Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen [ID D17060].
Konfuzius (1)
Durch die Schichten der umformenden Überlieferung hindurch das Bild des historischen Konfuzius zu erreichen, kann unmöglich scheinen. Obgleich seine Arbeit auch im Redigieren von Überlieferungen und in eigenem Schreiben bestand, besitzen wir doch keine Zeile, die in dieser Form sicher von ihm stammt. Die Meinungsverschiedenheiten der Sinologen sind beträchtlich auch in bezug auf wichtige Tatsachenfragen: z.B. hat nach Franke Konfuzius das I-king [Yi jing] gar nicht gekannt, das doch nach der Überlieferung in seinen letzten Lebensjahren Gegenstand seiner Studien war. Nach Forke hat Laotse [Laozi], der nach der Überlieferung der verehrte alte Meister für Konfuzius war, beträchtlich später als er gelebt. Die Befunde sind derart, daß sich plausible Gründe für und gegen vorbringen lassen. Ein historisches, wenn auch im einzelnen Ungewisses Bild ist trotzdem zu gewinnen, wenn man sich an das hält, was in den gehaltreichen Texten am überzeugendsten auf ihn selbst zurückzuführen ist. Es macht die großartige Einheit seines Wesens, oft im Widerspruch mit späteren chinesischen Bildern, fühlbar. Man darf in der alten Lebensgeschichte des Se-ma-tsien [Sima Qian] aus dem letzten Jahrhundert vor Chr. und im Lun-Yü [Lun yu] persönliche, unerfindbare Züge wahrnehmen. Man kann die geistige Situation vergegenwärtigen, in der er lebte und dachte, und die Gegner, die ein Licht auf ihn werfen.
1. Lebensgeschichte: Konfuzius (etwa 551-479) wurde geboren und starb im Staate Lu. Mit drei Jahren verlor er den Vater, wuchs, von seiner Mutter versorgt, in dürftigen Verhältnissen heran. Schon als Knabe stellte er gern Opfergefäße auf und ahmte die Gebärden der Feierlichkeiten nach. Mit 19 Jahren schloß er seine Ehe, hatte einen Sohn und zwei Töchter. Weder zu seiner Frau noch zu seinen Kindern hatte er ein herzliches Verhältnis. Er war groß an Gestalt und von überlegener Körperkraft.
Mit 19 Jahren trat er in den Dienst einer vornehmen Familie als Aufseher der Äcker und Herden. Mit 32 Jahren war er für die Söhne eines Ministers in Lu Lehrer des alten Rituals. Mit 33 Jahren machte er eine Reise zur Reichshauptstadt Lo-yang, um die Institutionen, Gebräuche und Überlieferungen des Tschou-Reiches (des alten chinesischen Einheitsreiches) zu studieren, das, faktisch zerfallen in die zahlreichen größeren und kleineren sich bekämpfenden Staaten, dort ein nur noch religiöses Zentrum hatte. Damals soll ein Besuch bei Laotse stattgefunden haben. Mit dem Herzog von Lu floh Konfuzius, 34 Jahre alt, vor der Bedrohung durch mächtige Adelsfamilien in einen Nachbarstaat. Dort hörte er Musik, lernte sie ausüben, war so hingerissen, daß er das Essen vergaß. Heimgekehrt lebte er in Lu 15 Jahre lang nur seinen Studien.
Mit 51 Jahren trat er wieder in ein Amt des Staates Lu, wurde Justizminister und schließlich Kanzler. Seine Wirksamkeit stärkte die Macht des Herzogs. Die Adelsfamilien wurden überwunden, ihre Städte der Befestigungen beraubt. Das Land blühte. Die Außenpolitik war erfolgreich. Aus Sorge vor diesem Aufschwung Lus sandte der Herzog eines Nachbarstaates dem Herzog von Lu ein Geschenk von achtzig in Tanz und Musik wohl ausgebildeten schönen Mädchen und dreißig Viergespannen prächtiger Pferde. Der Herzog fand daran so viel Vergnügen, daß er die Regierung vernachlässigte. Auf Konfuzius hörte er nicht mehr. Dieser ging - nach vierjähriger glanzvoller Tätigkeit. Langsam, mit Unterbrechungen, reiste er aus dem Lande, immer noch in der Hoffnung, zurückgerufen zu werden.
Nun folgte eine zwölfjährige Wanderzeit von seinem 56. bis 68. Lebensjahr. Er ging von Staat zu Staat, um irgendwo seine Lehre politisch verwirklichen zu können. Augenblickliche Hoffnungen und dann wieder Niedergedrücktheit, Abenteuer und erlittene Überfälle waren sein Los. Viele Geschichten werden erzählt, wie Schüler ihn begleiten, ihn mahnen und trösten, wie er einen erzwungenen Eid bricht, wie der Herzog von Wei mit seiner berüchtigten Gattin Nan-tse über den Marktplatz fährt, Konfuzius in einem Wagen nachfolgen läßt und das Volk höhnt: »Wollust voran und Tugend hinterher.« Ein Schüler macht dem Meister darob Vorwürfe. Konfuzius verläßt auch diesen Staat. Durch die Jahre verliert Konfuzius nicht das Vertrauen auf seine Berufung als politischer Erzieher und Ordner des Reiches. Wohl spricht er gelegentlich: »Laßt mich heim, laßt mich heim.« Als er schließlich, alt geworden, im 68. Lebensjahr, völlig erfolglos, in seinen Staat zurückkehrt, klagt er in einem Gedicht, nach dem langen Wandern durch neun Provinzen winke ihm am Ende kein Ziel: die Menschen sind ohne Einsicht, schnell vergehen die Jahre.
Seine letzte Lebenszeit verbrachte er still in Lu. Kein Staatsamt nahm er an. Eine tiefe Verwandlung soll mit ihm vorgegangen sein. Einst hatte ein Eremit von ihm gesagt: »Ist das nicht der Mann, der weiß, daß es nicht geht, und dennoch fortmacht?« Konfuzius’ Größe war es in der Tat all die Jahre gewesen, so zu handeln. Jetzt aber hatte der Greis verzichtet. Er studierte das geheimnisreiche »Buch der Wandlungen« und vollendete seine planvolle Begründung der neuen Erziehung literarisch durch die Redaktion der Schriften der Überlieferung und praktisch durch seine Lehrtätigkeit für einen Kreis von Schülern. Eines Morgens fühlte Konfuzius den Tod herannahen. Er ging im Hof und summte vor sich hin die Worte: »Der große Berg muß zusammenstürzen, der starke Balken muß zerbrechen, und der Weise schwindet dahin wie eine Pflanze.« Als ein besorgter Schüler ihn ansprach, sagte er: »Kein weiser Herrscher ersteht, und niemand im Reich will mich zu seinem Lehrer machen. Meine Todesstunde ist gekommen.« Er legte sich und starb nach acht Tagen, 73 Jahre alt.
2. Konfuzius' Grundgedanke: Rettung des Menschen durch Erneuerung des Altertums: In der Not der Auflösung des Reichs, in der Friedlosigkeit und Zerrüttung der Zeit, war Konfuzius einer von den vielen wandernden Philosophen, die mit ihrem Rat das Heil bringen wollten. Für alle war der Weg das Wissen, für Konfuzius der Weg des Wissens um das Altertum. Seine Grundfragen waren: Was ist das Alte? wie ist es anzueignen? wodurch wird es verwirklicht?
Diese Weise des Alten war selber etwas Neues. Was wirklich gelebt und getan wird, das ist, zum Bewußtsein gebracht, verwandelt. Weiß es um sich, dann ist es nicht mehr naiv. Ist es bloße Gewohnheit geworden, kommt in sie durch das Wissen ein bewegender und zugleich verläßlicher Charakter. Ist es vergessen, wird es wiedererinnert und wiederhergestellt. Aber wie es auch verstanden wird, es ist als Verstandenes nicht mehr dasselbe.
Durch die Übersetzung der Überlieferung in bewußte Grundgedanken wird in der Tat eine neue Philosophie wirklich, die sich als Identität mit der uralten versteht. Eigene Gedanken werden nicht als eigene zur Geltung gebracht. Die jüdischen Propheten verkündeten Gottes Offenbarung, Konfuzius die Stimme des Altertums. Das Sichbeugen unter das Alte verwehrt den Übermut, aus der eigenen Winzigkeit den ungeheuren Anspruch zu erheben. Es erhöht die Chance, Glauben und Gefolgschaft zu finden bei allen, die noch in der Substanz einer Herkunft leben. Das eigene Denken, aus dem Nichts bloßen Verstandes, ist vergeblich. »Ich habe nicht gegessen und nicht geschlafen, um nachzudenken; es nützt nichts: besser ist es zu lernen.« Aber Lernen und Denken gehören zusammen. Eins verlangt das andere. Einerseits: »Denken und nicht lernen ist ermüdend, gefährlich.« Andrerseits: »Lernen und nicht denken ist nichtig.«
»Ein Überlieferer bin ich, nicht einer, der Neues schafft: treu bin ich, liebe das Altertum.« Mit solchen Worten spricht Konfuzius seine Grundstimmung der Pietät aus. Die Substanz unseres Wesens liegt im Ursprung der Geschichte. Konfuzius entwirft ein Geschichtsbild, das die einzige Wahrheit zur Geltung bringen soll. Dabei beachtet er wenig die großen Erfinder von Wagen, Pflug, Schiff, die Fu-Hsi, Sehen Nung (den göttlichen Landmann), Huang Ti. Die eigentliche Geschichte beginnt ihm mit den Gründern von Gesellschaft und Regierung, der Sitten und Ordnungen. Am Anfang stehen die Idealgestalten von Yao, Schun, Yü: sie schauten die ewigen Urbilder im Himmel. Er preist diese Männer mit den höchsten Worten. »Nur der Himmel ist groß, nur Yao entsprach ihm.« Diese größten Gründer und Herrscher wählten jeweils den Besten der Menschen zu ihrem Nachfolger. Das Unheil begann, als mit der Hsiadynastie die Erblichkeit zur Geltung kam. Damit sank notwendig der Rang der Herrscher. Es endete schließlich mit einem Tyrannen, der als Nichtherrscher gemäß dem Willen des Himmels abgelöst wurde durch eine Umwälzung, die wieder einen echten Herrscher, Tang, den Begründer der Schangdynastie einsetzte. Da die Erblichkeit blieb, wiederholte sich dasselbe Spiel. Der Letzte der Dynastie, wieder der vollendete Tyrann, wurde im 12. Jahrhundert ersetzt durch die Tschoudynastie. Diese schuf von neuem die Grundlage durch Erneuerung der nun schon uralten chinesischen Welt. Nun, als Konfuzius lebte, ist diese wieder ohnmächtig geworden im Zerfall zu vielen Staaten. Für die Erneuerung will Konfuzius wirken. In seinem Erneuerungswillen bezieht er sich auf die Gründer der Tschoudynastie, insbesondere auf den Herzog von Tschou, der für seinen minderjährigen Neffen die Regierung führte, ohne treulos den Kaiserthron zu usurpieren. Er ist durch seine Schriften und Handlungen das Vorbild für Konfuzius selbst.
Diese Auffassung der Geschichte durch Konfuzius ist erstens »kritisch«: er unterscheidet, was gut und böse war, wählt aus, was der Erinnerung wert ist als Vorbild oder als abschreckendes Beispiel. Zweitens weiß er, daß nichts identisch in seiner Äußerlichkeit wiederhergestellt werden darf. »Ein Mann, der geboren ist in unseren Tagen und zurückkehrt zu den Wegen des Altertums, er ist ein Tor und bringt sich ins Unglück.« Es handelt sich um Wiederholung des ewig Wahren, nicht um Nachahmung des Vergangenen. Die ewigen Gedanken waren im Altertum nur offenbarer. Jetzt in der verdunkelten Zeit will er sie von neuem leuchten lassen, indem er sich selbst durch sie erfüllt.
Jedoch trägt diese Gesinnung des Abgeschlossenseins der ewigen Wahrheit in sich eine Dynamik durch die Weise, wie das Alte angeeignet wird. Sie wirkt in der Tat nicht abschließend, sondern vorantreibend. Konfuzius bringt eine lebendige Lösung des großen Problems jener Autorität, die nicht nur durch das Monopol der Gewaltanwendung die Macht ist. Wie das tatsächlich Neue in Koinzidenz mit der Überlieferung aus dem Quell ewiger Gültigkeit Substanz des Daseins wird, ist hier zum erstenmal in der Geschichte durch eine große Philosophie zum Bewußtsein gebracht: die konservative Lebensform, die bewegt ist durch aufgeschlossene Liberalität.
Wenn das Wahre in der Vergangenheit offenbar war, so ist der Weg zum Wahren die Erforschung dieser Vergangenheit, aber mit der Unterscheidung des Wahren und Falschen in ihr selber. Der Weg ist Lernen, nicht des bloßen Wissens von etwas, sondern als Aneignung. Die Wahrheit, die schon da ist, ist nicht auswendig zu lernen, sondern innerlich und damit auch äußerlich zu verwirklichen.
Der Leitfaden dieses echten »Lernens« ist das Dasein der Bücher und der Schule. Die Bücher schuf Konfuzius, indem er alte Schriften, Urkunden, Lieder, Orakel, Vorschriften für Sitten und Gebräuche auswählte und redigierte nach dem Maßstab der Wahrheit und Wirksamkeit. Die Erziehung begründete er durch Schule, zunächst durch seine private Schule, in der die Jünglinge zu kommenden Staatsmännern gebildet werden sollten. Damit ist die Weise des Lernens und Lehrens zu einem Grundproblem geworden.
Was Konfuzius unter Lernen versteht, ist nicht erreichbar ohne die Voraussetzung des sittlichen Lebens beim Schüler. Der Jüngling soll Eltern und Brüder lieben. Er soll wahrhaftig und pünktlich sein. Wer sich schlecht benimmt, wird im Lernen nie das Wesentlidie treffen. Als ein Schüler sich auf den Platz eines Älteren setzt, heißt es: »Er strebt nicht danach, Fortschritte zu machen, er will es rasch zu etwas bringen.« Im sittlichen Wandel soll er die Künste erlernen: Riten, Musik, Bogenschießen, Wagenlenken, Schreiben und Rechnen. Erst auf diesem Grunde gedeihen die literarischen Studien.
Sinnvolles Studium weiß die Schwierigkeiten und erträgt sie in dem Ringen, das nie ans Ende kommt. Ein das Lernen Liebender weiß täglich, was ihm fehlt; er vergißt nicht, was er kann; denn er gibt sich ständig Rechenschaft. Der Weg ist schwer: »Wer lernt, dringt darum noch nicht zur Wahrheit vor; wer zur Wahrheit vordringt, ist noch nicht imstande, sie zu festigen; wer sie festigt, kann darum noch nicht sie im Einzelfall abwägen.« Darum muß der Jüngling lernen, als gäbe es nimmer ein Zum-Ziele-Kommen, und als hätte er zu fürchten, es noch zu verlieren. Aber einen Schüler, der meint, seine Kraft reiche nicht aus, ermutigt Konfuzius: »Wem seine Kraft nicht ausreicht, der bleibt auf halbem Wege liegen; aber du beschränkst dich ja von vornherein selber.« Fehler dürfen nicht lahmen: »Einen Fehler begehen und ihn nicht wieder gutmachen (sich nicht ändern), erst das heißt fehlen.« Sein Lieblingsschüler wird gerühmt: »Er machte keinen Fehler zum zweitenmal.«
Konfuzius spricht von seinem Verhältnis zu den Schülern. »Wem es nicht ernstlich darum zu tun ist, etwas zu lernen, dem erteile ich nicht meinen Unterricht; wer sich nicht wirklich bemüht, sich auszudrücken, dem helfe ich nicht nach. Habe ich eine Ecke gezeigt, und er kann nicht von sich selber auf die drei anderen kommen, so ist es bei mir vorbei mit dem Erklären.« Aber die Weise der Bewährung liegt nicht in der sofortigen Antwort: »Ich redete mit Hui den ganzen Tag; er erwiderte nichts wie ein Tor. Ich beobachtete ihn beim Alleinsein; da war er imstande, meine Lehre zu entwickeln. Er ist kein Tor.« Konfuzius lobt nicht über Gebühr. »Spende ich einem Lob, so ist es, weil ich ihn erprobt habe.«
Seine eigenen Studien beschreibt Konfuzius. Nicht von Geburt habe er das Wissen, erst als Liebhaber des Altertums sei er ernstlich darauf aus, es zu gewinnen. Er achte auf seine Weggenossen, dem einen abzusehen, was Gutes an ihm sei, und es zu befolgen, dem ändern sein Nichtgutes, um es selber anders zu machen. Ihm sei das ursprüngliche Wissen versagt. »Vieles hören, das Gute davon auswählen und ihm folgen, vieles sehen und es sich merken, das ist wenigstens die zweite Stufe der Weisheit.« Langsam im Gange der Lebensalter vollzog sich sein Fortschritt: »Ich war fünfzehn, und mein Wille stand aufs Lernen, mit dreißig stand ich fest, mit vierzig hatte ich keine Zweifel mehr, mit fünfzig war mir das Gesetz des Himmels kund, mit sechzig war mein Ohr auf getan; mit siebzig konnte ich meines Herzens Wünschen folgen, ohne das Maß zu überschreiten.«
Der Sinn alles Lernens ist die Praxis. »Wenn einer alle dreihundert Stücke des Liederbuches auswendig hersagen kann, und er versteht es nicht, mit der Regierung beauftragt, (seinen Posten) auszufüllen oder kann nicht selbständig antworten, wenn er als Gesandter ins Ausland geschickt wird: wozu ist (einem solchen Menschen) alle seine viele Gelehrsamkeit nütze?«
Beim Lernen kommt es auf die innerliche Formung an. »Warum doch, Kinder, studiert ihr nicht die Lieder? An den Liedern kann man sich aufrichten, an ihnen kann man sich selbst prüfen, an ihnen Geselligkeit lernen, an ihnen hassen lernen und lernen, zu Hause dem Vater und draußen dem Fürsten zu dienen.« »Des Liederbuchs drei Hundert sind befaßt in dem einen Worte: Keine schlimmen Gedanken hegen.«
Ohne Lernen sind andererseits alle anderen Tugenden in der Umnebelung und entarten sogleich: Ohne Lernen wird Geradheit zu Grobheit, Tapferkeit zu Ungehorsam, Festigkeit zu Schrullenhaftigkeit, wird Humanität zu Dummheit, Weisheit zu Zerfahrenheit, Wahrhaftigkeit zum Ruin.
Wie das Neue dieser Philosophie in der Gestalt des Alten sich ausspricht, das ist nun als Philosophie des Konfuzius näher darzulegen. Es sind zu zeigen erstens das sittlich-politische Ethos und sein Gipfel im Ideal des »Edlen«, zweitens die Gedanken des beherrschenden Grundwissens, drittens wie die schöne Vollendung dieser Gedankenwelt in die Schwebe gebracht ist durch das Grenzbewußtsein des Konfuzius, nämlich sein Wissen um die Grenze der Erziehung und der Mitteilbarkeit, des Erkennens, sein Wissen um sein eigenes Scheitern und seine Berührung dessen, was sein gesamtes Werk zugleich in Frage stellt und trägt.
3. Das sittlich-politische Ethos des Konfuzius: Grundlegend sind die Sitten und die Musik. Es kommt an auf die Formung, nicht die Tilgung der gegebenen Natur. Das Ethos verwirklicht sich im Umgang der Menschen miteinander und in der Regierung. Es wird sichtbar in der Gestalt des einzelnen Menschen als dem Ideal des »Edlen«.
a) Li: Die Ordnung wird durch Sitten, (li, Gebote des Benehmens) erhalten. »Ein Volk kann nur durch Sitte, nicht durch Wissen geleitet werden.« Die Sitten schaffen den Geist des Ganzen und werden wiederum von ihm beseelt. Der Einzelne wird nur durch die Tugenden der Gemeinschaft zum Menschen. Die li bedeuten die ständige Erziehung aller. Sie sind die Formen, durch die in allen Daseinssphären die gehörige Stimmung entsteht, die ernsthafte Teilnahme an den Sachen, das Vertrauen, die Achtung. Sie lenken den Menschen durch etwas Allgemeines, das durch Erziehung erworben und zur zweiten Natur wird, so daß das Allgemeine als das eigene Wesen, nicht als aus Zwang empfunden und gelebt wird. Dem Einzelnen geben die Formen Festigkeit und Sicherheit und Freiheit.
Konfuzius hat die li in ihrer Gesamtheit zum Bewußtsein gebracht, sie beobachtet, gesammelt, ausgesprochen und geordnet. Die ganze Welt chinesischer Sitten steht ihm vor Augen: der Anstand, mit dem man geht, grüßt, sich gesellig verhält und dies je nach Situation in besonderer Form; die Weisen der Opfer, der Feiern, der Feste; die Riten bei Hochzeit, Geburt, Tod und Begräbnis; Regeln der Verwaltung; die Ordnungen der Arbeit, des Krieges, des Tageslaufs, der Jahreszeiten, der Lebensstufen, der Familie, der Behandlung der Gäste; die Funktionen des Hausvaters, des Priesters; die Formen des Lebens am Hofe, der Beamten. Die berühmte und vielgeschmähte chinesische Lebensordnung in Formen hat durch Jahrtausende einen Bestand gehabt, beherrscht von einem alles durchdringenden Ordnungszweck, aus dem der Mensch keinen Augenblick herausfallen kann, ohne Schaden zu nehmen.
Bei Konfuzius nun haben die li keineswegs einen absoluten Charakter. »Geweckt wird man durch die Lieder, gefestigt durch die li, vollendet durch Musik.« Die bloße Form hat wie das bloße Wissen keinen Wert ohne Ursprünglichkeit, die sie erfüllt, ohne die Menschlichkeit, die sich in ihr auswirkt.
Mensch wird, wer »sein Selbst überwindend sich in die Schranken der li, der Gesetze der Sitte, begibt.« Wenn zum Beispiel die Gerechtigkeit auch die Hauptsache ist, so »läßt sich der Edle bei ihrer Ausübung leiten von den li«. Die li und der Gehalt (Ursprünglichkeit) sollen im Gleichgewicht sein. »Bei wem der Gehalt überwiegt, der ist ungeschlacht, bei wem die Form überwiegt, der ist ein Schreiber (geistiger Stutzer).« Bei der Ausübung der Formen ist die Hauptsache »Freiheit und Leichtigkeit«, aber »diese Freiheit nicht durch den Rhythmus fester Formen regeln, das geht auch nicht«.
»Ein Mensch ohne Menschenliebe, was helfen dem die li?« »Hervorragende Stellung ohne große Artung, Kultus ohne Ehrfurcht, Beerdigungsgebräuche ohne Herzenstrauer: solche Zustände kann ich nicht mit ansehen.« Wer bei der Darbringung eines Opfers nicht innerlich anwesend ist, bei dem ist es, als habe er gar nicht geopfert.
Die Notwendigkeit des Gleichgewichts von li und Ursprünglichkeit läßt Konfuzius die eine wie die andere Seite betonen. »Die auf dem Gebiete der li und der Musik die Bahn gebrochen, sind uns rohe Leute; die in der Folge auf diesem Gebiete vorschritten, sind uns fein gebildet. Soll ich Gebrauch machen, so folge ich lieber denen, die zuerst die Bahn gebrochen haben.« Dann wieder wird die Form als Form bewertet: Tse-kung [Zigong] war für die Abschaffung des jeweils am ersten des Monats üblichen Schafopfers. Der Meister sprach: »Mein lieber Tse, dir ist es um das Schaf, mir um den Brauch« (li).
In dem Denken des Konfuzius wird Sitte, Sittlichkeit und Recht noch nicht unterschieden. Um so klarer fällt der Blick auf deren gemeinsame Wurzel. Es ist auch nicht die Unterscheidung von ästhetischunverbindlich und ethisch-verbindlich, des Schönen und des Guten da. Um so heller ist, daß das Schöne nicht schön ist, ohne gut zu sein, und das Gute nicht gut, ohne schön zu sein.
b) Musik: In der Musik sah Konfuzius mit den li den Erziehungsfaktor ersten Ranges. Der Geist der Gemeinschaft wird bestimmt durch die Musik, die gehört wird; der Geist des Einzelnen findet hier die Motive, die sein Leben ordnen. Daher hat die Regierung Musik zu fördern und zu verbieten: »Man nehme die Schan-Musik mit ihren Rhythmen, man verbiete die Dschong-Musik, denn der Klang der Dschong ist ausschweifend.«
In dem Liki [Li ji] finden sich Erörterungen, die dem Sinn des Konfuzius gemäß sind: »Wer Musik versteht, erreicht dadurch die Geheimnisse der Sitte.« »Die höchste Musik ist stets leicht und höchste Sitte stets einfach; die höchste Musik entfernt den Groll, die höchste Sitte entfernt den Streit.« »In der Sichtbarkeit herrschen Sitte und Musik; im Unsichtbaren herrschen Geister und Götter.« »Verwirrte Musik und das Volk wird zuchtlos ... Die Kraft der ausgelassenen Lust wird erregt, und die Geisteskraft der ruhigen Harmonie vernichtet.« »Wenn man die Töne der Lobgesänge hört, so wird Sinn und Wille weit.« Aber auch die Musik ist, wie die li, nicht an sich absolut: »Ein Mensch ohne Menschenliebe, was hilft dem die Musik?«
c) Natur und Formung: Konfuzius steht allem Natürlichen bejahend gegenüber. Allem wird seine Ordnung, sein Maß, sein Ort gegeben, nichts wird verworfen. Daher Selbstüberwindung, aber nicht Askese.
Durch Formung wird die Natur gut, durch Vergewaltigung entsteht Unheil. Auch Haß und Zorn haben ihr Recht. Der Gute kann in der rechten Weise lieben und hassen, z.B.: »Er haßt die, welche selbst niedrig sind und Leute, die über ihnen stehen, verleumden; er haßt die Mutigen, die keine Sitte kennen; er haßt die waghalsigen Fanatiker, die beschränkt sind.«
d) Umgang mit Menschen: Der Umgang mit Menschen ist das Lebenselement des Konfuzius. »Der Edle vernachlässigt nicht seine Nächsten.« Im Umgang aber stößt man auf Gute und Schlechte. Wohl gilt da: »Habe keinen Freund, der dir nicht gleich ist«, aber gegen den Satz: »Mit denen, die es wert sind, Gemeinschaft haben, die, die es nicht wert sind, fernhalten«, sagt Konfuzius vielmehr: »Der Edle ehrt den Würdigen und erträgt alle.« Doch im Umgang mit jedermann bleibt er besonnen: »Anlügen mag der Edle sich lassen, übertölpeln nicht. Der Edle befördert das Schöne der Menschen, der Gemeine das Unschöne.« Der Geist zusammenlebender Menschen wächst daher nach der einen oder anderen Seite hin. »"Was einen Ort schön macht, ist die dort waltende Humanität. Wer, wenn er wählen kann, nicht unter Humanen sich niederläßt, ist nicht weise.«
Die menschlichen Beziehungen wandeln sich ab in folgenden Grundbeziehungen: Zu den Lebensaltern: »Den Alten möchte ich Ruhe geben; gegen Freunde möchte ich Treue üben; die Jugend möchte ich zärtlich lieben.« - Das rechte Verhalten zu den Eltern: Ihnen im Leben dienen, sie nach dem Tode recht bestatten, in der Folge ihnen opfern. Es genügt nicht, die Eltern zu ernähren; »fehlt die Ehrerbietung, wo wäre da ein Unterschied zu den Tieren«. Man darf ihnen, im Falle sie zu irren scheinen, Vorstellungen machen, aber in Ehrerbietung, und hat ihrem Willen zu folgen. Der Sohn deckt die Verfehlungen des Vaters. — Gegen Freunde: Du sollst keine Freunde haben, die nicht wenigstens so gut sind wie du selbst. Treue ist die Grundlage. Man wird sich gegenseitig »getreulich ermahnen und geschickt zurecht führen«. Es gibt Verantwortung dafür, wem man sich verbindet oder nicht verbindet. »Läßt sich mit einem reden, und man redet nicht mit ihm, so hat man einen Menschen verloren; läßt sich nicht mit einem reden, und man redet mit ihm, so hat man seine Worte verloren.« Falsch sind glatte Worte, gefällige Miene, übertriebene Höflichkeit, falsch ist es, seinen Widerwillen zu verbergen und den Freund zu spielen. Freunde sind verläßlich: »Wenn das Jahr kalt ist, weiß man, daß Pinien und Zypressen immergrün sind.« - Gegen die Obrigkeit: »Ein guter Beamter dient dem Fürsten gemäß dem rechten Wege; ist ihm das nicht möglich, so tritt er zurück.« Er wird den Fürsten »nicht hintergehen, aber ihm offen widerstehen«, »wird mit belehrenden Vorstellungen nicht zurückhalten«. »Befindet sich das Land auf dem rechten Wege, mag er kühn reden und kühn handeln; befindet es sich nicht auf dem rechten Wege, so mag er kühn vorgehen, aber wird behutsam in seinen Worten sein.« - Gegen Untergebene: Der Edle gibt seinen Dienern keinen Anlaß zum Groll darüber, daß er sie nicht gebraucht, er verlangt aber nichts Vollkommenes von einem Menschen (während der Gemeine in seiner Verwendung der Leute Vollkommenheit fordert), er berücksichtigt ihre Fähigkeiten, er verwirft alte Vertraute nicht ohne schwerwiegenden Grund. Aber er weiß auch die Schwierigkeiten bei Schlechten: »Ist man zu intim, so werden sie plump vertraulich; hält man sich zurück, so werden sie unzufrieden.«
Auffällig ist die Gleichgültigkeit des Konfuzius gegen die Frauen. Er schweigt über das Verhältnis der Ehegatten, urteilt abfällig über Frauen, hat für einen Doppelselbstmord Liebender nur Verachtung, sagt gern, nichts sei schwieriger zu behandeln als Weiber. Die Atmosphäre um ihn ist maskulin.
e) Regierung: Die politische Regierung ist das, worauf sich alles andere bezieht und wovon es sich herleitet. Konfuzius denkt in der Polarität dessen, was zu machen ist, und dessen, was wachsen muß. Gute Regierung ist nur möglich in dem Zustand, der durch die li, durch die rechte Musik, durch die menschlichen Umgangsweisen geprägt ist als das heilvolle Zusammenleben. Dieser Zustand muß wachsen. Wenn er aber nicht zu machen ist, so läßt er sich doch fördern oder stören.
Ein Mittel der Regierung sind Gesetze. Aber Gesetze haben Folgen nur in begrenztem Umfang. Und an sich sind sie unheilvoll. Besser ist das Vorbild. Denn wo Gesetze leiten sollen, da wird sich das Volk ohne Scham den Strafen entziehen. Wo dagegen das Vorbild leitet, da wird das Volk Scham empfinden und sich bessern. Wenn an die Gesetze appelliert wird, ist schon etwas nicht in Ordnung. »Im Anhören von Klagesachen bin ich nicht besser als Irgendein anderer. Woran mir aber alles liegt, das ist, zu bewirken, daß gar keine Klagesachen entstehen.«
Für drei Ziele muß eine rechte Regierung sorgen: für genügende Nahrung, für genügende Wehrmacht und für das Vertrauen des Volkes zur Regierung. Muß man von diesen dreien etwas aufgeben, so kann man am ehesten auf die Wehrmacht verzichten, dann auf die Nahrung (»von altersher müssen die Menschen sterben«), nie aber kann man auf Vertrauen verzichten: »Wenn das Volk kein Vertrauen hat, so ist Regierung überhaupt unmöglich.« Das ist die Rangordnung des Wesentlichen. Im planenden Vorgehen aber kann man nicht mit der Forderung von Vertrauen anfangen. Dieses ist überhaupt nicht zu fordern, sondern zum spontanen Wachsen zu bringen. Für das Planen ist das erste: »das Volk wohlhabend machen«, — das zweite: »es bilden«.
Zur guten Regierung gehört der gute Fürst. Er läßt die natürlichen Quellen des Reichtums fließen. Er wählt vorsichtig, mit welcher Arbeit die Menschen zu bemühen sind; dann murren sie nicht. Er ist erhaben, ohne hochmütig zu sein, das heißt: er behandelt die Menschen nicht geringschätzig, ob er es mit Vielen oder Wenigen, mit Großen oder Kleinen zu tun hat. Er ist ehrfurchtgebietend, ohne heftig zu sein. Wie der Polarstern steht er ruhig und läßt alles um sich herum in Ordnung sich bewegen. Weil er selbst das Gute will, wird auch das Volk gut. »Lieben die Oberen die gute Sitte, so wird das Volk leicht zu handhaben sein.« »Wenn einer nur in eigener Person recht ist, so braucht er nicht zu befehlen, und es geht doch.«
Der gute Fürst versteht die Wahl der rechten Beamten. Selber würdig, fördert er die Würdigen. »Man muß die Geraden erheben, daß sie auf die Verdrehten drücken, dann werden die Verdrehten gerade.« »Vor allem sorge für geeignete Beamte, dann sieh hinweg über kleine Fehltritte.« Aber: »Mit jemandem, der sich dazu hergibt, zu tun, was unschön ist, läßt ein Edler sich nicht ein.«
Wer das Gute weiß und will, kann nicht gemeinsam mit Schlechten regieren: »Oh, dieses Pack! Ist es überhaupt möglich, mit ihnen zusammen dem Fürsten zu dienen?« Ihre Sorge ist nur, wie sie es zu etwas bringen, und, wenn sie es erreicht haben, daß sie es nicht verlieren. Es gibt nichts Schlimmes, dazu sie nicht fähig wären. Daher sagt, als Konfuzius berufen werden soll, ein Ratgeber: »Wenn ihr ihn berufen wollt, so dürft ihr ihn nicht durch kleine Menschen hemmen, dann geht es.«
Zahlreich sind des Konfuzius weitere Äußerungen über Regierungsweisheit. Es sind durchweg allgemeine sittliche Hinweise, z. B. »Man darf nichts überhasten wollen, damit dringt man nicht durch. Man darf nicht auf kleinen Vorteil sehen, denn so kann kein großes Werk geraten.«
Bei allem denkt Konfuzius an den Staatsmann, der, vom Fürsten erwählt, ihm dienend, mit seiner Zustimmung und seinem Verständnis den Gang der Dinge lenkt. Der große Staatsmann zeigt sich in der Wiederherstellung und Befestigung des sittlich-politischen Zustandes im Ganzen.
Für das Eingreifen in die geschichtliche Wirklichkeit im Sinne dieser Verwandlung des Gesamtzustandes zum Besseren stellt Konfuzius zwei Grundsätze auf. Erstens: Der befähigte Mann muß auch an der rechten Stelle stehen. »Wenn ein Mensch den Thron innehat, aber nicht die nötige Kraft des Geistes besitzt, soll er nicht wagen, Änderungen in der Kultur vorzunehmen. Ebenso wenn einer die Kraft des Geistes hat, aber nicht die höchste Autorität, so kann er es auch nicht wagen, Änderungen in der Kultur vorzunehmen.« Zweitens: Die öffentlichen Verhältnisse müssen derart sein, daß ein Wirken überhaupt möglich ist. Wo das Unheil durch die Realität der zur Zeit lebenden Menschen keine Chance zu vernünftig wirksamem Handeln zeigt, hält sich der echte Staatsmann verborgen. Er wartet. Er läßt sich nicht ein, mit dem Bösen zu wirken, mit niedrigen Menschen in Gemeinschaft zu treten. In diesen Grundsätzen steckt etwas von Platos Gedanken: die menschlichen Zustände werden nicht besser, ehe nicht die Philosophen Könige oder die Könige Philosophen werden. Daher suchte Konfuzius sein Leben lang den Fürsten, dem er die Kraft seines Geistes leihen könne. Es war vergeblich.
f) Der Edle: Alles Gutsein, alle Wahrheit, alles Schöne steht dem Konfuzius vor Augen in dem Ideal des Edlen (Kiün-tse). In ihm vereinigen sich die Gedanken an den höheren Menschen mit dem in der soziologischen Hierarchie Hochstehenden, vereinigt sich der Adel der Geburt und des Wesens, vereinigt sich das Benehmen des Gentleman mit der Verfassung des Weisen.
Der Edle ist kein Heiliger. Der Heilige wird geboren und ist, was er ist, der Edle wird erst durch Selbsterziehung. »Die Wahrheit haben ist des Himmels Weg, die Wahrheit suchen ist der Weg des Menschen. Wer das Wahre hat, trifft das Rechte ohne Mühe, erlangt Erfolg ohne Nachdenken.« Wer die Wahrheit sucht, der wählt das Gute und hält es fest. Er forscht, er fragt kritisch, er denkt sorgfältig darüber nach, er handelt entschlossen danach. »Andere können es vielleicht aufs erstemal, ich muß es zehnmal machen; andere können es vielleicht aufs zehntemal, ich muß es tausendmal machen. Wer aber wirklich die Beharrlichkeit besitzt, diesen Weg zu gehen: mag er auch töricht sein, er wird klar werden; mag er auch schwach sein, er wird stark werden.«
Der Edle wird in seinen einzelnen Charakterzügen, Denkweisen, Gebärden gezeigt:
Er wird kontrastiert dem Gemeinen. Der Edle versteht sich auf Gerechtigkeit, der Gemeine auf Profit. Der Edle ist ruhig und gelassen, der Gemeine beständig voller Ängste. Der Edle ist verträglich, ohne sich gemein zu madien, der Gemeine macht sich mit aller "Welt gemein, ohne verträglich zu sein. Der Edle ist würdevoll ohne Hochmut, der Gemeine hochmütig ohne Würde. Der Edle bleibt fest in der Not, der Gemeine gerät in Not außer Rand und Band. Der Edle geht bei sich selbst auf die Suche, der Gemeine geht bei Anderen auf die Suche. Den Edlen zieht es nach oben, den Gemeinen nach unten.
Der Edle ist unabhängig. Er erträgt langes Ungemach wie langes Glück, lebt frei von Furcht. Ihn schmerzt sein eigenes Unvermögen, nicht aber, daß die anderen ihn nicht kennen.
Er macht sich selber recht und verlangt nichts von anderen Menschen; er bleibt frei von Groll. Nach oben grollt er nicht dem Himmel, nach unten nicht den Menschen.
Er läßt sich auf kein Rivalisieren ein, oder, wenn es sein muß, etwa nur beim Bogenschießen. Aber auch beim Wettstreit bleibt er der Edle.
Er liebt es, langsam im Wort und rasch im Tun zu sein. Er scheut sich davor, daß seine Worte seine Taten übertreffen. Ihm gilt: erst handeln und dann mit seinen Worten sich danach richten.
Er hat Ehrfurcht vor der Bestimmung des Himmels, vor großen Männern.
Der Edle verliert sich nicht an das Ferne, nicht an das Abwesende. Er steht im Hier und Jetzt, in der wirklichen Situation. »Der Weg des Edlen ist gleich einer weiten Reise: man muß in der Nähe anfangen.« »Der Weg des Edlen nimmt seinen Anfang bei den Angelegenheiten des gewöhnlichen Mannes und Weibes, aber er reicht in Weiten, da er Himmel und Erde durchdringt.«
»Der Edle richtet sich nach seiner Stellung bei allem, was er tut... Wenn er sich in Reichtum und Ehren sieht ... in Armut und Niedrigkeit sieht... sich unter Barbaren sieht... sich in Leid und Schwierigkeiten sieht... der Edle kommt in keine Lage, in der er sich nicht selber findet.« In allem und jederzeit bleibt er sich selber gleich. »Wenn das Land auf rechtem Wege ist, bleibt er derselbe, der er war, als er noch nicht Erfolg hatte ... Wenn das Land auf falschem Wege ist, so ändert er sich nicht, ob er auch sterben müßte.«
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