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Year

2000

Text

Weber, Max. Konfuzianismus und Taoismus : Sekundärliteratur (9).
Hsia, Adrian. Das Chinesien bei Leibniz und Max Weber [ID D16520].
Adrian Hsia schreibt : Weber definiert den Konfuzianismus als 'die Standesethik einer literarisch gebildeten weltlich-rationalistischen Pfündnerschaft'. 'Die religiöse Standesethik dieser Schicht hat die chinesische Lebensführung weit über jene selbst hinaus bestimmt'. Dieser höchst problematischen Definition nach wären die Konfuzianer zwar literarisch gebildet, rationalistisch ausgerichtet und insofern weltangepasst, als ihr Lebensziel darin bestünde, Pfründen einzusammeln. Dafür hätten sie die Klassiker studiert und Prüfungen abgelegt. Wahrscheinlich soll der Konfuzianer der Funktion nach 'weltordnender Bürokrat' und der Ethik nach 'Pfründner' sein.
Weber stellt fest, dass der Ursprung des Literatentums 'in Dunkel gehüllt' sei, aber sie, die Literaten, stützten sich mit ihrer Wissenschaft auf 'jenen kirchlichen Anstaltscharakter des Staats und gingen von ihm als der gegebenen Voraussetzung aus', aber sie fühlten sich durchaus 'als einziger Träger der einheitlichen chinesischen Kultur'. Diesen Beschreibungen nach müssten die Literaten zur Hälfte Priester sein. Diese Priester-Beamten dienten dann dem 'Cäsaropapisten', dem Kaiser. In der Zeit der 'Einheitsmonarchie', so Weber, war der 'Mandarinenstand, aus dessen Mitte sich alle Klassen der chinesischen Zivilbeamten rekrutierten, eine Schicht diplomierter Pfründenanwärter geworden'. Ausgelesen wurden die Anwärter dieses Standes spätestens seit dem 7. Jh. durch Prüfungen, die den Besitz 'literarischer Durchkultivierung und der daraus folgenden, dem vornehmen Manne angemessenen Denkweise' ermitteln sollen.
Damit ist der Stand um eine Qualität mehr bereichert. Weber gibt Auskunft über diese Prüfungen: 'Soweit die bei den Prüfungen gestellten Aufgaben schliessen lassen, hatten diese auf den Unterstufen etwa den Charakter von Aufsatzthemen in einer Prima eines deutschen Gymnasium oder, vielleicht noch richtiger, der Selekta einer höheren deutschen Töchterschule. Alle Stufen sollten Proben der Schreibkunst, der Stilistik, der Beherrschung der klassischen Schriften, endlich aber Proben einer einigermassen vorschriftsmässigen Gesinnung sein. Die chinesische Bildung diente Pfründeninteressen und war schriftgebunden'.
Diese Schriftgebundenheit hat Weber absichtlich hervorgehoben. Denn die chinesische Bildung bestehe aus Einprägung von Staats- und Familienpietät, die 'fast nur Regeln der Selbstbeherrschung' und 'wie anderwärts alle priesterlich geschaffene Bildung, ganz unmilitärisch und rein literarisch war'. Mit 'literarisch' meint Weber die Schrift, die 'in ihrem bildhaften Charakter verharrte'. Diese Eigentümlichkeit bedeute, daß das Schriftbild wichtiger sei als das gesprochene Wort. In diesem Zusammenhang evoziert Weber den Sinologen Wilhelm Grube als Zeuge, dass die Schrift 'weder der Dichtung noch dem systematischen Denken noch der Entfaltung der rednerischen Kunst die Dienste leisten können', wie der Sprachbau europäischer Sprachen. Die 'Gewalt des Logos, des Definierens und Räsonierens' erschliesse sich dem Chinesen nicht. Daher bleibe, schlussfolgert Weber, die Logik 'der rein an den Standesinteressen der Patrimonialbureaukratie orientierten, schriftgebundenen und undialektischen chinesischen Philosophie schlechterdings fremd'. Weil die Logik 'dieser Kernproblemkreis aller abendländischen Philosophie', China unbekannt bliebe, erinnerten die Konfuzius zugeschrieben Aussprüche 'an die Ausdrucksmittel indianischer Häuptlinge'.

An erster Stelle muss ein Konfuzianer ein Literat bzw. ein Gelehrter sein. Dieser besteht mit Erfolg seine drei öffentlichen Prüfungen. Im Weberschen Sinne ist er gleichzeitig Amts-, Pfründenanwärter und Kaplan. Bekommt er ein Amt, wird er dann Beamter, Pfründner und Priester. Er ist Priester, weil er nach Weber, in den Augen der Massen 'ein erprobter Träger magischer Qualitäten' sei. Vermutlich ist Weber zu dieser Meinung gekommen, weil er den chinesischen Kaiser als Cäsar und Papst in einer Person sieht, und zwar aufgrund des Staatskultes. Solange die Harmonie herrscht, beherrscht der Kaiser die menschliche und die Geisterwelt. Aber hat der Beamte auch Befugnisse über die Geisterwelt ? Könnte er z.B. die Funktion des Exorzisten übernehmen ?
In Webers China, wo der Mandarin nur Salon-Bildung und priesterliches Charisma besitzt, herrscht der Beamtenrationalismus oder, in anderen Worten, der praktische Rationalismus einer Amtspfründnerschaft mit einer Laienreligion, die allein 'an die Macht' der Ahnengeister glaube. Das Lebensziel dieser Pfründnerschaft sei: 'langes Leben, Kinder und Reichtum, in sehr geringem Maße um des Wohlergehens der Ahnen selbst'. Für Weber ist das Obige die 'konfuzianische Lebensorientierung'. Man könnte eine lange Liste anführen, was dieser Lebensorientierung mangelt. 'Eschatologie und Erlösunglehre' können die Liste führen und die damit verbundene 'Ekstase und Askese'. Dadurch kannten, Weber zufolge, die Konfuzianer nicht 'das individuelle Gebet'. Sie ignorierten auch die ungleiche (religiöse) Qualifikation, die den Gnadenstand ausmache. Stattdessen hingen sie, an der prinzipiellen Gleichheit der Menschen, was zu dem Irrtum führt, der Konfuzianer suche 'den Grund seiner äusseren und inneren Erfolge oder Misserfolge bei sich selbst'.

Weil alle Menschen in China als gleich angesehen würden, werde der materielle Wohlstand, wie Weber hervorhebt 'ethisch betrachtet, nicht etwa in erster Linie Quelle von Versuchungen, sondern vielmehr : das wichtigste Mittel zur Beförderung der Moral'. Daher sei das letzte Ziel des Konfuzianismus : 'möglichst universell verbreiteter Besitz im Interesse der universellen Zufriedenheit'. Folgerichtig fehle, dessen war Weber überzeugt, auch der Antrieb zum Kapitalismus, ohne den die „'moderne okzidentale Rechtsrationalisierung' nicht möglich sei. Es fehlt dem Konfuzianismus, so belehrt er, überhaupt die Spannung, es herrsche im ideologischen Bereich ausschließlich Gleichheit, Harmonie, Schicklichkeit, Tugend und Pazifismus, als daß sich die moderne Rationalisierung und der Kapitalismus entwickeln könnten.

Im Kapitel Resultat faßt Weber noch einmal zusammen, warum der tragende Geist Chinas keinen Kapitalismus hervorgebracht hat. Der erste Fehler sei: 'Die Welt war die beste aller möglichen Welten'; dann soll der Mensch anlagemässig ethisch gut und perfektionsfähig sein ; der dritte Fehler sei der 'rechte Weg zum Heil', die Anpassung an das Tao, die kosmische Harmonie, der vierte sei die Idealeigenschaft der Menschen, nämlich 'Anmut und Würde', und schliesslich der fünfte : 'Schicklichkeit sei die Zentraltugend'.
Weber verdeutlicht in Vergleichen : Dem Chinesen fehle 'die zentral, von innen heraus, religiös bedingte rationale Lebensmethodik des klassischen Puritaners', es mangle ihm 'die bewusste Verschlossenheit [der Puritaner] gegen die Einflüsse und Eindrücke der Welt', der Chinese brauche die 'eigentümliche Verengung und Verdrängung des natürlichen Trieblebens', um die 'wache Selbstkontrolle des Puritaners' zu erreichen. Um auf das 'objektive Können des Gegenparts' zu gelangen, muss der Chinese vom Puritaner lernen, Vertrauen auf die 'bedingungslose und unerschütterliche, weil religiös bedingte Legalität des Glaubensbruders zu schenken'. Dies alles kann der im Grunde unreligiöse Chinese nur tun, wenn er Puritaner wird.
Weber scheint die Chinesen ermutigen zu wollen, diesen entscheidenden Schritt zu tun, denn er bescheinigt dem Chinesen die natürliche Begabung, 'sich den technisch und ökonomisch im neuzeitlichen Kulturgebiet zur Vollentwicklung gelangen Kapitalismus anzueignen'. Er brauche nur die richtige Gesinnung zu haben.

Mentioned People (1)

Weber, Max  (Erfurt 1864-1920 München) : Wirtschaftwissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Professor fur Handelsrecht Universität Berlin, Professor für Nationalökonomie Universität Freiburg i.B. und Heidelberg, Professor für Soziologie Universität Wien, Professor für Nationalökonomie Universität München

Subjects

Philosophy : Europe : Germany

Documents (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2000 Hsia, Adrian. Das Chinesien bei Leibniz und Max Weber. In : Das Neueste über China : G.W. Leibnizens Novissima sinica von 1697 : Internationales Symposium, Berlin 4. bis 7. Okt. 1997. Wenchao Li, Hans Poser (Hrsg.). (Stuttgart : Steiner, 2000). (Studia Leibnitiana supplementa ; vol. 33). S. 352-353, 355-356. Publication / Leib28
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
  • Person: Leibniz, Gottfried Wilhelm
  • Person: Weber, Max