Hofmannsthal, Hugo von. Die Idee Europa.
Hofmannsthal schreibt : Dumpfes Gefühl der Not. Hinstreben zu Asien als Zeichen der Zeit, anders als im achtzehnten Jahrhundert.
Ingrid Schuster : Hofmannsthals Verhältnis zu Asien hatte sich grundlegend gewandelt : das spielerische Interesse an japanischer Tanzkunst, das Gefallen an Chinoiserien waren einem suchenden "Hinstreben" zu den Traditionen Chinas und Japans gewichen. Hofmannsthal schwebte ein Bild vom idyllischen einfachen Leben ohne soziale Schranken vor.
Hofmannsthal übernimmt die Ausführungen von Kakuzo Okakura in The ideals of the East ; with special reference to the art of Japan. (London : J. Murray, 1903) unkritisch. Bei der Formulierung seiner "Idee Europa" geht es um das "Suchen eines Gesetzes oder einer Bahn über dem Persönlichen und ausserhalb des Persönlichen", um die "Überwindung des chaotischen Weltzustandes". Die Lehre vom überpersönlichen Gesetz findet er bei Laozi ; in dem Werk von Okakura wird zum Teil die taoistische Philosophie bestätigt, vor allem aber schildert er Lebensformen, die Hofmannsthal mit Hilfe der Lehre vom Tao - mutatis mutandis - zu verwirklichen hoffte. Die historische Perspektive kam für ihn nicht mehr in Betracht, denn der Dichter müsse nach dem Sein fragen, "nach der Bahn, dem Gesetz, dem Bleibenden, dem was die heiligen Bücher der Chinesen mit dem Worte Tao bezeichnen".
Mit dem Begriff des Tao berührt sich bei Hofmannsthal der des "Karma" : es ist notwendig, dass "das Gesetz ins Individuum, das Individuum ins Gesetz hineingenommen" und der "contrat social" überwunden wird... Karma ist ein buddhistischer Begriff, den Hofmannsthal im Buch Welteroberung durch Heldenliebe von Frederik von Eeden und Volker (Berlin : Schuster & Loeffler, 1911) ausführlich erläutert gefunden hatte. Er selbst umschrieb es als "Schicksalsgesetz" der "persönlichen Sendung", die der Mensch verwirklichen solle. "Zielgedanke" sei : "das Ich als Manifestation von Kräften, sowohl in seinen Leiden wie in seinen Taten, beide synthetisiert".
Die Begegnung Hofmannsthals mit der chinesischen Philosophie hat sich auf sein dichterisches Werk nicht ausgewirkt. Fragmente allerdings zeigen, dass er versuchte, mit Hilfe der taoistischen Philosophie eine Lösung für die damaligen Probleme Europas zu finden.
Liu Weijian : Hugo von Hofmannsthal hat 1904 The ideals of the East von Okakura Kakuzo gelesen, in dem die taoistische Lehre und ihre Lebensformen beschrieben werden und beginnt sich für Taoismus zu interessieren. Er spricht vom "Hinstreben zu Asien als Zeichen der Zeit". Als Ausweg aus der sozialen und kulturellen Krise sucht er nach einem Gesetz oder einer Bahn über dem Persönlichen oder ausserhalb des Persönlichen, nach dem Bleibenden, dem, was die heiligen Bücher der Chinesen mit dem Wort Tao bezeichnen. Für Hofmannsthal ist das Tao ein ewiges Gesetz, in dem der Unterschied zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen verschwindet.
Hartmut Zelinsky : Hofmannsthal hat unter dem Druck der Ereignisse des Ersten Weltkrieges in seinen Notizen zu seiner Rede Die Idee Europa seine Parteiname für Asien als allgemeine Tendenz gekennzeichnet und so darauf hingewiesen, dass ein zukünftiges Europa ohne die Einbeziehung Asiens nicht zu denken ist. Gemäss seinem "Glauben an die Ewigkeit" hielt er es für möglich, einem "Zeit"- und "Ich"-verhafteten Europa ein Asien entgegenzusetzen, dem er noch das "Ewige", das "Ganze" und "Zeitlosigkeit" zuschreiben zu können glaubte, oder anders gesagt, er verknüpfte mit Asien seine Utopie eines hoffnungsfreien glücklichen, "ganzen" Weltzustandes.
Literature : Occident : Austria