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“Karl Jaspers und Laotse : Parallelen zwischen den Begriffen Transzendenz und Tao” (Publication, 1998)

Year

1998

Text

Chung, Young-do. Karl Jaspers und Laotse : Parallelen zwischen den Begriffen Transzendenz und Tao. In : Jahrbuch der Österreichischen Karl Jaspers Gesellschaft ; Jg. 11 (1998). (Jas25)

Type

Publication

Mentioned People (2)

Jaspers, Karl  (Oldenburg 1883-1969 Basel) : Deutscher Philosoph, Psychiater, Professor für Philosophie Universität Basel, Schweizer Staatsbürger

Laozi  (ca. 6. Jh. v. Chr.) : Philosoph, Taoismus

Subjects

Philosophy : Europe : Germany / Philosophy : Europe : Switzerland

Chronology Entries (1)

# Year Text Linked Data
1 1957.5 Jaspers, Karl. Die grossen Philosophen [ID D17060].
Laotse [Laozi]
Chung Young-do : Das Philosophieren bei Jaspers und Laozi beginnt mit der Frage : "Was ist ?" Jaspers weist darauf hin : "Philosophieren begann mit der Frage : Was ist ? – es gibt zunächst vielerlei Seiendes, die Dinge in der Welt, die Gestalten des Leblosen und des Lebendigen, endlos vieles, alles kommend und gehend. Was ist aber das eigentliche Sein, das heisst das Sein, das alles zusammenhält, allem zugrunde liegt, aus dem alles, was ist, hervorgeht ?"
Das was wir als das Sein denken, ist sowohl bei Jaspers als auch bei Laozi nur Gegenständliches, auf das wir in dieser Subjekt-Objekt-Spaltung gerichtet sind. Laozi sagt : "Das Tao, das ausgesprochen werden kann, ist nicht das ewige Tao." Wenn wir diese Aussage richtig verstehen, dann ist das Tao das Nicht-Gegenständliche. Auch bei Jaspers kann das Sein im Ganzen weder Objekt noch Subjekt werden, sondern muss das 'Umgreifende' sein, das in dieser Spaltung zur Erscheinung kommt. In diesem gleichen Zusammenhang zeigt sich das Tao von Laozi ebenfalls als unbestimmte und gestaltlose Erscheinung, d.h. als nicht-gegenständliche Erscheinung in der Subjekt-Objekt-Spaltung.
Das Umgreifende als das Sein von Jaspers bleibt für das Bewusstsein dunkel. Es wird hell nur durch die Gegenstände und um so heller, je bewusster und klarer die Gegenstände werden. Er sagt folgendes : "Das Umgreifende wird nicht selbst zum Gegenstand, aber kommt in der Spaltung von Ich und Gegenstand zur Erscheinung. Es selbst bleibt Hintergrund, aus ihm grenzenlos in der Erscheinung sich erhellend, aber es bleibt immer das Umgreifende."
Das Tao wird leer genannt, weil es, ununterschieden, ohne Gegenstand, ohne Gegensatz, nicht Welt ist. Es bleibt in der Leere voller an Möglichkeit, als alle blosse Wirklichkeit der Welt, im Nichtsein mehr als Sein, im ununterscheidbaren Grunde grösser als alles gegenständlich unterscheidbare, bestimmte Seiende. Daher sagt Jaspers, dass Tao stets das Umgreifende bleibe.
Japsers versucht die Erfahrung des Tao durch die Bestimmung des Seienden im Verständnis von Laozi klarer zu machen. Was uns als das Seiende zum Gegenstand wird, macht das Sein für den Verstand aus. Daher ist das Tao für den Verstand nur die Leere, aber es ist trotzdem gegenwärtig. Zum Beispiel wird ein Viereck durch seine Ecken konstituiert, ein Gefäss durch den Raum, der etwas in sich fassen kann, das Bild durch seine Gestalt. In diesem Zusammenhang ist dieser Ursprung nicht Nichts im Sinne von überhaupt nicht, sondern im Sinne des Mehr-als-Sein, aus dem das Seiende stammt. Jaspers interpretiert auch das Tao als den seinsfreien Ursprung. Die Transzendenz als das Sein bei Jaspers schliesst ebenfalls positive Aussagen aus. Er legt diese Auffassung folgendermassen dar : "Alles Denkbare wird zurückgewiesen als nicht gültig vor der Transzendenz. Transzendenz darf durch kein Prädikat bestimmt, in keiner Vorstellung zum Gegenstand, in keinem Schluss erdacht werden."
Genau wie die Transzendenz nach Jaspers durch die indirekte Weise des Lesens der Chriffernschrift verstanden wird, so wird in gleicher Weise das Tao als Sein verstanden und interpretiert. Jaspers schreibt : "Die Grundzeichen des Daseins des Tao in der Welt waren also das alldurchdringende Nichtsein, das alles erwirkende unmerkliche Nichthandeln, die allhervorbringende Kraft der Einheit, die allbegründende Erhaltung der kommenden und gehenden Wesen von einem Ort jenseits von Gut und Böse her."
Die Bestimmungen Nichtsein, Nichthandeln, Einssein, Jenseits von Gut und Böse, die Jaspers ähnlich der Chiffre der Sprache der Transzendenz als Ausdruck des Seins gesehen hat, können als Zeiger oder Chiffre zum Tao verstanden werden. Durch diese Sprache der Chiffre bringt Laozi unmittelbar das Tao zum Ausdruck. Wenn wir in Betracht ziehen, dass Laozi durch die Chiffre des 'Wirkens durch Nichthandeln' spürt, dann können wir nicht sagen, dass es eine unmittelbare Realität hat. Jaspers versucht das Verständnis des Tao durch diese Chiffre zu wecken. Das Tao ist unendlich wirkend, weil alles hervorbringend, aber es wirkt in der Unscheinbarkeit seiner Stille, die nichts tut. Daher verbirgt sich das Tao im Hintergrund der Wirkung der Phänomene und es wird nicht an den Phänomenen und auch nicht an deren Veränderungen erkennbar. Das Verständnis des Tao unterscheidet sich von der Erkenntnis der Phänomene und deren Veränderungen, d.h. die Differenz zwischen der Transzendenz und den Phänomenen liegt darin, dass letztere auf den durch die Sinne zu erkennenden Gegenstand und die begriffliche Beziehung zum Gegenstand beschränkt sind, während das Verständnis der Transzendenz nie ein direktes Erkennen von etwas Gegenständlichem bedeutet, sondern immer über Symbole vermittelt ist.
Nach Jaspers ist das Eine der Transzendenz nicht ein allgemeines Eines, sondern erfüllte Einzigkeit. Es schliesst nicht aus, weil nichts ausser ihm ist, weil durch es alles ist. Er macht das mögliche Missverständnis des Einen aufs deutlichste klar : "Es kommt darauf an, dass man sieht : Das Eine erreich ich nicht, indem ich es für mich in Anspruch nehme und nun das Bewusstsein habe : das Eine soll verkündet werden, das Eine, dieser eine Gott, ist der einzige Gott und ich kenne ihn, ich weiss ihn, ich habe ihn gehört und alle sollen folgen."
Was ist dieses Eine ? Eine Chiffre, sagt Jaspers. Das Eine ist nicht gleich mit der numerischen Zahl 'eins'. Die Zahl 'eins' ist unvermeidlich im Ausdruck. Aber sie genügt ganz und gar nicht, sie führt in die Irre. "Es ist entscheidend, dass das Eine in vollkommener Ferne bleibt, so fern und unzugänglich, dass wenn ich es fassen will, es mir entschweindet. Das Eine ist es, an dem hängt, dass wir unsere Existenz gewinnen."
Jaspers sagt : "Die Kraft des Einen bringt mich aus der Zerstreuung zu mir selbst. Ich will mit mir identisch werden. Das Eine ist unendlich fern, ungreifbar, unerkennbar, der 'Grund alles Seienden', und andererseits ganz nah, wenn ich mir in meiner Freiheit geschenkt werde und auf den Weg des Mit-mir-identisch-Werdens gelange."
Wie bei Jaspers ist das Eine auch bei Laozi die Chiffre des Tao. Das Tao von Laozi ist der Ursprung des Einen in allem Einssein. Alles Seiende hat Sein in dem Masse, als es durch das Band der Einheit gehalten ist, des Einen, das die Hervorbringungsform des Tao ist, nicht Eins als Zahl, sondern Einheit als Wesen.
Das Tao ist das Sein der Einheit. Jaspers versteht auch 'Eins' zum Einssein als die Chiffrenschrift des Tao. Dieses Einssein ist das Sein des Eins, die Einheit, die alle Gegenstätze vereinheitlicht, und das ursprüngliche Sein, zu dem Alle sich vereinheitlichen und von dem Alle zum Seienden werden.
Wie bei Jaspers sind bei Laozi die Grundzeichen des Daseins des Tao in der Welt das alldurchdringende Nichtsein, das alles erwirkende unmerkliche Nichthandeln, die allhervorbringende Kraft der Einheit, die allbegründende Erhaltung der kommenden und gehenden Wesen von einem Ort jenseits von Gut und Böse her. Das Tao ist der Weg des Sollens, den der Mensch notwendig weiter gehen soll, und es ist zugleich auch die Vernunft und das eigentliche Herz des Menschen. Das Tao als das Einssein zeigt seine Gegenwärtigkeit durch die 'Bewegung in Ruhe', und es wird zur Vernunft in dem Inneren des Menschen, zum Katagorischen Imperativ. Daher ist jenes Leben das eigentliche, das dem Tao folgen will, mit dem Tao eins werden will.
Die Transzendenz von Jaspers und das Tao von Laozi sind das Sein selbst oder auch der philosophische Gott im Sinne des fernen Gottes, des verborgenen Gottes und des unbekannten Gottes. Deshalb lebt der Mensch aus Jaspers' Sicht sozusagen in Spannung auf den unbekannten Gott oder die Transzendenz hin.
"Er ist sich gewiss, daß es Gott gibt, weil er als Existenz ein Transzendenzerlebnis hat ; über das 'was' und das 'wie' der Transzendenz kann und darf er sich jedoch kein Bild machen. Alle Versuche, die Transzendenz in verallgemeinerten Kategorien inhaltlich zu denken, sind daher zum Scheitern verurteilt."
Diese Charakterisierung kann auch auf das Tao von Laozi angewendet werden. Der philosophische Gott, Transzendenz genannt, und das Tao unterscheiden sich klar von dem religiösen Gott, dem Gott der Offenbarung.
„Ein entscheidendes Problem in Jaspers' Metaphysik, das sich angesichts der Entgegensetzung von religiösem und philosophischem Gottesverständnis um so schärfer stellt, ist die Frage des Zugangs zur Transzendenz. Jaspers lehnt jede direkte Gottesbeziehung, sei es in Form einer Kundgabe Gottes an den Menschen in der Offenbarung, sei es in Form eines göttlichen Anrufs im Gewissen oder einer Gottesbegegnung in der dialogischen Beziehung des Gebets, von vornherein ab.
Die Frage des Zugangs zur Transzendenz ist auch ein entscheidendes Problem in Laozis Metaphysik.
Mit anderen Worten, sie ist entscheidend für die Erfahrung des Tao in Laozis Taoismus ebenso wie für das Verständnis der Transzendenz in dem Transzendieren durch das Lesen der Chiffrenschrift in Jaspers' Metaphysik.

Cited by (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2000- Asien-Orient-Institut Universität Zürich Organisation / AOI
  • Cited by: Huppertz, Josefine ; Köster, Hermann. Kleine China-Beiträge. (St. Augustin : Selbstverlag, 1979). [Hermann Köster zum 75. Geburtstag].

    [Enthält : Ostasieneise von Wilhelm Schmidt 1935 von Josefine Huppertz ; Konfuzianismus von Xunzi von Hermann Köster]. (Huppe1, Published)