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1 | 1920.6.1 |
Weber, Max. Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen : Konfuzianismus und Taoismus
VII. Orthodoxie und Heterodoxie (Taoismus) Volltext (1) Der offizielle chinesische Staatskult diente, wie überall, nur den Gemeinschaftsinteressen, der Ahnenkult Interessen der Sippe. Rein individuelle Interessen blieben bei beiden außer Spiel. Die zunehmende Verunpersönlichung der großen Naturgeister, die Reduktion ihres Kultes auf das amtliche Ritual, die Entleerung dieses Rituals von allen emotionalen Elementen, endlich seine Gleichsetzung mit bloßen gesellschaftlichen Konventionen: – Alles das Werk der vornehm gebildeten Intellektuellenschicht, – ließen die typischen religiösen Bedürfnisse der Massen ganz beiseite. Der stolze Verzicht auf das Jenseits und auf individuelle religiöse Heilsgarantien im Diesseits waren nur innerhalb einer vornehmen Intellektuellen-Schicht durchführbar. Daß diese Stellungnahme durch den Einfluß der klassischen Lehre, als einzigen Unterrichtes überhaupt, auch den Nichtmandarinen oktroyiert wurde, konnte jene Lücke nicht ausfüllen. Es ist nicht gut denkbar, daß erst in der Zeit bald nach Konfuzius, wo plötzlich Funktionsgötter aller Art und dann weiterhin vergöttlichte Heroen literarisch zuerst auftauchen, ein Prozeß der Bildung solcher Göttergestalten auch erstmalig begonnen habe. Denn diese Bildungen sind überall sonst gerade früheren Stadien: gewisse typische Funktionsgötter ('Herren') des Donners, der Winde usw. der Religion der Bauernschaft, vergöttlichte Helden der, damals in China schon vergangenen, Epoche feudalen Heldenkampfes eigen. Nur die starke Spezialisierung und Fixierung der Funktionsgötter, bis hinab zur Abtrittsgöttin, dürfte, wie die gleichartige Spezialisierung der Numina in Rom, erst Produkt des in China unter der Herrschaft der Bureaukratie zunehmenden kultischen Konventionalismus gewesen sein. Und nur für die Feststellbarkeit der Persönlichkeit eines historischen Menschen als Gegenstand eines Kultes ist die Kanonisierung des Konfuzius das erste sichere Beispiel. In der zweideutigen offiziellen Terminologie und mehr noch in bildlichen Darstellungen lassen zahlreiche Züge den Himmelsgott als ein ursprünglich persönlich gedachtes Wesen erkennen: wir sahen ja, daß erst das 12. Jahrhundert unserer Aera den (materialistisch bedingten) Abschluß der Verunpersönlichung brachte. Für die Massen, welchen zu dem verunpersönlichten höchsten Wesen des Staatskultes der direkte Zutritt in Gebet und Opfer versperrt war, scheint der urwüchsige 'Herr des Himmels', später mit Geburts-, Regierungs-, Einsiedelei- und Himmelfahrtslegenden ausgestattet, immer weitergelebt und im Hauskult verehrt worden zu sein, natürlich von seiten der Träger des amtlichen Himmelskultes ignoriert. Ebenso werden sicher andere der in der Neuzeit bekannten, vom offiziellen Kult ignorierten, vom Konfuzianismus nur unter die Schar der 'Geister' gerechneten Volksgottheiten sehr alte Funktionsgötter sein. Dem schwierigen Problem des Verhältnisses des ursprünglichen und späteren Charakters dieser Gottheiten freilich (Frage der Stellung des »Animismus«) und der Art der Auffassung der wundertätigen Naturobjekte und Artefakte (Frage der Stellung des 'Fetischismus') könnte nur ein Fachmann überhaupt näher kommen. Sie hat uns aber hier nicht zu beschäftigen. Uns soll vielmehr der Zwiespalt zwischen der Stellungnahme der Amtskirche und der unklassischen Volksreligion unter dem Gesichtspunkte interessieren: ob die letztere etwa Quelle einer abweichend orientierten Lebensmethodik werden konnte und geworden ist. Dies könnte so scheinen. Denn die Kulte der meisten Volksgottheiten galten, soweit sie nicht buddhistischen Ursprungs waren, als Angelegenheit einer vom Konfuzianismus und der von ihm beherrschten Heilsanstalt immer wieder als Heterodoxie behandelten Richtung, welche, wie die konfuzianisch orientierte Gnadenanstalt selbst, einerseits Kult- (und Zauber-) Praxis, andrerseits aber auch: Lehre, war. Es wird bald von ihr zu reden sein. Zunächst aber scheint es nützlich, das grundsätzliche Verhältnis der alten Volksgötter zur ethischen Lehre des Konfuzianismus uns weiter zu verdeutlichen. Nehmen wir dazu das uns nächstliegende Beispiel: die Beziehung der hellenischen, schulmäßig philosophischen Sozialethik zu den alten hellenischen Volksgöttern, so ist auch da die prinzipiell allen vornehmen Intellektuellenschichten aller Zeiten gegenüber dem historisch gegebenen massiven Volksglauben gemeinsame Verlegenheitssituation zu beobachten. Der hellenische Staat ließ metaphysischen und sozialethischen Spekulationen freien Raum. Er verlangte nur Innehaltung der überlieferten kultischen Pflichten, deren Vernachlässigung Unheil über die Polis als solche bringen konnte. Die ihrer spezifisch sozialethischen Orientierung nach dem Konfuzianismus entsprechenden griechischen Philosophenschulen ließen, in ihren Hauptvertretern der klassischen Zeit, die Götter der Sache nach ebenso dahingestellt, wie die chinesischen Intellektuellen der konfuzianischen Schule dies taten. Sie machten die nun einmal überkommenen Riten mit, im ganzen ähnlich, wie dies die vornehmen Intellektuellenkreise in China taten und im allgemeinen auch bei uns tun. Aber in einem Punkt bestand ein bedeutsamer Unterschied. Der konfuzianischen Redaktion der klassischen Literatur war es geglückt: – vielleicht war dies, wie schon einmal angedeutet, die wichtigste Leistung des Konfuzius –, nicht nur diese Volksgottheiten selbst, sondern auch alles für ihren eigenen ethischen Konventionalismus Anstößige aus der kanonisierten Literatur pädagogisch auszumerzen. Man braucht nur Platons berühmte Auseinandersetzung mit Homer in der Politeia zu lesen, um zu erkennen: wie gern die Sozialpädagogik der klassischen hellenischen Philosophie das gleiche getan hätte. Auch für Homer war im ethisch rationalen Staat kein Platz. Aber Homer war eine ungeheure und als klassisch geltende Macht in der überkommenen ritterlichen Erziehung. Es war ganz aussichtslos, in der kriegerischen Polis ihn und seine Heldengötter zu einer von Amts wegen und in der Erziehung ignorierten Rolle herabzudrücken und eine reine Literatenherrschaft auf der Basis einer ethisch purifizierten Literatur (und Musik) aufzurichten, wie dies der Patrimonialismus in China in seinem politischen Interesse, wie wir sahen, durchsetzte. Es konnte ferner, auch als die Domestikation der Polis im befriedeten Weltreich die rein politischen Hemmungen dafür beseitigt hatte, keiner der nebeneinander stehenden Philosophenschulen gelingen, zu ausschließlicher kanonischer Geltung zu gelangen, wie dies der Konfuzianismus für sich in China erreichte. Denn dies ist die Analogie: die Rezeption als allein korrekte Staatsphilosophie – so also, als ob die Cäsaren die Stoa allein toleriert und nur Stoiker in Aemter berufen hätten. Dies war im Okzident um deswillen unmöglich, weil keine Philosophenschule jene Legitimität des absoluten Traditionalismus für sich in dem Sinne in Anspruch nahm und in Anspruch nehmen konnte, wie Konfuzius es für seine Lehre zu tun in der Lage war und höchst absichtsvoll tat. Aus diesem Grunde vermochten sie auch politisch einem Weltherrscher und seinen Beamten nicht das gleiche zu leisten wie die konfuzianische Lehre. Sie alle waren ja, ihrer innersten Eigenart nach, an den Problemen der freien Polis orientiert: 'Bürger'-Pflichten, nicht 'Untertanen'-Pflichten war ihr Grundthema. Es fehlte die innere Verknüpfung mit altgeheiligten religiösen Pietätsgeboten solcher Art, wie sie in den Dienst des Legitimitätsinteresses eines Patrimonialherrschers hätten gestellt werden können. Und dem Pathos gerade der politisch einflußreichsten von ihnen lag jene absolute Weltanpassung und jene Ablehnung bedenklicher metaphysischer Spekulationen ganz fern, welche den Konfuzianismus den chinesischen Machthabern so dringend empfehlen mußte. Die Stoa blieb bis auf die Antonine die Lehre der opportunitätsfeindlichen Opposition und erst das Schwinden dieser nach Tacitus ermöglichte ihre Annahme durch diese Kaiser. Dies war die ideengeschichtlich wohl wichtigste Folge der Eigenart der antiken Polis.So blieb die Spannung der philosophischen Lehre und Sozialethik gegen den volkstümlichen Kult im vorchristlichen Okzident in dem Sinne bestehen: daß der (entsprechend weiterentwickelte) Kult der alten »homerischen« Helden- und Volksgötter die offizielle Institution, die Lehre der Philosophen aber unverbindliche Privatangelegenheit war: – genau umgekehrt wie in China, wo eine kanonische Lehre und von ihr kanonisierte religiöse Staatsriten neben Göttern bestanden, deren Kult eine teils, wie wir sehen werden, nur offiziös gepflegte, teils nur geduldete, teils mit Mißtrauen angesehene Privatangelegenheit blieb. Solche nicht offiziell anerkannten, teilweise verdächtigen, Privatkulte gab es natürlich, neben dem offiziellen Götterkult, auch im antiken Okzident, und ein Teil von ihnen zeichnete sich durch den Besitz einer eigenen Soteriologie und einer durch diese bestimmten Ethik aus, vom Pythagoräismus angefangen bis zu den Erlöserkulten der Kaiserzeit. Das gleiche war bei manchen nicht offiziellen Kulten in China der Fall. Aber während im Okzident die Entwicklung zu jenem welthistorischen Bündnis einer dieser soteriologischen Gemeinschaften: des Christentums, mit der Amtsgewalt führte, welches noch heute nachwirkt, verlief die Entwicklung in China anders. Es konnte einige Zeit scheinen: – wir reden davon später gesondert –, als ob der Buddhismus dort eine ähnliche Rolle spielen sollte, nachdem er von den Kaisern in aller Form rezipiert worden war. Indessen die schon angedeuteten Interessen: der Widerstand der konfuzianischen Bureaukratie, merkantilistische und Währungsinteressen und schließlich eine gewaltige Katastrophe beschränkte ihn auf die Stelle eines (immerhin einflußreichen) geduldeten Kultbetriebes neben anderen. Und vor allem war in China sein Einfluß gerade in dem uns hier besonders interessierenden Punkte: der Wirtschaftsgesinnung, wie wir später sehen werden, relativ gering. Die meisten alten Volksgottheiten aber, vermehrt um eine ganze Schar von Neuschöpfungen, sind in China unter die Patronage einer geduldeten Priesterschaft geraten, welche ihren Ursprung auf eine Philosophengestalt und eine Lehre zurückführen zu dürfen behauptet, deren ursprünglich nicht prinzipiell abweichender Sinn in Gegensatz geriet zu dem des Konfuzianismus und schließlich als durchaus heterodox galt. Wir können einen Blick auf diese Heterodoxie nicht umgehen.Individuelle mystische oder asketische Heilssuche, wie sie in Indien aus den Schichten der priesterlich nicht gebundenen Laienbildung, zumal des vedisch geschulten oder doch halbgebildeten Adels, hervorquoll, war ein dem (klassischen) Konfuzianismus gänzlich fremdes Interesse. Sie hatte im chinesischen Beamtenrationalismus ganz natürlich ebensowenig eine Stätte, wie sie jemals der Lebensführung irgendeiner Bureaukratie entsprochen hat.Anachoreten hat es, nicht nur nach Tschung Tse, sondern auch nach den erhaltenen Bildwerken und nach dem eigenen Zugeständnis der Konfuzianer, in China seit alter Zeit immer gegeben. Es finden sich selbst Notizen, welche zu der Annahme führen könnten: die Helden und Literaten hätten ursprünglich als Altersstadium ein Waldleben in der Einsamkeit geführt. In einer reinen Kriegergesellschaft war in der Tat oft der 'Alte', als wertlos, der Aussetzung preisgegeben, und es ist schon möglich, daß daher diese »Altersklassen« der Anachoreten sich zunächst aus ihnen rekrutierten. Indessen das sind unsichere Vermutungen: in historischer Zeit war eine Vanaprastha-Existenz der Alten nie, wie in Indien, als normal angesehen. Immerhin: nur die Zurückziehung von der 'Welt' schuf Zeit und Kraft für das Denken ebenso wie das mystische Fühlen, – Konfuzius ebenso wie sein Widerpart: Lao tse lebten allein und ohne Amt. Der Unterschied war nur, daß die Mystiker, – Lao tse ebenso wie Tschung Tse – das Amt im Interesse der eigenen Heilssuche ablehnten, Konfuzius es entbehrte. Auch für politisch erfolglose Literaten galt dies Anachoretentum als normale Form des Ausscheidens aus der Politik, statt Selbstmord oder Antrag auf Bestrafung. Ein Teilfürstenbruder, Tschong yong, in U, geht in die Einsiedelei. Und auch von einem erfolgreichen Kaiser: Hwang ti, berichtet Tschung, daß er abdiziert habe und Anachoret geworden sei. Das 'Heilsziel' der alten Anachoreten darf man sich nur als 1. makrobiotisch, – 2. magisch orientiert denken: langes Leben und magische Kräfte waren das Ziel der Meister und der, in kleiner Zahl, bei ihnen weilenden und sie bedienenden Jünger. Aber daran anschließend konnte sich eine 'mystische' Einstellung zur Welt und eine auf ihr ruhende Philosophie bilden und hat dies getan. Der Weise kann nur die aus der Welt, insbesondere weltlichen Würden und Aemtern, ausgeschiedenen Anachoreten etwas lehren, – erhält Kaiser Hwang ti zur Antwort. Sie sind die »Gelehrten die zu Hause sitzen«, d.h. kein Amt annahmen: der spätere Gegensatz gegen die konfuzianischen Amtsanwärter deutet sich hier schon an. Die 'Philosophie' des Anachoretentums ging darüber weit hinaus. Wie aller genuinen Mystik war die absolute Weltindifferenz das selbstverständliche, auch – nicht zu vergessen – das makrobiotisch wichtige Ziel. Und Lebensverlängerung war, wie gesagt, eine Tendenz des Anachoretentums. Wichtig unter diesem Gesichtspunkt schien nun, nach der primitiven »Metaphysik«, vor allem: sparsames und rationales Umgehen ('Wirtschaften', möchte man sagen) mit dem offensichtlichen Träger des Lebens: dem Atem. Die physiologisch feststellbare Tatsache, daß Atemregulierung Gehirnzustände spezifischer Art begünstigen kann, führte weiter. Der 'Heilige' soll 'weder tot noch lebend' sein, sich so verhalten, als lebte er nicht: – 'ich bin ein dummer (also: der Weltklugheit entronnener) Mensch', sagt Laotse zur Erhärtung seiner Heiligkeit, und Tschuang Tse wollte sich nicht (durch ein Amt) 'Zügel anlegen' lassen, sondern lieber »wie ein Schwein im schlammigen Graben« existieren. 'Sich dem Aether gleichmachen', 'den Körper abwerfen', wurde das Ziel. Ob indische Einflüsse auf die ziemlich alte Erscheinung eingewirkt haben, darüber sind die Fachleute verschiedener Ansicht. Spurlos scheinen sie nicht bei dem berühmtesten dieser aus dem Amt geflüchteten Anachoreten, dem, wenn die Tradition recht hat, älteren Zeitgenossen des Konfuzius: Laotse.Er geht uns hier nicht als Philosoph an, sondern in seiner soziologischen Stellung und Wirkung. Der Gegensatz gegen den Konfuzianismus tritt schon in der Terminologie hervor. Den harmonischen Zustand, der dem charismatischen Kaiser eignet, kennzeichnet Tsetse, der Enkel des Konfuzius, im Tschung yung als Gleichgewichtszustand, – in den durch Laotse beeinflußten oder sich als ihm anhängend ausgebenden Schriften heißt er: Leere (hu) oder Nichtssein (wu), erreichbar durch 'Wu wei' (Nichtstun) und puh yen (Nichtssagen): ersichtlich typisch mystischen, keineswegs nur chinesischen, Kategorien. Nach konfuzianischer Lehre ist das Li: die Zeremonialregeln und Riten, das Mittel zur Erzeugung des Tschung, – nach der Ansicht der Mystiker waren sie völlig wertlos. Sich so verhalten, als hätte man keine Seele, dadurch die Seele von den Sinnen zu befreien, – das ist die innere Haltung, die allein zur Gewalt des Tao-schi (gewissermaßen: Tao-Doktors) führen kann. Leben ist gleich dem Besitz eines 'schen', also Makrobiotik gleich der Pflege des schen, – dies lehrt das dem Laotse zugeschriebene Tao te king ganz in Uebereinstimmung mit den Konfuzianern. Nur die Mittel waren eben verschieden, der makrobiotische Ausgangspunkt aber der gleiche.Die uns schon wiederholt begegnete Grundkategorie: »Tao«, nach der sich später die Heterodoxie als 'Taoisten' von den Konfuzianern schied, war beiden Schulen, überhaupt: allem chinesischen Denken, dauernd gemeinsam. Ebenso alle alten Götter, – während allerdings der 'Taoismus' das Pantheon um zahlreiche der Orthodoxie als unklassisch geltende Gottheiten, wesentlich durch Apotheose von Menschen: – eine Umbiegung der Makrobiotik, – bereichert hat. Gemeinsam beiden war auch die klassische Literatur, – nur daß bei den Heterodoxen Laotse's Tao te king und die Schriften Tschuangs dazutraten, die von den Konfuzianern als unklassisch abgelehnt wurden. Auch Konfuzius selbst aber hat – worauf de Groot großen Nachdruck legt – die Grundkategorien der Gegner, auch das Wu wei (laissez faire) nicht abgelehnt und offenbar gelegentlich der Lehre von dem magischen Charisma des im Tao vollendeten Nichtstuenden nahe gestanden. Gehen wir dem Gegensatz etwas weiter nach. Der Konfuzianismus hatte alle ekstatischen und orgiastischen Reste aus dem Kult beseitigt und lehnte sie, wie der römische Amtsadel, als würdelos ab. Aber die magische Praxis hatte Ekstase und Orgiasmus hier wie überall gekannt. Die Wu (Männer oder Weiber) und Hih (Männer), die alten Medizinmänner und Regenmacher existieren bis in die Gegenwart und finden sich zu allen Zeiten literarisch erwähnt. Bei Tempelfesten waren sie noch zuletzt ekstatisch tätig; ursprünglich nahmen sie die magische 'Kraft', dann den 'Geist', dann den 'Gott' in sich auf und wirkten durch ihn. Die Wu und Hih präsentierten sich später (und galten bis zur Gegenwart) als 'taoistisch'. Aber im Anfangsstadium war es die nicht orgiastische – von ihnen sicher als würdelos abgelehnte, – sondern umgekehrt: die apathische Ekstase, welche Laotse und seine vornehmen Schüler suchten, wie alle Intellektuellen als Mystiker dies tun. Erst später, – wir werden sehen: wie – einigte sich die Gesamtheit der Magier, sich selbst als 'taoistische' Nachfolger Laotse's anzusehen, ihn als ihren Archegeten, weil er eben: Literat war oder dafür galt. In ihrer vollen Diesseitigkeit, ihrer Makrobiotik, waren diese Mystiker eher noch radikaler als die Konfuzianer. Doch worin bestanden die beiderseitigen Zentrallehren und Unterschiede? Die Heterodoxie wird gern als 'Taoismus' bezeichnet. 'Tao' ist an sich ein orthodox konfuzianischer Begriff: die ewige Ordnung des Kosmos und zugleich dieser Ablauf selbst: eine in aller nicht dialektisch durchgeformten Metaphysik häufige Identifikation. Bei Laotse ist es in Beziehung zur typischen Gottsuche des Mystikers gesetzt: es ist das allein Unveränderliche und deshalb absolut Wertvolle, sowohl Ordnung wie zeugender Realgrund, wie Inbegriff der ewigen Urbilder alles Seins, kurz das göttliche Alleine, dessen Teilhaftigkeit man – ganz wie in aller kontemplativen Mystik – durch absolute Entleerung des eigenen Ich von Weltinteressen und Leidenschaften bis zu völliger Nichttätigkeit (Wu-Wei) sich aneignet. Das konnte nicht nur Konfuzius selbst, sondern auch seine Schule akzeptieren und sie haben das auch getan. 'Tao' war bei ihm ganz das gleiche wie bei Laotse und ein ebenso geltender Begriff. Aber: sie waren keine Mystiker. Das Interesse an der gottinnigen, durch Kontemplation zu erreichenden Zuständlichkeit hätte, wie bei der Mystik meist, so bei Laotse zur völligen Entwertung der innerweltlichen Kultur als einer Quelle religiösen Heils führen müssen. Und bis zu einem gewissen Grade traf dies auch zu. Denn das höchste Heil war auch bei Laotse eine seelische Zuständlichkeit, eine unio mystica, nicht aber ein aktiv handelnd sich bewährender Gnadenstand wie bei der Askese des Okzidents. Nach außen hin wirkte diese wie alle Mystik nicht rational, sondern nur psychologisch bedingt: die universelle akosmistische Liebesgesinnung ist typische Folgeerscheinung der objektlosen Euphorie dieser Mystiker in der apathischen Ekstase, die ihnen charakteristisch, vielleicht durch Laotse geschaffen, war. Diese an sich rein psychische Gegebenheit wurde nun auch hier rational ausgedeutet: Himmel und Erde sind als die größten Götter durch die absolute Selbstlosigkeit ihrer Leistungen für den Menschen legitimiert, durch jene bedingungslose Güte, welche nur dem Göttlichen eignet und: – der makrobiotische Einschlag der Lehre: – der Grund der dem allein ewigen Tao wenigstens angenäherten Dauer dieser Naturmächte ist. Nach diesem Muster richtet sich das eigene Verhalten des Mystikers. Wiederum wird dabei die physiologisch bedingte innere Lage rational gedeutet. Die Erhaltung der eigenen Güte und Demut in der Welt durch ein innerweltliches Inkognitoleben ist ja überall der Inhalt, jene spezifische Gebrochenheit der Weltbeziehung des Mystikers, welche das Handeln, wenn sie es nicht absolut aufhebt, dann doch minimisiert, die einzige mögliche Bewährung seines Gnadenstandes, weil der einzig mögliche Beweis: daß ihm die Welt nichts anhat. Sie sind zugleich, entsprechend der eben erwähnten Theorie Laotses, die beste Gewähr der eigenen Dauer im Erdenleben, ja: vielleicht über das Erdenleben hinaus. Eine eigentliche Unsterblichkeitslehre hat Laotse selbst (oder sein schriftstellerischer Interpret) nicht entwickelt, sie scheint späteres Erzeugnis. Aber der Gedanke der Entrückung in ein ewiges Paradies bei vollendetem Tao ist wohl ziemlich alt. Allein maßgebend war er nicht. Bei Laotse selbst war vielmehr die Minimisierung des Welthandelns wenigstens primär direkte Folge der Art des mystischen Heilsbesitzes. Gewisse Folgerungen aller mystischen Religiosität hat Laotse überhaupt nur angedeutet, nicht vollzogen. Zwar der 'Heilige', den er dem konfuzianischen Ideal des 'Gentleman' überordnet, bedarf der Welttugend nicht nur nicht, sie ist ihm vielmehr als Ablenkung vom eigenen Heil im Grunde gefährlich: die weltliche Tugend und ihre Hochschätzung ist – in der bei Chinesen beliebten paradoxen Formulierung – ein Zeichen, daß die Welt unheilig und gottlos geworden ist. Und auf der niedrigsten Stufe steht ihm eine solche Welt, welche durch die konfuzianische Kardinaltugend des 'Li', der 'Schicklichkeit', zusammengehalten wird. Indessen: diese Welt ist nun einmal da und es gilt also, sich in sie zu schicken. Das geht nur durch Relativierungen irgendwelcher Art. Denn die Konsequenz der entschlossenen Weltabwendung, vor allem der grundsätzlichen Ablehnung des im Mandarinenstand lebendigen Ideals des gebildeten Gentleman (Kiün-tse) hat Laotse eben nicht gezogen. Hätte er es getan, so wäre wohl keine Spur seiner Gedanken auf uns gekommen. Er forderte freilich gegenüber der Weltanpassung des Konfuzianismus als der 'kleinen' die 'große' Tugend, d.h. die absolute Vollkommenheits-Ethik gegenüber der sozial relativierten. Aber diese Forderung konnte letztlich für ihn weder, einerseits, zu asketischen Konsequenzen, noch, andererseits, zu positiven Forderungen in der Sozialethik führen. Teils deshalb nicht, weil die kontemplative Mystik an sich solche Forderungen nicht zu gebären vermag. Aber eben auch deshalb nicht, weil die letzten Folgerungen nicht gezogen wurden. Der persönliche Gegensatz des Konfuzius gegen Laotse war, nach der (in ihrer Realität fraglichen, aber von manchen bedeutenden Fachmännern noch geglaubten) Ueberlieferung, nur durch gewisse, schon stark relativierte, Konsequenzen der Mystik des letzteren für die politischen Ideale bedingt. Auf der einen Seite der Zug zum Zentralismus des rational von Beamten regierten Wohlfahrtsstaates bei dem rationalistischen Literaten. Auf der andern Seite die möglichste Autonomie und Autarkie der einzelnen Staatsteile als kleiner Gemeinwesen, die eine Stätte schlichter bäuerlicher oder bürgerlicher Tugend bilden könnten und daher die Parole: möglichst wenig Bureaukratie, bei dem Mystiker, dessen Selbstvervollkommnung durch staatliche geschäftige Zivilisationspolitik ja unmöglich gefördert werden konnte. 'Banne der Herr seinen stolzen Geist, seine vielen Wünsche, sein schmeichelhaftes Wesen, seine ausschweifenden Pläne', schreibt die Tradition dem Laotse als Mahnung an Konfuzius bei dem berühmten Zusammentreffen beider zu, mit der vom Standpunkt des Mystikers ebenso selbstverständlichen, wie von dem des rationalistischen Sozialethikers unzulänglichen, Begründung: 'Dies alles ist ohne Nutzen für deine Person', d.h. für die Erreichung der »unio mystica« mit dem göttlichen Prinzip des 'Tao'. Diese Erlangung der mystischen 'Erleuchtung' (ming), auf Grund deren dem Menschen dann alles andere von selbst zufällt, war ein – wenn man aus seinen überlieferten Aeußerungen etwas schließen darf – dem Stifter des Konfuzianismus persönlich unzugängliches, außerhalb der Grenzen seiner Begabung liegendes Ziel. Die ihm in den Mund gelegte staunende Aeußerung über Laotse als den 'Drachen' zeigt das. Der für Laotse grundlegende Begriff der Heiligkeit (sching) spielt im konfuzianischen System keine Rolle. Er ist nicht etwa unbekannt. Er gilt aber dem Konfuzius als kaum jemals, auch von ihm selbst nicht, erreicht und steht daher beziehungslos neben dem konfuzianischen Ideal des Kiün-tse, des 'vornehmen' Menschen. Oder er wird gar, wie bei Mencius, im Grunde als ein ins Vollkommene gesteigerter Gentleman angesehen. Dagegen das Schriftzeichen für die Heiligkeit Laotses drückt Demut aus und der Laotsesche Heiligkeitsbegriff liegt, als eine Kategorie der streng individualistischen Selbsterlösung, in seiner Konsequenz in der gerade entgegengesetzten Richtung wie das konfuzianische, am Maßstab der Bildung und Angepaßtheit an die Welt und Gesellschaft, wie sie einmal ist, orientierte Ideal. Aus dem gleichen Grund, aus welchem in aller Regel der okzidentale Mystiker die Theologie als das recht eigentlich von Gott Abführende ablehnt, verwirft Laotse dies hier die Theologie vertretende Schriftgelehrtentum. Und wie gegenüber jeder konsequenten Erlösungsmystik, so ist auch gegenüber der Laotseschen der typische und ganz natürliche Vorwurf von seiten der auf die Beherrschung und Ordnung des realen Lebens gerichteten Sozialethik, im vorliegenden Falle also von seiten des Konfuzianismus der: jene sei 'Egoismus'. In der Tat konnte sie, konsequent durchgeführt, nur das eigene Heil suchen, auf andere nur exemplarisch: durch Beispiel, nicht durch Propaganda oder gar durch soziales Handeln wirken wollen. In voller Konsequenz müßte sie das innerweltliche Handeln als für das Seelenheil irrelevant gänzlich ablehnen. Einige Ansätze zu prinzipiellem Apolitismus finden sich denn auch deutlich genug ausgeprägt. Indessen ist es nun zugleich der charakteristische Zug und die Quelle aller Paradoxien und Schwierigkeiten des Laotseschen Systems, daß es darin Konsequenz nicht besitzt. Auch Laotse (oder sein Interpret) gehörte der gleichen Schicht an wie Konfuzius und auch für ihn verstanden sich daher zunächst gewisse Dinge durchaus von selbst, wie für jeden Chinesen. Erstens – in unvermeidlichem Widerspruch mit dem jenseits der Welt liegenden Selbsterlösungszweck – der positive Wert der Regierung. Er folgte vor allem aus dem überall vorausgesetzten charismatischen Beruf des Herrschers: von seinen Qualitäten hing auch für Laotse letztlich das Wohl der Menschen ab. Nur ergab sich daraus für den Mystiker: daß der Regent persönlich das Charisma des mystisch mit dem Tao Geeinten haben müsse, auf daß diese mystische Erlösung auch ebenso allen Untertanen durch die charismatische Wirkung dieser seiner Qualitäten als Gnadengabe zuteil werde. Während für den nicht-mystischen Sozialethiker es genügte, daß der Regent als solcher vom Himmel gebilligt, seine Tugenden als sozialethisch vom Standpunkt der Geister aus zulängliche seien. Nicht minder war die Annahme des gesamten offiziellen Pantheon und ebenso der Geisterglaube beiden, oder wenigstens den Nachfolgern beider, gemeinsam (während allerdings das Tao-te-king anscheinend von Magie weitgehend frei war). Ein an der praktischen Politik orientierter chinesischer Gebildeter durfte dies alles nicht ablehnen. Da ein überweltlicher persönlicher Schöpfergott und Weltregent, der über alles Kreatürliche nach seinem Ermessen schaltete und dem gegenüber alles Kreatürliche unheilig war, der chinesischen Bildung ebenso unvollziehbar blieb, wie – in der Hauptsache – der indischen, so war der Weg zu einer an dem Gegensatz von Gott und Kreatur orientierten asketischen Ethik verschlossen. Daß die gegebene, wesentlich animistische, Religion für den Erlösung suchenden Mystiker letztlich wenig bedeutete, versteht sich von selbst. Daß das gleiche für den konfuzianisch gebildeten Sozialethiker der Fall war, sahen wir und werden es immer wieder sehen. Gemeinsam war beiden aber auch die Ueberzeugung: daß eine gute Ordnung des irdischen Regiments die Dämonen am sichersten in Ruhe halten werde. In dieser charismatischen Wendung des Dämonenglaubens lag einer der Gründe, welcher radikal apolitische Konsequenzen auch für die Schüler Laotses unmöglich machte. Es ist andererseits verständlich, daß für eine Intellektuellenschicht von Beamten und Amtsanwärtern eines patrimonialen Staates die individualistische Heilssuche und gebrochene Demut des Mystikers als solche, vor allem aber die Forderung charismatischer mystischer Qualifikationen für den Herrscher und die Regierenden ganz unannehmbar war, – ganz ebenso unannehmbar wie für die römische Bischofskirche das Erfordernis des persönlichen pneumatischen Charisma. Und erst recht war selbstverständlich, daß in der politischen Staatspraxis der bureaukratische Machtstaat des Rationalisten das Feld behielt. Beides geschah so sehr, daß, – während man immer wieder die Empfindung hat: nur ein Chinese könne den Konfuzianismus im einzelnen richtig interpretieren, – die europäische Wissenschaft einigermaßen einig darüber ist, daß wahrscheinlich keinem korrekten Chinesen die Anschauungen Laotses (oder seines Interpreten) in ihrem ursprünglichen inneren erlebnismäßigen Zusammenhang heute ganz nacherlebbar sind. Die ethischen Konsequenzen der Laotseschen Mystik, wie sie bei seinen Nachfolgern, oder denen, die sich als solche ausgaben, hervortraten, mußten vollends dazu beitragen, dem Konfuzianismus das Uebergewicht zu sichern. Dazu trug die innere Inkonsequenz der Haltung der Mystiker bei. Bei Laotse selbst fehlt, wie bei der kontemplativen Mystik meist, jede religiös motivierte aktive Gegensätzlichkeit gegen die Welt: – die kontemplativ bedingte Forderung rationaler Genügsamkeit wird damit motiviert, daß sie das Leben verlängere. Es fehlt aber überhaupt jene Spannung des Göttlichen gegenüber dem Kreatürlichen, wie sie nur durch die Festhaltung eines schlechthin überkreatürlichen, außerweltlichen, persönlichen Weltschöpfers und Weltregenten garantiert worden wäre. Auch ihm war die Güte der Menschennatur selbstverständlicher Ausgangspunkt. Und da die Konsequenz der wirklichen Weltindifferenz oder gar der Weltablehnung nicht, sondern nur die der Minimisierung des Welttuns gezogen wurde, so konnte sich aus dem allem in der innerweltlichen, für die reale Welt, wie sie war, geltenden Sozialethik im Effekt lediglich eine weitere Steigerung des konfuzianischen ökonomischen Utilitarismus ins Hedonische ergeben. Der Mystiker 'genießt' Tao. Die andern, die das nicht können oder wollen, mögen genießen, was ihnen zugänglich ist. Darin drückt sich offensichtlich ein ganz prinzipieller Gegensatz zum Konfuzianismus in der Frage der ethischen und religiösen Qualifikation der Menschen aus. Der gemeine im Gegensatz zum höheren Menschen war auch für den Konfuzianer derjenige, der nur an die leiblichen Bedürfnisse denkt; aber eben diesen würdelosen Zustand wollte er durch Schaffung von Wohlstand und Erziehung von oben her behoben sehen. Denn die Tugend war an sich jedem zugänglich. Qualitative Grundunterschiede unter den Menschen gab es für ihn nicht, wie wir sahen. Für den mystischen Taoisten dagegen mußte der Unterschied zwischen dem mystisch Erleuchteten und dem Weltmenschen ein solcher der charismatischen Begabung sein. Darin kommt der immanente Heilsaristokratismus und Gnadenpartikularismus aller Mystik: die Erfahrung von der Verschiedenheit der religiösen Qualifikation der Menschen, zum Vorschein. Wer die Erleuchtung nicht hatte, der stand – okzidental ausgedrückt – außerhalb der Gnade. Er mußte und mochte also bleiben wie er war. 'Den Bauch der Untertanen möge der Herrscher füllen, nicht ihren Geist, ihre Glieder stark machen, nicht ihren Charakter': zu dieser eigentümlichen Konsequenz gelangte die Durchführung des literatenfeindlichen Erleuchtungsaristokratismus bei einem Schriftsteller, der als zur Schule Laotses gehörig zu gelten pflegt. Daß der Staat gut tue, sich auf die Fürsorge für den bloßen Unterhalt der Menschen zu beschränken, war aber eine Ansicht, die sich schon bei Laotse selbst findet, begründet bei ihm durch Abneigung gegen das literarische Wissen, welches an der wahren Erleuchtung ja nur hinderte. Soweit der mystisch erleuchtete Regent nicht durch sein bloßes Dasein direkt charismatisch und exemplarisch wirken konnte, enthielt er sich besser alles Tuns. Man möge doch die Dinge und Menschen gehen lassen, wie sie können und mögen. Zuviel Kenntnisse der Untertanen und zuviel Regierendes Staates seien die eigentlich gefährlichen Uebel. Nur absolute Fügsamkeit in die unabänderlichen kosmischen und sozialen Ordnungen führten eben zum 'Stillewerden', zu jener Bändigung der Leidenschaften, welche im übrigen auch in der Heilslehre Laotses durch Musik, andächtige Uebung der Zeremonien, Schweigsamkeit und Schulung zur Ataraxie befördert wurde. In Konsequenz dessen stellte schon das dem Laotse zugeschriebene Tao-te-king der – mit den früher gemachten Einschränkungen – in der klassischen konfuzianischen Lehre vorwiegenden Neigung zur patriarchalen Bevormundung der Untertanen das Verlangen nach möglichster Nichtintervention entgegen, da ja doch das Glück des Volkes durch die naturgesetzliche Harmonie des Kosmos am sichersten befördert werde. Nichtinterventionstheorien fanden sich auch auf dem Boden der orthodoxen Lehre, wie wir sahen. Sie ließen sich ja außerordentlich leicht aus dem Gedanken der providentiellen Harmonie, (des Tao), der Welt, welcher schon sehr früh zu Theorien von der Interessenharmonie der Klassen, fast nach Art Bastiats, geführt hatte, herleiten und entsprachen der tatsächlich geringen Intensität und Unstetheit der Verwaltung gegenüber dem Wirtschaftsleben. Die Stellungnahme des heterodoxen Taoismus war darin nur noch konsequenter. Gänzlich fehlte aber natürlich diesem chinesischen, und zwar gerade dem taoistischen, 'Manchestertum', infolge seines kontemplativ-mystischen Unterbaues, die aktive Note der »Berufsethik«, welche nur eine asketisch orientierte Laiensittlichkeit, die aus einer Spannung zwischen Gottes Willen und den Ordnungen der Welt stammt, hätte bieten können. Auch die stark betonte taoistische Tugend der Sparsamkeit trug daher keinen asketischen, sondern wesentlich kontemplativen Charakter (das konkrete Hauptobjekt des Streites mit der Orthodoxie war dabei: das Sparen an den Kosten der Totentrauer). – Wenn hier mehrfach von 'Nachfolgern' und 'Schülern' Laotses geredet worden ist, so entspricht übrigens diese Bezeichnung nicht dem Sachverhalt. Eine 'Schule' hat Laotse, mag seine persönliche Lehre historisch wie immer ausgesehen haben, wohl nicht hinterlassen. Wohl aber gab es schon geraume Zeit vor Se Ma Tsien Philosophen, die sich auf ihn beriefen, und die Mystik fand noch in weit späterer, historischer, Zeit in China einige bedeutende Vertreter, die wenigstens teilweise sich als »Schüler« Laotses betrachteten. Uns geht hier diese Entwicklung nur in einigen Punkten etwas an. Den persönlichen Gegensatz zwischen Konfuzius und Laotse schildert die (halblegendäre) Tradition. Aber von einem 'Schulgegensatz' konnte noch keine Rede sein, vor allem nicht von einem solchen, der exklusiv diese beiden Gegner entzweit hätte. Es war mehr ein, allerdings scharfer, Unterschied der Naturen, der Lebensführung und der Stellung insbesondere zu praktischen Staatsproblemen (Amt), der davorlag. Der Schulgegensatz ist offenbar (de Groot) erst durch den Enkel des Konfuzius, Tsetse einerseits, schließlich wohl durch die scharf pointierte Polemik Tschuangs andererseits geprägt worden. Es ist sicher und von den Fachleuten (de Groot vor allem) betont: daß die typisch mystische Verwerfung des rationalen Wissens als Mittel für das (eigene oder allgemeine) Wohl zu wirken, die wichtigste (theoretische) für die Konfuzianer und schon ihren Meister unakzeptable These war. Alles andere wäre tolerabel gewesen. Insbesondere betont de Groot scharf: daß auch dem Konfuzianer der 'Quietismus' (Wu Wei) nicht einfach fremd war. Die gemeinsame Herkunft aus dem alten einsamen »Denkertum« sorgte dafür. Aber freilich hatte sich unter dem Druck der politischen Geschäfte der 'Sophisten' in der Teilstaatenzeit die alte Haltung gewaltig geändert. Wie sollte man ohne sichere Kenntnis der echten Riten – die nur durch Studium zu gewinnen war – dem Tao sich anpassen, welches die »Alten« als Besitz gehabt hatten? Dahinter stand natürlich der tiefe Gegensatz der mystischen Weltindifferenz dort, der Weltanpassung und des Weltreformwillens hier. Tschuang formulierte den Widerspruch gegen die Konfuzianer, Laotses Formulierungen verschärfend, dahin: 1. Sucht nach 'Verstand' heißt: Hang am Aeußerlichen, – 2. nach 'Vernunft': Hang am Schall (Worten), – 3. an 'Menschenliebe': Verwirrung der eigenen Tugendübung, – 4. an Pflichterfüllung: Auflehnung gegen die Naturgesetze (die Allmacht des Tao), – 5. an »Li« (Regeln): Hang an Aeußerlichkeiten, – 6. Musik: Hang an Unsitte, – 7. an Heiligkeit: Hang an Verkünstelung, – 8. an Wissen: Haarspalterei. Die Punkte 1, 2, 5, 8 dürften die vom Konfuzianismus am stärksten perhorreszierten gewesen sein. Denn die vier Kardinalqualitäten des konfuzianischen Menschen waren: schen: Menschen liebe, li: Lebensregeln, I: Freigebigkeit (Pflichten), tschi: Wissen und von ihnen waren li und tschi die wichtigsten. Ketzerisch und unklassisch (puking), unrichtig (pu tuan), sittlich bedenklich linkes (falsches) tao (tso Tao) war alles was davon abwich. Die Spaltung war seit Tse tse's Angriffen da. Aber erst die Schulentwicklung und die Konkurrenz um Pfründen und Macht schufen die Bitterkeit des Streites. Denn trotz des Wu-wei-Prinzips und der Aemter-Perhorreszierung haben diejenigen späteren Literaten, die sich als 'Nachfolger' Laotse's fühlten, eine der konfuzianischen Literatenschaft ähnliche Organisation zu schaffen wenigstens gelegentlich versucht. Das Tao te king – von den Konfuzianern nicht als absolut in toto ketzerisch verdammt, aber ebenso wie Tschung tse und Kuan tschong stets als unklassisch abgelehnt, d.h. nicht zu den 'heiligen' Schriften gerechnet – ist wenigstens einmal kurze Zeit von den Kaisern unter die von den Kandidaten für das Examen zu studierenden Klassiker eingereiht worden. Die Konfuzianer ihrerseits haben ihre These von der Bedeutung des 'Wissens' als Tugend auch des Kaisers: – der, wenn er 'Gelehrter' ist, sich 'ruhig' verhalten kann, aber nur dann – durch die Anlegung der riesigen offiziellen Enzyklopädien (Ku kin tu schu tsi tsing, 1715 erschienen) betätigt. Die entscheidende Bedeutung des kaiserlichen Charisma, die das Schuking bereits ausdrücklich enthielt, ist von keiner von beiden Parteien angezweifelt worden: nur die Deutung war verschieden. Nun kam der Entwicklung einer Sonderschule auf dem Boden der Lehre Laotse's aber eine allgemeine Tendenz aller chinesischen 'Wertungen' entgegen: die Schätzung des physischen Lebens rein als solchen, also: des langen Lebens und der Glaube, daß also der Tod ein absolutes Uebel sei, welches eigentlich für einen wirklich Vollkommenen vermeidbar sein müßte. Denn der wirklich Vollkommene (tschen, tsing, schin) muß ja unverletzlich und magisch begabt sein, – worin sollte sich sonst seine Vortrefflichkeit praktisch bewähren? Dieser Schätzungsmaßstab war sehr alt. Sowohl die Schätzung der Schafgarbe – deren Kombinationen in den bekannten Orakel-Linien-Gruppen des I li eine solche Rolle spielen – wie die Schildkröte als Orakeltier erlangten ihre Rolle durch ihre Langlebigkeit. Tugendübung und speziell Studien wirkten nach dem konfuzianischen Glauben makrobiotisch, ebenso Schweigen und Meidung körperlicher Anstrengung ohne absolutes Nichtstun. Vor allem aber wurde die früher erwähnte Atemgymnastik als makrobiotisches Mittel entwickelt. Makrobiotische Pflanzen wurden spezifische Arzneimittel und das Suchen nach dem Lebenselixier systematisch betrieben, – wir sahen, daß Schi Hoang Ti eben deshalb dieser Schule seine Gnade zuwendete. Da Einschränkung der Erregung und stilles Leben nach aller Erfahrung makrobiotisch wirkten, – also: das Wu wei der Anachoreten und Mystiker, – so schien die These unanfechtbar: Meidung der Leidenschaften war die erste makrobiotische Kardinaltugend. Von da aus ging dann, unter dem Einfluß der gleichfalls beiden Parteien gemeinsamen Dämonenlehre, die Entwicklung weiter. War man einmal mit der Systematisierung der Makrobiotik vorgegangen, so lag es nahe, die Gesamtheit der apotropäischen und therapeutischen Magie zu rationalisieren. Das ist tatsächlich geschehen und die theoretischen Resultate sind im wesentlichen Gemeingut beider Schulen geworden, während allerdings die praktische Verwertung der unklassischen Schule überlassen blieb, da für den Konfuzianer jede Abwendung von dem Dogma, daß die (klassisch orientierte) Tugend schlechthin allmächtig sei, die Einheit der Ethik und, – nicht zu vergessen: – den Einfluß auf den Kaiser gefährdete, der durch den Harem ja ständig im magischen Sinn beeindruckt wurde. Eben diese rein magische Wendung der Laotse' schen Tao-Lehre ermöglichte und provozierte geradezu das Einströmen der Gesamtheit der alten Magier in diese Gemeinschaft. Sie waren im Süden, dem üppigsten Ackerbaugebiet, am zahlreichsten und dort ist denn auch diese Entwicklung vor allem vor sich gegangen. Die Vereinigung des Lehrers mit den Lernenden, außerhalb der Städte, in der Einsamkeit, war in China ebenso wie in Indien (und im Gegensatz zum Okzident) die Keimzelle der 'taoistischen' Klöster. Ist es schon nicht ganz unstreitig, inwieweit bereits Laotse durch indische Muster beeindruckt war (so selbständig er geistig dastand), so läßt sich vollends das gleiche Problem für die taoistische Klosterbildung nicht lösen: der Taoismus mit seinen Einsiedeleien bereitete dem Buddhismus vermutlich den Weg, die buddhistische Konkurrenz brachte die taoistische Klosterbewegung: – Bewegung zum organisierten Zusammenschluß der Einsiedler, – vermutlich in schnellen Gang. Die Eigenständigkeit des Taoismus scheint am deutlichsten dadurch bewährt, daß nicht nur nicht alle vielmehr gerade nicht die charakteristischten Funktionäre: die Magier, in Klostergemeinschaften lebten. Der Taoismus war eben hervorgegangen aus der Verschmelzung der weltflüchtigen Intellektuellen-Lehre mit dem innerweltlichen, an sich uralten. Gewerbe der Magier. Die 'Tao Schi', die eigentlichen Praktikanten, lebten in der Welt, verheiratet, betrieben von da aus ihre Kunst als Beruf, veranlaßten die massenhafte Stiftung von Altären für alle möglichen Heiligen: – oft schon nach kurzer Zeit, wegen Nichtbewährung, verlassen –, schufen die große offizielle Sammlung der Vorschriften und Leiturgien im 16. Jahrhundert und betrieben gegebenenfalls: Politik. Denn, kaum allgemein verbreitet, hatte der Taoismus schon eine feste hierokratische Organisation angenommen. In der Provinz Kiangsi hatte eine erbcharismatische Sippe die Fabrikation von Lebenselixieren monopolisiert und den Namen Tsien Schi (himmlischer Lehrmeister) sich appropriiert. Ein Nachfahre des Tschang ling, – der als Ratgeber der Han über Atemkunst geschrieben hatte, – stiftete in der unruhigen Zeit der Schwäche der Han-Dynastie eine Organisation, die mit eigenem Verwaltungsstab, Steuern, strenger Disziplin der politischen Gewalt erfolgreich Konkurrenz machte und schließlich, in Se tschuan, wirklich einen autonomen, zunächst allerdings als kamorristische Geheimorganisation existierenden 'Kirchenstaat' schuf: das Tai Ping Kiao (Reich des Friedens: ferner Vorläufer des modernen Gebildes, von dem noch zu reden sein wird). Durch einen Apostaten 184 denunziert, von den Han verboten und verfolgt, hielt sich der Kirchenstaat infolge des sogenannten 'Aufstandes der gelben Kopftücher' (einer typischen Süd-Organisation gegen den Norden) in einem wilden Religionskrieg (dem ersten seiner Art) gegen die Regierung, bis, 215 n. Chr., der Erbhierarch es klug fand, sich dem General Wei als Tributärfürst zu unterwerfen, als welcher er mit hohen Ehren bestätigt und anerkannt wurde. Seine weltliche Gewalt schwand, unter Nachhilfe der Regierung, stark; offiziell wurde er, nach Grubes glücklichem Ausdruck, nur der 'Führer der Götter-Konduitenliste', – nicht der einzige übrigens, – für Kanonisationsfälle. Denn neben Ahnenkult war Menschen-Apotheose die Quelle der mächtig angeschwollenen Zahl 'unklassischer', 'taoistischer', vom klassischen Kult ignorierter, Götter, deren höchster, Panku, der Himmelskönig, thronend auf dem Jaspisberg des Westens mit seinen Gattinen, der alten persönlichen Gottesvorstellung vom Himmelsherrn entnommen ist. Die Macht über die Dämonen, die sich die Tao Schi zuschrieben, war die Grundlage ihrer politischen Laufbahn, die nun begann. Denn im Kampf zwischen den Literaten und den ihnen feindlichen Gewalten finden wir fortan die Taoisten stets auf der Gegenpartei. Sie waren zuerst »aristokratisch«: die bildungslosen Feudalinteressenten brauchten sie als Werkzeuge. Ihre Gegnerschaft gegen die konfuzianischen Riten und Zeremonien und gegen die konfuzianische Ordnungs- und Erziehungswut befähigte sie zu dieser Stellungnahme: 'das Volk soll bildungslos bleiben'. In Se Ma Tsien's Epoche war dies ihre Stellung und erst 124 gelang es den Literaten, ihrer Herr zu werden und durchzusetzen, daß alle Pfründen ihnen reserviert und die Pepinière der 70 Hofliteraten aus allen Teilen des Reichs rekrutiert wurde. Dann aber, als es mit dem Feudalismus zu Ende war und der Hauptgegner der Literaten der Sultanismus, gestützt auf Eunuchen, Generäle und aliterarische Günstlinge, wurde, schlugen sich die Taoisten ganz regelmäßig auf deren Seite. Jedes Aufflammen der Eunuchenmacht führte zu politischem Einfluß der Magier. Auch dieser, stets wieder – am entschiedensten unter den pazifistischen Mandschu – mit dem Siege der Literaten endigende, Kampf hat bis in die Regierung der Kaiserin-Witwe gedauert. Und man darf sich keine falschen, an unserem Konfessions-Begriff orientierten, Vorstellungen machen: auch der konfuzianische Mandarin nahm für gewisse Dienste den Taoisten in Anspruch, wie der klassische Hellene den, sonst verachteten, 'Propheten' oder (später) Horoskopisten. Eben darauf beruhte die Unausrottbarkeit des Taoismus, daß die siegreichen Konfuzianer selbst sich das Ziel radikaler Ausrottung der Magie überhaupt, und dieser Magie im besonderen, nie stellten, sondern nur: der Monopolisierung der Amtspfründen. Indessen nicht einmal dies gelang vollständig. Wir werden später sehen, welche (geomantische) Gründe sehr oft der restlosen Beseitigung einmal existierender Baulichkeiten im Wege standen. Ließ man aber die Klöster bestehen, so mußte man wohl oder übel auch die Insassen gewähren lassen, – was auch für die Buddhisten galt, wie wir sehen werden. Und die Deisidaimonie und Magie aller Literatenschichten scheute auch immer wieder vor der Reizung der 'Geister', auch der unklassischen, zurück. Daher blieben die Taoisten staatlich geduldet, ja, in gewissem Sinn, anerkannt. Die offizielle Stellung der dem Tschang Tien Scha, dem taoistischen Erbhierarchen, untergeordneten Tao Luh Se ist offenbar der von buddhistischen Superioren nachgebildet. An bestimmten Staatstempeln existieren taoistische Staatspriesterstellen, regelmäßig: 1. ein Direktor, 2. ein Hierophant, 3. ein Thaumaturgist (für Dürre und Ueberschwemmung), 4. einfache Priester. Inschriften mancher unabhängig gewordener Nachbarfürsten zeigen ausgeprägt taoistische Züge. Die absolute Verwerfung des Taoismus durch Kang Hi's heiliges Edikt und alle Mandschu-Herrscher hat daran nichts geändert. Ehe wir zu dem, von Orthodoxen und Heterodoxen gemeinsam geschaffenen spezifisch chinesischen »Weltbild« zurückkehren, registrieren wir hier, vorgreifend, nur kurz: daß die Stellung des aus Indien, im Interesse der Gewinnung von bequemen schreibkundigen Verwaltungskräften und eines weiteren Mittels der Massendomestikation, importierten Buddhismus, politisch angesehen, sehr ähnlich war. Der spezifisch an die weibliche Gefühlsseite appel lierende, aliterarische, Charakter des reformierten (Mahayana-) Buddhismus machte ihn zu einer Lieblingskonfession des Harems. Immer wieder finden wir die Eunuchen als seinen Begünstiger, genau wie beim Taoismus, besonders im 11. Jahrhundert unter den Ming. Neben dem erwähnten währungspolitischen und dem kantilistischen Interesse des Konfuzianismus (und, natürlich, der vielfachen Pfründenkonkurrenz) war dessen Gegensatz gegen den Sultanismus, den die Buddhisten stützten, eine der Triebfedern der furchtbaren Verfolgungen. Aber: – sowenig wie den Taoismus hat man den Buddhismus wirklich 'ausgerottet', so scharf sich die Edikte der Kaiser aussprachen und trotz aller an ihn anknüpfenden Geheimgesellschaften ('weißer Lotos'). Neben dem später zu erwähnenden geomantischen Grunde war dafür auch wieder maßgebend: daß es Zeremonien gab, die der Chinese nicht missen wollte und welche nur der Buddhismus bot: Totenmessen insbesondere, und daß der Seelenwanderungsglaube eine der populären Jenseitsvorstellungen geblieben war, nachdem er einmal Fuß gefaßt hatte. Daher finden sich ganz ebenso wie taoistische auch buddhistische anerkannte Pfründen, deren Stellung uns hier noch nicht beschäftigen soll. – Denn wir kehren hier zum Taoismus zurück. – Der aliterarische und antiliterarische Charakter des späteren Taoismus wurde der Grund, weshalb er – was uns hier interessiert – gerade in Kaufmannskreisen starke (nicht: exklusive!) Wurzeln faßte: ein sehr deutliches Paradigma (das wir noch oft kennen lernen werden) dafür: daß die ökonomischen Bedingungen allein nirgends die Art der Religiosität einer Schicht bestimmt haben. Umgekehrt konnte seine Eigenart nicht gleichgültig für die Lebensführung der Kaufleute bleiben. Denn er war eine absolut antirationale und dabei – sagen wir es offen: – höchst subaltern gewordene magische Makrobiotik, Therapeutik und Apotropie geworden. Vorzeitigen Tod zu verhindern – der ihm als Sündenstrafe galt, – den (taoistischen, unklassischen) Reichtumsgott und die zahlreichen apotheosierten Beamten- und Funktionsgötter günstig zu stimmen: das versprach er zu leisten. Irgend so etwas wie eine »bürgerliche Ethik« aber war bei ihm natürlich am allerwenigsten zu finden. Insofern interessiert er uns hier schlechterdings nicht. Sondern nur in seinen indirekten, negativen, Wirkungen. Die der Orthodoxie und Heterodoxie gemeinsame Duldung und die dem Taoismus eigene positive Pflege der Magie und der animistischen Vorstellungen haben praktisch den Fortbestand der ungeheuren Macht dieser im chinesischen Leben entschieden. Werfen wir einen Blick auf die Wirkungen. Allgemein läßt sich sagen:) jede Art von Rationalisierung des an sich uralten empirischen Wissens und Könnens in China hat sich in der Richtung des magischen Weltbildes bewegt. Die Astronomie wurde Astrologie, soweit sie nicht Kalenderwissenschaft war. Als solche war sie uralt und stand zunächst im Dienst der Verteilung der Ackerbaugeschäfte auf die Jahreszeiten. Die Technik war primitiv und reichte in keiner Art an die babylonischen Leistungen heran. Mit der Neuredaktion des Kalenders unter dem literatenfeindlichen Schi Hoang Ti begann der Aufstieg der Chronomantik: eine rein nach Analogien und makrokosmischen Vorstellungen vorgenommene Verteilung der Obliegenheiten auf die Monate, auf dies fasti und nefasti (je für konkrete Dinge, nicht: allgemein). Die 'Ta Schi' ('hohe Schriftsteller') als Kalenderbehörde, ursprünglich mit den Annalisten identisch, sind in die offizielle Abteilung für Astronomie und Astrologie übergegangen. Der chronomantische Betrieb aber – an der Hand der massenhaften Nach drucke des von der Regierung hergestellten Schi Hien Schan (Kalenders, chronomantischen Grundbuchs) wurde eine Erwerbsquelle der 'Tagemeister', welche bei jeder Wahl eines Tages gefragt werden sollten. Die Astrologie andererseits stand mit der sehr alten Meteorologie im Zusammenhang. Konjunkturen, Sichtbarkeit der Venus, Art des Leuchtens der Gestirne, Feststellung der Winde, – ursprünglich, wie de Groot annimmt, durch die Bedeutung der Passate bedingt, – dann aber: Erdbeben, Bergrutsche, Aërolithen, monströse Geburten, aber auch Deutung zufälliger Aeußerungen von Kindern (als besonders unmittelbarer Medien) und dergleichen magische 'Meteorologie' aller Art haben eine ungeheure Literatur entstehen lassen, die ausschließlich der Prüfung dienen: ob die 'Geister' in Ordnung sind oder nicht: – worauf, im negativen Fall, das Weitere die Staatsleitung angeht. Die Wu und Hih, uralte meteorologische Magier und Regenzauberer, die dies betrieben, galten als »taoistisch«; – nicht selten waren es hysterische (clairvoyante) Weiber, die diesen Erwerb besonders einträglich betrieben. Die Arzneilehre und die mit ihr zusammenhängende Pharmakologie, einst achtbare empirische Leistungen aufweisend, wurden völlig animistisch rationalisiert. Es wurde schon erwähnt, daß makrobiotische Pflanzen die Schen-jo-Arzneien lieferten; sie wuchsen in Unmassen, wie die Bäume des Lebens der Hebräer, in dem 'Paradies des Westens', dem Hain der Königin Si wang mu. Inwieweit die chinesische Expansion auch durch die Hoffnung nach dessen Entdeckung mitbestimmt wurde (wie Schi Hoang Ti's See-Expedition nach dem Lebenselixier) muß wohl dahingestellt bleiben. Die älteren Zustände kennzeichnet jene (absolut geglaubte) Legende von dem Fürsten der die Krankheitsgeister in seinen Eingeweiden sich darüber unterhalten hört (!), wie sie sich am besten einnisten (Fieber-Träume animistisch rationalisiert!). Aber das ist noch relativ recht primitiv gegen die weitere Rationalisierung. Elemente, Jahreszeiten, Geschmacksarten, Wetterarten werden mit den 5 (!) menschlichen Organen, dadurch wieder: Makrokosmus mit Mikrokosmus, in Beziehung gesetzt und daran die magische Therapie orientiert. Die alte Atemtechnik mit dem Ziel: den Atem, als Träger des Lebens, im Körper 'aufzuspeichern', wie das Tao te king riet, und dazu: Gymnastik, bestand daneben als Therapie fort. Schon Tang tschuan schu (2. Jahrh. v. Chr.) lehnte die Leidenschaft als Gefährdung der Atemwirkung ab, das (nach de Groot) nachchristliche Su Wen galt als klassisches Lehrbuch der wissenschaftlichen Atemkunstlehre. Dazu traten »Fu«(Pinselstriche der – charismatischen – Mandarinen) als Amulette und dergleichen. Doch lassen wir diese, de Groot entnommenen, Dinge. Denn ungleich wichtiger ist für uns die gewaltige Entwicklung der Praxis der Geomantik, des Jang Schu oder Fung Schui ('Wind und Wasser'). Zeit für die Bauten aller Art gaben, sahen wir (mit de Groot), die Chronomanten (Schi) an. Aber die Hauptsache kam dann erst: die Formen und Oerter. Nach einem Kampf zwischen mehreren geomantischen Schulen siegte im 9. Jahrh. die »Formen«-Schule über die mehr material animistische Gegnerin: die weit größeren Sportelchancen dieser Geomanten dürften dabei entscheidend beteiligt sein. Denn seitdem galt als ausgemacht: daß alle Formen von Bergen, Höhen, Felsen, Flächen, Bäumen, Gräsern, Gewässern geomantisch bedeutsam seien, ein einziger Fels-block durch seine Form ganze Gebiete vor Angriffen übler Dämonen schützen könne, es also nichts, schlechthin gar nichts Unerhebliches auf diesem Gebiete geben könne, vor allem die geomantisch furchtbar empfindlichen Gräber wahre Pestherde geomantischer Einflüsse seien, daß also für jeden Bau, selbst intern (Wasserrinnen in Wohnungen) geomantische Kontrolle unentbehrlich sei: denn jeder Todesfall beim Nachbar konnte, auf den eigenen Bau zurückgeführt, Rache bedeuten, jede neue Grabanlage alle Grabgeister stören und furchtbares Unheil stiften. Vor allem aber: die Art des Bergwerkbetriebs war stets geeignet, im Fall von Neuerungen die Geister zu erregen; vollends Eisenbahnanlagen, Fabrikanlagen mit Rauch – man kannte und benutzte die Steinkohle in China in vorchristlicher Zeit – hätten ganze Gegenden magisch verpestet. Die magische Stereotypierung der Technik und Oekonomik, verankert an diesem Glauben und an den Sportelinteressen der Geomanten, schloß die Entstehung von Verkehrs- und gewerblichen Betrieben moderner Art als bodenständiges Produkt völlig aus. Es bedurfte erst des im Sattel sitzenden Hochkapitalismus und des Engagements gewaltiger Mandarinen-Vermögen in den Eisenbahnkapitalien, um diese ungeheure Barriere zu überrennen und die Wu und Hih ebenso wie die Chrono- und Geomanten zunehmend unter die »Schwindler« zu verweisen. Aus eigener Kraft konnte das nie geschehen. Denn es war keine Seltenheit, daß viele Kilometerweite Umwege dauernd gemacht wurden, weil ein Kanal-, Straßen- oder Brückenbau vom geomantischen Standpunkt aus gefährlich war, daß buddhistische, also ketzerische, Klöster wegen des Fung Schui, als geomantische 'Verbesserung' der Natur also, gestattet und den Mönchen gegen starken Entgelt die Verpflichtung auferlegt wurde, geomantisch wichtige Zeremonien zu halten. Vollends die Gewinne der Geomanten selbst – und jede Partei zahlte sich einen, wenn es sich um Baustreit und dergleichen handelte – sollen ins Fabelhafte gegangen sein. So ist über dies alte schlichte empirische Können der Frühzeit, dessen Reste wir überall finden, und über eine technisch nicht geringe Begabung – wie die 'Erfindungen' zeigen, – ein Ueberbau magisch »rationaler« Wissenschaft gestülpt: Chronometrie, Chronomantik, Geomantik, Meteoromantik, Annalistik, klassische, mantisch bedingte, Staatskunde, Medizin, Ethik. Waren dabei die volkstümliche Stellung und die magischen Erwerbsinteressen, also die Heterodoxie oft praktisch führend, so hat die Literatenkaste ihrerseits sich an dieser Rationalisierung entscheidend beteiligt. Die kosmogonische Spekulation mit der heiligen Fünfzahl: 5 Planeten, 5 Elemente, 5 Organe sw., Makrokosmus und Mikrokosmus in Entsprechung (ganz nach babylonischer Art, aber absolut eigenständig, wie jeder Vergleich zeigt, – diese chinesische 'universistische' Philosophie und Kosmogonie verwandelte die Welt in einen Zaubergarten. Jedes chinesische Märchen zeigt die Volkstümlichkeit der irrationalen Magie: wilde, durch nichts motivierte dei ex machina durchschwirren die Welt und können alles machen; nur Gegenzauber hilft. Von der ethischen Rationalität des Wunders ist keine Rede. Dies wurde – um es deutlich zu sagen – nicht nur bestehen gelassen und geduldet, sondern gesteigert durch die Anerkennung des magischen Weltbildes und seine Verankerung an den massenhaften Erwerbschancen, die es den Wu, Hih, Schi aller Art bot. Der Taoismus war nicht nur ebenso traditionalistisch wie der Konfuzianismus, sondern, infolge seiner aliterarischen Irrationalität, weit mehr. Ein eigenes 'Ethos' aber kannte er überhaupt nicht: Zauber, nicht Lebensführung, entschieden über das Schicksal. Dies schied ihn, in dem Endstadium seiner Entwicklung, von dem – wie wir sahen – darin gerade umgekehrt orientierten Konfuzianismus, dem die Magie gegen die Tugend als machtlos galt. Aber die eigene Hilflosigkeit gegenüber dem magischen Weltbild hinderte es völlig, daß der Konfuzianismus jemals die grundlegenden rein magischen Vorstellungen der Taoisten, mochte er sie auch verachten, auszurotten in der inneren Lage gewesen wäre. Jede Antastung der Magie erschien als Gefährdung der eigenen Macht: 'wer wird den Kaiser hindern zu tun was er will, wenn er die omina und portenta nicht mehr glaubt?' – war s.Z. die entscheidende Antwort eines Literaten auf die Anregung: mit diesem Unsinn Schluß zu machen. Der magische Glaube gehörte zu den konstitutionellen Grundlagen der chinesischen Regierungsmachtverteilung. |
2 | 1920.6.2 |
Weber, Max. Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen : Konfuzianismus und Taoismus
VII. Orthodoxie und Heterodoxie (Taoismus) Volltext (2) Aber auch die taoistische Lehre – die von diesen magischen Kruditäten und auch von der 'universistischen' Theorie unterschieden werden kann, – wirkte nicht rationaler und bildete kein Gegengewicht. Die Lehre 'von den Handlungen und Vergeltungen', ein Produkt des Mittelalters, galt als taoistisch, und mit dem gleichen Namen pflegte – sahen wir – derjenige magische Betrieb bezeichnet zu werden, welcher nicht von buddhistischen Bonzen ausgeübt wurde, sondern, soweit sichere historische Kunde zurückreicht, in den Händen jener besonderen Priesteroder vielmehr Zaubererklasse plebejischen Charakters und plebejischer Rekrutierung lag. Mit dem Konfuzianismus teilte er, wie nach dem Gesagten zu erwarten, einen Teil auch der nicht rituellen Literatur: so galt angeblich ein Buch 'vom geheimen Segen' als gemeinsam. Ebenso, sahen wir, die allgemeinen magischen Voraussetzungen. Nur waren diese eben in der geschilderten Art außerordentlich viel ausschließlicher entwickelt und außerdem, im Gegensatz zum Konfuzianismus mit bestimmten positiven Verheißungen für das Diesseits und Jenseits verknüpft. Denn in diesen bestand ja der Wert der von der vornehmen Intellektuellenschicht mißachteten volkstümlichen Gottheiten für die Massen. Was der Konfuzianismus unterließ, das nahm eben deshalb die plebejische Priesterschaft des Taoismus in Angriff: dem Bedürfnis nach einer gewissen Systematik des Pantheon einerseits, nach Kanonisierung bewährter menschlicher Wohltäter oder Geister andererseits abzuhelfen. Der Taoismus hat so den von der offiziellen Lehre verunpersönlichten alten persönlichen Himmelsgott als Yü-hoang-schang-ti mit Laotse und einer dritten Figur unbekannter Herkunft zu der Trias der 'Drei Reinen' zusammengefaßt, die überall verehrten volkstümlichen 8 Hauptgenien (zum Teil historische Personen) und die sonstigen himmlischen Heerscharen leidlich schematisiert, den Stadtgott (sehr oft einen kanonisierten Mandarinen der Stadt) in seiner Funktion als amtlichen Konduitenlistenführer für das Jenseitsschicksal der Einwohner und also als Herren über Paradies und Hölle gesichert, und die Kultorganisation für ihn und die sonstigen kanonisierten Naturgeister oder Heroen in die Hand genommen, soweit ein solcher dauernd organisierter Kult überhaupt entstand. Meist wurden die Mittel durch Subskription und Turnusdienst der lokalen Interessenten aufgebracht und nur an den großen Festen von Priestern Messen gelesen. Neben dieser Schaffung eines unoffiziellen, aber geduldeten eigentlichen Kultes ging ferner, bereits seit den Zeiten der frühesten bekannten, sich als 'Schüler' Laotses bekennenden Schriftsteller jene Esoterik her, welche die mit dem Besitz des Tao Begnadeten als Träger übermenschlicher Kräfte aller Art behandelte und ihnen die Spendung magischen Heils an die Bedürftigen zuschob. Besteht nach allem Gesagten historisch die Verknüpfung dieses esoterischen Taoismus mit Laotse oder anderen Mystikern wirklich zu Recht, so war diese Entwicklung keineswegs erstaunlich. Denn die Weiterentwicklung der schon an sich unklassischen Kontemplation und vor allem des alten Anachoretentums mußte hier, wie überall da, wo der Weg von dem heilsaristokratischen Charisma des Begnadeten zu einer rationalen Askese nicht gefunden wurde, von der mystisch-pantheistischen Vereinigung mit dem Göttlichen aus direkt zu sakramentaler Magie: zu zauberischer Beeinflussung der Geisterwelt und praktischer Anpassung an die magische Gesetzlichkeit ihres Wirkens führen. Ein anderer Weg vom Heilsaristokratismus des der Erleuchtung Teilhaftigen zu einer Volksreligiosität war kaum möglich, wie schon in der Einleitung dargetan ist. Anthropolatrische Entwicklungen, wie sie sonst bei ritualistischer Umbiegung als Anpassung der aristokratischen Erleuchtungs-Erlösung an die Massenbedürfnisse eintreten: – der begnadete Magier wird, als Träger von »Yang«- Substanz, Anbetungsobjekt und lebender 'Heiland' – hat die chinesische Regierung aus politischen Gründen früher sowenig wie im 19. Jahrh. geduldet. Kultartige Verehrung eines lebenden Charismaträgers – Anbetung und Gebet um gute Ernte – findet sich aus dem 4. Jahrhundert v.Chr. berichtet. Die spätere Praxis der Orthodoxie ließ dies indessen nur für Verstorbene, namentlich für charismatisch bewährte Beamte zu und suchte sorgsam alle und jede Qualifizierung von lebenden Menschen als Propheten oder Heilande, sobald sie über die unausrottbare Verwendung der Spezialisten bestimmter magischer Techniken hinauszugehen und vollends, sobald sie zu hierokratischen Bildungen zu führen drohte, hintanzuhalten. Dem Taoismus ist es aber immerhin, sahen wir, wiederholt gelungen, von den Kaisern anerkannt zu werden. Im 11. Jahrhundert wurde sogar ein taoistisches Prüfungswesen nach dem Muster des konfuzianischen, mit 5 Graden, neben den orthodoxen Prüfungen etabliert. In solchen Fällen handelte es sich also darum, taoistisch gebildeten Studenten die Aemter und Pfründen zugänglich zu machen; jedesmal aber erhob sich hiergegen der geschlossene Protest der konfuzianischen Schule, der es denn auch gelang, die Taoisten aus dem Pfründengenuß wieder hinauszuwerfen. Drehte sich so der Streit ökonomisch und sozial um die Frage: wer den Genuß der Steuererträge des Reichs haben sollte, so wirkte sich in diesen Kämpfen doch auch der tiefe innere Gegensatz des Konfuzianismus gegen alle emotionellen Formen der Religiosität und Magie aus. Fast stets waren es, sahen wir, Harem und Eunuchen, die traditionellen Feinde der Literaten, durch welche die taoistischen Zauberer den Weg zum Palaste fanden: – bei dem Versuch von 741 wurde ein Eunuch Akademiepräsident. Und stets war es der stolze, maskuline, rationale und nüchterne, darin dem Römertum verwandte, Geist des Konfuzianismus, der sich dagegen sträubte, die hysterische Erregung der Weiber und ihre Zugänglichkeit für Aberglauben und Mirakel sich in die Leitung der Staatsgeschäfte mischen zu lassen. Der Gegensatz ist in dieser Art bis zuletzt bestehen geblieben. In einem in anderem Zusammenhang zitierten Bericht eines Hanlin-Professors aus dem Jahre 1878 anläßlich der allgemeinen Erregung bei einer großen Dürre wird den beiden regierenden Kaiserinnen nachdrücklich vorgetragen: daß nicht Erregung, sondern ausschließlich und allein ein »gefaßter und unerschütterter Geist«, im übrigen aber die korrekte Erfüllung der rituellen und ethischen Staatspflichten die kosmische Ordnung erhalten und wiederherstellen könne. Der Antragsteller fügt mit deutlicher Spitze echt konfuzianisch hinzu: er beanspruche seinerseits nicht, die Geheimnisse der Dämonen und Geister enthüllen oder aus Zeichen wahrsagen zu können, aber Eunuchen und Gesinde des noch jugendlichen Kaisers sollten sich vor abergläubischem Geschwätz hüten, welches die Gefahr der Heterodoxie mit sich bringe. Er schließt mit der schon früher zitierten Mahnung, die Kaiserinnen sollten durch Uebung der Tugend und nicht auf andere Weise der Lage Rechnung tragen. Das in seinem stolzen Freimut eindrucksvolle Denkmal konfuzianischer Gesinnung zeigt zugleich unverkennbare Nachklänge der alten Gegensätze. Für die Anhänglichkeit von Kreisen der Kaufmannschaft an den Taoismus war, sahen wir, ausschlaggebend: daß ihr Spezialgott des Reichtums, also der Be rufsgott der Kaufmannschaft, ein von taoistischer Seite gepflegter Gott war. Der Taoismus hat ja eine ganze Anzahl von solchen Spezialgöttern zu Ehren gebracht. So den als Kriegsgott kanonisierten Heros der kaiserlichen Truppen, Studentengötter, Götter der Gelehrsamkeit und vor allem auch: der Langlebigkeit. Denn hierin lag eben, wie in den eleusinischen Mysterien, auch beim Taoismus der Schwerpunkt: in den Verheißungen von Gesundheit, Reichtum und glücklichem Leben im Diesseits und Jenseits. Die Lehre von den Handlungen und Vergeltungen stellt für alle Handlungen Belohnungen und Strafen durch die Geister in Aussicht, sei es im Diesseits, sei es im Jenseits, sei es an dem Täter selbst, sei es – im Gegensatz zur Seelenwanderungslehre – an seinen Nachkommen. Die Jenseitsversprechungen insbesondere zogen ein großes Publikum an. Da die Lehre, daß das »richtige Leben« des einzelnen für sein Verhalten, das des Fürsten für das Schicksal des Reichs und die kosmische Ordnung entscheidend sei, den Taoisten ebenso selbstverständlich war wie den Konfuzianern, so mußte auch der Taoismus ethische Anforderungen stellen. Aber diese unsystematischen Ansätze zu einer Verknüpfung des Jenseitsschicksals mit einer Ethik blieben ohne Folge. Die nackte Magie, von der konfuzianischen Bildungsschicht nie ernstlich bekämpft, überwucherte immer wieder alles. Eben infolgedessen hat sich die taoistische Lehre in der geschilderten Art zunehmend zu einer sakramentalen Therapie, Alchimie, Makrobiotik und Unsterblichkeitstechnik entwickelt. Der Urheber der Bücherverbrennung, der Feind der Literaten ist durch die Unsterblichkeitstränke der Taoisten mit ihnen zusammengeführt worden. Seine Expedition nach den Inseln der Unsterblichen im Ostmeer wird in den Annalen verzeichnet. Andere Herrscher mehr durch ihre Versuche, Gold zu machen. Innerhalb der für die Lebensführung der Gebildeten maßgebenden Schicht des literarisch geschulten Beamtentums blieb die ursprüngliche Lehre Laotses in ihrem Sinne unverstanden und in ihren Konsequenzen schroff abgelehnt, die Magie der seinen Namen führenden Priester aber wurde mit duldsamer Verachtung als geeignete Kost für die Massen behandelt. Darüber, daß der Taoismus sowohl in seiner hierarchischen Organisation, wie seiner Pantheonbildung (namentlich: der Trias der höchsten Götter), wie in seinen Kultformen, wenn nicht alles, so doch vieles, erst dem Buddhismus nachgeahmt hat, herrscht im allgemeinen unter den Sinologen kein Zweifel, wenn auch der Grad der Abhängigkeit bestritten ist. In seinen Wirkungen war der Taoismus noch wesentlich traditionalistischer als der orthodoxe Konfuzianismus. Dies ist von einer durchaus magisch orientierten Heilstechnik, deren Zauberer ja an der Erhaltung der Tradition und vor allem der überlieferten Deisidaimonie direkt mit ihrer ganzen ökonomischen Existenz interessiert waren, nicht anders zu erwarten. Und es nimmt daher nicht wunder, dem Taoismus die ausdrückliche Formulierung des Grundsatzes: 'führe keine Neuerungen ein', zugeschrieben zu finden. In jedem Falle führte von hier nicht nur kein Weg zu einer rationalen – sei es inner- oder außerweltlichen – Lebensmethodik, sondern die taoistische Magie mußte eines der ernstlichsten Hindernisse für die Entstehung einer solchen werden. Die eigentlich ethischen Gebote waren im späteren Taoismus – für die Laien – materiell wesentlich die gleichen, wie im Konfuzianismus. Nur daß der Taoist von ihrer Erfüllung persönliche Vorteile, der Konfuzianer mehr das gute Gewissen des Gentleman erwartete. Der Konfuzianer operierte mehr mit dem Gegensatz: 'recht' – 'unrecht', der Taoist, wie jeder Magier, mehr mit 'rein' – 'unrein'. Trotz seines Interesses für Unsterblichkeit und jenseitige Strafen und Belohnungen blieb er innerweltlich orientiert wie der Konfuzianer. Der Gründer der taoistischen Hierarchie soll sich das, die Aeußerung des Achilleus in der Unterwelt noch überbietende Wort des Philosophen Tschuang-Tse ausdrücklich angeeignet haben: daß »die Schildkröte lieber lebend den Schwanz durch den Kot schleifen als tot in einem Tempel verehrt werden wolle«. Nachdrücklich ist daran zu erinnern, daß die Magie auch im orthodoxen Konfuzianismus ihren anerkannten Platz behalten hat und ihre traditionalistischen Wirkungen übte. Wenn, wie erwähnt, noch im Jahre 1883 ein Zensor dagegen protestierte, daß die Deicharbeiten am Hoangho nach moderner Technik, also anders als in den Klassikern vorgesehen, vorgenommen würden, so war dabei zweifellos die Befürchtung vor Beunruhigung der Geister ausschlaggebend. Nur die bei den volkstümlichen Magiern vorkommende emotionale und die bei den Taoisten heimische apathische Ekstase, überhaupt alle in diesem psychologischen Sinn »irrationale« Magie und jede Form von Mönchsaskese lehnte der Konfuzianismus durchaus ab. Hinlänglich starke Motive für eine religiös orientierte, etwa puritanische, Lebensmethodik des einzelnen konnte die chinesische Religiosität also weder in ihrer offiziellen staatskultischen noch in ihrer taoistischen Wendung aus sich heraussetzen. Es fehlte bei beiden Formen jede Spur einer satanischen Macht des Bösen, mit welcher der im chinesischen Sinn fromme Mensch – er sei orthodox oder heterodox – um sein Heil zu ringen hätte. Die genuin konfuzianische Lebensweisheit war 'bürgerlich' im Sinne des optimistischen aufgeklärten Beamtenrationalismus mit seinem, jeder Aufklärung leicht beigemengten, supersti tiösen Einschlag. 'Ständisch' aber war sie als eine Moral des literarischen Intellektuellentums: Bildungsstolz war ihre spezifische Note. Selbst dem denkbar grenzenlosesten utilitarischen Optimismus und Konventionalismus konnte jedoch die Tatsache nicht entgehen: daß diese beste der möglichen sozialen Ordnungen, innerhalb deren Unglück und Unrecht nur die Folge von Unbildung des einzelnen oder charismatischer Unzulänglichkeit der Regierung – oder, nach taoistischer Lehre, von magisch relevanten Verfehlungen – sein sollten, angesichts der tatsächlichen Verteilung der Glücksgüter und der Unberechenbarkeit des Lebensschicksals doch oft auch mäßigen Ansprüchen nicht genügte. Das ewige Problem der Theodizee mußte auch hier entstehen. Und wenigstens dem Konfuzianer stand ein Jenseits oder eine Seelenwanderung nicht zur Verfügung. Infolgedessen findet sich in leisen Spuren innerhalb der klassischen Schriften die Andeutung einer Art von esoterischen Prädestinationsglaubens. Die Vorstellung hatte einen etwas zwiespältigen Sinn, ganz entsprechend dem Charakter der chinesischen Bureaukratie als einer dem Wesen nach dem Kriegsheldentum fernstehenden, ebenso aber auch ständisch von allem rein Bürgerlichen geschiedenen Literatenschicht. Die Konzeption einer Vorsehung fehlte dem Volksglauben, scheint es, gänzlich. Dagegen entwickelte er deutliche Ansätze eines astrologischen Glaubens an die Herrschaft der Gestirne über das Schicksal des einzelnen. Der Esoterik des Konfuzianismus – soweit man von einer solchen sprechen kann – scheint der Vorsehungsglaube nicht schlechthin fremd. Aber – namentlich bei Mencius zeigt sich das – die Vorsehung bezog sich im allgemeinen nicht auf das konkrete Schicksal des einzelnen Menschen, sondern nur auf die Harmonie und den Verlauf der Schicksale der sozialen Gesamtheit als solcher, ganz wie bei allen urwüchsigen Gemeinschaftskulten. Andererseits aber war auch die jedem rein menschlichen Heldentum – welches den Glauben an eine gütige Vorsehung überall stolz abgelehnt hat – spezifische Auffassung der Vorherbestimmung als eines irrationalen Verhängnisses im Sinne etwa der hellenischen »Moira«, einer unpersönlichen Schicksalsmacht also, welche die großen Peripetien im Leben des einzelnen bestimmt, im Konfuzianismus nicht wirklich durchgeführt. Sondern beides stand nebeneinander. Seine eigene Mission und was sie beeinflußte, sah Konfuzius offenbar als positiv providentiell geordnet an. Daneben findet sich nun der Glaube an die irrationale Moira. Und zwar in sehr charakteristischer Wendung. Nur der »höhere Mensch«, so heißt es, weiß überhaupt vom Schicksal. Und ohne Schicksalsglauben, wird hinzugefügt, kann man kein vornehmer Mensch sein. Der Glaube an eine Vorherbestimmung diente also hier, wie auch sonst, dazu, diejenige Art von stoischem Heldentum, welche dem literarischen Intellektualismus allein zugänglich ist: die 'Bereitschaft', etwa im Sinne Montaignes, zu unterbauen, um mit Gleichmut das Unabänderliche hinzunehmen und eben darin die Gesinnung des vornehm gebildeten Kavaliers zu bewähren. Der gemeine Mann jagt, schicksalsfremd oder in Angst vor dem Verhängnis, nach Glück und Gut, oder er steht – und dies schien, nach den Missionarberichten, praktisch die Regel zu sein – dem Schicksalswechsel, wenn auch nicht als einem Kismet, so doch als einem Fatum, resignierend gegenüber. Während der konfuzianische 'höhere' Mensch, vom Verhängnis wissend und ihm innerlich gewachsen, in stolzem Gleichmut seiner Persönlichkeit und ihrer Pflege zu leben gelernt hat. Man sieht: hier wie immer diente dieser, eine restlos rationale innerweltliche Theodizee wenigstens für den einzelnen ablehnende (daher von manchem Philosophen als die Ethik gefährdend verworfene und innerhalb des Konfuzianismus gegen den sonstigen Rationalismus des Systems in Spannung lebende) Glaube an die Irrationalität der Prädestination, der zu den andern uns schon bekannten irrationalen Bestandteilen des konfuzianischen Rationalismus hinzutritt, als Stütze der Vornehmheit. In einem charakteristisch anderen Sinne als der an einem persönlichen Gott und seiner Allmacht orientierte puritanische Prädestinationsglaube, der zwar gleichfalls die Güte der Vorsehung hart und klar ablehnte, aber dabei dennoch für sich nach dem Jenseits blickte. Das Jenseits aber kümmerte im Konfuzianismus den vornehmen so wenig wie den gemeinen Mann. Das einzige über den Tod hinausreichende Interesse des ersteren war die Ehre seines Namens, für die er den Tod zu leiden bereit sein mußte. Und in der Tat haben konfuzianische Herrscher und Generäle – wenn im hohen Spiel des Krieges und der Menschenschicksale der Himmel gegen sie war – mit Stolz zu sterben gewußt, besser als wir das an ihren christlichen Kollegen bei uns zu erleben hatten. Daß dieses spezifische Ehrgefühl Kennzeichen des vornehmen Mannes war, und daß es sich wesentlich an eigene Leistungen, nicht an Geburt knüpfte, war wohl das stärkste Motiv hochgespannter Lebensführung, welches der Konfuzianismus überhaupt kannte. Auch darin war diese Lebensführung durchaus ständisch und nicht in unserem okzidentalen Sinne 'bürgerlich' orientiert. Damit ist auch schon gesagt, daß die Bedeutung einer solchen Intellektuellenethik für die breiten Massen ihre Schranken haben mußte. Zunächst waren die lokalen und vor allem die sozialen Unterschiede der Bildung selbst enorme. Die traditionalistische und bis in die Neuzeit stark naturalwirtschaftliche Bedarfsdeckung, aufrechterhalten bei den ärmeren Völkskreisen durch eine nirgends in der Welt erreichte, an das Unglaubwürdige grenzende Virtuosität im Sparen (im konsumtiven Sinne des Worts), war nur möglich bei einer Lebenshaltung, welche jede innerliche Beziehung zu den Gentlemanidealen des Konfuzianismus ausschloß. Nur die Gesten und Formen des äußeren Sichverhaltens der Herrenschicht konnten hier, wie überall, Gegenstand allgemeiner Rezeption sein. Der entscheidende Einfluß der Bildungsschicht auf die Lebensführung der Massen hat sich aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem durch einige negative Wirkungen vollzogen: die gänzliche Hemmung des Entstehens einer prophetischen Religiosität einerseits, die weitgehende Austilgung aller orgiastischen Bestandteile der animistischen Religiosität andererseits. Es muß als möglich gelten, daß dadurch wenigstens ein Teil jener Züge mitbedingt ist, welche man zuweilen als chinesische Rassenqualitäten anzusprechen pflegt. Vor allem die kühle Temperierung der konfuzianischen Sozialethik, dann ihre Ablehnung anderer als rein personaler – familialer, scholarer oder kameradschaftlicher – Bande spielten hier mit. Die Wirkung der Erhaltung dieses Personalismus zeigt vor allem die Sozialethik. Es fehlte in China bis in die Gegenwart das Verpflichtungsgefühl gegenüber 'sachlichen' Gemeinschaften, seien sie politischer oder ideeller oder welcher Natur immer. Alle Sozialethik war hier lediglich eine Uebertragung organischer Pietätsbeziehungen auf andere, die ihnen gleichartig gedacht wurden. Die Pflichten innerhalb der fünf natürlichen sozialen Beziehungen: zum Herrn, Vater, Ehemann, ältern Bruder (einschließlich des Lehrers) und Freund enthielten den Inbegriff aller unbedingt bindenden Ethik. Der konfuzianische Grundsatz der Reziprozität, welcher allen außerhalb dieser Beziehungen liegenden natürlichen sachlichen Pflichten zugrunde liegt, enthielt keinerlei pathetisches Element in sich. Alle in der genuinen Sozialethik der Nachbarschaftsverbände überall bodenständigen Pflichten, so namentlich die überall als Zeichen vornehmer Lebensführung geltende, von allen heiligen Sängern gepriesene, von jeder religiösen Ethik rezipierte Gastfreiheits- und Wohltätigkeitspflicht der Besitzenden, hatten unter der Einwirkung der konfuzianischen Rationalisierung und Konventionalisierung der ganzen Lebensführung sehr stark formelhaften Charakter angenommen. So namentlich das 'Praktizieren der Tugend' – wie der charakteristische übliche Ausdruck lautete – in Gestalt der Gastlichkeit für Arme am 8. Tage des 12. Monats. Das Almosen – das urwüchsige Kerngebot aller ethischen Religiosität – war ein traditioneller Tribut geworden, dessen Verweigerung gefährlich war. Die christliche Bedeutsamkeit des Almosens hatte dazu geführt, die 'Armen', da ihre Existenz für das Seelenheil der Reichen notwendig war, als einen gottverordneten 'Stand' innerhalb der christlichen Gemeinschaft anzusehen. In China hatten sie sich in gut organisierten Gilden zusammengeschlossen, die zu prinzipiellen Feinden zu haben niemand leicht wagte. Daß im übrigen Hilfsbereitschaft dem 'Nächsten' gegenüber im allgemeinen nur erwartet wurde, wo ein konkreter persönlicher oder sachlicher Anlaß dazu vorhanden war, dürfte nicht nur in China das Normale sein und nur der Landeskenner kann beurteilen, ob tatsächlich, wie gesagt wird, hier ausgeprägter als anderwärts. Da der Volksreligiosität hier noch, wie der magischen Religiosität ursprünglich überall, dauernde leibliche Gebrechen als Folgen irgendeiner rituellen Sünde galten und das Gegengewicht religiöser Mitleidsmotive fehlte, so mag es, so sehr die Ethik (Mencius) den sozialen Wert des Mitleids rühmte, recht wohl sein, daß diese Empfindung nicht eben sehr entwickelt wurde. Jedenfalls nicht auf dem Boden des Konfuzianismus. Selbst die (heterodoxen) Vertreter der Feindesliebe (z.B. Mo ti) begründeten diese wesentlich utilitarisch. – Die heiligen persönlichen Pflichten der Sozialethik konnten nun untereinander in Konflikt geraten. Dann mußten sie eben relativiert werden. Zwangsteilungen von Familien- und fiskalischen Interessen, Selbstmorde und Weigerungen von Vätern, ihre Söhne (als Hochverräter) zu verhaften, abwechselnd Verordnung von Bambushieben für solche Beamten, die nicht trauerten, und für solche, die zu viel trauerten (also durch Amtsablehnung der Verwaltung Schwierigkeit machten) sind Zeugnisse davon. Aber ein Konflikt der Interessen des eigenen Seelenheils mit den Anforderungen der natürlichen sozialen Ordnungen nach christlicher Art war undenkbar. Ein Gegensatz von 'Gott' oder 'Natur' gegen 'positives Recht' oder 'Konvention' oder irgendwelche andere verpflichtende Mächte, und deshalb auch irgendein religiöses oder rationales, mit einer Welt der Sünde oder des Unsinns in Spannung oder Kompromiß lebendes, religiös unterbautes Naturrecht fehlte, außer aus den schon erwähnten, auch aus diesem Grunde selbst in den leisesten Ansätzen, wie jeder Blick auf die Fälle, in welchen die Klassiker gelegentlich von 'natürlich' reden, sofort zeigt. Denn dann ist immer der Kosmos der mit sich harmonischen Natur- und Gesellschaftsordnung gemeint. Gewiß erreicht fast kein Mensch die Stufe der unbedingten Vollendung. Aber jeder Mensch ist vollkommen zulänglich, sich innerhalb der sozialen Ordnungen, die ihn daran nicht im mindesten hindern, eine für ihn ausreichende Stufe der Vollkommenheit zu erwerben, indem er die offiziellen sozialen Tugenden: Menschenfreundlichkeit, Rechtlichkeit, Aufrichtigkeit, rituelle Pietät und Wissen, ausübt, je nachdem mehr in aktiver (konfuzianischer) oder mehr in kontemplativer (taoistischer) Färbung. Wenn die soziale Ordnung trotz Erfüllung jener Pflichten nicht zum Heil und zur Zufriedenheit aller führt, dann ist – sahen wir schon wiederholt – der charismatisch ungenügend qualifizierte Herrscher persönlich daran schuld. Darum gibt es im Konfuzianismus keinen seligen Urstand, sondern, wenigstens nach der klassischen Lehre, als Vorstufe der Kultur nur bildungslose Barbarei (für die man ja in den stets mit Einbruch drohenden wilden Gebirgsstämmen das Beispiel nahe hatte). Auf die Frage, wie man die Besserung der Menschen am schnellsten erreiche, antwortet der Meister im Lapidarstil: man möge sie zuerst bereichern und dann erziehen. Und in der Tat entsprach dem englischen formelhaften 'How do you do'? – charakteristisch das ebenso formelhafte 'Hast du Reis gegessen'? des Chinesen als Begrüßungsformel. Da Armut und Dummheit die einzigen beiden sozusagen »erbsündlichen« Qualitäten, Erziehung und Wirtschaft aber in der Prägung der Menschen allmächtig waren, so mußte der Konfuzianismus die Möglichkeit eines goldenen Zeitalters nicht in einem unschuldsvollen primitiven Naturstand, sondern vielmehr in einem optimalen Kulturstand erblicken. Nun wird uns in einer merkwürdigen Stelle der klassischen Schriften einmal ein Zustand geschildert, in welchem die Herrscherwürde nicht erblich, sondern durch Wahl besetzt ist, die Eltern nicht nur die eigenen Kinder als ihre Kinder lieben und umgekehrt, Kinder, Witwen, Alte, Kinderlose, Kranke aus gemeinsamen Mitteln erhalten werden, die Männer ihre Arbeit und die Frauen ihr Heimwesen haben, Güter zwar gespart, aber nicht zu Privatzwecken akkumuliert werden, die Arbeit nicht dem eigenen Vorteile dient, Diebe und Rebellen nicht existieren, alle Türen offen stehen und der Staat kein Machtstaat ist. Dies ist der »große Weg« und sein Resultat die »große Gleichartigkeit« – wogegen die durch Selbstsucht erzeugte empirische Zwangsordnung mit individuellem Erbrecht, Einzelfamilie, kriegerischem Machtstaat und der exklusiven Herrschaft der individuellen Interessen in charakteristischer Terminologie die »kleine Ruhe« genannt wird. Die Schilderung jener anarchistischen Idealgesellschaft fällt derart aus dem Rahmen der empirischen konfuzianischen Gesellschaftslehre heraus und ist speziell mit der Kindespietät als der Grundlage aller konfuzianischen Ethik so unvereinbar, daß die Orthodoxie sie teils auf Textverderbnis zurückführte, teils »tao-istische« Heterodoxie darin witterte (wie übrigens auch Legge tut), während begreiflicherweise jetzt die moderne Schule Kang-yu-wei's gerade diesen Ausspruch als Beweis für die konfuzianische Legitimität des sozialistischen Zukunftsideales zu zitieren pflegt. Tatsächlich dürfte auch diese Stelle ebenso wie manche andere im Li-ki der Ausdruck für die von de Groot besonders klar vertretene Ansicht sein: daß viele später und jetzt als heterodox oder doch unklassisch und sogar als eine besondere Religion angesehene Lehren sich ursprünglich zur Orthodoxie etwa so verhielten, wie christliche Mystik zur katholischen Kirche und sufistische Mystik zum Islam. Wie jede kirchliche Anstaltsgnade mit der individuellen Heilssuche des Mystikers stets nur künstlich in ein Kompromiß gebracht werden konnte, obwohl andererseits die kirchliche Anstalt selbst die Mystik als solche nicht grundsätzlich verwerfen durfte, so geriet hier die letzte Konsequenz des konfuzianischen Optimismus: die Hoffnung auf Erreichung rein irdischer Vollkommenheit ganz aus eigener ethischer Kraft der Individuen und durch die Macht geordneter Verwaltung, mit der ebenfalls grundlegenden konfuzianischen Anschauung in Spannung: daß die materielle und ethische Wohlfahrt des Volkes und aller einzelnen letztlich bedingt sei nur durch die charismatischen Qualitäten des vom Himmel legitimierten Herrschers und die staatliche Anstaltsfürsorge seiner Beamten. Aber eben diese Lehre führte den Taoismus zu seinen Konsequenzen. Die als heterodox geltende Lehre vom Nichtstun der Regierung als der Quelle alles Heils war ja nur die letzte Konsequenz des ins Mystische umschlagenden orthodox konfuzianischen Optimismus. Nur ihr akosmistisches Vertrauen auf die eigene Qualifikation und die Entwertung der Anstaltsgnade, welche daraus folgte, ließ dabei sofort die Gefahr einer Häresie entstehen. Die Ueberbietung der innerweltlichen Laiensittlichkeit durch das Aufsuchen besonderer Heilswege war eben hier, wie überall, das prinzipiell der Anstaltsgnade Bedenkliche, – ganz wie im kirchlichen nicht asketischen Protestantismus. Denn an sich war ja Tao: der »Weg« zur Tugend selbstverständlich, wie wir sahen, auch ein zentraler orthodox konfuzianischer Begriff. Und ebensogut, wie die mehr oder minder konsequenten, den Eingriff des Staates nur im Falle von allzu bedenklichen Exzessen der Reichtumsdifferenzierung vorbehaltenden, oben erwähnten Laissezfaire-Theorien einiger Konfuzianer, konnte sich natürlich die Mystik auf die Bedeutung der gottgewirkten, natürlichen, kosmischen und sozialen 'Harmonie' berufen, um das Prinzip des Nichtregierens daraus abzuleiten. Ebenso schwierig und zweifelhaft, wie die Feststellung, ob vom Standpunkt der mittelalterlichen Kirche ein Mystiker noch orthodox sei, war daher für den Konfuzianismus die entsprechende Feststellung für diese Lehren. Es ist also sehr verständlich, wenn de Groot die übliche Behandlung des Taoismus als einer eigentlichen Sonderreligion neben dem Konfuzianismus überhaupt ablehnt, obwohl die Religionsedikte der Kaiser selbst mehrfach und ausdrücklich neben dem Buddhismus den Taoismus als einen nur geduldeten unklassischen Glauben nennen. Der Soziologe hat sich im Gegensatz dazu an die Tatsache der hierokratischen Sonder organisation zu halten. Letztlich waren, material, die Scheidungen orthodoxer und heterodoxer Lehren und Praktiken ebenso wie alle entscheidenden Eigentümlichkeiten des Konfuzianismus durch seinen Charakter als einer ständischen Ethik der literarisch geschulten Bureaukratie einerseits, andererseits aber durch die Festhaltung der Pietät und speziell der Ahnenverehrung als der politisch unentbehrlichen Grundlage des Patrimonialismus bedingt. Nur wo diese Interessen bedroht schienen, reagierte der Selbsterhaltungsinstinkt der maßgebenden Schicht mit dem Stigma der Heterodoxie. In der grundlegenden Bedeutung des Ahnenkultes und der innerweltlichen Pietät als der Grundlage der patrimonialen Untertanengesinnung lag nun auch die wichtigste absolute Schranke der praktischen Toleranz des konfuzianischen Staates. Diese zeigte einerseits Verwandtschaft, andererseits auch charakteristische Unterschiede zu dem Verhalten der okzidentalen Antike. Der Staatskult kannte nur die offiziellen großen Geister. Aber auch die taoistischen und buddhistischen Heiligtümer begrüßte der Kaiser gegebenenfalls, nur daß er nicht, wie z.B. selbst vor dem heiligen Konfuzius, den Kotau machte, sondern sich mit einer höflichen Verbeugung begnügte. Geomantische Dienste werden staatlich entlohnt. Das Fung-schui war offiziell anerkannt. Gelegentlich finden sich Unterdrückungen von Exorzisten aus Tibet, – welche die Alten 'Wu' nannten, fügt das Dekret hinzu, – aber sicher aus rein ordnungspolizeilichen Gründen. Am Kult des taoistischen Stadtgottes nahm der Stadtmandarin offiziell teil und die Kanonisierungen durch den taoistischen Patriarchen bedurften des kaiserlichen Plazet. Weder existierten garantierte Ansprüche auf »Gewissensfreiheit«, noch waren andererseits Verfolgungen wegen rein religiöser Ansichten die Regel, außer wo entweder magische Gründe (ähnlich den hellenischen Religionsprozessen) oder politische Gesichtspunkte sie forderten. Aber diese verlangten immerhin ziemlich Erhebliches. Die kaiserlichen Religionsedikte und selbst ein Schriftsteller wie Mencius machten die Verfolgung der Ketzerei zur Pflicht. Die Mittel und die Intensität, auch der Begriff und das Ausmaß des 'Ketzerischen' wechselten. Wie die katholische Kirche die Leugnung der Sakramentsgnade und das römische Reich die Ablehnung des Kaiserkults, so hat der chinesische Staat die nach seinen Maßstäben staatsfeindlichen Häresien teils durch Belehrung (noch im 19. Jahrhundert durch ein eigenes amtlich verbreitetes Lehrgedicht eines Monarchen) bekämpft, teils aber mit Feuer und Schwert verfolgt. Entgegen der Legende von der unbeschränkten Duldsamkeit des chinesischen Staates hat noch das 19. Jahrhundert in fast jedem Jahrzehnt eine Häretikerverfolgung mit allen Mitteln (einschließlich der Zeugentortur) gesehen. Und andererseits war fast jede Rebellion mit einer Häresie intim verknüpft. Der chinesische Staat war, gegenüber etwa dem antiken römischen, insofern in einer besonderen Lage, als er außer den offiziellen Staatskulten und dem obligatorischen Ahnenkult der einzelnen auch, seit der endgültigen Rezeption des Konfuzianismus, eine offiziell allein anerkannte Lehre besaß. Insofern näherte er sich einem »konfessionellen« Staat und stand im Gegensatz zum vorchristlichen antiken Imperium. Das 'heilige Edikt' von 1672 gebot daher ausdrücklich (in der siebenten seiner sechzehn Sentenzen) die Ablehnung falscher Lehren. Dabei aber war die orthodoxe Lehre keine dogmatische Religion, sondern eine Philosophie und Lebenskunde. Das Verhältnis war in der Tat ähnlich, wie wenn etwa die römischen Kaiser des 2. Jahrhunderts die stoische Ethik offiziell als allein orthodox und ihre Annahme als Vorbedingung für die Uebertragung staatlicher Aemter rezipiert hätten. Demgegenüber war nun, wie in Indien und auf dem Boden jeder zur mystischen Erlösung führenden Religiosität überhaupt, die populäre Form der Sektenreligiosität die Spendung von Sakramentsgnade. Wurde der Mystiker zum Propheten, Propagandisten, Patriarchen, Beichtvater, so wurde er damit in Asien unvermeidlich auch zum Mystagogen. Aber das kaiserliche Amtscharisma duldete gerade solche Mächte mit selbständiger Gnadengewalt neben sich so wenig wie die Anstaltsgnade der katholischen Kirche es tun konnte. Es waren dementsprechend fast immer die gleichen Tatbestände, welche den Häretikern in den Motiven der kaiserlichen Ketzeredikte vorgeworfen wurden. Zunächst natürlich die Tatsache, daß nicht konzessionierte neue Götter verehrt wurden. Da aber im Grunde überhaupt das ganze volkstümliche Pantheon, soweit es vom staatskultischen abwich, als unklassisch und barbarisch galt, so war nicht dieser Punkt, sondern es waren die folgenden drei die wirklich entscheidenden: 1. Die Ketzer tun sich, angeblich zur Pflege tugendhaften Lebens, zu nichtkonzessionierten Gesellschaften zusammen, welche Kollekten veranstalten. 2. Sie haben Leiter, teils Inkarnationen, teils Patriarchen, welche ihnen jenseitige Vergeltung predigen und das jenseitige Seelenheil versprechen. 3. Sie beseitigen die Ahnentafeln in ihren Häusern und trennen sich zu mönchischem oder sonst unklas sischem Lebenswandel von der Familie ihrer Eltern. Der erste Punkt verstieß gegen die politische Polizei, welche nichtkonzessionierte Vereine verbot. Tugend sollte der konfuzianische Untertan privatim in den fünf klassischen sozialen Beziehungen üben. Er brauchte dazu keine Sekte, deren bloße Existenz ja das patriarchale Prinzip, auf welchem der Staat ruhte, verletzte. – Der zweite Punkt bedeutete nicht nur offenbaren Volksbetrug: – denn eine jenseitige Vergeltung und ein besonderes Seelenheil gab es ja nicht –, sondern er bedeutete auch ein Verschmähen des (innerweltlichen) Anstaltscharisma des konfuzianischen Staates, innerhalb dessen für das (diesseitige) Seelenheil zu sorgen Sache der Ahnen und im übrigen ausschließlich des vom Himmel dazu legitimierten Kaisers und seiner Beamten war. Jeder derartige Erlösungsglaube und jedes Streben nach Sakramentsgnade bedrohte also die Ahnenpietät sowohl wie das Prestige der Verwaltung. Aus dem gleichen Grunde war schließlich der dritte Vorwurf der entscheidendste von allen. Denn die Ablehnung des Ahnenkults bedeutete die Bedrohung der politischen Kardinaltugend der Pietät, an der die Disziplin in der Amtshierarchie und der Gehorsam der Untertanen hing. Eine Religiosität, welche von dem Glauben an die allentscheidende Macht des kaiserlichen Charisma und der ewigen Ordnung der Pietätsbeziehungen emanzipierte, war prinzipiell unerträglich. Dazu fügen die Motive der Dekrete je nach Umständen noch merkantilistische und ethische Gründe. Das kontemplative Leben, sowohl die individuelle kontemplative Heilssuche, wie, und namentlich, die Mönchsexistenz, war, mit konfuzianischen Augen gesehen, parasitäre Faulheit. Sie zehrte am Einkommen der erwerbstätigen Bürger, die buddhistischen Männer pflügten nicht (wegen des 'Ahimsa': des Verbotes, lebende Wesen – Würmer und Insekten – zu gefährden) und die Frauen webten nicht; das Mönchtum war überdies oft genug nur Vorwand, sich den Staatsfronden zu entziehen. Selbst Herrscher, welche den Taoisten oder Buddhisten, in der Zeit von deren Macht, den Thron verdankten, wendeten sich zuweilen alsbald gegen sie. Der eigentliche Kern der buddhistischen mönchischen Askese: der Bettel, wurde dem Klerus immer erneut ebenso untersagt wie die Erlösungspredigt außerhalb der Klöster. Diese selbst wurden, nachdem sie konzessionspflichtig geworden waren, zahlenmäßig scharf beschränkt, wie wir sehen werden. Die damit kontrastierende zeitweise entschiedene Begünstigung des Buddhismus beruhte wohl (wie bei den Mongolenkhanen die Einführung des Lamaismus) auf der Hoffnung, diese Lehre der Sanftmut zur Domestikation der Untertanen benutzen zu können. Allein die gewaltige Ausbreitung der Klöster, welche sie im Gefolge hatte, und das Umsichgreifen des Erlösungsinteresses führten schon sehr bald zu scharfer Repression, bis die buddhistische Kirche im 9. Jahrhundert jenen Schlag erhielt, von dem sie sich nie wieder ganz erholt hat. Wenn ein Teil ihrer und ebenso der taoistischen Klöster erhalten und sogar auf den Staatsetat genommen wurde, jedoch unter strengem staatlichen Diplomzwang für jeden Mönch: – nach Art des preußischen Kulturkampfes wurde eine Art von 'Kulturexamen' gefordert –, so war dafür, nach de Groots sehr plausibler Annahme, maßgebend wesentlich das Fung-schui: die Unmöglichkeit, einmal konzessionierte Kultstätten ohne vielleicht gefährliche Erregung von Geistern zu beseitigen. Wesentlich dies bedingte jene relative Toleranz, welche die Staatsräson den heterodoxen Kulten zubilligte. Diese Toleranz bedeutete keinerlei positive Schätzung, sondern mehr jene verächtliche 'Duldung', welche jeder weltlichen Bureaukratie der Religion gegenüber die natürliche, überall nur durch das Bedürfnis nach Domestikation der Massen temperierte Haltung ist. Der 'vornehme' Mensch befolgte diesen wie allen nicht offiziell von Staats wegen verehrten Wesen gegenüber den dem Meister selbst in den Mund gelegten sehr modernen Grundsatz: die Geister durch die bewährten Zeremonien zur Ruhe zu bringen, aber von ihnen 'Distanz zu halten'. Und die Praxis der Massen diesen geduldeten heterodoxen Religionen gegenüber hatte nichts mit unserem Begriff der 'Konfessionszugehörigkeit' zu tun. Wie der antike Okzidentale je nach Anlaß Apollon oder Dionysos verehrte und der Süditaliener die konkurrierenden Heiligen und Orden, so zollte der Chinese den offiziellen Zeremonien der Reichsreligiosität, den buddhistischen Messen, – die dauernd bis in die höchsten Kreise beliebt waren, – und der taoistischen Mantik ganz die gleiche Beachtung oder Mißachtung, je nach Bedarf und jeweiliger Bewährung der Wirksamkeit. Für die Begräbnisriten wurden im Pekinger Volksbrauch nebeneinander buddhistische und taoistische Sakramente verwendet, während der klassische Ahnenkult die Grundfärbung abgab. Unsinn war es jedenfalls, die Chinesen als der Konfession nach »buddhistisch« zu zählen, wie früher oft geschah. Nach unserem Maßstab wären eigentlich nur die eingeschriebenen Mönche und Priester 'Buddhisten'. Aber nicht die Mönchsform der Heterodoxie allein war das Entscheidende für die Gegnerschaft der Staatsgewalt. Im Gegenteil: als nun der Buddhismus und ebenso der von ihm beeinflußte Taoismus Laiengemeinschaften mit verheirateten Weltpriestern entwickelte, als also eine Art von Konfessions-Religiosität zu entstehen begann, griff die Regierung naturgemäß erst recht scharf ein, stellte die Priester vor die Wahl, sich entweder in die konzessionierten Klöster internieren zu lassen oder in weltliche Berufe zurückzukehren und unterdrückte vor allem die von den Sekten nach indischem Muster aufgenommene Sitte der Unterscheidungszeichen in Bemalung und Tracht in Verbindung mit den besonderen Aufnahmezeremonien und der Stufenleiter der religiösen Würden der Novizen je nach dem Rang der Mysterien, zu denen sie zugelassen waren. Denn hier entwickelte sich ja die spezifische Seite alles Sektentums: Wert und Würde der 'Persönlichkeit' wurden garantiert und legitimiert durch die Zugehörigkeit und Selbstbehauptung innerhalb eines Kreises spezifisch qualifizierter Genossen, nicht durch Blutsband, Stand oder obrigkeitliches Diplom. Gerade diese grundlegende Funktion aller Sektenreligiosität ist jeder Gnadenanstalt, der katholischen Kirche ebenso wie dem cäsaropapistischen Staat, noch weit odiöser als das leicht zu beaufsichtigende Kloster. Die zeitweilige, politisch bedingte, Förderung des Lamaismus bedeutete geschichtlich wenig, und die Schicksale des recht bedeutenden chinesischen Islam und des chinesischen, eigentümlich verkümmerten und so stark, wie sonst nirgends in der Welt, seines genuinen Charakters entkleideten Judentums, sollen uns hier nicht weiter interessieren. Die islamischen Herren im fernen Westen des Reiches wurden charakteristischerweise in manchen Edikten in der Funktion erwähnt: daß Verbrecher als Sklaven in ihren Besitz verkauft werden sollten. Die hier nicht weiter zu erörternde Verfolgung der 'europäischen Verehrung des Herrn vom Himmel' – wie der amtliche Name des Christentums lautete – bedarf keiner weiteren Motivierung. Auch bei größerem Takt der Missionare wäre sie unvermeidlich eingetreten. Nur kriegerische Gewalt hat hier zu vertragsmäßiger Duldung geführt, sobald einmal die christliche Propaganda in ihrem Sinne erkannt worden war. Die alten Religionsedikte motivierten dem Volk die Duldung der Jesuiten ausdrücklich mit ihren astronomischen Diensten. Die Zahl der Sekten (56 Nummern zählt de Groots Liste) war nicht gering und ihre Anhängerschaft groß, insbesondere in Honan, aber auch in andern Provinzen, ständisch besonders oft unter der Dienerschaft der Mandarinen und der Reistributflotte. Der Umstand, daß der orthodoxe (tsching) Konfuzianismus jede Heterodoxie (i tuan) als Versuch der Rebellion behandelte – wie ein Kirchenstaat eben verfährt – hat die meisten von ihnen recht oft dazu getrieben, zur Gewalt zu greifen. Recht viele sind über ein halbes Jahrtausend alt, manche noch älter, trotz aller Verfolgungen. Daß nicht etwa eine unüberwindliche »natürliche Anlage« es war, welche die Chinesen gehindert hat, Religionsformen von der Eigenart des Okzidents zu produzieren, bewies gerade in der neuesten Zeit der imponierende Erfolg der magiefeindlichen und bilderstürmerischen Prophetie Hang-siu-tschuan's, des Tien Wang ('Himmlischen Königs') des Taiping-tien-kwo ('Himmlischen Reichs des allgemeinen Friedens', 1850-64), der weitaus mächtigsten und dabei durchaus hierokratischen politisch-ethischen Rebellion gegen die konfuzianische Verwaltung und Ethik, welche, soviel bekannt, China überhaupt erlebt hat. Der angeblich einer verbauerten adligen Sippe angehörige Stifter, ein schwer epileptischer Ekstatiker, war, wie die byzantinischen Bilderstürmer vom Islam, so seinerseits zu seiner radikal allen Geisterglauben und alle Magie und Idolatrie puritanisch verwerfenden, halb mystisch-ekstatischen, halb asketischen Ethik vielleicht mit durch Einfluß protestantischer Missionen und der Bibel angeregt, in seiner Bildung jedoch konfuzianisch geschult (im Staatsexamen durchgefallen) taoistisch beeinflußt. Zu den kanonischen Büchern der von ihm mit Unterstützung seiner Sippe gestifteten Sekte gehörte die Genesis und das Neue Testament, zu ihren Gebräuchen und Symbolen ein der Taufe nachgeahmtes Wasserbad und statt des Abendmahls – infolge der Alkoholabstinenz – eine Art von Thee-Eucharistie, das modifizierte Vaterunser und der ebenfalls charakteristisch modifizierte Dekalog; daneben aber zitierte er das Schi King und andere klassische Werke in etwas krauser Auswahl der für seine Zwecke geeigneten Stellen, dabei natürlich, wie alle Reformer, vor allem zurückgreifend auf Aussprüche und Ordnungen des Kaiser des legendären Urzeitalters. Der Gottvater des Christentums, daneben Jesus als ihm nicht wesensgleich, aber 'heilig', endlich der Prophet als dessen 'jüngerer Bruder', auf dem der heilige Geist ruht, tiefer Abscheu gegen die Heiligen- und Bilderverehrung, ganz besonders auch gegen den Muttergotteskult, Gebete zu festen Stunden, Sabbatruhe Samstags mit zweimaligem Gottesdienst, bestehend aus Bibellesen, Litanei, Predigt, Vorlesen des Dekalogs, Hymnen, Weihnachtsfest, geistliche Schließung der (unlöslichen) Ehe, Zulässigkeit der Polygamie, Verbot der Prostitution bei Todesstrafe und strenge Absonderung der unverehelichten Weiber von den Männern, strenge Abstinenz von Alkohol, Opium, Tabak, Abschaffung des Zopfes und der weiblichen Fußverstümmelung, Opferspenden am Grabe der Toten, – diese eigentümliche, an den Eklektizismus Muhammeds erinnernde Mischung christlicher mit konfuzianischen Formen war das Resultat. Wie der orthodoxe Kaiser, so war auch der Tien Wang oberster pontifex, die fünf höchsten Res sortbeamten nächst ihm führten den Titel 'König' (des Westens, Ostens, Südens, Nordens und ein fünfter als Assistent), die drei Examensgrade fanden sich, unter Abschaffung des Aemterkaufs, auch im Taiping-Reich, alle Beamten wurden auch dort vom Kaiser ernannt, und auch die Magazinpolitik und die Zwangsrobot war der alten orthodoxen Praxis entnommen, während andererseits in manchen Punkten, so in der strengen Trennung der »äußeren« und »inneren« (wirtschaftlichen, unter Heranziehung weiblicher Leiter geführten) Verwaltung und in der verhältnismäßig 'liberalen' Verkehrs-, Straßenbau- und Handelspolitik wichtige Unterschiede bestanden. Der prinzipielle Gegensatz war wohl der gleiche wie zwischen Cromwells Regiment der Heiligen – mit einigen an den alten Islam und an das Täuferregiment in Münster erinnernden Zügen – und dem Laudschen cäsaropapistischen Staat. Der Staat war der Theorie nach das Gemeinwesen eines asketischen kriegerischen Ordens: militärischer Beutekommunismus typischer Form und ein Liebesakosmismus altchristlicher Art in Mischung miteinander, unter Zurückdrängung der nationalistischen Instinkte zugunsten der internationalen religiösen Verbrüderung. Der Beamte sollte nach religiösem Charisma und sittlicher Bewährung ausgelesen werden, die Verwaltungsbezirke waren einerseits Militärrekrutierungs- und Verproviantierungsbezirke, andererseits Kirchensprengel mit Bethallen, Staatsschulen, Bibliotheken und vom Tien Wang ernannten Geistlichen. Die militärische Disziplin war puritanisch streng wie die Lebensordnung mit ihrer Konfiskation aller Edelmetalle und Kostbarkeiten für die Gemeinschaftskosten. Auch geeignete Frauen wurden in das Heer eingereiht, Renten aus der Gemeinschaftskasse den für Verwaltungszwecke in Anspruch genommenen Familien gezahlt. In der Ethik ist der konfuzianische Schicksalsglaube mit der ins Neutestamentliche transponierten Berufstugend in Verbindung gebracht. Ethische »Korrektheit« – statt der zeremoniellen Korrektheit des Konfuzianers – ist 'das was den Menschen vom Tier unterscheidet' und auch beim Fürsten kommt auf sie alles an. Im übrigen die konfuzianische 'Reziprozität', nur daß man nicht sagen soll: man wolle den Feind nicht lieben. Mit dieser Ethik ist »das Glück zu erlangen leicht«, obwohl – im Gegensatz zum Konfuzianismus – die Natur des Menschen als von sich aus unfähig gilt, alle Gebote wirklich zu erfüllen: Reue und Gebet sind Mittel der Sündenvergebung. Die militärische Tapferkeit galt als wichtigste und Gott wohlgefälligste Tugend. Im Gegensatz zu der freundlichen Stellung zum Judentum und protestantischen Christentum wird die taoistische Magie und die buddhistische Idolatrie ebenso scharf verworfen wie der orthodoxe Geisterkult. Während protestantische Missionare des Dissent und der Low Church wiederholt in Taiping-Bethallen Gottesdienste gehalten haben, bestand die Feindschaft der Jesuiten – wegen der Bilderfeindschaft und der scharfen Verwerfung des Muttergotteskults – und der englischen High Church von Anfang an. Die Taiping-Heere waren, kraft der religiös bedingten Disziplin des Glaubenskampfes, den Heeren der orthodoxen Regierung ebenso überlegen wie die Cromwellsche Armee der königlichen. Die Regierung Lord Palmerstons fand es aber aus politischen und merkantilen Gründen zweckmäßig, diesen Kirchenstaat nicht aufkommen und jedenfalls den Vertragshafen Schanghai nicht in seine Hand fallen zu lassen. Mit Hilfe Gordons und der Flotte wurde die Taiping-Macht gebrochen und der Tien Wang, der sich jahrelang in visionären Ekstasen und einer Haremsexistenz im Palast abgeschlossen hatte, endete, nach vierzehnjährigem Bestand des Reichs, sein Leben und das seines Harems in Selbstverbrennung in seiner Residenz Nanking. Noch ein Jahrzehnt später wurden 'Rebellen'-Führer gefangen; die Menschenverluste, die finanzielle Schwächung und Verwüstung der beteiligten Provinzen sind noch weit länger nicht voll ausgeglichen worden. Auch die Taiping-Ethik war nach dem Gesagten ein eigentümliches Mischprodukt chiliastisch-ekstati scher und asketischer Elemente, immerhin mit einem in China wohl sonst niemals so stark hervortretenden Einschlag der letzteren, vor allem aber mit einer in China sonst unbekannten Sprengung der magischen und idolatrischen Gebundenheit und mit Uebernehmen des persönlichen gnädigen, universellen, von nationalen Schranken freien Weltgottes, welcher aller chinesischen Religiosität sonst ganz fremd geblieben war. Welche Bahnen der Entwicklung sie im Fall des Sieges weiter eingeschlagen hätte, läßt sich freilich schwerlich sagen. Die unvermeidliche Beibehaltung der Opfer an den Ahnengräbern – ähnlich wie sie auch die jesuitischen Missionen bis zum Einschreiten der Kurie auf die Denunziation der konkurrierenden Orden hinzugelassen hatten – und die Ansätze zur Betonung werkheiliger 'Korrektheit' hätten wahrscheinlich in ritualistische Bahnen zurückgeführt und die zunehmende zeremonielle Regelung aller staatlichen Ordnung hätte wohl auch das Prinzip der Anstaltsgnade wieder zurückgebracht. Immerhin bedeutete die Bewegung in wichtigen Punkten einen Bruch mit der Orthodoxie und bot ungleich mehr Aussicht, eine bodenständige und doch dem Christentum innerlich relativ angenäherte Religion entstehen zu lassen, als die hoffnungslosen Missionsexperimente der okzidentalen Konfessionen. Es könnte recht wohl der letzte Moment für das Entstehen einer solchen Art von Religion in China gewesen sein. – Der Begriff: 'private Gesellschaft', schon vorher politisch stark verdächtig, war seitdem vollends mit 'Hochverrat' weitgehend identisch. Dem zähen Ringen dieses 'schweigenden China' stand, zum mindesten in den Städten – weniger, aus verständlichen Gründen, auf dem Lande – die erbarmungslose Verfolgung der Bureaukratie – äußerlich erfolgreich gegenüber. Der ruhige, korrekt lebende Mann hielt sich von derartigem ängstlich fern. Das hat jenen Zug des ' Personalismus' noch verstärkt, von dem früher die Rede war. – Es ist der konfuzianischen Literatenbureaukratie also weitgehend gelungen, durch Gewalt und durch Appell an den Geisterglauben die Sektenbildung auf ein gelegentliches Aufflammen zu beschränken. Ueberdies aber waren die sämtlichen Sekten, von deren Eigenart nähere Nachrichten vorliegen, absolut heterogen gegenüber den Sektenbewegungen, mit welchen der okzidentale Katholizismus oder der Anglikanismus zu schaffen hatte. Es handelte sich stets um Inkarnationsprophetie oder um Propheten des mystagogischen Typus, welche – oft durch Generationen erblich im Besitz dieser Würde – im Verborgenen lebten, ihren Anhängern im Diesseits und (teilweise) Jenseits Vorteile versprachen, deren Heilsbedingungen aber ausschließlich magisch-sakramentalen oder ritualistischen oder allenfalls kontemplativ-ekstatischen Charakter hatten: rituelle Reinheit, die andächtige Wiederholung stets der gleichen Formeln oder bestimmte kontemplative Uebungen waren die regelmäßig wiederkehrenden soteriologischen Mittel. Nie aber, soviel bekannt, rationale Askese. Die genuin heterodox-taoistische Demut: Ablehnung aller feudalen Ostentation, hatte wesentlich kontemplative Motive, wie wir sahen. Ebenso zweifellos die Enthaltung von gewissen Arten des Luxuskonsums (Parfüms, kostbarem Schmuck), welche z.B. die Lung-Hua-Sekte ihren Gläubigen außer den üblichen buddhistischen Sektenregeln auferlegte. Auch da fehlte die Askese, wo die Sekten gewaltsame Bekämpfung ihrer Bedrücker in Aussicht nahmen und deshalb, wie eine in neuerer Zeit bekannt gewordene, das Boxen systematisch übten. Die 'League of righteous energy', wie die englische Uebersetzung des wirklichen Namens der 'Boxer' lautete, erstrebte Unverwundbarkeit durch magisches Training. Denn sie alle waren Derivate und eklektische Verschmelzungen heterodox-taoistischer mit buddhistischer Soteriologie, der sie keinerlei prinzipiell neue Elemente hinzugefügt hatten. Es scheint nicht, daß die Sekten klassenmäßig geschichtet waren. Natürlich war das Mandarinentum am strengsten orthodox konfuzianisch. Aber heterodoxe Taoisten und namentlich Anhänger der wesentlich einen gebetsformelhaften Hauskult pflegenden Lung-Hua-Sekte scheinen gerade unter den besitzenden Klassen, aus denen die Mandarinen doch ebenfalls meist hervorgingen, ziemlich verbreitet gewesen zu sein. Im übrigen stellten offenbar die Frauen hier, wie in jeder soteriologischen Religiosität, ein starkes Kontingent. Ganz begreiflicherweise, weil ihre religiöse Wertung durch die (heterodoxen und daher unpolitischen) Sekten hier ebenso, wie im Okzident, meist erheblich über dem Niveau ihrer Schätzung im Konfuzianismus stand. Im Alltagsleben der Massen spielten die vom Taoismus und Buddhismus entnommenen oder beeinflußten Elemente offenbar eine recht bedeutende Rolle. Es wurde einleitend allgemein dargelegt, daß die Heilands- und Erlösungsreligiosität überall ihre dauernde Stelle vornehmlich in den 'bürgerlichen' Klassen finden, wo sie an Stelle der Magie zu treten pflegen, welche zunächst die einzige für Not und Leid des einzelnen als solchen zur Verfügung stehende Zuflucht bildet, und daß aus der individuellen Heilssuche beim Magier die rein religiösen Gemeinden der Mystagogen herauszuwachsen pflegen. In China, wo der Staatskult ebenfalls von der Not des einzelnen keine Notiz nahm, ist die Magie niemals durch eine große Erlösungsprophetie oder einheimische Heilandsreli giosität verdrängt worden. Nur eine teils den hellenischen Mysterien, teils der hellenischen Orphik ungefähr entsprechende Unterschicht von Erlösungsreligiosität war entstanden. Sie war zwar stärker als dort, aber rein magischen Charakters geblieben. Der Taoismus war nur Organisation der Magier, der Buddhismus in der Form, wie er importiert wurde, nicht mehr die Erlösungsreligiosität der frühbuddhistischen Zeit Indiens, sondern magische und mystagogische Praxis einer Mönchsorganisation. In beiden Fällen fehlte also, wenigstens für die Laien, das soziologisch Entscheidende: eine religiöse Gemeindebildung. Diese volkstümlichen, in Magie stecken gebliebenen Erlösungsreligiositäten waren daher in aller Regel gänzlich unsozial. Der einzelne als einzelner wendete sich an den taoistischen Magier oder den buddhistischen Bonzen. Nur die buddhistischen Feste bildeten eine Gelegenheitsgemeinschaft und nur die heterodoxen, oft politische Ziele verfolgenden, aber eben deshalb auch politisch verfolgten Sekten Dauergemeinschaften. Es fehlte nicht nur alles, was unserer Seelsorge entspricht, sondern vor allem auch jede Spur von einer 'Kirchendisziplin' und also auch jedes Mittel einer religiösen Lebensreglementierung. Statt dessen hat er, wie etwa in den Mithras-Mysterien, Stufen und Grade der Heiligung und des hieratischen Ranges. – Diese, soziologisch angesehen, verkümmerten Ansätze von Erlösungsreligiosität sind dennoch, sittengeschichtlich betrachtet von erheblicher Wirkung gewesen. So gut wie alles, was das chinesische Volksleben an religiöser Predigt und individueller Heilssuche, Vergeltungs- und Jenseitsglauben, religiöser Ethik und andächtiger Innigkeit überhaupt aufwies, hat trotz der Verfolgungen, denen er ausgesetzt war, der Buddhismus importiert, wie ja ganz das gleiche auch für Japan gilt. Um freilich überhaupt zu einer 'Volksreligion' werden zu können, mußte diese mönchische Intellektuellensoteriologie Indiens die denkbar tiefstgehenden inneren Wandlungen durchmachen. Wir werden sie also zunächst auf ihrem Heimatboden betrachten müssen. Dann wird erst ganz verständlich werden, warum von dieser Mönchskontemplation her Brücken zum rationalen Alltagshandeln nicht geschlagen werden konnten und auch, warum die Rolle, die ihr in China zugestanden wurde, trotz der scheinbaren Analogie so stark von derjenigen abweicht, welche das Christentum in der Spätantike auf sich zu nehmen vermochte. |
3 | 1920.7 |
Weber, Max. Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen : Konfuzianismus und Taoismus
VIII. Resultat: Konfuzianismus und Puritanismus. Auszüge. … Es ist nach der Darstellung wohl völlig klar geworden: daß in dem Zaubergarten vollends der heterodoxen Lehre (Taoismus) unter der Macht der Chronomanten, Geomanten, Hydromanten, Meteoromanten, bei der krüden und abstrusen universistischen Vorstellung vom Weltzusammenhang, beim Fehlen aller naturwissenschaftlichen Kenntnis, welche teils Ursache teils aber auch Folge jener elementaren Gewalten war, bei der Verpfründung, der Stütze der magischen Tradition, an deren Sportelchancen sie interessiert war, eine rationale Wirtschaft und Technik moderner okzidentaler Art einfach ausgeschlossen war. Die Erhaltung dieses Zaubergartens aber gehörte zu den intimsten Tendenzen der konfuzianischen Ethik. Aber innere Gründe traten hinzu und hinderten jede Durchbrechung der konfuzianischen Macht. Die puritanische Ethik rückte, im stärksten Gegensatz zu der unbefangenen Stellungnahme des Konfuzianismus zu den Dingen der Erde, diese in den Zusammenhang einer gewaltigen und pathetischen Spannung gegenüber der 'Welt'… Der rechte Weg zum Heil war die Anpassung an die ewigen übergöttlichen Ordnungen der Welt: das Tao, und also an die aus der kosmischen Harmonie folgenden sozialen Erfordernisse des Zusammenlebens. Vor allem also: pietätvolle Fügsamkeit in die feste Ordnung der weltlichen Gewalten. Für den einzelnen war die Ausgestaltung des eigenen Selbst zu einer allseitig harmonisch ausbalancierten Persönlichkeit, einem Mikrokosmos in diesem Sinne, das entsprechende Ideal. 'Anmut und Würde' des konfuzianischen Idealmenschen: des Gentleman, äußerte sich in der Erfüllung der überlieferten Pflichten. Die zeremonielle und rituale Schicklichkeit also in allen Lebenslagen war, als Zentraltugend, Ziel der Selbstvervollkommnung, wache rationale Selbstkontrolle und Unterdrückung aller Erschütterung des Gleichgewichts durch irrationale Leidenschaften, welcher Art immer, das geeignete Mittel, sie zu erreichen. Irgendwelche 'Erlösung' aber, außer von der Barbarei der Unbildung, begehrte der Konfuzianer nicht. Was er als Lohn der Tugend erwartete, war im Diesseits langes Leben, Gesundheit und Reichtum, über den Tod hinaus aber die Erhaltung des guten Namens. Es fehlte, genau wie bei den genuinen Hellenen, jede transzendente Verankerung der Ethik, jede Spannung zwischen Geboten eines überweltlichen Gottes und einer kreatürlichen Welt, jede Ausgerichtetheit auf ein jenseitiges Ziel und jede Konzeption eines radikal Bösen. Wer die auf das Durchschnittskönnen der Menschen zugeschnittenen Gebote innehielt, war frei von Sünden. Vergebens suchten christliche Missionare ein Sündengefühl da zu wecken, wo solche Voraussetzungen selbstverständlich waren. Ein gebildeter Chinese würde entschieden ablehnen, dauernd mit 'Sünden' behaftet zu sein, wie ja übrigens für jede vornehme Intellektuellenschicht dieser Begriff etwas Peinliches, als würdelos Empfundenes zu haben und durch konventionell oder feudal oder ästhetisch formulierte Abwandlungen (etwa: 'unanständig' oder 'geschmacklos') vertreten zu werden pflegt. Gewiß gab es Sünden, aber das waren auf ethischem Gebiet Verstöße gegen die überlieferten Autoritäten: Eltern, Ahnen, Vorgesetzte in der Amtshierarchie, also gegen traditionalistische Gewalten, im übrigen aber magisch bedenkliche Verletzungen der überlieferten Bräuche, des überlieferten Zeremoniells und endlich: der festen gesellschaftlichen Konventionen. Diese alle standen untereinander gleich: 'ich habe gesündigt' entsprach unserem 'entschuldigen Sie' bei Verstößen gegen die Konvention. Askese und Kontemplation, Mortifikation und Weltfrucht waren innerhalb des Konfuzianismus nicht nur unbekannt, sondern als drohnenhaftes Schmarotzertum verachtet. Jede Form von Gemeinde-und Erlösungsreligiosität war teils direkt verfolgt und ausgerottet, teils in ähnlichem Sinne Privatangelegenheit und gering geschätzt wie etwa die orphischen Pfaffen bei den vornehmen Hellenen der klassischen Zeit. Die innere Voraussetzung dieser Ethik der unbedingten Weltbejahung und Weltanpassung war der ungebrochene Fortbestand rein magischer Religiosität, von der Stellung des Kaisers angefangen, der mit seiner persönlichen Qualifikation für das Wohlverhalten der Geister, den Eintritt von Regen und guter Erntewitterung verantwortlich war, bis zu dem für die offizielle wie für die Volksreligiosität schlechthin grundlegenden Kult der Ahnengeister, zu der inoffiziellen (taoistischen) magischen Therapie und den sonstigen bestehen gebliebenen Formen animistischen Geisterzwangs, anthropo- und herolatrischen Funktionsgötterglaubens. Mit der gleichen Mischung von Skepsis und gelegentlicher Uebermanntheit durch Deisidaimonie wie der gebildete Hellene stand der gebildete Konfuzianer, mit ungebrochener Gläubigkeit stand die in ihrer Lebensführung vom Konfuzianismus beeinflußte Masse der Chinesen innerhalb der magischen Vorstellungen. 'Tor, wer nach dort die Augen blinzend richtet....' würde der Konfuzianer mit dem alten Faust in bezug auf das Jenseits sagen, – aber wie dieser die Einschränkung machen müssen: 'Könnt' ich Magie von meinem Pfad entfernen...' Auch die im altchinesischen Sinne gebildetsten hohen Beamten zögerten selten, ein beliebiges stupides Mirakel andächtig zu verehren. Eine Spannung gegen die 'Welt' war nie entstanden, weil eine ethische Prophetie eines überweltlichen, ethische Forderungen stellenden Gottes, soweit die Erinnerung zurückreicht, völlig gefehlt hat. Daß die 'Geister' sie stellten – Vertragstreue vor allem forderten – war kein Ersatz dafür. Denn stets betraf das die unter ihren Schutz gestellte Einzelpflicht, – Eid oder was es war, – nie die innere Gestaltung der Persönlichkeit als solcher und ihrer Lebensführung. Die führende Intellektuellenschicht: Beamte und Amtsanwärter, hatten die Erhaltung der magischen Tradition und speziell der animistischen Ahnenpietät als ein absolutes Erfordernis der ungestörten Erhaltung der bureaukratischen Autoritäten konsequent gestützt und alle Erschütterungen durch Erlösungsreligiosität unterdrückt. Die – neben der taoistischen Divination und Sakramentsgnade – einzige, als pazifistisch und daher ungefährlich zugelassene Erlösungsreligion: die des buddhistischen Mönchtums, wirkte in China praktisch durch Bereicherung der seelischen Spannweite um einige Nuancen stimmungsvoller Innerlichkeit – wie wir sehen werden –, im übrigen aber nur als weitere Quelle magischer Sakramentsgnade und traditionsstärken- der Zeremonien. Damit ist auch schon gesagt, daß die Bedeutung einer solchen Intellektuellenethik für die breiten Massen ihre Schranken haben mußte. Zunächst waren die lokalen und vor allem die sozialen Unterschiede der Bildung selbst enorme. Die traditionalistische und bis in die Neuzeit stark naturalwirtschaftliche Bedarfsdeckung, aufrechterhalten bei den ärmeren Volkskreisen durch eine nirgends in der Welt erreichte, an das Unglaubwürdige grenzende Virtuosität im Sparen (im konsumtiven Sinne des Worts), war nur möglich bei einer Lebenshaltung, welche jede innerliche Beziehung zu den Gentlemanidealen des Konfuzianismus ausschloß. Nur die Gesten und Formen des äußeren Sichverhaltens der Herrenschicht konnten hier, wie überall, Gegenstand allgemeiner Rezeption sein. Der entscheidende Einfluß der Bildungsschicht auf die Lebensführung der Massen hat sich aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem durch einige negative Wirkungen vollzogen: die gänzliche Hemmung des Entstehens einer prophetischen Religiosität einerseits, die weitgehende Austilgung aller orgiastischen Bestandteile der animistischen Religiosität andererseits. Es muß als möglich gelten, daß dadurch wenigstens ein Teil jener Züge mitbedingt ist, welche man zuweilen als chinesische Rassenqualitäten anzusprechen pflegt. Es ließe sich heute sicherlich auch von genauen Kennern hier sowenig wie sonst etwas Bestimmtes darüber aussagen: wie weit der Einfluß des biologischen 'Erbgutes' reicht. Für uns ist aber eine, sehr leicht zu machende und von namhaften Sinologen bestätigte, Beobachtung wichtig: daß, je weiter zurück man in der Geschichte geht, desto ähnlicher die Chinesen und ihre Kultur (in den für uns hier wichtigen Zügen) dem erscheinen, was man auch bei uns findet. Sowohl der alte Volksglaube, die alten Anachoreten, die ältesten Lieder des Schiking, die alten Kriegskönige, die Gegensätze der Philosophenschulen, der Feudalismus, als die Ansätze kapitalistischer Entwicklung in der Zeit der Teilstaaten erscheinen uns weit verwandter mit okzidentalen Erscheinungen als die als charakteristisch geltenden Eigenschaften des konfuzianischen Chinesentums. Mit der Möglichkeit ist also zu rechnen: daß viele seiner gern als angeboren angesprochenen Züge Produkte rein historisch bedingter Kultureinflüsse waren. Für Züge dieser Art ist der Soziologe im wesentlichen auf die sicherlich sehr verschiedenwertige, aber schließlich doch die relativ sichersten Erfahrungen in sich bergende Missionarliteratur angewiesen… Das typische Mißtrauen der Chinesen gegeneinander wird von allen Beobachtern bestätigt und kontrastiert gewaltig gegen das Vertrauen auf die Ehrlichkeit der Glaubensbrüder in den puritanischen Sekten, welches gerade von außerhalb der Gemeinschaft her geteilt wurde… In bezug auf den Gebrauch der Rauschmittel gehörten die Chinesen seit der Pazifizierung (gegenüber der Bedeutung des Zechens im alten Männerhaus und an den Fürstenhöfen) zu den (relativ) 'nüchternen' Völkern. Rausch und orgiastische 'Besessenheit' hatten alle charismatische Heiligkeitsschätzung abgestreift und galten nur als Symptome dämonischer Herrschaft. Der Konfuzianismus verwarf den Gebrauch von Spirituosen, außer – als Rudiment – bei den Opfern. Daß tatsächlich der Alkoholrausch auch in China bei den unteren Volksschichten nichts Seltenes war, ändert doch nichts an der relativen Bedeutung des Unterschieds. Das als spezifisch chinesisch geltende Rauschmittel aber: das Opium, wurde erst in moderner Zeit importiert und seine Zulassung ist dem Lande bekanntlich gegen den schärfsten Widerstand der herrschenden Schichten von außen her durch Krieg aufgezwungen worden. Es liegt in seinen Wirkungen überdies in der Richtung der apathischen Ekstase, also in der geraden Verlängerung der Linie des 'Wu wei', nicht aber in der Linie des Heldenrausches oder der Entfesselung aktiver Leidenschaften. Die hellenische Sophrosyne hinderte Platon nicht, im Phaidros alles Große als aus dem schönen Wahnsinn geboren anzusehen. Darin dachte der Rationalismus sowohl des römischen Amtsadels, – welcher 'ekstasis' mit 'superstitio' übersetzte, – wie der chinesischen Bildungsschicht völlig anders. Die 'Ungebrochenheit' sowohl wie das, was als Indolenz empfunden wird, hängt vielleicht bis zu einem gewissen Grade mit diesem gänzlichen Fehlen dionysischer Elemente in der chinesischen Religiosität: – einer Folge bewußter Ernüchterung des Kults durch die Bureaukratie, – zusammen. Es gab nichts in ihr und sollte nichts in ihr geben, was die Seele aus dem Gleichgewicht hätte bringen können. Jede überstarke Leidenschaft, besonders auch der Zorn: Tschei, bewirkte bösen Zauber, und bei jedem Leiden fragte man zuerst: welchem Tschei es wohl zuzuschreiben sei. Die Erhaltung der animistischen Magie als einziger, zwar vom Gebildeten verachteter, aber doch durch den Charakter der offiziellen Kulte gestützter Form der Volksreligiosität bedingte die traditionalistische Angst vor jeder Neuerung, die bösen Zauber bringen und die Geister beunruhigen könnte. Sie erklärt die große Leichtgläubigkeit. Die Folge der Erhaltung des magischen Glaubens: daß Krankheit und Unglück Symptome selbstverschuldeten göttlichen Zornes seien, mußte eine gewisse Unterbindung jener sympathetischen Empfindungen begünstigen, welche aus dem Gemeinschaftsgefühl von Erlösungsreligionen dem Leiden gegenüber zu entspringen pflegen und daher in Indien die volkstümliche Ethik von jeher stark beherrschten. Die spezifisch kühle Temperierung der chinesischen Menschenfreundlichkeit, ja selbst der innergentilen Beziehungen, verbunden mit zeremoniöser Korrektheit und egoistischer Angst vor den Geistern, waren das Resultat. Eine Fundgrube folkloristischer Forschung, wie sie namentlich W. Grubes Arbeiten ausnutzen, stellen die unermeßlichen zeremoniellen, in ihrer Umständlichkeit und vor allem in der Unverbrüchlichkeit aller Einzelheiten fast beispiellosen Bindungen dar, wie sie die Existenz des Chinesen vom Embryo angefangen bis zum Totenkult umgaben. Davon ist ein Teil ersichtlich magischen, namentlich apotropäischen Ursprungs. Ein anderer fällt dem Taoismus und dem weiterhin noch zu erörternden Volksbuddhismus zur Last, die beide auf dem Gebiet des Alltagslebens der Massen sehr tiefe Spuren hinterlassen haben. Aber es bleibt ein sehr bedeutender Rest rein konventionell- zeremoniellen Charakters. Die zeremoniell vorgeschriebenen Fragen, auf welche die zeremoniell vorgeschriebene Antwort zu geben war, die zeremoniell unumgänglichen Anerbietungen, deren in bestimmter Form zu gebende dankende Ablehnung zeremoniell geregelt war, die Besuche, Geschenke, Achtungs-, Beileids- und Mitfreudekundgebungen zeremoniellen Charakters lassen alles weit hinter sich, was etwa in Spanien innerhalb der (feudal und wohl auch islamisch beeinflußten) altbäuerlichen Tradition sich bis an die Schwelle der Gegenwart erhalten hatte. Und hier, auf dem Gebiet der Geste und des 'Gesichtes', ist der Ursprung aus dem Konfuzianismus im ganzen als vorwiegend anzunehmen auch da, wo er nicht nachweisbar ist. Nicht immer, wohlverstanden, in der Art des Brauches, aber: in dem 'Geist', in dem er geübt wurde, wirkte sich der Einfluß seines Schicklichkeits-Ideales aus, dessen ästhetisch kühle Temperatur alle aus feudalen Zeiten überkommenen Pflichten, insbesondere die karitativen, zum symbolischen Zeremoniell erstarren ließ. Auf der andern Seite band der Geisterglaube die Sippengenossen um so enger aneinander. Die vielbeklagte Unwahrhaftigkeit war zweifellos zum Teil, – wie auch im antiken Aegypten, – direktes Produkt des patrimonialen Fiskalismus, der überall dazu erzog – denn der Hergang der Steuerbeitreibung in Aegypten und China war sehr ähnlich: Ueberfall, Prügel, Hilfe der Versippten, Heulen der Bedrängten, Angst der Erpresser und Kompromiß. – Daneben aber sicher auch des ganz ausschließlichen Kults des zeremoniell und konventionell Schicklichen im Konfuzianismus. Aber auf der anderen Seite fehlten die lebendigen feudalen Instinkte, denen aller Handel mit dem Stichwort 'Qui trompe-t-on?' gebrandmarkt ist, und es konnte sich daher aus der Pragmatik der Interessenlage des monopolistisch gesicherten und vornehmen, gebildeten Außenhandelsstandes der Ko Hang Gilde jene geschäftliche Zuverlässigkeit entwickeln, welche an ihm gerühmt zu werden pflegt. Sie wäre, wenn dies zutrifft, mehr von außen ankultiviert als von innen heraus entwickelt, wie in der puritanischen Ethik. Dies gilt aber für die ethischen Qualitäten überhaupt. Eine echte Prophetie schafft eine systematische Orientierung der Lebensführung an einem Wertmaßstab von innen heraus, der gegenüber die 'Welt' als das nach der Norm ethisch zu formende Material gilt. Der Konfuzianismus war umgekehrt Anpassung nach außen hin, an die Bedingungen der 'Welt'. Ein optimal angepaßter, nur im Maße der Anpassungsbedürftigkeit in seiner Lebensführung rationalisierter Mensch ist aber keine systematische Einheit, sondern eine Kombination nützlicher Einzelqualitäten. Das Fortbestehen der animistischen Vorstellungen von der Mehrheit der Seelen des Einzelnen in der chinesischen Volksreligiosität könnte fast als ein Symbol dieses Tatbestandes gelten. Wo alles hinausgreifen über die Welt fehlte, mußte auch das Eigengewicht ihr gegenüber mangeln. Domestikation der Massen und gute Haltung des Gentleman konnten dabei entstehen. Aber der Stil, welchen sie der Lebensführung verliehen, mußte durch wesentlich negative Elemente charakterisiert bleiben und konnte jenes Streben zur Einheit von innen heraus, das wir mit dem Begriff 'Persönlichkeit' verbinden, nicht entstehen lassen. Das Leben blieb eine Serie von Vorgängen, kein methodisch unter ein transzendentes Ziel gestelltes Ganzes. Der Gegensatz dieser sozialethischen Stellungnahme gegen alle okzidentale religiöse Ethik war unüberbrückbar. Von außen könnten manche patriarchalen Seiten der thomistischen und auch der lutherischen Ethik Aehnlichkeiten mit dem Konfuzianismus aufzuweisen scheinen. Aber dieser Schein ist äußerlich Denn keine, auch nicht eine mit den Ordnungen der Erde in ein noch so enges Kompromiß verflochtene christliche Ethik konnte die pessimistische Spannung zwischen Welt und überweltlicher Bestimmung des einzelnen mit ihren unvermeidlichen Konsequenzen so von Grund aus beseitigen, wie das konfuzianische System des radikalen Weltoptimismus. Irgendwelche Spannung zwischen Natur und Gottheit, ethischen Anforderungen und menschlicher Unzulänglichkeit, Sündenbewußtsein und Erlösungsbedürfnis, diesseitigen Taten und jenseitiger Vergeltung, religiöser Pflicht und politisch-sozialen Realitäten fehlte eben dieser Ethik vollständig und daher auch jede Handhabe zur Beeinflussung der Lebensführung durch innere Gewalten, die nicht rein traditionell und konventionell gebunden waren. Die weitaus stärkste, die Lebensführung beeinflussende Macht war die auf dem Geisterglauben ruhende Familienpietät. Sie war es letztlich, welche den immer noch, wie wir sahen, starken Zusammenhalt der Sippenverbände und die früher erwähnte Art der Vergesellschaftung in Genossenschaften, welche als erweiterte Familienbetriebe mit Arbeitsteilung gelten können, ermöglichte und beherrschte. Dieser feste Zusammenhalt war in seiner Art ganz und gar religiös motiviert, und die Stärke der genuin chinesischen Wirtschaftsorganisationen reichte etwa ebensoweit, wie diese durch Pietät regulierten persönlichen Verbände reichten. Im größten Gegensatz gegen die auf Versachlichung der kreatürlichen Aufgaben hinauslaufende puritanische Ethik entfaltete die chinesische Ethik ihre stärksten Motive innerhalb der Kreise der naturgewachsenen (oder diesen angegliederten oder nachgebildeten) Personenverbände. Während die religiöse Pflicht gegen den überweltlichen, jenseitigen Gott im Puritanismus alle Beziehungen zum Mitmenschen: auch und gerade zu dem in den natürlichen Lebensordnungen ihm nahestehenden, nur als Mittel und Ausdruck einer über die organischen Lebensbeziehungen hinausgreifenden Gesinnung schätzte, war umgekehrt die religiöse Pflicht des frommen Chinesen gerade nur auf das Sichauswirken innerhalb der organisch gegebenen persönlichen Beziehungen hingewiesen. Die allgemeine 'Menschenliebe' lehnte Mencius mit der Bemerkung ab, daß dadurch Pietät und Gerechtigkeit ausgelöscht werden: weder Vater noch Bruder zu haben sei die Art der Tiere. Inhalt der Pflichten eines konfuzianischen Chinesen war immer und überall Pietät gegen konkrete, lebende oder tote Menschen, die ihm durch die gegebenen Ordnungen nahestanden, niemals gegen einen überweltlichen Gott und also niemals gegen eine heilige 'Sache' oder 'Idee'. Denn das 'Tao' war keines von beiden, sondern einfach die Verkörperung des bindenden traditionalistischen Rituals, und nicht 'Handeln', sondern 'Leere' war sein Gebot. Die personalistische Schranke der Versachlichung hat auch für die Wirtschaftsgesinnung ohne allen Zweifel, als eine Schranke der objektivierenden Rationalisierung, erhebliche Bedeutung gehabt, indem sie den Einzelnen immer erneut innerlich an seine Sippen- und sippenartig mit ihm verbundenen Genossen, jedenfalls an 'Personen', statt an sachliche Aufgaben ('Betriebe') zu binden die Tendenz hatte. Gerade sie war, wie die ganze Darstellung ergab, auf das Intimste verknüpft mit der Art der chinesischen Religiosität, mit jener Schranke der Rationalisierung der religiösen Ethik, welche die maßgebende Bildungsschicht im Interesse der Erhaltung der eigenen Stellung festhielt. Es ist von sehr erheblicher ökonomischer Bedeutung, wenn alles Vertrauen, die Grundlage aller Geschäftsbeziehungen, immer auf Verwandtschaft oder verwandtschaftsartige rein persönliche Beziehungen gegründet blieb, wie dies in China sehr stark geschah… Die Folgen des universellen Mißtrauens Aller gegen Alle, eine Konsequenz der offiziellen Alleinherrschaft der konventionellen Unaufrichtigkeit und der alleinigen Bedeutung der Wahrung des Gesichtes im Konfuzianismus, müssen ökonomisch vermutlich – denn hier gibt es keine Maßmethoden – ziemlich hoch veranschlagt werden. Der Konfuzianismus und die konfuzianische den 'Reichtum' vergötternde Gesinnung haben wirtschaftspolitische Maßregeln entsprechender Art begünstigen können (wie das auch die weltoffene Renaissance im Okzident, sahen wir, tat). Aber gerade hier kann man die Grenze der Bedeutung der Wirtschaftspolitik gegenüber der Wirtschaftsgesinnung sehen. Materielle Wohlfahrt ist nie und nirgends in Kulturländern mit solcher Emphase als letztes Ziel hingestellt worden. Die wirtschaftspolitischen Anschauungen des Konfuzius entsprachen etwa denen der 'Kameralisten' bei uns. Den Nutzen des Reichtums, auch des durch Handel erworbenen, betonte der Konfuzianer Se Ma Tsien, der selbst einen Traktat über die 'Handelsbilanz' – das älteste Dokument chinesischer Nationalökonomie – geschrieben hat. Die Wirtschaftspolitik war eine Abwechslung von fiskalischen und laissezfaire-Maßregeln, jedenfalls aber nicht der Absicht nach antichrematistisch. 'Verachtet' waren die Kaufleute in unserem Mittelalter ebenso und sind es von den Literaten heute ebenso, wie in China. Aber mit Wirtschaftspolitik schafft man keine kapitalistische Wirtschaftsgesinnung. Die Geldverdienste der Händler der Teilstaatenzeit waren politischer Gewinn von Staatslieferanten. Die großen Bergwerksfronden galten der Goldsuche. Kein Mittelglied führte aber vom Konfuzianismus und seiner ganz ebenso fest wie das Christentum verankerten Ethik zu einer bürgerlichen Lebensmethodik hinüber. Auf diese allein kam es aber an. Sie hat der Puritanismus – durchaus gegen seinen Willen – geschaffen. Die Paradoxie der Wirkung gegenüber dem Wollen: – Mensch und Schicksal (Schicksal die Folge seines Handelns gegenüber seiner Absicht) in diesem Sinn: das kann uns diese nur auf den allerersten oberflächlichen Blick seltsame scheinbare Umkehr des 'Natürlichen' lehren. Den radikal entgegengesetzten Typus einer rationalen Weltbehandlung stellt nun der Puritanisms dar. Das ist, sahen wir früher, kein ganz eindeutiger Begriff. Die 'Ecclesia pura' bedeutete praktisch, im eigentlichsten Sinne, vor allem die zu Gottes Ehre von sittlich verworfenen Teilnehmern gereinigte christliche Abendmahlsgemeinschaft… Der Konfuzianismus erforderte stetige wache Selbstbeherrschung im Interesse der Erhaltung der Würde des allseitig vervollkommneten perfekten Weltmannes, die puritanische Ethik im Interesse der methodischen Einheit der Eingestelltheit auf den Willen Gottes. Die konfuzianische Ethik beließ die Menschen höchst absichtsvoll in ihren naturgewachsenen oder durch die sozialen Ueber- und Unterordnungsverhältnisse gegebenen persönlichen Beziehungen. Sie verklärte diese, und nur diese, ethisch und kannte letztlich keine anderen sozialen Pflichten als die durch solche persönlichen Relationen von Mensch zu Mensch, von Fürst zu Diener, vom höheren zum niederen Beamten, von Vater und Bruder zum Sohn und Bruder, vom Lehrer zum Schüler, von Freund zu Freund geschaffenen menschlichen Pietätspflichten. Der puritanischen Ethik dagegen waren eben diese rein persönlichen Beziehungen, – obwohl sie sie natürlich, soweit sie nicht gottwidrig waren, bestehen ließ und ethisch regelte, – dennoch leicht verdächtig, weil sie Kreaturen galten. Die Beziehung zu Gott ging ihnen unter allen Umständen vor. Allzu intensive, kreaturvergötternde, Beziehungen zu Menschen rein als solchen waren unbedingt zu meiden. Denn das Vertrauen auf Menschen, gerade auf die natürlich nächststehenden, würde der Seele gefährlich sein… Daraus folgten praktisch sehr wichtige Unterschiede beider ethischer Konzeptionen, obwohl wir doch beide in ihrer praktischen Wendung als 'rationalistisch' bezeichnen werden und obwohl sie beide 'utilitarische' Konsequenzen zogen. Zwar nicht nur aus jener sozialethischen Stellungnahme, – sondern auch aus Eigengesetzlichkeiten der politischen Herrschaftsstruktur –, aber doch sehr wesentlich auch aus jener folgte die Erhaltung der Sippengebundenheit in China, der durchaus an persönliche Beziehungen geknüpfte Charakter der politischen und ökonomischen Organisationsformen, die alle (relativ) in sehr auffallender Art der rationalen Versachlichung und des abstrakten transpersonalen Zweckverbandscharakters entbehrten, von dem Fehlen eigentlicher 'Gemeinden', speziell in den Städten, angefangen bis zum Fehlen ökonomischer Vergesellschaftungs- und Betriebsformen rein sachlich zweckgebundener Art. Aus rein chinesischen Wurzeln sind solche so gut wie gar nicht entstanden. Alles Gemeinschaftshandeln blieb dort durch rein persönliche, vor allem verwandtschaftliche Beziehungen, und daneben durch Berufsverbrüderungen umspannt und bedingt. Während dagegen der Puritanismus alles versachlichte, in rationale 'Betriebe' und rein sachlich 'geschäftliche' Beziehungen auflöste, rationales Recht und rationale Vereinbarung an die Stelle der in China prinzipiell allmächtigen Tradition, lokalen Gepflogenheit und konkreten persönlichen Beamtengnade setzte. Noch wichtiger scheint ein anderes. Der weltbejahende Utilitarismus und die Ueberzeugung von dem ethischen Wert des Reichtums als universellen Mittels allseitiger sittlicher Vollendung in Verbindung mit der ungeheuren Volksdichte haben in China zwar die 'Rechenhaftigkeit' und Genügsamkeit zu sonst unerhörter Intensität gesteigert. Um jeden Pfennig wurde gefeilscht und gerechnet und täglich machte der Krämer seinen Kassensturz. Zuverlässige Reisende berichten, daß Geld und Geldinteressen in einem sonst seltenen Maße das Gesprächsthema der Einheimischen unter sich zu bilden schienen. Aber höchst auffallenderweise waren große methodische geschäftliche Konzeptionen rationaler Art, wie sie der moderne Kapitalismus voraussetzte, auf ökonomischem Gebiet wenigstens, aus diesem unendlich intensiven Wirtschaftsgetriebe und dem oft beklagten krassen 'Materialismus' heraus nicht entstanden und sind China überall da fremd geblieben, wo nicht (wie z.B. bei den Kantonesen) fremder Einfluß in der Vergangenheit, oder jetzt der Eindruck des unaufhaltsam vordringenden okzidentalen Kapitalismus sie ihnen lehrte. Aus eigenem sind zwar seinerzeit (wie es scheint speziell so lange die politischen Spaltungen bestanden) die Formen des politisch orientierten Kapitalismus, der Amts- und Notkreditwucher, Großhandelsprofite und auf gewerblichem Gebiet Ergasterien (auch größere Werkstätten), wie sie auch im späten Altertum, in Aegypten und im Islam vorkamen, neuerdings auch die übliche Abhängigkeit vom Verleger und Aufkäufer, auch sie jedoch im allgemeinen ohne die straffe Organisation des 'sistema domestico' schon unseres Spätmittelalters, entstanden. Aber trotz des recht intensiven Binnentausch- (und des wenigstens zeitweise ansehnlichen Außenhandels-) Verkehrs kein bürgerlicher Kapitalismus moderner, nicht einmal spätmittelalterlicher Art: nicht die rationalen Formen des spätmittelalterlichen und vollends des scientistischen europäischen kapitalistischen gewerblichen 'Betriebs', nicht eine 'Kapital'-Bildung europäischer Art (das chinesische Kapital, welches sich bei modernen Chancen beteiligte, war vorwiegend Mandarinen-, also durch Amtswucher akkumuliertes Kapital), keine rationale Methodik der Betriebsorganisation nach europäischer Art, keine wirklich rationale Organisation des kommerziellen Nachrichtendienstes, kein rationales Geldsystem, nicht einmal eine dem ptolemäischen Aegypten gleichkommende Entwicklung der Geldwirtschaft, nur Ansätze (charakteristische, aber wesentlich in ihrer technischen Unvollkommenheit charakteristische Ansätze) von Rechtsinstitutionen, wie sie unser Firmenrecht, Handelsgesellschaftsrecht, Wechsel- und Wertpapierrecht darstellen, und eine höchst begrenzte Verwendung der zahlreichen technischen Erfindungen für rein ökonomische Zwecke, schließlich kein wirklich technisch vollwertiges kaufmännisches Schrift-, Rechnungs-und Buchführungssystem. Also, trotz des fast völligen Fehlens der Sklaven – einer Folge der Befriedung des Reichs – sehr ähnliche, aber in mancher Hinsicht vom 'Geist' des modernen Kapitalismus und seinen Institutionen noch ferner abliegende Zustände, wie sie die mittelländische Antike aufweist. Eine trotz aller Ketzerrichterei im Vergleich mit der Intoleranz mindestens des calvinistischen Puritanismus weitgehende religiöse Duldung, weitgehende Freiheit des Güterverkehrs, Friede, Freizügigkeit, Freiheit der Berufswahl und der Produktionsmethoden, Fehlen aller Perhorreszierung des Krämergeistes: dies alles hat doch keinen modernen Kapitalismus in China entstehen lassen. Daß 'Erwerbstrieb', hohe, ja exklusive Schätzung des Reichtums und utilitaristischer 'Rationalismus' an und für sich noch nichts mit modernem Kapitalismus zu tun haben, kann man also gerade in diesem typischsten Lande des Erwerbes studieren. Erfolg und Mißerfolg schrieb zwar der chinesische kleinere und mittlere Geschäftsmann (und auch der große, der in den alten Traditionen stand) ebenso wie der Puritaner, göttlichen Mächten zu. Der Chinese aber seinem (taoistischen) Reichtumsgott: sie waren für ihn nicht Symptome eines Gnadenstandes, sondern Folgen magisch oder zeremoniell bedeutsamer Verdienste oder Verstöße und wurden daher durch rituelle 'gute Werke' wieder auszugleichen gesucht. Es fehlte ihm die zentral, von innen heraus, religiös bedingte rationale Lebensmethodik des klassischen Puritaners, für den der ökonomische Erfolg nicht letztes Ziel und Selbstzweck, sondern Mittel der Bewährung war. Es fehlte die bewußte Verschlossenheit gegen die Einflüsse und Eindrücke der 'Welt', die der Puritaner durch ein bestimmt und einseitig orientiertes rationales Wollen ebenso zu bemeistern trachtete wie sich selbst, und die ihn zur Unterdrückung gerade jener kleinlichen, jede rationale Betriebsmethodik zerstörenden Erwerbsgier anleitete, welche das Tun des chinesischen Kleinkrämers auszeichnete. Jene eigentümliche Verengerung und Verdrängung des natürlichen Trieblebens, welche die streng willensmäßige ethische Rationalisierung mit sich bringt und welche dem Puritaner anerzogen wurde, war dem Konfuzianer fremd. Bei ihm hatte die Beschneidung der freien Aeußerung der urwüchsigen Triebe einen anderen Charakter. Die wache Selbstbeherrschung des Konfuzianers ging darauf aus, die Würde der äußeren Gesten und Manieren, das 'Gesicht', zu wahren. Sie war ästhetischen und dabei wesentlich negativen Charakters: 'Haltung' an sich, ohne bestimmten Inhalt, wurde geschätzt und erstrebt. Die ebenso wache Selbstkontrolle des Puritaners richtete sich auf etwas Positives: ein bestimmt qualifiziertes Handeln, und darüber hinaus auf etwas Innerlicheres: die systematische Meisterung der eigenen, als sündenverderbt geltenden inneren Natur, deren Inventar der konsequente Pietist durch eine Art von Buchführung, so wie sie noch ein Epigone wie Benjamin Franklin täglich vornahm, feststellte. Denn der überweltliche allwissende Gott sah auf den zentralen inneren Habitus, die Welt dagegen, an die sich der Konfuzianer anpaßt, nur auf die anmutige Geste. Dem universellen, allen Kredit und alle Geschäftsoperationen hemmenden Mißtrauen, welches der nur auf die äußere 'Contenance' bedachte konfuzianische Gentleman gegen andere hatte und gegen sich selbst voraussetzte, stand das Vertrauen, insbesondere auch das ökonomische, auf die bedingungslose und unerschütterliche, weil religiös bedingte Legalität des Glaubensbruders beim Puritaner gegenüber. Dieses Vertrauen war genau ausreichend, seinen tiefen realistischen und durchaus respektlosen Pessimismus in bezug auf die kreatürliche Verderbtheit der Welt und der Menschen, auch und gerade der Höchststehenden, nicht zu einem Hemmnis des für den kapitalistischen Verkehr unentbehrlichen Kredits werden zu lassen, sondern ihn nur zu einer nüchternen, auf die Konstanz der für sachliche Geschäftszwecke nach dem Prinzip: 'honesty is the best policy' unentbehrlichen Motive zählenden, Abwägung des objektiven (äußeren und inneren) Könnens des Gegenparts zu veranlassen. Das Wort des Konfuzianers war schöne und höfliche Gebärde, die ihren Selbstzweck hatte, das Wort des Puritaners sachliche, knappe und absolut verläßliche geschäftliche Mitteilung: 'Ja, ja, nein nein, was darüber ist, das ist vom Uebel'. Die Sparsamkeit des Konfuzianers, übrigens beim Gentleman durch ständische Schicklichkeit eng begrenzt und, wo sie zum Uebermaß wurde, wie bei der mystisch bedingten Demut Laotses und mancher Taoisten, von der Schule bekämpft, war bei dem chinesischen Kleinbürgertum ein Zusammenscharren im Grunde nach Art des Thesaurierens im Bauernstrumpf. Es geschah um der Sicherung der Totenriten und des guten Namens, daneben um der Ehre und Freude des Besitzes als solchen willen, wie überall bei noch nicht asketisch gebrochener Stellungnahme zum Reichtum. Dem Puritaner dagegen war der Besitz als solcher ebenso Versuchung wie etwa dem Mönch. Sein Erwerb war ebenso ein Nebenerfolg und Symptom des Gelingens seiner Askese wie der der Klöster… Beim Konfuzianer war der Reichtum, wie eine vom Stiftel überlieferte Aeußerung ausdrücklich lehrt, das wichtigste Mittel, tugendhaft, d.h. würdig leben und sich der eigenen Vervollkommnung widmen zu können. 'Bereichert sie' war daher die Antwort auf die Frage nach dem Mittel, die Menschen zu bessern. Denn nur dann konnte man 'standesgemäß' leben. Beim Puritaner war der Erwerb ungewollte Folge, aber wichtiges Symptom der eigenen Tugend, die Verausgabung des Reichtums für eigene konsumtive Zwecke aber sehr leicht kreaturvergötternde Hingabe an die Welt. Reichtumserwerb würde Konfuzius an sich nicht verschmähen, aber er schien unsicher und konnte daher zur Störung des vornehmen Gleichgewichts der Seele führen und alle eigentliche ökonomische Berufsarbeit war banausisches Fachmenschentum. Der Fachmensch aber war für den Konfuzianer auch durch seinen sozialütilitarischen Wert nicht zu wirklich positiver Würde zu erheben. Denn – dies war das Entscheidende – 'der vornehme Mann' (Gentleman) war 'kein Werkzeug', d.h.: er war in seiner weltangepaßten Selbstvervollkommnung ein letzter Selbstzweck, nicht aber Mittel für sachliche Zwecke welcher Art immer. Dieser Kernsatz der konfuzianischen Ethik lehnte die Fachspezialisierung, die moderne Fachbureaukratie und die Fachschulung, vor allem aber die ökonomische Schulung für den Erwerb ab. Einer solchen 'kreaturvergötternden' Maxime setzte der Puritanismus gerade umgekehrt die Bewährung an den speziellen sachlichen Zwecken der Welt und des Berufslebens als Aufgabe entgegen. Der Konfuzianer war der Mensch literarischer Bildung und zwar, noch genauer: Buch-Bildung, Schrift-Mensch in der höchsten Ausprägung, ebenso fremd der hellenischen Hochwertung und Durchbildung der Rede und Konversation, wie der, sei es kriegerischen, sei es ökonomischen, Energie des rationalen Handelns. Die Mehrzahl der puritanischen Denominationen (wenn auch nicht alle gleichmäßig stark) lehnten, gegenüber der freilich unumgänglichen Bibelfestigkeit (die Bibel war ja eine Art von bürgerlichem Gesetzbuch und Betriebslehre), die philosophisch-literarische Bildung, die höchste Zierde des Konfuzianers, als eitlen Zeitverderb und als religiös gefährlich ab… Der typische Konfuzianer verwendete seine und seiner Familie Ersparnisse, um sich literarisch zu bilden und für die Examina ausbilden zu lassen und dadurch die Grundlage einer ständisch vornehmen Existenz zu haben. Der typische Puritaner verdiente viel, verbrauchte wenig und legte seinen Erwerb, zufolge des asketischen Sparzwangs, wieder werbend als Kapital in rationalen kapitalistischen Betrieben an. 'Rationalismus', dies ist für uns die zweite Lehre, enthielt der Geist beider Ethiken. Aber nur die überweltlich orientierte puritanische rationale Ethik führte den innerweltlichen ökonomischen Rationalismus in seine Konsequenzen durch, gerade weil ihr an sich nichts ferner lag als eben dies, gerade weil ihr die innerweltliche Arbeit nur Ausdruck des Strebens nach einem transzendenten Ziel war. Die Welt fiel ihr, der Verheißung gemäß, zu, weil sie 'allein nach ihrem Gott und dessen Gerechtigkeit getrachtet' hatte. Denn da liegt der Grundunterschied dieser beiden Arten von 'Rationalismus'. Der konfuzianische Rationalismus bedeutete rationale Anpassung an die Welt. Der puritanische Rationalismus: rationale Beherrschung der Welt. Der Puritaner wie der Konfuzianer waren 'nüchtern'. Aber die rationale 'Nüchternheit' des Puritaners ruhte auf dem Untergrund eines mächtigen Pathos, welches dem Konfuzianer völlig fehlte, des gleichen Pathos, welches das Mönchtum des Okzidents beseelte. Denn die Weltablehnung der okzidentalen Askese war bei ihm mit dem Verlangen nach Weltbeherrschung als ihrer Kehrseite unauflöslich verbunden, weil ihre Forderungen im Namen eines überweltlichen Gottes an den Mönch und, in abgewandelter und gemilderter Form, an die Welt ergingen. Dem konfuzianischen Vornehmheitsideal widerstritt nichts so sehr, als der Gedanke des 'Berufs'. Der 'fürstliche' Mann war ästhetischer Wert und daher auch nicht 'Werkzeug' eines Gottes. Der echte Christ, der – außer- oder innerweltliche – Asket vollends, wollte gar nichts anderes sein als eben dies. Denn gerade nur darin suchte er seine Würde. Und weil er dies sein wollte, war er ein brauchbares Instrument, die Welt rational umzuwälzen und zu beherrschen. |
4 | 1920 |
Max Weber schreibt über Konfuzianismus und Taoismus an seinen Verleger J.C.B. Moor : Es ist mir selbst recht unangenehm, dass ich nicht, wie ich annahm, vor 3 Wochen schon schicken konnte. Aber Monate lang war die sehr wichtige neue Literatur über China nicht erhältlich, und die Qualität der Leistung ist doch die Hauptsache.
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5 | 1920.8-1972 |
Weber, Max. Konfuzianismus und Taoismus : Sekundärliteratur (1)
1920 Schumpeter, Joseph. Max Webers Werke. In : Der Österreichische Volkswirt ; Jg. 12, 7. Aug. (1920) : [Nachruf]. Schumpeter schreibt über die Aufsätze Wirtschaftsethik der Weltreligionen, sie seien nicht nur die besten soziologischen Leistungen Deutschlands, sondern auch das Zentrum einer deutschen Soziologenschule und haben unendlich fruchtbar gewirkt. 1920 Emil Lederer schreibt im Nachruf über Max Weber : Was aber insbesondere seine letzten grossen Beiträge über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen anlangt (vor vielen Jahren auf das Fruchtbarste durch die grundlegende Abhandlung über 'die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus' eingeleitet), so bedeuten sie eine völlig neue Epoche, zumal für die soziologische Forschung. Es mag heute noch strittig sein, ob und welche Gesamtanschauung für die Menschheitsgeschichte aus diesem monumentalen Werke erwachsen wird – hier ist die ganze ungeheure Welt der transzendentalen Bildung bewältigt, und der sozialen Einsicht erobert. Und damit ist diese selbst, ist Sozialwissenschaft im weitesten Sinne in die Universalgeschichte des menschlichen Geistes eingegliedert. Und wenn diesem Werk auch nicht die Basis zugrunde lag, den immanent religiösen Sinn der Weltreligionen zu erschliessen, so strömt doch aus dieser mächtigen Arbeit, welche die Funktionalbeziehungen zwischen religiös geforderten Lebensmaximen und menschlicher Sozietät enthällt, ein unverhofftes Licht auf die tiefsten Geheimnisse noch unerschlossener und wieder versunkener Wahrheiten. 1926 Wittfogel, Karl August. Das erwachende China [ID D1603]. Wittfogel schreibt über Max Webers Religionssoziologie : Das Buch ist ein Trümmerhaufen einzelner wertvoller Geschichtstatsachen, keine Geschichte. Immerhin ist Weber der einzige bürgerliche Historiker, der überhaupt ernsthaft die Frage aufgeworfen hat, warum China nicht selbständig zum industriellen Kapitalismus kam. Seine eklektisch-unmarxistische Methode hat ihn dann allerdings gehindert, eine ausreichende Anwort auf die von ihm richtig als Kernproblem erkannte Frage zu finden. 1930 Baláz, Stefan [Balazs, Etienne]. Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte der T'ang-Zeit [ID D5142]. Etienne Balazs schreibt : Eine Beschäftigung mit Fragen der chinesischen Wirtschaftsgeschichte bedarf wohl heute keiner besonderen Rechtfertigung. Einerseits ist die Kenntnis der Wirtschaftskräfte zum Verständnis der widerspruchsvollen Entwicklung Ostasiens unerlässlich ; dann aber verdient auch die Eigenart des ökonomischen Systems, das sich im Laufe der Jahrhunderte allmählich herauskristallisierte, unser besonderes Interesse. Max Weber gebührt das Verdienst, die entscheidende Fragestellung dieser Zusammenhänge in seiner Chinastudie ausgesprochen zu haben. Zweifellos war China von jeher ein Agrarland, aber diese simple Feststellung enthebt uns nicht der Pflicht, nach dem Charakter der Stadt zu fragen. Gab es überhaupt Städte von Bedeutung in China ? Wenn ja, wie sind sie entstanden ? Hat sich ihre numerische Stärke und ihre Art im Laufe der Zeiten gewandelt ? Wer waren die 'Städtegründer' und war die Stadtinssassen ? Wohnten vorwiegend Kaufleute, Handwerker oder Beamte in den chinesischen Städten ? Gabe es ein Stadtrecht ? Alle diese Fragen sind meines Wissens, ausser von Max Weber kaum oder gar nicht gestellt, geschweige denn beantwortet worden. Max Webers sehr einleuchtende Ausführungen bleiben ohne historische Belege zunächst geniale Vermutungen. Seine wichtigsten Feststellungen, dass nämlich die chinesische Stadt bis in die Neuzeit in erster Linie Residenz der grossen Amtsträger blieb, ein Ort in dem 'vor allen Dingen Renten, teils Grundrenten, teils Amtspfründen und andere direkt oder indirekt politisch bedingte Einkünfte verausgabt wurden', und dass das Hauptmerkmal der chinesischen Städtebildung 'das Fehlen des politischen Sondercharakters der Stadt' war, werden sich durch historische Forschungen wahrscheinlich als durchaus richtig erweisen. 1937 Franke, Otto. Geschichte des chinesischen Reiches. Vol. 3 [ID D711]. Otto Franke schreibt über Max Weber : Nun wirbeln bei Weber die Zustände und Begebenheiten der verschiedenen Jahrtausende bunt durcheinander, so, dass man nicht weiss, welche Zeit er für dieses 'Heranholen' der Bevölkerung im Auge hat, aber in einer für uns vorhistorischen hat dies ganz bestimmt nicht stattgefunden. Indessen, von 'grossen ummauerten Städten in vorhistorischer Zeit' kann keine Rede sein, denn dann hätte man nicht mit dem Regierungssitze so oft herumziehen können, wie es noch die Schang-Herrscher [Shang] getan haben. Herbert Franke : Otto Franke war bei der Abfassung seines Werkes noch nicht bekannt, dass bereits die neolithische Lung-shan-Kultur Chinas grosse, stadtähnliche Siedlungen besass. 1964 Sprenkel, Otto B. van der. Max Weber on China [ID D18846]. Otto B. van der Sprenkel : Weber's use of historical materials is taken from widely different periods of Chinese history, ranging from the Shang-Yin and Zhou kingdoms of the second and first millennia B.C. to the early descades of the twentieth century when he himself was writing, with utter disregard for the chronological sequence of events. Weber seeks to attain clarity in the analysis of actual institutions and social behavior patterns by collecting as much observational data as possible and then classifying the picture so obtained in accordance with its degree of deviation from, or approximation to, one or more of the thematically relevant ideal-types he has set up. His method, in other words, is one of "positioning" the various situations he is examining on a sort of spectroscope whose bands are demarcated by ideal-types. Adoption of this technique no doubt accounts for Weber's predilection for the comparative method, which indeed he uses with great effect. On the other hand, he is not overly concerned with transitions from one type to another. The only developmental process which he discusses in any detail is the one he calls "the routinization of Charisma"; and in general there is little emphasis in Weber's work on the dynamics of change. Notable are : 1) Weber's correct assignment of the beginnings of 'rational' policies in internal administration, military organization and the like, to the Warring States period. 2) The importance he gives to water-control as the factor mainly responsible for the growth of centralized political authority. 3) The unerring identification of the ‘literati’ as the key status group in Chinese society, and of the bureaucracy as its creation and creature. History, for Weber, is always the handmaiden of sociology, and it was no part of his plan or purpose in studying the 'economic ethic' of confucianism to describe or account for China’s transition from feudalism to the 'patrimonial-brueaucratic' empire. Weber’s main interest lies in the morphological understanding of societies, their institutions and the patterns of behavior that characterize them ; and in answering the question : why is this what it is and not semething else, how does it work, what gives it stability (or instability) ? The central power, whose embodiment is the Son of Heaven, and whose agent is the bureaucracy. The Chinese bureaucracy, in all periods from the Han to the Manchus, is invariably qualified by Weber as 'patrimonial', and further as strongly marked by 'irrational' features. According to his typology of authoritarian modes, the patrimonial is one variant, among several, of patriarchal authority. But it is characteristic of patriarchal authority that, besides the system of inviolable sacred norms whose infraction results in magical or religious disaster, it also acknowledges a sphere in which the arbitrary decision of the ruler has free play, an area in which decisions are taken, in principle, on personal rahter than on fuctionally appropriate grounds. In this sense patriarchal authority is irrational. No sinologist would be disposed to quarrel with the view that there were irrational elements (in the Weberian sense) in Chinese government, nor would he dispute that possession of the imperial office often conferred wide powers of arbitrary decision on its holder. Nevertheless certain modifying factors should be noted : 1) that a great deal depended on the personality and caliber of the emperor ; 2) that there was no doctrin of divine right in China ; 3) that in state matters the emperor was normally expected to act in accordance with the advice of his chief ministers. Moreover there were also and inevitably differences of interest and outlook between the inner and outer courts themselves : between, on the one hand, the palace and all it included and stood for ; and, on the other, the elaborately structured bureaucracy whose members were immersed at all levels in problems of day-to-day administration as well as participating, at the higher levels at least, in the formulation and testing of policy. The conflict was important, and Weber was right in drawing attention to it, though his interpretation of it was mistaken. Weber is inclined to discount the efficacy of the Chinese civil service in part on the ground that it was technically impossible for so small an establishment to control effectively an empire so vast and so lacking in means of communication. The central government, facing the task of imposing its will on the innumerable if disunited centers of local self-rule that existed in every county of the empire, had at its disposal the instrument of the bureaucracy. But this instrument possessed only a limited effectiveness, and moreover itself represented a potential threat to the continuing authority of the emperor. It was in the periods Song, Ming and Qing, that the mandarinate achieved its most (in Weber’s sense) organization under the close direction of relatively strong centralizing governments. No hereditary nobility existed during these centuries, nor were there any discernible signs of a process of refeudalization. The classical period of Chinese feudalism was the Western Zhou. Its characteristic institutions, as Weber correclty noted, were challenged and in part subverted in the time of the Warring States ; though the decisive destruction of the territorial beses of feudal power was the work of the Qin. The danger that Weber saw as threatening the authority of the emperor in later and more settled perios, when the bureaucracy, far from being the tool of a local noblesse, was the obedient instrument of a central government that not only controlled the selection and indocrination of its members through the examination system but also habitually exercized powers of appointment, promotion, demotion and removal over every part of the civil serv ice establishment. It is hard to avoid the conclusion that Weber was led to judge as he did, not by the evidence, but by his concept of what ‘patrimonial bureaucracy’, as an ideal-type, entailed. This notion of Weber’s that the eventual aim of the official was to appropriate his prebend and transmute it into an hereditary benefice colors his whole view of the bureaucracy, suggests reasons to him for a number of the institutional devices that were part of its structure, und underlies his explanation of why the Chinese bureaucracy failed to grogress from patrimonialism to full rationality. Though Weber regards the mandarinate as patrimonial in the sense that it developed from the ruler’s own household and never completely emancipated itself from this inheritance, and also in the sense that it was an extension of and emanation from the ruler’s own authority and subject to his arbitrary will or whim, he is convinced nevertheless that between the emperor and his patrimonial staff of administrators there existed a basic opposition of interests which, if sometimes latent, was ye always present. Here he was certainly right, though not perhaps entirely so about the interests involved. Weber raises a nomber of points simultaneously. The most important is clearly his interpretation of the role played by the examination system. The Chinese were well aware that no imperial government with a vast territory to administer could exist without an efficiently functioning bureaucracy ; and that therefore the quality and training, and above all the method of selection, of its officials were matters of the greatest moment. It is enough to note, that Weber systematically neglects the main purpose of the examinations, and regards them instead as the central government’s principal weapon against the bureaucracy. By him the emphasis is placed on the use of the examination technique to divide and so weaken the officialdom, which otherwise sould form a threat to the power of the ruler. Weber’s arguments : 1) the Chinese bureaucracy, while incorporating certain features, was patrimonial in origin and remained essentially so in character sown to the end of the imperial era ; 2) the fact that it functioned in a society whose economy was predominantly natural, and was never more than partially monetized, meant that there existed an ever-present danger that the sources of taxation would be appropriated by officials and exploited as private property ; 3) the most important of the measures introduced by the central government to prevent such a development taking place was the state examination system : this system institutionalized a competitive struggle for prebends among office-seekers, excited mutual distrust among officials, and so divieded and weakened the bureaucracy ; 4) this, together with the fact that the bureaucracy was of necessity extensive rather than intensive, owing to the smalness of its numbers and the size and imperfect communications of the empire it administered, meant that it was never able fully to master the forces of local traditionalism that dominated the countryside. Weber deserves the highest praise for his recognition of the lineage as a main key to an understanding of rural China. At the time that he wrote very little attention had been given to this most important institution, and sinologists have only recently begun to appreciate its significance and subject it to detailed study. Some of Weber’s evidence is insecurely founded. Some of his judgments are wrong. He can be convicted of errors of emphasis and stress. He was also a conceptualizer of genius, and on occasion was the prisoner of his concepts. Nevertheless, his success in breaking open a way to a much more searching and profound understanding of the structure of Chinese society and the forces operative in it, is little short of amazing. The account he gives of the bureaucracy well exemplifies the merits and disadvantages of his work. 1966 Franke, Herbert. Max Webers Soziologie der ostasiatischen Religionen [ID D18832]. Herbert Franke : Es ist bewunderswert, dass Max Weber aus dem disparaten und oft genug noch von der Textgläubigkeit der sinologischen Frühzeit geprägten Material mit genialem Scharfblick Folgerungen ziehen konnte, die sich nicht nur als dauerhaft erwiesen haben, sondern die weitere Entwicklung der historischen Chinaforschung auf das stärkste beeinflusst haben. Eine der meiner Ansicht nach fruchtbarsten Einsichten Max Webers war die Erkenntnis des bsonderen Charakters der chinesischen Stadt und damit verbunden, die Eigenart der chinesischen Oberschicht, in der sich Ansätze zu einem Bürgertum und zum Kapitalismus kaum gezeigt haben, jedenfalls nicht bevor westliche Produktionsmethoden und wirtschaftliche Denkweisen durch den Westen im 19. Jahrhundert importiert wurden. Weber hat schon für vorgeschichtliche Zeiten die Existenz ummauerter stadtähnlicher Siedlungen postuliert, dass 'China schon in einer für uns vorhistorischen Zeit ein Land der grossen ummauerten Städte war', ferner, dass 'zuerst die Palisade oder Mauer da war, dann die oft im Verhältnis zum ummauerten Areal unzulängliche Bevölkerung, eventuell zwangsweise herangeholt wurde'. Ein weiterer Bestandteil der chinesischen traditionellen Gesellschaft, der von Max Weber bereits in seiner vollen Bedeutung zutreffend erkannt worden ist, ist die Bürokratie und ihr Verhältnis zur Oberschicht, dem Literatentum und der Gentry. Weber ist der erste, der das wissenschaftliche Problem einer vergleichenden Theorie der Bürokratie in seinem vollen Umfang erkannt hat. Füh ihn war die Monopolisierung der Herrschaftsfunktionen durch die Bürokratie ein allgemeines Phänomen aller fortgeschrittenen Sozialordnungen. Ein Kennzeichen der Bürokratie ist es, dass sie im Gesellschaftsganzen und jeweils von den Wertvorstellungen der religiösen und ethischen Systeme geleitet eine bestimmte Führungsschicht herausbildet. Solche Schichten können sehr verschiedene geistige oder soziale Hintergründe haben. Das eindrucksvollste Beispiel ist die chinesische konfuzianisch geprägte Bürokratie, die Schicht des gelehrten Beamtentums, der humanistisch erzogenen Literaten. Die ideologische Grundlage der Tätigkeit des Beamtentums blieb, von Ausnahmen abgesehen, der Konfuzianismus, der dem Humanismus der Beamtenschaft die Inhalte gab. Weber hat klar erkannt, dass dieser Humanismus dem Fachdenken, dem Expertentum diametral gegenüberstand. 'Der Fachmensch' war für den Konfuzianer auch durch seinen sozialutilitarischen Wert nicht zu wirklich positiver Würde zu erheben. Denn, dies war das Entscheidende, der 'vornehme Mann' war 'kein Werkzeug, d.h. : er war in seiner weltangepassten Selbstvervollkommnung ein letzter Selbstzweck, nicht aber Mittel für sachliche Zwecke welcher Art immer. Dieser Kernsatz der konfuzianischen Ethik lehnte die Fachspazialisierung, die moderne Fachbürokratie und die Fachschulung, vor allem aber die ökonomische Schulung für den Erwerb ab. Webers Deutungen in den Gründzuügen sind mehr oder weniger modifiziert : eine vorindustrielle, agrarische Gesellschaft, mit einer bürokratischen Führungsschicht, nicht erblich, aber mit dem Monopol der Erziehung und damit der Kontrolle über die Selbstergänzung, einen Staat mit totalitärem Anspruch mit Hilfe einer ebenfalls zum Totalitarismus neigenden Ideologie leitend (der spätere Konfuzianismus betrachtet sich als eine Lehre, mit der alle vorkommenden Fragen und Probleme beantwortet werden können und die grundsätzlich alle Lebensbereiche erfasst). Man muss sich fragen, wie es möglich war, dass Weber, ohne dass China sein Spezialgebiet war und auf Grund einer einseitigen Sekundärliteratur, zu derart erhellenden Erkenntnissen kommen konnte. Meiner Meinung nach liegt dies, ausser selbstverständlich in einer unwiederholbaren Einzigartigkeit wissenschaftlichen Verstehens, namentlich im Wesen der chinesischen Literatur selbst, insbesondere der geschichtlichen Quellen begründet. Max Weber hat dazu beigetragen, dass die Sinologie aus dem Ghetto der orientalischen Philologie herausgeführt wurde und uns zu verstehen gelehrt, dass China als soziales und historischen Phänomen mit der Methode einer universalen Wissenschaft erfasst und begriffen werden kann. Die vielberufene Spezialisierung muss auch die Sinologie ergreifen. Der die Geschichte Chinas erforschende Sinologe muss eine historische Schulung erfahren haben, der Sprachforscher eine linguistische, der Literaturwissenschaftler sich mit den modernen Methoden der Literaturforschung vertraut machen und der Wirtschafts- und Sozialhistoriker die Grundlagen der Nationalökonomie und der Soziologie in ihren Umrissen kennen. Die Philologie wird nur noch eine unerlässliche Voraussetzung für das Verstehen der chinssischen Quellen sein. 1972 Zingerle, Arnold. Max Weber und China [ID D18637]. Arnold Zingerle : Max Webers Bild Chinas gibt in komprimiertester Form das wieder, was in Konfuzianismus und Taoismus an Grundsätzlichem zur Herrschaftsstruktur erarbeitet ist. Dem entsprechend ist 'Patrimonialismus' der typologische Strukturbegriff, der sowohl an den entscheidenden Passagen zum Herrschaftsgefüge in den soziologischen Grundlagen als auch in den übrigen Abschnitten überall dort zum Einsatz gebracht wurde, wo auf die Grundzüge dieses Gefüges zurückgegriffen werden musste. Patrimonialismus ist das umfassende Strukturmerkmal der Bürokratie, mit der für Weber China so schicksalhaft verbunden war, dass ihre Herrschaft nicht beseitigt werden konnte 'ausser mit dem völligen Untergang der Kultur, die sie trug'. Er kann den chinesischen Beamtenstaat als 'das in seiner Art konsequenteste patrimoniale politische Gebilde' bezeichnen, weil er zeigt, wie die patrimoniale Struktur vom Staat auf die verschiedensten Kulturgebiete übergreift und von dorther ihrerseits wiederum unterstützt wird. Der Patrimonialismus ist vor allen ‚die für den Geist des Konfuzianismus grundlegende Strukturform, dessen zentrale Tugend, Pietät, oberste Handlungsnorm sowohl im patrimonialen Untertanenverhältnis der Beamten zu ihrem Herrn wie auch in demjenigen der Sippenangehörigen zu ihren Ahnen, ist Ausdruck einer kongenialen Vermittlung traditionalistischer Legimität mit ‚rationalen’ Domestikationsbestrebungen, geleistet durch die Konfinuität eines staatstragenden Literaten-Beamtentums. Von grösster Bedeutung für das Verständnis des Patrimonialismus als einer Form traditionaler Herrschaft, gerade im Hinblick auf China, ist nun, wie Weber die Handlungsgrenzen des traditionalen Herrschers bestimmt. Diese Grenzen 'definieren' die Legitimität selbst. Legitim ist der traditionale Typus des herrschaftlichen Handelns, welches mit Gehorsam rechnen kann. Weber sprich von einem 'Doppelreich a) des material traditionsgebunden Herrenhandelns b) des material traditionsfreien Herrenhandelns'. Die 'traditionale Willkür' innerhalb des letzteren 'beruht primär auf der prinzipiellen Schrankenlosigkeit von pietätspflichtmässiger Obödienz'. In diesem Bereich kann der Herr nach freier Gnade und Ungnade, persönlicher Zu- und Abneigung, und rein persönlicher, zu erkaufender Willkür 'Gunst' erweisen. In der Abstraktion Webers ist eine Struktur benannt, die – so sehr sie allgemein für traditionale Herrschaft gegolten haben mag – in China wie nirgendwo sonst einen spezifischen, institutionellen Niederschlag gefunden hat : im konfuzianischen 'Zensorat' und seiner nicht nur gegenüber den Beamten, sondern auch gegenüber dem Kaiser ausgeübten Kontrolle. Weber erwähnt diese letztere zwar nur gelegentlich seiner Behandlung charismatischer Aspekte des Kaisertums. Doch beruft er sich dabei auf Mengzi, der geradezu den chinesischen Archetyp einer Theorie jener 'traditionalitischen Revolution' geschaffen hat. Für Weber ist ein Patrimonialstaat, in dem die politische Herrschaft über die Untertanen 'prinzipiell ebenso organisiert'ist, wie die Hausherrschaft. Zur Ausübung seiner Herrschaft ist man auf seinen 'Stab' angewiesen, dass man von 'Bürokratie' sprechen kann. Nach ihm war die Quelle des patrimonialen Beamtentums in China ein zunächtst ‚parimonial rekrutierter’ Stab. Erst mit der Erweiterung des Stabes durch ‚extrapatrimoniale Rekrutierung’ spricht er von 'Bürokratie'. Der Hauptunterschied dieser 'Patrimonialbürokratie' zu ihrem 'modernen', d.h. im Kontext legal legitimierter Herrschaft stehenden Gegentypus, besteht, entsprechend dem 'pietätspflichtmässigen' Charakter jeden traditionalen Gehorsams, in der persönlichen Qualität des auf Pietät beruhenden Verhältnisses 'Diener - Herr' gegenüber dem sachlichen des auf Amtspflicht beruhenden zwischen dem 'Beamten' und seinem 'Vorgesetzten'. Eine für China spezifische Ursache für das Fehlen einer einheitlichen, alle Ebenen der Hierarchie umfassenden Trennung der Kompetenzen erblickt Weber darin, dass gerade die dem chinesischen Verwaltungssystem adäquate ‚Bürokratenmoral des Konfuzianismus’ mit ihrem Vollkommenheits-Ideal jeder Fachschulung entgegengesetzt war. Die Pfründe ist diejenige Form der Beamtenversorgung, der bei Weber die grösste Bedeutung zukommt. Gegenüber der intrapatrimonialen Versorgung unterscheiden sich die Pfründen durch ihre Regelmässigkeit, durch ihren Charakter eines Entgelts für umgrenzte, vom Herrn übertragene Verwaltungsaufgaben sowie darin, dass sie meisten ein ‚Recht auf das Amt’ konstituieren. Das Recht ist veräusserlich, ererblich und erbteilbar. Eine der Ausnahmen bildet die Etablierung des Examenssystems. Weber definiert den Ausdruck 'ständisch' im ersten Sinne als jede Form patrimonialer Herrschaft, bei welcher dem Verwaltungsstab bestimmte Herrengewalten und die entsprechenden ökonomischen Chancen appropriiert sind. Das Prädikat 'ständisch' im zweiten Sinn ist stets an eine soziologisch umschreibbare Schicht geknüpft, so z.B. an den Beamten-Stand Chinas. Der Feudalismus steht, als Eigenschaft eines politischen Herrschaftsverbandes, ebenso wie die Organisationsformen im Kontext traditionaler Legitimität. Bei beiden 'echten' Formen des Feudalismus, die Weber unterscheidet, 'Lehensfeudalismus' und 'Pfründenfeudalismus', werden zwar Herrenrechte apporpiiert ; in einem Fall in Form von Lehen, im anderen von Pfründen. Aber nur im Falle des 'Lehensfeudalismus' wird ständische, nämlich ritterliche 'Ehre' gefordert. ‚Patrimonismus’ im engeren Sinn, beschränkt auf 'nicht-politische' Herrschaft, und 'Feudalismus' als Strukturprinzip der Herrschaft über einen politischen Verband schliessen sich gegenseitig nicht nur nicht aus, sondern stehen in einem Verhältnis gegenseitiger Ergänzung. In der Mehrzahl der historischen Fälle, auf die sich Weber bezieht, überlagert die Feudalstruktur einen in diesem Sinne patrimonialen Grundraster : die Grundherrschaften. ‚Patrimonialismus’ im weiteren Sinne, als Struktur eines politischen Verbandes, und 'Feudalismus' schliessen sich nur dann gegenseitig aus, wenn es sich um 'reinen Patrimonialismus' handelt. Handelt es sich dagegen um ‚ständischen Patrimonialismus’, so berührt er sich begrifflich mit 'Feudalismus' zumindest dadurch, dass in beiden Fällen die Verwaltungsmittel dem 'Stab' appropriiert sind. Webers historische Herrschaftssoziologie Chinas : Traditionale Herrschaft 1. ohne persönlichen Verwaltungsstab des Herrn (Verwaltungsmittel sind dem Herrschaftsverband als solchem appropriiert) : Gerontokratie und primärer Patrimonialismus. 2. mit persönlichem Verwaltungsstab des Herrn. Patrimonialismus a) Reiner Patrimonialismus (Patrimonialherr im vollen Eigenbesitz der Verwaltungsmittel) Extremfall: Sultanismus b) Ständischer Patrimonialismus (Verwaltungsmittel ganz oder zu einem wesentlichen Teil an die Mitglieder des Verwaltungsstabes appropriiert) Extremfall : Feudalismus. Dominanz der patrimonialen Zentralmacht bestanden : a) durch ihre 'technische Unterlage', in der Wasserbauten eine besondere Rolle spielten ; b) einer spezifisch ansers als im Okzident verlaufenen Entwicklung des mehr auf Sippenbande als auf Land gestützten Feudalismus, auf den keine intermediäre Herrschaftsschicht von politisch weitgehend unabhängigen Grundherren folgte ; c) der Erbschaft aus der Teilstaatenepoche, in der die Kriege um die Vormacht 'rationalisierend' auf die Führung der Staaten wirkten ; d) der anschliessenden relativen 'Befriedung' des Reiches. Die innenpolitische Überlegenheit der patrimonialen Zentralmacht kam in China auf spezifische Weise zustande : a) durch die Schaffung einer loyalen Schicht von nicht erblich privilegierten Amtsanwärtern, die durch ein Prüfungssystem rekrutiert wurden und um die mit grossen Erwerbschancen ausgestatteten Beamtenstellen konkurrierten, die der Regel nach nur ihnen zugänglich waren ; b) durch ein 'rationales' Amtsreglement, welches ausser seiner Disziplinierungsfunktion die Aufgabe hatte, ein persönliches 'Fussfassen' der Beamten im lokalen Machtgefüge ihrer Amtssprengel zu verhindern. Die patrimoniale Zentralgewalt erkaufte die Domestikation ihres bürokratischen Stabes mit Extensität in der Durchführung der Verwaltung, die sich daraus ergab, dass : a) die Lokalbeamten keine Kenner ihrer Verwaltungssprengel werden durften und von ihrer literarischen Ausbildung her, von vornherein keine verwaltungstechnische Fachqualifikation haben konnten ; b) der Literaten-Beamtenstand kollektiv durch sein Interesse an der Erhaltung seines Pfründenmonopols jeder Rationalisierung der Verwaltung Widerstand leistete, die dieses hätte beeinträchtigen können ; c) quantitative Entfaltung, Zentralisierung und Kompetenzenteilung in einem Missverhältnis zu den quantitativen und qualitativen Eigenschaften des Verwaltungsobjekts standen ; d) der Mechanismus der Patrimonialbürokratie von oben her mit den von unten her 'fest ausgestalteten' Widerständen der Sippe, Berufsorganisationen und dörflichen Selbstverwaltungskernen zusammenstiess. Dass der Kampf um die reale Verfügungsgewalt über die Verwaltung im vormodernen China zugunsten der patrimonialen Monarchen ausging, steht nach Weber in einem intimen Zusammenhang mit dem Charakter der Schicht von ständisch Privilegierten, die durch die Monarchen je länger desto mehr an die eigene Macht gebunden wurden : und die den spezifischen historischen Bedingungen Chinas adäquate Form dieser Bindung, das Literaten-Beamtentum, prägte ihrerseits in entscheidender Weise die gesamte Kulturentwicklung. Die Entwicklung des Feudalismus gibt es für Weber zwei Merkmale : einmal das Fehlen einer Grundherrenschicht und zum anderen die Fertigstellung der grossen Mauer. Der Feudalismus beerbte die nachfeudale Sozialverfassung Chinas wohl auf zweifache Weise : seine verbandsmässige Basis wurde im Sippensystem fortgeführt, seine ständische Lebensform ging auf das Literaten-Beamtentum über ; aber einer transformierten Weiterführung seiner politischen Rechte auf lokaler Ebene liess der patrimoniale Zentralismus keinen Platz. Wasserregulierung : der Ausgleich von Mangel und Überfluss an agrarischer Bewässerung, die Verhinderung von Überschwemmungen durch Bauten und der Bau von Kanälen hat in China immer eine besondere Rolle gespielt. Weber thematisiert, dass die wesentlichen Bestandteile des materiellen 'Unterbaus' der chinesischen Bürokratie die 'technische' Voraussetzung für die Beseitigung des Staatenpluralismus durch einen von mehreren untereinander konkurrierenden Patrimonialherren und das Überwiegen des imperialen Zentralismus ist. Sie befähigen den Patrimonialfürsten, mit Hilfe des Personals und der Einnahmen, die sie ihm verschafften, die Heeresverwaltung in eigene bürokratische Bewirtschaftung zu nehmen. Bei Webers Betrachtung der 'immateriellen' Kulturbereiche Chinas, ist sie zunächst als Reflex des konfuzianisch gefärbten Geschichts- und Gesellschaftsbildes zu bewerten, welches die sinologischen Quellen ebenso wie deren Bearbeiter zu seiner Zeit noch weitgehend beherrschte und in dem die Befriedung des Staates und des Weltreiches einen besondern imperativen Stellenwert einnimmt. Nach Weber war es für die Herausbildung der rituellen Züge des chinesischen Kaisertums und des sie tragenden Selbstverständnisses der Staatsdoktrin entscheidend, dass in einem bestimmten Abschnitt der formativen Phase der chinesischen Kultur [Shang-Zhou-Zeit], die Spitze des Herrschaftsverbandes sich zwischen einem 'militärischen' Charisma und einem 'pazifistischen' bewegte, und dass das zweite, mitbedingt durch die Entwicklung des feudalen Staatensystems, am Kaisertum haften blieb. Die Gesichtspunkte, unter denen chinesisches Kaisertum und römische Kirche verglichen werden können, liessen sich in verschiedensten Richtungen ausweiten. Bei Weber bleiben sie begrenzt auf einen soziologischen Rahmen, innerhalb dessen die jeweils ausschlaggebende Schicht charakterisiert werden soll : das Literatentum auf der einen Seite, der Klerus auf der anderen. Webers 'Resultat' am Ende seiner China-Studie gipfelt im lapidaren Satz : "Der konfuzianische Rationalismus bedeutete rationale Anpassung an die Welt. Der puritanische Rationalismus : rationale Beherrschung der Welt. Der Purtinaer wie der Konfuzianer waren 'nüchtern'. Aber die rationale 'Nüchternheit' des Puritaners ruhte auf dem Untergrund eines mächtigen Pathos, welches dem Konfuzianer völlig fehlte, des gleichen Pathos, welches das Mönchstum des Okzidents beseelte". Das in den Augen Webers einzige Gemeinsame zwischen Konfuzianismus und Puritanismus : 'Rationalität' im Sinne der Zurückdrängung gefühlsmässig-irrationaler Lebensbereiche, wird durch den scharfen Kontrast aller übrigen für das Verhältnis zur 'Welt' jeweils relevanten Charakteristika völlig aus der Waagschale geworfen. Dass diese von Weber im einen Falle als 'Anpassung’ an die Welt', im andern als ‚Beherrschung und 'Umwälzung von Welt', zusammengefast werden, wird verständlich durch die entscheidende Rolle, die der Paramater 'Spannung' im 'Resultat' spielt. Weber hält den Gegensatz des konfuzianischen Verhältnisses zur 'Welt' gegen 'alle okzidentale religiöse Ethik' für 'unüberbrückbar'. 'Manche patriarchalen Seiten der thomistischen und auch der lutherischen Ethik' könnten als Parallelen zum Konfuzianismus angesehen werden. Doch sind diese Formen 'organischer Sozialethik' nach Webers Ausführungen in der 'Zwischenbetrachtung' und in 'Wirtschaft und Gesellschaft' lediglich 'Formen der Relativierung der religiösen Heilswerte und ihrer ethisch rationalen Eigengesetzlichkeit'. Kommentar von Arnold Zingerle zu seiner Dissertation (2008) : Den ersten (herrschaftssoziologisch-historischen) Teil finde ich auch heute noch gut. Er hat sich bewährt und ist auch z.B. für die Max Weber Gesamtausgabe zitabel. Der zweite (religionssoziologisch-gegenwartsbezogene) Teil enthält zwar ein paar gültige Abschnitte zum chinesischen Weltbild der Vergangenheit, doch ist die Anwendung der Protestantismusthese auf den Maoismus überspekulativ gewesen und damit problematisch – zumal die Kenntnisse der damaligen Verhältnisse in Maos Reich, bedingt auch durch die Nachrichtensperre während der Kulturrevolution, sehr begrenzt war. Wäre ich gut beraten gewesen, hätte ich bloss den ersten Teil in Aufsatzform veröffentlicht und den zweiten Teil nach einer Karenzzeit umgearbeitet. |
6 | 1920-1921 |
Gründung der Makesi xue shuo yan jiu hui [Society for the Study of Marxist Theory] unter der Leitung von Li Dazhao mit 19 Studenten an der Beijing-Universität. Die Gesellschaft propagiert den Marxismus, indem sie Werke von Marx, sowie Forschungsarbeiten über den Marxismus in chinesischer und in anderen Sprachen sammelt und studiert, Diskussionen und Vorträge organisiert. Li Dazhao beginnt Vorträge und Kurse über die materialistische Geschichtsauffassung, Sozialismus und Sozialbewegung an Universitäten zu halten.
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7 | 1920 |
Gründung der Makesi zhu yi yan jiu hui [Society for the Study of Marxism] in Shanghai unter Chen Duxiu. Chen ist überzeugt, dass nur eine kommunistische Partei die sozialen Probleme Chinas lösen kann.
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8 | 1920 |
Chen Duxiu bekennt sich zu Marxismus, Bolschewismus und Kommunismus.
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9 | 1920-1921 |
Marcello Roddolo ist Konsul des italienischen Konsulats in Tianjin.
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10 | 1920-1924 |
Charles Lépissier wird Konsul des französischen Konsulats in Harbin (Heilongjiang).
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11 | 1920 |
Hovelaque, Emile. Les peuples d'Extrême-Orient : la Chine [ID D22044].
Er schreibt : "[En Chine], les frontières entre le réel et le rêve sont effacées, et le Jaune habite familièrement un monde de cauchemar... Tout dans ce pays étonne et déconcerte l'Européen. Ce monde est bien un autre monde, si éloigné du nôtre, soumis à des influences inconnues si nombreuses et si générales, qui n'ont point chez nous d'analogies, qu'on à peine à le croire réel, et que l'on désespère d'en deviner jamais le secret irritant." |
12 | 1920 |
Saint-John Perse reist mit Gustave-Charles Toussaint nach Kalgan. Sie durchqueren die Wüste Gobi, reisen nach Ourga bis in die Mongolei.
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13 | 1920-1951 |
Gründung und Bestehen des französischen Konsulats in Kunming (Yunnan).
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14 | 1920 |
Xie Liuyi. Zi ran pai xiao shuo [ID D23047].
Er schreibt : "Flaubert met six ans à rédiger Madame Bovary à partir de 1850 [sic 1851]. Après la publication du roman dans La revue de Paris en 1856, l'auteur est traduit devant un tribunal pour atteinte aux bonnes moeurs et à la religion. Et, le tribunal rend un verdict d'acquittement. Ce roman qui provoque de vives discussions dans le milieu littéraire français est une description simple et subtile de la vie quotidienne. L'héroïne s'appelle Emma. C'est une belle femme très vaniteuse. Malheureusement, elle épouse un médiocre médecin de campagne qui s'appelle Bovary. Emma ne trouve pas dans ce mariage le bonheur de l'amour qu'elle a lu dans les romans. Insatisfaite de son mari, elle a deux liaisons secrètes. Elle emprunte beaucoup d'argent pour nourrir ces liaisons sans que son mari le sache. Mais finalement elle est abandonnée par ses amants. Désespérée, Emma s'empoisonne à l'arsenic. Le roman décrit parfaitement la vie de la classe moyenne en France, et qui devient le modèle du réalisme. Flaubert écrit aussi Salammbô, L'éducation sentimentale et La tentation de saint Antoine. Ces trois créations sont teintées de romantisme." |
15 | 1920-1925 |
Bi Xiushao hält sich in Frankreich auf.
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16 | 1920 |
Xu Zhimo übersetzt die Balkonszene aus Romeo and Juliet von William Shakespeare in freie Verse.
"Ah soft ! what light shines bright from yonder windows ? That is the east, Julieh is the eastern sun. Arise, beautiful sun, and outshine quickly That envious moon. Since you, being her maid, Are far more beautiful than she, she is already completely pale with grief." Shakespeare : "But soft, what light through yonder window breaks? It is the east, and Juliet is the sun. Arise, fair sun, and kill the envious moon, Who is already sick and pale with grief That thou, her maid, art far more fair than she." |
17 | 1920-1968 |
Liang Shiqiu übersetzt William Shakespeare.
Liang Shiqiu was the first Chinese who translated the complete plays of William Shakespeare in the vernacular Chinese prose style, except that he also included rhymed couplets in his translation. Er schreibt 1952 : "My translations were entirely in prose style. To be honest, I was not able to take the rhythms of Shakespeare's poetry into account. I really felt that it was already difficult enough if I was able to express the full and accurate meaning of the original. I was somewhat enlightened by Percy Simpson's Shakespeare's punctuation. It seems that Shakespeare did not use punctuation marks in the standard way but had a system of his own. His aim was to guide his actors and actresses in the recitation of their lines and enable them to reproduce these lines with the right cadence. I decided, therefore, to do my best in my translations to keep Shakespeare's original puncuation system intact. The consequence is that with every line in the original text there will be a line of translation ; in other words, I have taken sentences as my translation units. Of course, it will not be a literal translation, for word-for-word translation will result in total incomprehensibility ; nor will it be a mere translation of meaning, for such a translation, eloquent and fluent as it is, will be too far removed from the tone and the rhythm of the original. I am not sure if the sentence-for-sentence approach I have adopted will be able to retain more or less the original rhythmic pattern." Bai Liping : Liang tries to present Shakespeare seriously and meticulously. In order to fully understand Shakespeare, he took great pains to obtain all the available reference books on Shakespeare. When he translated, he supplied annotations to help readers understand the Bard. Therefore, Liang not only criticizes, but also provides constructive solutions ; he not only preaches, but also acts - in this sense, he is a translator with the virtues of both 'de' and 'xing'. Before his version of each play, there is a detailed introduction to the play's historical background, the source of its story, records of its various performances. Sometimes they also include Liang's own commentaries. The foreword gives a list of his translation principles, but this does not contain a reference to performance on the stage. He thinks that plays, including Shakespeare's, can exist independently of the stage, and can be either suitable or unsuitable for the stage. |
18 | 1920 |
Film : Che zhong dao = 车中盗 [Railway robbers] unter der Regie von Ren Pengnian ; Drehbuch von Chen Chunsheng, Adaptation einer amerikanischen Kriminalgeschichte.
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19 | 1920-1937 |
Franciscus Hubertus Schraven ist Apostolischer Vikar von Zhengding, Süd-West Zhili = Hebei, Bischof von Amyclae.
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20 | 1920 |
Liu Bannong studiert an der University of London.
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