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“Das Chinesien bei Leibniz und Max Weber” (Publication, 2000)

Year

2000

Text

Hsia, Adrian. Das Chinesien bei Leibniz und Max Weber. In : Das Neueste über China : G.W. Leibnizens Novissima sinica von 1697 : Internationales Symposium, Berlin 4. bis 7. Okt. 1997. Wenchao Li, Hans Poser (Hrsg.). (Stuttgart : Steiner, 2000). (Studia Leibnitiana supplementa ; vol. 33). (Leib28)

Type

Publication

Mentioned People (2)

Leibniz, Gottfried Wilhelm  (Leipzig 1646-1716 Hannover) : Universalgelehrter, Philosoph, Kenntnisse der Mathematik, Jurisprudenz, Geschichte, Geologie, Physik, Technik

Weber, Max  (Erfurt 1864-1920 München) : Wirtschaftwissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Professor fur Handelsrecht Universität Berlin, Professor für Nationalökonomie Universität Freiburg i.B. und Heidelberg, Professor für Soziologie Universität Wien, Professor für Nationalökonomie Universität München

Subjects

Philosophy : Europe : Germany

Chronology Entries (2)

# Year Text Linked Data
1 1697 Leibniz, Gottfried Wilhelm. Novissima sinica [ID D1101].
Quellen : Der grösste Teil des Buches besteht aus Auszügen der Schriften und Briefe der Jesuitenmissionare in China.
Werke von Martino Martini.
Bouvet, Joachim. Icon regia monarchae sinarvm nvnc regnantis.
Bouvait, Joachim. Portrait historique de l'Empereur de Chine. [Kangxi]. In : 2. Aufl. von Gerbillon, Jean-François.
Gerbillon, Jean-François. Auszug eines Briefes über den chinesisch-russischen Krieg und den Friedensschluss. Beschreibung des Weges der russischen Gesandtschaft nach China (1693-1695). Erwähnung der 1625 aufgefundenen Stele von Xi'an.
Grimaldi, Claudio Filippo. Antworten auf die Liste der Fragen über China von Leibniz, Brief von 1695.
Kircher, Athanasius. Kircher, Athanasius. China illustrata [ID D1712].
Leusden, Johann. De successu evangelii apud Indos Occidentales.
Longobardo, Niccolò. Traité sur quelques points de la religion des Chinois [ID D1792].
Malebranche, Nicolas. Entretien d'un philosophe chrétien et d'un philosophe chinois [ID D1799].
Ricci, Matteo ; Trigault, Nicolas. De christiana expeditione [ID D1652].
Sainte-Marie, Antoine de. Traité sur quelques points importans de la mission de la Chine [ID D16444].
Soares, José. Libertas Evangelium Christi annunciandi et propagandi in Imperio Sinarum solenniter declarata, anno Domini 1692. Bericht über das Toleranzedikt zur Missionserlaubnis in China von Kaiser Kangxi.
Spizel, Gottlieb. De re literaria Sinensium commentarius [ID D1706].
Thomas, Antoine. Brief über die Förderung des Christentums durch den Hof in Beijing.
Verbiest, Ferdinand. Auszug aus Astronomia Europaea [ID D1719].

Leibniz schreibt im Vorwort : China nimmt es schon an Grösse mit Europa als Kulturlandschaft auf und übertrifft es sogar in der Zahl seiner Bewohner, es weist aber auch noch vieles andere auf, in dem es mit uns wetteifert und bei nahezu "ausgeglichenem Kriegsglück" uns bald übertrifft, bald von uns übertroffen wird… In den Fertigkeiten, deren das tägliche Leben bedarf, und in der experimentellen Auseinandersetzung mit der Natur sind wir einander ebenbürtig, und jede von beiden Seiten besitzt da Fähigkeiten, die sie mit der jeweils anderen nutzbringend austauschen könnte ; in der Gründlichkeit gedanklicher Überlegungen und in den theoretischen Disziplinen sind wir allerdings überlegen… Aber wer hätte einst geglaubt, dass es auf dem Erdkreis ein Volk gibt, das uns, die wir doch nach unserer Meinung so ganz und gar zu allen feinen Sitten erzogen sind, gleichwohl in den Regeln eines noch kultivierteren Lebens übertrifft ? Und dennoch erleben wir dies jetzt bei den Chinesen, seitdem jenes Volk uns vertrauter geworden ist. Wenn wir daher in den handwerklichen Fertigkeiten ebenbürtig und in den theoretischen Wissenschaften überlegen sind, so sind wir aber sicherlich unterlegen auf dem Gebiet der praktischen Philosophie, ich meine : in den Lehren der Ethik und Politik, die auf das Leben und die täglichen Gewohnheiten der Menschen selbst ausgerichtet sind… und mögen die Chinesen die wahre tugendhafte Lebensführung noch nicht ganz erreicht haben, so habe sie dennoch die bitteren Resultate menschlicher Fehler gemildert, und obwohl sie die Wurzeln sündhafter Vergehen aus der menschlichen Natur nicht ausrotten konnten, haben sie gleichwohl gezeigt, dass die hervorsprossenden Schösslinge böser Eigenschaften zu einem guten Teil nieder gehalten werden können... Möge Gott es geschehen lassen, dass unsere Freude begründet und dauerhaft ist und nicht durch unklugen Glaubensfanatismus oder durch interne Streitigkeiten der Männer, die die Pflichten der Apostel auf sich nehmen, noch durch üble Beispiele unserer Landsleute zunichte gemacht wird.

Die europäische Kultur verkörpert die eine Einheit, die durch die Weltreligion des Christentums zusammengehalten wird. Die östliche Einheit begegnet uns in der chinesischen Kultur. Die beiden Kulturen sind untrennbar geeint in der grossen Harmonie einer Kulturfamilie. Was Europa auszeichnet, fehlt zumeist in China, und was im Osten vorbildlich erscheint, geht oft dem Abendlande ab. Der Westen ist in allen metaphysischen und abstrakten theoretischen Wissenschaften fortgeschrittener, besonders in theoretischer Philosophie. Andererseits überragen die Chinesen die Europäer in der sogenannten praktischen Philosophie, besonders in der Ethik und Politik, in den Wissenschaften, die in Zusammenhang mit dem praktischen Leben stehen.

Leibniz schreibt über Kaiser Kangxi : Das gilt so sehr, dass der jetzt regierende K'ang Hsi, ein nahezu bespiellos hervorragender Fürst, wie immer er auch den Europäern geneigt ist, es dennoch gegen die Empfehlung seiner obersten Behörden nicht gewagt hat, die Freiheit der christlichen Religion durch ein staatliches Gesetz zu sanktionieren, bis ihre Heiligkeit geklärt war und es feststand, dass auf keine andere Weise der grosse und heilsame Plan des Kaisers besser zur Vollendung gebracht werden könne, in China europäische Fertigkeiten und Wissenschaften einzuführen. In dieser Angelegenheit scheint mir der Kaiser als Einzelperson weiter vorausgeschaut zu haben als alle seine obersten Behörden ; und der Grund für eine so überragende Klugheit war, wie ich glaube, die Tatsache, dass er Europäisches mi Chinesischem verband... Ich erinnere mich, dass Pater Claudio Filippo Grimaldi... mir gegenüber in Rom nicht ohne Bewunderung die Tugend und Weisheit dieses Fürsten pries, denn um nichts über seine Gerechtigkeitsliebe, die liebende Fürsorge für seine Völker, seine gemässigte Lebensweise und die übrigen Lobpreisungen zu sagen - Grimaldi hob hervor, dass des Kaisers erstaunlicher Wissensdurst nahezu unglaublich sei. Denn er, den seine fürstlichen Verwandten und die bedeutendsten Männer des gesamten Reiches von Ferne verehren und in seiner Nähe anbeten, bemühte sich zusammen mit Ferdinand Verbiest in der Abgeschlossenheit eines inneren Gemachs drei oder vier Stunden lang täglich an mathematischen Geräten und Büchern, wie ein Schüler mit seinem Lehrer ; und er machte so grosse Fortschritte, dass er die euklidischen Beweise erfasste, die trigonometrischen Berechnungen verstand und so in der Lage ist, die astronomischen Erscheinungen in Zahlen auszudrücken.

Leibniz schreibt an Jacob Hop : Bei der Veröffentlichung der Novissima sinica hatte ich das Ziel, die Protestanten aufzufordern, sich an der grossen Ernte zu beteiligen, die auf dem Felde des Herrn eröffnet ist, zur Ehre Gottes und zu ihrer eigenen Ehre, auf dass die reine Religion in diesem grossen Reiche nicht ausgeschlossen bleibe. Denn nur wegen ihrer Wissenschaften sind die Jesuiten in China zugelassen worden, worin ihnen die Protestanten nichts nachgeben, um nicht zu sagen, ihnen überlegen sind. Und da der chinesische Kaiser mit ihnen nur die europäischen Wissenschaften hereinbittet, so glaube ich, dass man der Religion und der Schiffahrt grosse Vorteile verschaffen würde, wenn man aus den guten Absichten dieses Fürsten Nutzen zöge.

Leibniz bemüht sich in seiner Novissima sinica um ein umfassendes Wissen über China sowie andere Kulturen, um es als Basis und Material für konsistente und empirisch begründete Spekulationen über eine gemeinsame kulturelle Zukunft verwenden zu können. Er entdeckt Chinas Verachtung menschlicher Aggressionen und Abscheu vor den Kriegen, eine "natürliche Theologie", die kultivierende und zivilisierende Macht der Konventionen und Sitten und die Vorbildlichkeit der Herrscher als mögliches Muster, einem Verfall Europas entgegen zu wirken. Leibniz möchte Europa ein sympathisches Bild von China vermitteln und setzt sich für die Akkommodationspolitik ein. Er ist der Meinung, dass sich die christliche Mission so weit wie möglich den Landessitten anpassen sollte. Missionen waren für ihn ein wichtiges Medium für den wissenschaftlichen Austausch mit dem Westen. Russland sollte die Vermittlerrolle zwischen China und Europa einnehmen. Die chinesische Sprache und Schrift faszinierten ihn, da er sich Gedanken über eine Universalsprache macht. Der chinesische Kaiser ist mit Nachrichten über Europa informiert worden, da z.B. das Vorwort der Novissima Sinica in China bekannt geworden ist.

Adrian Hsia : Für Leibniz stellen Europa und China zwei sich ergänzende Hälften einer Weltkultur dar : China sei stärker in der praktischen Philosophie, während Europa in der transzendentalen Philosophie voraus sei. In China gelte die natürliche Religion und in Europa die geoffenbarte. Ein tiefgehendes Verständnis ihres Gegenpols sei auf beiden Seiten dringend vonnöten. Daher meinte er, ein Austausch von Studierenden, die sich in die Kultur des Gastlandes vertiefen sollten, sei sehr erwünscht. Ausserdem sei die gegenseitige Missionierung notwendig, was er in seiner Vorrrede zu Novissima sinica zum Ausdruck bringt. China und Europa sollen sich ergänzen und voneinander lernen. Da Russland zwischen den beiden Kulturhälften liegt, sei es dazu berufen, die Vermittlerrolle zu übernehmen. Er versuchte unermüdlich, den Zaren Peter der Grosse, für sein Projekt zu gewinnen, was ihm aber nicht gelingt. Es ist offensichtlich, dass Leibniz die China-Mission der Jesuiten und ihre Akkomodation gutheisst, denn seine Äusserungen spiegeln weitgehend die Lehre und Praxis der Jesuiten in China wider. Auch ist er wie die Missionare von der Überlegenheit der christlichen Offenbarungsreligion überzeugt und gegen den Glaubensfanatismus. Er räumt die Möglichkeit ein, China könne, wenn es einmal christlich werde, Europa überlegen sein und befürwortet einen Kulturaustausch, weil die ganze Welt davon profitieren würde. Sein Eifer, China zu christianisieren, entspringt nicht der Überzeugung, China dadurch Kultur oder Zivilisation zu bringen, vielmehr will er China dadurch vervollkommnen.

Hans Poser : Die christliche Mission in China ist das zentrale Thema und Anliegen der Novissima sinica. Sie ist erstens geprägt durch den seit Matteo Ricci für die jesuitische Mission leitenden Gedanken, dass Wissenschaft und Christentum unmittelbar zusammengehören und zweitens entspricht die Offenbarungstheologie des Westens aus seiner Sicht einer natürlichen Theologie und Ethik Chinas. Immer wieder betont Leibniz den Zusammenhang von Erkenntnis und Glauben, indem er den Weg über die Mathematik und ihre ewigen Wahrheiten zur platonischen Ideenlehre als den vernünftigen Weg zum Christentum darstellt. In der Dyadik und im Yi jing sieht er die Möglichkeit eines vernünftigen Zugangs zum Christentum als Lehre vom Schöpfergott, der die beste aller möglichen Welten als Harmonie der Vielfalt in der Einheit verwirklicht und erhält, so dass eine rationale Grundstruktur durch die Vereinbarkeit von Vernunft und Glauben auch in der Offenbarungsreligion gegeben ist... Leibniz' Darstellung des chinesischen Toleranzediktes, in dem der christlichen Religion die gleiche Stellung eingeräumt wird wie dem Buddhismus und dem Mohamedanismus, ist ein meisterlicher politischer Schachzug, denn wenn ein Tolaranzedikt in China möglich ist, wäre es in Europa um so gebotener... Er steht im Ritenstreit ganz auf der Seite der Jesuiten, denn so ist eine Verschiedenheit im Kultus bei gleicher Grundüberzeugung möglich, kommt es in der Mission doch darauf an, die interpretativen Unterschiede der christlichen Konfessionen nicht öffentlich werden zu lassen, sondern im Gegenteil die Gemeinsamkeit hervorzuheben. Ein unmittelbares politisches Vorbild für Europa und für seine eigenen Visionen sieht Leibniz im chinesischen Kaiser, verkörperte er doch, was er von den europäischen Fürsten erhoffte... Der chinesische Herrscher achte und ehre die Gesetze und die Weisen seines Landes, hat sich den Wissenschaften und der Vernunft verschrieben und will mit ihnen sein Reich fördern.

John Ho : Leibniz schätzt den chinesichen Kaiser hoch ein. Trotz der grossen politischen Macht würde er sie nie missbrauchen. Das Ziel seiner Politik wird von weister Überlegenheit und Sittlichkeit bestimmt. Er bleibt stets den Weisen und den Gesetzen untergeordnet und gehorsam und holt den Rat der Gelehrten als wichtigsten Beitrag zu seiner Politik ein. Besonders hoch wertet Leibniz, dass sich der Kaiser bemüht, den Geist Europas zu verstehen, sowie seine Toleranz dem Christentum gegenüber...
Leibniz schätzt die Philosophie des Neo-Konfuzianismus. Er hält ihn für den „Rationalismus“ Chinas und betrachtet ihn als Kern der chinesischen Tradition. Sein Vorschlag ist, dass die Europäer die Gedanken des chinesischen Rationalismus so weit wie möglich aufnehmen, um ihre eigene natürliche Theologie zu verbessern ; in gleicher Weise sollten sich die Chinesen die Offenbarungstheologie zu eigen machen. Leibniz wünscht, dass China Missionare nach Europa schickt, die die natürliche Theologie lehren, und europäische Missionare sollten die Offenbarungstheologie nach China bringen. Um die christliche Religion zu verbreiten und um das Christentum als ein Mittel der Kulturverbindung wirksam werden zu lassen, sollten die westlichen Missionare zuerst die chinesische Kultur verstehen lernen. Dazu gehört das Studium der chinesischen Sprache, Schrift, Geschichte, Philosophie und Wissenschaft. Leibniz hofft, dass China auch das Unterrichtswesen Europas annimmt und fordert einen wissenschaftlichen Austausch, der helfen würde, dass der Weltfriede erhalten bleibt. Er drückt die Hoffnung aus, Russland werde eine wissenschaftliche Beziehung zwischen Europa und China vermitteln ; und nähme der Zar oder der chinesische Kaiser den christlichen Glauben an, wäre der Weltfrieden sicher gestellt. Auch wäre der Weg durch Russland nach China sicherer und schneller als der Weg über das Meer.
  • Document: Aurich, Ursula. China im Spiegel der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts. (Berlin : Emil Ebering, 1935). (Germanische Studien ; H. 169). S. 23. (Aur1, Publication)
  • Document: Deutsche Denker über China. Hrsg. von Adrian Hsia. (Frankfurt a.M. : Insel Verlag, 1985). (Insel Taschenbuch ; 852). S. 9-27. (Hsia6, Publication)
  • Document: Ahn, Jong-su. Leibniz' Philosophie und die chinesische Philosophie. (Konstanz : Hartung-Gorre Verlag, 1990). (Konstanzer Dissertationen ; 273). Diss. Univ. Konstanz, 1990. S. 33-34, 52-64. (Ahn1, Publication)
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. (LiuW1, Publication)
  • Document: Das Neueste über China : G.W. Leibnizens Novissima sinica von 1697 : Internationales Symposium, Berlin 4. bis 7. Okt. 1997. Wenchao Li, Hans Poser (Hrsg.). (Stuttgart : Steiner, 2000). (Studia Leibnitiana supplementa ; vol. 33). [Gottfried Wilhelm Leibniz]. 21-22, 26-27, 311. (LiPos1, Publication)
  • Document: Claudia von Collani (Col, Person)
  • Document: Paul, Gregor (Paul, Person)
  • Document: Widmaier, Rita (Wid, Person)
  • Document: Walravens, Hartmut (Wal, Person)
  • Person: Hop, Jacob
  • Person: Kangxi
  • Person: Leibniz, Gottfried Wilhelm
2 2000 Weber, Max. Konfuzianismus und Taoismus : Sekundärliteratur (9).
Hsia, Adrian. Das Chinesien bei Leibniz und Max Weber [ID D16520].
Adrian Hsia schreibt : Weber definiert den Konfuzianismus als 'die Standesethik einer literarisch gebildeten weltlich-rationalistischen Pfündnerschaft'. 'Die religiöse Standesethik dieser Schicht hat die chinesische Lebensführung weit über jene selbst hinaus bestimmt'. Dieser höchst problematischen Definition nach wären die Konfuzianer zwar literarisch gebildet, rationalistisch ausgerichtet und insofern weltangepasst, als ihr Lebensziel darin bestünde, Pfründen einzusammeln. Dafür hätten sie die Klassiker studiert und Prüfungen abgelegt. Wahrscheinlich soll der Konfuzianer der Funktion nach 'weltordnender Bürokrat' und der Ethik nach 'Pfründner' sein.
Weber stellt fest, dass der Ursprung des Literatentums 'in Dunkel gehüllt' sei, aber sie, die Literaten, stützten sich mit ihrer Wissenschaft auf 'jenen kirchlichen Anstaltscharakter des Staats und gingen von ihm als der gegebenen Voraussetzung aus', aber sie fühlten sich durchaus 'als einziger Träger der einheitlichen chinesischen Kultur'. Diesen Beschreibungen nach müssten die Literaten zur Hälfte Priester sein. Diese Priester-Beamten dienten dann dem 'Cäsaropapisten', dem Kaiser. In der Zeit der 'Einheitsmonarchie', so Weber, war der 'Mandarinenstand, aus dessen Mitte sich alle Klassen der chinesischen Zivilbeamten rekrutierten, eine Schicht diplomierter Pfründenanwärter geworden'. Ausgelesen wurden die Anwärter dieses Standes spätestens seit dem 7. Jh. durch Prüfungen, die den Besitz 'literarischer Durchkultivierung und der daraus folgenden, dem vornehmen Manne angemessenen Denkweise' ermitteln sollen.
Damit ist der Stand um eine Qualität mehr bereichert. Weber gibt Auskunft über diese Prüfungen: 'Soweit die bei den Prüfungen gestellten Aufgaben schliessen lassen, hatten diese auf den Unterstufen etwa den Charakter von Aufsatzthemen in einer Prima eines deutschen Gymnasium oder, vielleicht noch richtiger, der Selekta einer höheren deutschen Töchterschule. Alle Stufen sollten Proben der Schreibkunst, der Stilistik, der Beherrschung der klassischen Schriften, endlich aber Proben einer einigermassen vorschriftsmässigen Gesinnung sein. Die chinesische Bildung diente Pfründeninteressen und war schriftgebunden'.
Diese Schriftgebundenheit hat Weber absichtlich hervorgehoben. Denn die chinesische Bildung bestehe aus Einprägung von Staats- und Familienpietät, die 'fast nur Regeln der Selbstbeherrschung' und 'wie anderwärts alle priesterlich geschaffene Bildung, ganz unmilitärisch und rein literarisch war'. Mit 'literarisch' meint Weber die Schrift, die 'in ihrem bildhaften Charakter verharrte'. Diese Eigentümlichkeit bedeute, daß das Schriftbild wichtiger sei als das gesprochene Wort. In diesem Zusammenhang evoziert Weber den Sinologen Wilhelm Grube als Zeuge, dass die Schrift 'weder der Dichtung noch dem systematischen Denken noch der Entfaltung der rednerischen Kunst die Dienste leisten können', wie der Sprachbau europäischer Sprachen. Die 'Gewalt des Logos, des Definierens und Räsonierens' erschliesse sich dem Chinesen nicht. Daher bleibe, schlussfolgert Weber, die Logik 'der rein an den Standesinteressen der Patrimonialbureaukratie orientierten, schriftgebundenen und undialektischen chinesischen Philosophie schlechterdings fremd'. Weil die Logik 'dieser Kernproblemkreis aller abendländischen Philosophie', China unbekannt bliebe, erinnerten die Konfuzius zugeschrieben Aussprüche 'an die Ausdrucksmittel indianischer Häuptlinge'.

An erster Stelle muss ein Konfuzianer ein Literat bzw. ein Gelehrter sein. Dieser besteht mit Erfolg seine drei öffentlichen Prüfungen. Im Weberschen Sinne ist er gleichzeitig Amts-, Pfründenanwärter und Kaplan. Bekommt er ein Amt, wird er dann Beamter, Pfründner und Priester. Er ist Priester, weil er nach Weber, in den Augen der Massen 'ein erprobter Träger magischer Qualitäten' sei. Vermutlich ist Weber zu dieser Meinung gekommen, weil er den chinesischen Kaiser als Cäsar und Papst in einer Person sieht, und zwar aufgrund des Staatskultes. Solange die Harmonie herrscht, beherrscht der Kaiser die menschliche und die Geisterwelt. Aber hat der Beamte auch Befugnisse über die Geisterwelt ? Könnte er z.B. die Funktion des Exorzisten übernehmen ?
In Webers China, wo der Mandarin nur Salon-Bildung und priesterliches Charisma besitzt, herrscht der Beamtenrationalismus oder, in anderen Worten, der praktische Rationalismus einer Amtspfründnerschaft mit einer Laienreligion, die allein 'an die Macht' der Ahnengeister glaube. Das Lebensziel dieser Pfründnerschaft sei: 'langes Leben, Kinder und Reichtum, in sehr geringem Maße um des Wohlergehens der Ahnen selbst'. Für Weber ist das Obige die 'konfuzianische Lebensorientierung'. Man könnte eine lange Liste anführen, was dieser Lebensorientierung mangelt. 'Eschatologie und Erlösunglehre' können die Liste führen und die damit verbundene 'Ekstase und Askese'. Dadurch kannten, Weber zufolge, die Konfuzianer nicht 'das individuelle Gebet'. Sie ignorierten auch die ungleiche (religiöse) Qualifikation, die den Gnadenstand ausmache. Stattdessen hingen sie, an der prinzipiellen Gleichheit der Menschen, was zu dem Irrtum führt, der Konfuzianer suche 'den Grund seiner äusseren und inneren Erfolge oder Misserfolge bei sich selbst'.

Weil alle Menschen in China als gleich angesehen würden, werde der materielle Wohlstand, wie Weber hervorhebt 'ethisch betrachtet, nicht etwa in erster Linie Quelle von Versuchungen, sondern vielmehr : das wichtigste Mittel zur Beförderung der Moral'. Daher sei das letzte Ziel des Konfuzianismus : 'möglichst universell verbreiteter Besitz im Interesse der universellen Zufriedenheit'. Folgerichtig fehle, dessen war Weber überzeugt, auch der Antrieb zum Kapitalismus, ohne den die „'moderne okzidentale Rechtsrationalisierung' nicht möglich sei. Es fehlt dem Konfuzianismus, so belehrt er, überhaupt die Spannung, es herrsche im ideologischen Bereich ausschließlich Gleichheit, Harmonie, Schicklichkeit, Tugend und Pazifismus, als daß sich die moderne Rationalisierung und der Kapitalismus entwickeln könnten.

Im Kapitel Resultat faßt Weber noch einmal zusammen, warum der tragende Geist Chinas keinen Kapitalismus hervorgebracht hat. Der erste Fehler sei: 'Die Welt war die beste aller möglichen Welten'; dann soll der Mensch anlagemässig ethisch gut und perfektionsfähig sein ; der dritte Fehler sei der 'rechte Weg zum Heil', die Anpassung an das Tao, die kosmische Harmonie, der vierte sei die Idealeigenschaft der Menschen, nämlich 'Anmut und Würde', und schliesslich der fünfte : 'Schicklichkeit sei die Zentraltugend'.
Weber verdeutlicht in Vergleichen : Dem Chinesen fehle 'die zentral, von innen heraus, religiös bedingte rationale Lebensmethodik des klassischen Puritaners', es mangle ihm 'die bewusste Verschlossenheit [der Puritaner] gegen die Einflüsse und Eindrücke der Welt', der Chinese brauche die 'eigentümliche Verengung und Verdrängung des natürlichen Trieblebens', um die 'wache Selbstkontrolle des Puritaners' zu erreichen. Um auf das 'objektive Können des Gegenparts' zu gelangen, muss der Chinese vom Puritaner lernen, Vertrauen auf die 'bedingungslose und unerschütterliche, weil religiös bedingte Legalität des Glaubensbruders zu schenken'. Dies alles kann der im Grunde unreligiöse Chinese nur tun, wenn er Puritaner wird.
Weber scheint die Chinesen ermutigen zu wollen, diesen entscheidenden Schritt zu tun, denn er bescheinigt dem Chinesen die natürliche Begabung, 'sich den technisch und ökonomisch im neuzeitlichen Kulturgebiet zur Vollentwicklung gelangen Kapitalismus anzueignen'. Er brauche nur die richtige Gesinnung zu haben.

Cited by (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2000- Asien-Orient-Institut Universität Zürich Organisation / AOI
  • Cited by: Huppertz, Josefine ; Köster, Hermann. Kleine China-Beiträge. (St. Augustin : Selbstverlag, 1979). [Hermann Köster zum 75. Geburtstag].

    [Enthält : Ostasieneise von Wilhelm Schmidt 1935 von Josefine Huppertz ; Konfuzianismus von Xunzi von Hermann Köster]. (Huppe1, Published)