Martin Heidegger hält sich nach einem Vortrag über das Wesen der Wahrheit in Bremen bei Herrn Keller auf. In einem Gespräch wurde die Frage gestellt, ob ein Mensch sich in den anderen versetzen könne. Als die Gefahr aufkam, dass das Gespräch zu einem psychologischen Zerreden wurde, liess sich Heidegger von Herrn Keller Tschuang-tse [Zhuangzi]. Reden und Gleichnisse des Tschuang-tse. Deutsche Auswahl von Martin Buber [ID D11978] geben. Er zitiert und interpretiert daraus die Geschichte Die Freude der Fische um die Frage nach der Intersubjektivität zu beantworten :
"Tschuang-tse und Hui-tse standen auf der Brücke, die über den Hao führt. Tschuang-tse sagte : 'Sieh, wie die Elritzen umherschnellen ! Das ist die Freude der Fische'. 'Du bist kein Fisch' sagte Hui-tse, ‚wie kannst du wissen, worin die Freude der Fische besteht ? 'Du bist nicht ich' antwortete Tschuang-tse, 'wie kannst du wissen, dass ich nicht wisse, worin die Freude der Fische besteht ?' 'Ich bin nicht du', bestätigte Hui-tse, 'und weiss dich nicht. Aber das weiss ich, dass du kein Fisch bist ; so kannst du die Fische nicht wissen'. Tschuang-tse antwortete : 'Kehren wir zu deiner Frage zurück. Du fragtest mich : 'Wie kannst du wissen, worin die Freude der Fische besteht ? Im Grunde wusstest du, dass ich weiss, und fragtest doch. Gleichviel. Ich weiss es aus meiner eignen Freude über dem Wasser'."
Otto Pöggeler : Zhuangzi kann aus seiner Freude am Wandern die Freude der Fische im Bach teilen. In der 'Mitteilung' und im 'Kampf' kann dann jenes 'Geschick' freigegeben weren, von dem her sich die übergreifende Gemeinschaft eines 'Volkes' im Wechsel der Generationen aufbaut. Man mag an dieser Bestimmung des Verhältnisses zum Anderen jene 'ethische' Dimension vermissen, in der der Andere mich in die Verantwortung nimmt, in der das 'mythische' Sicheingrenzen auf das Eigene und die Heimat durch die messianische Forderung des Friedens für alle durchbrochen werden. Die Behauptung ist aber kurzschlüssig, bei Heidegger falle das Verhältnis zum anderen aus. Es wird nur anders als in bestimmten Traditionen gesehen : als Freundschaft, in der die Freunde letztlich einander in ihre Eigenheit und Andersheit entlassen, so dass in jedem 'die Welt fertig dasteht' ; nicht als Nächstenliebe, in der der eine auf den andern angewiesen ist. Heidegger bezieht die Legende des Zhuangzi speziell auf die Frage des Mitseins. Hat diese Legende im Taoismus aber nicht den weitergehenden Sinn, an die universale Sympathie zu erinnern, die alles Natürliche – z.B. Fische und Menschen – miteinander verbindet ? Auch Sein und Zeit weist darauf hin, dass die Natur, die uns 'umfängt', also Natur 'etwa im Sinne des Naturbegriffes der Romantik', nicht die 'Naturdinglichkeit' des Vorhandenen oder Zuhandenen sei, damit nicht die Natur, die wissenschaftlich oder technisch von uns behersscht wird.
Chung Chen-yu : In diesem Zitat geht es um die Frage, ob sich der Mensch in ein Tier bzw. in einen anderen Menschen hineinversetzen kann. Für Zhuangzi ist ein solches Heineinversetzen möglich, weil sich der Mensch, wenn er sitzt und vergisst, mit allem Seienden vereint. Dann ist die Unterscheidung von Mensch und Mensch, von Mensch und Ding verschwunden. Heidegger hat zwar das Beispiel Zhuangzis übernommen, stellt aber eine andere Problematik dar. Ontologisch gesehen ist der Mensch immer das Mitsein mit Anderen und das Mitsein mit den Tieren. 'Welt' bedeutet, das Seiende als das Seiende anwesen zu lassen. Dieses Ansehen-Lassen ist aber nur dem Menschen als Dasein mgöich. Der Unterschied zwischen Mensch und Tier zeigt sich bei Heidegger darin : 'Die Art, wie der Mensch ist, nennen wir das Verhalten ; die Art, wie das Tier ist, nennen wir das Benehmen. Das Benehmen des Tieres ist nicht ein Tun und Handeln, wie das Verhalten des Menschen, sondern Treiben, womit wir andeuten, dass gleichsam alles Treiben des Tieres die Getriebenheit durch das Triebhafte charakterisiert'.
Cho Kah Kyung : Als Beispiel eines nicht-sprachlichen Kommerzes steht diese Lehre Zhuangzis eigentlich im Gegensatz zu Heideggers ontologischer Voraussetzung, welche das Tierreich abgründig vom menschlichen Dasein trennt. Doch mit dieser Geste der didaktischen Übertreibung hatte er jene hermeneutische Pointe nicht verfehlt, dass Schweigen positiv zum Moment des Verstehens gehört.
Ohashi Ryôsuke : Die Erzählung des Zhuangzi gliedert sich so, dass die Diskussion zwischen Tschuang-tse und Hui-tse mit einem abschliessenden Wort Tchuang-tses um schlägt und zu Ende geht. Das Wort, das das ganze Gespräch wendet, lautet : 'Kehren wir zu deiner Frage zurück'. Wortgetreu übersetzt : 'Kehren wir zum Ursprung zurück'. Der gemeinte 'Ursprung' ist im Kontext dieser Erzählung der Ausgangspunkt der Diskussion Hui-tses. Aber das Wort 'Ursprung' bedeutet offensichtlich auch den 'ursprünglichen Anfang', in dem Tschuang-tse steht. Das 'Mitsein' Heideggers ist die Seinesweise des Menschen und gründet im menschlichen Dasein. Das 'Gleichstellen der Dinge' bei Zhuangzi dagegen ist die Haltung, alle 'Dinge' trotz all ihrer Unterschiede, wie etwa Grösse usw., als 'gleich' anzusehen. Das 'Mitsein' bei Heidegger gründet in der Entschlossenheit des Daseins des Menschen.
Die 'Wandlung' bei Zhuangzi ist nicht nur der Grund der Fremderfahrung zwischen den Menschen, wie das Mitsein Heideggers, sondern der Grund der Fremderfahrung im Ganzen. In der Entwicklung des Gedankens dieser 'Wandlung' geht nun eine andere Dimension der Nähe und Ferne auf, nämlich die der 'Geschichte'. Im menschlichen Dasein ist als Da des Seins, wie es Heidegger in Sein und Zeit erörterte, schon der Charakter der Geschichtlichkeit enthalten. In der 'Wandlung' bei Zhuangzi dagegen wird die Sicht der Geschichte nicht geöffnet. In der Erzählung Herbst-Fluss wird gesagt : 'Der Weg kennt nicht Ende noch Anfang. Verfall und Ruhe, Fülle und Leere machen einen ewigen Kreislauf durch. Einfach der Wandlung ihren Lauf lassen !'
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