bringt, als ob es gar nicht wirke und nie gewirkt hätte. Seine Weise ist »erzeugen und nicht besitzen, tun und nichts darauf geben, großziehen und nicht beherrschen« (51). »Ist das Werk vollendet, nennt es es nicht sein. Es liebt und ernährt alle Wesen und macht nicht den Herrn« (34).
Indem Tao unwiderstehlich wirkt, verbirgt es die Unwiderstehlichkeit; es dämpft sich und gleicht sich an: »Es stumpft seine Schärfe, es macht milde seinen Glanz, es wird eins mit seinem Staube« (4).
c) Das Tao ist in allem Einssein der Ursprung des Einen: Alles Seiende hat Sein in dem Maße, als es durch das Band der Einheit gehalten ist, des Einen, das die Hervorbringungsform des Tao ist, nicht Eins als Zahl, sondern Einheit als Wesen. »Die von alters teilhaben am Einen: der Himmel ist kraft des Einen rein, die Erde steht kraft des Einen fest, die Geister verdanken der Einheit ihren Verstand, das Flußbett verdankt der Einheit, daß es sich füllt, die Zehntausend Dinge leben kraft der Einheit, die Herrscher sind durch die Einheit Vorbilder des Reiches« (39).
d) Durch das Tao hat alles Dasein sein Sein: »Ein Abgrund, oh! gleicht es aller Wesen Urvater« (4). »Man darf es ansehen als der Welt Mutter« (25). Sie verdanken diesem Vater oder dieser Mutter ihre Erhaltung. »Seine Macht erhält sie, sein Wesen gestaltet sie, seine Kraft vollendet sie« (51). Ohne Tao ist ein jedes verloren; aber »es verweigert sich ihnen nicht« (34). »Sein Geist ist höchst zuverlässig. In ihm ist Treue« (21).
e) DasTao steht jenseits von Gut und Böse und ist doch unendlich hilfreich: Alle Wesen ohne Ausnahme, die guten wie die bösen, haben ihr Sein durch Tao, an ihm ihren Halt, daher in irgendeinem Sinne Bestand. »Das Tao ist der Zehntausend Dinge Hort, der guten Menschen Schatz, der nicht guten Menschen Zuflucht« (62).
Das Walten des Tao - obgleich Liebe, Treue, Zuverlässigkeit genannt - ist doch nicht von menschlichem Mitleid bewegt, kennt auch keine Bevorzugung und Parteinahme. Das zeigt sich im Bild der erscheinenden Welt; das Kommen und Gehen aller Dinge ist endlos und nichtig: »Was zwischen Himmel und Erde, wie gleicht es dem Blasebalg! Er ist leer und doch unerschöpflich; er regt sich, und um so mehr geht heraus« (5). Das All ist gleichgültig gegen alle Individuen: »Himmel und Erde haben keine Menschenliebe; sie nehmen alle Wesen wie einen Strohhund« (den man als Puppe bei Opfern brauchte und fortwarf) (5). »Es ist des Himmels Art, keine Vorliebe für irgend jemand zu zeigen, aber er ist immer auf selten des Guten« (79). Daher auch der Satz: »Der Weg des Himmels ist, wohlzutun, nicht zu schädigen« (81).
Die Grundzeichen des Daseins des Tao in der Welt waren also das alldurchdringende Nichtsein, das alles erwirkende unmerkliche Nichthandeln, die allhervorbringende Kraft der Einheit, die allbegründende Erhaltung der kommenden und gehenden Wesen von einem Ort jenseits von Gut und Böse her.
Das Weltwerden und der Prozeß des Einzelnen in der Welt
Über die Anschauung des Tao in der Welt hinaus will Laotse eindringen in den Ursprungsprozeß, in das Weltwerden, in das Rätsel, daß überhaupt die Welt aus dem Tao geworden ist. Diese Spekulation hat Laotse nicht konstruktiv entwickelt, aber angedeutet. Er fragt nicht, warum die Welt ist. Er fragt auch nicht, wie eine Abweichung geschehen ist. Er scheint keinen zeitlichen Weltprozeß mit einer Folge einschneidender, gründender oder katastrophaler Ereignisse zu kennen. Eher würde man aus ihm eine zeitlose ewige Gegenwart als Grundwesen des Seins entnehmen. Was an Andeutungen über einen Weltprozeß bei ihm vorkommt, ist vielleicht als ein immerwährendes Geschehen aufzufassen:
a) Im ursprünglich einen Tao sind zwei: Erstens das Tao, das nicht nennbar ist, das Nichtsein, - und zweitens das Tao, das genannt werden kann, das Sein. Das unnennbare heißt »Himmels und der Erde Urgrund«, das nennbare heißt »der Zehntausend Dinge Mutter« (1). Diese »Mutter« ist das Sein: »Die Zehntausend Dinge entstehen aus dem Sein« (40); das Nichtsein hat keinen Namen: »Das Sein entsteht aus dem Nichtsein« (40). Nicht an sich, nur als in dem Weltsein offenbart wird Tao nennbar. Das Hervorgehen der Dinge aus dem nennbaren Tao ist selbst immerfort das Entstehen von Nennbarem: »Sobald Tao zu schaffen und zu ordnen beginnt, hat es einen Namen. Ist aber sein Name wirklich einmal da, so wird man es wohl auch erkennen« (32).
Beide - das unnennbare und das nennbare Tao, das Nichtsein und das Sein - »sind desselben Ausgangs und verschiedenen Namens« (1). Das Unnennbare mit dem Nennbaren erblickend, geht der Gedanke in das Unergründliche: »Zusammen heißen sie tief, des Tieferen abermals Tiefes« (1).
Der Prozeß des Weltwerdens wird an anderer Stelle wie folgt entworfen: »Tao erzeugte Eins; Eins erzeugte Zwei; Zwei erzeugte Drei; Drei erzeugte die Zehntausend Dinge. Die Zehntausend Dinge trugen auf dem Rücken das Yin und umfassen das Jang. Das unkörperliche Chi bringt sie in Einklang« (42).
b) Das hervorbringende Tao trägt in sich die Grundfaktoren des Weltseins, heiße man sie Formen, Bilder, Stoffe, Kräfte: »Unfaßlich, unsichtbar sind in ihm Bilder! Unsichtbar, unfaßlich sind in ihm Dinge! Unergründlich, dunkel ist in ihm Same.«
c) Im Weltprozeß geschieht der Prozeß des einzelnen Wesens. Die Bewegung aller Wesen in der Ruhelosigkeit des Weltseins scheint einen doppelten Sinn zu haben: den der Nichtigkeit eines Kommens und Gehens aus dem Nichts in das Nichts oder den der Heimkehr der Wesen zu ihrem Ursprung: »Alle Wesen miteinander treten hervor, und wir sehen sie wieder zurückgehen. Wenn sich die Wesen entwickelt haben, kehrt jedes zurück in seinen Ursprung. Zurückgekehrtsein in seinen Ursprung heißt ruhen. Ruhen heißt die Aufgabe erfüllt haben. Die Aufgabe erfüllt haben heißt ewig sein« (16).

3. Das Tao und der Einzelne (Lebenspraxis)
Was wahrhaft ist, folgt dem Tao (21). Hohe Tugend, eigentliches Leben (te) ist Einssein mit dem Tao. Auch der Mensch geht nur mit dem Tao den rechten Weg. Daher werden die Grundcharaktere des Tao als die Grundcharaktere des wahren Menschen wieder erscheinen, vor allem: Wirken durch Nichthandeln, Sein durch Nichtsein, Stärke durch Weichheit.
Das jedoch geschieht nicht notwendig (wie ein Naturgeschehen), vielmehr: der Mensch kann abfallen vom Tao, er ist zumeist schon abgefallen, und er kann wieder einswerden mit dem Tao.
a) Abfall vom Tao: Absichtlichkeit und Sichselbstwollen: Der ursprüngliche Abfall ist das Sichselbstwollen, das identisch ist mit Absichtlichkeit des Handelns, mit dem Sichselbstanschauen darin, mit der Geflissentlichkeit und der zweckhaften Betriebsamkeit.
»Hohe Tugend will nicht Tugend, daher ist sie Tugend; niedere Tugend will Tugend sein, daher ist sie nicht Tugend« (38). Das heißt: Was ich zum Zwecke mache, verliere ich, sofern der Inhalt des zweckhaften Wollens das eigentlich Wirkliche ist. Was ich zum Zwecke machen kann, das sind endliche Dinge, die vergänglich, nicht das ewige Sein sind.
Wie die Absichtlichkeit durch Wollen des Wesentlichen dieses gerade zerstört, so zerstört die Selbstreflexion das eigene Wesen, wenn sie es betrachtend wissen und im Wissen es besitzen und an ihm wie an einem Besitz sich freuen möchte. »Wer sich ansieht, leuchtet nicht; wer sich recht ist, zeichnet sich nicht aus; wer sich rühmt, hat kein Verdienst; wer sich erhebt, ragt nicht hervor« (24).
Das Zerstörende der Verbindung der Selbstreflexion, in der der Mensch sich selbst will, mit dem wirkenden Tun machen Gleichnisse deutlich: »Ein Gefäß ergreifen und zugleich vollgießen, besser das unterbleibt. Betastend prüfen und zugleich schärfen kann nidit lange währen« (9). Das heißt (nach Strauß), es sei unvereinbar, ein Gefäß (nach chinesischer Sitte mit beiden Händen) zu ergreifen und es gleichzeitig einzufüllen - unvereinbar, den Lohn genießen zu wollen (ergreifen) für das, was man tut, und eben dies zugleich tun (vollgießen). Ferner sei es unvereinbar, eine Klinge nach ihrer Schärfe zu betasten (das reflektierende Prüfen) und sie zugleich zu schärfen (das Wirken des höheren Menschen).
Absichtlichkeit, Sich-selber-spiegeln, Sich-selbst-wollen gehören zusammen. In ihnen ist das Tao preisgegeben. Durch sie ist in das lebendige Tun des aus der Tiefe des Tao entsprungenen Wirkens gleichsam hmemgeschnitten. Die Wirklichkeit eigentlichen Lebens ist vernichtet.
Die Absichtlichkeit ist der Gegensätze nicht mehr umgreifend inne, sondern sieht die Dinge in Alternativen, von denen sie je die eine Seite als die richtige fixiert. Während die Gegensätzlichkeit die Grundform der Erscheinung des Tao in der Welt ist und das Leben aus dem Tao die Gegensätze in sich umfaßt, geschieht der Abfall, indem Gegensätze durch die Absichtlichkeit entweder zugunsten der einen Seite aufgehoben oder überhaupt umgangen werden. Die Absichtlichkeit muß dadurch, daß sie etwas zum Zwecke macht, unterscheiden. Daher spaltet sie die aneinander gebundenen Gegensätze und isoliert die Seiten. In der Absichtlichkeit aufgehend, sehe und tue ich nicht mehr eines im anderen, sondern entweder das eine oder das andere, und dann, hin und her schwankend, einmal das eine und dann das andere. Ich habe das Tao verloren, weil ich im Vordergrunde nur jeweils das Eine, nicht auch in ihm und mit ihm sein Anderes ergreife; oder weil ich, statt in der Hingabe meiner umgreifend zu werden in der Offenheit für die Wirklichkeit selbst, diese halten möchte in der Form des bestimmten Daseins und Gewußtseins.
b) Nichthandeln (wu wei) als der Ursprung des Ethos: Der zweckhafte Wille, in der Welt auf endliche und bestimmte Dinge gerichtet, kann selber gegründete Wirklichkeit nur gewinnen, wenn er aufgenommen ist in ein Nichtwollen. Dieses Nichttun, Nichthandeln, diesen Ursprung der erfüllenden Unabsichtlichkeit zu verstehen, hieße das Ethos Laotses im Kern zu fassen.
Wu wei ist die Spontaneität des Ursprungs selbst. Keineswegs ist dieses Nichttun das Nichtstun, keineswegs Passivität, Stumpfheit der Seele, Lahmheit der Antriebe. Es ist das eigentliche Tun des Menschen, das von ihm so getan wird, als täte er nicht. Es ist ein Wirken, ohne das Gewicht in die Werke zu legen. Diese Aktivität ist das alles Handeln in sich schließende, umgreifende, das Handeln erst aus sich hervortreibende und ihm Sinn verleihende Nichthandeln.
Der Ausdruck »Nichthandeln« kann durch den Gegensatz zum »Handeln« täuschen über die Gesetzlosigkeit des Ursprungs, die mit dem Wort getroffen werden soll. Es ist nicht möglich, für das wu wei eine Anweisung zu geben, die eines fordert, um ein anderes auszuschließen. Denn damit würde es wieder in die zweckhafte Geflissentlichkeit gezogen werden, über die es hinausgreift. Was die Gegensätze in sich schließt, kann nicht in der Gegensätzlichkeit des Sprechens angemessen ausgesprochen werden. So sagt Laotse wie vom Tao: »Tao ist ewig ohne Tun, und doch ohne Nichttun« (37), so entsprechend vom hohen Menschen: »Er tut nicht und doch ist er nicht untätig« (48); und er kann vom recht wirkenden Menschen das Nichttun aussagen und es doch ein Tun des Nichttuns (wei wu wei) nennen: »Der hohe Mensch beharrt im Tun des Nichttuns« (2).
Ist die Unabsichtlichkeit das Wesen der ursprungsgeborenen Aktivität, so ist die Absichtlichkeit das Wesen der aus einem vereinzelnden, verendlichenden, zweckhaften Denken geborenen Aktivität. Jene geschieht, ohne gewollt zu sein, und lenkt noch den zweckhaften Willen; diese geschieht als gewollte und ist zuletzt doch ohne Führung und Grund. Jene wirkt aus dem Tao zum "Wesen, diese zerstört aus der Endlichkeit zum Nichts.
Die Unabsichtlichkeit des "Wirkens aus dem Tao will sich im Tun nicht des guten Tuns vergewissern. Sie will nicht Zeugnisse sammeln des guten Willens und will sich nicht bezeugen in Werken.
Die Unabsichtlichkeit ist ebenso fern dem Worte »nicht widerstehen dem Übel«. Denn bei Laotse liegt der Sinn auf der Aktivität des im Tao gegründeten, mit ihm geeinten Lebens, in jenem Worte auf dem Dulden und dem Opfer. Laotses Nichthandeln ist das lebendige Wirken aus der Tiefe, das »dem Bösen nicht widerstehende« Nichthandeln wird ein Kampfmittel, wird ein Bewirkenwollen durch Aufgabe des Widerstandes (feurige Kohlen auf das Haupt des Gegners häufen).
Das Sammeln der Zeugnisse für das eigene gute Handeln und das Dulden im Opfer sind beide im höchsten Maße absichtlich. Die eigentliche Unabsichtlichkeit, die in ihrer Einfachheit das Rätsel ist, ist vielleicht niemals im Philosophieren so entschieden zur Grundlage aller Wahrheit des Handelns gemacht worden wie von Laotse. Aber sie ist in ihrem Wesen nicht bestimmt zu fassen, nicht als Anweisung zu geben. Nur indirekt kann auf sie hingewiesen werden.
c) Die aus dem wu wei sich entfaltenden Zeichen des Einsseins mit dem Tao: Die Charakteristik des Weisen — des heiligen Menschen, des hohen Menschen, des Vollendeten, des Edlen, des Berufenen - hat dieselbe Schwierigkeit wie das Sprechen vom Tao: Das Einssein mit dem Tao kann nie als das eine von zwei Gegensätzen gefaßt werden. Im Verhalten des Menschen handelt es sich hier nicht um die Wahl in der Situation zwischen zwei auf gleicher Ebene liegenden Möglichkeiten. Das Beschreiben des Einsseins trifft nicht die Bestimmtheit einer eindeutigen Erscheinung, sondern ein Bild, das aussieht wie ein Sichverstecken im Gegensatz. Es wird mißverstanden mit der Fixierung der einen Seite des Gegensatzes. Beispiele solcher Sätze sind:
»Große Vollendung muß wie unzulänglich erscheinen... große Fülle muß wie leer erscheinen... große Geradheit muß wie krumm erscheinen, große Begabung muß wie dumm erscheinen, große Beredsamkeit muß wie stumm erscheinen« (45).
»Wer im Tao erleuchtet ist, erscheint dunkel... wer am höchsten steht in der Tugend, erscheint tief erniedrigt... wer sich durch fleckenlose Reinheit hervortut, erleidet schweren Tadel, wer vielseitige Tüchtigkeit besitzt, ist wie unzulänglich. Wer fest an Tugend ist, ist wie im Schwanken« (41).
Solche Ausdrucksweisen durch Gegensätzlichkeiten werden wiederkehren, wenn wir nun das Bild des Weisen darstellen. Was in der Wörtlichkeit täuscht, weil es in die Rationalität der Entscheidung zwischen Gegensätze zu drängen scheint oder in paradoxen Umkehrungen spielt, möchte das ganz Einfache zum Bewußtsein bringen, was alle rationalen Scheidewege übergreifend mit der sanften Gewalt erfüllender Gewißheit in der Führung noch des zweckhaften Tuns durch umgreifende zweckfreie Wirklichkeit gegenwärtig ist.
In Weichheit wirken: »Weich und Schwach überwindet Hart und Stark« (36). »Der Welt Allernachgiebigstes überwältigt der Welt Aller-härtestes« (43). »Des hohen Menschen Weise: tun und nicht streiten« (81).
Ein Gleidmis erhellt die Lebendigkeit des Weichen: »Alle Wesen, Kräuter und Bäume treten ins Leben weich und zart; sie sterben vertrocknet und dürr. Darum: Hart und Stark ist Todesgeselle, Weich und Schwach ist Lebensgeselle... Der Mensch tritt ins Leben weich und schwach, er stirbt hart und stark« (76).
Ein anderes Gleichnis ist die Schwäche des Weibes: »Das Weib überwindet immerdar mit Ruhe den Mann; mit Ruhe ist es Untertan« (61).
Das häufigste Gleichnis aber ist das Wasser: »Nichts in der Welt ist weicher und schwächer als das Wasser. Aber nichts, was Hartes und Starkes angreift, vermag es zu übertreffen« (78). »Daß Ströme und Meere die Könige sind aller Täler, das kommt davon, daß sie tüchtig sind im Untensein« (66). »Taos Wirken in der Welt gleicht Flüssen und Bächen, die sich in Ströme und Meere ergießen« (32). »Der höchste Gott ist wie das Wasser. Des Wassers Güte ist es, allen Wesen zu nützen und nicht zu streiten. Es weilt an Orten, die alle Menschen verachten« (8).
Nichtsichselbstwollen: Nach dem Vorbild des Tao lebt der hohe Mensch: »Daher der heilige Mensch hintansetzt sein Selbst, und selbst vorankommt; sich entäußert seines Selbst, und selbst bewahrt wird« (7). Also ein zweifaches Selbst: das begehrende, eigensüchtige, sich bespiegelnde, Besitz und Geltung beanspruchende, und das eigentliche Selbst, das erst im Verschwinden jenes anderen hervortritt. »Wer andere überwindet, hat Stärke; wer sich selbst überwindet, ist tapfer« (33). Diese Überwindung hat zur Folge:
Das Nichtbegehren: »Die fünf Farben machen das menschliche Auge blind, die fünf Töne machen das menschliche Ohr taub, die fünf Geschmäcke machen den menschlichen Gaumen stumpf; Rennsport und Jagd bringen den Menschen zu unsinniger Leidenschaft; schwer zu erlangende Schätze verleiten den Menschen zu unheilvollem Tun. Darum sorgt der Weise für sein Inneres und nicht für die äußeren Sinne« (12). »Gehäufter Lebensgenuß bedeutet UnSeligkeit; das Triebleben in der Seele steigern, heißt sich bezwingen lassen« (55). Gefangen ist, wer der Sucht, Leben nur als Leben zu wollen, verfällt: »Wer nichts tut nur um des Lebens willen, ist weiser als der, welchem das Leben das höchste Gut ist« (75). »Wer begierdelos ist, der erkennt das Tao; wer stets Begierden hat, sieht nur seine Äußerlichkeit« (1). Wer von »Musik und leckerem Mahl« gefesselt ist, hält das Tao für fad und abgeschmackt (35).
Das Sickselbstnichtbetrachten: »Nicht sich sieht er an, darum leuchtet er. Nicht sich ist er recht, darum zeichnet er sich aus.« Er »vollbringt Verdienstliches und verweilt nicht dabei« (77).
Das Nichtbeanspruchen: Der hohe Mensch »wirkt und behält nicht, er handelt und beansprucht nicht« (2). »Er belebt und hat nicht. Er erhält und beherrscht nicht« (10). »Weil der Weise nie den Großen spielen will, deshalb ist er imstand, seine wahre Größe zu erreichen« (34).
Das Sichzurückhalten: »Ist das Werk vollbracht, dann sich zurückziehen« (9). Der Weise »wünscht nicht seine Weisheit sehen zu lassen« (77). Er »tut und macht nichts daraus« (77). »Ist das Werk vollbracht, tut er sich nichts darauf zugut« (2). »Nicht sich rühmt er, darum ragt er hervor« (22).
Erkennen: In Einheit mit dem Tao leben, heißt zugleich Tao erkennen. Es erkennen, heißt zugleich in ihm leben.
Die Erkenntnis des Tao ist nicht wie ein Wissen von etwas. Messe ich am geläufigen Wissen, so ist Erkenntnis des Tao wie nichts: »Wer tut im Lernen (Gelehrsamkeit treibt), nimmt täglich zu; wer tut im Tao, nimmt täglich ab... um anzulangen am Nichttun« (48). Wer Tao erkennt, von dem gilt: »Lichthell alles durchdringend, kann er unwissend sein« (10). Ihm bedeutet nichts die Vielwisserei: »Wer erkennt, ist kein Vielwisser; wer Vielwisser ist, erkennt nicht« (81).
Erkenntnis des Tao wird nicht von außen erworben; sie erwächst dem Inneren: »Nicht ausgehend zur Tür, kennt man die Welt; ohne durch das Fenster zu sehen, schaue ich die Ordnung des Himmels. Je weiter man ausgeht, desto weniger erkennt man« (47).
Statt im Vielerleiwissen sich zu zerstreuen, ist Erkenntnis des Tao das Wissen vom Einen: »Erkannt haben, was ewigen Bestand hat, heißt erleuchtet sein« (55). »Das Ewige nicht kennen, ist Verwilderung und Verderben« (16).
Diese Formeln besagen: Nur der Tiefe des Menschen öffnet sich die Tiefe des Tao. Dem Vordergrund und der Verkehrung des Menschen, seinem Begehren und Sichselbstwollen, seinem Sichbespiegeln und Beanspruchen verschließt sich das Tao. Aber in des Menschen Tiefe ruht die Möglichkeit eines Mitwissens mit dem Ursprung. Ist die Tiefe verschüttet, gehen die Wogen des Daseins in der Welt darüber hin, als ob sie gar nicht wäre.
Daher ist nur mit dem Erkennen des Tao die eigentliche Selbsterkenntnis möglich. »Wer andere kennt, ist klug; wer sich selbst kennt, ist erleuchtet« (33). Diese Selbsterkenntnis, die nichts zu tun hat mit der Selbstbespiegelung, nichts mit dem Sichselbstbesitzenwollen im Wissen von sich, ist das Wissen um das Selbstsein im Tao, das jenes falsche Selbstseinwollen durchschaut und zum Verschwinden bringt. Daher ist die Selbsterkenntnis negativ zu fassen: »Wissen, daß man nichts weiß, ist das höchste. Die Grenzen seines Wissens nicht wissen, ist Krankheit. Nur wer seine Krankheit als Krankheit weiß, ist dadurch nicht krank. Der heilige Mensch ist nicht krank, weil er seine Krankheit leidend empfindet« (71). Positiv aber ist die Selbsterkenntnis, die Erkenntnis seiner selbst in bezug auf den Urgrund, dieser Mutter aller Wesen: »Wer seine Mutter erkennt, erkennt auch seine Kindschaft. Wer seine Kindschaft erkennt, hält zu seiner Mutter« (52). Umgreifende Offenheit: Wer das Tao wiedergewonnen, damit den Eigenwillen zum Erlöschen gebracht hat und er selbst geworden ist, der lebt in der Weite, und das Gegenwärtige liegt so vor ihm, wie es in seinem Grunde ist: »Wer das Ewige kennt, ist umfassend. Umfassend sein, ist gerecht sein« (16). Dies Umfassendsein hat eine erstaunliche Dialektik in sich:
»Der heilige Mensch hat kein beharrlich Herz (oder kein befestigtes Herz oder: kein Eigenherz); aus der hundert Geschlechter Herzen macht er sein Herz« (49). Es gibt keine Grenze seines Mitlebens: »Alle Wesen treten hervor, und er entzieht sich nicht« (andere Übersetzung: »Die Dinge treten an ihn heran, und er verschließt sich ihnen nicht«) (2). Er verläßt keinen Menschen, denn »keiner ist ganz verloren« (27). Er wagt es, alle gleich zu behandeln: »Den Guten behandle ich gut, den Nichtguten behandle ich auch gut. Den Aufrichtigen behandle ich aufrichtig, den Nichtaufrichtigen behandle ich auch aufrichtig« (49). Noch weiter geht er, wenn er von sich fordert: »Vergilt Feindschaft mit Wohltun« (63),
Diese Weite bedeutet aber zugleich größte Ferne. Indem er das Wesen sieht und liebt, durchschaut er den Schein der Endlichkeit und erfährt damit eine nicht leere, sondern vom Tao erfüllte Unbetroffenheit von dem Besonderen; wie das Tao verhält er sich auch hier, er steht jenseits von Gut und Böse, nicht in Gleichgültigkeit, sondern mit der Tiefe seines in Gerechtigkeit und Liebe allein am Wesen festhaltenden Blicks: »Himmel und Erde haben keine Menschenliebe, sie nehmen alle Wesen für einen Strohhund. Der heilige Mensch hat keine Menschenliebe; er nimmt das Volk für einen Strohhund« (5).
Des Weisen Haltung im Ganzen: Der Erleuchtete verhält sich, wie die Meister des Altertums: »Behutsam waren sie, wie wer im Winter einen Fluß überschreitet; vorsichtig, wie wer alle Nachbarn fürchtet; zurückhaltend, wie ein Gast; ausweichend, wie schmelzendes Eis; einfach, wie Rohholz; leer, wie ein Tal; undurchsichtig, wie getrübtes Wasser« (15). Oder er hat drei Grundeigenschaften: Barmherzigkeit (Menschenfreundlichkeit), Sparsamkeit, Bescheidenheit (nicht wagen, im Reiche voraus zu sein) (67). Der Weise spricht nicht viel. »Der Mensch, der viele Worte ausgibt, erschöpft sich oft« (5).
Einfalt und Unbefangenheit des Kindes ist das Wesen des Weisen: »Wieder kehrt er zur ersten Kindheit« (28). »Kann dem Kinde gleich sein« (10). »Wer in sich hat der Tugend Fülle, gleicht dem neugeborenen Kinde; die Knochen sind schwach, die Sehnen weich und doch greift es fest zu« (55).
Der Zustand des Weisen ist die Unerschütterlichkeit: »So kann er nicht beeinflußt werden weder durch Zuneigung noch durch Abneigung; er kann nicht beeinflußt werden weder durch Gewinn noch durch Schädigung; er kann nicht beeinflußt werden weder durch Ehrung noch durch Erniedrigung« (56).
d) Der Abfall: Daß die Menschenwelt im Zustand eines Abfalls vom Tao sich befindet, ist für Laotse ein Faktum. Die meisten und daher die öffentliche Wirklichkeit sind fern vom Tao. Das wird oft ausgesprochen, z.B.: »Des Nicht-Redens Lehre, des Nicht-Tuns Vorteil, wenige in der Welt erreichen sie« (43).
Warum der Abfall? Das Altertum besaß das Tao und lebte in ihm (14; 15). Wodurch aber der Abfall geschieht, das ist als Tat des Menschen nicht in der Vergangenheit einmal für immer als Seinskatastrophe geschehen, sondern geschieht stets von neuem. Der Abfall erscheint als Folge der Absichtlichkeit, der Selbstreflexion, des Sichselbstwollens.
Das Vermögen und das Unvermögen der Absichtlichkeit läßt Tschuangtse den Laotse im Gespräch mit Konfuzius aussprechen: »Wenn man zum Tao kommt, geschieht es nicht von selbst, und man kann es nicht; ihn verlieren, geschieht auch nicht von selbst, aber man kann es.« Das heißt: man kann nicht zum Tao kommen durch die eigene Kraft absichtlichen Wollens; aber es geschieht nicht von selbst: das Tao in mir und außer mir wirkt es. Ferner: der Verlust des Tao geschieht auch nicht von selbst: es ist Schuld des eigenen Tuns - »man kann es« -, und zwar durch die Herrschaft der Absichtlichkeit und des Sichselbstwollens in mir.
Aber woher kommt diese Absichtlichkeit? Das hat Laotse nicht ergrübelt. Ob nicht das Tao mit Welt und Mensch ursprünglich eins bleiben konnte und ob kein Abfall hätte zu geschehen brauchen, das fragt Laotse nicht. Er nimmt ihn als gegeben.
Stufen des Abfalls: Laotse unterscheidet: »Wes Tun mit Tao einstimmt, wird eins mit Tao; wer der Tugend gemäß handelt, wird eins mit der Tugend; der Verderbte wird eins mit der Verderbnis« (23). Das heißt: in der Mitte zwischen dem Einsgewordensein und der Verderbnis steht das als recht zu begreifende und als solches auch absichtlich zu erzwingende Handeln und Sichverhalten, die Tugend. Erst wenn das Tao verlassen wird, gibt es bestimmte Tugenden und Regeln. Diese sind der Ausdruck dessen, daß die Verlorenheit schon eingetreten ist. Sie sind der Versuch einer Teilrettung. Denn erst wo der Mensch schon abgefallen ist, gibt es Pflichten. Die scheinbar edelsten Tugenden sind doch Zeichen einer schon niederen Stufe des Menschseins. Denn dieses ist wahr und wirklich nur im Einssein mit dem Tao: »Wird das große Tao verlassen, dann gibt es Menschenliebe und Gerechtigkeit. Kommt Klugheit und Wissen auf, so gibt es große Heuchelei. Sind die sechs Verwandtschaftsarten nicht in Einklang, so gibt es Kindespflicht und Vaterliebe. Ist die Landesherrschaft in Verfall und Unordnung, so gibt es getreue Diener« (18).
Eine Stufenfolge wird entwickelt von der hohen im Tao wandelnden Existenz (der »hohen Tugend«) bis zur bestimmten Tugendhaftigkeit und zur konventionellen Anständigkeit, die schließlich Gewalt braucht gegen den, der ihr nicht zustimmt: »Hohe Tugend handelt nicht geflissentlich und erhebt keine Ansprüche... Hohe Menschenliebe handelt geflissentlich, aber sie erhebt wenigstens keine Ansprüche. Hohe Gerechtigkeit handelt geflissentlich und erhebt Anspruch. Hohe Anständigkeit handelt geflissentlich, und wenn ihr keiner entspricht, dann streckt sie den Arm aus und braucht Gewalt. Darum: verliert man das Tao, hernach hat man Tugend; verliert man die Tugend, hernach hat man Menschenliebe; verliert man die Menschenliebe, hernach hat man Gerechtigkeit; verliert man die Gerechtigkeit, hernach hat man Anständigkeit« (38).
In anderer Richtung werden Stufen charakterisiert: »Hören Hochgebildete vom Tao, werden sie eifrig und wandeln in ihm. Hören Mittelgebildete vom Tao, bald behalten sie es, bald verlieren sie es. Hören Niedriggebildete vom Tao, verlachen sie es höchlich« (41).
Rückweg zum Tao: Kein Dasein ist ganz verlassen (27). So liegt in allen Menschen - ohne jemandes Gebot - die Neigung, Tao freiwillig anzubeten (51). Unbewußt ist das Wesen immer noch da, auch wenn es bewußt verachtet wurde. Niemals ist ganz verloren, was mit dem Ursprung der Geschöpfe aus dem Tao in sie gesenkt war. »Warum soll ein Mensch wegen seiner Schlechtigkeit verworfen werden? Was war es, weshalb die Alten Tao hochhielten? War es nicht das, daß Tao, wenn gesucht, gefunden werden kann? Daß der, der Schuld hat, gerettet werden kann?« (62)
Fragen wir aber nach Anweisungen, nach Methoden, durch die die Rückwendung gefunden werden könnte, so gibt Laotse solche nicht, weil die Unabsichtlichkeit nicht absichtlich hervorgebracht werden kann. Er zeigt, worauf es ankommt. Da dieses aber nicht als endlicher Zweck, als eindeutig wißbares Etwas gewollt werden kann, so muß notwendig jede Anweisung im Sinne von Angabe einer planmäßig zu wollenden Methode ausbleiben. Jede Anweisung wäre schon eine Verkehrung. Die Bilder und Formeln sind nicht Rezepte.
Aber eines scheint doch wie eine Anweisung zu klingen: der Hinweis auf das Altertum, dessen Meistern zu folgen sei. »Die Guten des Altertums, die da Meister worden sind, waren fein, geistig und tief eindringend. Verborgen, konnten sie nicht erkannt werden. Weil sie nicht erkannt werden können, so mühe ich mich, sie kenntlich zu machen« (15).
Jedoch die Zurückwendung zum Altertum ist doppelsinnig. Sie bedeutet (wie Strauß sagt) nicht, das vergangene Alte identisch zu erneuern aus Kenntnis der literarischen Überlieferung - das ist der Weg des Konfuzius -, sondern sie bedeutet, das ewig Alte, weil Ursprüngliche, zu erneuern in der Kontinuität mit den durch die Geschichte gehenden Fäden des Gewebes des Tao: »Hält man sich an das Tao des Altertums, um zu beherrschen das Sein der Gegenwart, so kann man erkennen des Altertums Anfänge: das heißt Taos Gewebeaufzug« (14).
e) Nichts oder Ewigkeit. - Auf die Frage, was der Lebenssinn sei, würde die Antwort Laotses lauten: Am Tao teilhaben, damit eigentlich sein, das heißt ewig, unsterblich sein, - im Vergänglichen das Unvergängliche ergreifen. Die Unsterblichkeit ist von Laotse ausgesprochen in dunkler Tiefe:
»Wer wie das Tao ist, der dauert fort: er büßt den Körper ein ohne Gefahr« (16). »Wer stirbt und doch nicht untergeht, lebt lange« (33). »Braucht man Taos Klarheit und kehrt zurück zu seinem Lichte, so verliert man nicht bei des Leibes Zerstörung. Das heißt Ewigkeit anziehen« (52). »Wenn etwas seine volle Kraft entfaltet hat, dann altert es. Das ist, was man Tao-los heißt. Was Tao-los ist, endet bald« (30, 55).
Die Unsterblichkeit ist hier der Ausdruck für die Teilhabe am Tao, für die Ruhe in der Ewigkeit des Zeitlosen, nicht aber eine Daseinsverlängerung ins Endlose, weder in einem Jenseits noch in einem Kreislauf von Wiedergeburten. Was die Unsterblichkeit ist und wie sie ist, das wird nicht zum Bilde. Nur das Bewußtsein der Ewigkeit wird hell. Zum Leben gehört der Tod: »Das Hervorgehn zum Leben ist schon auch der Eingang zum Sterben« (50). Aber es ist vom Wechsel unbedroht, was - mit Tao eins - Leben und Tod gefahrlos macht, was bleibt, wenn der Leib stirbt. Von da ist auch zu verstehen:
»Wer das Leben zu erfassen weiß, geht geradezu, ohne zu fliehen vor Nashorn und Tiger; geht unter feindliche Kriegsscharen, ohne anzulegen Panzer und Waffen. Das Nashorn trifft keine Stelle, wo es sein Hörn hineinstoßen, der Tiger keine Stelle, wo er seine Krallen hineinschlagen kann... Woher kommt das? Weil er keine Angriffsstelle für den Tod hat« (50). Der Leib wird hier zum Gleichnis: das Tao-geeinte Wesen hat keine Stelle, wo es der Tod treffen könnte, wenn auch der Körper stirbt, und der Träger des Leibes ist aus seiner Tao-Geeintheit furchtlos, denn den Leib zu verlieren, bedeutet ihm im Wesen nichts mehr.
f) Das Schicksal des dem Tao Folgenden - des Laotse — in der Welt: Wenn die Welt der Gemeinschaft verkehrt ist in eine gemachte Ordnung von Gewalt und Gesetz, so entsteht die Einsamkeit dessen, der wahrhaft beim eigentlich Seienden ist: nicht weil er ein weltflüchtiger Sonderling wäre, sondern nur weil Gemeinschaft und Regierung nicht wahre sind, das heißt nicht dem Tao folgen; nicht weil er eine abseitige Ausnahme wäre, sondern weil die Lust und die Freuden, die Zwecke und Antriebe der Menge auf Abwegen vom Tao gehen. Laotse ist einer jener frühen Einsamen, aus Not, nicht aus Willen, wie Jeremias und Heraklit.
Wie daher das Leben des Weisen in dieser Welt aussieht, bringen einige merkwürdige, sehr persönliche Sätze des Laotse zum Ausdruck: »Was aber alle verehren, das darf man nicht ungestraft beiseite setzen. O Einöde, daß sie kein Ende nehmen will l Die Menschen strahlen vor Lust, wie bei einem Opferfestschmaus, wie wenn man im Frühling eine Anhöhe ersteigt. Ich allein bleibe teilnahmslos; keine Spur solchen Lebens! Wie ein neugeborenes Kind, das noch nicht lachen kann. Ich schwanke umher, wie wer nicht hat, wohin er sich wendet. Die Menschen alle haben Überfluß: ich allein bin wie ein Bettler auf der Straße. Ein Schwachsinniger bin ich, ach! ein Wirrkopf! Die gewöhnlichen Menschen sind gar hell; ich allein bin wie verfinstert. Die gewöhnlichen Menschen sind aufgeräumt, ich allein bin traurig, zerschlagen wie ein Wrack im Meer, umhergetrieben wie ein Ding, das nirgends hingehört! Die Menschen alle sind zu etwas nütz, ich allein bin tölpisch wie ein Bauer. Ich allein bin anders als die Menschen: denn ich ehre die nährende Mutter« (20).
An anderer Stelle spricht Laotse das Faktum seines Nichtverstanden-werdens so aus: »Meine Worte sind sehr leicht zu verstehen, sehr leicht zu befolgen, aber keiner in der Welt vermag sie zu verstehen, keiner vermag sie zu befolgen. Diese Worte haben einen Vater, diese Taten haben einen Herrn. Weil die nicht verstanden werden, werde ich nicht verstanden. Die mich verstehen, sind wenige; das gereicht mir zur Ehre. Daher der Weise sich in grobes Gewand hüllt und seinen Schatz im Inneren verbirgt« (70).
Nach Se ma Tsien hat Laotse zu dem jüngeren ihn besuchenden Konfuzius, dessen reformatorisches Unternehmen verwerfend, gesagt: »Wenn der Weise seine Zeit findet, dann steigt er; wenn er nicht seine Zeit findet, dann laßt er das Unkraut sich häufen und geht . . . Weg mit des Herrn Unkraut und ausschweifenden Plänen! Das alles nützt dem Herrn selber nichts.«
  • Document: Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen. Bd. 1. (München : R. Piper, 1957). [Enthält : Buddha, Confucius, Laozi]. S. 898-933. (Jasp2, Publication)
  • Person: Laozi
13 1957.4 Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen [ID D17060].
Laotse [Laozi] (2)
4. Das Tao und die Staatsregierung (die Praxis der Lenkung menschlicher Gemeinschaft)
Im Herrscher, in der Verwaltung, in der Wirtschaft und noch im Krieg ist das Wahre: die Gleichförmigkeit mit dem Tao. Daher wird beim Regieren wiederum das Nichthandeln, das Freilassen, das Wirken in der Unmerklichkeit, das heißt in der Gestalt der Schwäche, das Wahre sein. Der Herrscher ist ein einzelner Mensch. Wie dieser ist und handelt, das macht das Leben des gesamten Staatswesens aus. Das Ganze der menschlichen Zustände ist dasselbe, was der einzelne Mensch ist.
a) Der Staatslenker: Die Stufenfolge im Wert der Staatslenker wird charakterisiert durch die Weise, wie das Volk sie sieht.
»Herrscht ein Großer, so weiß das Volk nur eben, daß er da ist. Mindere werden geliebt und gelobt, noch mindere werden gefürchtet; noch mindere werden verachtet« (17). Die besten Herrscher sind unmerklich: »Die Werke werden getan... und alle hundert Geschlechter sagen: wir sind frei (wir sind von selbst so)« (17); und zugleich: »Alle Welt wird von selbst das Rechte tun« (37).
Der vollkommene Herrscher »macht nicht, darum verdirbt er nichts, nimmt nicht, darum verliert er nichts« (64, 29). Er wirkt durch Nichttun. »Liebt er das Volk und regiert er das Land, kann er ohne Tun sein« (10). »Mit Ungeschäftigkeit gewinnt man das Reich« (57).
Dem entspricht es, daß der gute Herrscher sich niedrig hält, sich unscheinbar macht, nicht beansprucht. Er wird, wenn er als Herrscher über dem Volk stehen will, mit seinem Sprechen sich unter das Volk stellen; er wird, wenn er dem Volk voranzugehen wünscht, sich persönlich ihm nachsetzen; »so bleibt er oben, und das Volk fühlt keine Bürde; so geht er voran, und das Volk fühlt sich nicht zurückgesetzt« (66). Ein solcher Herrscher, der, während er seine Hoheit kennt, sich doch in der Erniedrigung hält (daher auch sich »verwaist«, »Wenigkeit«, »unwürdig« nennt) (39), »ist des Reiches Strombett« (28).
Regierung durch Nichttun kann nur dem gelingen, der das Regieren nicht begehrt. Hat er Sorge, die Macht zu gewinnen, und Angst, sie zu verlieren, so vermag er nicht, wahrhaft zu regieren.
Anders die schlechten Staatslenker. Das Entscheidende ist: »Schwierigkeit, die Leute zu lenken, kommt daher, daß die Herrschenden zu vielgeschäftig sind« (75). Schlimmer noch: »Sind die Paläste sehr prächtig, dann sind die Felder sehr wüst, die Speicher sehr leer. Bunte Kleider anziehen, scharfe Schwerter umgürten, sich füllen mit Trank und Speisen, kostbare Kleinodien haben in Überfluß, das heißt mit Diebstahl prahlen« (53).
b) Das Wirken des Nichttuns: Die Wirkung durch Nichthandeln (wu wei) des Herrschers ist schwer begreiflich. Dieses Nichthandeln ist von der Art, daß es Selbstentfaltung aller Wesen, aber nicht die willkürliche, sondern die wahre erwirkt: »Wenn Könige und Fürsten das Nichthandeln des Tao zu wahren vermöchten, so würden alle Wesen von selbst sich gestalten« (37).
In der universistischen Weltanschauung der Chinesen ist diese Wirkung eine magische: Einstimmung des Herrschers mit dem Tao lenkt den Gang nicht nur des Reiches, sondern auch der Natur und aller Dinge auf die rechte Bahn. Das Tao-gemäße Verhalten des Herrschers ist Ursprung guter Ernten und verhindert Überschwemmungen, Dürre, Seuchen und Kriege. Diese magische Vorstellung kommt auch bei Laotse vor (wenn dieses Stück echt und nicht spätere Zutat ist): »Wenn man mit Tao das Reich regiert, so gehen die Abgeschiedenen nicht als Geister (kuei) um. Nicht daß die Abgeschiedenen keine Geisteskräfte hätten, aber ihre geistigen Kräfte schaden den Menschen nicht« (60). Diese magische Vorstellung tritt bei Laotse zurück, wenn sie auch nicht ausdrücklich bekämpft wird.
Oft dagegen betont er die Vorbildlichkeit. »Wenn einer das große Bild - das urbildliche Tao - anderen vorhält, läuft alle Welt ihm zu« (35). »Tiefe Tugend ist abgründig, ist wie fernwirkend. Sie ist dem, was in der Welt gilt, entgegengesetzt; sie bringt es aber hernach zu großer Nachfolge« (65). Anziehungskraft des hohen Menschen und infolgedessen Nachfolge des Tao bringt das Volk und das Reich in Ordnung. Der Mensch ist durch sein inneres Sein Träger des Vorbildes. »Gilt es die Reichsbevölkerung für sich einzunehmen, so tut es keine äußere Veranstaltung« (57).
Entscheidend ist die Spontaneität im Handeln des Nichthandelns. Es wäre absurd, zu meinen, durch Nichtstun geschehe eine Wirkung. Vielmehr ist das Nichttun, das nicht Nichtstun ist, gemeint als das alle Pläne umgreifende, jedem bestimmten Tun vorhergehende Tun im ganzen, das weder Passivität noch planloses Tun ist. Es ist das Handeln, das kein gewaltsames Eingreifen nach nur endlichen Zwecken, sondern Eingreifen aus dem Ursprung des Tao selbst ist. Möchte man die Art der Ursächlichkeit dieses Nichttuns näher bestimmt wissen, so ist solche Forderung unangemessen für das, worum es sich hier handelt. Ebenso wie die in das Tao eindringende Spekulation und wie die Erhellung des ursprünglichen Nichttuns des Einzelnen, so ist auch die politische Erörterung auf dem Weg, der hinausführt in das Unnennbare, Un-unterscheidbare.
Erst auf der nächstniederen Stufe ist im Unterschiedensein des Endlichen ein bestimmtes Sprechen möglich; und dann wird sogleich auch negativ gesprochen: »Je mehr es im Reiche Beschränkungen und Verbote gibt, desto ärmer wird das Volk. Je künstlicher und erfinderischer die Behandlung des Volkes ist, desto unglaublichere Schliche kommen auf. Je mehr Gesetze und Verordnungen erlassen werden, desto mehr treten Räuber und Diebe auf« (57). Oder es wird nur die unbestimmte positive Behauptung abgewandelt, daß, wenn nur das Machen, Eingreifen, Verbieten und Befehlen fortfällt, alles »von selbst« wahr und wirklich werde. »Ich mache nichts, so wird das Volk von selbst anders; ich verhalte mich am liebsten ruhig, so fügt sich das Volk von selbst der Ordnung; ich übe die Nichteinmischung in der Wirtschaft, und das Volk wird von selbst reich; ich halte mich frei von Begehrlichkeit, so wird das Volk von selbst einfach« (57); (demgegenüber ist nur eine äußere Kausalität getroffen mit dem Satz: »Das Volk hungert, weil seine Obrigkeit zu viel Abgaben verzehrt«; 75).
Wenn man in den Sätzen Laotses Anweisungen sucht, so ist sogleich der Einwand da: das ist doch alles nicht durchzuführen, die Menschen sind nun einmal anders. Aber das bei solchem Einwand vergessene Wesentliche ist, daß es sich hier nicht um Anweisungen für ein zweckhaftes Tun handelt. Wo gerade das Nichtmachen, Nichtplanen, Nichteingreifen recht ist, da kann das Gesagte, wenn es selbst als Aufforderung zum Machen und Planen verstanden wird, nur sinnlos werden. Laotse läßt die Möglichkeit erblicken, die nicht Programm ist für den Verstand, sondern, vor allem zweckhaften politischen Tun liegend, den Ursprung im Menschen ansprechen will. Als ausgedachte, mit endlichen Mitteln realisierbare Institution würde sie eine schlechte Utopie magisch wirkenden Nichtstuns sein. Als Erfühlen der Möglichkeit des Menschseins im Politischen trägt der Gedanke seine Wahrheit in sich. Es mag ungeheuerlich klingen, wenn Laotse sagt: »Wenn die Fürsten und Könige imstande wären, des Tao Hüter zu sein, so würden sich alle Wesen von selbst ihnen unterwerfen. Himmel und Erde würden sich vereinigen, erquickenden Tau herabfallen zu lassen; das Volk würde von selbst, ohne daß es ihm jemand befiehlt, sich geordnet verhalten« (32). Den Sinn dieses Philosophierens würde in der Tat verkehren, wer nun - machend, anweisend, ratend - etwa die Anarchie in der Welt einführen wollte, in der Erwartung, die Menschen würden alsbald, weil sie gut sind, von selbst Ordnung halten. Oder er würde, wenn er im durch ihn entstehenden Chaos Gewalt anwendet, durch diese Gewalt alles von ihm Gemeinte böser als je zerstören. Wäre aber der den Laotse Mißverstehende, der die Anarchie einführen will, ein »Heiliger«, und bliebe er wahrhaftig und folgerecht, so würde ihm, wenn er Beachtung fände, Vernichtung beschieden sein. Laotse dagegen spricht - keineswegs die anweisende, machende Umgestaltung der Zustände meinend - im Blick auf seine Wahrheit aus, daß niemand weiß, wie weit er kommen kann: »Wenn man Tugend häuft, so gibt es nichts, das nicht überwunden werden kann. Ist einem nichts unüberwindlich, so weiß niemand die Grenzen seiner Wirkenskraft« (59).
c) Krieg und Strafen: Wie bewährt Laotse den Sinn des Nichthandelns in dem unumgänglichen gewaltsamen Handeln des Staates: nach außen im Krieg, nach innen bei den Strafen? Wie wird hier der Grundsatz »tun, nicht streiten« (81) zur Erscheinung kommen?
Der Krieg ist in jedem Falle böse: »Die schönsten Waffen sind Unglückswerkzeuge, alle Wesen verabscheuen sie« (31). »Wo Heere lagern, gehen Disteln und Dornen auf. Großer Kriegszüge Folge sind sicherlich Notjahre« (30). Aber es gibt Situationen, in denen auch der Weise sich dem Kriege nicht entziehen kann. »Kann er nicht umhin und braucht die Waffen«, so bleiben ihm zwar »Friede und Ruhe doch das Höchste« (3l). Aber ist er entschlossen, so beschränkt er sich selbst in der Weise, wie er kämpft und siegt. Er »erkämpft den Sieg und läßt es dabei bewenden: Er brüstet sich nicht und wird durch seinen Sieg nicht übermütig. Er kämpft und siegt, weil es unerläßlich ist, kämpft und siegt, ohne den Helden zu spielen« (30).
Auch noch im Kampf gilt das Tun durch Nichttun. Da »das Zarte und Schweigsame mächtiger ist als das Starre und Starke« (36), »der Welt Zartestes der Welt Härtestes« überwindet (43), folgt für Laotse mit verwunderlicher Konsequenz: Es »werden die, die in Gewaffen stark sind, nicht siegen... Was stark und groß ist, geht abwärts; was zart und biegsam ist, aufwärts« (76). »Die indessen, die Sanftmut haben, werden in Schlachten siegen, in der Verteidigung feststehen« (67). »Wenn gleichstarke Heere sich begegnen, so siegt der, der Mitgefühl hat« (69). Der Angriffskrieg wird selbstverständlich verworfen: »Es gibt nichts Unheilvolleres als Angriffskrieg« (69). Auch im Kriege selbst ist gut ein möglichst geringes Eingreifen: »Ein Kriegserfahrener pflegte zu sagen: Ich wage nicht (in Feindesland) den Hausherrn zu spielen, ich betrage mich als Gast. Ich wage nicht einen Zoll vorwärts zu gehen; ich weiche (eher) einen Fuß zurück. Das heißt vom Platze kommen, ohne zu marschieren, drohen, ohne die Hände auszustrecken, vordringen ohne Kampf, Besitz ergreifen ohne Waffen« (69).
Den rechten Krieger schildert Laotse: »Wer tüchtig ist, Anführer zu sein, ist nicht kriegslustig. Wer tüchtig ist, zu kämpfen, wird nicht zornig. Wer tüchtig ist, Gegner zu überwinden, streitet nicht« (68). »Siegt er, gibt er sich nicht der Freude hin. Freude am Siege haben, heißt Freude haben am Menschenmord. Hat einer massenhaft Menschen umgebracht, so soll er sie mitleidsvoll leidtragend beweinen: der Sieger im Kriege gehört dahin, wo nach der Sitte die Trauernden stehen« (31).
Die Gewalt des Staates nach innen äußert sich in den Strafen., besonders in der Todesstrafe (72-74). Tao-Gemäßheit zeigt sich in der Zurückhaltung des Richters. Gestraft soll nur das werden, »was der Himmel haßt«. Aber des Himmels Richter ist verborgen. Daher ist es eine Beruhigung für den menschlichen Richter, der ungerechte Bestrafung vermeiden will, daß, falls er unrediterweise begnadigte, der Verbrecher auch dann seiner Strafe nicht entgehen wird: »Des Himmels Netz faßt weite Weiten, klafft offen und läßt nichts entfliehen« (73).
d) Das Handeln im Wechsel und Werden der Dinge: Zum ewigen Tao findet Entfernung und Rückkehr statt. Diese Rückkehr täglich neu zu finden, ist die Aufgabe, nicht aber die Verwandlung der Welt zu einem gänzlich neuen Zustand. Es gibt für Laotse und die Chinesen nicht den Gang einer einmaligen Geschichte, nicht eine unentschiedene Zukunft, sondern den ewigen Bestand unendlich bewegten Lebens des Tao. In diesem geschieht das Schwanken zwischen Gemäßheit und Abweichen gegenüber dem Tao. Nichthandeln erwirkt die vollendete Angemessenheit.
Dies Nichthandeln ist, statt Ruhe des Zusehens, der beherrschende Grund des Handelns. Politisch ist ständig die faktische Unruhe da: Gegner der Regierung, Keime neuer Gegnerschaften, Veränderungen der Zustände. Der nichthandelnde Staatslenker vollzieht daher das Nichthandeln in einer ständigen Anspannung. Während die Betriebsamkeit nichts eigentlich vollendet und mit ihrem Zweck doch alles zu haben meint, ist dem Tun aus dem Grunde des Nichttuns das Ganze unveränderlich gegenwärtig, jede Handlung vorweg fühlbar in ihren unmittelbaren und fernen Folgen: »Die Leute in ihren Geschäften sind immer nahe am Vollenden, und es mißrät ihnen. Sorgt man für das Ende, wie für den Anfang, dann mißrät kein Geschäft« (64).
Daher lebt der weise Staatslenker im Zusammenhang aller Dinge. Er erblickt, was anfängt und nur erst Keim ist, und folgt der Forderung: »Unternimm das Schwere, solange es noch leicht ist; tue das Große, solange es noch klein ist« (63). Zur rechten Zeit bedarf es des unmerklichen Eingriffs. »Was ruht, kann leicht stillgehalten werden; was noch nicht hervorgetreten ist, mag leicht beeinflußt werden; was schwach ist, ist leicht zu zerbrechen; was spärlich ist, ist leicht zu zerstreuen. Man begegne darum den Dingen, ehe sie hervortreten, man nehme sie in Behandlung, ehe sie in Verwirrung geraten. Ein Baum, der nur mit zwei Armen zu umfassen ist, wächst aus feinster Wurzelfaser. Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt« (64).
Jederzeit diese unmerklichen Eingriffe zu finden, ist das Schwere, nämlich das Halten des Zusammenhangs mit dem Grund der Dinge und allem Geschehen. Daher ist das allordnende Nichttun so fern dem Leichtsinn. Der nichthandelnde Staatslenker bindet sich an das Schwere. »Das Schwere ist des Leichten Wurzel. Der heilige Mensch wandert den ganzen Tag, ohne sich vom schweren Gepäck zu trennen. Wie viel weniger erst darf der Herr des Reichs in seinem Selbst den Erdkreis leichtnehmen! Durch Leichtnehmen verliert man die Wurzel« (26).
e) Der wünschenswerte politische Gesamtzustand: Laotse erblickt entsprechend dem chinesischen Universismus das Dasein des Menschen in einem einzigen Reich, gegliedert von der Spitze des Einen Herrschers über Länder, Gemeinden, Familien bis zu den einzelnen Menschen (54). Dieses Reich ist nicht eine geplante Institution, nicht eine Organisation durch Funktionäre (Beamte), wie sie erst Jahrhunderte später Schi Huang Ti einrichtete, sondern »ein lebendiger Organismus. Das Reich kann nicht gemacht werden; der Macher zerstört es« (29). Laotse hat um sich das verfallende Feudalregiment, dessen ursprünglichen Zustand er für das Tao-Gemäße hält.
Der politische Zustand im Ganzen ist die durch das Eine Reich verbundene Vielheit kleiner Staaten. Das Beste: »Klein sei der Staat, mit wenig Bevölkerung« (80). Damit in diesem kleinen Staat ein glückliches Leben sei (»daß zehn Älteste da sind, und sie ihre Gewalt nicht brauchen; daß man Streitwagen habe, aber ohne Anlaß, sie zu besteigen; daß man Rüstungen und Waffen habe, aber ohne Anlaß, mit ihnen vorzurücken«; 80), muß das Verhalten der Staaten zu einander, der großen zu den kleinen und umgekehrt, das rechte sein: »Ein großes Land, das sich herabläßt, ist des Reiches Band. Darum ein großes Land, ist es Untertan dem kleinen Lande, dann gewinnt es das kleine Land; ein kleines Land, ist es Untertan dem großen Lande, dann gewinnt es das große Land« (61). Die Länder, die glücklich sind, leben nebeneinander, ohne daß die Menschen der verschiedenen Länder, unruhig werdend, in Verkehr miteinander treten: »Nachbarländer mögen in Sehweite liegen, daß man den Ruf der Hähne und Hunde gegenseitig hören kann: und doch sollten die Leute im höchsten Alter sterben, ohne hin und her gereist zu sein« (80).
f) Die Wahrheit des Ursprünglichen: Zustandschilderungen, die an das Idyllische grenzen, Forderungen einer Primitivität, die vor die Erwerbungen der Kultur zurück möchte (»man lasse die Leute zurückkehren zum Gebrauch geknoteter Schnüre«, das heißt also vor die Erfindung der Schrift; 80), sie können bei Laotse anmuten, als sei diese »Rückkehr zur Natur« eine solche zur Roheit. Nur ein Schritt, und es ist in der Tat so.
In der gleichen Richtung scheint die Forderung zu liegen, dem Volk Wissen und Aufklärung vorzuenthalten. Der weise Herrscher »sorgt, daß die Menschen nicht wissend werden, und daß diejenigen, die ein Wissen haben, sich scheuen, zu >machen<« (3). »Die in alten Zeiten recht im Tao wandelten, klärten damit das Volk nicht auf; sie wollten es einfach erhalten. Das Volk ist schwer zu lenken, wenn es allerlei weiß. Mit Aufklärung das Land regieren, ist des Landes Verderben« (65). Ein Schritt, und es handelt sich um eine raffinierte Erleichterung der Menschenbeherrschung durch Dummhalten der Menschen.
Die hohen Werte der menschlichen Kultur und Sittlichkeit scheint Laotse zu verwerfen: »Laßt fahren die Weisheit, gebt auf die Klugheit: des Volkes Wohlfahrt wird sich verhundertfachen. Laßt fahren die Menschenliebe, gebt auf eure Gerechtigkeit: das Volk wird zurückkehren zu kindlicher Ehrfurcht. Laßt fahren die Geschicktheit und verzichtet auf eure Verbesserungen: Diebe und Räuber wird es nicht geben« (19). Ein Schritt, und man ist bei einer Passivität des Gehenlassens, die nur zuschaut und, weltfremd gegen allen Augenschein, an imaginären Vorstellungen festhält.
Um diese Sätze in ihrem möglichen besten Sinn aus dem Ganzen des Laotse zu verstehen, muß man die Zweideutigkeit des »Ursprünglichen« sehen. Ursprünglich heißt erstens das dem Tao Entsprechende, und dieses meint Laotse. Doch es ist so fern, so verborgen, so verwechselbar, daß es wohl gespürt, aber nicht als verwirklichte Menschenwelt behauptet werden kann. Ursprünglich heißt zweitens, was am Anfang war, das Primitive, und dieses wird, weil es als Gleichnis für das eigentlich Ursprüngliche gebraucht wird, mit ihm verwechselt. Die Kraft des philosophischen Gedankens, weicher die Quelle der höchsten menschlichen Möglichkeiten erspürt, kann nicht verhindern, daß Laotses Sätze alsbald — in gelegentlichen Entgleisungen vielleicht schon beim Denker selbst — sich verschleiernd vor das zuerst Gesehene schieben und es verkehren.

II. Charakteristik und Kritik
1. Der Sinn Laotses
a) Der Widerstreit: daß vom Unsagbaren überhaupt geredet wird: »Wer weiß, der redet nicht; wer redet, der weiß nicht« (andere Übersetzung: »Wer Kenner [des Tao] ist, macht nicht Worte; wer Worte macht, der ist nicht Kenner«) (56). Diese Grundeinsicht spricht Laotse wiederholt aus: »Der vollendete Weise übt Belehrung ohne Reden« (andere Übersetzung: »Er bewerkstelligt ein Leben ohne Worte«, anders: »Wandel, nicht Rede ist seine Lehre«) (2).
So hat Laotse sein Unternehmen, die tiefste Erkenntnis mitzuteilen durch das, was gesagt werden kann, auch wieder verworfen. In der Tat: Jeder Satz der Aussage lenkt ab. Wer ihn als solchen nimmt,

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hängt am Gegenstand fest. Er muß Satz und Gegenstand überschreiten, das heißt ins Unsagbare gelangen, um der Wahrheit inne zu werden. Also muß jeder Satz als Aussage im Nichtsagbaren verschwinden, um wahr zu werden.
Warum schreibt dann Laotse ein Buch? Er begründet es nicht. Nur die Legende sagt, daß er nicht wollte, vielmehr der Grenzwächter ihm eine Niederschrift abverlangte, die Laotse gutwillig-widerwillig vollzog. Wir dürfen antworten: weil diese niedergeschriebenen Aussagen durch sich selbst dazu bringen sollen, sie zu überschreiten, an ihrem Leitfaden durch Besinnung auf das Unsagbare hinzuleiten. Dieses Werk Laotses ist die erste große indirekte Mitteilung, auf die der eigentlich philosophische Gedanke immer angewiesen ist.
Nur durch Mitteilung gelangt der Gedanke vom Menschen zum Menschen. Das totale Schweigen wäre zugleich Unhörbarkeit des Schweigens und in der Tat wie nichts. Wir sind auf Sprechen und Hören angewiesen. Einsicht, die sich mitteilt, muß im Selbstverstehen wie im Verstehen seitens des anderen eintreten in das verstandesmäßige, nennende, bestimmende, unterscheidende und beziehende Denken. Die philosophische, unsagbare Einsicht gerät durch ihr Sprechen mit sich selbst in Widerstreit. Aber von ihr selber ist für den Menschen wieder nur im Sprechen (zuerst des Denkenden mit sich) überhaupt zu wissen.
b) Woran in uns wendet sich das philosophische Sprechen? Wir haben gehört: nicht an den Verstand, der ein Wissen von Gegenständen ist, -nicht an den Willen, der auf Zwecke gerichtet nach Plänen handelt. Laotse wendet sich vielmehr an den Ursprung in uns, der durch Verstand und Zwecke verdeckt ist. Daher geht er nicht auf Selbstbezwin-gung durch die Macht des Willens, sondern auf eine tiefere Prüfung unserer Antriebe selber.
In uns ruht oder schläft, was so erweckt werden kann, oder es ist in uns eine Leere, in der nichts zu erwecken ist. Aber dieses Letztere sagt Laotse nicht. Er hat das Vertrauen zum Erweckbaren, die Gewißheit des Tao im Grunde. Es gibt Widerstand, Verschleierung, Erschöpfung, Vergessen. Daher ist die Geduld notwendig.
Als Beispiel diene Laotses politische Erörterung: Seine Sätze kommen Anweisungen so nahe, daß ein Durchdenken als möglicher Anweisungen nahegelegt ist. Dann aber ergibt sich, daß alle solche Anweisungen bei Laotse nur Gleichnisse sind. Sie haben nie den eigentlichen Charakter von Vorschriften oder Gesetzen. Sie werden als Anweisungen falsch, wo sie zur Passivität führen, statt daß sie als Ausdruck für den umfassenden Grund der Aktivität verstanden werden. Sie erwecken den Impuls des Ansichhaltens, die Besonnenheit aus dem tiefsten Umgreifenden heraus. Sie wirken gegen blinde Wut, gegen gedankenlose Aktivität, gegen Gewalt, welche das im weitesten Horizont zu erblickende Ende vergißt.
Sie können wirken als einschränkende Impulse gegenüber der Tendenz, alles durch Anweisungen und Gesetze ordnen zu wollen. Sie können das Maximum des Freilassens zum Bewußtsein bringen. Sie können alle Anweisungen und Gesetze unter die Bedingung stellen, die selber nicht die Form der Anweisung gewinnen, aber in der Mitteilung von Mensch zu Mensch fühlbar werden kann.
Sie gehören zu jenen Vergegenwärtigungen, die wir vollziehen müssen, um nicht ins Endlose der Betriebsamkeit zu geraten, in der trotz herrschender Zweckhaftigkeit am Ende alles falsch, weil zweckwidrig wird.
Es ist merkwürdig, daß die vielen Entscheidungen innerhalb der Bürokratie, die allen größeren politischen Gebilden von jeher zugehört, meistens von Leuten getroffen werden, die ohne den Fonds, der aus der Gegenwärtigkeit des Ganzen kommt, mit der Zweckhaftigkeit zum größten Unsinn gelangen. Die Selbsterziehung des handelnden Menschen und des öffentlichen Geistes fordert die Besinnlichkeit und die Verantwortlichkeit unter Maßstäben, die über den Mechanismus der Gesetze und Anordnungen weit hinausgehen. Diese Verantwortung soll jede Regelung im Ganzen des Lebens und soll sie in ihrem Zusammen mit anderen Regelungen sehen. Sie muß mit der größten Einfachheit nicht nur die je bestimmte Ordnung, sondern auch die Befreiung des Alltagslebens aller und die Offenhaltung unberechenbarer Chancen finden.
Laotses Gedanken wenden sich an den umgreifenden Grund in uns und außer uns. Sie erinnern an das, was in der Luft zweckhaften "Willens und endlichen Verstandes ständig vergessen wird. Laotse spricht beschwörend zu uns im Augenblick, in dem wir, ob im Alltag oder im Beruf oder im politischen Wirken, unsere Absichtlichkeit loslösen von dem, wodurch sie geführt bleiben muß, wenn sie nicht in die Endlosigkeit der Funktion, in die Öde des Nichtigen, in die durch den Betrieb nur gesteigerte Zerstörung und in die Ratlosigkeit der Frage: wozu? geraten soll. Laotse erinnert an das, wovon der Mensch sich nicht trennen darf, wenn er nicht ins Nichts versinken will.
c) Denkformen Laotses: Laotse sucht nicht mehr, er »weiß« im Sinne solchen Wissens. Des Grundes des Seins innegeworden, redet er aus ihm. Weil er erfüllt ist, teilt er mit. Er gibt Antworten ohne Fragen.
Er reflektiert nicht auf die Methoden, die er mit seinen Gedanken verwirklicht. Lenken wir unser Augenmerk auf das Denken, das in der sprachlichen Mitteilung Laotses erscheint, so fallen charakteristische Züge auf.
Erstens: Wir werden von Laotse im Denken weitergetrieben, weil jeder ausgesprochene Gedanke auch verfehlend und jede Besserung des Satzes doch wieder unangemessen ist. Zum Beispiel: »Bemüht, ihm einen Namen zu geben, nenne ich’s groß. Als groß nenne ich’s überschwenglich; als überschwenglich nenne ich’s entfernt; als entfernt nenne ich’s zurückkehrend« (25). Strauß interpretiert: »Zwinge ich mich, ihm einen Namen zu geben, nenne ich es groß. Das absolut Große ist eben damit auch das absolut Ferne. Aber dieses Ferne ist das, das durch alles hindurchgeht, das eben jetzt auch in meinem Denken ist, und deshalb muß ich es als das Wiedergekehrte bezeichnen.«
Zweitens: Die Gedanken, die auf das Tao treffen wollen, geraten in Gegensätzlichkeiten., Widersprüche, Paraäoxien.
Gegensätze sind auf vielfache Weise aneinander gebunden: sie erzeugen sich, ergänzen sich, erhellen sich gegenseitig, sie entfernen sich voneinander, fügen sich ineinander, folgen einander. Zum Beispiel: »Sein und Nichtsein erzeugen einander. Schwer und Leicht vollenden einander. Lang und Kurz formen sich aneinander. Hoch und Niedrig entfernen sich voneinander. Ton und Stimme fügen sich ineinander. Vorher und Nachher folgen einander« (2). Ein anderes Beispiel: »Das Schwere ist des Leichten Wurzel, die Ruhe ist Herr der Unruhe« (26).
Diese mannigfachen Gestalten der Gegensätze benutzt nun Laotse, um im Widerschein das Unsagbare sagbar zu machen, das Sein im Nichtsein, das Wissen im Nichtwissen, das Tun im Nichttun. Es kann für den schnellen Leser, der sich nicht, sich besinnend, in die Sätze mit ihnen vertieft, bei der Wiederholung der gleichen Form wie eine Manier wirken, die ermüdet. In diesem Spiel verstecken sich die Gegensätze ineinander, - oder löschen sich aus, als ob nichts bliebe, - oder kehren sich ineinander um: »Wahre Worte sind wie umgekehrt (ungereimt)« (78). Man findet in der Tat die ihrer selbst noch nicht methodisch bewußte dialektische Denkform, das Umschlagen der Gegensätze ineinander, das Erscheinen des Einen im Gegensatz seines Anderen, die Paradoxie der Einheit der Gegensätze. Sie ist bei Laotse die Form eines Sprechens aus ursprünglicher Tiefe, das auffordert zur Meditation.
Das Spiel mit den Gegensätzen enttäuscht, wenn man bestimmtes Wissen sucht, aber immer nur verschwindende Paradoxien hört. Das Spiel hat seine überzeugende Kraft nur, wenn es den Widerhall des eigenen Grundes weckt. Der endliche Verstand soll sich gleichsam auf den Kopf stellen, wenn der umgreifende Grund das Nichtsein ist, aus dem das Sein ist, das Nichterkennen, mit dem wir Wahrheit ergreifen, das Nichttun, durch das wir tätig sind.
Drittens: Das Tao und was durch Tao ist, kann nur im logischen Zirkel gedacht werden. Es ist nicht aus einem Anderen abgeleitet und nicht durch Beziehung auf ein Anderes zu denken. Weil unbezogen, ist sein Sein im Grunde des Nichtseins nur dadurch auszusprechen, daß es durch sich selbst ist, sein Erkanntwerden im Nichterkennen dadurch, daß es nur durch es selbst erkannt wird, sein Handeln im Nichthandeln dadurch, daß es sich selbst bestimmt. Statt der Ableitung aus einem. Anderen ist der logische Zirkel der Ausdruck für das In-sich-Kreisen des Tao. So heißt es: »Tao ist sich selbst Gesetz« (25), ich weiß es »durch es selbst« (21), erkenne es »an ihm selbst« (54). Werden die Verschleierungen weggezogen, die Verkehrungen rückgängig gemacht, wird der Wille Tao-gemäß, dann wird freigelegt der Ursprung. Und in ihm wird nicht das Nichts erwartet, sondern »es selbst«. -
Die Denkformen des Weitertreibens, der Gegensätzlichkeiten und Umkehrungen, der Zirkel sind ein Mittel, um der Vergewisserung des Ursprungs näher zu bringen. Dieser ist Einer. Daher kennt Laotses Denken nicht die Unterschiede von Metaphysik, Ethik, Politik, die wir zur Darstellung seines Denkens in einem ordnenden Nacheinander benutzen. Laotse greift sie immer wieder mit wenigen Sätzen ineins. Daher denkt er jeweils ganz: ganz politisch, ganz ethisch, ganz metaphysisch, das heißt: er hat in dem, was uns gesondert als Metaphysik, Ethik, Politik sich darstellt, jeweils dieses Besondere in seinem Grunde, damit immer das Gleiche im Auge. Im Tao gebunden, ist nichts getrennt. Vom Tao verlassen, trennt sich eines vom anderen, macht sich fälschlich zum Ganzen, verabsolutiert sich in den Gegensätzen, in der Absichtlichkeit, in der Moralität.
2. Laotse nachfolgende Gestalten
Laotse spricht aus dem Vollendeten oder der Ewigkeit. Er spricht aus dem Umgreifenden an das Umgreifende. Wird der gegenständliche Inhalt seiner Sätze unmittelbar als das, was man wissen und wonach man handeln kann, genommen, so ist sein Sinn verloren. Wie dieses Mißverständnis entsteht, ist aus den Denkformen in Laotses Mitteilung zu begreifen. Was Gleichnis war, wurde als Realität genommen; was als Leitfaden der Gedankenbewegung diente, wurde als Gegenstand zur Sache selbst; was Hinweis auf den Grund der Praxis bedeutete, wurde als Anweisung für absichtliches Verhalten aufgefaßt. So wurde der von Laotse durchschaute, aber unüberwindliche Widersinn des Sagens von Unsagbarem, statt die Bewegung in diese Unsagbarkeit zu veranlassen, vielmehr mißverstanden als gegenständliche Erkenntnis dessen, was ist, oder als Vorschrift für sittliches Handeln oder als Plan für die rechte Staatseinrichtung.
Der Eremit: Laotse transzendierte mit dem Denken des Tao die Welt, aber er verließ nicht die Welt, auch nicht, als er aus der Heimat ging. Er lebte kraft des Tao-Ursprungs in der Welt selbst. Sein Erdenken des Tao geht nicht den Weg zur Ekstase, sucht nicht den Zugang zum Grunde durch eine Veränderung des Bewußtseins in Zuständen der Abwesenheit von Ich und Welt. Laotse ist in diesem Sinne nicht Mystiker. Sein Denken ist eine Vergewisserung durch eine Denkbewegung, welche das Sein in allem Seienden erblicken läßt, bestätigt und wieder ermöglicht. Laotse spürte und vollzog das Tao in der Welt. Daher sind Weltbegreifen, Ethos und Staatsdenken Gestalten seiner Philosophie.
Die tiefe Ruhe des Tao ist in jedem Gedanken Laotses gegenwärtig. Diese Ruhe ist jenseits aller Zwecke und Ziele, ist aller Wesen Zuflucht und Hort, ist Abgrund und Geborgenheit, ist Ende und Vollendung. Aber diese Ruhe ist keine passive Ruhe der Gleichgültigkeit, nicht vitale Beschaulichkeit vegetativen Daseins, sondern die Ruhe in der Unruhe des Leidens unter der Tao-fremden Welt. Sie ist noch in dem Leid der Einsamkeit, dem Zwang, wie ein Narr in der Welt zu leben, die dem Tao fremd geworden ist.
Das Denken Laotses wird sinnverkehrt in folgendem Mißverstehen: Die Begierdelosigkeit, sagt Laotse, ist Bedingung für das Erblicken des Tao. In der Verkehrung dessen wird gefolgert, der Mensch ohne Leidenschaften käme dem Ursprung näher, der Mensch ohne Tat sei dem Grunde verwandter. Laotse erleidet, aber will nicht die Weltabsonderung. Er kommt nicht zur Weltverneinung und gerät nicht in Weltabkehr. In der Verkehrung aber von Laotses Haltung wurde die Welt wegen ihrer Verdorbenheit als Welt schlechthin verworfen. So konnte sein Denken, unter Verkümmerung seines Sinns, im Dienste der Eremiten und Mönche genutzt werden. Als Einsiedler leben, in die Berge gehen, in Höhlen wohnen, alle Weisen der Weltabsonderung waren in China eine uralte Lebensform im Gegenpol zur Ordnung des Lebens in Familie, Gemeinde und Staat. Schon in den alten Liedern des Schi king [Shi jing] findet sich der Preis der Einsamkeit: »Einsamkeit am Bach im Tal ist des Hohen heitre Wahl. Einsam schläft er, wacht und spricht... Einsamkeit am Bergeshang ... Einsamkeit auf Gipfelhöh'...« Durch alle Zeiten geht das Mönchswesen. Es ist taoistisch und beruft sich auf Laotse (soweit es nicht später in China buddhistisch wurde).
Der Lebenskünstler: Die Ruhe des Tao konnte umgekehrt in der Welt gefunden werden, aber als raffinierte Kunst, unter allen Bedingungen und durch besondere Veranstaltungen das Leben geistig zu genießen. Das reale Dasein wird nicht als Aufgabe zur Erfüllung von Pflichten in Familie, Beruf und Staat erfaßt, sondern als Situation, in der durch Anpassung und Beweglichkeit in allen an sich nicht ernstzunehmenden Realitäten die Selbstbehauptung gewonnen wird. Diese bedarf der hohen Kunst der Ruhe in der Schönheit des Lebens. Die alte Geschichte von den drei Essigtrinkern erläutert es: Essig ist das Symbol des Lebens. Konfuzius findet die Flüssigkeit sauer, Buddha bitter, Laotse aber süß. Daher wird durch alle Jahrhunderte Laotse von Konfuzianern angegriffen, mit dem sie dies in die kunstvolle Lebensdisziplin abgleitende Dasein meinen, so etwa Tschu Hsi [Zhu Xi] (1131-1200): Laotse denke, ob er nun von Leere, Reinheit, Nichthandeln und Zurückweichen rede, doch immer an seinen Vorteil, streite mit niemandem und sei immer vergnügt lächelnd.
Der Literat: Tschuangtse ist der berühmteste Nachfolger des Laotse. Er ist auch in den Übersetzungen - im Unterschied vom Tao te king -leicht zu lesen, geistreich, spannend, anschaulich, ebenso geneigt zu flüssigen Ausführungen wie zu zugespitzten Sätzen, reich an Abwandlungen der Gedanken wie der Darstellungsformen. Seine Erfindungsgabe und anschauliche Phantasie fesseln durch Anekdoten, Gespräche, Situationen.
Aber der Unterschied von Laotse ist groß. Laotse fesselt durch die Ursprünglichkeit, den Ernst, das Uneitle, die Wahrheit des tiefen Leidens wie der Ruhe. Tschuangtse dagegen erregt durch die Überraschung, verblüfft den Leser, gibt sich als Ironiker und Skeptiker, hat die Gedanken Laotses wie ein Material seiner literarischen Erfindungen zur Verfügung. Er läßt die Absichtlichkeit der Formung von Literatur spüren. Damit wird jedes Wort Laotses in seinem Sinne verwandelt.
Was schmerzvolle Paradoxie, unerläßlicher Umweg im Versuchen des Unmöglichen war und dadurch so unerhört eindringlich anzusprechen vermochte, wird nun literarische Methode und artistisches Leben des Weisen. Daher ist Laotse nur durch anhaltende Besinnung zugänglich und unerschöpflich. Tschuangtse dagegen läßt im Schein der natürlichen Verstehbarkeit das, wovon in der Nachfolge Laotses die Rede sein sollte, sich faktisch verlieren.
Die Stimmung Laotses ist friedlich, die des Tschuangtse polemisch, voll Hochmut und spottender Verachtung. Tschuangtse scheint nichts zu wissen von dem, was Laotse als die Stärke der Schwachheit, als die sanfte Gewalt des Niedrigen, als die Kraft des immer nach unten, an die verachtetsten Orte fließenden Wassers zeigt und als die ihm eigene Stimmung überall bewährt. Laotse trägt das unermeßliche Leiden der Tao-Ferne in der Welt. Tschuangtse spricht nur die natürliche Trauer des Menschen um Vergänglichkeit und Tod aus und um die Klage in der vergeblichen Frage: woher und wohin und wozu?
Die bewunderungswürdige Erfindungsgabe Tschuangtses, seine eindringenden Gedanken über Welt und Wirklichkeit, über Sprache, über die mannigfachen psychologischen Zustände, sein Reichtum machen ihn zu einem der interessantesten chinesischen Autoren. Aber man darf ihn nicht mit Laotse verwechseln und ihn nicht als einen zureichenden Kommentator Laotses verstehen.
Der Magier: Auf Laotse beriefen sich die Taoisten, welche durch Atemtechnik (wie Mystiker in aller Welt) Zustände tiefster Offenbarung erzwingen wollten; auf ihn beriefen sich die Leute, welche das Lebenselixier, den Unsterblichkeitstrank herstellen oder finden wollten, auf ihn die Zauberer, die auf Wolken zu wandeln, im Raum an jedem beliebigen Ort gegenwärtig zu sein meinten.
Der Politiker der Gewalt: Die Sätze vom Tao und dem hohen Menschen jenseits von Gut und Böse wurden ihres Sinnes beraubt durch die Verdrehung in die Grundsätze eines norm- und moralfreien Umgangs mit Menschen. Aufrührer konnten die Idee des ewig wahren Zustands friedlich anarchischer Ruhe eines Tao-gemäßen Lebens verkehren in das Ziel ihrer Absicht, ihn mit Gewalt herbeizuführen. Ein Konfuzianer sagte kritisch: Laotse betrachte die Menschen wie Tonfiguren. Sein Herz bleibe eiskalt. Auch wenn ein Mensch getötet würde, fühlte er kein Mitleid. Daher ließen sich seine Anhänger viel zu Rebellionen und Betrug verleiten.
Der größte chinesische Gewaltherrscher, Tsin-schi-huang-ti, der im
dritten Jahrhundert v. Chr. mit einer vor ihm nicht dagewesenen totalen Planung und gesteigerter Absichtlichkeit das chinesische Reich umformte, der das Leben technisierte, der die Konfuzianischen Schriften verbrennen ließ, bewahrte außer den militärischen, ackerbaulichen und anderen nützlichen Schriften die Taoistischen Werke. Er wollte die Unsterblichkeit seines Individuums und sandte eine Expedition in das östliche Meer zu den Inseln, wo der Unsterblichkeitstrank zu holen sei. Daß dieser Herrscher Taoist war, ist eine denkwürdige Tatsache. Der tiefste Denker kann auch am radikalsten verkehrt werden.
3. Laotses historische Stellung und Grenze
Laotse ist gegründet in einer uralten anonymen Überlieferung. Seine Leistung ist die Vertiefung der mythischen Anschauung und ihr Überschreiten durch den philosophischen Gedanken. Die Ursprünglichkeit dieses Denkens ist an seinen Namen gebunden. Ihm folgte nicht nur die Verwandlung in größere Zugänglichkeit durch eine Literatur eleganter Form, sondern auch der Aberglaube und die Verdrehung seiner Sätze in Handgreiflichkeiten. Aber er wurde auch immer wieder der Erwecker zu eigentlicher Philosophie.
Weltgeschichtlich ist die Größe Laotses gebunden an den chinesischen Geist. Grenzen Laotses sind Grenzen dieses Geistes: Laotses Stimmung bleibt heiter in allem Leid. Sie kennt weder die Drohung der buddhistischen Wiedergeburten, daher nicht den Drang hinaus aus diesem Rad der Qual, noch kennt sie das christliche Kreuz, die Angst der unausweichlichen Sünde, die Angewiesenheit auf die Gnade der Erlösung durch den stellvertretenden Opfertod des Mensch gewordenen Gottes. Es liegt in diesem Ausbleiben weltgeschichtlicher Seinsanschauungen der indischen und abendländischen Menschen mehr als das Fehlen des Unnatürlichen und Absurden, als ob etwa diese frühen chinesischen Menschen das Glück gehabt hätten, nicht Gestalten furchtbaren Wahns, als welche sie am Maße chinesischer Natürlichkeit erscheinen können, ausgeliefert gewesen zu sein. Welcher Zauber liegt über diesem chinesischen Geiste, der so unermeßlich zu klagen vermag, aber nicht zur Empörung in der Anklage gegen den Grund der Dinge und nicht zum fassungslosen Gehorsam gegen das Unbegreifliche in bestimmt offenbarter Autorität gelangt! Aber trotzdem bleibt die Grenze der Chinesen. Es ist die, die uns dem Zauber ihres Wesens auch fremd bleiben läßt, als ob sich die Abgründe des Schreckens hier nicht in ganzer Tiefe aufgetan hätten. Die Chinesen haben nicht nur keine Tragödie in der Dichtkunst geschaffen, sondern das Tragische ist ihnen unzugänglich geblieben, so groß sie auch das Unheil zu sehen und zu erleben vermochten.
Wie ist nun diese Grenze bei Laotse für uns zu fassen? Wie alle größten Philosophen der Menschheit denkt Laotse aus dem Umgreifenden, ohne in ein Gewußtes sich fesseln zu lassen. Sein in das Weiteste gespanntes Denken läßt nichts aus. Er selbst ist nicht subsumierbar als Mystiker, als Ethiker, als Politiker. Seine tiefe Ruhe des Tao ist gewonnen im Überschreiten aller Endlichkeit, aber so, daß die Endlichkeiten selber, sofern sie wahr und wirklich sind, vom Tao durchdrungen werden. Dies Philosophieren lebt in der Welt den Grund der Welt. Die Grenze solchen Philosophierens zeigt sich erst durch das, was als zu Überschreitendes vorkommt oder nicht vorkommt, durch die Zwischenglieder, die als Wirklichkeiten im zeitlichen Bewußtsein das Unumgängliche sind. Denn diese Zwischenglieder sind die Stufen des Transzendierens oder die Weisen der Gegenwärtigkeit des Wirklichen, durch das hindurch erst der Grund erfahren wird. Sie werden im Überschreiten bewahrt und geben dem ohne sie leer werdenden Transzendieren den Gehalt. Die für uns bei Laotse fühlbar werdenden Grenzen liegen nicht im Gipfel seines Philosophierens, sondern in diesen Zwischenstufen.
Die Grundanschauung, in der alle diese Zwischenstufen liegen, läßt sich vielleicht in schematischer Kürze formulieren: Dem chinesischen Geist ist die Welt natürliches Geschehen, lebendiger Kreislauf, das ruhig bewegte All. Alle Abweichungen vom Tao des Ganzen sind beiläufig, vorübergehend und immer schon auch zurückgenommen in das unverderbliche Tao selber. Uns Abendländern ist die Welt in sich nicht geschlossen, vielmehr bezogen auf das, was aus der Welt als natürliches Geschehen nicht begreiflich ist. Die Welt und unser Geist stehen in der Spannung des Ringens mit sich und dem anderen, sind ein entscheidendes Geschehen im Kampf, haben einen einmaligen geschichtlichen Gehalt. Laotse kennt nicht die Chiffer des fordernden und zornigen, des kämpf enden und Kampf wollenden Gottes.
In der Welt, in der Zeit, in der Endlichkeit - im Raum der Zwischenstufen - ist für uns unumgänglich, was bei Laotse fehlt: das Leben in Frage und Antwort und neuer Frage, das Gewicht des Entweder-Oder, der Entscheidung, des Entschlusses, dieser paradoxen Grundwirklichkeit, daß in der Zeit entschieden wird, was ewig ist. Damit fehlt Laotse auch der Ansatz zur grenzenlosen Selbstreflexion, dieser, im Unterschied von der vollendeten Ruhe im Tao, in der Zeit nicht aufhörenden Bewegung; es fehlt dieses Sicherhellen, dieser Umgang mit sich selbst, dies ständige Vertreiben der immer wieder sich aufdrängenden Selbsttäuschungen und Verschleierungen und Verkehrungen.
  • Document: Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen. Bd. 1. (München : R. Piper, 1957). [Enthält : Buddha, Confucius, Laozi]. S. 898-933. (Jasp2, Publication)
  • Person: Laozi
14 1957.5 Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen [ID D17060].
Laotse [Laozi]
Chung Young-do : Das Philosophieren bei Jaspers und Laozi beginnt mit der Frage : "Was ist ?" Jaspers weist darauf hin : "Philosophieren begann mit der Frage : Was ist ? – es gibt zunächst vielerlei Seiendes, die Dinge in der Welt, die Gestalten des Leblosen und des Lebendigen, endlos vieles, alles kommend und gehend. Was ist aber das eigentliche Sein, das heisst das Sein, das alles zusammenhält, allem zugrunde liegt, aus dem alles, was ist, hervorgeht ?"
Das was wir als das Sein denken, ist sowohl bei Jaspers als auch bei Laozi nur Gegenständliches, auf das wir in dieser Subjekt-Objekt-Spaltung gerichtet sind. Laozi sagt : "Das Tao, das ausgesprochen werden kann, ist nicht das ewige Tao." Wenn wir diese Aussage richtig verstehen, dann ist das Tao das Nicht-Gegenständliche. Auch bei Jaspers kann das Sein im Ganzen weder Objekt noch Subjekt werden, sondern muss das 'Umgreifende' sein, das in dieser Spaltung zur Erscheinung kommt. In diesem gleichen Zusammenhang zeigt sich das Tao von Laozi ebenfalls als unbestimmte und gestaltlose Erscheinung, d.h. als nicht-gegenständliche Erscheinung in der Subjekt-Objekt-Spaltung.
Das Umgreifende als das Sein von Jaspers bleibt für das Bewusstsein dunkel. Es wird hell nur durch die Gegenstände und um so heller, je bewusster und klarer die Gegenstände werden. Er sagt folgendes : "Das Umgreifende wird nicht selbst zum Gegenstand, aber kommt in der Spaltung von Ich und Gegenstand zur Erscheinung. Es selbst bleibt Hintergrund, aus ihm grenzenlos in der Erscheinung sich erhellend, aber es bleibt immer das Umgreifende."
Das Tao wird leer genannt, weil es, ununterschieden, ohne Gegenstand, ohne Gegensatz, nicht Welt ist. Es bleibt in der Leere voller an Möglichkeit, als alle blosse Wirklichkeit der Welt, im Nichtsein mehr als Sein, im ununterscheidbaren Grunde grösser als alles gegenständlich unterscheidbare, bestimmte Seiende. Daher sagt Jaspers, dass Tao stets das Umgreifende bleibe.
Japsers versucht die Erfahrung des Tao durch die Bestimmung des Seienden im Verständnis von Laozi klarer zu machen. Was uns als das Seiende zum Gegenstand wird, macht das Sein für den Verstand aus. Daher ist das Tao für den Verstand nur die Leere, aber es ist trotzdem gegenwärtig. Zum Beispiel wird ein Viereck durch seine Ecken konstituiert, ein Gefäss durch den Raum, der etwas in sich fassen kann, das Bild durch seine Gestalt. In diesem Zusammenhang ist dieser Ursprung nicht Nichts im Sinne von überhaupt nicht, sondern im Sinne des Mehr-als-Sein, aus dem das Seiende stammt. Jaspers interpretiert auch das Tao als den seinsfreien Ursprung. Die Transzendenz als das Sein bei Jaspers schliesst ebenfalls positive Aussagen aus. Er legt diese Auffassung folgendermassen dar : "Alles Denkbare wird zurückgewiesen als nicht gültig vor der Transzendenz. Transzendenz darf durch kein Prädikat bestimmt, in keiner Vorstellung zum Gegenstand, in keinem Schluss erdacht werden."
Genau wie die Transzendenz nach Jaspers durch die indirekte Weise des Lesens der Chriffernschrift verstanden wird, so wird in gleicher Weise das Tao als Sein verstanden und interpretiert. Jaspers schreibt : "Die Grundzeichen des Daseins des Tao in der Welt waren also das alldurchdringende Nichtsein, das alles erwirkende unmerkliche Nichthandeln, die allhervorbringende Kraft der Einheit, die allbegründende Erhaltung der kommenden und gehenden Wesen von einem Ort jenseits von Gut und Böse her."
Die Bestimmungen Nichtsein, Nichthandeln, Einssein, Jenseits von Gut und Böse, die Jaspers ähnlich der Chiffre der Sprache der Transzendenz als Ausdruck des Seins gesehen hat, können als Zeiger oder Chiffre zum Tao verstanden werden. Durch diese Sprache der Chiffre bringt Laozi unmittelbar das Tao zum Ausdruck. Wenn wir in Betracht ziehen, dass Laozi durch die Chiffre des 'Wirkens durch Nichthandeln' spürt, dann können wir nicht sagen, dass es eine unmittelbare Realität hat. Jaspers versucht das Verständnis des Tao durch diese Chiffre zu wecken. Das Tao ist unendlich wirkend, weil alles hervorbringend, aber es wirkt in der Unscheinbarkeit seiner Stille, die nichts tut. Daher verbirgt sich das Tao im Hintergrund der Wirkung der Phänomene und es wird nicht an den Phänomenen und auch nicht an deren Veränderungen erkennbar. Das Verständnis des Tao unterscheidet sich von der Erkenntnis der Phänomene und deren Veränderungen, d.h. die Differenz zwischen der Transzendenz und den Phänomenen liegt darin, dass letztere auf den durch die Sinne zu erkennenden Gegenstand und die begriffliche Beziehung zum Gegenstand beschränkt sind, während das Verständnis der Transzendenz nie ein direktes Erkennen von etwas Gegenständlichem bedeutet, sondern immer über Symbole vermittelt ist.
Nach Jaspers ist das Eine der Transzendenz nicht ein allgemeines Eines, sondern erfüllte Einzigkeit. Es schliesst nicht aus, weil nichts ausser ihm ist, weil durch es alles ist. Er macht das mögliche Missverständnis des Einen aufs deutlichste klar : "Es kommt darauf an, dass man sieht : Das Eine erreich ich nicht, indem ich es für mich in Anspruch nehme und nun das Bewusstsein habe : das Eine soll verkündet werden, das Eine, dieser eine Gott, ist der einzige Gott und ich kenne ihn, ich weiss ihn, ich habe ihn gehört und alle sollen folgen."
Was ist dieses Eine ? Eine Chiffre, sagt Jaspers. Das Eine ist nicht gleich mit der numerischen Zahl 'eins'. Die Zahl 'eins' ist unvermeidlich im Ausdruck. Aber sie genügt ganz und gar nicht, sie führt in die Irre. "Es ist entscheidend, dass das Eine in vollkommener Ferne bleibt, so fern und unzugänglich, dass wenn ich es fassen will, es mir entschweindet. Das Eine ist es, an dem hängt, dass wir unsere Existenz gewinnen."
Jaspers sagt : "Die Kraft des Einen bringt mich aus der Zerstreuung zu mir selbst. Ich will mit mir identisch werden. Das Eine ist unendlich fern, ungreifbar, unerkennbar, der 'Grund alles Seienden', und andererseits ganz nah, wenn ich mir in meiner Freiheit geschenkt werde und auf den Weg des Mit-mir-identisch-Werdens gelange."
Wie bei Jaspers ist das Eine auch bei Laozi die Chiffre des Tao. Das Tao von Laozi ist der Ursprung des Einen in allem Einssein. Alles Seiende hat Sein in dem Masse, als es durch das Band der Einheit gehalten ist, des Einen, das die Hervorbringungsform des Tao ist, nicht Eins als Zahl, sondern Einheit als Wesen.
Das Tao ist das Sein der Einheit. Jaspers versteht auch 'Eins' zum Einssein als die Chiffrenschrift des Tao. Dieses Einssein ist das Sein des Eins, die Einheit, die alle Gegenstätze vereinheitlicht, und das ursprüngliche Sein, zu dem Alle sich vereinheitlichen und von dem Alle zum Seienden werden.
Wie bei Jaspers sind bei Laozi die Grundzeichen des Daseins des Tao in der Welt das alldurchdringende Nichtsein, das alles erwirkende unmerkliche Nichthandeln, die allhervorbringende Kraft der Einheit, die allbegründende Erhaltung der kommenden und gehenden Wesen von einem Ort jenseits von Gut und Böse her. Das Tao ist der Weg des Sollens, den der Mensch notwendig weiter gehen soll, und es ist zugleich auch die Vernunft und das eigentliche Herz des Menschen. Das Tao als das Einssein zeigt seine Gegenwärtigkeit durch die 'Bewegung in Ruhe', und es wird zur Vernunft in dem Inneren des Menschen, zum Katagorischen Imperativ. Daher ist jenes Leben das eigentliche, das dem Tao folgen will, mit dem Tao eins werden will.
Die Transzendenz von Jaspers und das Tao von Laozi sind das Sein selbst oder auch der philosophische Gott im Sinne des fernen Gottes, des verborgenen Gottes und des unbekannten Gottes. Deshalb lebt der Mensch aus Jaspers' Sicht sozusagen in Spannung auf den unbekannten Gott oder die Transzendenz hin.
"Er ist sich gewiss, daß es Gott gibt, weil er als Existenz ein Transzendenzerlebnis hat ; über das 'was' und das 'wie' der Transzendenz kann und darf er sich jedoch kein Bild machen. Alle Versuche, die Transzendenz in verallgemeinerten Kategorien inhaltlich zu denken, sind daher zum Scheitern verurteilt."
Diese Charakterisierung kann auch auf das Tao von Laozi angewendet werden. Der philosophische Gott, Transzendenz genannt, und das Tao unterscheiden sich klar von dem religiösen Gott, dem Gott der Offenbarung.
„Ein entscheidendes Problem in Jaspers' Metaphysik, das sich angesichts der Entgegensetzung von religiösem und philosophischem Gottesverständnis um so schärfer stellt, ist die Frage des Zugangs zur Transzendenz. Jaspers lehnt jede direkte Gottesbeziehung, sei es in Form einer Kundgabe Gottes an den Menschen in der Offenbarung, sei es in Form eines göttlichen Anrufs im Gewissen oder einer Gottesbegegnung in der dialogischen Beziehung des Gebets, von vornherein ab.
Die Frage des Zugangs zur Transzendenz ist auch ein entscheidendes Problem in Laozis Metaphysik.
Mit anderen Worten, sie ist entscheidend für die Erfahrung des Tao in Laozis Taoismus ebenso wie für das Verständnis der Transzendenz in dem Transzendieren durch das Lesen der Chiffrenschrift in Jaspers' Metaphysik.
  • Document: Chung, Young-do. Karl Jaspers und Laotse : Parallelen zwischen den Begriffen Transzendenz und Tao. In : Jahrbuch der Österreichischen Karl Jaspers Gesellschaft ; Jg. 11 (1998). S. 30-37, 39-42. (Jas25, Publication)
15 1957 Jaspers, Karl. Philosophische Autobiographie [ID D20902].
Jaspers schreibt :
"Wir sind auf dem Weg vom Abendrot der europäischen Philosophie zur Morgenröte der Weltphilosophie."
"Seit 1937 habe ich durch Lektüre mir neu Weltkunde erworben. Geistig weilte ich gern in China, dort einen gemeinsamen Ursprung des Menschseins gegen die Barbarei der eigenen Umwelt spürend, in liebender Bewunderung der chinesischen Humanität zugewendet."
  • Document: Gens, Jean-Claude. Jaspers' Begegnung mit und Verhältnis zu China. (Seoul : Sixth International Jaspers Conference, 2008). [Vortrag]. (Gens2, Publication)
16 1957 Karl Jaspers schreibt an Hannah Arendt :
"Ich denke an seine Kritik Lin Yutangs Übersetzungen und dessen Kommentar zu Laotse, und an Mai-Mai Tses Übersetzung vom Chich Tzu Yüan Hua or Mustard Seed Garden Manual of Painting. 1679-1701."
"[Lin Yutang] lässt ein Gebilde entstehen, bei dem man zweifelt, ob er von Lao-Tse einen Hauch gespürt hat."
"[Mai Mai Tse] scheint, obgleich er Chinese ist, nur von aussen und gedanklich unklar – in blossen Häufungen chinesischer Gedanken – davon zu reden."
  • Document: Gens, Jean-Claude. Jaspers' Begegnung mit und Verhältnis zu China. (Seoul : Sixth International Jaspers Conference, 2008). [Vortrag]. (Gens2, Publication)
17 1988- Lu, Lu. Karl Jaspers aus chinesischer Sicht [ID D19266].
Lu Lu schreibt : Die Jaspers-Studie in China beginnt seit den 1990er [1988] Jahren, nachdem in China alle wichtigsten Philosophen schon bekannt sind. Während Jaspers von wenigen chinesischen Gelehrten spezifisch erforscht wird, ziehen ihn die meisten nur beiläufig oder ungenügend in Betracht.
Die Chinesen haben den Schreibstil Nietzsches vom ästhetischen Standpunkt her bewundert, während der Stil Jaspers’ nicht dem chinesischen Geschmack entspricht.
Auch wird die Jaspers-Rezeption in China erschwert durch die Besonderheiten seiner Philosophie, die den Chinesen fremdartig erscheint. Seine Existenzphilosophie steht im Hintergrund gegenüber seinen geschichtlichen, politischen und pädagogischen Schriften. Seine Achsenzeittheorie wird schon früh beachtet, da sie der alten chinesischen Kultur wie der griechischen die gleichwertige Stellung verleiht und dadurch die Geschichtsauffassungen von Hegel und Ranke, die die europäische Zivilisation in den Vordergrund stellten, radikal umgewandelt hat.
Auch sehr früh interessiert sich die chinesische Rezeption für Jaspers’ Idee von der Universität, da die Universitäten in China radikaler Reformen bedürfen.
Die chinesische Interpretation bezweckt keine Einführung in Jaspers’ Philosophie, sondern die chinesische Aneignung seiner Philosophie. Diese Aneignung ist für Chinesen von besonderem Wert, da Jaspers die philosophische Wahrheit nicht in der Einigkeit mit der Wissenschaftlichkeit und im Gegensatz zum theologischen Glauben anerkennt, sondern die Wissenschaftlichkeit transzendierend in der Aneignung der Offenbarung sieht. Da die chinesische Philosophie der Gegenwart, die viel von der abendländischen Philosophie gelernt hat, sich allein nach der Wissenschaftlichkeit orientiert und in keiner Beziehung zum theologischen Glauben steht, ist die jaspersche Metaphysik sowohl in den destruierenden als auch in den rekonstruierenden Dimensionen aufbauend. Jaspers’ Weltphilosophie ist für die Chinesen auch aufbauend, weil sie keine einzige und absolute Wahrheit für sich in Anspruch nimmt, sondern die Wahrheit in den Wahrheiten, also in der gegenseitigen Anerkennung und Aneignung verschiedener und entgegengesetzter Wahrheitsursprünge anerkennt.
Mit der jasperschen Terminologie die chinesische Überlieferung zu interpretieren, eröffnet erstens die Perspektiven, die keineswegs die existierenden Perspektiven in der innerkulturellen Wirkungsgeschichte ersetzen, denn sie eignen sich einander an. Zweitens bilden die neuen Perspektiven, die vom originalen Usprung im Detail abweichen können, die hermeneutischen Vorurteile, die sich auf die Aneignung statt auf die treue Wiederholung abzielen. Drittens ist diese Terminologie notwendig, damit die Aneignung der chinesischen Überlieferung in die interkulturelle Wirkunsgeschichte überhaupt möglich ist, denn sonst bleibt sie fremdartig. Viertens ist diese Terminologie geeignet für die Aneignung, da sie eine Aneignungsphilosophie oder eine Weltphilosophie ist.

Japsers schreibt : „Nur das Abendland kennt die Tragödie“. Dieses Urteil ist zutreffend im Sinne, dass es in China nur eine Tragödie anderer Art gibt, so z.B., endet die chinesische Tragödie meistens mit einem fröhlichen Schluss. Es ist eine Entlastung oder ein Trost für die Chinesen, die sich seit Laozi und Konfuzius daran gewöhnt sind, die Stärke der Spannung die die Schärfe der Konflikte zu mindern, anstatt zu übertreiben. Im Trost liegt die Hoffnung, in der Hoffnung liegt der sittliche Mut, und im sittlichen Mut liegt die Zielsetzung eines fröhlichen Schlusses, da die Gerechtigkeit verwirklicht und die Sittlichkeit belohnt werden soll. Dem sittlichen Helden wird die Unschuld verleiht, denn die Unschuld ist die Voraussetzung dafür, dass ein fröhlicher Schluss überhaupt möglich ist.
Jaspers hat in seiner Existenzphilosophie die Schuld im Zusammenhang mit der Reinheit erläutert : „Reinheit der Seele ist die Wahrheit der Existenz, die im Dasein die Unreinheit wagen und verwirklichen muss, um stets schuldig die Verwirklichung der Reinheit als unendliche Aufgabe in der Spannung des Zeitdaseins zu erfreifen“. Bei Japsers ist die Reinheit die Zielsetzung, die die Unreinheit erfahren muss, während sie bei den Chinesen in der alten Zeit die Zielsetzung und Wirklichkeit zugleich ist und die Unreinheit überspringt, indem sie im strikten Widerspruch mit der Unreinheit seht und dank der aussenstehenden Macht endlich gerettet wird, sodass die Reinheit in keine dialektische oder innere Beziehung mit der Unreinheit kommt.
  • Document: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)

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