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Year

1945

Text

Brecht, Bertolt. Der kaukasische Kreidekreis [ID D12689].
Brecht, Bertolt. Der Ausgburger Kreidekreis. In : Brecht, Bertolt. Die Gewehre der Frau Carrar ; Augsburger Kreidekreis ; Neue Kinderlieder. (Berlin : Aufbau Verlag, 1953). (Versuche / Brecht ; Sonderheft). [Geschrieben 1944-1945 ; Erstaufführung Northfield, Minnesota 1948 ; Berlin 1954].

Quellen : Klabund. Der Kreidekreis [ID D12520] und Forke, Alfred. Hui lan ki : Der Kreidekreis [ID D4113].

Liu Weijian : Bertolt Brecht erhält 1944 vom Brodway den Auftrag ein Stück zu schreiben : Der kaukasische Kreidekreis. Er versieht den Richter Azdak mit den Zügen eines taoistischen Weisen… Während Laozi strigt gegen jegliche Gesetzlichkeit ist, kritisiert Brecht nicht die Gesetze als solche, sondern die herrschenden Gesetze. Sie sind Produkte der ungerechten Gesellschaft und liegen in den Händen der herrschenden Klasse, die das Rrecht nach ihrem eigenen Gutdünken interpretiert. Es geht Brecht nicht darum, alle Gesetze sofort abzuschaffen, sondern die alten, herrschenden Gesetze zu verändern und die neuen Gesetze im Interesse des Volkes in die Praxis umzusetzen.

Ye Fang-xiang : 1938-1939 ensteht im dänischen Exil Brechts Entwurf Odenseer Kreidekreis. In ein paar Zeilen deutet Brecht die traditionelle Mutterrolle um. Die Gegenüberstellung von der auf ihr Kind verzichtenden leiblichen Mutter und der die Sorge abnehmenden Magd steht in enger Verbindung mit einem neuen Thema : Infragestellung des Eigentumsbegriff. Die Auflehnung gegen die Unterdrückung spielt auf die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Nazis an.
In der Erzählung Augsburger Kreidekreis (1940) entwickelt Brecht diese neue Mutter-Sohn-Beziehung weiter. Mit dem neuen Mutterbegriff entsteht in grosser Widerspruch, den das chinesische Stück nicht kennt. Der Dreissigjährige Krieg spielt auf den Zweiten Weltkrieg an.
Obwohl die beiden Stücke fragmentarisch sin, zeigen sie schon die Grundstruktur, die wichtigen Motive und den Themenkomples des Kaukasischen Kreidekreises. Die ausschlaggebende strukturelle Änderung vom chinesischen Stück zu Brecht ist die Hinzufügung des Vorspiels.
Die Verlagerung des Schauplatzes in die Sowjetunion ist sicher von Brechts Ideologie bestimmt. Nach seinen Marxismus-Studien glaubt er, dass die bestehenden Eigentumsverhältnisse die Ursache allen Übels sei.
Brecht hat nicht nur die Hauptfiguren fast völlig neu gestaltet, er hat ein ganz eigenes Vorspiel eingeführt, das den Schauplatz in die sozialistische Sowjetunion verlegt und der alten Geschichte einen neuen Titel verleiht… In den 1950er Jahren halten die Kritiker das Vorspiel überflüssig. Brecht schreibt 1954 an Peter Suhrkamp : Dass das Vorspiel Ihnen nicht gefällt, verstehe ich nicht ganz, es war das erste, was ich von dem Stück schrieb, in den Staaten. Ohne das Vorspiel ist weder ersichtlich, warum das Stück nicht der chinesische Kreidekreis geblieben ist (mit der alten Richterentscheidung), noch, warum es der „kaukasische“ heisst.
Wenn man Brechts Kreidekreis mit Klabunds Nachdichtung vergleicht, ist anzunehmen, dass Brechts Interesse für das chinesische Original nur auf das Mutterprobe-Motiv beschränkt ist. Wenn wir die Handlung des chinesischen Stückes sowie dessen strukturelle Linie und sozialkritische Dimension untersuchen, dann können wir mehr Gemeinsamkeiten feststellen.
Die Gegensätze sind zwei Frauen und zwei Richter, sowie arm/reich, Obere/Niedrige, gut/böse, gerecht/ungerecht, dumm/weise, moralisch/unmoralisch… Die Armen sind gut, hilfsbereit, sympathisch, nützlich, fleissig und freundlich. Die Reichen sind böse, kaltherzig, faul und nutzlos.
Im Unterschied zu Klabunds Nachdichtung hat Brecht die Handlung und die Figuren völlig neu gestaltet. Wie das chinesische Drama besteht sein Stück aus zwei Teilen : Grusche-Geschichte (Leiden der Frauenfigur) und Azdak-Geschichte (Rechtsproblematik). Und dieser strukturelle und thematische Aufbau dient ihm ebenso zu radikaler Gesellschaftskritik wie die Mischung der historischen Ereignisse mit utopischen Elementen…

Ulrich von Felbert : Brechts Erzählung Der Augsburger Kreidekreis variiert die Aussage der Fabel, indem sie die soziale Mutter-Kind-Beziehung höher bewertet als die biologische.

Ulrich von Felbert : Die Masken sollten ein Befremden über die gewöhnliche Starre in den Umgangsformen der herrschenden Klasse bewirken. Gesinde, Dienende erhalten Teilmasken und verdeutlichen so ihre Verbindung mit dem Lebensbereich der Besitzenden. Brecht sagt : Die Pantomime ist bei uns noch nicht entwickelt. Wir könnten also viele Figuren mit Masken bestimmt nicht so gut darstellen. Die chinesische Maske ist kultisch und besitzt eine hohe Funktion. Bei uns fixiert sie die Muskulatur… Wir fanden, dass wir das sehr gut verwenden konnten… Indem Brecht mütterliche Liebe und Aufopferung gegen die biologische Mutterschaft stellt, greift er das chinesische Motiv vom Streit der Mütter auf, spaltet es aber gleichzeitig in diese Antipoden, um die gesellschaftliche Problematik von Nützlichkeit und Rechtmässigkeit neu zu diskutieren.

Herbert Ihering schreibt 1956 : Die starren Masken erst machen die Komik gefährlich. Die Maske ist also auch ein Element des sprachlichen Ausdrucks und erhält dadurch mimische Bedeutung.

Mentioned People (2)

Brecht, Bertolt  (Augsburg 1898-1956 Berlin) : Schriftsteller, Dramatiker, Regisseur

Ye, Fangxian  (um 1994) : Germanist

Subjects

Literature : Occident : China as Topic / Literature : Occident : Germany

Documents (3)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 1986 Felbert, Ulrich von. China und Japan als Impuls und Exempel : fernöstliche Ideen und Motive bei Alfred Döblin, Bertolt Brecht und Egon Erwin Kisch. (Frankfurt a.M. : P. Lang, 1986). (Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte ; Bd. 9). S. 79, 98, 113. Publication / Döb3
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
  • Person: Brecht, Bertolt
  • Person: Döblin, Alfred
  • Person: Felbert, Ulrich von
  • Person: Kisch, Egon Erwin
2 1991 Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 145, 147, 154. Publication / LiuW1
  • Source: Lohenstein, Daniel Casper von. Grossmüthiger Feldherr Arminius, oder, Hermann : als ein tapfferer Beschirmer der deutschen Freyheit nebst seiner durchlauchtigen Thussnelda, in einer sinnreichen Staats-, Liebes- und Helden-Geschichte dem Vaterlande zu Liebe, dem deutschen Adel aber zu Ehren und rühmlichen Nachfolge in zwey Theilen vorgestellet, und mit annehmlichen Kupffern bezieret. (Leipzig : Johann Friedrich Gleditsch, 1689-1690). Der fünfte Teil des ersten Bandes des Romans ist China gewidmet. Lohenstein hat seine Kenntnisse aus Berichten von jesuitischen Missionaren. (Loh1, Publication)
  • Source: Seckendorff, Karl Siegmund von. Das Rad des Schicksals. In : Das Journal von Tiefurt ; Bd. 1 (1781). = Seckendorff, Karl Siegmund von. Das Rad des Schicksals, oder Die Geschichte Tchoan-gsees. (Dessau : Buchhandlung der Gelehrten, 1783). [Zhuangzi]. (Sec1, Publication)
  • Source: Schopenhauer, Arthur. Ueber den Willen in der Natur : eine Erörterung der Bestätigungen welche die Philosophie des Verfassers, seit ihrem Auftreten, durch die empirischen Wissenschaften erhalten hat. (Frankfurt a.M. : Schmerber, 1836). [2. verb. und verm. Aufl. (Frankfurt a.M. : Joh. Christ. Hermann, 1854). 3., verb. und verm. Aufl. (Leipzig : F.A. Brockhaus, 1867)]. Darin enthalten ist das 7. Kapitel "Sinologie". (Schop2, Publication)
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
  • Cited by: Zentralbibliothek Zürich (ZB, Organisation)
  • Person: Brecht, Bertolt
  • Person: Döblin, Alfred
  • Person: Hesse, Hermann
  • Person: Liu, Weijian
3 1994 Ye, Fang-xian. China-Rezeption bei Hermann Hesse und Bertolt Brecht. (Irvine : University of California, 1994). Diss. Univ. of California, Irvine, 1994). S. 182-185, 191-196, 210. Publication / Hes80
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
  • Person: Brecht, Bertolt
  • Person: Hesse, Hermann