2003
Publication
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1 | 1921-1931 |
Canetti, Elias. Die Fackel im Ohr : Lebensgeschichte, 1921-1931 [ID D14044]. Canetti schreibt über seine erste Begegnung mit dem Buddhismus : Mit Fredl Waldinger trat der Buddhismus in mein Leben… vielleicht hätte ich ohne ihn mich nicht so früh schon mit den indischen Religionen befasst, die mir wegen ihrer Vervielfältigung des Todes in der Wiedergeburtslehre sehr widerstanden hat. Er schreibt über die Bedeutung der Verwandlungen bei Zhuangzi : Es war, so sehe ich heute, ein guter Instinkt, der mich zu den Verwandlungen trieb, die Beschäftigung mit ihnen bewahrte mich davor, der Welt der Begriffe zu verfallen, an deren Rand ich immer blieb. |
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2 | 1928 |
Canetti, Elias. Die gerettete Zunge [ID D14045]. Canetti schreibt 1928 : Auf den verschiedensten, scheinbar sehr abliegenden Wegen suchte ich mich dem zu nähern, was ich als Masse erlebt hatte. Ich suchte sie in der Geschichte, aber in der Geschichte aller Kulturen. Mehr und mehr faszinierte mich die Geschichte und frühe Philosophie Chinas. Chinesische und bald auch japanische Namen wurden mir vertraut, ich begann mich frei unter ihnen zu bewegen wie in der Schulzeit schon unter den Griechen. Unter den Übersetzungen chinesischer Klassiker stiess ich auf Dschuang Dsi [Zhuangzi], der mir zum vertrautesten aller Philosophen wurde, und unter dem Eindruck seiner Lektüre begann ich damals eine Abhandlung über das Tao zu schreiben. Um eine Entschuldigung vor mir dafür zu haben, dass ich so weit von meinem Hauptthema abirrte, suchte ich mich davon zu überzeugen, dass ich die Masse nie verstehen würde, ohne zu erfahren, was extreme Isolierung sei. Der eigentliche Grund für meine Faszination durch diese originellste Richtung der chinesischen Philosophie war aber, ohne dass ich es mir damals klar eingestanden hätte, die Bedeutung, die Verwandlungen darin haben. Er schreibt über den Tod : Es gibt wenig Schlechtes, was ich vom Menschen wie der Menschheit nicht zu sagen hätte. Und doch ist mein Stolz auf sie noch immer so gross, dass ich nur eines wirklich hasse : ihren Feind, den Tod. |
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3 | 1935 |
Canetti, Elias. Die Blendung [ID D14046]. Quelle : Bücher von Richard Wilhelm aus der Sammlung Die Religion und Philosophie Chinas. Er schreibt : "Es war jener Mong Tse, den er über alles liebte. "Dummkopf !" schrie er sich an, "Barbar ! Analphabet ! ", hob ihn zärtlich auf und ging rasch zur Tür. Bevor er sie erreicht hatte, fiel im etwas Wichtiges ein. Er kehrte zurück und schob die Leiter, die an der Wand gegenüber hing, möglichst leise an die Unfallstelle heran. Den Mong Tse legte er mit beiden Händen auf den Teppich zu Füssen der Leiter nieder.“ [Mong Tse gilt als Klassiker] "und zwar hauptsächlich durch den Einfluss des grossen Kommentators Tschu Hsi, welcher in den gesammelten ommentaren die Gespräche des Konfuzius und die des Mencius vereinigte. Seitdem gehört der Mencius zu den vier heiligen Büchern und ist das klassische Werk, welches die chinesischen Knaben zuerst zu lesen pflegen... Die beliebtesten Themata zu den Staatsprüfungen pflegten früher dem Mencius entnommen zu werden, und die moderne Ethik und Politik schliesst sich ihm fast wörtlich an. " ... "er belebte die Bibliothek mit erlesenen Freunden. Am liebsten neigte er zu alten Chinesen. Er hiess sie dem Band und der Wand, welcher sie zugehörten, entsteigen, winkte sie heran, bot ihnen Platz, begrüsste, bedrohte sie, je nachdem, legte ihnen ihre eigenen Worte in den Mund und focht seine Meinung so lange durch, bis sie schwiegen." "Im Jahre 213 vor Christi Geburt wurde auf Befehl des chinesischen Kaisers Shi-Hoang-Ti, eines brutalen Usurpators, der es gewagt hat, sich den Titel 'Der Erste, Erhabene, Göttliche' beizulegen, sämtliche Bücher Chinas verbrannt. Dieser rohe und abergläubische Verbrecher war selbst viel zu ungebildet, um die Bedeutung von Büchern, auf Grund deren sein Gewaltregiment bestritten wurde, richtig einzuschätzen. Aber sein erster Minister Li-Si, slebst ein Kind seiner Bücher, ein verächtlicher Renegat also, wusste ihn in einer geschickten Eingabe zu dieser ni erhörten Massnahme zu veranlassen. Auch auf blosse Gespräche über das klassische Liederbuch und das klassische Geschichtswerk der Chinesen stand der Tod. Die mündliche Tradition sollte zugleich mit der schriftlichen ausgerottet werden." "Die wirklich grossen Denker sind vom Unwert der Frau überzeugt. Such in den Gesprächen des Konfuzius, wo du tausend Meinungen und Urteile über alle Dinge des täglichen Lebens findest, einen Satz, der die Frauen betrifft ! Du findest keinen ! Der Meister des Schweigens übergeht sie mit Schweigen." "Kien kniete in Gedanken nieder und betete in seiner Not zum Gotte der Zukunft : der Vergangenheit. Er hatte das Beten längst verlernst ; aber vor diesem Gotte fand er es wieder... Der Bibelgott sei im Grunde ein trauriger Analphabet. Manche bescheidenen Chinesengötter seien um vieles belesener." "Kien befand sich wieder, wie jene Nacht, bevor er einschlief, in China... Er sah einer Popularisierung seiner Wissenschaft ins Auge, ohne sofort auszuspucken... Wenn es einem Gelang, diese[m] Stück Menschentum zu schenken, so hatte man etwas geleistet... Jahre würden vergehen, bis er das Chinesische beherrschte. Aber die Vertrautheit mit Trägern und Gedanken des chinesischen Kulturkreises sollte ihm früher zuteil werden. Um sein Interesse dafür zu wecken, musste man an die Verhältnisse des Alltags anknüpfen. Unter dem Titel 'Mong Tse und wir' liesse sich eine hübsche Betrachtung zusammenstellen." "Zitate aus chinesischen Schriftstellern vermeidet er. Man könnte ihn unterbrechen und Fragen nach Mong Tse stellen. Im Grunde macht es ihm Vergnügen, von einfachen Tatsachen einfach und allgemeinverständlich zu sprechen. Seiner Erzählung eignet die Schärfe und Nüchternheit, die er den chinesischen Klassikern verdankt." "Einer solchen Bestie gebührt kein ehrliches Begräbnis. Da sie jetzt verlässlich tot ist, will ich sie nicht beschimpfen. Die blaue Gefahr ist gebannt. Nur Dummköpfe haben sich vor einer gelben gefürchtet. China ist das Land der Länder, das heiligtse Land." "Wenn Leute krank und am Tode sind, dann gleichen sie sehr den Irren, sagt Wang-Chung, ein scharfer Kopf, er lebte im ersten Jahrhundert dieser Zeitrechnung, von 27 bis 98 im China der späten Han, und wusste mehr von Schlaf, Irrsinn und Tod als ihr mit eurer angeblich exakten Wissenschaft. Heile deinen Kranken von seiner Frau ! Solange er sie hat, ist er irrsinnig und am Tode – nach Wang-Chung zwei verwandte Zustände. Entferne die Frau, wenn du kannst !" Peter Kien, ein berühmter Sinologe, lebt zurückgezogen in seiner 25'000 Bände umfassenden Bibliothek. Er wird von seiner habgierigen Haushälterin Therese zur Ehe verführt und heiratet sie, damit seine Bücher gepflegt werden. Im Kampf um sein Vermögen, wird er von ihr aus seiner Wohnung vertrieben und sieht sich unvermittelt mit dem alltäglichen Leben der Aussenwelt konfrontiert. Sein Bruder Georges, ein Psychiater führt ihn in seine Bibliothek zurück, doch er verfällt zunehmend dem Wahnsinn und verbrennt sich mitten in seinen Büchern. Canetti legte folgende stenographierte Notiz in die Hanser-Ausgabe von 1963 : Vielleicht sollte ich zum besseren Verständnis dieses dritten Kapitels der Blendung ein paar Sätze voraus schicken. Im ersten Kapitel hat man den Sinologen Peter Kien bei seinem täglichen Museumsspaziergang kennen gelernt. Er ist überaus menschenscheu und schweigsam. Aber ganz gegen seine Gewohnheit hat er mit einem Jungen, den er vor einer Buchhandlung stehen und die Titel der Bücher entziffern sah, ein Gespräch angeknüpft. Es stellt sich heraus, dass der Junge schon allerhand weiss. Er heisst Franz Metzger und wohnt im selben Hause wie Kien, was dieser nicht bemerkt hatte. Kien, von seiner Wissbegierde …, sagt ihm : "Du darfst einmal in meine Bibliothek kommen. Sag der Wirtschafterin, dass ich es erlaubt habe. Ich zeig dir Bilder aus Indien und China. Aber erst wenn ich einmal Zeit habe, nächste Woche". Sobald er wieder bei der Arbeit sitzt, vergisst Kien den Jungen und das Versprechen, das er ihm gegeben hat. Die Gedanken des Menschen, mit denen das Kapitel, das ich nun lese, beginnt, sind natürlich als die Kiens und nicht des Verfassers zu lesen. Konfuzius, ein Ehestifter- Christoph Eggenberger : Köstlich liest sich die Präzisierung, es seien die Gedanken Kiens nicht diejenigen des Verfassers. Dieser Hinweis ist in seiner Überdeutlichkeit auffällig, liest sich wie eine Rechtfertigung, als müsse sich Canetti vor Kiens Gedanken schützen, zumindest aber betonen, dass nicht er diese Gedanken hege. Ein absurdes Spiel, es charakterisiert den Schriftsteller aufs trefflichste. Es folgt die Ansprache an die Bücher, sie werden gewarnt : "… 213 v.Chr. liess Kaiser Shi-Hoang-Ti … sämtliche Bücher Chinas verbrennen" und : "Ich weiss, was der Feind mit den Verschiebungen plant: er will die Kontrolle über unsere Bestände erschweren". Schließlich ruft Kien die Bücher zum Heiligen Krieg auf. Die Bücher werden zu lebendigen Wesen, zumindest aber zu einem Publikum für den Professor. Er spricht zu ihnen. Er versucht sich mit ihrer Hilfe vor dem Feind, das ist Therese, zu schützen. "Du, mein Volk, die Kraft, die Grösse, die Weisheit der Jahrtausende" die Bücher spenden Beifall, jedes Buch in seiner Sprache, in seinem Ton. Gleichzeitig schützt er auch sie, stellt sie mit dem Rücken zur Wand. "Jeder einzelne Band wurde herausgenommen und mit dem Rücken zur Wand gestellt". Canetti scheint damit nicht auf die alte Usanz anzuspielen, die Bücher mit dem Schnitt nach vorne aufzustellen, wo sie betitelt wurden. "Die Wände sahen plötzlich anders aus. Früher waren sie braun, jetzt sind sie weiss." Kien lebt in der Vergangenheit, "in katholischer Priester wird von jeder ägyptischen Mumie übertroffen…Gott ist die Vergangenheit". "Kien befand sich wieder, wie jede Nacht, bevor er einschlief, in China". Li Shixun : Die Erklärung über die Massenbewegung findet Elias Canetti bei Mengzi. Mengzi habe das Wesen der Masse so präzise wie kein anderer Philosoph erfasst. Canetti schreibt : Menschen wie Figuren hing ich um ihrer Namen willen an, und Enttäuschung über ihr Verhalten hat mich zu den umständlichsten Bemühungen veranlasst, sie zu verändern und mit ihren Namen in Einklang bringen. Chen Yun : Der Name einer Person ist für Canetti sehr wichtig. Das erinnert mich an den chinesischen Spruch „Aussen und Innen sind eins“. Canetti beschäftigt sich auch mit der Literatur und Geschichte Chinas. Er hat umfassende Kenntnisse der chinesischen Geschichte, kennt wichtige historische Ereignisse und viele bekannte historische Personen… Durch die ganze Abhandlung des Romans zieht China : Kien der Sinologe ist, der chinesische Bücher liest und sich an der chinesischen Philosophie, an Konfuzius, Mengzi und Buddha orientiert… Die Situation, in der sich Kien und Konfuzius befinden, ist ähnlich, denn es herrscht überall Unordnung. Aber Kien, der sich um Leiden und Not der menschlichen Zivilisation sorgt, indem er für seine Bücher lebt und um sie kämpft, hat leider im Kampf gegen seine Umwelt und die Gesellschaft verloren und versucht daraus zu entfliehen. Dieses Resultat widerspricht der Richtung des Konfuzius. Das heisst, Konfuzius und Kien vertreten zwei verschiedene Weltanschauungen, nämlich In-die-Welt-Kommen und Aus-der-Welt-Entfliehen. Wu Ning : Chinesische Stoffe und Motive finden sich besonders in den Kapiteln „Spaziergang“ : Mozi ; „Konfuzius, ein Ehestifter“ und „Mobilmachung“ : Konfuzius ; „Umwege“ : Mozi ; „Listenreicher Odysseus“ : Liezi und Wang Zhong ; „Blendende Möbel“ und „Umwege“ : Mozi. Die chinesischen Philosophen hat Canetti in der Übersetzung von Richard Wilhelm gelesen. Das Kapitel „Die Erstarrung“ ist eine freie Bearbeitung einer chinesischen Geistergeschichte aus P'u, Sung-ling. Seltsame Geschichten aus dem Liao chai [ID D4393]. Canetti-Forscher denken, dass August Pfizmaier das Vorbild für die Figur des Professor Peter Kien gewesen sein könnte, der wie Kien in Bescheidenheit und Zurückgezogenheit in Wien gelebt hat. Canetti hat auch eine Geschichte über Pfizmaier gekannt. Er schreibt 1969 : August Pfizmaier, der Wiener Gelehrte, in seine Übersetzung des Manyoschu vertieft, ahnt ein Jahr lang nichts vom Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1870-71. Er erfährt es aus einer japanischen Zeitung, die mit grosser Verspätung bei ihm in Wien anlangt. Gerd Kaminski schreibt über Pfizmaier : Ohne eine Berufsstellung, die ihn in Beziehung mit der Aussenwelt gebracht hätte, lebte Pfizmaier in völliger Abgeschiedenheit, ohne Kenntnis dessen, was um ihn vorging. Sein Verkehr beschränkte sich auf die Bücher, welche ihm zukamen, seine Welt war die Studierstube, die er seit Jahren nicht mehr verlassen hat. Zum Glück fand sich eine treue Hand, die bis zu seinem Lebensende für ihn besorgt war. Canetti findet in Mengzi, seinem Lieblingsphilosoph, einen Gleichgesinnten, der vor der Gefahr der Masse mit folgenden Worten gewarnt hat : Sie handeln und wissen nicht, was sie tun ; sie haben ihre Gewohnheiten und wissen nicht, warum ; sie wandeln ihr ganzes Leben und kennnen doch nicht ihren Weg ; so sind sie, die Leute der Masse. Kien denkt : Der Charakter und nicht das Staubtuch macht den Menschen, man nehme sich immer und ausnahmslos vor den Leuten der Masse in acht. [Mengzi, Buch VII]. Aussagen die Canetti mit wenigen Änderungen aus dem Lun yu von Richard Wilhelm [ID D1581] übernommen hat : Mit fünfzehn Jahren stand mein Wille aufs Lernen, mit dreissig stand ich fest, mit vierzig hatte ich keine Zweifel mehr – aber erst mit sechzig war mein Ohr aufgetan… Betrachte der Menschen Art zu sein, beobachte die Beweggründe ihres Handelns, prüfe das, woran sie Befriedigung finden. Wie kann ein Mensch sich verbergen !... Fehlen, ohne sich zu bessern, das nennt man Fehlen. Hast du einen Fehler begangen, so schäme dich nicht, ihn gutzumachen… Das Rechte sehen und es nicht tun, ist Mangel an Mut. Nachdem Kien von Therese beraubt und aus der Wohnung geworfen wird, wird er zum Frauenhasser. Er greift auf seine „alten Chinesen“ zurück, auf Konfuzius : Such in den Gesprächen des Konfuzius, wo du tausend Meinungen und Urteile über alle Dinge des täglichen Lebens findest, einen Satz, der die Frauen betrifft ! Du findest keinen ! Dies ist eine falsche Aussage von Kien, denn im Lun yu gibt es einige Aussagen über Frauen. Der schweigsame Kien ist in seinem Wesen keineswegs mit Konfuzius gleichzusetzen. Das „Schweigen“ des Konfuzius ist ein auf das höchste Ziel seiner Tätigkeit, die Sittlichkeit, ausgerichtetes Schweigen, das grossen Wert auf Handeln legt. Kiens Stummheit hingegen ist Ausdruck eines auf Grössenwahn, Frauenhass und Massenverachtung aufgebautes Dasein. Das Feuer ist ein Leitmotiv in der Blendung. Von allen Vorzeichen, die Canetti im Roman einsetzt, um die Tragödie Kiens anzudeuten, ist die Bücherverbrennung von 213 auf Befehl von Kaiser Shihuangdi in der Geschichte Chinas, das aufschlussreichste. Zhang Chunjie : Peter Kien führt aus zwei Gründen ein Gespräch mit Konfuzius. Zum einen hat er die Gewohnheit, mit Bücher Debatten zu führen, zum andern führt er das Gespräch aufgrund einer Unsicherheit, seine Haushälterin Therese, eine eigentlich für ihn ungebildete und nicht lesefähige Person, zu beurteilen. Er zweifelt an seinem bisherigen Urteil. An seiner früheren Meinung gegenüber Therese, der Menschenmasse lässt sich unter diesen Umständen nicht mehr festhalten, und damit ist seine Lebenshaltung grundsätzlich in Frage gestellt. Die Diskrepanz zwischen den vier Zitaten, die Canetti aus dem Lun yu übernommen hat, und dem Originaltext, wird vom ersten bis zum vierten immer grösser. Der Missbrauch der Konfuzius-Zitate zeugt geradezu von der Pseudowissenschaftlichkeit Peter Kiens. Alexander Kosenina : Dass Kien gerade Konfuzius und nicht etwa Mengzi als Anwalt für seinen "Heiligen Krieg" beruft, ist sicher kein Zufall. Sein verehrter Mengzi wäre nämlich nicht in Frage gekommen, da er den Krieg verurteilte und in der Vergangenheit keine gerechten Kriege entdecken konnte. Auch Konfuzius ist kein ausgesprochener Freund des Militärs, weiss aber doch um dessen Notwendigkeit. Für eine gute Regierung setzt er es ebenso voraus wie genügend Nahrung und das Vertrauen des Volkes zu seinem Herrscher. Im Zweifelsfalle hält er gleichwohl die Streitmacht am ehesten für verzichtbar, gefolgt von der Verpflegung, als das wichtigste Fundament des Staates verbleibt das Verauen. Ein weiterer Grund für Kiens Wahl ist in seiner vorausgeschickten 'narratio' von der Bücherverbrennung zu suchen. Sie wurde von einer staatstreuen Gruppe sogenannter Legalisten unterstützt, die sich gegen die Tradition des Konfuzianismus richtete. Kiens Losung soll also Konfuzius' und seine Lehre gegen die legalistische Zersetzung stärken. Noch ein dritter Umstand motiviert Kien zur Wahl seines geistigen Kriegsherrn, nämlich sein Feindbild. Seine Kriegserklärung gilt Therese, einer Frau. In Konfuzius glaubt er einen geistigen Verbündeten für seine Frauenverachtung gefunden zu haben. Seinem Bruder Georges erklärt er : "Die wirklich grossen Denker sind vom Unwert der Frau überzeugt. Such in den Gesprächen des Konfuzius [Lun yu], wo du tausend Meinungen und Urteile über alle Dinge des täglichen Lebens findest, einen Satz, der die Frauen betrifft ! Du findest keinen ! Der Meister des Schweigens übergeht sie mit Schweigen". Mit dieser Behauptung irrt sich Kien. Im Lun yu finden sich wenige Aussagen über Frauen, allerdings ganz im abwertenden Sinne Kiens : "Mit Weibern und Knechten ist doch am schwersten auszukommen ! Tritt man ihnen zu nahe, so werden sie unbescheiden. Hält man sie fern, so werden sie unzufrieden". |
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4 | 1960 |
Canetti, Elias. Masse und Macht [ID D14047]. Canetti schreibt : Alle Absichten des Menschen auf Unsterblichkeit enthalten etwas von der Sucht, zu überleben. Man will nicht nur immer da sein, man will da sein, wenn andere nicht mehr da sind. Jeder will der Älteste werden und es wissen, und wenn er selbst nicht mehr da ist, soll man es von seinem Namen wissen. Die niedrigste Form des Überlebens ist die des Tötens… Am folgenreichsten ist die Ausbildung des Ahnenkultes bei den Chinesen. Um zu verstehen, was ein Ahne bei ihnen ist, muss man auf ihre Seelenvorstellung ein wenig eingehen. Sie [die Chinesen] glauben, dass jeder Mensch im Besitze von zwei Seelen sei. Die eine, po, entstand durch das Sperma und war also seit dem Augenblick der Zeugung vorhanden ; ihr wurde das Gedächtnis zugerechnet. Die andere Seele, hun, entstand durch die Luft, die nach der Geburt eingeatmet wurde, und bildete sich dann allmählich. Sie hatte die Gestalt des Körpers, den sie belebte, aber sie war unsichtbar. Die Intelligenz, die ihr zugehörte, wuchs mit ihr, es war die überlegene Seele. Nach dem Tode stieg diese Atemseele zum Himmel auf, während die Spermaseele bei der Leiche im Grabe blieb… Über das Ergebnis seiner Beschäftigung mit dem Lun yu schreibt Canetti : Es ist, von allen Zivilisationen, der einzige ernsthafte Versuch, der mir bekannt ist, die Lüsternheit des Überlebens aufzulösen. Als solchen wird man den Konfuzianismus in seinem Ursprung, all seinen späteren Entartungen zum Trotz, wenigstens in diesem Aspekt, sehr vorurteillos bedenken müssen. Gerwig Epkes : Canetti ist nicht in der Lage, sich differenziert mit China auseinanderzusetzen. So setzt er z.B. Konfuzius, Konfuzianismus und die chinesische Zivilisation gleich. Er unterstellt den Chnesen ein Triumpfgefühl beim Anblick der Toten und eine Lüsternheit des Überlebens. Er untersucht nicht ihre spezifische gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung. Er rühmt das Lun yu wegen dessen Lebensfeindlichkeit, was seiner eigenen Sicht entspricht. Dabei gehen ihm weitere Einsichten in China verloren. Zudem rückt er den Reichtum der chinesischen Philosophie in ein schiefes Licht. Er verdrängt Tatsachen, die seine eigene idealisierende Wahrnehmung stören. Chen Yun : Canetti beschäftigte sich mit dem Ahnenkult der Chinesen. Wu Ning : Canetti schreibt von Opferzeremonien und Gedenkriten mancher Völkergruppen, bei denen man aus einem anderen Glauben, einer anderen Tradition mit dem Tod umgeht. Dort ist man der Ansicht, dass die Toten noch immer Macht über die Hinterbliebenen ausüben würden. Ning Ying : Im alten China äusserten verschiedene Schulen ihre eigenen Meinungen über die Massen und den Machthaber. Konfuzius und Mengzi teilen die Menschen in zwei Kategorien : Die Edlen und die Nichtswürdigen. Bei Canetti wird die Masse entder als ‚ein blutgieriger Tiger’ oder als ‚ein roter Kater’ oder ‚ein halber Mensch’ bezeichnet. In China behandelt man das Problem der Masse und Macht meistens aus dem politischen und sozialen Aspekt, während Canetti es mehr aus der philosophischen, anthropologischen und psychologischen Sicht betrachtet. |
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5 | 1975 |
Canetti, Elias. Das Gewissen der Worte : Essays [ID D14042]. Canetti, Elias. Konfuzius in seinen Gesprächen (1971). In : Das Gewissen der Worte. Canetti schreibt : "Die 'Gespräche' des Konfuzius sind das älteste vollkommene geistige Porträt eines Menschen. Man empfindet es als ein modernes Buch, nicht nur alles, was es enthält, auch alles, was in ihm fehlt, ist wichtig… Ich kenne keinen Weisen, der den Tod so ernst nahm wie Konfuzius. Auf Fragen nach dem Tod verweigert er die Antwort. 'Wenn man noch nicht das Leben kennt, wie sollte man den Tod kennen'. Er sagt nicht, dass nachher nichts ist, er kann es nicht wissen. Aber man hat den Eindruck, dass ihm gar nicht daran läge, es in Erfahrung zu bringen, selbst wenn das möglich wäre. [Lun yu]. Aller Wert wird damit auf das Leben selbst verlegt, was man dem Leben an Ernst und Glanz genommen hat, indem man einen guten, vielleicht den besten Teil seiner Kraft hinter den Tod verlegte, wird ihm wieder zurückerstattet. So bleibt das Leben ganz, was es ist, und auch der Tod bleibt intakt, sie sind nicht austauschbar, nicht vergleichbar, sie mischen sich nicht, sie bleiben verschieden… Die Reinheit und der menschliche Stolz dieser Gesinnung ist sehr wohl vereinbar mit jener emphatischen Steigerung des Gedenkens an die Toten, wie sie sich im Li-ki [Li ji], dem Buch der Riten der Chinesen findet. Das Glaubwürdigste, was ich über die Annäherung an die Toten je gelesen habe, über das Gefühl ihrer Gegenwart an den Tagen, die zu ihrem Gedächtnis bestimmt sind, findet sich in diesem Buch der Riten… Es ist ganz im Sinne des Konfuzius, es ist, obwohl in dieser Form erst später aufgezeichnet, das, was man bei der Lektüre seiner Gespräche schon immer empfindet. In einer Verbindung von Zartheit und Zähigkeit, die sich anderswo schwerlich findet, bemüht er sich, das Gefühl der Verehrung für gewisse Tote zu steigern… Es ist ein sehr kompletter Mensch, den man da kennenlernt, aber nicht irgendein Mensch. Es ist ein Mensch, der auf seine Vorbildlichkeit bedacht ist und mit ihrer Hilfe auf andere einwirken will… Wer drei Jahre für seinen Vater trauert, den Lauf seiner gewohnten Tätigkeit so vollkommen und so lang unterbricht, kann keine Freude am Überleben fühlen, jede Genugtuung am Überleben, selbst wenn sie noch möglich wäre, wird durch den Gang der Verpflichtungen zur Trauer von Grund auf ausgemerzt. Die Abneigung des Konfuzius gegen Beredsamkeit : das Gewicht der gewählten Worte. Er fürchtete ihr Schwächung durch leichten und glatten Gebrauch. Die Zögerung, die Überlegung, die Zeit vor dem Wort ist alles, aber auch die Zeit danach. Es ist etwas im Rhythmus der isolierten Frage und Antwort, das ihren Wert erhöht. Das rasche Wort der Sophisten, das eifrige Ballspiel des Wortes ist ihm verhasst…" Wu Ning : Canetti bekommt bei seiner Auseinandersetzung mit dem Tod Unterstützung von der chinesischen klassischen Philosophie. Er stellt fest, dass dem Umgang der Chinesen mit den Toten ein völlig anderer Glaube bzw. ein ganz unterschiedlicher Kulturhintergrund zugrundeliegt ; dort bezeigt man sein Andenken an die Verstorbenen durch Fasten und Meditieren und erfüllt so seine Verpflichtungen gegenüber den Toten ; die Gedenkakte und Zeremonien sind durch archaische, bindende Sitten und Rituale geregelt. Er erkennt, dass die uralte Tradition mit der profanen Lehre des Konfuzius durchaus im Einvernehmen steht… Die Beziehung zwischen Vater und Sohn gehört zu den fünf wichtigsten sozialen Beziehungen der Menschen im konfuzianischen System. Die weiteren sind Mann zu Frau, älterer zu jüngerem Bruder, Fürst zum Diener und Freund zu Freund. Ihre Regelung ist in den Riten des Li ji zu lesen. Ning Ying : Canetti nimmt folgende Lehren von Konfuzius an : Erstens : Das Verhältnis zur Macht : „Er wird so zum Meister des Nein-Sagens und versteht sich ganz zu bewahren. Er ist kein Asket, et nimmt Anteil an allen Aspekten dieses Lebens und zieht sich nie wirklich aus ihm zurück“. Zweitens : Das Verhältnis zum Menschen : „Konfuzius erlaubt keinem Menschen, Werkzeug zu sein. Damit hängt seine Abneigung gegen Spezialistentum zusammen“. Drittens : Das Verhältnis zum Tod. Gerwig Epkes : Die Ansichten und Gebote des Lun yu treffen in Canetti auf eine verwandte Seele, denn auch er will durch Verbote die Beziehungen regeln. So sieht er den Ahnenkult als etwas Sinnvolles an. Beruht der Ahnenkult an und für sich auf einer Verdrängung des Todes, so bestreitet Canetti dies. Canetti fällt der Widerspruch zu sich selbst nicht auf : Würdigt er eine Seite zuvor die scharfe Trennung, die Konfuzius zwischen Leben und Tod ziehe, so lobt er mit seiner Bewertung des Ahnenkultes das Gegenteil, nämlich die Aufhebung der Trennung zwischen Leben und Tod. Li Shixun : Canetti beurteilt Konfuzius positiv, während der Konfuzianisms zu dieser Zeit in China wieder heftig kritisiert wird. Canetti, Elias. Der andere Prozess. In : Das Gewissen der Worte. Canetti schreibt, dass Franz Kafka nicht nur unter dem grossen Einfluss des Taoismus und Buddhismus steht, sondern auch ein Dichter ist, der in Europa den Charakter der chinesischen Literaturform am besten gemeistert hat : Kafka gehört mit manchen seiner Erzählungen in die chinesische Literatur. Chinesische Themen sind von der europäischen Literatur seit dem 18. Jahrhundert oft aufgegriffen worden. Doch der einzige, seinem Wesen nach chinesische Dichter, den der Westen aufzuweisen hat, ist Kafka. In Übereinstimmung mit Arthur Waley stellt Canetti fest, dass Kafka mit manchen seiner Erzählungen der chinesischen Literatur anzurechnen sei, da Kafka unter dem taoistischen Animismus und der buddhistischen Seelenwanderungsidee nicht nur das Reale ins Irreale uneingeschränkt zu transzendieren vermag, sondern auch die freien Verwandlunsmöglichkeiten, den uneingeschränkten Wechsel von Mensch und Tier unternehmen oder fabelhafte und phantastische Wesen verschiedenster Art, Menschen, die mit übernatürlichen Kräften begabt sind, darstellen kann. Canetti schreibt weiter über Franz Kafka : Am erstaunlichsten ist ein anderes Mittel, über das er so souverän verfügt wie nur die Chinesen : Die Verwandlung ins Kleine. Da er Gewalt verabscheute, sich aber auch die Kraft nicht zutraute, die zu ihrer Bestreitung vonnöten ist, vergrösserte er den Abstand zwischen dem stärkeren und sich, indem er im Hinblick auf das starke immer kleiner wurde. Ning Ying : Vergleicht man den Begriff der Verwandlung im Taoismus, so lässt sich Folgendes sagen : Im alten China glaubte man, dass der Mensch und der Himmel, das Ich und das Ding eine Einheit bildeten, denn die Verwandlung führte nicht zu einer Spaltung des Ichs. Die Verwandlung in Canettis Kafka-Forschung dagegen, ist ein Mittel der Gedemütigten, die dadurch versuchen, der Macht zu entgehen. Der Begriff der Verwandlung hat tiefe Bedeutung für Canetti. Er sieht sie vor allem unter dem Aspekt der poetischen Anthropologie und der Sozialpsychologie. Mit Hilfe der Verwandlung will er nach einem Weg suchen, um die Menschheit vor der Bedrohung zu retten. Seiner Meinung nach liegen der Ursprung und das Ziel des Menschen in seiner Fähigkeit zur Verwandlung |
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6 | 1978 | Seit 1978 bestimmen in China die Verlage die Wahl einer ausländischen Übersetzung. Es sind Werke, die weltweit berühmt sind, eine gesellschaftliche Wirkung haben oder einen Literaturpreis bekommen haben. Die Autoren, die den Nobelpreis für Literatur erhalten haben, haben Priorität. |
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7 | 1981 | Chen Yun : Die Rezeption von Elias Canetti in China beginnt, nachdem er den 1981 den Nobelpreis erhalten hat. Der Erfolg der Blendung basiert auf dem gesellschaftlichen und schriftstellerischen Hintergrund. Für den Chinesen ist es wichtig, den Hintergrund eines Werkes zuerst zu erforschen nach dem Motto „Die Literatur stammt aus dem Leben der Menschen und dient wiederum dem Leben der Menschheit“. Die Literatur ist der Träger von Dao, das an das Publikum weitergegeben wird. |
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8 | 1986 |
[Canetti, Elias]. Mi wang. [Die Blendung] [ID D14049]. Li Shixun : Für die grosse Rezeption der Die Blendung nach der ersten Übersetzung in China, gibt es folgende Gründe : Das Buch ist die Tragödie eines Intellektuellen und beschreibt den Konflikt zwischen Geist und Materie, Zivilisation und Barbarei, der die chinesischen Intellektuellen an die Kulturrevolution erinnert. Durch die Politik der Öffnung kommt grosses Interesse für die Schulen der Moderne des Westens auf. Das Werk fasziniert durch die künstleriche Kraft und den Ideenreichtum selbst und ist geprägt von der chinesischen Kultur. Qian Wencai schreibt im Vorwort : Die Blendung ist ein empfehlenswerter Roman. Der Sinn der Empfehlung liegt zuerst darin, dass sie tiefgreifende sozialkritische Bedeutung hat. Sie stellt die geistige Situation des Intellektuellen in Europa vor der faschistischen Machtübernahme Hitlers dar. Die tiefe Bedeutung des Romans liegt darin, den geistigen Hintergrund und die Unvermeidbarkeit des durch Borniertheit und Barbarei gekennzeichneten Faschismus in Europa darzustellen. Zweitens gehört die Schreibtechnik des Romans zu den Neuerungen der Moderne und wird als Ergebnis scharfer Widersprüche in der westlichen Gesellschaft und Kultur des zwanzigsten Jahrhunderts angesehen… Das Geld, nach dem jeder in der kapitalistischen Gesellschaft und in Die Blendung strebt, hat alles ungültig gemacht, was der Mensch als das Schöne und Gute betrachtet, wie zum Beispiel die selbstlose Liebe, die Tugend und die Moral. Der Geist ist zerstört worden. Der Mensch ohne Geist ist Repräsentant einer kopflosen Welt. Zhang Guofeng und Li Shixun schreiben im Vorwort : In den 20er und 30er Jahren erlebte Europa eine schwere Wirtschaftskrise. Die gesamte kapitalistische Gesellschaft geriet in Bestürzung und Chaos. Die Klassen- und Gesellschaftswidersprüche spitzten sich so sehr zu wie noch nie. Der Kampf zwischen verschiedenen politischen Kräften erreichte den Siedepunkt. Die Macht des Faschismus expandierte rapide. Obwohl ein republikanischer Staat nach dem Zusammenbruch des Habsburger Reiches und der Auflösung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie gegründet wurde, war der Einfluss der feudalistischen Autokratie noch sehr stark. Eine solche Gesellschaft hatte einerseits sämtliche Eigenschaften einer Feudalgesellschaft, verfügte aber andererseits auch über verschiedene Scheusslichkeiten des Kapitalismus : Das wahnsinnige Streben nach Geld und Macht erreichte in jener Zeit seinen Höhepunkt. Die traditionellen Werte waren schon längst verfallen. Unverhüllter Raub und Besitz ersetzten die Freiheit, Gleichheit und die menschliche Liebe. Die Moral und die Menschlichkeit waren völlig verloren gegangen. Die Gesellschaft war wie ein riesiger Schlachthof, in dem man sich gegenseitig um der eigenen Interessen willen betrog und untereinander ein Blutbad anrichtete… Zhang und Li kommentieren, dass die verschiedenartigen verrückten Haltungen und die monströsen Personen entsetzlich seien. Durch die feine Figurengestaltung treibe er jede abscheuliche Eigenschaft in der kapitalistischen Gesellschaft in einem erbarmungslosen Stil auf die Spitze. Daher werde das verfaulte Wesen der unheilbaren westlichen Welt in den 20er und 30er Jahren tiefgreifend blossgestellt… In dieser verdorbenen Gesellschaft hat sich die Sexualität, der menschliche Naturinstinkt ausgedehnt, und ist in die physiologische und psychische Metamorphose gesunken. Sie ist eine schmutzige Begierde geworden und zeigt sich sogar in einer schamlosen Form… Der Sinologe Peter Kien hat alle Kontakte mit der Gesellschaft abgebrochen, weil er diese unmoralische vulgäre Welt hasst. Er versucht, in der alten asiatischen Kultur seine seelische Stütze zu finden. Aber das isolierte einsame Leben macht aus ihm allmählich einen Bücherwurm ohne Lebenserfahrung. Als er in die Wirklichkeit eintritt, ist seine geistige Verteidigungslinie, die von der Doktrin des Konfuzius und Menzius aufgebaut wurde, total zusammengebrochen. Er wird betrogen, beleidigt und ausgeraubt. Chen Yun : Qian Wencai gibt als Grund für seine Übersetzung der Die Blendung an, er habe ihn aus reiner Neugier übersetzt, er interessiere sich sehr für Canettis aussergewöhnliche Erlebnisse, besonders der Romanheld, der als ein Sinologe dargestellt werde, habe sein Interesse geweckt. Er wollte erfahren, wie ein von einem Europäer dargestellter Sinologe China sehe und wie das Schicksal der Intellektuellen Europas jener Zeit gewesen sei. Der soziale Charakter der Blendung entspricht genau den chinesischen Vorstellungen von guter Literatur. Sie stellt die gesellschaftlichen Probleme der damaligen Zeit dar und liefert damit den ersten Ansatz zur Lösung der Probleme. Was zu jener Zeit in Europa passierte, ist in China bekannt. Viele Chinesen, die in Europa studierten, berichteten über die damalige Gesellschaft. Canetti schreibt : Ich hatte es mir, um mich gegen die Geldgesinnten in meiner Familie zu behaupten zur etwas billigen Tugend gemacht, Geld zu verachten. Ich hielt es für etwas Langweiliges, Immergleiches, dem nichts Geistiges abzugewinnen war, an dem die Menschen, die sich ihm ergaben, allmählich vertrockneten und steril wurden. Chen Yun : Diese Einstellung Canettis entspricht dem Kern der chinesischen Kultur. Die chinesischen Philosophen betonen das Geistige. Die Befriedigung der Habgier des Individuums zählt nicht dazu. Was dazu zählt, was zum Nutzen der Menschheit ist, ist die Moral, die Tugend, Treue und Zuverlässigkeit. Besonders wenn man als Dichter arbeitet, ein Intellektueller ist, soll man dem Konfuzianismus zufolge das Gewissen der Gesellschaft sein… Was für Canetti zählt, sind Gerechtigkeit, Moral und Verantworung. Als 1979 die freie Marktwirtschaft in China eingeführt worden ist, änderte sich allmählich die Einstellung in China zum Geld. |
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9 | 1991 |
De yu wen xue ci dian = Lexikon der deutschsprachigen Literatur [ID D11581] Darin steht über Die Blendung von Elias Canetti : Die Blendung versucht zu zeigen, dass der Intellektuelle von dem Kleinbürger furchtbar an den Rand gedrängt wird, damit soll die Situation der Intellektuellen der 20er und 30er Jahre in Europa angedeutet werden. |
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# | Year | Bibliographical Data | Type / Abbreviation | Linked Data |
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1 | 2000- | Asien-Orient-Institut Universität Zürich | Organisation / AOI |
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