Heidegger, Martin. Das Ding [ID D19797].
Laozi schreibt in Kap. 11 des Dao de jing übersetzt von Richard Wilhelm : 'Dreissig Speichen umgeben eine Nabe. In ihrem Nichts besteht des Wagens Werk. Man höhlet Ton und bildet ihn zu Töpfen : In ihrem Nichts besteht der Töpfe Werk. Man gräbt Türen und Fenster, damit die Kammer werde : In ihrem Nichts besteht der Kammer Werk. Darum : was ist, dient zum Besitz, Was nicht ist, dient zum Werk'. Victor von Strauss übersetzt : 'Gemäss seinem Nicht-sein ist des Gefässes Gebrauch'.
Heideger sagt : 'Wand und Boden, woraus der Krug besteht und wodurch er steht, sind nicht das eigentlich Fassende. Wenn dies aber in der Leere des Kruges beruht, dann verfertigt der Töpfer, der auf der Drehscheibe Wand und Boden bildet, nicht eigentlich den Krug. Er gestaltet nur den Ton. Nein – er gestaltet die Leere. Für sie, in sie und aus ihr bildet er den Ton ins Gebild. Der Töpfer fasst zuerst und stets das Unfassliche der Leere und stellt sie als das Fassende in die Gestalt des Gefässes her. Die Leere des Kruges bestimmt jeden Griff des Herstellens. Das Dinghafte des Gefässes beruht keineswegs im Stoff, daraus es besteht, sondern in der Leere, die fasst.'
Otto Pöggeler : Der Vortrag wurde im Kreise von Werner Heisenberg und den Brüdern Jünger gehalten. Eine längere Diskussion mit Studenten führte hin zu Laozi, obwohl dessen Name nicht mit dem Beispiel des Kruges verbunden worden war.
Heidegger zeigte nun, dass bei einem Krug nicht ein 'Sein' das Entscheidende ist, das man etwa als 'Form' vom Krug abnimmt, sondern die 'Leere', mit der der Krug fasst, für die alle Form brauchbar sein muss. Mit dieser Leere, diesem Nichts, fasst der Krug und schenkt der Krug : das Wasser, den Wein. Wasser und Wein sind dem Leben notwendig ; der Opferguss kann die Welt in eine heilige verwandeln. So gehört die Erde mit dem Himmel zusammen, der die Weintraube aus der Erde herauslockt ; die Sterblichen verstehen sich vom Heiligen und von den Göttlichen her. Ein Ding, wie der Krug eines ist, versammelt Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen in ihr 'Geviert'. Gerade diese Sicht des Kruges von seiner Leere und nicht vom ‚Sein’ her wird durch den 11. Spruch des Laozi gestützt, der die Brauchbarkeit des Kruges in der Angemessenheit seiner fassenden Leere findet.
Walter Strolz : In einer Besinnung auf das Wesen des Dings gibt Heidegger eine Phänomenologie des Kruges als Gefäss. Es ist weder eine ästhetische noch eine Betrachtung mit kunstphilosophischer Absicht. Der Text steht im geschichtlichen Zusammenhang des Geschehens, das mit dem Abwurf der ersten Atombombe eingeleitet wurde und nach Heidegger als die bisher gefährlichste Auswirkung der wissenschaftlich-technischen Objektivierung der Natur zu verstehen ist. Diese Denkweise gehört in ihrer eigenen Möglichkeit und neuzeitlichen Machtentfaltung zur Geschichte der 'Seinsvergesenheit', die mit der fortschreitenden Entmachtung der Physis zusammenfällt. Für Heidegger ist die Notwendigkeit der Rückkehr zu einem anderen Anfang die denkerische Antwort auf diese geschichtliche Lage. Die Ding-Besinnung ist ein Teil dieser Blickbahn. Am Beispiel des Kruges vergegenwärtigt Heidegger, was es bedeutet, das Ding als Ding zu verstehen, das heisst aber, es aus seinem Gegenstandsbezug für ein erkennendes Subjekt zu befreien, das Ding es selbst sein zu lassen, anstatt in ihm immer nur den Gegenstand eines vorstellenden Selbstbewusstseins zu sehen. Der Krug ist im landläufigen Verständnis ein hergestellter Gegenstand und sonst nichts. Wie aber steht es mit der Möglichkeitsbedingung dieses Herstellens ? Beruht sie nur im Vorhandensein des Tons und in der Fähigkeit des Töpfers, ihn zu formen ? Ist der Krug nur ein Gegenstand des Kunsthandwerks ? Wird dieses Ding also nur durch die den vorhandenen Ton gestaltende Hand des Menschen zu einem festen Gebilde aus Wand und Boden ? Erhält es nur durch sie Stand und Fassungskraft ?
Graham Parkes : In response to 'the annihilation of things as things' that scientific knowledge has promoted, Heidegger undertakes an extended consideration of what a particular thing, a jug, is in its thingness, as a thing. The jug comes from the 11th chapter of the Laozi, where together with two other things hat require emptiness in order to function (a cartwheel and a room) it works as an image of 'dao'. What is for Heidegger essential to the jug, the emptiness it encloses, is a phenomenon that science, which always focuses on something rather than nothing, is unable to explain. Science only tells us, unhelpfully, that the apparent emptiness is actually full of air. But Heidegger pursues his discussion of the jug's emptiness further, delineating its relations to its context, to the point where the thing is deen to 'gather the fourfold' of heaven and earth, gods and mortals. In bringing about the fourfold, moreover, 'the thing things world'. Here we arrive at a perfectly daoist undertstanding of the thing in the world as 'de' in the context of dao, a particular focus of energies in the larger force-field of the universe, in and through which the whole can be sidcerned.
Philosophy : Europe : Germany