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“Hegel und China : philosophische Bemerkungen zu seinem Bild Chinas, insbesondere des Lao Zi” (Publication, 1998)

Year

1998

Text

Wohlfart, Günter. Hegel und China : philosophische Bemerkungen zu seinem Bild Chinas, insbesondere des Lao Zi. In : Autumn floods : essays in honour of Marián Gálik. Ed. by Raoul D. Findeisen und Robert H. Gassmann. (Bern : Lang, 1998). (Schweizer Asiatische Studien. Monographien ; Bd. 30). (Wohl1)

Type

Publication

Mentioned People (1)

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  (Stuttgart 1770-1831 Berlin) : Philosoph

Subjects

Philosophy : Europe : Germany

Chronology Entries (2)

# Year Text Linked Data
1 1821-1831 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich. Vorlesungen über die Philosophie der Religion : Die chinesische Religion oder die Religion des Masses [ID D11897]. Vorlesungen gelesen 1821/22, 1824/25, 1827/28, 1831 in Berlin.

Hegel schreibt : a) Die allgemeine Bestimmtheit derselben Zunächst wird die Substanz noch in derjenigen Bestimmung des Seins gedacht, die zwar dem Wesen am nächsten steht, aber doch noch der Unmittelbarkeit des Seins angehört, und der Geist, der von ihr verschieden ist, ist ein besonderer, endlicher Geist, der Mensch. Dieser Geist ist einerseits der Gewalthabende, der Ausführer jener Macht, andererseits, als jener Macht unterworfen, das Akzidentelle. Wird der Mensch als diese Macht vorgestellt, so dass sie in ihm als wirkend angesehen wird oder dass er durch den Kultus dazu komme, sich mit ihr identisch zu setzen, so hat die Macht die Gestalt des Geistes, aber des endlichen, menschlichen Geistes, und da tritt die Trennung von anderen ein, über die er mächtig ist.

b) Die geschichtliche Existenz dieser Religion Aus jener unmittelbaren Religion, welche der Standpunkt der Zauberei war, sind wir zwar herausgetreten, da der besondere Geist sich jetzt von der Substanz unterscheidet und zu ihr in Verhältnis steht, dass er sie als die allgemeine Macht betrachtet. In der chinesischen Religion, welche die nächste geschichtliche Existenz dieses substantiellen Verhältnisses ist, wird die Substanz als der Umfang des wesentlichen Seins, als das Mass gewusst ; das Mass gilt als das Anundfürsichseiende, Unveränderliche, und Tien, der Himmel, ist die objektive Anschauung dieses Anundfürsichseienden. Dennoch zieht sich auch die Bestimmung der Zauberei noch in diese Sphäre herein, insofern in der Wirklichkeit der einzelne Mensch, der Wille und das empirische Bewusstsein desselben das Höchste ist. Der Standpunkt der Zauberei hat sich hier sogar zu einer organisierten Monarchie, deren Anschauung etwas Grossartiges und Majestätitsches hat, ausgebreitet.

Tien ist das Höchste, aber nicht nur im geistigen, moralischen Sinn. Es bezeichnet vielmehr die ganz unbestimmte, abstrakte Allgemeinheit, ist der ganz unbestimmte Inbegriff physischen und moralischen Zusammenhangs überhaupt. Daneben ist aber der Kaiser Regent auf Erden, nicht der Himmel ; nicht dieser hat Gesetze gegeben oder gibt sie, welche die Menschen respektieren, göttliche Gesetze, Gesetze der Religion, Sittlichkeit. Nicht Tien regiert die Natur, sondern der Kaiser regiert alles, und er nur ist im Zusammenhang mit diesem Tien. Er nur bringt dem Tien Opfer an den vier Hauptfesten des Jahres ; es ist nur der Kaiser, der sich unterredet mit Tien, seine Gebete richtet an ihn, er steht allein in Konnexion mit ihm und regiert alles auf Erden. Der Kaiser hat auch die Herrschaft über die natürlichen Dinge und ihre Veränderungen in seinen Händen und regiert die Mächte derselben.

Wir unterscheiden Welt, weltliche Erscheinung so, dass ausser dieser Welt auch Gott regiert ; hier aber ist nur der Kaiser das Herrschende. Der Himmel der Chinesen, der Tien, ist etwas ganz Leeres ; die Seelen der Verstorbenen existieren zwar in ihm, überleben die Abscheidung vom Körper, aber sie gehören auch zur Welt, da sie als Herren der Naturkreise gedacht werden, und der Kaiser regiert auch über diese, setzt sie in ihre Ämter ein und ab. Wenn die Toten als Vorsteher der natürlichen Reiche vorgestellt werden, so könnte man sagen : sie sind damit erhoben ; in der Tat aber werden sie heruntergesetzt zu Genien des Natürlichen, und da ist es recht, dass der selbstbewusste Wille diese Genien bestimmt.

Der Himmel der Chinesen ist daher nicht eine Welt, die über der Erde ein selbständiges Reich bildet und für sich das Reich des Idealen ist, wie wir uns den Himmel mit Engeln und den Seelen der Verstorbenen vorstellen oder wie der griechische Olymp vom Leben auf der Erde unterschieden ist, sondern alles ist auf Erden, und alles, was Macht hat, ist dem Kaiser unterworfen, und es ist dies einzelne Selbstbewusstsein, das auf bewusste Weise diese vollkommene Regentschaft führt.

Was das Mass betrifft, so sind es feste Bestimmungen, die Vernunft (Tao) heissen. Die Gesetze des Tao oder die Masse sind Bestimmungen, Figurationen, nicht das abstrakte Sein oder abstrakte Substanz, sondern Figurationen der Substanz, die abstrakter aufgefasst werden können, aber auch die Bestimmungen für die Natur und für den Geist des Menschen, Gesetze seines Willens und seiner Vernunft sind. – Die ausführliche Angabe und Entwicklung dieser Masse begriffe die ganze Philosophie und Wissenschaft der Chinesen. Hier sind nur die Hauptpunkte hervorzuheben.

Die Masse in der abstrakten Allgemeinheit sind ganz einfache Kategorien : Sein und Nichtsein, das Eins und Zwei, welches denn das Viele überhaupt ist. Diese allgemeinen Kategorien sind von den Chinesen mit Strichen bezeichnet worden : der Grundstrich ist die Linie ; ein einfacher Strich (-) bedeutet das Eins und die Affirmation : ja, der gebrochene (- -) Zwei, die Entzweiung und die Negation : nein. Diese Zeichen heissen Kua (die Chinesen erzählen, sie seien ihnen auf der Schale der Schildkröte erschienen). Es gibt vielfache Verbindungen derselben, die dann konkretere Bedeutungen von jenen ursprünglichen Bestimmungen haben. Unter diesen konkreteren Bedeutungen sind besonders die vier Weltgegenden und die Mitte, vier Berge, die diesen Weltgegenden entsprechen, und einer in der Mitte, fünf Elemente : Erde, Feuer, Wasser, Holz und Metall. Ebenso gibt es fünf Grundfarben, wovon jede einem Element angehört. Jede chinesische regierende Dynastie hat eine besondere Farbe, Element usw. : so gibt es auch fünf Grundtöne in der Musik ; fünf Grundbestimmungen für das Tun des Menschen in seinem Verhalten zu anderen. Die erste und höchste ist das Verhalten der Kinder zu den Eltern, die zweite die Verehrung der verstorbenen Voreltern und der Toten, die dritte der Gehorsam gegen den Kaiser, die vierte das Verhalten der Geschwister zueinander, die fünfte das Verhalten gegen andere Menschen.

Diese Massbestimmungen machen die Grundlage, die Vernunft aus. Die Menschen haben sich denselben gemäss zu halten ; was die Naturelemente betrifft, so sind die Genien derselben vom Menschen zu verehren.

Es gibt Menschen, die sich dem Studium dieser Vernunft ausschliesslich widmen, sich von allem praktischen Leben fernhalten und in der Einsamkeit leben ; doch ist es immer die Hauptsache, dass diese Gesetze im praktischen Leben gehandhabt werden. Wenn sie aufrechtgehalten sind, wenn die Pflichten von den Menschen beobachtet werden, so ist alles in Ordnung, in der Natur wie im Reiche ; es geht dem Reiche und den Individuen wohl. Dies ist ein moralischer Zusammenhang zwischen dem Tun des Menschen und dem, was in der Natur geschieht. Betrifft das Reich Unglück, sei es durch Überschwemmung oder durch Erdbeben, Feuersbrünste, trockene Witterung usw., so kommt dies allein daher, dass der Mensch nicht die Vernunftgesetze befolgt hat, dass die Massbestimmungen im Reiche nicht gut aufrechterhalten worden sind. Dadurch wird das allgemeine Mass zerstört, und es bricht solches Unglück herein. – Das Mass wird hier also als das Anundfürsichseiende gewusst. Dies ist die allgemeine Grundlage.

Das Weitere betrifft nur die Betätigung des Masses. Die Aufrechterhaltung der Gesetze kommt dem Kaiser zu, dem Kaiser als dem Sohne des Himmels, welcher das Ganze, die Totalität der Masse ist. Der Himmel als das sichtbare Himmelsgewölbe ist zugleich die Macht der Masse. Der Kaiser ist unmittelbar der Sohn des Himmels (Tien-tse), er hat das Gesetz zu ehren und demselben Anerkennung zu verschaffen. In einer sorgfältigen Erziehung wird der Thronfolger mit allen Wissenschaften und den Gesetzen bekannt gemacht. Der Kaiser erzeigt allein dem Gesetze die Ehre ; seine Untertanen haben ihm nur die Ehre zu erweisen, die er dem Gesetz erweist. Der Kaiser bringt Opfer. Dies ist nichts anderes, als dass der Kaiser sich niederwirft und das Gesetz verehrt. Ein Hauptfest unter den wenigen chinesischen Festen ist das des Ackerbaues. Der Kaiser steht demselben vor ; an dem Festtage pflügt er selbst den Acker ; das Korn, welches auf diesem Felde wächst, wird zum Opfer gebraucht. Die Kaiserin hat den Seidenbau unter sich, der den Stoff zur Bekleidung hergibt, wie der Ackerbau die Quelle aller Nahrung ist. – Wenn Überschwemmungen, Seuchen und dgl. das Land verwüsten und plagen, so geht das allein den Kaiser an ; er bekennt als Ursache des Unglücks seine Beamten und vorzüglich sich selbst : wenn er und seine Magistratspersonen das Gesetz ordentlich aufrechterhalten hätten, so wäre das Unglück nicht eingetreten. Der Kaiser empfiehlt daher den Beamten, in sich zu gehen und zu sehen, worin sie gefehlt hätten, so wie er selbst der Meditation und Busse sich hingibt, weil er nicht recht gehandelt habe. – Von der Pflichterfüllung hängt also die Wohlfahrt des Reiches und der Individuen ab. Auf diese Weise reduziert sich der ganze Gottesdienst für die Untertanen auf ein moralisches Leben ; die chinesische Religion ist so eine moralische Religion zu nennen (in diesem Sinne hat man den Chinesen Atheismus zuschreiben können). – Diese Massbestimmungen und Angaben der Pflichten rühren meistenteils von Konfuzius her : seine Werke sind überwiegend solchen moralischen Inhalts.

Diese Macht der Gesetze und der Massbestimmungen ist ein Aggregat von vielen besonderen Bestimmungen und Gesetzen. Diese besonderen Bestimmungen müssen nun auch als Tätigkeiten gewusst werden ; als Besonderes sind sie der allgemeinen Tätigkeit unterworfen, nämlich dem Kaiser, welcher die Macht der gesamten Tätigkeiten ist. Diese besonderen Mächte werden nun auch als Menschen vorgestellt, besonders sind es die abgeschiedenen Voreltern der existierenden Menschen ; denn der Mensch wird besonders als Macht gewusst, wenn er abgeschieden, d.h. nicht mehr in das Interesse des täglichen Lebens verwickelt ist. Derjenige kann aber auch als abgeschieden betrachtet werden, der sich selbst von der Welt ausscheidet, indem er sich in sich vertieft, seine Tätigkeit bloss auf das Allgemeine, auf die Erkenntnis dieser Mächte richtet, dem Zusammenhange des täglichen Lebens entsagt und sich von allen Genüssen fernhält ; dadurch ist der Mensch auch dem konkreten menschlichen Leben abgeschieden, und er wird daher auch als besondere Macht gewusst. – Ausserdem gibt es auch noch Geschöpfe der Phantasie, welche diese Macht innehaben : dies ist ein sehr weit ausgebildetes Reich von solchen besonderen Mächten. Sie stehen sämtlich unter der allgemeinen Macht, unter der des Kaisers, der sie einsetzt und ihnen Befehle erteilt. Dieses weite Reich der Vorstellung lernt man am besten aus einem Abschnitt der chinesischen Geschichte kennen, wie er sich in den Berichten der Jesuiten, in dem gelehrten Werke Mémoires concernant les Chinois findet. An die Einsetzung einer neuen Dynastie knüpft sich unter anderem die Beschreibung von dem Folgenden.

Ums Jahr 1122 v. Chr., eine Zeit, die in der chinesischen Geschichte noch ziemlich bestimmt ist, kam die Dynastie der Tschou [Zhou] zur Regierung. Wu-wang [Wuwang] war aus dieser der erste Kaiser ; der letzte der vorhergehenden Dynastie Tschou-sin [Zhou Xin] hatte wie seine Vorgänger schlecht regiert, so dass die Chinesen sich vorstellten, der böse Genius, der sich ihm einverleibt, habe regiert. Mit einer neuen Dynastie muss sich alles erneuen auf Erden und am Himmel ; dies wurde vom neuen Kaiser mit Hilfe des Generalissimus seiner Armee vollbracht. Es wurden nun neue Gesetze, Musik, Tänze, Beamte usf. eingeführt, und so mussten auch die Lebenden und die Toten vom Kaiser neue Vorsteher erhalten.

Ein Hauptpunkt war die Zerstörung der Gräber der vorhergehenden Dynastie, d.h. die Zerstörung des Kultus gegen die Ahnherrn, die bisher Mächte über die Famlien und über die Natur gewesen waren. Da nun aber in dem neuen Reiche Familien vorhanden sind, die der alten Dynastie anhänglich waren, deren Verwandte höhere Ämter, besonders Kriegsämter hatten, welche zu verletzen jedoch unpolitisch wäre, so musste ein Mittel gefunden werden, ihren verstorbenen Verwandten die Ehre zu lassen. Wu-wang führte dies auf folgende Weise aus. Nachdem in der Hauptstadt, Peking war es noch nicht, die Flammen gelöscht waren, Flammen, die der letzte Fürst hatte anzünden lassen, um den kaiserlichen Palast mit allen Schätzen, Weibern usf. zu vernichten, so war das Reich, die Herrschaft dem Wu-wang unterworfen und der Moment gekommen, dass er als Kaiser in die Kaiserstadt einziehen, sich dem Volk darstellen und Gesetze geben sollte. Er machte jedoch bekannt, dass er dies nicht eher könne, als bis zwischen ihm und dem Himmel alles auf angemessene Weise in Ordnung gebracht sei. Von dieser Reichskonstitution zwischen ihm und dem Himmel wurde gesagt, sie sei in zwei Büchern enthalten, die auf einem Berge bei einem alten Mister niedergelegt seien. Das eine enthalte die neuen Gesetze und das zweite die Namen und die Ämter der Genien, Schen genannt, welche die neuen Vorsteher des Reichs in der natürlichen Welt sind, so wie die Mandarine in der bewussten Welt. Diese Bücher abzuholen wurde der General des Wu-wang abgeschickt ; dieser war selbst schon ein Schen, ein gegenwärtiger Genius, wozu er es bei seinem Leben schon durch mehr als vierzigjährige Studien und Übungen gebracht hatte. Die Bücher wurden gebracht. Der Kaiser reinigt sich, fastete drei Tage ; am vierten Tage mit Aufgang der Sonne trat er in Kaiserkleidung hervor mit dem Buch der neuen Gesetze. Dies wurde auf dem Altar niederglegt, Opfer dargebracht und dem Himmel dafür gedankt. Hierauf wurden die Gesetze bekannt gemacht, und zur grössten Überraschung und Satisfaktion des Volkes fand es sich, dass sie ganz so waren wie die vorigen. Überhaupt bleiben bei einem Dynastienwechsel mit wenigen Abänderungen die alten Gesetze. Das zweite Buch wurde nicht geöffnet, sondern der General damit auf einen Berg geschickt, um es den Schen bekanntzumachen und ihnen zu eröffnen, was der Kaiser gebiete. Es war darin ihre Ein- und Absetzung enthalten. Es wird nun weiter erzählt, auf dem Berge habe der General die Schen zusammenberufen ; dieser Berg lag in dem Gebiete, aus dem das Haus der neuen Dynastie stammte. Die Abgeschiedenen hätten sich am Berge versammelt, höher oder niedriger nach dem Range, der General habe auf einem Thron in der Mitte gesessen, der zu diesem Behuf errichtet und herrlich geschmückt gewesen sei ; er sei geziert gewesen mit den acht Kua, vor demselben habe die Reichsstandarte und das Zepter, der Kommandostab über die Schen, auf einem Altar gelegen, ebenso das Diplom des alten Meisters, der dadurch den General bevollmächtigte, den Schen die neuen Befehle bekanntzumachen. Der General las das Diplom ; die Schen, die unter der vorigen Dynastie geherrscht hatten, wurden wegen ihrer Nachlässigkeit, welche Ursache des eingebrochenen Unglücks sei, für unwürdig erklärt, weiter zu herrschen, und ihres Amtes entlassen. Es wurde ihnen gesagt, sie könnten hingehen, wohin sie wollten, sogar ins menschliche Leben wieder eintreten, um auf diese Weise von neuem Belohnungen zu verdienen. Nun ernannte der abgeordnete Generalissimus die neuen Schen und befahl einem der Anwesende, das Register zu nehmen und es vorzulesen. Dieser gehorchte und fand seinen Namen zuerst genannt. Der Generalissimus gratulierte ihm, dass seine Tugenden diese Anerkennung erhalten hätten. Es war ein alter General. Sodann wurden die anderen aufgerufen, teils solche, die im Interesse der neuen Dynastie umgekommen waren, teils solche, die im Interesse der früheren Dynastie gefochten und sich aufgeopfert hatten. Unter ihnen besonders ein Prinz, Generalissimus der Armee der früheren Dynastie. Er war im Kriege ein tüchtiger und grosser General, im Frieden ein treuer und pünktlicher Minister gewesen und hatte der neuen Dynastie die meisten Hindernisse in den Weg gelegt, bis er endlich im Kriege umgekommen war. Sein Name war der fünfte, nachdem nämlich die Vorsteher über die vier Berge, welche die vier Weltteile und die vier Jahreszeiten vorstellten, ernannt waren. Als sein Amt sollte er die Inspektion über alle Schen, die mit dem Regen, Wind, Donner und den Wolken beauftragt waren, erhalten. Sein Name musste aber zweimal gerufen und ihm erst der Kommandostab gezeigt werden, ehe er nähertrat ; er kam mit einer verächtlichen Miene und blieb stolz stehen. Der General redete ihn an : "Du bist nicht mehr, was du unter den Menschen warst, bist nichts als ein gemeiner Schen, der noch kein Amt hat ; ich soll dir vom Meister eins übertragen, ehre diesen Befehl". Hierauf fiel der Schen nieder, und es wurde ihm eine lange Rede gehalten und er zum Chef jener Schen ernannt, welche das Geschäft haben, den Regen und Donner zu besorgen. So wurde nun sein Geschäft, Regen zur rechten Zeit zu machen, die Wolken zu zerteilen, wenn sie eine Überschwemmung verursachen könnten, den Wind nicht zum Sturm werden zu lassen und den Donner nur walten zu lassen, um die Bösen zu erschrecken und sie zu veranlassen, in sich zurückzukehren. Er erhielt vierundzwanzig Adjutanten, derer jeder seine besondere Inspektion bekam, welche alle vierzehn Tage wechselte ; unter diesen erhielten andere andere Departements. Die Chinesen haben fünf Elemente, - auch diese bekamen Chefs. Ein Schen bekam die Aufsicht über das Feuer in Rücksicht auf Feuersbrünste, sechs Schen wurden über die Epidemien gesetzt und erhielten den Auftrag, zur Erleichterung der menschlichen Gesellschaft sie zuweilen vom Überfluss an Menschen zu reinigen. Nachdem alle Ämter verteilt waren, wurde das Buch dem Kaiser wieder übergeben, und es macht noch den astrologischen Teil des Kalenders aus. Es erscheinen in China jährlich zwei Adresskalender, der eine über die Mandarine, der andere über die unsichtbaren Beamten, die Schen. Bei Misswachs, Feuersbrünsten, Überschwemmungen usf. werden die betreffenden Schen abgeschafft, ihre Bilder gestürzt und neue ernannt. Hier ist also die Herrschaft des Kaisers über die Natur eine vollkommen organisierte Monarchie.

Es gab unter den Chinesen auch schon eine Klasse von Menschen, die sich innerlich beschäftigten, die nicht nur zur allgemeinen Staatsreligion des Tien gehörten, sondern eine Sekte [bildeten], die sich dem Denken ergab, in sich zum Bewusstsein zu bringen suchte, was das Wahre sei. Die nächste Stufe aus dieser ersten Gestaltung der natürlichen Religion, welche eben war, dass das unmittelbare Selbstbewusstsein sich als das Höchste, als das Regierende weiss nach dieser Unmittelbarkeit, ist die Rückkehr des Bewusstseins in sich selbst, die Forderung, dass das Bewusstsein in sich selbst meditierend ist ; und das ist die Sekte des Tao. – Damit ist verbunden, dass diese Menschen, die in den Gedanken, das Innere zurückgehen, auf die Abstraktion des Gedankens sich legen, zugleich die Absicht hatten, unsterbliche, für sich reine Wesen zu werden, teils indem sie erst eingeweiht waren, teils indem sie die Meisterschaften, das Ziel erlangt [hatten], sich selbst für höhere Wesen, auch der Existenz, der Wirklichkeit nach, hielten.

Diese Richtung zum Innern, dem abstrahierenden reinen Denken, finden wir also schon im Altertum bei den Chinesen. Eine Erneuerung, Verbesserung der Lehre des Tao fällt in spätere Zeit, und diese wird vornehmlich dem Lao-tse [Laozi] zugeschrieben, einem Weisen, etwas älter, aber gleichzeitig mit Konfuzius und Pythagoras. Konfuzius ist durchaus moralisch, kein spekulativer Philosoph. Der Tien, diese allgemeine Naturmacht, welche Wirklichkeit durch die Gewalt des Kaisers ist, ist verbunden mit moralischem Zusammenhang, und diese moralische Seite hat Konfuzius vornehmlich ausgebildet.

Bei der Sekte des Tao ist der Anfang, in den Gedanken, das reine Element überzugehen. Merkwürdig ist in dieser Beziehung, dass in dem Tao, der Totalität, die Bestimmung der Dreiheit vorkommt. Das Eins hat das Zwei hervorgebracht, das Zwei das Drei, dieses das Universum. Sobald sich also der Mensch denkend verhielt, ergab sich auch sogleich die Bestimmung der Dreiheit. Das Eins ist das Bestimmungslose und leere Abstraktion. Soll es das Prinzip der Lebendigkeit und Geistigkeit haben, so muss zur Bestimmung fortgegangen werden. Einheit ist nur wirklich, insofern sie zwei in sich enthält, und damit ist die Dreiheit gegeben. Mit diesem Fortschritt zum Gedanken hat sich aber noch keine höhere geistige Religion begründet : die Bestimmungen des Tao bleiben vollkommene Abstraktionen, und die Lebendigkeit, das Bewusstsein, das Geistige fällt sozusagen nicht in den Tao selbst, sondern durchaus noch in den unmittelbaren Menschen. Für uns ist Gott das Allgemeine, aber in sich bestimmt ; Gott ist Geist, seine Existenz ist die Geistigkeit. Hier ist die Wirklichkeit, Lebendigkeit des Tao noch das wirkliche, unmittelbare Bewusstsein, dass er zwar ein Totes ist wie Lao-tse [Laozi], sich aber transformiert in andere Gestalten, in seinen Priestern legendig und wirklich vorhanden ist.

Wie Tien, dieses Eine, das Herrschende, aber nur diese abstrakte Grundlage, [und] der Kaiser die Wirklichkeit dieser Grundlage, das eigentlich Herrschende ist, so ist dasselbe der Fall bei der Vorstellung der Vernunft. Diese ist ebenso die abstrakte Grundlage, die erst im existierenden Menschen ihre Wirklichkeit hat.

c. Der Kultus
Kultus ist in der Religion des Masses eigentlich ihre ganze Existenz, da die Macht der Substanz sich in ihr selbst noch nicht zu fester Objektivität gestaltet hat und selbst das Reich der Vorstellung, soweit es sich in dem Reiche der Schen entwickelt hat, der Macht des Kaisers unterworfen ist, welcher selbst nur die wirkliche Betätigung des Substantiellen ist. Fragen wir daher nach dem Kultus im engeren Sinne, so ist nur noch das Verhältnis der allgemeinen Bestimmtheit dieser Religion zur Innerlichkeit und zum Selbstbewusstsein zu untersuchen.

Da das Allgemeine nur die abstrakte Grundlage ist, so bleibt der Mensch darin ohne eigentlich immanentes, erfülltes Inneres, er hat keinen Halt in sich. Halt hat er erst in sich, wenn die Freiheit, Vernünftigkeit eintritt, indem er das Bewusstsein ist, frei zu sein, und diese Freiheit als Vernunft sich ausbildet. Diese ausgebildete Vernunft gibt absolute Grundsätze, Pflichten, und der Mensch, der sich dieser absoluten Bestimmungen in seiner Freiheit, seinem Gewissen bewusst ist, wenn sie in ihm immanente Bestimmungen sind, hat erst in sich, seinem Gewissen einen Halt. Erst insofern der Mensch von Gott weiss als Geist und von den Bestimmungen des Geistes, sind diese göttlichen Bestimmungen wesentliche, absolute Bestimmungen der Vernünftigkeit, überhaupt dessen, was Pflicht in ihm und ihm seinerseits immanent ist.

Wo das Allgemeine nur diese abstrakte Grundlage überhaupt ist, hat der Mensch in sich keine immanente, bestimmte Innerlichkeit : darum ist alles Äusserliche für ihn ein Innerliches ; alles Äusserliche hat Bedeutung für ihn, Beziehung auf ihn, und zwar praktische Beziehung. Im allgemeinen Verhältnis ist dies die Staatsverfassung, das Regiertwerden von aussen.

Mit dieser Religion ist keine eigentliche Moralität, keine immanente Vernünftigkeit verbunden, wodurch der Mensch Wert, Würde in sich und Schutz gegen das Äusserliche hätte. Alles, was eine Beziehung auf ihn hat, ist eine Macht für ihn, weil er in seiner Vernünftigkeit, Sittlichkeit keine Macht hat. Daraus folgt diese unbestimmbare Abhängigkeit von allem Äusserlichen, dieser höchste, zufälligste Aberglaube.

Diese äussere Abhängigkeit ist überhaupt darin begründet, dass alles Besondere mit dem Allgemeinen, das nur abstrakt bleibt, nicht in inneres Verhältnis gesetzt werden kann. Die Interessen der Individuen liegen ausserhalb der allgemeinen Bestimmungen, die der Kaiser in Ausübung bringt. In Rücksicht auf die besonderen Interessen wird vielmeht eine Macht vorgestellt, die für sich vorhanden ist. Das ist nicht die allgemeine Macht der Vorsehung, die sich auch über die besonderen Schicksale erstreckt, das Besondere ist vielmehr einer besonderen Macht unterworfen. Das sind die Schen, und es tritt damit ein grosses Reich des Aberglaubens ein.

So sind die Chinesen in ewiger Furcht und Angst vor allem, weil alles Äusserliche eine Bedeutung, Macht für sie ist, das Gewalt gegen sie brauchen, sie affizieren kann. Besonders die Wahrsagerei ist dort zu Hause : in jedem Ort sind eine Menge Menschen, die sich mit Prophezeien abgeben. Die rechte Stelle zu finden für ihr Grab, die Lokalität, das Verhältnis im Raum – damit haben sie es ihr ganzes Leben zu tun. Wenn beim Bau eines Hauses ein anderes das ihrige flankiert, die Front einen Winkel gegen dasselbe hat, so werden alle möglichen Zeremonien vorgenommen und die besonderen Mächte durch Geschenke günstig gemacht. Das Individuum ist ohne alle eigene Entscheidung und ohne subjektive Freiheit.

Sekundärliteratur

Rudolf Franz Merkel : Da Hegel auf Grund seiner Quellen keine klare Vorstellung über die drei chinesischen Religionsformen Konfuzianismus, Buddhismus und Taoismus gewinnen konnte, so glaubte er, dass die scheusslichen Götzenbilder in den unzähligen Tempeln Darstellungen der Genien, Schen, seien. Religionsphilosophisch betrachtet er die chinesische Religion als 'Religion des Masses'. Die massvolle Harmonie bildet die Auswirkung des Tao, das auch im praktischen Leben die kosmische Ordnung erhält. Die Betätigung des Masses, die Ausstrahlung des Tao wird durch den Kaiser zur gesetzlichen Macht ; auch in den Ahnen und in den nur dem Tao hingegebenen Taoisten lebt diese geheimnisvoll-magische Kraft. Die Einführung des philosophischen Begriffs Tao gibt Hegel weiterhin die Veranlassung, auf Laozi näher einzugehen.

Lee Eun-jeung : Wenn Hegel die chinesische Religion als ‚Religion des Masses’ bezeichnet, liegt dies wohl vor allem daran, dass er dank seiner neuen Beschäftigung mit dem Taoismus auf die Bedeutung des Begriffs Tao im Denken der Chinesen gestossen ist. Er hält trotzdem weiterhin am Gedanken der 'Zauberei' fest und bleibt auch bei seiner philosophischen Konstruktion. Das Bild Hegels von China und vom Konfuzianismus wird im Laufe der Jahre zwar kompakter, doch wird immer mehr durch seine eigenen Vorstellungen von der orientalischen Gesellschaft geformt.

Günter Wohlfahrt : Hegel begreift die chinesische Religion als 'Religion des Masses'. Unter Massen versteht er dabei die 'Gesetze des Tao', wobei er im Anschluss an Abel-Rémusat, 'Tao' durch 'Vernunft', beziehungsweise durch 'Logos' übersetzt.
Hegels Ausführungen über die chinesische Religion schliessen mit den Worten : "Das Individuum ist ohne alle eigene Entscheidung und ohne subjektive Freiheit". Das Prinzip der Individualität ist für Hegel in der chinesischen Welt noch nicht erreicht ; dem Individuum fehlt die Unabhängigkeit. Der höhere Standpunkt der Freiheit des Individuums wird für ihn erst in der griechischen, und noch mehr in der christlichen Welt erreicht.

Liu Weijian : Hegel gelangt zum Ergebnis, dass das Tao im Gegensatz zum sowohl allgemeinen, wie auch in sich bestimmten Geist Gottes nur ein geistloses Prinzip ist. Mit diesen Argumenten stellt er Laozis Lehre als geistig unterentwickelt hin und wertet sie ab.
  • Document: Merkel, R[udolf] F[ranz]. Herder und Hegel über China. In : Sinica ; Jg. 17 (1942). (Merk2, Publication)
  • Document: Deutsche Denker über China. Hrsg. von Adrian Hsia. (Frankfurt a.M. : Insel Verlag, 1985). (Insel Taschenbuch ; 852). S. 141-154. (Hsia6, Publication)
  • Document: Liu, Weijian. Die daoistische Philosophie im Werk von Hesse, Döblin und Brecht. (Bochum : Brockmeyer, 1991). (Chinathemen ; Bd. 59). Diss. Freie Univ. Berlin, 1990. [Hermann Hesse, Alfred Döblin, Bertolt Brecht]. S. 27. (LiuW1, Publication)
  • Document: Lee, Eun-jeung. "Anti-Europa" : die Geschichte der Rezeption des Konfuzianismus und der konfuzianischen Gesellschaft seit der frühen Aufklärung : eine ideengeschichtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. (Münster : LIT Verlag, 2003). (Politica et ars ; Bd. 6). Habil. Univ. Halle-Wittenberg, 2003. S. 309-310. (LeeE1, Publication)
  • Person: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich
2 1833-1836 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich. Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie : Chinesische Philosophie [ID D17266].
Vorlesungen 1805/06, 1816/17 in Jena ; 1816/17 in Heidelberg ; 1818-1831 (6 mal) in Berlin.

Hegel schreibt : Es ist bei den Chinesen wie bei den Indern der Fall, daß sie einen großen Ruhm der Ausbildung haben, aber dieser sowohl wie die großen Zahlen ihrer Geschichte usf. haben sich durch bessere Kenntnis sehr herabgesetzt. Ihre große Ausbildung betrifft die Religion, Wissenschaft, Staatsverwaltung, Staatsverfassung, Poesie, das Technische von Künsten, den Handel usw. Wenn man aber die Staatsverfassung von China mit einer europäischen vergleicht, so kann dies nur geschehen in Ansehung des Formellen ; der Inhalt ist sehr verschieden. Ebenso ist es, wenn man indische Poesie mit europäischer vergleicht. Sie ist zwar glänzend, reich, ausgebildet wie die irgendeines Volkes ; der Inhalt der alten orientalischen Poesie, als bloßes Spiel der Phantasie betrachtet, erscheint von dieser Seite höchst glänzend ; aber in der Poesie kommt es auf den Inhalt an, es wird Ernst damit. Selbst die Homerische Poesie ist für uns nicht Ernst, deshalb kann solche Poesie bei uns nicht entstehen ; es ist nicht der Mangel an Genie – es gibt Genies derselben Größe –, aber der Inhalt kann nicht unser Inhalt sein. So kann auch die indische, orientalische Poesie der Form nach sehr entwickelt sein, aber der Inhalt bleibt innerhalb einer gewissen Grenze und kann uns nicht genügen. Bei den Rechtsinstitutionen, Staatsverfassungen usw. fühlt man sogleich, dass, wenn sie auch noch so konsequent formell ausgebildet sind, sie doch bei uns nicht stattfinden können, daß wir sie uns nicht würden gefallen lassen, daß sie statt Recht vielmehr eine Unterdrückung des Rechts sind. Dies ist zunächst eine allgemeine Bemerkung in Ansehung solcher Vergleichungen, insofern man sich durch die Form bestechen läßt, dergleichen dem Unsrigen gleichzusetzen oder gar vorzuziehen.

Das erste bei den Chinesen zu Bemerkende ist die Lehre des Konfutse, 500 Jahre vor Christi Geburt. Zu Leibniz' Zeiten hat die Philosophie des Konfuzius großes Aufsehen gemacht. Das ist Moralphilosophie. Seine Bücher sind bei den Chinesen die geehrtesten. Er hat Grundwerke, besonders geschichtliche, kommentiert. Seine anderen Arbeiten betreffen die Philosophie, es sind ebenfalls Kommentare zu älteren traditionellen Werken. Seine Ausbildung der Moral hat ihn indessen am berühmtesten gemacht; sie ist Autorität bei den Chinesen. Seine Lebensbeschreibung ist durch französische Missionare aus den chinesischen Originalwerken übersetzt. Hiernach hat er mit Thales ungefähr gleichzeitig gelebt. Er war eine Zeitlang Minister, ist dann in Ungnade gefallen, hat sein Amt verloren und unter seinen Freunden philosophierend gelebt, ist aber noch oft um Rat gefragt worden. Wir haben Unterredungen von Konfuzius mit seinen Schülern, es ist populäre Moral darin; diese finden wir allenthalben, in jedem Volke, und besser; es ist nichts Ausgezeichnetes. Konfuzius ist praktischer Weltweiser; spekulative Philosophie findet sich durchaus nicht bei ihm, nur gute, tüchtige, moralische Lehren, worin wir aber nichts Besonderes gewinnen können. Ciceros De officiis, ein moralisches Predigtbuch, gibt uns mehr und Besseres als alle Bücher des Konfutse. Aus seinen Originalwerken kann man das Urteil fällen, daß es für den Ruhm des Konfutse besser gewesen wäre, wenn sie nicht übersetzt worden wären.

Ein zweiter Umstand, der zu bemerken, ist, daß die Chinesen sich auch mit abstrakten Gedanken beschäftigt haben, mit reinen Kategorien. Das alte Buch Yi-king [Yi jing] (Buch der Prinzipien) dient hierbei zur Grundlage; es enthält die Weisheit der Chinesen, und sein Ursprung wird dem Fohi zugeschrieben. Die Erzählung, die von ihm dort vorkommt, geht ganz ins Mythologische und Fabelhafte, ist sinnlos. Die Hauptsache ist, daß ihm die Erfindung einer Tafel mit gewissen Zeichen, Figuren (Ho-tu) zugeschrieben wird, die er auf dem Rücken eines Drachenpferdes, als es aus dem Flusse stieg, gesehen habe. Sie enthält Striche, neben-und übereinander, diese sind Symbole, haben eine gewisse Bedeutung; und die Chinesen sagen, diese Linien seien die Grundlage ihrer Buchstaben wie auch ihres Philosophierens. Diese Bedeutungen sind ganz abstrakte Kategorien, die abstraktesten und mithin die oberflächlichsten Verstandesbestimmungen. Es ist allerdings zu achten, daß die reinen Gedanken zum Bewußtsein gebracht sind; es ist aber nicht weit damit gegangen, es bleibt bei den oberflächlichsten Gedanken. Sie werden zwar konkret, aber dies Konkrete wird nicht begriffen, nicht spekulativ betrachtet, sondern aus der gewöhnlichen Vorstellung genommen und nach der Anschauung, der gewöhnlichen Wahrnehmung davon gesprochen, so daß in diesem Auflesen der konkreten Prinzipien nicht ein sinniges Auffassen der allgemeinen natürlichen oder geistigen Mächte zu finden ist. Der Kuriosität wegen will ich diese Grundlage näher angeben. Die zwei Grundfiguren sind eine horizontale Linie (- , Yang) und der entzweigebrochene Strich, so groß wie die erste Linie (- -, Yin) : das erste das Vollkommene, den Vater, das Männliche, die Einheit, wie bei den Pythagoreern, die Affirmation darstellend, das zweite das Unvollkommene, die Mutter, das Weibliche, die Zweiheit, die Negation. Diese Zeichen werden hochverehrt : sie seien die Prinzipien der Dinge. Sie werden weiter miteinander verbunden, zuerst zu zweien ; so entstehen vier Figuren: ||, ¦|, |¦, ¦¦, |¦ [Linker Strich ist oben, rechter Strich ist unten]. der große Yang, der kleine Yang, der kleine Yin, der große Yin. Die Bedeutung dieser vier Bilder ist die Materie, die vollkommene und unvollkommene. Die zwei Yang sind die vollkommene Materie, und zwar der erste in der Bestimmung von jung und kräftig ; der zweite ist dieselbe Materie, aber als alt und unkräftig. Das dritte und vierte Bild, wo der Yin zugrunde liegt, sind die unvollkommene Materie, welche wieder die zwei Bestimmungen jung und alt, Stärke und Schwäche hat. Diese Striche werden weiter zu dreien verbunden ; so entstehen acht Figuren, diese heißen die Ku. |||, ¦||, |¦|, ||¦ usw., ¦¦|, ¦|¦, |¦¦, ¦¦¦. [Linker Strich ist oben, mittlerer Strich in der Mitte, rechter Strich unten]. Weiter zu vieren verbunden geben diese Striche 64 Figuren, welche die Chinesen für den Ursprung aller ihrer Charaktere halten, indem man zu diesen geraden Linien senkrechte und krumme in verschiedenen Richtungen hinzufügte). Ich will die Bedeutung dieser Kua angeben, um zu zeigen, wie oberflächlich sie ist. Das erste Zeichen, den großen Yang und den Yang in sich enthaltend ist der Himmel (Thien), der alles durchdringende Äther. (Der Himmel ist den Chinesen das Höchste, und es ist ein großer Streit unter den Missionaren gewesen, ob sie den christlichen Gott Thien nennen sollten oder nicht.) Das zweite Zeichen ist das reine Wasser (Tui), das dritte reines Feuer (Li), das vierte der Donner (Tschin), das fünfte der Wind (Siun), das sechste gemeines Wasser (Kan), das siebente die Berge (Ken), das achte die Erde (Kuen). Wir würden Himmel, Donner, Wind und Berge nicht in die gleiche Linie stellen. Man kann also hier eine philosophische Entstehung aller Dinge aus diesen abstrakten Gedanken der absoluten Einheit und Zweiheit finden. Den Vorteil haben alle Symbole, Gedanken anzudeuten und die Meinung zu erwecken, sie seien also auch dagewesen.

So fängt man mit Gedanken an, hernach geht's in die Berge ; mit dem Philosophieren ist es sogleich aus.
Im Schu-king [Shu jing] ist auch ein Kapitel über die chinesische Weisheit, wo die fünf Elemente vorkommen, aus denen alles gemacht sei: Feuer, Wasser, Holz, Metall, Erde. Das steht kunterbunt untereinander. Die erste Regel des Gesetzes ist im Schu-king, daß man die fünf Elemente nenne, die zweite die Aufmerksamkeit darauf. Auch diese würden wir ebensowenig als Prinzipien gelten lassen. Die allgemeine Abstraktion geht also bei den Chinesen fort zum Konkreten, obgleich nur nach äußerlicher Ordnung und ohne etwas Sinniges zu enthalten. Dies ist die Grundlage aller chinesischen Weisheit und alles chinesischen Studiums.

Dann gibt es aber noch eine eigentliche Sekte, die der Tao-sse, deren Anhänger nicht Mandarine und an die Staatsreligion angeschlossen, auch nicht Buddhisten, nicht lamaischer Religion sind. Der Urheber dieser Philosophie und der damit eng verbundenen Lebensweise ist Lao-tse [Laozi] (geboren am Ende des 7. Jahrhunderts vor Christus), älter als Konfuzius, da dieser mehr politische Weise zu ihm reiste, um sich bei ihm Rats zu erholen. Das Buch des Lao-tse [Laozi], Tao-te-king [Dao de jing], wird zwar nicht zu den eigentlichen Kings gerechnet, hat auch nicht die Autorität dieser ; es ist aber doch ein Hauptwerk bei den Tao-sse (Anhänger der Vernunft ; ihre Lebensweise, Tao-Tao : Richtung, Gesetz der Vernunft). Ihr Leben widmen sie dem Studium der Vernunft und versichern dann, daß derjenige, der die Vernunft in ihrem Grunde erkenne, die ganz allgemeine Wissenschaft, allgemeine Heilmittel und die Tugend besitze, daß er eine übernatürliche Gewalt erlangt habe, sich in den Himmel erheben, daß er fliegen könne und nicht sterbe.

Von Lao-tse [Laozi] selbst sagen seine Anhänger, er sei Buddha, der als Mensch immerfort existierende Gott geworden. Die Hauptschrift von ihm haben wir noch, und in Wien ist sie übersetzt worden ; ich habe sie selbst da gesehen. Eine Hauptstelle ist besonders häufig ausgezogen: "Ohne Namen ist Tao das Prinzip des Himmels und der Erde; mit dem Namen ist es die Mutter des Universums. Mit Leidenschaften betrachtet man sie nur in ihrem unvollkommenen Zustande; wer sie erkennen will, muß ohne Leidenschaft sein". Abel Rémusat sagt, am besten würde sie sich im Griechischen ausdrücken lassen : logos Aber was finden wir in diesem allem Belehrendes ?

Die berühmte Stelle, die von den Älteren oft ausgezogen ist, ist diese: "Die Vernunft hat das Eine hervorgebracht ; das Eine hat die Zwei hervorgebracht; und die Zwei hat die Drei hervorgebracht; und die Drei produziert die ganze Welt". (Anspielung auf die Dreieinigkeit hat man darin finden wollen.) "Das Universum ruft auf dem dunkeln Prinzip ; das Universum umfaßt das helle Prinzip" (oder auch: es wird von dem Äther umfaßt ; so kann man es umkehren da die chinesische Sprache keine Bezeichnung des Kasus hat, die Worte vielmehr bloß nebeneinanderstehen).

Eine andere Stelle: "Derjenige, den ihr betrachtet und den ihr nicht seht – er nennt sich I ; und du hörst ihn und hörst ihn nicht – und er heißt Hi ; du suchst ihn mit der Hand und erreichst ihn nicht – und sein Name ist Wei. Du gehst ihm entgegen und siehst sein Haupt nicht ; du gehst hinter ihm und siehst seinen Rücken nicht". Diese Unterschiede heißen "die Verkettung der Vernunft". Man hat natürlich bei der Anführung dieser Stelle an [...] und an den afrikanischen Königsnamen Juba erinnert, auch an Iovis. Dieses I-hi-wei oder I-H-W weiter bedeute einen absoluten Abgrund und das Nichts : das Höchste, das Letzte, das Ursprüngliche, das Erste, der Ursprung aller Dinge ist das Nichts, das Leere, das ganz Unbestimmte (das abstrakt Allgemeine) ; es wird auch Tao, die Vernunft, genannt. Wenn die Griechen sagen, das Absolute ist das Eine, oder die Neueren, es ist das höchste Wesen, so sind auch hier alle Bestimmungen getilgt, und mit dem bloßen abstrakten Wesen hat man nichts als diese selbe Negation, nur affirmativ ausgesprochen. Ist das Philosophieren nun nicht weiter gekommen als zu solchen Ausdrücken, so steht es auf der ersten Stufe.

Sekundärliteratur

Lee Eun-jeung : Für Hegel haben die Chinesen, die Orientalen überhaupt, keine Philosophie. Ihre philosophische Idee ist ihnen bloss religiöse Vorstellung. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn Hegel nicht in das Innere der konfuzianischen Gedankenwelt einzudringen, sondern vielmehr ihre Geistlosigkeit zu zeigen versucht. Er wählt das Yi jing aus, um zu zeigen, dass die Chinesen sich zwar mit abstrakten Gedanken, also mit reinen Kategorien beschäftigen, diese aber in Form von Linien nur bis zu den 'abstraktesten und oberflächlichsten Verstandsbestimmungen' gebracht haben. Damit ist für Hegel bewiesen, dass sie zwar die reinen Gedanken bis zum Bewusstsein gebracht haben, aber nicht weit genug damit gegangen sind. Die Tatsache, dass Konuzius zu Leibniz’ Zeiten viel Aufsehen erregt hatte, erklärt Hegel mit der damaligen Unkenntnis des Moralystems von Konfuzius. Konfuzius habe durch die Bekanntwerdung seines Moralsystems in Europa viel von seinem Ruhm eingebüsst. Hegel weist lediglich auf die (schlechte) Übersetzung des Lun yu von Joshua Marshman hin, die früheren Übersetzungen von Couplet oder Noël werden nicht erwähnt.
Während Hegel in der ersten Vorlesung über die Philosophie der Geschichte haupsächlich die religiösen Eigenschaften des chinesisch-konfuzianischen Denkens und Handelns deskriptiv darlegt, konzentriert er sich in den späteren Vorlesungen darauf, das in dieser Staatsreligion gegründete Verhältnis zwischen Himmel, Kaiser und Untertanen in seine geschichtsphilosophische Konstruktion einzufügen. Nach seiner Ansicht muss in China die Staatsreligion von der Privatreligion geschieden werden. Indem Hegel in den vier jahreszeitlichen Zeremonien am Hof eine unmittelbare Verbindung zwischen Kaiser und Himmel sieht, schliesst er in seinen späteren Vorlesungen zusätzlich aus, dass sich auch die Individuen dem Himmel nähern können. Da nur der Kaiser in Verbindung mit dem Himmel steht, bedeutet das für ihn, dass der Himmel für die Dinge auf Erden nicht zuständig ist.

Günter Wohlfart : Am ausführlichsten behandelt Hegel Laozi in der Geschichte der Philosophie. Er kommt auf Laozi Kapitel 42 zu sprechen, um anschliessend ausgehend von Kapitel 14 theologische Spekulationen Abel-Rémusats zu referieren, der bekanntlich bei Laozi deutliche Spuren des gheiligten Namens Johova gefunden haben wollte, von dem Laozi in Palästine Kunde erhalten haben soll. Diese äusserst abwegige und zu weit hergeholte These hat später unter anderem Victor von Strauss beeinflusst, obgleich Schelling bereits gesagt hat, dass sich dies nicht als wahr erwiesen hat.
Hegel hat trotz aller, selbst bei flüchtiger Betrachtung beziehungsweise bei begrenzter Kenntnis in die Augen springender Ähnlichkeiten zwischen Heraklit und Laozi eine Gleichwertigkeit beider offenbar gar nicht in Betracht gezogen und selbst einen Vergleich beider, ebenso wie den Vergleich chinesischer Philosophie mit der elatischen Philosophie weit von sich gewiesen. Die Gründe dafür sollten nicht bloss in einer negativen Voreingenommenheit des Zeitgeistes gegen die chinesische Kultur gesehen werden. Über die wohl recht engen Grenzen der Textkenntnis des Laozi hinweg, hat Hegel einen grundlegenden Unterschied in der Gedankenstellung im Laozi gesehen – oder vielleicht auch nur geahnt. Sie verbot es ihm, in Laozi wie in Heraklit – die 'bleibende Idee' zu sehen, die alles Philosophieren, das heisst am Ende auch sein eigenes, durchherrscht.

Cited by (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2000- Asien-Orient-Institut Universität Zürich Organisation / AOI
  • Cited by: Huppertz, Josefine ; Köster, Hermann. Kleine China-Beiträge. (St. Augustin : Selbstverlag, 1979). [Hermann Köster zum 75. Geburtstag].

    [Enthält : Ostasieneise von Wilhelm Schmidt 1935 von Josefine Huppertz ; Konfuzianismus von Xunzi von Hermann Köster]. (Huppe1, Published)