2000
Web
# | Year | Text | Linked Data |
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1 | 1922-1935 |
[Martin Heidegger und die Japaner]. Ohashi, Ryôsuke. Die frühe Heidegger-Rezeption in Japan. In : Japan und Heidegger. Ed. by Hartmut Buchner. (Signmaringen : Thorbecke, 1989). Ohashi schreibt : Zwischen 1922-1935 waren einige bekannte japanische Philosophen z.B. Hajime Tanabe und Shuzo Kuki in Deutschland zum Studium, unter anderem auch bei Heidegger. In der Folgezeit kamen immer mehr Philosophen hinzu und der Einfluss von Sein und Zeit verstärkte sich in Japan. Das Denken Heideggers hat auf die Philosophie der Kyoto-Schule unleugbaren Einfluss. Die Heidegger-Rezeption in Japan ist ein grosses Thema, das für den modernen Philosophen im chinesischen Sprachkreis viel Bedeutung besitzt und ebenso oft diskutiert wurde. Denn der Gemeinsamkeiten zwischen der chinesischen und japanischen Kultur sind viele. Otto Pöggeler : Heidegger konnte Anstösse aus den ostasiatischen Traditionen in sein eigenes Bemühen, Besinnung zu wecken, einbringen. Er hat über Jahrzehnte hinweg beobachtet, wie seine japanischen Schüler von seinem Denken aus die Überlieferungen, aus denen sie kamen, neu zu fassen suchten. Freilich hat er sich bis in sein hohes Alter hinein gefragt, ob diese Schüler das Gleiche meinen wie er, wenn von beiden Seiten, aber aus ganz anderen Traditionen und Sprachen heraus, z.B. vom 'Nichts' gesprochen wird. Heidegger hielt das Gespräch zwischen Europa und dem Fernen Osten für ebenso nötig wie schwierig ; er wollte die Fremdheit nicht übersehen, die in jeder Begegnung blieb. Die lebenslangen Gespräche mit den Schülern sind durch eine Welt getrennt von den kurzen Interviews der Besucher ; trotzdem kann die Aufzeichnung von einem solchen Besuch erste Hinweise darauf geben, warum er überhaupt solche Begegnungen suchte, wie er die Unterschiede der Traditionen, aber auch die Gemeinsamkeit im Fragen sah. Heidegger hat überdies festgehalten, dass er von früh an mit Japanern zusammengearbeitet habe, 'von Chinesen habe er indessen mehr gelernt'. |
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2 | 1930 |
Martin Heidegger hält sich nach einem Vortrag über das Wesen der Wahrheit in Bremen bei Herrn Keller auf. In einem Gespräch wurde die Frage gestellt, ob ein Mensch sich in den anderen versetzen könne. Als die Gefahr aufkam, dass das Gespräch zu einem psychologischen Zerreden wurde, liess sich Heidegger von Herrn Keller Tschuang-tse [Zhuangzi]. Reden und Gleichnisse des Tschuang-tse. Deutsche Auswahl von Martin Buber [ID D11978] geben. Er zitiert und interpretiert daraus die Geschichte Die Freude der Fische um die Frage nach der Intersubjektivität zu beantworten : "Tschuang-tse und Hui-tse standen auf der Brücke, die über den Hao führt. Tschuang-tse sagte : 'Sieh, wie die Elritzen umherschnellen ! Das ist die Freude der Fische'. 'Du bist kein Fisch' sagte Hui-tse, ‚wie kannst du wissen, worin die Freude der Fische besteht ? 'Du bist nicht ich' antwortete Tschuang-tse, 'wie kannst du wissen, dass ich nicht wisse, worin die Freude der Fische besteht ?' 'Ich bin nicht du', bestätigte Hui-tse, 'und weiss dich nicht. Aber das weiss ich, dass du kein Fisch bist ; so kannst du die Fische nicht wissen'. Tschuang-tse antwortete : 'Kehren wir zu deiner Frage zurück. Du fragtest mich : 'Wie kannst du wissen, worin die Freude der Fische besteht ? Im Grunde wusstest du, dass ich weiss, und fragtest doch. Gleichviel. Ich weiss es aus meiner eignen Freude über dem Wasser'." Otto Pöggeler : Zhuangzi kann aus seiner Freude am Wandern die Freude der Fische im Bach teilen. In der 'Mitteilung' und im 'Kampf' kann dann jenes 'Geschick' freigegeben weren, von dem her sich die übergreifende Gemeinschaft eines 'Volkes' im Wechsel der Generationen aufbaut. Man mag an dieser Bestimmung des Verhältnisses zum Anderen jene 'ethische' Dimension vermissen, in der der Andere mich in die Verantwortung nimmt, in der das 'mythische' Sicheingrenzen auf das Eigene und die Heimat durch die messianische Forderung des Friedens für alle durchbrochen werden. Die Behauptung ist aber kurzschlüssig, bei Heidegger falle das Verhältnis zum anderen aus. Es wird nur anders als in bestimmten Traditionen gesehen : als Freundschaft, in der die Freunde letztlich einander in ihre Eigenheit und Andersheit entlassen, so dass in jedem 'die Welt fertig dasteht' ; nicht als Nächstenliebe, in der der eine auf den andern angewiesen ist. Heidegger bezieht die Legende des Zhuangzi speziell auf die Frage des Mitseins. Hat diese Legende im Taoismus aber nicht den weitergehenden Sinn, an die universale Sympathie zu erinnern, die alles Natürliche – z.B. Fische und Menschen – miteinander verbindet ? Auch Sein und Zeit weist darauf hin, dass die Natur, die uns 'umfängt', also Natur 'etwa im Sinne des Naturbegriffes der Romantik', nicht die 'Naturdinglichkeit' des Vorhandenen oder Zuhandenen sei, damit nicht die Natur, die wissenschaftlich oder technisch von uns behersscht wird. Chung Chen-yu : In diesem Zitat geht es um die Frage, ob sich der Mensch in ein Tier bzw. in einen anderen Menschen hineinversetzen kann. Für Zhuangzi ist ein solches Heineinversetzen möglich, weil sich der Mensch, wenn er sitzt und vergisst, mit allem Seienden vereint. Dann ist die Unterscheidung von Mensch und Mensch, von Mensch und Ding verschwunden. Heidegger hat zwar das Beispiel Zhuangzis übernommen, stellt aber eine andere Problematik dar. Ontologisch gesehen ist der Mensch immer das Mitsein mit Anderen und das Mitsein mit den Tieren. 'Welt' bedeutet, das Seiende als das Seiende anwesen zu lassen. Dieses Ansehen-Lassen ist aber nur dem Menschen als Dasein mgöich. Der Unterschied zwischen Mensch und Tier zeigt sich bei Heidegger darin : 'Die Art, wie der Mensch ist, nennen wir das Verhalten ; die Art, wie das Tier ist, nennen wir das Benehmen. Das Benehmen des Tieres ist nicht ein Tun und Handeln, wie das Verhalten des Menschen, sondern Treiben, womit wir andeuten, dass gleichsam alles Treiben des Tieres die Getriebenheit durch das Triebhafte charakterisiert'. Cho Kah Kyung : Als Beispiel eines nicht-sprachlichen Kommerzes steht diese Lehre Zhuangzis eigentlich im Gegensatz zu Heideggers ontologischer Voraussetzung, welche das Tierreich abgründig vom menschlichen Dasein trennt. Doch mit dieser Geste der didaktischen Übertreibung hatte er jene hermeneutische Pointe nicht verfehlt, dass Schweigen positiv zum Moment des Verstehens gehört. Ohashi Ryôsuke : Die Erzählung des Zhuangzi gliedert sich so, dass die Diskussion zwischen Tschuang-tse und Hui-tse mit einem abschliessenden Wort Tchuang-tses um schlägt und zu Ende geht. Das Wort, das das ganze Gespräch wendet, lautet : 'Kehren wir zu deiner Frage zurück'. Wortgetreu übersetzt : 'Kehren wir zum Ursprung zurück'. Der gemeinte 'Ursprung' ist im Kontext dieser Erzählung der Ausgangspunkt der Diskussion Hui-tses. Aber das Wort 'Ursprung' bedeutet offensichtlich auch den 'ursprünglichen Anfang', in dem Tschuang-tse steht. Das 'Mitsein' Heideggers ist die Seinesweise des Menschen und gründet im menschlichen Dasein. Das 'Gleichstellen der Dinge' bei Zhuangzi dagegen ist die Haltung, alle 'Dinge' trotz all ihrer Unterschiede, wie etwa Grösse usw., als 'gleich' anzusehen. Das 'Mitsein' bei Heidegger gründet in der Entschlossenheit des Daseins des Menschen. Die 'Wandlung' bei Zhuangzi ist nicht nur der Grund der Fremderfahrung zwischen den Menschen, wie das Mitsein Heideggers, sondern der Grund der Fremderfahrung im Ganzen. In der Entwicklung des Gedankens dieser 'Wandlung' geht nun eine andere Dimension der Nähe und Ferne auf, nämlich die der 'Geschichte'. Im menschlichen Dasein ist als Da des Seins, wie es Heidegger in Sein und Zeit erörterte, schon der Charakter der Geschichtlichkeit enthalten. In der 'Wandlung' bei Zhuangzi dagegen wird die Sicht der Geschichte nicht geöffnet. In der Erzählung Herbst-Fluss wird gesagt : 'Der Weg kennt nicht Ende noch Anfang. Verfall und Ruhe, Fülle und Leere machen einen ewigen Kreislauf durch. Einfach der Wandlung ihren Lauf lassen !' |
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3 | 1957-1959 |
1957-1959 Heidegger, Martin. Unterwegs zur Sprache (1959) [ID D19028]. Heidegger, Martin. Das Wesen der Sprache. [Drei Vorträge Freiburg 1957-1958]. Heidegger, Martin. Der Weg zur Sprache. [Vortrag München, Berlin 1959]. Quellen : Lao-tse. Tao te king. Aus dem Chinesischen ins Deutsche übersetzt von Victor von Strauss [ID D4587]. Ular, Alexander. Die Bahn und der rechte Weg des Lao-tse der chinesischen Urschrift nachgedacht [ID D11974]. Laotse. Tao te king : das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Aus dem Chinesischen… von Richard Wilhelm [ID D4445]. Heidegger schreibt : "Das erbringende Eigen, das die Sage als die Zeige in ihrem Zeigen regt, heisse das Ereignen. Es er-gibt das Freie der Lichtung, in die Anwesendes anwähren, aus der Abwesendes entgehen und im Entzug sein Währen behalten kann. Was das Ereignen durch die Sage [Weg, Tao] ergibt, ist nie die Wirkung einer Ursache, nicht die Folge eines Grundes. Das erbringende Eignen, das Ereignen, ist gewährender als jedes Wirken, Machen und Gründen. Das Ereignende ist das Ereignis selbst – und nichts ausserdem. Das Ereignis, im Zeigen der Sage [Tao] erblickt, lässt sich weder als ein Vorkommnis noch als ein Geschehen vorstellen, sondern nur im Zeigen der Sage als das Gewährende erfahren. Es gibt nichts anderes, worauf das Ereignis noch zurückführt, woraus es gar erklärt werden könnte. Das Ereignen ist kein Ergebnis aus anderem, aber die Ergebnisse, deren reichendes Geben erst dergleichen wie ein 'Es gibt' gewährt, dessen auch noch 'das Sein' bedarf, um als Anwesen in sein Eigenes zu gelangen. Das Ereignis versammelt den Aufriss der Sage [Tao] und entfaltet ihn zum Gefüge des vielfältigen Zeigens. Das Ereignis ist das Unscheinbarste des Unscheinbaren, das Einfachste des Einfachen, das Nächste des Nahen und das Fernste des Fernen, darin wir Sterblichen uns zeitlebens aufhalten. Das in der Sage [Tao] Waltende, das Ereignis, können wir nur so nennen, dass wir sagen : Es – das Ereignis – eignet." "Für das sinnende Denken gehört der Weg in das, was wir die Gegend nennen. Andeutend gesagt, ist die Gegend als das Gegnende die freigebende Lichtung, in der das Gelichtete zugleich mit dem Sichverbergenden in das Frei gelangt. Das Freigebend-Bergende der Gegend ist jene Be-wëgung, in der sich die Wege ergeben, die der Gegend gehören. Der Weg ist, hinreichend gedacht, solches, was uns gelangen lässt, und zwar in das, was nach uns langt, indem es uns be-langt… Die Gegend ergibt als Gegend erst Wege. Sie be-wëgt. Wir hören das Wort Be-wëgung im Sinne von : Wege allererst ergeben und stiften. Sonst verstehen wir bewegen im Sinne von : bewirken, dass etwas seinen Ort wechselt, zu- oder abnimmt, überhaupt sich ändert. Be-wëgen aber heisst : die Gegend mit Wegen versehen… Wëgen und Be-wëgen als Weg-bereiten und Weg als das Gelangenlassen gehören in denselben Quell- und Strombereich wie die Zeitwörter : wiegen und wagen und wogen. Vermutlich ist das Wort ‚Weg’ ein Urwort der Sprache, das sich dem sinnenden Menschen zuspricht. Das Leitwort im dichtenden Denken des Laotse lautet Tao und bedeutet ‚eigentlich’ Weg. Weil man jedoch den Weg leicht nur äusserlich vorstellt als die Verbindungsstrecke zwischen zwei Orten, hat man in der Übereilung unser Wort ‚Weg’ für ungeeignet befunden, das zu nennen, was Tao sagt. Man übersetzt Tao deshalb durch Vernunft, Geist, Raison, Sinn, Logos. Indes könnte der Tao der alles be-wëgende Weg sein, dasjenige, woraus wir erst zu denken vermögen, was Vernunft, Geist, Sinn, Logos eigentlich, d.h. aus ihrem eigenen Wesen her sagen möchten. Vielleicht vebirgt sich im Wort 'Weg', Tao, das Geheimnis aller Geheimnisse des denkenden Sagens, falls wir diese Namen in ihr Ungesprochenes zurückkehren lassen und dieses Lassen vermögen. Vielleicht stammt auch noch und gerade die rätselhafte Gewalt der heutigen Herrschaft der Methode daher, dass die Methoden, unbeschadet ihrer Leisungskraft, doch nur die Abwässer sind eines grossen verborgenen Stromes, des alles be-wëgenden, allem seine Bahn reissenden Weges. Alles ist Weg." Sekundärliteratur : 1984 Walter Strolz. Heideggers Entsprechung zum Tao-te-king. [ID D19046]. Heidegger spricht unmittelbar vom Tao. Die Entsprechung stammt aus dem Nach-denken der Sprachbewegung im Ganzen. Die Frage ist : Wohin führt der Weg der Sprache den Menschen ? In welche Gegend gelangt er durch sie, nachdem sich durch die Exposition der Frage nach dem vielfältig bleibenden Sinn von Sein gezeigt hat, dass Gründe und Ursachen, dass sich die unerschütterliche Verankerung des Seienden durch den begründenden Rückschluss auf ein höchstes Seiendes und eine letzte Ursache, werde sie nun Geist, das Absolute oder Gott genannt, als unmöglich erweist. Inwiefern entspricht bei Heidegger gedachtes Ureigenes dem Anderen auf der Spur des Selben ? Auch bei der nun legung des Tao ist es wichtig, ihren streng sachlichen Zusammenhang mit den Stufen der Seinsbesinnung aus den Jahren 1940-1945 zu erkennen und mitzuvollziehen. 1989 Reinhard May. Ex oriente lux [ID D18272]. Der Topos 'Sage' wird für Heidegger zu einem integralen Leiwort. Das Wesen der Sprache, das 'Sprachwesen im Ganzen' nennt er 'die Sage'. Das 'Eigentümliche der Sprache' aber, also das 'Sprachwesen', 'verbirgt sich im Weg' : 'In diesem Weg, der zum Sprachwesen gehört, verbirgt sich das Eigentümliche der Sprache'. Die Gleichsetzung von 'Weg' und 'Sage' beziehungsweise die Zuordnung von 'Sagen' zu 'Weg' ist aus ostasiatischer Sicht zwar nicht alltäglich, sie ist auch nicht ohne weiteres nachvollziehbar, keinesfalls aber ist sie willkürlich. Das chinesische Wort 'Tao', das Heidegger im Wortlaut mehrfach erwähnt, kann lexikalisch auch durch das deutsche Wort 'sagen' erfasst und kontextbedingt übersetzt werden. Richard Wilhelm zieht in seiner Übersetzung des Dao de jing diesen Zusammenhang in Betracht. Auch gibt es Übereinstimmungen mit Martin Bubers Übersetzung des Zhuangzi, von Tao als Weg und Rede [Sage] : "Das Wort Tao bedeutet den Weg, die Bahn ; da es aber auch den Sinn von 'Rede' hat, ist es zuweilen mit 'Logos' wiedergegeben worden". "Das Wesen des vollkommenen Tao ist tief verborgen ; seine Weite verliert sich ins Dunkel". "Solcherart ist das vollkommene Tao. Und solcherart ist auch das urbildliche Wort [Sage]". Das Sagen, das 'kein Sein' verbindet Heidegger mit einem 'lichtend-verbergend frei-geben' von Welt oder einem 'lichtend-verhüllenden Reichen von Welt'. Impliziet assoziiert er demnach Weg [tao] mit Gegend als freigebender 'Lichtung [Nichts], in der das Gelichtete zugleich mit dem Sichverbergenden [Sein] in das Freie [Nichts] gelangt'. Die Formel 'Sein : Nichts : Selbes' mit allen weiteren charakteristischen Identifikationen wie zum Beispiel Lichtung, das Offene, das Freie 'für Nichts' und Verborgenheit, Verhülltheit, Vergessenheit 'für Sein', werden alle weiteren möglichen Identifikationen am Raster von 'tao' (Weg / Sage), wu (Nichts) und yu (Sein) verständlich, ganz im Sinne Heideggers, der sie daran erarbeitet haben dürfte. Das Sagen oder die Sage (tao) hat dann natürlich kein Sein. 1992 Otto Pöggeler : Wenn Heidegger sich 'unterwegs zur Sprache' sieht, dann schiebt er im Vortrag Der Weg zur Sprache die Versuche der abendländischen Philosophie und Wissenschaft beiseite, sich auf die Sprache einzulassen. Gebrochen wird mit Aristoteles, der die Sprache vom Zeichen her betrachtet : die stimmliche Verlautbarung wurde als Ausdruck des Seelischen benommen, die Schrift als Zeichen für das Zeichen des Lauts ; in der Bewegung des Seelischen zeigen sich die Sachen, die vom Gedanken in ihrem 'Sein' erfasst werden. Die Zuordnung von Physis und Logos, wie Heidegger sie bei Haraklit glaubt finden zu können, dann die Zuordnung von Tao und Krug unterstützen den Versuch, 'Sprache' im weitesten Sinn dieses Wortes als ein Sichzeigen der Dinge zu nehmen, das jeweils aus dem sich in sich zurückbergenden Geheimnis kommt. Der Sinn von Sein als der transzendentale Horizont der Zeit, die Wahrheit des Seins als der Zeitspielraum des Ereignisses, die Lichtung für das Sichverbergen als Ort im Unterwegs : sie sind für Heidegger im Geringen eines Anderen Anfangs nur das als 'Spur'. Heidegger nimmt auf, was vor mehr als 2000 Jahren in China gedacht wurde, als in einer Zeit politischer Wirren und dem Aufstand menschlicher Eigenmächtigkeit die Natur und das menschliche Leben in ihr in ihrem eigenen 'Weg' gewahrt werden mussten. Wenn er das genannte Bewegen und den Weg zusammen sieht, dann vermischt er von der deutschen Sprache her, was im Chinesischen nicht zusammengehört. Er folgt einer Interpretationsweise, die in der langen Tradition der Kommentierung von Laozi neu ist : er trägt seinen eigenen Versuch, die abendländische Tradition von ihren Grundworten und von deren Zusammenspiel her aufzunehmen, in Laozi hinein. So fügt er Laozis Rede von Trübwasser und Qirlwasser in ein Wortfeld ein, dem er selber folgt, nämlich in den Zusammenhang von Stille, Bewegung, Weg, Erscheinen, Ins-Sein-bringen. Im Text Laozis ist die angesprochene Bewegung durchaus nicht unmittelbar auf den Weg zu beziehen, die gestillte Ruhe nicht auf Heideggers Rede von der Stille. Nach dem abrupten Abbruch der Bemühungen um Laozi hat Heidegger gefordert, dass die Zwiesprache mit den Griechen und damit die Verständigung der abendländischen Tradition über sich selbst 'Vorbedingung für das unausweichliche Gespräch mit der ostasiatischen Welt' werde. Damals sah Heidegger seine eigene Erörterung des Wesens der Sprache begrenzt durch die Unkenntnis der ostasiatischen Sprachen ; so hoffte er auf ein künftiges west-östliches Gespräch, in dem sich die 'einzige Quelle' für die unterschiedlichen grossen Ströme der Sprachen melden könne. Heidgger ging nicht von der zen-buddhistisch geprägten Philosophie oder Meditation aus ; er hat überhaupt immer wieder sich selbst und andere gefragt, ob in der Rede vom Nichts in seinem Vortrag Was ist Metaphysik ? und bei den japanischen Philosophen aus den Unterschiedlichen Traditionen und Wegen heraus nicht sehr Verschiedenes gedacfht werde. Im Gespräch suchte er in einem Rückblick auf den eigenen Weg, auf dem schliesslich Sein und Sprache verknüpft wurden, sein eigenes Anliegen auch in Grundworten der japanischen Sprache wiederzufinden. 1992 Hempel, Hans-Peter. Heidegger und Zen [ID 19010]. Wenn sich Heideggers vermutendes Denken als richtig erweisen sollte, dann hätte das ungeheure Konsequenzen nicht nur für das gegenwärtige abendländisch-europäische, sondern auch für das gegenwärtige ostasiatische Denken, das nicht anders als das derzeitig europäisch-abendländische Denken vom 'Gestell' im Heideggerschen Sinne bedroht ist. Dann aber würde auch Heideggers geradezu penetrante Forderung verständlich : sich endlich vom rechnenden Vorstellen alles dessen, was ist, zu lösen bzw. diese Art des Denkens in seiner vorherrschenden Aussschliesslichkeit endlich fahren zu lassen. Es ist folgerichtig, dass Heidegger das Eigentliche der Sprache, sprich : die Sage, aus dem Bewëgenden, dem Tao, heraushört, da sie nun schliesslich einmal 'dem alles Be-wëgenden als dessen Eigenstes' eignet. Was im Dao de jing unter Ansprechung des 'toten Winkels' gesagt wird, entspricht dem, was Heidegger das 'Geringe' nennt und bedeutet 'das mit Ankunft der Welt der modernen Technik sich zurückzieht, aber nicht verlöscht'. Analog zum 'dunkeln Winkel' von dem im Dao de jing die Rede ist, weist Heidegger darauf hin, dass sobald wir die Wahrheit des Seins, das in das unverfügbare Ereignis, unter die uns allen hier in Europa mehr oder weniger vertraute Urteils-Wahrheit zwingen, wir 'Sein und Zeit' in seinem 'Ur-Sprung' bzw. In seiner 'Unverborgenheit', in seiner Wahrheit und Offenheit, total verfehlen. Tao erwies sich als der Weg aller Wege ; er 'bewëgt' alle Wege, Linien, Adern und Ströme, die ihrerseits wieder alle Dinge, Tiere und Menschen 'bewëgen' und ihnen ihre individuellen Eigenschaften und ihre Geschichte 'geben', wobei es das wirbelnde Wasser ist, das – aus Myriaden von Strömen oder fliessenden Linien bestehend, das Geschehen ereignent – zeitigt, ereignet, vergegenwärtigt. Diese Einsicht hatte im alten China durchaus praktische Folgen, da seit alters her die fernen Energieströme des Tao die Landschaften Chinas mit ihren Hügeln, Felsen, Bäumen und Flussen bewahrten. 1992-1993 Cho, Kah Kyung. Der Abstieg über den Humanismus [ID D19029] / Heidegger und die Rückkehr in den Ursprung [ID D19039]. Martin Heidegger, im Vergleich zu Leibniz und Hegel zweifellos der Geringere, was mengenmässige Verarbeitung der östlichen Gedanken und insbesondere die belegbare Bezugnahme auf kritische Textstellen betrifft, ist gleichwohl derjenige, der nicht nur offen gestand, bei der östlichen Philosophie in die Lehre gegangen zu sein, sondern über den Belang des denkenden West-Ost-Gesprächs am ehesten etwas 'Wagenderes' zu sagen hatte gegenüber den anderen Denkern. Bekanntlich pflegten nahmhafte Sinologen und Missionare das Wort 'Tao' angesichts seiner unterschwelligen Tiefsinnigkeit nicht einfach mit 'Weg', sondern nach Analogie von theologisch-philosophischen Hauptbegriffen des Westens zu übersetzen. Heidegger bemerkte dazu : "Das Leitwort im chinesischen Denken des Laotse lautet Tao und bedeutet 'eigentlich' Weg. Weil man sich jedoch den Weg leicht nur äusserlich vorstellt als die Verbindungsstrecke zwischen zwei Orten, hat man in der Übereilung unser Wort 'Weg' für ungeeignet befunden, das zu nennen, was Tao sagt. Man übersetzt Tao deshalb durch Vernunft, Geist, Raison, Sinn, Logos." Folglich suchte er, gemäss dem hermeneutischen Diktum 'Verstehen heisst anders verstehen', 'einen anderen Anfgang' an den griechischen Anfang anzuknüpfen. Nur aus diesem Zusammenhang lässt sich auch seine Hinwendung zur anfänglichen Seinserfahrung der östlichen Welt und sein unterschwellig anhaltendes Interesse an taoistischen Grundworten erklären, denen er eine ähnliche oder sogar noch ursprünglichere Nennkraft beimisst als gewissen Stammbegriffen der abendländischen Metaphysik. Laozi besingt im Dao de jing das Walten im Unscheinbaren, das Bezwingen im Nachgeben und die Selbsterhaltung im Sich-Verlieren. Nichts, Nicht-sein, Nicht-tun, Lassen, Abwesenheit, Verborgenheit, Vergessenheit, Schweigen, Stille, die Lehre, das Geringe, der Mangel usw. werden geradezu zu moralischen Vorzügen stilisiert. Dies sind aber die Seinsweisen der Dinge, wie sie am subtilsten und im Verborenen wirken und sich dabei nach dem unabänderlichen Mass der Natur richten. Laozi nimmt das Negative oder Passive aus dem starren Gegensatz zum Positiven oder Aktiven heraus ; es (das Negative) wird vielmehr zu einem das Positive und somit allen Sein ermöglichenden Grund. Am trefflichsten zeigt er am Beispiel der 'Leere' am Gefäss oder des 'Nichts' an der Nabe des Rades, was es mit seiner Rede von der 'Nützlichkeit des Nutzlosen' auf sich hat. Es wäre müssig, darauf hinzuweisen, wie Heidegger fast wortwörtlich solche Sprüche Laozis in Das Ding sich zu eigen gemacht hat. Ebensowenig scheint es sinnvoll, analoge Bestimmungen, parallele Gedankengänge und sonstige Zeugnisse von tiefgreifender Gesinnungsverwandtschaft aneinanderzureihen und darüber hinaus spezifisch die Spuren von Laozis Einfluss auf Heidegger nachzuzeichnen. Aktenkundig sind seine zahlreichen Kontakte mit japanischen Gelehrten und sein Gespräch mit dem japanischen Germanisten Tezuka Tomio aus Tokyo nimmt, als ernsthafter Versuch zum west-östlichen Dialog über das Wesen der Sprache, eine besondere Stelle in. Im Gegensatz dazu befindet sich in seinen Arbeiten weder eine geschlossene Besprechung des Laozi noch ein Gespräch mit einem chinesischen Gelehrten. So liegt der Schluss nahe, dass das 'unausweichliche Gespräch mit der ostasiatischen Welt', das Heidegger in seinem 1953 gehaltenen Vortrag Wissenschaft und Besinnung in Aussicht gestellt hat, nach allen Regeln der Kunst durch jenen Dialog mit dem Japaner in Erfüllung gegangen sei. Heidegger entschliesst sich, entgegen der gewohnten Übersetzung des Tao als 'Vernunft', 'Geist', 'Raison' usw. für das etymologisch und alltagssprachlich eindeutige, einfache Wort 'Weg'. Aber er lässt das Wort nicht lange bei dieser Bedeutung stehen. Denn zweitens 'entwickelt' er aus dem Hauptwort 'Weg' ein Zeitwort, das in dieser neuen Bedeutung im Chinesischen etymologisch und lexikalisch unbekannt ist. Doch kann er sich auf einen Sprachgebrauch der schwäbisch-alemannischen Mundart abberufen, wenn er mit dem Wort 'be-wëgen' so etwas verstanden wissen will, wie einen 'Weg bahnen', 'Wege stiften' und 'Wege allererst ergeben'. Um dieses Wort von 'bewegen' im Sinne von 'bewirken' und 'Ortswechsel' zu unterscheiden, wurden ein Bindestrich und ein Umlauf auf 'e' hinzugefügt. Er sagt nicht ohne gebührende Vorsicht, dass Tao als 'Urwort der Sprache' in sich 'das Geheimnis aller Geheimnisse des denkenden Sagens' verbergen könnte. In dieser Eigenschaft steht Tao dann älter und einsamer als alle Grundworte. In allen Punkten erkennen wir indessen Übersetzungsversuche, die zu denen der Anaximander-Abhandlung parallel laufen. Als Heidegger sagen konnte, jeglichem Seidenden sei sein Weg allererst angebahnt, hat er, zwar in deutscher Übersetzung, das chinesisch Gedachte des Laozi noch chinesischer gemacht. Dasjenige, das jeweils so die Weile aushändigt, ist Sein selbst. Dasjenige, das jeweils so den Weg anbahnt, ist auch Sein selbst. Das denkende Gespräch Heideggers mit Anaximander und Laozi erschien wie ein phantastisches Wagnis, wenn der Weg zurück in die ferne Vergangenheit oder der Weg über Länder und Meere hinweg zum Fernen Osten nur noch nach der die toten Abstände berechnenden Vorstellung abgemessen würde. Tao als 'Be-wëgung' bedeutet aber in jene Nähe gelangen lassen, die ein 'Gespräch' ermöglicht, dass 'Dasein wesenhaft ent-fernend' sei und 'je Seiendes in die Nähe begegnen' lasse. Das 'Händigen' bei Anaximander und das 'Be-wëgen' bei Laozi deuten auf Personifizierung hing. Nur wer von der Vorstellung des Personengottes her kommt, deutet sein Vorurteil in diese und ähnliche Sprüche hinein, während wir es als eine Stilfrage ansehen müssen, dass sich die Wirkungsweise des Tao nur personifiziert beschreiben lässt, während eine Anthropomorphie eine ganz andere Denkweise ist, die Laozi entschieden, klar und unzweideutig von sich weist. Heidegger zerlegt das Wort 'Weg' von dessen Zeitwort her, als 'Be-wëgung'. Der 'hinreichend' gedachte Wortsinn der 'Be-wëgung' ist alles andere als 'Bewegung' im Sinne von 'Bewirken' oder 'Ortswechsel'. Um sicherzustellen, dass das eine Wort mit dem anderen nicht verwechselt wird, schob Heidegger einen Bindestrich hinter 'Be' ein und versah das 'e' mit einem Umlaut. 'Weg' als 'Be-wëgung' meint also 'Wege allererst ergeben und stiften'. Unversehens wurde aus Laozis Tao 'der alles be-wëgende Weg', und zwar dasjenige, 'woraus wir erst zu denken vermögen, was Vernunft, Geist, Sinn, Logos eigentlich, d.h. aus ihrem eigenen Wesen her sagen möchten'. Man kann an dieser vielfach gestelzt wirkenden Auslegung Anstoss nehmen, unbezweifelbar ist jedoch die Tatsache, dass Heidegger in diesem 'chinesischer' als chinesisch gedachten Wort Tao einstweilig jene 'einzige Quelle' gefunden zu haben glaubte, wovon bei seinem Gespräch mit einem Japaner die Rede war. Als Urwort des dichtenden Denkens erschien ihm Tao älter als die angeführten Grundworte der westlichen Metaphysik, das selbst der Begriff 'Logos' seinem eigentlichen Sinn nach erst aus Tao als 'Be-wëgung' her gedacht werden soll. Und es ist eben dasselbe Seinsdenken, das Heidegger wiederum angetrieben hat, Tao nicht einfach als 'Weg', sondern als ein Grundgeschehen zu erfahren, in dem die Wege allererst gestiftet werden. Man könnte schliesslich auch von Heideggers Angleichung seines Seinsdenkens an Laozis Auffassung des Tao oder umgekehrt von seiner Anpassung des Tao an die ursprüngliche Bedeutung des Seins sprechen, aber keineswegs davon, dass er in dem historischen Wortsinn des Tao die 'Be-wëgung' entdeckt hätte. Trotzdem ist es bezeichnend, dass sich das chinesische Wort dermassen bildhaft in den Rahmen der Heideggerschen Interpretation einfügt, dass nun die gewagte Bahauptung, erst aus Tao vermöge man zu denken, was Vernunft, Geist oder Logos aus ihrem Wesen her sagen möchten, durchaus plausibel erscheint. Was aber meint Heidegger im einzelnen, wenn er sagt, dass sich das Wesen von Logos oder Vernunft erst von Tao her denken lasse ? Tao im Sinne der 'Be-wëgung' mag der rein sprachlichen und textkritischen Feuerprobe des Dao de jing schwerlich standhalten. Worauf es ankommt, ist, bei Heidegger Spuren der inwendigen Aneignung der Gedanken Laozis nachzuweisen. In Abgrenzung gegen eine einseitige Anleihe verstehen wir unter einer inwendigen Aneignung die Möglichkeit zu einer produktiven Assimilation fremder Gedanken, sofern die geglückte gedankliche Begruchtung aus einer vorgängigen Verwandtschaft der Dispositionen zweier Denker resultiert. Solche prä-existierende Verwandschaft kann zunächst im Zusammenhang des Heideggerschen Anliegens der 'Überwindung' der Metaphysik dahingehend charakterisiert werden, dass dabei sowohl das Potential des zeitkritisch-diagnostischen Motivs, als auch die Suggestion des praktisch-therapeutischen Korrektivs im Vorgang von Laozis Denken exemplarisch vorgefunden wurde. Weder das Bild des sich selbst genügenden, kontemplativen Denkens, noch die Idylle des weltentrückt auf Gebirgen und Feldern sich ergehenden Lebens trifft das wahre Motiv des taoistischen Meisters, so sehr auch sein Stil aus einiger Entfernung danach aussehen mag. Desgleichen erschöpft sich der Sinn der von Heidegger gesuchten Nähe zu Laozi nicht im Sichvertrösten in der Abgeschiedenheit von der Welt. Für eine Weile in seiner vereinsamten Nachkriegssituation mochte es der Fall gewesen sein. Der innige Anteil, den Heidegger an Laozis kritischer Distanz von der geschäftigen Mitwelt genommen hat, betrifft aber nur die Hälfte seiner Hinwendung zu ihm. Die andere Hälfte, die an Bedeutung weitaus grösser ist, bezieht sich auf das Motiv der handelnden Einwirkung auf die Welt, die Laozi mit dem bekannten, paradox klingenden Rezept des 'Nichts-Tuns' (Wu wei) zum Ausdruck gebracht hat. Heidegger hat ‚Be-wëgung’ die alltägliche Bedeutung des Tao als 'Weg' beibehalten und seit geraumer Zeit von diesem Wort einen ausgiebigen Gebrauch gemacht. Auch wenn er in der Lesart des Tao im Sinne von 'ege bereiten' bleibt, so geschieht dies nicht auf Kosten der historisch-textkritischen Zusammenhänge des Dao de jing. Die Beziehung von 'Wege bahnen' zu faktisch gehbaren Wegen, besonders zu den von Menschen selber erschlossenen Wegen, ist vergleichbar mit jenem Verhältnis zwischen 'Erteilen des Anteils' und der jeweiligen Weile, die dem Seienden zuteil wird. Es handelt sich um ein Verhältnis vom Ursprung zur Abkunft, vom unerschöpflich-unbegrenzten Seinesgrund zum einzelnen Seienden, das dem ersteren sein Sein verdankt, das aber ein begrenztes ist und dem Verfall anheimgestellt. Auf der einen Seite behauptet Heidegger, dass das Denken auch ein 'Tun' sei. Dieses ist aber 'ein tun', das zugleich alle Praxis übertrifft. Nicht dass das Denken 'durch die Grösse eines Leistens' oder 'durch die Folgen eines Wirkens' das Handeln und Herstellen durchragt. Das Denken hat vielmehr 'kein Ergebnis' und 'keine Wirkung'. Aber es 'lässt das Sein – sein'. Trotz der unübersehbaren Differenz, die zwischen Heideggers Denken und Sagen einerseits und Laozis förmlicher Abweisung aller bewusstseinsmässigen und sprachlichen Regungen andererseits besteht, bleibt den beiden Denkern gemeinsam, dass Tun und Nicht-Tun, Denken und Nicht-Denken sowie Sagen und Schweigen als menschliches Verhalten nicht die letzte Instanz ist, sondern seinen Sinn jeweils von etwas Anderem, vom Sein oder Tao her empfängt, je nach dem, wie das Verhalten diesem gemäss ist oder nicht. Laozi beschreibt die inneren Bezüge des Menschen zu Tao in einem Spruch von unscheinbarer Einfachheit, die aber eine profunde Zweideutigkeit in sich birgt : 'Ist Rohholz gespalten, entsteht daraus Gefäss' (Kap. 28). Rohholz ist das bekannteste Symbol des Tao und nimmt unter den von menschlichen Zugriffen unbehelligten Dingen der Urnatur den vordersten Platz ein. Rohholz ist 'das unmittelbare Anderssein' des Tao, oder es ist die zum Stoff gewordene Gestalt des an sich form- und stofflosen Tao. Deshalb kann die Spaltung des Rohholzes ohne weiteres mit Verletzung oder Verlustiggehen des Tao gleichgesetzt werden. Victor von Strauss, den Heidegger besonders zu schätzen wusste, hat denselben Spruch folgendermassen übersetzt : 'Die Einfalt wird zerstört und dann wird man brauchbar'. Genau so wie bei Laozi, der das grosse Tao durch das 'menschliche Tao' der Sittlichkeit, Menschenherzlichkeit und Klugheit verdrängt sah, finden wir in Heideggers seinsgeschichtlicher Rekonstruktion den Aufstieg der lediglich auf die Gegenstände der Subjektivität bezogenen Denkweise. Und obwohl die Nützlichkeit des Gefässes und die Leistungsfähigkeit der Methode mit unbeirrbarer Konsequenz aus Rohholz (Tao) beziehungsweise aus Logos hervorgehen, können wir unterstellen, dass den beiden Denkern, trotz ihrer radikalen Kritik dieser Entwicklungen, nicht der Fehler unterlaufen ist, zu glauben, dass sich diese Lage durch erhöhte Willensanstrengung des Menschen wenden liesse. Einerseits scheinen sie den Tiefstand der gegenwärtigen Wirklichkeit als Wirklichkeit hinzunehmen, wenn sie auch andererseits unleugbar die Vision einer anderen, gehobenen Wirklichkeit mit sich tragen. Für Laozi ist das Nicht-Tun die Antwort, die den zweifachen Sinn hat, keinen beflissentlichen Anteil mehr an der herrschenden Wirklichkeit zu haben und dennoch, in sublimer Anpassung an die Wirkungsweise des Tao, diesem seinen 'natürlichen Lauf' zu lassen, d.h. Tao sein eigenes Werk verrichten zu lassen. Inwieweit können wir auf dem Denkweg Heideggers die Spuren dieses Nicht-Tuns wiedererkennen, zwar nicht als Zeichen der gedanklichen Anleihe, aber doch im Sinne der inneren und inwendigen Entsprechung, auf die Heideggers 'geheimnisvolle Bezüge' hindeuten ? Da ist an seine Besinnung über das Wesen der Technik anzuknüpfen. Denn Heidegger versteht unter Technik kein Teilphänomen der modernen Zivilisation, sondern den Grundzug der abendländischen Metaphysik, die die gesamten Phasen des menschlichen Verhältnisses zum Seienden als solchem bestimmt. Sofern der durch die Technik bis in die letzte Selbstgewissheit gesteigerte Wille den Menschen blind macht gegenüber einer Wirklichkeit, die in ihrem Sein nur auf dem Weg des dichtenden Sagens und der Kunst erfahren werden könnte, stellt die Technik die Krise im menschlichen Verhältnis zur Wirklichkeit dar. Aber Heidegger tritt an diese Krise keineswegs mit der Allüre eines Krisenfürsorgers heran. Analog dem im Kap. 28 des Dao de jing bezeugten Geist der Offenheit zu nützlichen Gebrauchsdingen ist er vielmehr willens, Technik einmal als etwas Unumgängliches hinzunehmen. Doch darüber hinaus und wiederum analog der ebenfalls in demselben Spruch von Laozi angedeuteten Einsicht in den an sich haltenden Charakter des Tao lässt Heidegger die Möglichkeit offen, dass hinter dem was wir heute die Technik kennen, ein uns noch unbekanntes Wesen des Technischen sich verborgen halten könnte. Besonders hinsichtlich seines Motivs der Begegnung mit Laozi drängt sich der Sinn der Herkunft der Technik als ein denkwürdiges Geheimnis auf, weil Heidegger das berechnende und 'methodisch' verfahrende Denken, in dessen Bahn schliesslich 'Geist', 'Vernunft' und 'Logos' in ihrer geschichtlichen Erscheinung getreten sind, in der ursprünglichen Wesensmöglichkeit des Tao angelegt sieht. Es gilt, trotz aller abweisenden Rede von Heidegger, die innersten Bestrebungen seines Denkens in einer Weise zu artikulieren, die dem Geiste des Nicht-Tuns gerecht wird. Denken, so hörten wir, sei ein Tun, das alle Praxis übertrifft. Heidegger erhofft unzweifelbar eine Art 'Bewirken' von seinem Denken. Aber wir sehen dieses Bewirken sinngemäss explizierbar nur im Lichte der 'nicht-tuenden' Handlungslehre des Taoismus. Zwar nennt Heidegger keine ethisch-moralischen Prinzipien, die das menschliche Verhalten regulieren sollen. Aber im Nennen des 'denkenden Sagens' weist er auf die Bedeutung des 'Lassens'. Heideggers 'Gelassenheit' teilt mit Laozis Idee des Nicht-Tuns ein solches Mass der Übereinkunft, dass wir die Ansicht vertreten können, das Kernstück der von ihm zugestandenen Belehrung 'bei den Chinesen' bestünde in dem Verwindungsgedanken, der die gegensätzlichen Momente des aktiven Einwirkens und der passiven Verhaltenheit in sich vereinigt. Heidegger erörterte den Begriff der Gelassenheit speziell mit Bezug auf technische Gegenstände, zu denen unser 'besinnliches Denken' ein Verhältnis des gleichzeigen 'Ja' und 'Nein' anzunehmen hat. Obwohl mit dieser Charakterisierung die innere Freiheit des an sich haltenden, besinnlichen Denkens schlecht und recht zum Ausdruck kommt, bleibt es fraglich, ob dabei wirklich die Quintessenz des taoistischen Nicht-Tuns getroffen worden ist. Einen Schritt näher dazu zeigt Heideggers Gebrauch des Wortes 'Verwindung'. Wenn Überwindung von etwas einen dagegen erichteten Willensentschluss voraussetzt, so unterscheidet sich Verwindung von jener dadurch, dass Sie, als vom 'inständigen Denken' genährt, eine notwendig von der Sache her gereifte Überwindung ist. Will man von Heidegger Prädisposition für das Einfache sprechen, so müsste man sie mit der Suche nach der ursprünglichen Verfassung der Dinge in einen Zusammenhang bringen. Herkunftsmässig so mit dem Ursprünglichen verbunden, erweist sich das Einfache keineswegs als etwas in sich unterschiedslos Erstarrtes, sondern als etwas, aus dessen Grund noch der tiefere Sinn herauszuholen ist. Es ist schon in diesem Unterwegssein, in der Suche nach ursprünglicher Erfahrung, dass Heidegger bald in Laozis Dao de jing einem verwandten Geist begegnete. Er war gewiss ein Fund und reiner Zufall für den, der sich über das Unmass der historischen und kulturellen Entfernung in Gedanken verliert, aber es war eine Zugabe für einen tüchtig Suchenden, ein geheimer Wink für einen tief Ahnenden. Man sollte annehmen, dass Heideggers Verhältnis zu Laozi eine sehr vorsichtige, wenn schon keine verübergehende oder flüchtige, Beziehung gewesen sein muss. Tatsächlich hatte er sich davor gehütet, sein 'Gespräch' mit Laozi, wenn es eines gab, an die grosse Glocke zu hängen. Weder im Humanismusbrief noch in Wissenschaft und Besinnung, wo er das unausweichliche Gespräch mit der ostasiatischen Welt in Aussicht stellte, wurde Laozi eigentlich beim Namen genannt. Mag die Zusammenarbeit mit Japanern zu einem bedeutsamen Dialog gediehen sein : der eigentliche 'Glücksfall', wo der 'auctor' ein 'augere', ein wirkliches 'Gedeihenlassen' auslöst, ereignete sich dennoch in der Stille der anderen Begegnung, in Heideggers verhaltenem Hörenkönnen auf die weisenden Worte des Laozi. Im Falle seiner Belehrung durch Laozi dürfte Heidegger jedoch keine halbe oder ironisch versteckte Wahrheit gemeint haben. Er war seinerseits schon der Fürsprecher der 'Umkehrung' der abendländischen Metaphysik, deren brüchig gewordene Grundlagen (Geist, Logos, Vernunft) abgetragen werden sollten. Aber er war dadurch auch in die Sprachnot geraten. Trotz der verwandten, zeitkritischen Motive hätte Heidegger keinen zwingenden Grund, die 'geheimnisvollen Bezüge' zur östlichen Welt eigens in Verbindung mit Laozis Namen herauszustellen und sogar sich für seine Belehrung spontan erkenntlich zu zeigen. Aber die Kraft von Laozis Lehre war nicht nur so gross wie ihre Äusserung, sondern ihre Tiefe war auch so tief, wie sie das noch Ungedachte zur Sprache zu bringen und ferner das Unaussprechliche im Ungesprochenen zu lassen bereit war. In den dichtenden Sprüchen Laozis entdeckte Heidegger ein seinem Sinnen und Trachten ebenbürtiges, ursprungsnahes Sagen, das in berückender Einfachheit zugleich das Sagbare zu treffen und das Unsagbare zu hüllen vermochte. Wie alle grossen philosophischen Erneuerer brachte Laozi also die seinem denkerischen Auftrag gemässe Sprache auf den Weg. Und dass diese Erneuerung auf ein Altes wies und die Überwindung des Bestehenden in Wahrheit die Zurücklegung des Weges zum Anfang besagen sollte, muss Heidegger tatsächlich wie eine 'geheimnisvolle' Entsprechung erschienen sein, die sowohl in Form als auch in Inhalt eine tiefgreifende Verwandtschaft zwischen den beiden Denkern ahnen lässt. Dabei war Heidgger sich dessen peinlichst bewusst, dass er die chinesische Sprache nicht kannte und seine Quellenkenntnis des Taoismus aus zweiter Hand geholt werden musste. Nicht zuletzt aus diesem Grunde blieb sein öffentliches Verhalten gegenüber der östlichen Überlieferung spröde und gehemmt, obwohl in privaten Kreisen merklich freier und vertraulicher. Aber in rein sachlicher Hinsicht kam ihm die epigrammatische Bündigkeit des Chinesischen und insbesondere deren Steigerung in Laozis eigenem Stil der Sinngedichte sehr zugute. 2000 Lee Yen-hui : Für Laozi ist das wu-wei der Weg zum Tao, welches der Ursprung von allen Wesen und allen Menschen ist. Der Weg des wu-wei beginnt mit der Befreiung aus der vielfältigen Verfangenheit, welche den Menschen in ein verengtes und erstarrtes Bewusstsein einsperrt. Laozi öffnet diesen Weg aus der Verstrickung durch die radikale Infragestellung der politisch-wirtschaftlichen Systeme, des Konfuzianismus und aller menschlichen Besitzgier. Der Weg des wu-wei ist ein Weg zum ursprünglichen Leben, in welchem sich der Mensch mit dem Tao vereinen kann. Ähnlich wie Laozi sieht Heidegger die Gelassenheit als Weg zur Wahrheit des Seins. Die 'Gegnet' bzw. die Wahrheit des Seins ist das Zuhausesein des Menschen, wo er wie er selbst sein kann. Die 'Gegnet' ist das Sein-lassende : Sie lässt den Mensch wie er selbst ist. Der moderne Mensch wird aber in eine geschichtliche Verfangenheit hineingeboren, so dass er durch das überkommene metaphysisch-technische Denken sein Zuhausesein von vornherein auf der Erde verloren hat. Heidegger stellt deshalb die Tradition der Metaphysik bzw. das technisch-wollende Denken radikal in Frage und versucht ein anderes Denken zu entwickeln, das eine Wiedergewinnung der Bodenständigkeit zukünftig ermöglicht. Das ist der Weg der Gelassenheit, auf dem sich das Denken der Menschen je und je in die Wahrheit des Seins einlassen und als wahrhaft Sterblicher das Geviert der Welt mitschöpferisch bewohnen kann. Ma Lin : Victor von Stauss leaves 'dao' untranslated, but adds in a note that 'dao' should not be translated as 'Weg', 'Wort' or 'Vernunft'. Alexander Ular translates 'dao' as 'Bahn'. Richard Wilhelm renders 'dao' as 'Sinn'. Jan Ulrenbrook translated 'dao' as 'Weg'. Heidegger suggests that 'dao' could be the 'Weg' that gives all ways, as that which makes possible for humans to think through what reason, mind, meaning, and 'logos' may say out of their nature. In the second sentence, Heidegger seems to take 'Weg' and 'dao' as synonyms in saying that perhaps the mystery of mysteries of thoughtful saying conceals itself in the word 'Weg, Tao'. However he is not suggesting that these two words are completely identical, because he immediately refers back to them in the plural, in terms of 'these names'. The final remark, 'All is way' follows up what is asserted in the preceding. Methods are the drainage of 'Weg' that moves all things. 'Weg' is that from which all the variety of methods arise in various forms. It is in this sens that Heidegger says, 'All is way'. The ambiguous relation between 'Weg' and 'dao' provides possibilities of both universalist and relativist readings of Heidegger's thought. On the one hand, a universalist reading would consider that 'Weg' and 'da' share the same reference, but have different senses. That is the basis on which 'Weg' and 'dao' could enter into dialogue. Both universalist and relativist readings neglect the fact that Heidegger does not treat 'Weg' as merely a linguistic sign that refers to an object through the meditation of a certain sense. As the proper 'Urwort, Weg' itself is a special entity. 'Weg' has a kind of giveness or grantedness in spite of its appearance as a word. In other words, its sense and reference are not external, but internal. Both universalist and relativist readings fail to recognize the uniqueness of 'Weg', whose reference and sense are not on the same part as that of other words. 'Weg' is what makes possible the expereince of the nature of language ; it is that in which the thoughtful Saying of language conceals itself. In this light, it would be more appropriate to describe 'Weg' as the primary and grounding 'word-thing', rather than as a word among other words. In fact, with Heidegger, 'Weg' is thought in a similar fashion as 'Ereignis' is. Like 'Ereignis', 'Weg' is associated with a sense of movement. Heidegger coins a word 'be-wëgen' on the basis of 'bewegen', and speaks of 'Weg' as that which moves all things. |
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