HomeChronology EntriesDocumentsPeopleLogin

Weigel, Helene

(Wien 1900-1971 Berlin) : Schauspielerin, Dramaturgin, Gattin von Bertolt Brecht

Subjects

Index of Names : Occident / Literature : Occident : Austria : Theatre

Chronology Entries (2)

# Year Text Linked Data
1 1936 Brecht, Bertolt. Me-ti : Buch der Wendungen [ID D12783].
Das früheste Dokument über Me-ti ist Brechts briefliche Anfrage von 1935 an Helene Weigel "Hast Du den Me-ti schon geholt?"
Brecht schreibt : Sich im Gleichgewicht halten, sich anpassen ohne sich aufzugeben : das kann ein Zweck des Philosophierens sein. Wie ein Wasser sich stille hält, damit es vollkommen den Himmel spiegelt, Wolken und überhängende Zweige, auch bewegte Vogelschwärme… - so kann ein Mensch seine Lage suchen, in der er die Welt spiegelt, sich ihr zeigt und mit ihr auskommt.

Liu Weijian : Wenn das Tao verlorengegangen ist, kommt die Gesellschaft in Unordnung. Um der Unordnung entgegenzuwirken und sie unter Kontrolle zu bringen, versuchen die Menschen, Tugenden zu propagieren. Diese Auffassung von Tugenden ist ein Punkt, an den Brecht anknüpft.
Brecht schreibt : Es gibt wenige Beschäftigungen, sagt Me-ti, welche die Moral eines Menschen so beschädigen wie die Beschäftigung mit Moral. Ich höre sagen : Man muss wahrheitsliebend sein, man muss seine Versprechen halten, man muss für das Gute kämpfen…
Wie die Tugenden sind auch die Gesetze bei Laozi keine Beweise einer hochstehenden Sittlichkeit. In ihnen spiegeln sich vielmehr die schlechten Verhältnisse wieder, die sie nötig machen. Brecht glaubt ebenfalls, dass die Entstehung der Gesetze die soziale Ungerechtigkeit reflektiert, weil sie sonst überflüssig werden.
Er schreibt : Ohne Ungerechtigkeit zu spüren, wird man auch keinen besonderen Gerechtigkeitssinn entwickeln…
Brecht diskutiert über die taoistische Eigenliebe und die Ansicht von Yang Zhu. Dabei unterscheidet er Eigenliebe von Egoismus. Brechts Egoismusbegriff entspricht den taoistischen Begriffen von der Selbstsucht und der unersättlichen Natur. Wie Laozi und Yang Zhu kritisiert Brecht einerseits egoistische Selbstsucht und bejaht andererseits die Eigenliebe. Er meint, dass der Mangel an Eigenliebe dem Menschen selbst Elend bringt. Er geht nicht wie Yang Zhu davon aus, nur sich selbst zu schützen, sondern davon, zuerst die Gesellschaft zu verändern, um einen harmonischen Zustand zwischen dem Nutzen des Einzelnen und dem Nutzen der Gemeinschaft zu realisieren. Das zeigt sich sowohl in seiner Ansicht über die Bekämpfung des Egoismus wie auch in seiner Meinung zur Verwirklichung der Eigenliebe.
Er schreibt : Yang-tschu [Yang Zhu] lehrte : Wenn man sagt : der Egoismus ist schlecht, so denkt man an einen Zustand des Staates, in dem er sich schlecht auswirkt. Ich nenne einen solchen Zustand des Staates schlecht. Wenn man keinen Egoismus haben will, dann muss man nicht gegen ihn reden, sondern einen Zustand schaffen, wo er unnötig ist.

Gerwig Epkes : Ende 1920er Jahre : Bertolt Brecht hat sich mit Mozi befasst : Hanns Eisler schreibt, dass ihm Brecht das Buch Forke, Alfred. Mê Ti des Sozialethikers und seiner Schüler philosophische Werke [IDD 669] gezeigt hat. Brecht übernimmt die Darstellungsweise des Mozi und diskutiert dessen Aussagen vor westlichem Hintergrund.

Christoph Gellner : Das Buch Me-ti, ganz im „chinesischen Stil geschrieben“, ist zweifellos ein Höhepunkt von Brechts Auseinandersetzung mit chinesischer Philosophie während des Exils. Obwohl die Sammlung von annähernd 300 Aphorismen, Sentenzen und Miniaturparabeln wie die meisten seiner Prosa- und Romanprojekte Fragment geblieben ist, gelten die Schubladentexte des Me-ti als ein ethisch-ästhetisch zentraler Werkkomplex. Handelt es sich doch um das einzige, erst aus dem Nachlass veröffentlichte Werk, in dem sich Brecht näher und konkreter über die Inhalte seines utopischen Denkens geäussert hat. Nicht von ungefähr steht die Vision einer solidarischen Zukunftsgesellschaft, in der heroische Tugendanstrengungen als erzwungene Leistungen entbehrlich sind, im Zentrum. Als Formmuster griff Brecht dabei wiederum auf eine höchst unzeitgemässe Literaturtraditon zurück, in der Dichtung, wie im alten China, noch nicht von Wissenschaft und Philosophie, von Moral-, Weisheits- und Verhaltenslehre abgesondert war. Das Ergebnis ist eine für Brecht typische Mischung aus alter und neuer Weisheit… Vorwiegend handelt es sich um aktuelle europäische Fragestellungen und Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, die durch den aphoristisch-sophtegmatischen Weisheitsgestus altchinesischer Philosophie kunstvoll ein falsches Alter gewinnen. So bezieht sich einer der zentralen Themenkomplexe auf die in den dreissiger Jahren unter den exilierten Linken aufgebrochenen Differenzen hinsichtlich des Aufbaus des Sozialismus (der „Grossen Ordnung“) in der Sowjetunion und der Verwandlung der marxistischen Dialektik in eine von der Moskauer Parteibürokratie verwaltete Rechtfertigungsideologie des Sowjetkommunismus. In chinesischem Gewande versammelt sind die „Klassiker“ des Marxismus Hegel (Meister Hü-jeh), Marx (Ka-meh), Engels (Meister Eh-fu), Rosa Luxemburg (Sa), Karl Korsch (Ka-osch) sowie Lenin (Mi-en-leh), Trotzki (To-tsi) und Stalin (Ni-en). Brecht sieht sich selbst in Gestalt des Me-ti…
„Ein Staat, so lehrt Me-ti, muss so eingerichtet sein, dass zwischen dem Nutzen des Einzelnen und dem Nutzen der Allgemeinheit kein Unterschied ist. Je grösser dann der Nutzen des Einzelnen wird, desto grösser ist der Gemeinnutz“. Mozi thematisiert die Ethik als Teil der Staatslehre in engstem Zusammenhang von Politik und Ökonomie, während die abstrakte, individuelle Ethik bei ihm keine besondere Behandlung erfährt…
Me-ti wiederholt nicht einfach die alten Weisheiten, er radikalisiert vielmehr dessen materialistischen Ansätze und anklingende sozialistische Ideen unter dezidiert marxistischem Vorzeichen.
„Es gibt wenige Beschäftigungen sagt Me-ti, welche die Moral eines Menschen so beschädigen wie die Beschäftigung mit Moral. Ich höre sagen : Man muss wahrheitsliebend sein, man muss seine Versprechungen halten, man muss für das Gute kämpfen“.

Adrian Hsia : Brecht beginnt in den 1920er Jahren Material für das Buch Me-ti zusammenzutragen. Im Wesentlichen spielt die Handlung in einem märchenhaften China, das von einigen schein-chinesischen Namen dekoriert wird, um aber aktuelle Ereignisse in der Sowjetunion und Deutschland darzustellen. Brecht selbst sagt, dass er eine Anzahl von relevanten zeitgenössischen Geschehnissen ausgewählt habe, um diese den grundlegenden Anschauungen des chinesischen Philosophen gegenüberzustellen bzw. mit ihnen zu vergleichen. Der Zweck der Gegenüberstellung ist, eine uralte Quelle des Sozialismus zu finden und die chinesischen Weisheiten und Verhaltensregeln für die moderne Gesellschaft nutzbar zu machen, denn Brecht war der Meinung, dass Marx und Engels zwar grosse Theorien geschaffen hätten, doch hätten sie das vernachlässigt, womit sich chinesische Philosophen fast ausschliesslich befasst haben, nämlich mit den zwischenmenschlichen Beziehungen, den Verhaltensweisen des täglichen Lebens. Aus dieser Sicht her gesehen, stellt Me-ti eine Kombination der Anschauungen von Marx und Engels, Brecht selbst, Mozi und nicht zuletzt auch von Konfuzius dar. Auch Laozi kann man in Me-ti finden. Laozi ist der Meinung, dass Tugenden nur unter einer schlechten Regierung notwendig seien. Ähnliches sagt auch Yang Zhu, der den Egoismus im Sinne der Selbstliebe befürwortet. Brecht übernimmt die Ansichten Laozis und Yang Chus.

Ye Fang-xian : Brecht führt mehrmals die Unmoral auf den elenden Zustand der Gesellschaft zurück. Im Hinblick auf die Gesellschaftskritik, besonders auf die Beziehung zwischen der Moral und den ökonomischen Verhältnissen, kann man auf viele Ähnlichkeiten zwischen Mozi und Brecht hinweisen. Trotzdem darf man nicht behaupten, dass ihre Gedanken übereinstimmen. Einen wesentlichen Unterschied zeigen ihre Auffassungen von Liebe. Mozi siehe keinen Konflikt zwischen Nächstenliebe und Eigenliebe. Er glaubt in der allumfassenden gegenseitigen Liebe ein Mittel zur Herstellung der idealen Wohlstandsgesellschaft ohne Konflikt und Armut. Brecht verwandelt das göttliche Gebot der Nächstenliebe in eine idealistische Moral und kehrt zugleich die Götter aus dem biblischen Motiv in die Verteidiger einer schlechten Gesellschaftsordnung und schliesslich in Angeklagte… Obwohl Brechts Hauptinteresse sich auf die Natur der kapitalistischen Gesellschaft richtet, wird Shen Te als ein Mensch dargestellt, der von Natur aus gut ist… Der Gegensatz zwischen der guten Natur Shen Tes und den schlechten Verhältnissen der Gesellschaft ist die Grundlinie des Parabelstücks… Was für die Reichen gute Natur ist, ist für die Armen böse. In diesem Sinne stimmt Brechts Darstellung mit dem Marxismus überein.
Wenn sich Brecht mit der Lehre Mengzis beschäftigt hat, hat er sie in den Mund der Götter gesetzt und sie damit in Frage gestellt. Obwohl ihre Ansatzpunkte ähnlich sind : der Mensch sei von Natur aus gut, sind ihre Weltanschauungen oppositionell… Bei Mengzi soll die chaotische Welt durch die vom Gott bestimmten Menschen mit guter Natur gerettet werden… Die Zitate aus den chinesischen Schriften sind in diesem Werk besonders augenfällig. Brechts Auseinandersetzung mit chinesischer Philosophie und seine Behandlung der westlichen kulturellen Tradition sind untrennbar integriert.

Yim Han-soon : Die Reduktion des philosophischen Denkens auf die Meditation bemängelt Brecht mit dem Bild des Wassers, das er wahrscheinlich dem Zhuangzi entnommen hat.
In bezug auf die „Verurteilung der Konfuzianer“ von Mo Di setzt sich Brecht mit dem Grundsatz der Institution Familie auseinander, indem er die Familienidee von Konfuzius den Argumenten Mo Dis für die „einigende Liebe“ im Sinne eines sozialistischen Organisationsprinzips entgegenstellt. Das chinesische Motiv dient freilich nur zur Verkleidung einer kommunistischen Idee : Die traditionelle Funktion der Famlie soll von einem sozialistischen Kollektiv übernommen werden.
Der eigentliche Standort der Auseinandersetzung zwischen Kung und Me-ti ist nicht das chinesische Altertum, sondern das widersprüchliche Familienleben des Bürgertums. Kung und Me-ti leben im Zeitalter des Klassenkampfes, in dem das Familienleben in herkömmlicher Form unmöglich geworden ist.
Ohne die anarchistische Grundhaltung Yang Zhus zu teilen, übernimmt Brecht von ihm die Ansicht, dass Uneigennützigkeit, Mangel an Eigenliebe, sowohl den Mitmenschen als auch den betreffenden einzelnen schädlich sei. Yang Zhus Egoismus bedeutet Enthaltsamkeit und Rückkehr von der Gesellschaft zu einem selbstgenügsamen Privatleben, während Brecht die Eigenliebe gerade zur Entfaltung der gesellschaftlichen Produktivität und zum materiellen Genuss des einzelnen befürwortet. Er schreibt : „Wie soll man den Egoismus bekämpfen ? Ein Staat muss so eingerichtet sein, dass zwischen dem Nutzen des Einzelnen und dem Nutzen der Allgemeinheit kein Unterschied ist“.
Von den verwendeten chinesischen Elementen her betrachtet, ist Me-ti ein Sammelwerk, in dem das selektiv-positive Verhältnis Brechts zur chinesischen Philosophie deutlich zum Vorschein kommt. Er übernimmt grundsätzlich diejenigen Ansätze, die im positiven Sinne nutzbar und aktualisierbar sind.
  • Document: Brecht, Bertolt. Me-ti : Buch der Wendungen : Fragment. Zusammengestellt und mit einem Nachwort versehen von Uwe Johnson. (Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 1965). (Prosa / Bertolt Brecht ; 5). [Geschrieben 1934-1937] ; [Mozi]. (Bre19, Publication)
  • Document: Yim, Han-soon. Bertolt Brecht und sein Verhältnis zur chinesischen Philosophie. (Bonn : Institut für Koreanische Kultur, 1984). (Schriftenreihe ; Bd. 1). 43, 82-84, 248-249, 255. (Yim1, Publication)
  • Document: Hsia, Adrian. Bertolt Brechts Rezeption des Konfuzianismus, Taoismus und Mohismus im Spiegel seiner Werke. In : Zeitschrift für Kulturaustausch ; H. 3 (1986). (Bre28, Publication)
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 148-149, 152-153, 156-158. (LiuW1, Publication)
  • Document: Epkes, Gerwig. "Der Sohn hat die Mutter gefunden..." : die Wahrnehmung des Fremden in der Literatur des 20. Jahrhunderts am Beispiel Chinas. (Würzburg : Königshausen und Neumann, 1992). (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft ; Bd. 79). Diss. Univ. Freiburg i.B., 1990. S. 144-145. (Epk, Publication)
  • Document: Ye, Fang-xian. China-Rezeption bei Hermann Hesse und Bertolt Brecht. (Irvine : University of California, 1994). Diss. Univ. of California, Irvine, 1994). S. 162-174. (Hes80, Publication)
  • Document: Gellner, Christoph. Weisheit, Kunst und Lebenskunst : fernöstliche Religion und Philosophie bei Hermann Hesse und Bertolt Brecht. (Mainz : Matthias-Grünewald-Verlag, 1996). (Theologie und Literatur ; Bd. 8). Diss. Univ. Tübingen, 1996. S. 218-219, 222-225. (Gel2, Publication)
  • Person: Brecht, Bertolt
  • Person: Yang, Zhu
2 1942 Bertolt Brecht schreibt an Karin Michaelis, die ihn und Helene Weigel 1933 aufgenommen hatte : Unsere Literaturgeschichte zählt nicht so viele exilierte Schriftsteller auf wie etwa die chinesische ; wir müssen uns damit entschuldigen, dass unsere Literatur noch sehr jung ist und noch nicht kultiviert genug. Die chinesischen Lyriker und Philosophen pflegten, wie ich höre, ins Exil zu gehen wie die unseren in die Akademie. Viele flohen mehrere Male, aber es scheint Ehrensache gewesen zu sein, so zu schreiben, dass man wenigstens einmal den Staub seines Geburtslandes von den Füssen schütteln musste.
  • Document: Yim, Han-soon. Bertolt Brecht und sein Verhältnis zur chinesischen Philosophie. (Bonn : Institut für Koreanische Kultur, 1984). (Schriftenreihe ; Bd. 1). S. 63. (Yim1, Publication)
  • Person: Brecht, Bertolt
  • Person: Michaelis, Karin