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Year

2007

Text

Weber, Max. Konfuzianismus und Taoismus : Sekundärliteratur (12).
Tan, Yuan. Der Chinese in der deutschen Literatur [ID D16340].
Tan Yuan schreibt : Max Webers Chinastudie will erklären, warum China trotz zahlreicher günstiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bedingungen nicht von innen heraus zu einer modern-kapitalistischen Entwicklung gelangt ist. Diese Frage ist Webers Leitfaden für seine umfangreiche Studie über Geldwesen, Städte, Fürstenverwaltung, Gotteskonzeption, feudale Bürokratie, Fiskal-, Heeres- und Agrarverfassung sowie Selbstverwaltung der Berufsverbände, der Sippen und des Dorfs in China. Nicht 'das Fehlen des formal garantierten Rechts und einer rationalen Verwaltung und Rechtspflege', oder die 'Folgen der Verpfründung' seien die entscheidenden Hemmungen für 'den rationalen Betriebskapitalismus'. Dieser sei vielmehr gehemmt worden 'durch das Fehlen gewisser gesinnungsmässiger Grundlagen', die nach Webers Sicht von universalgeschichtlicher Bedeutung sind, und zwar 'vor allem durch diejenige Stellungnahme, welche im chinesischen .Ethos ihre Stätte fand und von der Beamten- und Amtsanwärterschicht getragen wurde'. In dem Kapitel Literatenstand und Die konfuzianische Lebensorientierung beschäftigt sich Weber mit der Entwicklungsgeschichte sowie mit den materiellen und ideellen Interessen derjenigen Schicht, die er als 'Träger der Fortschritte zur rationalen Verwaltung und aller Intelligenz' in China bezeichnet : die Beamten-und Amtsanwärterschicht, die 'den entscheidenden Ausdruck der Einheitlichkeit der chinesischen Kultur' gebildet hätten. Das Prüfungswesen und die konfuzianische Erziehung hätten den ständischen Charakter des Literatentums geprägt; dieser habe dann die Stellung der Literatenschicht zur Wirtschaft und Politik bestimmt. Weber behandelt daraufhin den Kern des Konfuzianismus: bestimmte religiöse Glaubensinhalte in der konfuzianischen Lebensführung, die nach Weber die Entstehung der Wirtschaftsgesinnung bedingen. Dabei konstatiert Weber das Fehlen ,'jeder Eschatologie und jeder Erlösungslehre im Konfuzianismus'. Das Interesse am eigenen Jenseitsschicksal spiele beim Konfuzianer nur eine unwichtige Rolle. 'Zum mindesten herrschte bei ihm seit langem allen Jenseitshoffnungen gegenüber eine absolut agnostische, wesentlich negative Stimmung.' 'Die Beziehung zum Religiösen, einerlei ob magischen oder kultischen Charakters, blieb dabei ihrem Sinn nach diesseitig gewendet, weit stärker und prinzipieller als dies auch sonst überall und immer die Regel ist.' Was das Wesen betrifft, ist der Konfuzianismus nach Weber 'nur Ethik' und 'ausschließlich innerweltliche Laiensittlichkeit'. Er sei 'Anpassung an die Welt, ihre Ordnungen und Konventionen, letztlich eigentlich nur ein ungeheurer Kodex von politischen Maximen und gesellschaftlichen Anstandsregeln für gebildete Weltmänner'. Weber hebt darauf ab, dass die konfuzianische Bildung nach der Vollendung der Persönlichkeit strebe. Das 'ständische Vornehmheitsideal' des konfuzianischen 'Gentleman' sei die 'auf Allseitigkeit ruhende Jugend, d.h. die Selbstvollendung'. Dieses Ideal habe die konfuzianische Wirtschaftsgesipnnung entscheidend beeinflusst. Beim Konfuzianer sei der Reichtum zwar 'das wichtigste Mittel, tugendhaft, d.h. würdig leben und sich der eigenen Vervollkommnung widmen zu können'. Aber der Reichtumserwerb 'schien unsicher und könnte zur Störung des vornehmen Gleichgewichts der Seele führen, und alle eigentliche ökonomische Berufsarbeit war banausisches Fachmenschentum.' Das habe zur Ablehnung des Fachmanntums geführt: "Die amtliche Stellung ist vor allem auch deshalb die einzige eines höheren Menschen würdige, weil sie allein die Vollendung der Persönlichkeit gestattet. Wirtschaftlicher, ärztlicher, priesterlicher Erwerb ist der 'kleine Weg'. Denn er führt zur fachlichen Spezialisierung." Weber betont, was der 'Kernsatz der konfuzianischen Ethik' sei: 'Der vornehme Mann war kein Werkzeug', d.h.: er war in seiner weltangepassten Selbstvervollkommnung ein letzter Selbstzweck, nicht aber Mittel für sachliche Zwecke welcher Art immer. Daher 'lehnte' der Konfuzianer 'die Fachspezialisierung, die moderne Fachbureaukratie und die Fachschulung, vor allem aber die ökonomische Schulung für den Erwerb ab'. Dem konfuzianischen Vollkommheitsideal setze der Puritanismus den Gedanken des 'Berufs' entgegen. Die Würde des echten Christen liege 'gerade nur' darin, als 'Werkzeug' Gottes zu dienen: 'Und weil er dies sein wollte, war er ein brauchbares Instrument, die Welt rational umzuwälzen und zu beherrschen.'Aus diesem Grund sei die chinesische Bildungsqualifikation eine 'Kultur'-Qualifikation 'im Sinne einer allgemeinen Bildung, von einer ähnlichen, aber noch spezifischeren Art, als etwa die überkommene okzidentale humanistische Bildungsqualifikation' gewesen. Die chinesischen Prüfungen 'ermittelten den Besitz literarischer Durchkultivierung und der daraus folgenden, dem vornehmen Manne angemessenen Denkweise'. Dagegen sei 'bei uns - darin liegt der sehr wichtige Unterschied des Okzidents gegen China - neben und zum Teil an Stelle dieser ständischen Bildungsqualifikation die rationale Fachabrichtung getreten'. Weber legt auch großen Wert auf die Rolle der 'Pietät' (Xiao) und der 'Schicklichkeit' (Li) in der konfuzianischen Lebensorientierung. Zum Thema der Pietät führt er aus: ,'Der Gedanke einer Erlösung fehlte der konfuzianischen Ethik natürlich völlig. Und als Sünde konnte ihm nur die Verletzung der einen sozialen Grundpflicht gelten : der Pietät.' Da 'die erprobten magischen Mittel und letztlich alle überkommenen Formen der Lebensführung bei Vermeidung des Zorns der Geister unabänderlich waren', habe die konfuzianische Ethik die 'naturgewachsenen oder durch die sozialen Über- und Unterordnungsverhältnisse gegebenen persönlichen Beziehungen' als die 'menschlichen Pietätspflichten' verklärt. Daher sei 'die Vernunft des Konfuzianismus' 'ein Rationalismus der Ordnung'. 'Der konfuzianische Rationalismus bedeutete rationale Anpassung an die Welt.' Aus dieser sozialethischen Stellungnahme folge die Erhaltung der 'durchaus an persönliche Beziehungen geknüpfte Charakter der politischen und ökonomischen Orgahisationsformen', die 'der rationalen Versachlichung und des abstrakten transpersonalen Zweckverbandscharakters entbehrten'. Daher sei in China 'alles Vertrauen, die Grundlage aller Geschäftsbeziehungen, immer auf Verwandtschaft oder verwandtschaftsartige rein persönliche Beziehungen gegründet' geblieben. Dagegen bedeutet der puritanische Rationalismus 'rationale Beherrschung der Welt': 'Aus der Beziehung zum überweltlichen Gott und zur kreatürlich verderbten, ethisch irrationalen Welt folgte die absolute Unheiligkeit der Tradition und die absolut unendliche Aufgabe immer erneuter Arbeit an der ethisch rationalen Bewältigung und Beherrschung der gegebenen Welt.' Die große Leistung 'der ethischen und asketischen Sekten des Protestantismus war die Durchbrechung des Sippenbandes, die Konstituierung der Überlegenheit der Glaubens- und ethischen Lebensführungsgemeinschaft gegenüber der Wertegemeinschaft, in starkem Masse selbst gegenüber der Familie. Ökonomisch angesehen: die Begründung des geschäftlichen Vertrauens auf ethische Qualitäten der Einzelindividuen, welche in sachlicher Berufsarbeit bewährt waren'. Schliesslich habe der Puritanismus 'alles' versachlicht, 'in rationale Betriebe und rein sachlich geschäftliche Beziehungen' aufgelöst. Weber hält auch die 'Schicklichkeit' für einen wichtigen konfuzianischen Grundbegriff. Für den Konfuzianer sei die 'zeremonielle und rituale Schicklichkeit in allen Lebenslagen Zentraltugend, Ziel der Selbstvervollkommnung'. Der konfuzianische Gentleman solle 'die alten Zeremonien mit gebührendem und erbaulichem Anstand mitmachen' und 'alle seine Handlungen, einschließlich der physischen Gesten und Bewegungen, nach den ständischen Sitten und den Geboten der Schicklichkeit in Höflichkeit und Anmut regeln'. Aber die 'sthetisch kühle Temperatur' des 'Schicklichkeits-Ideales' habe 'alle aus feudalen Zeiten überkommenen Pflichten, insbesondere die karitativen, zum symbolischen Zeremoniell erstarren' lassen. Die 'wache Selbstbeherrschung des Konfuzianers ging darauf aus, die Würde der äusseren Gesten und Manieren, das Gesicht zu wahren'. Sie war ästhetischen und dabei wesentlich negativen Charakters: 'Haltung' an sich, ohne bestimmten Inhalt, 'wurde geschätzt und erstrebt'. Dagegen richte sich die Selbstkontrolle des Puritaners 'auf etwas Positives: ein bestimmt qualifiziertes Handeln, und darüber hinaus auf etwas Innerliches: die systematische Meisterung der eigenen, als sündenverderbt geltenden inneren Natur. Denn der überweltliche allwissende Gott sah auf den zentralen inneren Habitus.' Der 'nur auf die äussere Contenance bedachte konfuzianische Gentleman' habe das 'universellen, allen Kredit und alle Geschäftsoperationen hemmende Misstrauen' gegen andere. Dagegen habe der Puritaner 'das ökonomische, bedingungslose und unerschütterliche' Vertrauen des Glaubensbruders.

Aus dieser Analyse zieht Weber einen Schluss von universeller Bedeutung: 'Es wird kaum abzuweisen sein, dass die grundlegenden Eigentümlichkeiten der ‚Gesinnung', in diesem Falle: der praktischen Stellungnahme zur Welt, kraft der ihren Eigengesetzlichkeiten zuzurechnenden Wirkungen an jenen Hemmungen stark mitbeteiligt gewesen sind.'
Neben dem Konfuzianismus hat Weber im Kapitel Orthodoxie und Heterodoxie die heterodoxen Religionen in China, vor allem den Taoismus, analysiert. Webers Studie über den Taoismus konzentriert sich auf Laozi und seine mystische Lehre. Nach Max Weber sind 'Wiedergeburt' und 'Erlösung' die'beiden höchsten Konzeptionen der sublimierten religiösen Heilslehre'. Laozi zielte vor allem auf die Selbsterlösung ab, seine Lehre ist eine religiöse Heilslehre. Nach Weber ist 'Tao' an sich ein orthodox konfuzianischer Begriff : die ewige Ordnung des Kosmos und zugleich dieser Ablauf selbst : eine in aller nicht dialektisch durchgeformten Metaphysik häufige Identifikation. Bei Laozi sei Tao in Beziehung zur typischen Gottsuche des Mystikers gesetzt : 'es ist das allein Unveränderliche und deshalb absolut Wertvolle, sowohl Ordnung wie zeugender Realgrund, wie Inbegriff der ewigen Urbilder alles Seins, kurz das göttliche Alleine, dessen Teilhaftigkeit man - ganz wie in aller kontemplativen Mystik - durch absolute Entleerung des eigenen Ich von Weltinteressen und Leidenschaften bis zu völliger Nichttätigkeit sich aneignet.' 'Ursprünglich' sei die taoistische Lehre 'nicht prinzipiell abweichend vom Konfuzianismus', 'nur die Deutung [sei] verschieden'. Ein eigenes 'Ethos' aber kenne der Taoismus überhaupt nicht: 'Zauber, nicht Lebensführung, entschieden über das Schicksal.' Dies scheide ihn, 'in dem Endstadium seiner Entwicklung', von dem Konfuzianismus.

An dieser umfassenden Chinastudie erkennen wir nicht nur Webers Interesse an den Unterschieden zwischen der Entwicklung des kaiserlichen Chinas und der des Okzidents, sondern auch seine tiefe Einsicht in die orientalische Gesellschaft. Fast alle Bestandteile der chinesischen Gesellschaft werden in diesem Werk behandelt : Kaiser, Fürsten, Beamte, Eunuchen, Anachoreten, Kaufleute, Handwerker, Berufsverbände, Bauern, Sippen usw. Obwohl Weber auch aus ethnographischem Interesse von den 'chinesischen Rassenqualitäten' spricht, achtet er auf die enormen 'lokalen und vor allem sozialen Unterschiede'. Bei den ärmeren Volkskreisen sieht er 'eine nirgends in der Welt erreichte, an das Unglaubwürdige grenzende Virtuosität im Sparen'. Beim chinesischen Beamtentum im 19. Jahrhundert betont er die ungewöhnliche Korruption. Er redet über den vehementen und skrupellosen Erwerbstrieb der Handelsinteressenten, über die zu sonst unerhörter Instensität gesteigerte Rechenhaftigkeit'.
Der Himmelssohn, der chinesische Kaiser wird in Webers Werk nur als Komponente der Religiösität, als ein Mensch, berachtet, indem Weber den Platz des Kaisers mit der charismatischen und pontifikalen Stellung des Zentralmonarchen gleichsetzt.
Zwei wesentliche Schwächen werden von der modernen Sinologie kritisiert : Erstens wird die Entwicklung des Konfuzianismus im Zeitraum zwischen dem 2. Jahrhundert v. Chr. und dem 18. Jahrhundert wenig behandelt. Für seine Studie hat Weber zwar fast alle wichtigen Schriften über China und Übersetzungen aus dem Chinesischen herangezogen, die ihm bis 1913 zugänglich waren. Aber zu dieser Zeit hat die Sinologie die Etablierung des Neokonfuzianismus und dessen Einfluss auf die chinesische Gesellschaft nach dem 12. Jahrhundert noch kaum behandelt und Weber hat von dieser Entwicklung auch nichts zur Kenntnis genommen. Daher betrachtet er die chinesische Geschichte nach dem Eintritt in den Patrimonialilsmus nur als Fortsetzung von dem, was sich im Altertum ausgebildet hatte. Zweitens sehen heute viele Gelehrte den Wirtschaftserfolg der 'vier Tiger' als Gegenbeispiel zu Webers These, dass der Konfuzianismus ein Hindernis für die Entwicklung des modernen Kapitalismus bilde.

Mentioned People (1)

Weber, Max  (Erfurt 1864-1920 München) : Wirtschaftwissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Professor fur Handelsrecht Universität Berlin, Professor für Nationalökonomie Universität Freiburg i.B. und Heidelberg, Professor für Soziologie Universität Wien, Professor für Nationalökonomie Universität München

Subjects

Philosophy : Europe : Germany

Documents (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2007 Tan, Yuan. Der Chinese in der deutschen Literatur : unter besonderer Berücksichtigung chinesischer Figuren in den Werken von Schiller, Döblin und Brecht. (Göttingen : Cuvillier, 2007). Diss. Univ. Göttingen, 2006. S. 115-125. Publication / Tan10
  • Source: Brecht, Bertolt. Sechs chinesische Gedichte. In : Das Wort ; 8 (Moskau 1938). [Enthält]. Der Politiker von Bo Juyi, Die Decke von Bo Juyi, Der Drache des schwarzen Pfuhls von Bo Juyi, Die Freunde Unbekannter Dichter, Ein Protest im sechsten Jahre des Chien Fu, Bei der Geburt des Sohnes von Su Shi. (Bre34, Publication)
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
  • Person: Brecht, Bertolt
  • Person: Döblin, Alfred
  • Person: Schiller, Friedrich von
  • Person: Tan, Yuan