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Chronology Entry

Year

1988-

Text

Lu, Lu. Karl Jaspers aus chinesischer Sicht [ID D19266].
Lu Lu schreibt : Die Jaspers-Studie in China beginnt seit den 1990er [1988] Jahren, nachdem in China alle wichtigsten Philosophen schon bekannt sind. Während Jaspers von wenigen chinesischen Gelehrten spezifisch erforscht wird, ziehen ihn die meisten nur beiläufig oder ungenügend in Betracht.
Die Chinesen haben den Schreibstil Nietzsches vom ästhetischen Standpunkt her bewundert, während der Stil Jaspers’ nicht dem chinesischen Geschmack entspricht.
Auch wird die Jaspers-Rezeption in China erschwert durch die Besonderheiten seiner Philosophie, die den Chinesen fremdartig erscheint. Seine Existenzphilosophie steht im Hintergrund gegenüber seinen geschichtlichen, politischen und pädagogischen Schriften. Seine Achsenzeittheorie wird schon früh beachtet, da sie der alten chinesischen Kultur wie der griechischen die gleichwertige Stellung verleiht und dadurch die Geschichtsauffassungen von Hegel und Ranke, die die europäische Zivilisation in den Vordergrund stellten, radikal umgewandelt hat.
Auch sehr früh interessiert sich die chinesische Rezeption für Jaspers’ Idee von der Universität, da die Universitäten in China radikaler Reformen bedürfen.
Die chinesische Interpretation bezweckt keine Einführung in Jaspers’ Philosophie, sondern die chinesische Aneignung seiner Philosophie. Diese Aneignung ist für Chinesen von besonderem Wert, da Jaspers die philosophische Wahrheit nicht in der Einigkeit mit der Wissenschaftlichkeit und im Gegensatz zum theologischen Glauben anerkennt, sondern die Wissenschaftlichkeit transzendierend in der Aneignung der Offenbarung sieht. Da die chinesische Philosophie der Gegenwart, die viel von der abendländischen Philosophie gelernt hat, sich allein nach der Wissenschaftlichkeit orientiert und in keiner Beziehung zum theologischen Glauben steht, ist die jaspersche Metaphysik sowohl in den destruierenden als auch in den rekonstruierenden Dimensionen aufbauend. Jaspers’ Weltphilosophie ist für die Chinesen auch aufbauend, weil sie keine einzige und absolute Wahrheit für sich in Anspruch nimmt, sondern die Wahrheit in den Wahrheiten, also in der gegenseitigen Anerkennung und Aneignung verschiedener und entgegengesetzter Wahrheitsursprünge anerkennt.
Mit der jasperschen Terminologie die chinesische Überlieferung zu interpretieren, eröffnet erstens die Perspektiven, die keineswegs die existierenden Perspektiven in der innerkulturellen Wirkungsgeschichte ersetzen, denn sie eignen sich einander an. Zweitens bilden die neuen Perspektiven, die vom originalen Usprung im Detail abweichen können, die hermeneutischen Vorurteile, die sich auf die Aneignung statt auf die treue Wiederholung abzielen. Drittens ist diese Terminologie notwendig, damit die Aneignung der chinesischen Überlieferung in die interkulturelle Wirkunsgeschichte überhaupt möglich ist, denn sonst bleibt sie fremdartig. Viertens ist diese Terminologie geeignet für die Aneignung, da sie eine Aneignungsphilosophie oder eine Weltphilosophie ist.

Japsers schreibt : „Nur das Abendland kennt die Tragödie“. Dieses Urteil ist zutreffend im Sinne, dass es in China nur eine Tragödie anderer Art gibt, so z.B., endet die chinesische Tragödie meistens mit einem fröhlichen Schluss. Es ist eine Entlastung oder ein Trost für die Chinesen, die sich seit Laozi und Konfuzius daran gewöhnt sind, die Stärke der Spannung die die Schärfe der Konflikte zu mindern, anstatt zu übertreiben. Im Trost liegt die Hoffnung, in der Hoffnung liegt der sittliche Mut, und im sittlichen Mut liegt die Zielsetzung eines fröhlichen Schlusses, da die Gerechtigkeit verwirklicht und die Sittlichkeit belohnt werden soll. Dem sittlichen Helden wird die Unschuld verleiht, denn die Unschuld ist die Voraussetzung dafür, dass ein fröhlicher Schluss überhaupt möglich ist.
Jaspers hat in seiner Existenzphilosophie die Schuld im Zusammenhang mit der Reinheit erläutert : „Reinheit der Seele ist die Wahrheit der Existenz, die im Dasein die Unreinheit wagen und verwirklichen muss, um stets schuldig die Verwirklichung der Reinheit als unendliche Aufgabe in der Spannung des Zeitdaseins zu erfreifen“. Bei Japsers ist die Reinheit die Zielsetzung, die die Unreinheit erfahren muss, während sie bei den Chinesen in der alten Zeit die Zielsetzung und Wirklichkeit zugleich ist und die Unreinheit überspringt, indem sie im strikten Widerspruch mit der Unreinheit seht und dank der aussenstehenden Macht endlich gerettet wird, sodass die Reinheit in keine dialektische oder innere Beziehung mit der Unreinheit kommt.

Mentioned People (1)

Jaspers, Karl  (Oldenburg 1883-1969 Basel) : Deutscher Philosoph, Psychiater, Professor für Philosophie Universität Basel, Schweizer Staatsbürger

Subjects

Philosophy : Europe : Germany / Philosophy : Europe : Switzerland

Documents (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2000- Asien-Orient-Institut Universität Zürich Organisation / AOI
  • Cited by: Huppertz, Josefine ; Köster, Hermann. Kleine China-Beiträge. (St. Augustin : Selbstverlag, 1979). [Hermann Köster zum 75. Geburtstag].

    [Enthält : Ostasieneise von Wilhelm Schmidt 1935 von Josefine Huppertz ; Konfuzianismus von Xunzi von Hermann Köster]. (Huppe1, Published)