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Year

2003.1

Text

Weber, Max. Konfuzianismus und Taoismus : Sekundärliteratur (10).
Lee, Eun-jeung. "Anti-Europa" [ID D16835].
Lee Eun-jeung schreibt : Weber warnt vor einer Überschätzung seiner Studie. Diese sei keine umfassende Kulturanalyse, sondern betone nur das 'was im Gegensatz stand und steht zur okzidentalen Kulturentwicklung'. Im Grunde habe er diese Studie nur deshalb geschrieben, weil 'fachmännische Darstellungen mit diesem besonderen Ziel und unter diesen besonderen Gesichtspunkten bisher nicht vorlagen'. Sie sei jedoch 'in einem ungleich sträkerem Mass und Sinn dazu bestimmt, bald überholt zu werden'.
Weber ist der Meinung, dass Konfuzianismus, Taoismus, Hinduismus, Buddhismus und das antike Judentum je einen besonderen Typus von Rationalismus repräsentieren. Diese hätten kraft ihrer Eigengesetzlichkeit das Handeln des Menschen in sehr unterschiedliche Richtungen gelenkt. Der Konfuzianismus steht, insofern er wie der Puritanismus einen Typus rationaler Weltbehandlung, einen Typus eines primär praktischen, nicht theoretischen Rationalismus repräsentiert, zu diesem bei grösster äusserer Ähnlichkeit in grösserer innerer Differenz. So stellt für ihn die chinesische Kultur in ihren konsequentesten Ausprägungen trotz fortwährender und scheinbarer Analogien zum okzidentalen, insbesondere zu seinem zunächst puritanisch, dann utilitaristisch motivierten praktischen Rationalismus ein radikal entgegengesetztes System der Lebensreglementierung, eine andere Welt dar.
Weber folgt seinem wichtigsten Erkenntnisinteresse, nämlich die Unterschiede zwischen den Kulturen herauszufinden – genauer, wie sich die verschiedenen, magisch oder religiös mitbedingten Arten der Lebensführung zum modernen ökonomischen Kapitalismus stellen. Er stellt sich in der Konfuzianismusstudie die erweiterte Aufgabe, auch den Einfluss der materiellen Lebensbedingungen auf die religiösen und ethischen Ideen der chinesischen Kultur zu untersuchen. Er versucht die Beziehung zwischen Religion und Wirtschaft nicht als eine einseitige, sondern als ein wechselseitige Kausalbeziehung darzustellen.
Weber beschäftigt sich nicht mit der Rekonstruktion tatsächlicher historischer Abläufe, sondern vielmehr mit der Ausarbeitung bestimmter inhärenter Stukturen der chinesischen Gesellschaft. Er lässt sich dabei von der Frage leiten, was dort zur okzidentalen Entwicklung 'im Gegensatz stand und steht'. Daraus ergibt sich methodisch, dass er die Abwesenheit bestimmter Entwicklungsmomente in China besonders betont. Um die, eine endogene kapitalistische Entwicklung in China hemmenden Bedingen identifizien zu können, bedient er sich einer ganzen Reihe von punktuellen Vergleichen zwischen China und dem Okzident. Im wesentlichen charakterisiert er die Unterschiede in drei Hinsichten : In Hinsicht auf die geistige Kultur, auf die materiellen und ideellen Interessen und auf die Ordnungskonfiguration, in die beide eingebettet sind. Als Orientierungspunkte dienen Idealtypen, Rationalismus und Traditionalismus. Er untersucht aus herrschaftssoziologischer Sicht die Organisations- und Verwaltungsformen des chinesischen Herrschaftssystem, das Verhältnis von Herrschaftsstruktur und Wirtschaft, die Reichsverfassung, die soziale Schichtung und die Selbstverwaltung der Dorf- und Sippengemeinschaften.

Weber geht in seiner Analyse des chinesischen Reiches auf den Wandel vom feudalen zum präbendalen bzw. patrimonialen Staat ein, ein Wandel der seiner Ansicht nach mit der Errichtung des einheitlichen Staates im 3. Jahrhundert v. Chr. vollzogen worden ist. Er meint im Wasserbau die materielle Voraussetzung für die Entstehung der Patrimonialbürokratie erkennen zu können. Für ihn sind es die im Krieg überlegenen Sippen, welche die Grundlage der Lehensbeziehungen in China bildeten. Darin sieht er den wesentlichen Unterschied zum okzidentalen Lehensfeudalismus. Das chinesische Lehenswesen sei aus dem 'Geschlechterstaat' erwachsen, 'nachdem die Häuptlingssippen den alten Banden des Männerhauses und seiner Derivate sich entzogen hatten'. Der Kaiser sei zwar dort 'Oberlehnsherr' gewesen und hatte theoretisch das Recht, im Erbfall nach seinem Ermessen qualifizierten Erben die Lehen zu verleihen, politisch waren seine Rechte jedoch fast auf ein Nichts zusammengeschrumpft, weil 'nur die Grenzvasallen Militärmacht waren'.
Weber weist wiederholt auf das Auseinanderfallen zwischen 'Theorie und Praxis' der feudalen Beziehungen in China hin. Seiner Meinung nach kam die Einheit des Reiches in der Periode des Feudalismus zwischen dem 9. und 3. Jh. v. Chr. nicht in der politischen Einheit noch in den gelegentlichen Fürstenversammlungen, deren Vorsitz der Kaiser innehatte, sondern praktisch nur in der 'Kultureinheit' zum Ausdruck : die Einheit der ständischen Rittersitte, die religiöse, rituelle Einheit und die Einheit der Literatenklasse.
Für die besondere Stellung der Literaten war nach Weber 'der pontifikale, cäsaropapistische Charakter der kaiserlichen Gewalt und der daraus folgende Charakter der Literatur : offizielle Annalen, magisch bewährte Kriegs- und Opfergänge, Kalender, Ritual- und Zeremonialbücher, das entscheidende Moment gewesen'. Die Konkurrenzsituation unter den Fürsten brachte nach Weber eine neue Entwicklung in Gang, die diese Literaten zu Zerstörern des feudalen Systems machte.

Der Übergang zur Beamtenverwaltung hatte nach Weber zur Folge, dass die Versorgungsgrundlage des Verwaltungsstabes verschoben wurde ; an die Stelle von Lehen traten nunmehr Pfründe.
Die entscheidende Phase der Entfeudalisierung wurde unter Tsin Schi Hoang Ti [Qing Shi Huangdi] 221 v. Chr. eingeleitet, als es diesem gelang, ganz China dem ‚Patrimonium des Herrschers’ einzuverleiben’, d.h. der eigenen Beamtenverwaltung zu unterstellen.
In der politischen Einigung des Reiches sieht Weber die wichtigste Weichenstellun in der Geschichte Chinas überhaupt : 'Im Einheitsstaat hörten die Chancen der Konkurrenz der Fürsten um die Literaten auf’'. Nach der 'Befriedung' des Reichs wurde den Literaten grosser Raum zur Entfaltung eingeräumt.

Da der ethisch rationalisierte 'Himmel' eine ewige Ordnung schützte, waren es ethische Tugenden des Monarchen, an denen sein Charisma hing. Er war ein ‚Monarch von Gottes Gnaden’ und hatte sich als 'Sohn des Himmels' dadurch auszuweisen, dass es dem Volke gut ging.
Mit der Errichtung des Einheitsstaates im 3. Jh. v. Chr. hätten sich nach Weber die Grundelemente etabliert, welche über zwei Jahrtausende unverändert das Leben in China bestimmen sollten – vor allem die grosse Tradition des Patrimonialbürokratismus und die Standards der durch die Literaten-Beamten geprägten Kultur.

'Patrimonialismus', 'traditionale Herrschaft' ist der typologische Strukturbegriff, den Weber in seiner Studie immer dann verwendet, wenn er auf die Grundzüge des chinesischen Herrschaftsgefüges zurückgreift. Der Herrschende ist nicht 'Vorgesetzter', sondern perönlicher Herr, sein Verwaltungsstab besteht primär nicht aus 'Beamten' des Verbandes, sondern persönlichen 'Dienern', die Beherrschten sind nicht 'Mitglieder' des Verbandes, sondern traditionale Genossen oder Untertanen. Nicht sachliche Amtspflicht, sondern persönliche Dienertreue bestimmen die Beziehungen des Verwaltungsstabes zum Herrn.
Weber fasst die Unterschiede zwischen der Patrimonialbürokratie und 'modernen' Bürokratie in fünf Punkten zusammen : Dem patrimonialen Verwaltungvsstaat fehle : "Die feste Kompetenz nach sachlicher Regel, die feste rationale Hierarchie, die geregelte Anstellung durch freien Kontrakt und das geregelte Aufrücken, die Fachgeschultheit, (oft) das feste und (noch öfter) das in Geld bezahlte Gehalt". In China stehe, bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts, politisch 'die patrimoniale Staatsform, vor allem der patrimoniale Charakter der Verwaltung und Rechtsfindung mit ihren typischen Folgen : dem Nebeneinander eines Reiches der unerschütterlichen heiligen Tradition und eines Reiches der absolut freien Willkür und Gnabe, hier wie überall der Entwicklung des Kapitalismus im Wege : das rational kalkulierbare Funktionieren der Verwaltung und der Rechtspflege fehlt'.
Er versucht zu zeigen, wie die patrimoniale Struktur vom Staat auf die verschiedensten Kulturgebiete übergreift und von dorther ihrerseits wiederum unterstützt wird. Er ist letztlich der Ansicht, der Patrimonialismus sei 'die für den Geist des Konfuzianismus grundlegende Strukturform' und dessen zentrale Tugend, 'Pietät', die oberste Handlungsnorm sowohl im patrimonialen Untertanenverhältnis der Beamten zu ihrem Herrn wie auch in dem der Sippenangehörigen zu ihren Ahnen, also blosser Ausdruck einer kongenialen Vermittlung traditionlistischer Legitimität mit 'rationelen' Domestikationsbestrebungen, die durch die Kontinuität des staatstragenden Literaten-Beamtentums gewährleistet wird. Er geht von der Grundannahme aus, dass sich die politische und ökonomische Ordnung Chinas über Jahrzweitausende hinweg durch ausserordentliche Kontinuität und Stabilität ausgezeichnet hat und deshalb in China jede Veränderlichkeit auszuschliessen ist.

Die Pfründe sind diejenige Form der Beamtenversorgung, der in Webers Analyse der chinesischen Patrimonialbürokratie die grösste Bedeutung zukommt. Unter dem Begriff der Pfründe fasst er sowohl regelmässige Zuweisungen aus den Güter- und Geldvorräten des Herrenpatrimonialismus als auch die Zuweisung von Dienstland oder extrapatrimonialen Renten-, Gebühren- oder Steuer-Einkunftschancen zusammen. Es stehen sich der Kaiser einerseits, der zur Ausübung seiner Macht auf seinen Verwaltungsstab angewiesen ist, und andererseits das Literaten-Beamtentum gegenüber, das grundsätzlich dazu tendiert, sich die Pfründe anzueignen. Weber ist der erste, der sich mit der Einführung des chinesischen Prüfungssystems auseinandersetzt. Vorher war das Prüfungssystem als ein, wie auch immer geartetes, positives Element dargestellt worden. Dagegen erkärt er, dieses System sei vom Herrscher eingeführt worden, um die Gefahr einer Appropriation der Pfründe durch die Literaten-Beamten entgegenzuwirken. Er ist der Meinung, China habe zwar den Zugang zu den ständischen Privilegien der Amtsschicht durch das Prüfungssystem, das gänzlich auf literarische, 'offiziell patentierte' Konventionen abgestellt war, sowie durch eine Reihe weiterer, relativ 'rationaler' bürokratischer Einrichtungen wie etwa die Einschränkung der Amtszeit, einigermassen versachlicht und damit 'formal betrachtet' eine 'radikale Abkehr von den auf persönlicher Gunst und Gnade ruhenden Amststellungen der genuinen Patrimonialbeamten' vollzogen. Dennoch sei dort keine verwaltungstechnische Rationalisierung herbeigeführt worden. In China stünde das ethische Ideal der universellen, persönlichen Selbstvervollkommnung, das dem okzidentalen sachlichen Berufsgedanken radikal entgegengesetzt sei, der Schulung und dem Erwerb fachlicher Kompetenzen im Wege und habe deren Einführung immer wieder verhindert. Auch wenn die Inhalte der Prüfungen zur Beamtenauswahl an die klassische Literatur gebunden waren, habe man aber auch in China nicht 'mit blosser Poesie' verwaltet, sondern mit dem 'Charisma' der Literaten-Beamten.

Nach Auffassung Webers hat der Feudalismus die nachfeudale Sozialverfassung Chinas auf zweifache Weise geprägt : einerseits ging seine ständische Lebensform auf das Literaten-Beamtentum über, andererseits wurde seine verbandsmässige Basis im Sippensystem fortgeführt. Es gab nach Weber zwei Gravitationszentren der Herrschaft : Im Dorf herrschte die Sippe, ausserhalb des Dorfes die Patrimonialbürokratie. Allerdings war die Dichte dieser Bürokratie seiner Ansicht nach so gering, dass es ihr nicht gelang, die ausserdörflichen Lebensbereiche wirklich zu durchdringen. Dies führt er neben den unterentwickelten Verkehrsmitteln auf den Gegensatz von innerer und äusserer Verwaltung, die kleine Zahl der offiziellen Beamten, die kurzen Amtszeiten, das Verbot der Anstellung in der Heimatprovinz, das Zensorensystem, die fehlenden Orts- und Sprachkenntnisse der offiziellen Beamten und auf ihre Abhängigkeit von den orts- und sprachkundigen inoffiziellen Beamten zurück.
Der Grundgegensatz der chinesischen Städtebildung gegen den Okzident sind nach Weber das Fehlen des politischen Sondercharakters der Stadt. Sie war keine 'Polis' im antiken Sinne und kannte kein ‚Stadtrecht’ wie das Mittelalter. Denn sie war keine Gemeinde mit eigenen politischen Sonderrechten. Deshalb hat sich dort keine bürgerliche Schicht gebildet, deren grosse historische Bedeutung für die Entstehung des modernen Kapitalismus ist.
In der zweiten Hälfte seines Textes geht es Weber vor allem darum, die Besonderheit des 'chinesischen Ethos', also der kulturellen Grundlage des traditionalen Chinas zu entschlüsseln. Er will zeigen, dass die 'Wirtschaftsethik' der chinesischen Religionen bestimme Elemente enthält, die sich als hemmende Fakoren für die Entfaltung einer kapitalistisch orientieren Wirtschaft interpretieren lassen. Er versucht neben einer Analyse der Eigentümlichkeiten der chinesischen Religiosität, die radikale Gegensätzlichkeit zwischen Konfuzianismus und Puritanismus idealtypisch herauszuarbeiten. Es geht bei Weber bei seiner Beschäftigung mit dem Konfuzianismus und den chinesischen Religionen nicht so sehr um die Fragen nach deren 'Wesen', sondern vielmehr nach deren 'Funktion' in der chinesischen Gesellschaft und ihrer Entwicklung.

Der Konfuzianismus ist nach Weber 'eine bürokratische Lebensweisheit', die 'systematische Vervollkommnung und prinzipielle Geschlossenheit' gefunden hat ; sie ist die 'Standesethik' des chinesischen Patrimonialbeamtentums und damit die Ausdrucksform der politisch und ökonomisch privilegierten Oberschicht Chinas. Die gesellschaftliche Funktion des Konfuzianismus sieht er vor allem darin, dass dieser durch das Bildungsmonopol einen harten Kern einer in sich ideologisch homogenen Literaten- und Beamtenschicht für den Regierungsdienst hervorgebracht hatte, die durch die Ausstrahlung ihrer Standesethik die Lebensführung der chinesischen Gesellschaft über die eigene Schicht hinaus beeinflussen sollte. Alle ethischen Anforderungen, die durch die konfuzianischen Erziehungsideen gestellt wurden, waren Weber zufolge rein äusserliche Verhaltensvorschriften. Dazu gehörten ‚Wache Selbstbeherrschung, Selbstbeobachtung und Reserve, vor allem : Unterdrückung der Leidenschaft, die in jeder Form, auch der der Freude, das Gleichgewicht der Seele und ihre Harmonie, die Wurzel alles Guten, stört. Durch das Studium der alten konfuzianischen Klassiker sollte allein eine vorschriftsmässige Gesinnung, die 'dem vornehmen Mann' angemessene Denkweise, vermittelt werden.

Es ist nicht mehr umstritten, dass Webers Konfuzianismusstudie eine 'etwas verwirrende Mischung aus Zutreffendem, Missverständnissen und Überholtem' darstellt. In der Tat ist seine Auslegung des Konfuzianismus oft von willkürlichen Interpretationen und subjektiven Wertungen überschattet. Er geht mit seinen Quellen nicht vorbehaltlos um, er betrachtet und interpretiert sie vielmehr. Insgesamt versucht er, das vormoderne China und den Konfuzianismus als ein Gegenbild, das in jeder Hinsicht in scharfem Kontrast zum Westen und seinem Protestantismus steht, darzustellen. So präsentiert er das konfuzianische Glaubenssystem im allgemeinen als autoritär, konservativ und traditionalistisch. Dabei betrachtet er die konfuzianischen Literaten als die eigentlichen Übermittler und Hüter einer ununterbrochenen Tradition. Die Erneuerungsphase im Christentum behandelt er detailliert anlysiert, den Konfuzianismus aber so, als ob es niemals einen Wandel in der langen Geschichte gegeben haben könnte. Er lässt auch die bedeutende Erneuerung des Neokonfuzianismus ausser acht. Statt dessen konstruiert er ein Bild von einem Konfuzianismus, der sich von Magie und Irrationalität nicht befreit hat.

Die Volksgottheiten seien unter die Patronage einer geduldeten Priesterschaft geraten, die sich auf eine andere Philosophiegestalt und seine Lehre beruft. Diese Lehre, der Taoismus, habe ursprünglich nicht prinzipiell im Gegensatz zur offiziellen Lehre gestanden, schliesslich aber doch als heterodox gegolten. Eigentlich seien es zurückgezogene Mystiker gewesen, die den Taoismus vertraten. Sie lehnten Staatsämter im Interesse der eigenen Heilssuche ab. Ihre Hilfsziele waren makrobiotisch und magisch orientiert : langes Leben und magische Kräfte wurden erstrebt. Sie umschrieben den harmonischen Zustand mit 'Leere (hu) oder Nichtssein (wu), erreichbar durch Wu wei (Nichtstun) und pu yen (Nichtssagen)'. Eine 'rein magische Wende' in der Lehre Laozis führte nach Weber zum Einströmen der Gesamtheit der alten Magie in die taoistische Gemeinschaft. Die Vereinigung des taoistischen Meisters mit seinen Jüngern bildete den Keim taoistischer Klostergründungen und sei durch die Konkurrenz des eindringenden Buddhismus noch beschleunigt worden. So betrachtet er den Taoismus als eine Verschmelzung einer Lehre weltflüchtiger Intellektueller mit dem Gewerbe der Magier unter Ausbildung einer festen hierokratischen Organisation. Als solcher habe der Taoismus kein eigenes 'Ethos' gekannt. Mit seinen Spezialgöttern, sakramentalen Therapien und Techniken zur Erlangung der Unsterblichkeit wurde er populär.
Weber stellt auf der Ebene der Weltbild-Struktur einen religiösen Typus dar, der dem ethischen System des Puritanismus diamentral entgegengesetzt ist. Im Grunde sei der Konfuzianismus 'diejenige rationale Ethik, welche die Spannung gegen die Welt, sowohl ihre religiöse Entwertung wie ihre praktische Ablehnung, auf ein absolutes Minimum reduzierte'. Da bei ihm sowohl 'jede transzendente Verankerung der Ethik' als auch irgend eine 'Erlösungslehre' fehle, orientiere sich das Glaubenssystem des Konfuzianismus nur 'diesseitig'.

Am Ende seiner Konfuzianismusstudie betont Weber ausdrücklich, es sei gar nicht daran zu denken, dass die Chinesen von Natur aus nicht 'begabt' wären, sich den in Europa zur Vollentwicklung gelangten Kapitalismus anzueignen. Die ganz ausserordentliche Entwicklung und Intensität des chinesischen Erwerbstriebs könne gar nicht in Zweifel gezogen werden. Seine 'Vehemenz und Skrupellosigkeit' seien jeder Konkurrenz anderer Völker gewachsen. Zumal gelte der Fleiss und die Arbeitsfähigkeit der Chinesen noch immer als unerreicht. Dem Konfuzianismus fehlte die 'notwendige Erfahrung' von der ungleichen (religiösen) Qualifikation der Menschen und daher jeder Gedanke religiöser Differenzierung eines 'Gnadenstandes'. Darauf beruhe die Vorstellung der 'prinzipiellen Gleichheit der Menschen', die dem politischen Gegensatz von Patrimonialbürokratie und Feudalismus entspreche. Nach dieser Vorstellung sei der Mensch 'an sich gut, das Schlechte kam von aussen, durch die Sinne, in ihn hinein, und die Unterschiede der Qualität waren Unterschiede der harmonischen Entwicklung des Einzelnen'. Nur die Lebenslage differenziere also den Menschen.

Webers Studie stimmt im wesentlichen mit den damals in Deutschland und Europa vorherrschenden, noch aus dem 19. Jahrhundert und insbesondere von Hegel stammenden Urteile über China und Konfuzianismus überein. Diese Urteile waren zugleich durch die allgemeinen politischen Verhältnisse und Webers eigenes Weltbild gefärbt. Die zahlreichen Mängel und methodischen Unzulänglichkeiten, die durch seine gelegentlich scharfen Beobachtungen nicht aufgewogen werden, schmälern der Wert von Webers Konfuzianismusstudie ganz erheblich. Er hatte diese religionssoziologische Studie ja nur deshalb geschrieben, weil zu seiner Fragestellung keine fachmännische Untersuchung existiere. Ohne Zweifel hat er die moderne Chinaforschung stark beeinflusst und eine Reihe von Diskussionen ausgelöst.

Mentioned People (1)

Weber, Max  (Erfurt 1864-1920 München) : Wirtschaftwissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Professor fur Handelsrecht Universität Berlin, Professor für Nationalökonomie Universität Freiburg i.B. und Heidelberg, Professor für Soziologie Universität Wien, Professor für Nationalökonomie Universität München

Subjects

Philosophy : Europe : Germany

Documents (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2003 Lee, Eun-jeung. "Anti-Europa" : die Geschichte der Rezeption des Konfuzianismus und der konfuzianischen Gesellschaft seit der frühen Aufklärung : eine ideengeschichtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. (Münster : LIT Verlag, 2003). (Politica et ars ; Bd. 6). Habil. Univ. Halle-Wittenberg, 2003. S. 405-455. Publication / LeeE1
  • Source: Leibniz, Gottfried Wilhelm. De cultu Confucii civili. In : Brief an Antoine Verjus. (Leib40, Publication)
  • Source: Justi, Johann Heinrich Gottlob von. Gesammelte Politische und Finanzschriften über wichtige Gegenstände der Staatskunst, der Kriegswissenschaften und des Cameral- und Finanzwesens. Bd. 1. (Kopenhagen : Rothe, 1761). [Enthält] : Die Nothwendigkeit einer genauen Belohnung und Bestrafung der Bedienten eies Staats ; Vortrefliche Einrichtung der Sineser in Ansehung der Belohnung und Bestrafung vor die Staatsbedienten. [Artikel über das chinesische Verwaltungssystem ; zweiter Artikel ist die Übersetzung von Lamberts, Claude. Recueil d'observations curieuses. (Paris : 1749) ; Artikel geschrieben 1754]. (JusJ2, Publication)
  • Source: Weber, Max. Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen : Der Konfuzianismus. In : Archiv für Sozialpolitik ; Bd. 41, Heft 1, S. 1-87 ; Heft 2, S. 335-421 (1915). Erstabdruck der ersten Fassung. (Web66, Publication)
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
  • Person: Gatterer, Johann Christoph
  • Person: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich
  • Person: Herder, Johann Gottfried
  • Person: Kant, Immanuel
  • Person: Lee, Eun-jeung
  • Person: Leibniz, Gottfried Wilhelm
  • Person: Marx, Karl
  • Person: Schlözer, August Ludwig von
  • Person: Weber, Max
  • Person: Wittfogel, Karl A.
  • Person: Wolff, Christian