1971
Publication
# | Year | Text | Linked Data |
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1 | 1781 |
Johann Wolfgang Goethe liest Du Halde, Jean-Baptiste. Ausführliche Beschreibung des Chinesischen Reichs und der grossen Tartary... [ID D11242]. Chen Chuan : Goethes Tagebuchnotiz "O Ouen Ouang", die öfters darin vorkommt, könnte beweisen, dass Goethe das Schauspiel Des Hauses Tschao kleine Waise [Zhao shi gu er] gelesen hat. |
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2 | 1787 |
Goethe, Johann Wolfgang von. Der Triumph der Empfindsamkeit : eine dramatische Grille. (Leipzig : Georg Joachim Göschen, 1787). 2. Akt : Enthält einen Saal in chinesischem Geschmack. 4. Akt : Enthält ein zum englisch-chinesischen Garten umgewandelten Park der Unterwelt. |
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3 | 1806 |
Goethe, Johann Wolfgang von. Elpenor. In : Goethe's Werke. Bd. 1-3. (Tübingen : J.G. Cotta, 1806-1808). Bd. 1 (1806). [Fragment, geschrieben 1781-1783]. Yan En-lin : Goethe nimmt die Arbeit am Elpenor in Versfassung wieder auf, mit dem Untertitel "Ein Trauerspiel". Obgleich der Elpenor stofflich von chinesischen Anregungen ausgeht, ist das Stück in seiner Gesamtheit europäisch geblieben. Es gibt gewisse Parallelen zwischen der Novelle Xier aus Jin gu qi guan und Elpenor : In Xier ist das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Vater und Sohn, im Elpenor zwischen Mutter und Sohn. Adolf Reichwein : Elpenor hat Chinesisches als Vorbild, aber mit eigener Bearbeitung und in griechische Verhältnisse gebracht (Einfluss der Iphigenie). Christine Wagner-Dittmar : Woldemar von Biedermann führt [ID D11248] Elpenor und die Novelle „Der Mann von fünfzig Jahren“ aus Wilhelm Meisters Lehrjahre auf chinesische Vorlagen zurück. Er versucht mit einer Aufzählung von dreizehn gemeinsamen Motiven die Abhängigkeit vom chinesischen Drama Zhao shi gu er aufzuzeichen. Biedermann wird der Eigentümlichkeit des Goetheschen Dramas nicht gerecht, sondern beschränkt sich in der Untersuchung lediglich auf einzelne Handlungselemente. Die motivischen Anregungen, wenn sie überhaupt bestanden, völlig in das Werk integriert sind und auf keine spürbare Auseinandersetzung mit der chinesischen Literatur hindeuten. Eduard Horst von Tscharner und Chuan Chen sehen als den Hauptgrund für das Abbrechen der Arbeit an Elpenor die von Goethe erkannte Unvereinbarkeit zweier wesensverschiedener Weltanschauungen, der europäischen und der chinesischen. Die Fabel des Elpenor ähnelt dem Geschehen in Der Waise des Hauses Tschao in einem seiner Hauptmotive, dem Rachemotiv : der Knabe Elpenor will das an seiner Pflegemutter Antiope begangene Verbrechen rächen. Die Anlage des Dramas aber scheint kaum noch etwas mit der chinesischen Vorlage zu tun zu haben. Goethe hat vielleicht den ersten Anstoss zu dem Drama Elpenor durch die Lektüre des chinesischen Dramas erhalten. Seiner eigenen Gedankenwelt war damals die chinesische Welt so fern, wie sie es später nie wieder war. |
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4 | 1809 |
Goethe, Johann Wolfgang von. Die Wahlverwandtschaften : ein Roman. (Theil 1-2. (Tübingen : Cotta, 1809). Goethe sagt : Chinesischer Garten ist ein Zwittergebilde zwischen einem alten steifen [französischen] Barockgarten und einem reinen Landschaftsgarten. Für die Wahlverwandtschaften wünscht er sich einen Landschaftsgarten. Zhang Yushu : Nach der Lektüre der chinesischen Romane ist Goethe von der Natur beeindruckt. Enttäuscht durch die politischen Wirrnisse in Europa findet er in der chinesischen Philosophie Harmonie, Entsagung und Mässigung, was sich in den Die Wahlverwandtschaften darstellt. |
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5 | 1813 |
Johann Wolfgang von Goethe trifft Julius Klaproth, der ihn in die Anfgangsgründe der chinesischen Schrift einweiht, in Weimar. Er schreibt an Karl Ludwig Knebel : Die Ankunft des Hofrath Klaproth, dessen du dich wohl aus früheren Zeiten erinnerst, und der ein eingefleischter Chinese ist, hat mich sehr gefördert, indem er mir manches duppliren, und bestätigen konnte. |
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6 | 1813 |
Johann Wolfgang von Goethe leiht sich folgende Bücher aus der Grossherzoglichen Bibliothek in Weimar aus : Guignes, [Chrétien Louis] Joseph de. Voyages à Peking, Manille et l'île de France, faits dans l'intervalle des années 1784 à 1801. (Paris : Imprimerie nationale, 1808). [ID D1907]. Anderson, Aeneas. Erzählung der Reise und Gesandtschaft von Lord Macartney nach China und von da zurück nach England 1792-1794. (Erlangen : Walther, 1795). Übersetzung von Anderson, Aeneas. A narrative of the British embassy to China... [ID D1886]. Martinium, Martin. Neuer Atlas des grossen Reichs Sina. (Amsterdam : Blaeu, 1656). Übersetzung von : Martini, Martino. Novus atlas sinensis... [ID D1698]. Marco Polo’s Reise in den Orient, während der Jahre 1772 bis 1295. Nach den vorzüglichsten Original-Ausgaben verdeutscht und mit einem Kommentar begleitet von Felix Peregin. (Ronneburg und Leipzig : A. Schumann, 1802). (KVK) Übersetzung von : Polo, Marco. Marci Pauli Veneti… [ID D1726]. Zhang Yushu : Marco Polo hat für Goethe China erschlossen. Goethe sagt : Dieser vorzügliche Mann… führt uns in die fremdartigsten Verhältnisse, worüber wir, da sie beinahe fabelhaft aussehen, in Verwunderung, in Erstaunen geraten. Staunton, George. Reise der englischen Gesandtschaft an den Kaiser von China in den Jahren 1792 und 1793… Bd. 1-2. (Zürich : H. Gessner, 1798-1799). Übersetzung von Staunton, George Leonard. An historical account... [ID D1892 / ID D1893]. Christine Wagner-Dittmar : Goethes naturwissenschaftliche Interessen spiegeln sich auch in den geologischen und mineralogischen Auszügen, die er sich aus Stauntons Bericht macht. Die skizzenhaften Aufzeichnungen zeigen das Bemühen, sich von der Gesteinsbeschaffenheit un der Gebirsformation Chinas ein Bild zu machen. Barrow, John. Reise durch China von Peking nach Canton im Gefolge der Grossbritan. Gesandtschaft i.d. Jahr 1793 u. 1794. Theil l. (Weimar : Verlag des Landes-Industrie-Comtoirs, 1804). (Eur) Übersetzung von Barrow, John. Travels in China... [ID D1900]. Pinto, Fernão Mendes. Wunderliche und merkwürdige Reisen Ferdinandi Mendez Pinto, welche er innerhalb ein und zwanzig Jahren, durch Europa, Asia, und Africa, und deren Königreiche und Länder : als Abyssina, China, Japon, Tartarey, Siam, Calaminham, Pegu, Martabane, Bengale, Brama, Ormus, Batas, Wueda, Aru, Pan, Ainan, Calempluy, Cauchenchina, und andere Oerter verrichtet. (Amsterdam : Henrich und Dietrich Boom, 1671). Übersetzung von : Pinto, Fernão Mendez. Historia oriental… [ID D1666]. Pauw, Cornelius de. Recherches philosophiques sur les Egyptiens et les Chinois... [ID D1861]. |
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7 | 1815 | Johann Wolfgang von Goethe schreibt an Ch.H. Schlosser : China und Japan hatte ich vor einem Jahr fleissig durchreist, und mich mit jenem Riesenstaat ziemlich bekannt gemacht. Nun will ich mich innerhalb der Grenzlinie der Eroberungen Timurs halten... |
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8 | 1816 |
Goethe, Johann Wolfgang von. Wilhelm Meisters Wanderjahre, oder, Die Entsagenden : ein Roman. In : Goethe's Werke. (Stuttgart : J.G. Cotta, 1815-1819). Bd. 3-4 (1816). Christine Wagner-Dittmar : Woldemar von Biedermann [ID D11248] hat auch zu der Novelle "Der Mann von fünfzig Jahren" einen Bezug zu Hao qiu zhuan" hergestellt. Es gibt keine von der Forschung teilweise angenommenen Übereinstimmungen mit chinesischen Quellen und von einem chinesischen Einfluss kann keine Rede sein. Vielmehr sind die motivischen Anregungen, wenn sie überhaupt bestanden, völlig in das Werk integriert und deuten auf keine spürbare Auseinandersetzung mit chinesischer Literatur. Ingrid Schuster : Goethe kommt auf das Motiv des englischen Gartens mit architektonischen Chinoiserien zurück. Das chinesische Element ist nicht mehr ein Mittel der Satire sondern das Mittel der Charakterisierung einzelner Menschen. Das chinesische Element ist ein Teil des Gesamtbildes der Menschengruppe. Adolf Reichwein : Nicht aus Zufall lässt Goethe seinen wunderlichen Alten in einer chinesischen Hütte wohnen. Dieser Typus des krausen, alten Meisters mit dem Hang zur Einsamkeit erinnert an die Gestalten der alten chinesischen Weisen. |
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9 | 1816 |
Goethe, Johann Wolfgang von. Zur Morphologie. In : Goethe's Werke. (Stuttgart : J.G. Cotta, 1817-1823). Goethe, Johann Wolfgang von. Maximen und Reflexionen. In : Goethe's Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. (Stuttgart : J.G. Cotta, 1827-1842). Bd. 49 (1833). Goethe schreibt : Chinesische, indische, ägyptische Altertümer sind immer nur Kuriositäten ; es ist sehr wohlgetan, sich und die Welt damit bekannt zu machen ; zu sittlicher und ästhetischer Bildung aber werden sie wenig fruchten. |
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10 | 1821 |
Goethe, Johann Wolfgang von. Schriften zur Literatur. In : Goethes Sämtliche Werke : Jubiläums-Ausgabe in 40 Bänden. (Stuttgart : J.G. Cotta, 1902-1907). Bd. 33 (1903). Goethe schreibt über Lao sheng er : Aus diesem fernen Osten können wir nicht zurückkehren, ohne des neuerlich mitgeteilten chinesischen Dramas zu gedenken... |
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11 | 1827 |
Johann Wolfgang von Goethe liest die drei Bücher : Thoms, Peter Perring. Chinese courtship : in verse ; to which is added an appendix, Treating of the revenue of China. (London : Parbury, Allen and Kingsbury, 1824). Übersetzung von Hua jian ji. Hrsg. von Zhao Chongzhu. = Kurz, Heinrich. Blumenblatt... [ID D4258]. Darin enthalten sind Auszüge aus der chinesischen Anthologie Bai mei xin yong tu zhuan. Hrsg. Von Yan Xiyuan. Vol. 1-4. ([S.l. : s.n.], 1787-1804). [Gedichte hundert schöner Frauen]. 百美新詠圖傳 Goethe schreibt in der Einführung : Nachstehende aus einem chrestomatisch-biographischen Werke, das den Titel führt : Gedichte hundert schöner Frauen, ausgezogene Notizen und Gedichtchen geben uns die Überzeugung, dass es sich trotz aller Beschränkungen in diesem sonderbar-merkwürdigen Reiche noch immer leben, lieben und dichten lasse. Christine Wagner-Dittmar : Mit der Übersetzung aus Bai mei xin yong tu zhuan beginnt die eigentliche Auseinandersetzung mit chinesischer Dichtung. Die eingehende Betrachtung der Übertragungen macht deutlich, dass es sich (ausser beim vierten Gedicht) um Neuschöpfungen Goethes handelt, die sich zwar an die vorgegebenen Motive anlehnen, diese aber völlig umgestalten. Besonders das zweite Gedicht zeigt, dass Goethe nicht übersetzt, sondern die chinesische Vorlage zum Anlass nimmt, ein eigenes Kurzgedicht zu schreiben. Von den drei Romanen vermag dieser wohl am ehesten einen gewissen Eindruck von dem Zauber und der Grazie zu geben, den chinesische Dichtung haben kann. Und wenn auch die Übersetzungen sehr unzureichend sind. Contes chinois. Traduits par MM. Davis, Thoms, le P. D'Entrecolles, etc. ; publiés par Abel Rémusat. Vol. 1-3. (Paris :Moutardier, 1827). [Peter Perring Thoms ; John Francis Davis ; François-Xavier Dentrecolles]. Chen Chuan : In den Contes chinois sind auch zehn Novellen aus dem Jin gu qi guan enthalten, es ist aber nicht nachzuweisen, dass Goethe sie gelesen hat. Iu-kiao-li, ou, Les deux cousines : roman chinois. Trad. par [Jean-Pierre] Abel-Rémusat ; précédé d'une préface où se trouve un parallèle des romans de la Chine et de ceux de l'Europe. Vol. 1-4. (Paris : Moutardier, 1826). [Yidisanren. Yu jiao li] = Ju-kiao-li, oder die beiden Basen : ein chinesischer Roman. Übers. von Abel Rémusat ; mit einer Vergleichung der chinesischen und europäischen Romane als Vorrede ; aus dem Französischen [von Hermann Hauff]. (Stuttgart : Franckh, 1827). Christine Wagner-Dittmar : Wir wissen von Goethe nur, dass er die Novellen gelesen hat. Äusserungen dazu hat er nicht gemacht. Yang En-lin : Die drei chinesischen Romane, die Goethe liest, geben ihm Einblick in eine rein konfuzianische Welt, buddhistische und taoistische Elemente sind ihm unbekannt. Adolf Reichwein : Goethe spricht von den unzähligen, alle auf das Sittliche und Schickliche gehende Legenden, die überall in die chinesischen Romane eingestreut seien. Chen Chuan : Die fehlerhaften Übersetzungen sind auf die Schwierigkeit der Sprache zurückzuführen und auf die noch unvollkommenen ausgebildeten Sprachkenntnisse. Dazu kommt, dass die realen Sachkenntnisse der chinesischen Literatur äusserst gering waren. Auch Abel-Rémusat hatte nicht die Möglichkeit, sich ein eigenes Urteil zu bilden, er vertraute dem Urteil sehr mangelhaft unterrichteter Missionare. |
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12 | 1827 |
Goethe, Johann Wolfgang von. Die chinesischen Dichterinnen. = Chinesisches. In : Kunst und Altertum ; Bd. 6, H. 1 (1827). Darin enthalten sind vier von Goethe übersetzte chinesische Gedichte. [Hua jian ji. Hrsg. von Zhao Chongzhu]. Woldemar von Biedermann : Er weist darauf hin [ID D11248], dass Chinese courtship... Einfluss auf die Gedichte Chinesisches hat. Richard Wilhelm übersetzt als erster aus dem chinesischen Originaltext der vier Übertragungen von von Goethe aus Hua jian ji. [ID D11249]. Chen Chuan (1933) druckt zum ersten Mal die Gedichte parallel zur Fassung von Chinese courtship... ab und ermöglicht so einen Vergleich. Eduard Horst von Tscharner übersetzt (1939) die vier Gedichte von Goethe mit angefügten chinesischen Zeichen. [ID D488]. Siegried Behrsing (1970) : Er vergleicht die vier Gedichte von Goethe, Thoms und dem chinesischen Original. (Fräulein See-Yaou-Hing, Fräulein Mei-Fe, Fräulein Fung-Sean-Ling, Kae-Yven). Goethes Bindung an Thoms reicht von wörtlicher Übersetzung über freie Übertragung bis zu völliger Loslösung von seiner Vorlage. Deutlich ist Goethes Bestreben, sich selbst und seinem Leser das Wesentliche des Originals zu übermitten, wobei spezifisch chinesische Einzelheiten entweder weggelassen oder weitgehend der Weimarer Hofsprache angepasst werden. Christine Wagner-Dittmar : Goethe liest und entnimmt die Gedichte aus Chinese courtship... [ID D11247]. Goethes Bearbeitung ist eine völlig freie Nachbildung, die ganz selbständig über die vorgefundenen Elemente verfügt und ein ganz eigenes Gedicht daraus macht. Die erste intensive Beschäftigung mit chinesischer Lyrik, die versucht, diese sich auf dem Wege der Nachschöpfung anzueignen, zeigt trotz der wenigen Beispiele und der unzureichenden und nicht besonders wertvollen Vorlagen, dass Goethe ein feines Empfinden für die Atmosphäre chinesischer Gedichte hat. Die chinesischen Originale sind formal gesehen typische Kurzgedichte, die Goethe auch in der unzulänglichen Übersetzung eine Vorstellung von dieser spezifisch chinesischen Dichtungsform gaben und ihn zu eigenem Schaffan anregte, das in dem Zyklus Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten seine eigene freie, schöpferische Gestaltung fand. Wolfgang Bauer (1972) : Goethe passt die Gedichte dem westlichen Geschmack an. Er versucht vor allem anderen das chinesische Milieu zu überspielen, in dem er die Aussage auf ihren allgemeinsten menschlichen Kern zurückführte. Typisch dafür ist die Eliminierung oder Veränderung von Namen… Die enge Beziehung zur Natur… diese chinesische Idee kommt seiner eigenen sehr entgegen. |
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13 | 1827 |
Johann Wolfgang von Goethe im Gespräch mit Johann Peter Eckermann : Gespräch über Hao qiu zhuan : Goethe zu Eckermann : In diesen Tagen, seit ich Sie nicht gesehen, habe ich vieles und mancherlei gelesen, besonders auch einen chinesischen Roman, der mich noch beschäftiget und der mir im hohen Grade merkwürdig erscheint.“ Eckermann fragt : „Chinesischen Roman, der muss wohl sehr fremdartig aussehen“. Goethe anwortet : Die Menschen denken, handeln und empfinden fast ebenso wie wir und man fühlt sich sehr bald als ihres Gleichen, nur dass bei ihnen alles klarer, reinlicher und sittlicher zugeht. Es ist bei ihnen alles verständig, bürgerlich, ohne grosse Leidenschaft und poetischen Schwung, und hat dadurch viele Ähnlichkeit mit meinem Hermann und Dorothea, sowie mit den englischen Romanen des Richardson. Es unterscheidet sich aber wieder dadurch, dass bei ihnen die äussere Natur neben den menschlichen Figuren immer mitlebt. Die Goldfische in den Teichen hört man immer plätschern, die Vögel auf den Zweigen singen immerfort, der Tag ist immer heiter und sonnig, die Nacht immer klar ; vom Mond ist viel die Rede, allein er verändert die Landschaft nicht, sein Schein ist so helle gedacht wie der Tag selber. Und das Innere der Häuser so nett und zierlich wie ihre Bilder. Eckermann fragt, ob der chinesische Roman einer der vorzüglichsten sei. Goethe antwortet : Keineswegs, die Chinesen haben deren zu Tausenden und hatten ihrer schon, als unsere Vorfahren noch in den Wäldern lebten. Christine Wagner-Dittmar : In Goethes Gespräch mit Eckermann über die chinesischen Romane, schliesst sich eine Betrachtung über den Charakter der Weltliteratur an, ein Begriff, den Goethe selbst prägte und der ihn in den letzten Jahren seines Lebens in Briefen, Gesprächen und Schriften beschäftigt… Dieser Begriff der Weltliteratur wird auch in Goethes Auseinandersetzung mit China wirksam : In dem Bemühen, den politischen, sozialen und kulturellen Zustand Chinas kennenzulernen. In der Aneignung wesentlicher Merkmale chinesischer Lyrik und in der künstlerischen Möglichkeit, jene Merkmale zur Entwicklung seines eigenen Dichtens wieder aufzunehmen. Goethe zu Eckermann : Durch die strenge Mässigung in allem hat sich denn auch das chinesische Reich seit Jahrtausenden erhalten und wird dadurch ferner bestehen. Goethe zu Eckermann : Ich sehe immer mehr, dass die Poesie ein Gemeingut der Menschheit ist, National-Literatur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Weltliteratur ist an der Zeit, und jeder muss jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen. Eckermann schreibt : Mit welch feinem Gespür für die verbindenden, ja sogar gemeinsamen Momente und Elemente, die für ihn [Goethe] zwischen der chinesischen und europäischen Literatur bestanden. |
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14 | 1830 |
Goethe, Johann Wolfgang von. Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten. In : Goethe's Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. (Stuttgart : J.G. Cotta, 1827-1842). Bd. 47 (1830). In : Berliner Musen-Almanach für das Jahr 1830. (Berlin : Vereinsbuchhandlung, 1830). Chen Chuan : Goethe hat in Wirklichkeit für seinen Gedichtzyklus nur sehr unbestimmte Anregungen ganz allgemeiner Art aus dem Buch Chinese courtship... [ID D11247] empfangen und verwertet und in seinem Zyklus dann durchaus selbständig, aus eigener Phantasie und eigener Schöpfungskraft heraus weiter gesponnen und dichterisch gestaltet.Goethe hat in Wirklichkeit für seinen Gedichtzyklus nur sehr unbestimmte Anregungen ganz allgemeiner Art aus dem Buch empfangen und verwertet und in seinem Zyklus dann durchaus selbständig, aus eigener Phantasie und eigener Schöpfungskraft heraus weiter gesponnen und dichterisch gestaltet. Adolf Reichwein : Goethe gibt seinen Gedichten die Form seiner eigenen Natur, nur manchmal gibt es Andeutungen des ursprünglichen Stoffes wie z.B. Stadt des Nordens ist Beijing. Fukuda Hideo : Goethe hat sechs Gedichte aus dem Hao qiu zhuan übersetzt. Günther Debon : Mit diesen Übersetzungen setzt Goethes Alterslyrik ein. Emil Staiger distanziert sich vom chinesischen Einfluss auf den Zyklus. Er meint : Es bleibt bei einer leichten Kostümierung mit fernöstlichen Dingen und einem ungewohnten, an Farbenholzschnitte erinnernden Kolorit. Yang En-lin zitiert zwei Gedichte, die Goethe unmöglich gekannt hat. Siegfried Behrsing : Biedermanns Methode, jedes Gedicht, ja fast jede Zeile aus diesem Zyklus auf bestimmte Stellen aus dem Hua jian ji zurückzuführen, dürfte endgültig der Vergangenheit angehören. Wilhelm kommt der Wahrheit bestimmt näher, wenn er vorsichtig meint, dass der chinesische Versroman „vielleicht der äussere Anlass“ zu Goethes Zyklus gewesen ist. Das Gewicht, das China und Chinesisches im Leben und Schaffen dieses Universalgeistes gehabt haben, ist noch zu bestimmen. Wolfgang Bauer : Die Bezugnahme auf das pulsierende Zeitmass der Natur, wie es in dem etwas eigentümlich geformten Titel zum Ausdruck kommt, ist der chinesischen Dichtkunst in vieler Hinsicht kongenial. Das Kurzgedicht, das für Goethes Altersstil ebanso typisch ist wie für die chinesische Poesie. Parallelen sind aber auch noch in Einzelheiten der Wortgebung nachweisbar. Christine Wagner-Dittmar : Woldemar von Biedermann ist davon ausgegangen, dass Goethe von Chinese courtship... [ID 11247] beinflusst worden ist. Biedermann ist unempfänglich für die spezifisch Goethische Ausdrucksweise. Goethe hat nie eifrig aus fremden Quellen und Gedanken geschöpft. Die Anregungen, die er aufnahm, waren zwar vielfältig, sie gestalteten sich aber in der Auseinandersetzung mit dem Vorgegebenen zu eigener Aussage. Die innere Verbundenheit von Mensch und Natur ist die Grunderfahrung, aus der die Gedichte des Zyklus' entstanden sind. Wir dürfen die Begegnung mit chinesischer Lyrik als bedeutsam ansehen. Hier sieht Goethe zum ersten Mal, dass ein ihm bisher unbekanntes Volk dieselbe Dichtart bevorzugt, der er selbst in seinem Alter immer mehr Vorrang gibt. Er findet dort die gleiche Neigung, sich formal auf eine einzig Stimmung oder eine Situation zu beschränken... Das Beispiel der chinesischen Kurzlyrik weist ihm den Weg zur vollkommenen Ausbildung der Kurzform. Denn der wichtigste Wesenszug chinesischer Lyrik ist die Hinwendung zu Naturmotiven... Goethe nahm also aus der chinesischen Lyrik das auf, was seinem eigenen Denken entgegenkam. Zum Narzissengedicht : Die ausschliessliche Betrachtung eines einzigen Motivs in einem Gedicht in Goethes Lyrik ist ungewöhnlich, denn sie bietet meistens eine Fülle motivischer Verknüpfungen. Auch das chinesische Gedicht beschränkt sich auf die Betrachtung eines einzelnen Phänomens, sei es eine Pflanze, ein Vogel, ein Baum, ein Bild der Landschaft, eine abendliche Stimmung. Zu Abschied vom Frühling : Goethes Denkformen und die aus dem Anschauen der Natur gewonnenen Bilder und Motive stimmen in ganz intuitiver Weise mit chinesischen überein. Die Interpretation der Gedichte wird die Art dieser Goetheschn Naturlyrik beschreiben und versuchen, ihre Wesensgleichheit mit der chinesischen Lyrik zu erfassen… In den Chinesisch-deutschen Jahres- und Tageszeiten entsteht reine Naturlyrik. Die Gedichte entstanden aus dem Gefühl desselben intensiven Naturerlebens, das Goethe bei den Chinesen in den Romanen gefunden hatte. Die Chinesisch-deutschen Jahres- und Tageszeiten spiegeln die zu schöpferischer Gestaltung gewordene Auseinandersetzung Goethes mit chinesischer Dichtung. Formal besteht keine Anlehnung an die chinesische Lyrik, denn die Gestaltungsprinzipien der chinesischen Lyrik konnte Goethe den Übersetzungen nicht entnehmen. Sie waren bei mangelnden Kenntnissen chinesischer Lyrik noch nicht bekannt. Albrecht Dihle : Nur die Rahmenerzählung vermittelt den Eindruck eines chinesischen Milieus : „Der alte Mandarin sitzt allein im Garten“. Nichts Chinesisches lassen die 10 Gedichte erkennen. Goethe bezieht sich in einem Brief an Carl Friedrich Zelter nur auf die „chinesische“ Überschrift. Es ist unwahrscheinlich, dass Goethe die Übersetzung von Abel Rémusat gelesen hat, obwohl er von der Übersetzungstätigkeit von ihm wusste. Kürzlich hat Günter Debon eine überaus sorgfältige Untersuchung einer Reihe überraschender motivischer Ähnlichkeiten der Gedichte mit verschiedenen Texten alter chinesischer Lyrik zutage gefördert. Dabei handelt es sich durchweg um Dichtungen, die Goethe gar nicht kennen konnte. Er führte eine Unterhaltung mit Jean-Jacques Ampère darüber. Ampère berichtet, dass Goethe mühelos die Handlung zahlreicher chinesischer Romane reproduziert hat. Goethe bewundert an dem chinesischen Roman Hua jian ji das in ihm gestaltete Miterleben der Natur mit der Handlung unter den Figuren der Erzählung. In solcher Wechselwirkung zwischen Natur und Menschenwelt konnte er ein konstituives Element der eigenen Dichtung wiederfinden. Ingrid Schuster : Die Chinesisch-deutschen Jahres- und Tageszeiten werden als schöpferischer Ausdruck und Höhepunkit Goethes mit China gewertet. Sie spiegeln die zu schöpferischer Gestaltung gewordene Auseinandersetzung Goethes mit chinesischer Dichtung. |
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# | Year | Bibliographical Data | Type / Abbreviation | Linked Data |
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1 | 2000- | Asien-Orient-Institut Universität Zürich | Organisation / AOI |
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