HomeChronology EntriesDocumentsPeopleLogin

“Leibniz' Philosophie und die chinesische Philosophie” (Publication, 1990)

Year

1990

Text

Ahn, Jong-su. Leibniz' Philosophie und die chinesische Philosophie. (Konstanz : Hartung-Gorre Verlag, 1990). (Konstanzer Dissertationen ; 273). Diss. Univ. Konstanz, 1990. (Ahn1)

Type

Publication

Contributors (1)

Ahn, Jong-su  (Kyungbuk, Süd-Korea 1955-)

Mentioned People (1)

Leibniz, Gottfried Wilhelm  (Leipzig 1646-1716 Hannover) : Universalgelehrter, Philosoph, Kenntnisse der Mathematik, Jurisprudenz, Geschichte, Geologie, Physik, Technik

Subjects

Philosophy : Europe : Germany / References / Sources

Chronology Entries (5)

# Year Text Linked Data
1 1674 Müller, Andreas. Inventum Brandenburgicum sive Andreae Mulleri Greiffenhagii, Praepositi Berlinensis, propositio super clave suâ sinica [ID D1741].
Andreas Müller kündigt an, dass er eine Clavis sinica, ein Schlüssel zum schnellen Verständnis der chinesischen Schrift gefunden habe. Gottfried Wilhelm Leibniz schreibt in einem Brief an Johann Sigmund Elsholz in Berlin, der an Müller weitergeleitet wird, viele Fragen über diese Clavis sinica. Müller lehnt es ab, diese Fragen zu beantworten, denn er bietet seine Clavis sinica nur gegen Bezahlung an.

Christian Mentzel schreibt 1697 an Leibniz, nachdem er die Novissima sinica bekommen hat : Im übrigen meine ich, dass der chinesische Schlüssel des verstorbenen Andreas Müller nichts anderes gewesen ist, als eine ausgewählte Kenntnis der chinesischen Literatur, deren Erfordernis ich weiter oben angezeigt habe, die aber in diesem Punkte besser in und bei den Chinesen selbst, als den Erfindern, aufgefunden wird ; ich vermute, dass der Müllerianische Schlüssel nichts Neues und Geheimes enthalten hat, wie meine Clavis, die ich besitze und Dir, wenn Gott (mir) Leben und Atem verlängert, zugänglich machen und nicht heimlich entziehen werde.
Leibniz antwortet : Besonders wird es der Mühe wert sein zu wissen, ob nicht jene ungeheuer grosse Masse der chinesischen Charaktere auf eine gewisse Anzahl reduziert werden kann, wie Wurzeln oder Element der Charaktere, aus deren Verbindung oder Transformation die übrigen nach bestimmten Gesetzen einer gewissen Analogie entstehen. Wenn man dies nämlich hat, wird das Studium der chinesischen Schrift weitaus leichter erfolgen, weil es ja genügt, von Anfang an, jene fundamentalen Merkzeichen und Gesetze zu lernen und von daher die ganze übrige Methode zu schreiben nicht schwer abgeleitet werden wird. Und dies ist es, worüber ich am meisten Dein Urteil erwarte...
Mentzels Sohn teilt Leibniz mit, dass das Manuskript der Clavis sinica, ad Chinesium Scripturam et Pronunciationem Mandarinicam in die kurfürstliche Bibliothek überführt worden sei und schickt Leibniz ein Exemplar des gedruckten Vorwortes.

David E. Mungello : Wahrscheinlich blieb Müllers Clavis sinica nur eine Idee, die er nie zum Abschluss brachte. Aber sicher war Müller ein naiver Sinologe, weil es unmöglich ist, einen solchen Schlüssel zu entwickeln.
2 1697 Leibniz, Gottfried Wilhelm. Novissima sinica [ID D1101].
Quellen : Der grösste Teil des Buches besteht aus Auszügen der Schriften und Briefe der Jesuitenmissionare in China.
Werke von Martino Martini.
Bouvet, Joachim. Icon regia monarchae sinarvm nvnc regnantis.
Bouvait, Joachim. Portrait historique de l'Empereur de Chine. [Kangxi]. In : 2. Aufl. von Gerbillon, Jean-François.
Gerbillon, Jean-François. Auszug eines Briefes über den chinesisch-russischen Krieg und den Friedensschluss. Beschreibung des Weges der russischen Gesandtschaft nach China (1693-1695). Erwähnung der 1625 aufgefundenen Stele von Xi'an.
Grimaldi, Claudio Filippo. Antworten auf die Liste der Fragen über China von Leibniz, Brief von 1695.
Kircher, Athanasius. Kircher, Athanasius. China illustrata [ID D1712].
Leusden, Johann. De successu evangelii apud Indos Occidentales.
Longobardo, Niccolò. Traité sur quelques points de la religion des Chinois [ID D1792].
Malebranche, Nicolas. Entretien d'un philosophe chrétien et d'un philosophe chinois [ID D1799].
Ricci, Matteo ; Trigault, Nicolas. De christiana expeditione [ID D1652].
Sainte-Marie, Antoine de. Traité sur quelques points importans de la mission de la Chine [ID D16444].
Soares, José. Libertas Evangelium Christi annunciandi et propagandi in Imperio Sinarum solenniter declarata, anno Domini 1692. Bericht über das Toleranzedikt zur Missionserlaubnis in China von Kaiser Kangxi.
Spizel, Gottlieb. De re literaria Sinensium commentarius [ID D1706].
Thomas, Antoine. Brief über die Förderung des Christentums durch den Hof in Beijing.
Verbiest, Ferdinand. Auszug aus Astronomia Europaea [ID D1719].

Leibniz schreibt im Vorwort : China nimmt es schon an Grösse mit Europa als Kulturlandschaft auf und übertrifft es sogar in der Zahl seiner Bewohner, es weist aber auch noch vieles andere auf, in dem es mit uns wetteifert und bei nahezu "ausgeglichenem Kriegsglück" uns bald übertrifft, bald von uns übertroffen wird… In den Fertigkeiten, deren das tägliche Leben bedarf, und in der experimentellen Auseinandersetzung mit der Natur sind wir einander ebenbürtig, und jede von beiden Seiten besitzt da Fähigkeiten, die sie mit der jeweils anderen nutzbringend austauschen könnte ; in der Gründlichkeit gedanklicher Überlegungen und in den theoretischen Disziplinen sind wir allerdings überlegen… Aber wer hätte einst geglaubt, dass es auf dem Erdkreis ein Volk gibt, das uns, die wir doch nach unserer Meinung so ganz und gar zu allen feinen Sitten erzogen sind, gleichwohl in den Regeln eines noch kultivierteren Lebens übertrifft ? Und dennoch erleben wir dies jetzt bei den Chinesen, seitdem jenes Volk uns vertrauter geworden ist. Wenn wir daher in den handwerklichen Fertigkeiten ebenbürtig und in den theoretischen Wissenschaften überlegen sind, so sind wir aber sicherlich unterlegen auf dem Gebiet der praktischen Philosophie, ich meine : in den Lehren der Ethik und Politik, die auf das Leben und die täglichen Gewohnheiten der Menschen selbst ausgerichtet sind… und mögen die Chinesen die wahre tugendhafte Lebensführung noch nicht ganz erreicht haben, so habe sie dennoch die bitteren Resultate menschlicher Fehler gemildert, und obwohl sie die Wurzeln sündhafter Vergehen aus der menschlichen Natur nicht ausrotten konnten, haben sie gleichwohl gezeigt, dass die hervorsprossenden Schösslinge böser Eigenschaften zu einem guten Teil nieder gehalten werden können... Möge Gott es geschehen lassen, dass unsere Freude begründet und dauerhaft ist und nicht durch unklugen Glaubensfanatismus oder durch interne Streitigkeiten der Männer, die die Pflichten der Apostel auf sich nehmen, noch durch üble Beispiele unserer Landsleute zunichte gemacht wird.

Die europäische Kultur verkörpert die eine Einheit, die durch die Weltreligion des Christentums zusammengehalten wird. Die östliche Einheit begegnet uns in der chinesischen Kultur. Die beiden Kulturen sind untrennbar geeint in der grossen Harmonie einer Kulturfamilie. Was Europa auszeichnet, fehlt zumeist in China, und was im Osten vorbildlich erscheint, geht oft dem Abendlande ab. Der Westen ist in allen metaphysischen und abstrakten theoretischen Wissenschaften fortgeschrittener, besonders in theoretischer Philosophie. Andererseits überragen die Chinesen die Europäer in der sogenannten praktischen Philosophie, besonders in der Ethik und Politik, in den Wissenschaften, die in Zusammenhang mit dem praktischen Leben stehen.

Leibniz schreibt über Kaiser Kangxi : Das gilt so sehr, dass der jetzt regierende K'ang Hsi, ein nahezu bespiellos hervorragender Fürst, wie immer er auch den Europäern geneigt ist, es dennoch gegen die Empfehlung seiner obersten Behörden nicht gewagt hat, die Freiheit der christlichen Religion durch ein staatliches Gesetz zu sanktionieren, bis ihre Heiligkeit geklärt war und es feststand, dass auf keine andere Weise der grosse und heilsame Plan des Kaisers besser zur Vollendung gebracht werden könne, in China europäische Fertigkeiten und Wissenschaften einzuführen. In dieser Angelegenheit scheint mir der Kaiser als Einzelperson weiter vorausgeschaut zu haben als alle seine obersten Behörden ; und der Grund für eine so überragende Klugheit war, wie ich glaube, die Tatsache, dass er Europäisches mi Chinesischem verband... Ich erinnere mich, dass Pater Claudio Filippo Grimaldi... mir gegenüber in Rom nicht ohne Bewunderung die Tugend und Weisheit dieses Fürsten pries, denn um nichts über seine Gerechtigkeitsliebe, die liebende Fürsorge für seine Völker, seine gemässigte Lebensweise und die übrigen Lobpreisungen zu sagen - Grimaldi hob hervor, dass des Kaisers erstaunlicher Wissensdurst nahezu unglaublich sei. Denn er, den seine fürstlichen Verwandten und die bedeutendsten Männer des gesamten Reiches von Ferne verehren und in seiner Nähe anbeten, bemühte sich zusammen mit Ferdinand Verbiest in der Abgeschlossenheit eines inneren Gemachs drei oder vier Stunden lang täglich an mathematischen Geräten und Büchern, wie ein Schüler mit seinem Lehrer ; und er machte so grosse Fortschritte, dass er die euklidischen Beweise erfasste, die trigonometrischen Berechnungen verstand und so in der Lage ist, die astronomischen Erscheinungen in Zahlen auszudrücken.

Leibniz schreibt an Jacob Hop : Bei der Veröffentlichung der Novissima sinica hatte ich das Ziel, die Protestanten aufzufordern, sich an der grossen Ernte zu beteiligen, die auf dem Felde des Herrn eröffnet ist, zur Ehre Gottes und zu ihrer eigenen Ehre, auf dass die reine Religion in diesem grossen Reiche nicht ausgeschlossen bleibe. Denn nur wegen ihrer Wissenschaften sind die Jesuiten in China zugelassen worden, worin ihnen die Protestanten nichts nachgeben, um nicht zu sagen, ihnen überlegen sind. Und da der chinesische Kaiser mit ihnen nur die europäischen Wissenschaften hereinbittet, so glaube ich, dass man der Religion und der Schiffahrt grosse Vorteile verschaffen würde, wenn man aus den guten Absichten dieses Fürsten Nutzen zöge.

Leibniz bemüht sich in seiner Novissima sinica um ein umfassendes Wissen über China sowie andere Kulturen, um es als Basis und Material für konsistente und empirisch begründete Spekulationen über eine gemeinsame kulturelle Zukunft verwenden zu können. Er entdeckt Chinas Verachtung menschlicher Aggressionen und Abscheu vor den Kriegen, eine "natürliche Theologie", die kultivierende und zivilisierende Macht der Konventionen und Sitten und die Vorbildlichkeit der Herrscher als mögliches Muster, einem Verfall Europas entgegen zu wirken. Leibniz möchte Europa ein sympathisches Bild von China vermitteln und setzt sich für die Akkommodationspolitik ein. Er ist der Meinung, dass sich die christliche Mission so weit wie möglich den Landessitten anpassen sollte. Missionen waren für ihn ein wichtiges Medium für den wissenschaftlichen Austausch mit dem Westen. Russland sollte die Vermittlerrolle zwischen China und Europa einnehmen. Die chinesische Sprache und Schrift faszinierten ihn, da er sich Gedanken über eine Universalsprache macht. Der chinesische Kaiser ist mit Nachrichten über Europa informiert worden, da z.B. das Vorwort der Novissima Sinica in China bekannt geworden ist.

Adrian Hsia : Für Leibniz stellen Europa und China zwei sich ergänzende Hälften einer Weltkultur dar : China sei stärker in der praktischen Philosophie, während Europa in der transzendentalen Philosophie voraus sei. In China gelte die natürliche Religion und in Europa die geoffenbarte. Ein tiefgehendes Verständnis ihres Gegenpols sei auf beiden Seiten dringend vonnöten. Daher meinte er, ein Austausch von Studierenden, die sich in die Kultur des Gastlandes vertiefen sollten, sei sehr erwünscht. Ausserdem sei die gegenseitige Missionierung notwendig, was er in seiner Vorrrede zu Novissima sinica zum Ausdruck bringt. China und Europa sollen sich ergänzen und voneinander lernen. Da Russland zwischen den beiden Kulturhälften liegt, sei es dazu berufen, die Vermittlerrolle zu übernehmen. Er versuchte unermüdlich, den Zaren Peter der Grosse, für sein Projekt zu gewinnen, was ihm aber nicht gelingt. Es ist offensichtlich, dass Leibniz die China-Mission der Jesuiten und ihre Akkomodation gutheisst, denn seine Äusserungen spiegeln weitgehend die Lehre und Praxis der Jesuiten in China wider. Auch ist er wie die Missionare von der Überlegenheit der christlichen Offenbarungsreligion überzeugt und gegen den Glaubensfanatismus. Er räumt die Möglichkeit ein, China könne, wenn es einmal christlich werde, Europa überlegen sein und befürwortet einen Kulturaustausch, weil die ganze Welt davon profitieren würde. Sein Eifer, China zu christianisieren, entspringt nicht der Überzeugung, China dadurch Kultur oder Zivilisation zu bringen, vielmehr will er China dadurch vervollkommnen.

Hans Poser : Die christliche Mission in China ist das zentrale Thema und Anliegen der Novissima sinica. Sie ist erstens geprägt durch den seit Matteo Ricci für die jesuitische Mission leitenden Gedanken, dass Wissenschaft und Christentum unmittelbar zusammengehören und zweitens entspricht die Offenbarungstheologie des Westens aus seiner Sicht einer natürlichen Theologie und Ethik Chinas. Immer wieder betont Leibniz den Zusammenhang von Erkenntnis und Glauben, indem er den Weg über die Mathematik und ihre ewigen Wahrheiten zur platonischen Ideenlehre als den vernünftigen Weg zum Christentum darstellt. In der Dyadik und im Yi jing sieht er die Möglichkeit eines vernünftigen Zugangs zum Christentum als Lehre vom Schöpfergott, der die beste aller möglichen Welten als Harmonie der Vielfalt in der Einheit verwirklicht und erhält, so dass eine rationale Grundstruktur durch die Vereinbarkeit von Vernunft und Glauben auch in der Offenbarungsreligion gegeben ist... Leibniz' Darstellung des chinesischen Toleranzediktes, in dem der christlichen Religion die gleiche Stellung eingeräumt wird wie dem Buddhismus und dem Mohamedanismus, ist ein meisterlicher politischer Schachzug, denn wenn ein Tolaranzedikt in China möglich ist, wäre es in Europa um so gebotener... Er steht im Ritenstreit ganz auf der Seite der Jesuiten, denn so ist eine Verschiedenheit im Kultus bei gleicher Grundüberzeugung möglich, kommt es in der Mission doch darauf an, die interpretativen Unterschiede der christlichen Konfessionen nicht öffentlich werden zu lassen, sondern im Gegenteil die Gemeinsamkeit hervorzuheben. Ein unmittelbares politisches Vorbild für Europa und für seine eigenen Visionen sieht Leibniz im chinesischen Kaiser, verkörperte er doch, was er von den europäischen Fürsten erhoffte... Der chinesische Herrscher achte und ehre die Gesetze und die Weisen seines Landes, hat sich den Wissenschaften und der Vernunft verschrieben und will mit ihnen sein Reich fördern.

John Ho : Leibniz schätzt den chinesichen Kaiser hoch ein. Trotz der grossen politischen Macht würde er sie nie missbrauchen. Das Ziel seiner Politik wird von weister Überlegenheit und Sittlichkeit bestimmt. Er bleibt stets den Weisen und den Gesetzen untergeordnet und gehorsam und holt den Rat der Gelehrten als wichtigsten Beitrag zu seiner Politik ein. Besonders hoch wertet Leibniz, dass sich der Kaiser bemüht, den Geist Europas zu verstehen, sowie seine Toleranz dem Christentum gegenüber...
Leibniz schätzt die Philosophie des Neo-Konfuzianismus. Er hält ihn für den „Rationalismus“ Chinas und betrachtet ihn als Kern der chinesischen Tradition. Sein Vorschlag ist, dass die Europäer die Gedanken des chinesischen Rationalismus so weit wie möglich aufnehmen, um ihre eigene natürliche Theologie zu verbessern ; in gleicher Weise sollten sich die Chinesen die Offenbarungstheologie zu eigen machen. Leibniz wünscht, dass China Missionare nach Europa schickt, die die natürliche Theologie lehren, und europäische Missionare sollten die Offenbarungstheologie nach China bringen. Um die christliche Religion zu verbreiten und um das Christentum als ein Mittel der Kulturverbindung wirksam werden zu lassen, sollten die westlichen Missionare zuerst die chinesische Kultur verstehen lernen. Dazu gehört das Studium der chinesischen Sprache, Schrift, Geschichte, Philosophie und Wissenschaft. Leibniz hofft, dass China auch das Unterrichtswesen Europas annimmt und fordert einen wissenschaftlichen Austausch, der helfen würde, dass der Weltfriede erhalten bleibt. Er drückt die Hoffnung aus, Russland werde eine wissenschaftliche Beziehung zwischen Europa und China vermitteln ; und nähme der Zar oder der chinesische Kaiser den christlichen Glauben an, wäre der Weltfrieden sicher gestellt. Auch wäre der Weg durch Russland nach China sicherer und schneller als der Weg über das Meer.
  • Document: Aurich, Ursula. China im Spiegel der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. (Berlin : Emil Ebering, 1935). (Germanische Studien ; H. 169). S. 23. (Aur1, Publication)
  • Document: Deutsche Denker über China. Hrsg. von Adrian Hsia. (Frankfurt a.M. : Insel Verlag, 1985). (Insel Taschenbuch ; 852). S. 9-27. (Hsia6, Publication)
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. (LiuW1, Publication)
  • Document: Das Neueste über China : G.W. Leibnizens Novissima sinica von 1697 : Internationales Symposium, Berlin 4. bis 7. Okt. 1997. Wenchao Li, Hans Poser (Hrsg.). (Stuttgart : Steiner, 2000). (Studia Leibnitiana supplementa ; vol. 33). [Gottfried Wilhelm Leibniz]. 21-22, 26-27, 311. (LiPos1, Publication)
  • Document: Hsia, Adrian. Das Chinesien bei Leibniz und Max Weber. In : Das Neueste über China : G.W. Leibnizens Novissima sinica von 1697 : Internationales Symposium, Berlin 4. bis 7. Okt. 1997. Wenchao Li, Hans Poser (Hrsg.). (Stuttgart : Steiner, 2000). (Studia Leibnitiana supplementa ; vol. 33). (Leib28, Publication)
  • Document: Claudia von Collani (Col, Person)
  • Document: Paul, Gregor (Paul, Person)
  • Document: Widmaier, Rita (Wid, Person)
  • Document: Walravens, Hartmut (Wal, Person)
  • Person: Hop, Jacob
  • Person: Kangxi
  • Person: Leibniz, Gottfried Wilhelm
3 1714 Nicolas de Rémond schreibt an Gottfried Wilhelm Leibniz : Die Chinesen sind bekannter, und ich habe eine kleine Abhandlung von R.P. Longobardi, dem Jesuiten, gelesen, die mich sehr zufrieden gestellt hat. Ich würde gerne wissen, ob Sie ihn kennen und würde gerne eine etwas ausführlichere Beurteilung des Systems dieser Leute von Ihnen haben, (dieses System) in dem ich einiges Gute zu finden glaube. ..
  • Person: Leibniz, Gottfried Wilhelm
  • Person: Rémond, Nicolas de
4 1715 Nicolas de Rémond schickt einen weiteren Brief mit einigen Büchern an Gottfried Wilhelm Leibniz. Nachdem Leibniz die drei Abhandlungen von Niccolõ Longobardi, Antoine de Sainte-Marie und Nicolas Malebranche gelesen hat, schreibt er an Rémond : Nun bliebe mir nur noch, Ihnen, mein Herr, von der natürlichen Theologie der chinesischen Gelehrten zu sprechen, entsprechend dem, was Pater Longobardi und Sainte-Marie des Minoristenordens uns darüber berichten in den Abhandlungen, die Sie mir geschickt haben, um darüber meine Meinung zu hören, ebenso über die Art und Weise, in welcher der R.P. Mallebranche vorgegangen ist, um einen gebildeten Chinesen Neigung zu unserer Theologie zu verschaffen, aber dazu bedarf es eines weiteren Briefes.
  • Person: Leibniz, Gottfried Wilhelm
  • Person: Rémond, Nicolas de
5 1716 Gottfried Wilhelm Leibniz. Lettre à Rémond sur la philosophie chinoise [ID D1716].
Leibniz schreibt : Es gibt in China eine in mancher Hinsicht bewundernswerte öffentliche Moral, verbunden mit einer philosophischen Lehre, oder richtiger, mit einer natürlichen Theologie, die ehrwürdig ist durch ihr Alter, eingeführt und zur Autorität gekommen vor etwa 3000 Jahren, also lange vor der Philosophie der Griechen, auch wenn diese letztere, abgesehen von unseren heiligen Büchern, die erste ist, von der die übrige Welt Werke besitzt. Es wäre daher von uns, die wir im Vergleich mit den Chinesen neu hinzugekommen sind, sehr unklug und anmassend, wollten wir eine so alte Lehre verurteilen, nur weil sie nicht auf den ersten Blick mit den scholastischen Begriffen, die uns vertraut sind, übereinzustimmen scheint.

Es ist die richtige Art, um ganz behutsam, ohne es merken zu lassen, diejenigen, die sich von der Wahrheit und noch dazu von ihrem eigenen Altertum entfernt haben, zu korrigieren. Hier zeigt sich, dass man sich nicht von vornherein durch Schwierigkeiten abschrecken lassen soll, und dass P. Martinus und alle, die seine Auffassung vertreten, gut daran getan haben, der Meinung P. Riccis und anderer bedeutender Männer zu folgen und trotz des Widerstandes der Jesuiten P. Emanuel Diaz und P. Nicolas Longobardo, und des Franziskaners P. Antoine de Sainte Marie, und trotz der Verachtung verschiedener Mandarine auf ihren Erklärungen zu beharren. Es genügt, dass diese Erklärungen, die sie von den Schriften der Alten geben, voll vertretbar sind, da ja die Auffassung der modernen Chinesen offenbar schwankt. Betrachtet man die Dinge aber näher, so sind diese Erklärungen auch in den Texten selbst am besten begründet. Ich spreche hier nur von der Lehre und untersuche nicht die Zeremonien oder den Kult, der eine grössere Besprechung verlangt... Um daher einzusehen, dass die Chinesen die geistigen Substanzen anerkennen, muss man vor allem ihr Li, das heisst Ordnung, betrachten, welches der Erste Beweger und die Ursache der übrigen Dinge ist und, wie ich glaube, unserer Gottheit entspricht... Da nun die alten Weisen Chinas glaubten, dass das Volk im Gottesdienst Gegenstände brauche, die seine Einbildungskraft ansprechen, wollten sie es nicht anhalten, das Li oder das T'ai-kih (Taiji), sondern Shang-ti (Shangdi), also den Himmelgeist, anzubeten. Dabei verstanden sie aber unter diesem Namen nichts anderes als das Li oder das T'ai-kih, das hauptsächlich im Himmel seine Macht zeigt... Der Kult der Ahnen und grossen Männer, der von den alten Chinesen eingeführt wurde, kann sehr wohl den Zweck haben, die Dankbarkeit der Lebenden, eine vom Himmel geschätzte und belohnte Tugend, zu zeigen und die Menschen zu Leistungen anzuspornen, die sie der Anerkennung der Nachwelt würdig machen. Doch drücken die Alten sich aus, als wenn die Geister der tugendhaften Ahnen, die von einem Strahlenkranz umgeben sind und zum Hofstaat des Weltenkönigs gehören, die Macht hätten, ihren Nachfahren Gutes und Böses zu bringen. Hier wenigstens wird deutlich, dass sie sich vorstellen, dass die Ahnen weiterleben.

Leibniz schreibt über das binäre Zahlensystem : So haben der hochw. P. Bouvet und ich den eigentlich gemeinten Sinn der Charaktere des Reichsgründers Fuh-Hi [Fuxi] entdeckt. Diese Charaktere bestehen nur aus der Kombination von ganzen und unterbrochenen Linien und gelten als die ältesten Schriftzeichen Chinas, wie sie gewiss auch die einfachsten sind. Insgesamt gibt es 64 Figuren dieser Art, die in einem Buch, das Ih-King [Yi jing] oder Buch der Variationen heisst, zusammengefasst sind. Mehrere Jahrhunderte nach Fuh-Hi haben der Wen-Wang und sein Sohn Chou-Kung und nochmals fünf Jahrhunderte später der berühmte Konfuzius philosophische Geheimnisse darin gesucht. Andere wollten sogar eine Art Geomantie und ähnliche Ungereimtheiten herauslesen. Tatsächlich handelt es sich aber genau um das binäre Zahlensystem, das dieser grosse Gesetzgeber besessen zu haben scheint, und das ich einige tausend Jahre später wider entdeckt habe.

Ahn, Jong-su : Der Brief ist in vier Teile geteilt : Die Gottesvorstellung der Chinesen, Die Lehre der Chinesen über das Urprinzip, die Materie und die Geister, Die chinesische Seelenlehre, Die Charaktere des Fuh-hi [Fuxi] und das binäre Zahlensystem.
Nach Zhu Xi bestehen alle Dinge aus zwei Prinzipien : das li entspricht der Weltordnung, der Weltvernunft, dem Gesetz, der Form und dem Logos. Das qi entspricht dem Fluidum, dem Stoff, der Materie, der Energie und der Kraft. Longobardi und Sainte-Marie behaupteten, dass der christliche Gott mit dem chinesischen Wort T'ien-chu (Tianzhu), s.h. Himmelsherr übersetzt werden solle. Nach Longobardi hängt Shangdi von dem Taiji ab. Da nach ihm Taiji die Urmaterie ist, darf man es nicht mit Gott gleichsetzen. Er war der Meinung, dass der christliche Gott mit Tianzhu (Himmelsherr) übersetzt werden solle. Leibniz behauptet, dass die Worte Shangdi und Tianzhu dasselbe seien. Seiner Meinung nach könnte man für den christlichen Gott das Wort Shangdi verwenden. Leibniz hat fast alle wichtigen Begriffe des Neokonfuzianismus behandelt und ist der Interpretation von Matteo Ricci gefolgt. Da schon Ricci nicht alles richtig interpretiert hat, wiederholt er diese Fehler. Er sieht die chinesische Philosophie aus der Sicht des Europäers und hat den Unterschied zwischen dem Christentum und der chinesischen Philosophie nicht erkannt.
Diese Interpretation der chinesischen Philosophie von Leibniz ist eine scharfe Kritik der Schriften von Niccolò Longobardo und Antoine de Sainte-Marie.
Leibniz bespricht die Gottesidee der Chinesen. Er meint, dass es besser wäre, die alten chinesischen Autoren zu betrachten, als die modernen, denn die alten Chinesen brauchen den Ausdruck li um die Gottesidee zu bezeichnen. Danach bedeutet 'li' das Urprinzip, das höchste Prinzip aller Dinge und eine geistige Substanz. 'Li' ist aktiv, wirkungskräftig und hat eine bestimmte Ordnung. 'Li' ist nicht zufällig entstanden, sondern hat ein in sich vollkommenes Sein. Im Gegensatz zu 'li' ist 'ki' [ji] Materie, die aus 'li' hervorgebracht worden ist. Man könne nicht beurteilen ob 'ki' ohne Anfang ist, aber es sei sicher, dass 'ki' nie schwinden werde.
Wenn man an Gott denke, könne man sich nicht vorstellen, dass Gott aus Form und Materie zusammengesetzt ist. Gott ist an sich die allmächtige geistige Substanz. Gott kann die Materie schaffen, aber die Materie ist nie Gott gleichgeordnet. 'Taiki' [taiji] kann sowohl 'li' als auch 'ki' einschliessen, das heisst aber nicht, dass 'taiki' aus 'li' und 'ki' zusammengesetzt ist. 'Tin' (Himmel) ist nicht nur das Himmelsgewölbe, sondern auch das Gesetz des Himmels oder der Herrscher des Himmels, also Gott. 'Tin' ist ein Symbol von 'Xangti' (Gott), deshalb ist es möglich, im Sichtbaren den unsichtbaren Gott zu erkennen. Leibniz ist überzogen, dass die Chinesen schon vor dem Neo-Konfuzianismus dem wahren religiösen Glauben gefolgt sind. Die neokonfuzianische Metaphysik ist für ihn nur ein Kommentar zur chinesischen Religion.
Leibniz ist überzeugt, dass die Chinesen an die Existenz von Geistern 'Kuei-Xin' [Gui sheng] glauben, dass sie Gott gehorchen, Gott, den Menschen, Orten, Provinzen und dem Staat dienen. Diese Geister seien mit verschiedenen Elementen wie Feuer, Flüsse und Berge verbunden, was ausdrückt, dass sie Kräfte Gottes sind.
Die Chinesen glauben an die Unsterblichkeit der Seele. Das Weiterleben der Seele nach dem Tod stellen sie sich als ein Existieren unter Geistern vor. Nach chinesischer Überlieferung steige die Seele, hoan [hun] eines Menschen zum Himmel hinauf, um sich wieder mit der ewigen Naturordnung, also Gott zu verbinden. Leibniz hält den Ahnenkult der Chinesen nicht für einen Aberglauben, sondern sieht in ihm Hochachtung und Dankbarkeit der Lebenden gegenüber den Toten. Die Chinesen glauben nicht an eine Bestrafung nach dem Tod wie Hölle oder Fegefeuer, aber doch daran, dass die Seelen, die überall in Bergen und Wäldern leben, eine andere Art der Bestrafung erfahren.
Wie Bouvet findet Leibniz die binarische Arithmetik im Ye Kim [Yi jing] wieder. Er stellt fest, dass die Konstruktion des Hexagramms nichts anderes als eine 'arithmétique binaire' ist. Er setzt die Zahl 1 für das Zeichen ____ und 0 für ___ ___. Mit 0 und 1 kann man alle anderen Zahlen schreiben. Als Gundzahl hat er 2 gewählt, um seine Dyadik aufzubauen.

Adrian Hsia : Leibniz äussert sich in diesem Brief zur chinesischen Metaphysik. Er setzt sich zuerst mit dem Begriff 'li' auseinander und versucht nachzuweisen, dass 'li' in der europäischen Philosophie nicht der 'Urmaterie', sondern Gott entspreche. Die Urmaterie sei an sich 'ki' [ji], das aus 'li' entsteht. Er untersucht die Begriffe 'tian (Himmel) und 'Shangdi' (Gott) und kommt zum Ergebnis, dass der chinesische Himmel physisch und mataphysisch zu verstehen sei ; daher sei der sichtbare Himmel bei den Chinesen ein Symbol des 'Shangdi'. Damit drückt Leibniz seine Überzeugung aus, dass die Chinesen keine Atheisten oder Materialisten sind, sondern immer eine Gottesidee gehabt haben. Er argumentiert weiter, dass die Chinesen an die Unsterblichkeit der Seele glaubten, weil diese nach dem Tod zum Himmel zurückkehre. Er ist auch der Meinung, dass es sich beim Ahnenkult der Chinesen nicht um einen Aberglauben handelt, sondern vielmehr um den Ausdruck von Hochachtung und Dankbarkeit der Lebenden gegenüber den Toten. Diese Interpretation spiegelt Leibniz’ eigene philosophische Konzeption wider. Seine Argumente waren auch für die China-Mission der Jesuiten von grosser Bedeutung. Denn der Ritenstreit war um diese Zeit voll im Gange.
  • Document: Deutsche Denker über China. Hrsg. von Adrian Hsia. (Frankfurt a.M. : Insel Verlag, 1985). (Insel Taschenbuch ; 852). S. 377. (Hsia6, Publication)
  • Document: Kemper, Hans-Georg. Hermetik, Naturrecht und christliche Wahrheit : 'Wandlungen' der chinesischen Weisheit im Spannungsfeld der deutschen Aufklärung (Leibniz, Wolff, Claudius). In : "Wenn Freunde aus der Ferne kommen" : eine west-östliche Freundschaftsgabe für Zhang Yushu zum 70. Geburtstag. Naoji Kimura & Horst Thomé (Hrsg.). (Bern : P. Lang, 2005). (Deutsch-ostasiatische Studien zur interkulturellen Literaturwissenschaft ; Bd. 3). (KemH1, Publication)
  • Person: Leibniz, Gottfried Wilhelm
  • Person: Rémond, Nicolas de

Cited by (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2000- Asien-Orient-Institut Universität Zürich Organisation / AOI
  • Cited by: Huppertz, Josefine ; Köster, Hermann. Kleine China-Beiträge. (St. Augustin : Selbstverlag, 1979). [Hermann Köster zum 75. Geburtstag].

    [Enthält : Ostasieneise von Wilhelm Schmidt 1935 von Josefine Huppertz ; Konfuzianismus von Xunzi von Hermann Köster]. (Huppe1, Published)