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Chronology Entries

# Year Text
1 1915-1917
John Calvin Ferguson ist Ratgeber des Department of State in Beijing.
2 1915-1928
Matilda Thurston ist Präsidentin den Ginling College for Women in Nanjing und unterrichtet Astronomie, Mathematik, das Evangelium und lehrt über das Leben Christus.
3 1915-1924
Arthur W. Hummel unterrichtet an einer Missions-Knabenschule in Fenzhou = Fenyang (Shanxi). Er sammelt alte chinesische Münzen und Karten.
4 1915
William Hung graduiert am Anglo-Chinese College in Fuzhou (Fujian).
5 1915
William Hung geht nach Amerika.
6 1915-1917
William Hung studiert am Ohio Wesleyan College.
7 1915-1921
Robert Henry Mathews ist als Missionar in Huizhou = Huangshan (Anhui) tätig.
8 1915-1943
John Calvin Ferguson hält sich in Beijing auf.
9 1915-1918
Evangeline Dora Edwards ist Leiterin des Women's Normal College in Shenyang (Liaoning).
10 1915
Lin Shu beginnt an der Zhengzhi Mittel-Schule zu unterrichten, leitet dann ein Institut, das Korrespondenz-Kurse in chinesischer Literatur anbietet.
11 1915
Ma Junwu promoviert an der Technischen Hochschule Berlin.
12 1915
Hermann Hesse liest Chinesische Novellen übertragen von Hans Rudelsberger [ID D11981] ; Chinesische Novellen übertragen von Paul Kühnel [ID D11982] ; Chinesische Abende übertragen von Leo Greiner [ID D11983] ; Li Tai Pe. Nachdichtungen von Klabund [ID D2998].

Er schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung ; Nr. 811 (1915) : Diese paar Bücher, deren jedes ein eigenes Stück China bringt und deutlich die Subjektivität seiner Auswahl spüren lässt, haben mich ungezählte Tage bschäftigt und unterhalten… Das doppelte Gesicht Chinas sieht mir daraus entgegen ; denn alles chinesische Wesen, vor allem alle chinesische Dichtung hat für mein Gefühl zwei Gesichter, zwei Seiten, zwei Pole. Die eine Seite ist eine stille, naive Gegenwärtigkeit, ein konservativ praktisches Verharren bei den Realitäten des täglichen Lebens, eine Achtung vor Leben, Gesundheit, Famlienglück, vor Gedeihen, Besitz, Reichtum in jeder Form...

Adrian Hsia : Die Bücher in Hesses Besitz enthalten eigenhändige Bemerkungen, bei Geschichten, die sich in anderen Ausgaben wiederholen, und zwar immer mit dem Namen des Übersetzers. Er stellt nicht unbedeutende Abweichungen fest.

Hesse schreibt über Li Bo : Bis heute ist Wesen und Sinn der chinesischen Lyrik dem Westen noch ebenso fremd wie Wesen und Sinn der chinesischen Malerei.
13 1915
Döblin, Alfred. Die drei Sprünge des Wang-lun [ID D12338].
Die Quellen, denen Döblin seine Kenntnisse über die historische Person des Wang-lun und die von diesem geführte Rebellion entnimmt sind folgende Werke :
Sectarianism and religious persecution in China von J.J.M. de Groot [ID D789].
The religious system of China von J.J.M. de Groot [ID D787].
Die Bewohner der Mandschurey von Johann Heinrich Plath [ID D40989].
Die Geschichte des chinesischen Reiches… von Karl Gützlaff [ID D832].
Religion und Kultus der Chinesen von Wilhelm Grube [ID D799].
Zur Pekinger Volkskunde von Wilhelm Grube [ID D797].
Geschichte der chinesischen Literatur von Wilhelm Grube [ID D798].
Laotse. Tao te king übersetzt von Richard Wilhelm [ID D4445].
Dschuang Dsi. Das wahre Buch vom südlichen Blütenland übersetzt von Richard Wilhelm [ID D4447].
Liä Dsi. Das Wahre Buch vom quellenden Urgund übersetzt von Richard Wilhelm [ID D4446].
Samuel Turner’s Gesandtschaftsreise an den Hof des Teshoo Lama… [ID D1898].
P’u T’o shan von Ernst Boerschmann [ÍD D444].
Aus China von Leopold Katscher [ID D12204].
Die Religion des Buddha von Karl Friedrich Koeppen [ID D12205].
Die Welt als Wille und Vorstellung von Arthur Schopenhauer [ID D11901].

Alfred Döblin hat Die Welt als Wille und Vorstellung sehr gut gekannt und daraus auch Hinweise auf seine Lektüre der Bücher über China für Wang-lun bekommen.

Ma Jia : Döblin ist der erste, der den Stoff des in der chinesischen Geschichte im Jahre 1744 unter Wang Lun stattgefundenen Aufstandes gegen Kaiser Qianlong als literarisches Werk bearbeitet.
Der Roman handelt von der religiösen Sekte des Reinen Wassers (Jin shui jiao) in Shandong, die unter Wang Lun die taoistische Botschaft des Schwachseins und Nicht-Handelns zu ihrem Lebensprinzip erklärt.
Voller Hochachtung widmet er dem chinesischen 'weisen alten Mann' Liä Dsi (Liezi) seinen chinesischen Roman, predigt in dessen Sinne Rückkehr zum natürlichen Leben und entwickelt die daoistische Botschaft des Nicht-Handelns zum Hauptmotiv seines Romans. In dieser Hinsicht ist Wang-lun Produkt einer Zeit der Desorientierung in der eigenen entfremdeten Kulturwelt, ein Bekenntnis Döblins zu einer Distanzierung von der eigenen Kultur und Suche nach einer neuen Identifikationsmöglichkeit in der chinesischen Kultur… China ist bei Döblin eine zwar nicht historisch getreue, aber in sich geschlossene sozialpolitische Realität. Nicht nur die Tatsache, dass die Haupthandlung auf eine geschichtlich nachweisbare Rebellion zurückgeht, verleiht ihm einen realen Zug. Die Lehre des Nicht-Handelns bettet er in die gesellschaftliche Situation Chinas ein, die ebenso konfliktreich ist wie seine eigene. Die daoistische Botschaft verliert im Wang-lun den allgemeinen Charakter, indem sie ausschliesslich zum Lebensprinzip der Ausgestossenen und Gestrandeten wird. In der Konfrontation mit der sozialen Wirklichkeit lässt Döblin die heilige Lehre, mit der die armen Menschen die schöne Hoffnung auf einen Lebensweg verbinden, an der Intoleranz der despotischen Herrschaft scheitern.
Döblin zitiert im Roman wörtlich das Gleichnis von dem Mann, der seinen Schatten fürchtet und sich zu Tode rennt von Zhuangzi. Es ist der Hauptgedanke des Wang-lun.
Das Werk gehört zu den wichtigsten Ergebnissen der Beschäftigung deutscher Autoren mit der chinesischen Kultur. Seine Einzigartigkeit besteht nicht nur darin, dass ihm, im Unterschied zu den in jener Zeit zahlreich erschienenen Übersetzungen von chinesischen Geschichten, Nachdichtungen von chinesischer Lyrik oder dramatischen Umgestaltungen von chinesischen Motiven, die das Prinzip der Imitation befolgen, ein mehr schöpferisches Prinzip zugrundeliegt. Es ist Döblin - der die chinesische Sprache nicht versteht und nicht einmal in China gewesen ist - gelungen, aus seinen Leseerfahrungen eine fremde Welt in breitem Umfang zu schaffen. Die so entstandene China-Welt basiert nicht auf einzelnen sinnlichen Eindrücken, wie sie die zu seiner Zeit nach China Reisenden bekommen haben, sondern auf einem von Deutschen und Europäern vielseitig wahrgenommenen und vermittelten Gesamtbild Chinas.
Wang-lun ist keine Chinoiserie, ist auch keinem klassischen chinesischen Werk nachgedichtet. Döblin ist es gelungen, die chinesische Philosophie des Taoismus aus dem akademischen Elfenbeinburm zu befreien. Er hat als erster dem Taoismus eine gesellschaftliche Relevanz gegeben, hat die Philosophie des Nicht-Handelns mit politisch-sozialen Wirklichkeiten konfrontiert.
Döblins Wendung nach China bildet eine der ersten Stationen eines langen ununterbrochenen geistigen Suchprozesses. Sie ist ein Versuch, in der Berufung auf die östliche Philosophie das ihn ständig bewegende Problem des Daseins zu lösen und die in der Industriegesellschaft verschärfte geistige Krise zu überwinden… Die Rätselhaftigkeit der Welt, die Unübersichtlichkeit des Wirklichkeitsbildes und der Verlust des Sicherheitgefühls des Menschen in der technischen Zivilisation führen ihn zu Laozi, Zhuangzi und Liezi. Seine Begegnung mit dem Taoismus ist vor allem den Übersetzungen von Richard Wilhelm zu verdanken.
Wang-lun im Vergleich mit dem Shui hu zhuan siehe Döb1, S. 115-160.

Luo Wei : Döblin leistet mit seiner Hinwendung zur chinesischer Philosophie, unter ausdrücklicher Ablehnung der gängigen China-Mode, mit seinem Einrücken der chinesischen Menschenmassen in den Rang von Romanfiguren einen Beitrag zur Herausbildung und Bereicherung eines neuen objektiven Chinabildes im 20. Jahrhundert, das sich sowohl von dem idealisierten der Aufklärer im 18. Jahrhundert als auch von dem negativen des 19. Jahrhunderts unterscheidet.
Mit der Niederschrift findet Döblins erste umfassende Beschäftigung mit dem Konfuzianismus und Taoismus statt, die im Hinblick auf die Beschleunigung der Technisierung und Industrialisierung Deutschlands um die Jahrhundertwende mit all ihren Folgen ausserdem noch durch eine persönliche 'Verlorenheit' und eine verwirrende Atmosphäre der allgemeinen Kulturkrise genährt wurde.
Seine literarische Kritik am Konfuzianismus im Wang-lun gilt nicht der Person Konfuzius und seiner Lehre, sondern an deren Missbrauch und Entstellung durch den feudalistischen Despotismus und der kaiserlichen Macht.
Die Lehre von Laozi und dem Taoismus macht einen tiefen Eindruck auf Döblin, der aus Unbehagen an der eigenen Kultur und an den negativen Aspekten der Industrialisierung in der chinesischen geistigen Welt nach Alternativen sucht.

Liu Weijian : Döblin schreibt : Ich habe niemals daran gedacht, mit mit China zu befassen, der Gedanke etwa, nach China zu fahren, ist mir nicht im Traum eingefallen : ich hatte ein seelisches Grunderlebnis oder eine Grundeinstellung, diese liess ich mit höchster Schonung gewähren und legte ihr vor, unterbreitete ihr, wessen sie zu ihrer Auswirkung bedurfte.
Diese Grundeinstellung findet sich im Roman als tiefes Gefühl wieder und korrespondiert mit dem daoistischen Wuwei, das als grundlegendes Motiv den Roman durchzieht.
Döblin schreibt : Die Welt erobern wollen durch Handeln, misslingt. Die Welt ist von geistiger Art, man soll nicht an ihr rühren. Wer handelt, verliert sie, wer festhält, verliert sie.
So widmet Döblin die Zueignung dem taoistischen weisen alten Mann Liezi. Zugleich spricht er Laozi, dem Wuwei-Meister, seine besondere Anerkennung aus : Was ging mich, der nicht einmal Europa kennt, China an, von Laotse abgesehen.
Als Kind einer kleinbürgerlichen jüdischen Familie ist Döblin entbehrungsreich aufgewachsen und fühlt sich den Unterdrückten und Ausgestossenen zugehörig. Er ist empört über die ungerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und empfindet den Staat als Handlanger der Mächtigen. Dieser Eindruck wird zur Zeit der Entstehung von Wang-lun noch durch die imperialistische Aussenpolitik und Aufrüstung für den Krieg Kaiser Wilhelms II. verstärkt. Dieser deutschen Machtpolitik stellt Döblin die daoistische Wuwei-Lehre gegenüber, die sich seiner Ansicht nach durch den Sieg des chinesischen Volkes über die zweitausendjährige Feudalherrschaft ausgezeichnet hatte und die ihm auf deutsche Verhältnisse übertragbar erscheint. In der Vorrede zu Wang-lun unterstreicht er den sozialen Aspekt der Wuwei-Lehre durch ein Zitat Liezis : Dass ich nicht vergesse – Im Leben dieser Erde sind zweitausend Jahre ein Jahr. Gewinnen, Erobern ; ein alter Mann sprach : Wir gehen und wissen nicht wohin. Wir bleiben und wissen nicht wo. Wir essen und wissen nicht warum. Das alles ist die starke Lebenskraft von Himmel und Erde. Wer kann da sprechen von Gewinnen, Besitzen. So sieht Döblin in der Wuwei-Lehre ein Perspektive für die Unterdrückten. Sie kommt seiner Vorstellung nach einer gesellschaftlichen Verbesserung entgegen und führt ihn dazu, sich der Niederschrift des Wang-lun zu widmen.
Die Auseinandersetzung Döblins mit dem Buddhismus drückt sich in den Vorstudien zu Wang-lun, den zu Lebzeiten unveröffentlicheten Aufsätzen Der Wille zur Macht als Erkenntnis bei Friedrich Nietzsche (1902) und zu Niezsches Morallehren (1902-1903) aus.

Ingrid Schuster : Döblin hat die Konzeption vom neuen Menschen mit der Lehre vom wu-wei verschmolzen und eine Sonderform des neuen Menschen geschaffen : den chinesischen neuen Menschen… Wang-lun ist religiöser Führer und politischer Revolutionär zugleich ; er versucht, Idee und Tat, religiöse Vision und politische Praxis, Erlösung und Existenz miteinander zu versöhnen. Wang-luns Ziel ist wu-wei, der Zustand der Übereinstimmung mit dem Weltgesetz, der Zustand der Ruhe ohne die Polarität von Freude und Schmerz, Gut und Böse, Glück und Unglück. Der Weg zum Ziel ist : Nicht handeln ; wie das weisse Wasser schwach und folgsam sein…
Döblin schreibt in Wissen und Verändern : Wir haben als Ziel den auch im Natürlichen, im Ökonomischen, Politischen und Geistigen freien Menschen, dessen Verwirklichung wir nicht in die graue Zukunft schieben können. Die Verwirklichung dieses freien Menschen besteht für Döblin in dem Einswerden mit dem tao, das durch wu-wei erreicht wird.

Tan Yuan : Der Zauber von Wang-lun zeigt die Andersartigkeit der chinesischen Welt und ein Bild der chinesischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts : Arme Dörfer, staubige Landstrassen, nordchinesisches Gebirge, brausende Flüsse, einsame Einsiedlerhütten, chaotische Provinzstädte, majestätische Hauptstadt, prächtige Paläste, buddhistische Klöster, düstere Gefängnisse. Es treten auf : Bauern, Handwerker, Kaufleute, Bettler, Diebe, Räuber, Dirnen, Zauberer, Soldaten, Beamte, Generäle, Kaiser, Lama, Mönche, Taoisten und Literaten. Die Chinoiserie ist berückend : Es gibt prunkvolle Darstellung des Kaiserhofes, detaillierte Schilderungen der exotischen Sitten, Bräuche, Rituale und Lebensgewohnheiten. Die Metaphorik ist faszinieren : Mit den ungewöhnlichen Assoziationen und Vergleichen verleiht Döblin der chinesischen Gefühlswelt einen sinnlich erfahrbaren Charakter und eröffnet den Lesern einen neuen Raum für ihre Phantasie. Döblin charakterisiert den Kaiser Khien-lung [Qianlong] als Staatsoberhaupt und Führer der Staatsreligion Konfuzianismus. Dass der Kaiser der 'Himmelssohn' ist, wird nur in Khien-lungs Selbstäusserung erwähnt : Ich bin als Sohn des Himmels geboren und werde auf dem Drachenthron sterben.
Wang-lun kommt nach seiner Flucht in die Nan-ku-Berge erstmals mit der taoistischen Lehre in Berührung. Er hört zuerst von 'den niedrigen Leuten' die Sprüche aus dem Dao de jing : "In den niedrigen Leuten schwang der alte Geist des Volkes ; mehr als in den Literaten strömte in den Gestrandeten, viel Erfahrenen das tiefe Grundgefühl : Die Welt ist von geistiger Art, man soll nicht an ihr rühren. Wer handelt, verliert sie ; wer festhält, verliert sie". Wang-luns Bekehrung zum Wu-wei basiert auf seinem Nachdenken über den elenden Zustand der 'armen ausgestossenen Menschen'. Er sieht, dass jemand zuerst handeln muss, damit das Wu-wei verwirklicht werden kann. Als er sieht, dass die Bandenmitglieder der 'Gebrochenen Melone' bald den Regierungstruppen zum Opfer fallen werden, vergiftet er den Brunnen in der Stadt, so dass die Truppen nur noch die toten Mitglieder finden. Es ist für ihn die einzige Möglichkeit, den gewaltigen Kampf zu vermeiden und die Gewaltlosigkeit der 'wahrhaft Schwachen' durchzuhalten. Mit der Vergiftung macht er sich zum Mörder und handelt der Wu-wei-Lehre zuwider. Aber er verwirklicht den Spruch im Dao de jing, indem er allen 'Schmutz' auf sich nimmt und das Unglück trägt. Döblin weist darauf hin, dass jemand die Verantwortung übernehme und sich für das Nichthandeln der Brüder opfern muss.
Im Roman zitiert Döblin zudem eine Fabel von Zhuangzi, um die Hektik des Menschen in Frage zu stellen : "Es war einmal ein Mann, der fürchtete sich vor seinem Schatten und hasste seine Fussspuren. Und um beiden zu entgehen, ergriff der die Flucht. Aber je öfter er den Fuss hob, umso häufiger liess er Spuren zurück. Und so schnell er auch lief, löste sich der Schatten nicht von seinem Körper. Da wähnte er, er säume noch zu sehr ; begann schneller zu laufen, ohne Rast, bis seine Kraft erschöpft war und er starb. Er hatte nicht gewusst, dass er nur an einem schattigen Ort zu weilen brauchte, um seinen Schatten los zu sein. Dass er sich nur ruhig zu verhalten brauchte, um keine Fussspuren zu hinterlassen".

Gerwig Epkes : China ist für Döblin ein Weg zur Rechtfertigung seiner Schriftstellerei. Durch die Beschäftigung mit dem fremden Land vermeidet er unbewusst, sich mit seinen Eltern auseinanderzusetzten. Damit klammert er Schuld- und Angstgefühle aus, die sein strenges Über-Ich von ihm fordern würde. Er idealisiert China. Später wird ihm selbst bewusst, dass China ihm als 'Vehikel' zur Lösung persönlicher Probleme diente.

Otto Jensen schreibt 1922 : Dies Buch ist nicht nur ein Roman. Wie jedes grosse Kunstwerk ist es ein Zeitbild. Es ist ein Beitrag zur Sozialgeschichte eines Volkses, das steigende Bedeutung in der Weltpolitik unserer Tage erlangt. Wir müssen die alte Kultur der Chinesen kennen, um die Wandlungen im Fernen Osten zu begreifen.

Lion Feuchtwanger schreibt 1916 : Und während allerorten geschäftige Kärrner an der Arbeit sind, Grenzwälle aufzuwerfen zwischen Nation und Nation, legt hier ein Dichter eine Bresche in die chinesische Mauer, die das geistige Europa von der östlichen Welt schied... die tiefste Weisheit des Ostens, die uns bisher höchstens in sentimental-transzendentalen, akademisch theosophischen Abhandlungen europäisch frisiert, verwässert und verflüchtigt entgegendämmerte, ist in diesem Prosa-Epos rein, naiv, unsentimental, mit überzeugender Gegenständlichkeit gestaltet... Der Sinn des Buches ist die weiche, süsse Weisheit des Wu-Wei, des Nichtwiderstrebens. Das Epos sei ungefähr die Erfüllung dessen, was Goethe träumte, als er den Westöstlichen Diwan konzipierte : östliches Fühlen und Denken, in eine vollendete westliche Kunstform gezwungen. Nebel zerreissen, eine neue ungeahnte Welt ist da, Menschen und Dinge stehen da, ungeheuer fremd und seltsam, aber sie sind da, greifbar, wirklich, vom Ungläubigsten nicht wegzuleugnen. Sind da und überzeugen mit ihren abertausend neuen, unbekannten, ungeahnten Erscheinungen, Weisheiten, Lüsten, Schmerzen, Träumen, Erkenntnissen, Verzichten.
14 1915
Klabund besucht Bruno Frank, der ihm das Gedicht Pavillon aus Porzellan von Li Bo in der Nachdichtung aus Die chinesische Flöte von Hans Bethge [ID D16812] vorliest. Klabund sagt : Das ist unglaublich schön. Nur muss man’s anders übertragen. Er holt sich darauf umfangreiche Literatur über chinesische Lyrik aus der Staatsbibliothek München.
15 1915
Klabund. Li Tai Pe : Nachdichtungen [ID D2998].
Quellen : Hervey de Saint-Denys, Léon. Poésies de l'époque des Thang [ID D2216]. Gautier, Judith. Le livre de jade [ID D12659]. Harlez, Charles Joseph de. La poésie chinoise [ID D12693]. Pfizmaier, August. Das Li-sao und die neun Gesänge [ID D4776]. Strauss, Victor von. Schi-king [ID D4648]. Forke, Alfred. Blüthen chinesischer Dichtung [ID D664]. Grube, Wilhelm. Geschichte der chinesischen Literatur [ID D798]. Heilmann, Hans. Chinesische Lyrik [ID D11976]. Hauser, Otto. Li-tai-po [ID D4640] und Die chinesische Dichtung [ID D12694].

Klabund schreibt an Walther Heinrich Unus : Mit Litaipe [Li Bo] bin ich mir noch nicht einig. Vielleicht mache ich eine grosse Ausgabe (1000 unbekannte Gedichte, direkt aus dem Chinesischen übersetzt mit einem hiesigen Chinakenner). Vielleicht. Statt dessen fertigt Klabund 40 Gedichte als Nachdichtungen an, 12 davon übernimmt er aus Dumpfe Trommeln [ID D11994].

Han Ruixin : Vergleicht man Klabunds Nachdichtungen mit den chinesischen Originaltexten, so weisen sie zumeist starke Abweichungen auf : Ersatz chinesischer Ausdrücke durch andere, Umformulierungen, Hinzufügungen, Auslassungen, Umbau. Obwohl seine Nachdichtungen nicht wörtlich mit den Originaltexten übereinstimmen, geben sie doch deren Aussagen und Sinngehalt manchmal hervorragend wieder. Andrerseits gibt es auch Nachdichtungen, die in der Aussage mit den Originaltexten nichts mehr gemein haben und ganz als Neuschöpfungen anzusehen sind.

Dscheng, Fang-hsiung : Klabund hat alle deutschen Nachdichter auf dem Gebiet chinesischer Lyrik in Stil und Gehalt übertoffen. Dscheng weist nach, dass Klabund sich ausführlich mit China beschäftigt und dabei ernsthafte Kenntnisse erworben habe. Die Begeisterung für Li Tai Po liege in der wesensverwandten Gestalt begründet : Li Tai-bo, der wandelnde Poet, von Volk und Kaiser hoch geachtet, habe eine Parallele zu Klabund ; nicht von ungefähr sei Klabund eine Kombinationn aus Klabautermann und Vagabund.

Heinz Grothe : Aus dieser östlichen Welt holt Klabund sich seine besten Lyrika und dichtet sie neu. So sagt man. Aber es ist nicht so. Klabund übertrug nicht nach Originalen. Er „erfand“ diese Verse und sie scheinen uns wie Blumen aus dem übbigen Garten chinesischer Dichtkunst ans Tageslicht gezaubert. Die Welt der Ahnenverehrung, die Menschen, die die Geister fürchten, die ihnen ihre Leben und Gesundheit bedrohen, lässt Klabund in seiner Art erstehen. Nichts von der Ferne und Tiefe östlichen Geheimnisses, umsomehr Romantik. Woraus wiederum zu schliessen ist, dass ein anderer Zusammenhang sein muss, als nur vom Vorbild zum Nachdichter. Klabunds eigene Traurigkeit klingt aus diesen Strophen. Herrliche Liebesgedichte, hämmernde Kriegsverse, trunkene Lieder Litaipes, Strophen von stärkster Resignation.

Kuei-fen Pan-hsu : Die Vorlagen von Hervey Saint-Denys und Judith Gautier spielen vor allem eine grosse Rolle. Es zeigt sich, wenn das Original in der Vorlage falsch übersetzt worden ist, kann Klabunds Übertragung bei aller Intuition nicht den Sinn des chinesischen Gedichtes treffen… Die Veränderung dieser Gedichte ist zum Teil auch durch Klabunds Vorstellung von der chinesischen Welt bestimmt, sowie von Klabunds eigener geistiger Haltung und dem zeitgenössischen Geschmack.

Wolfgang Bauer : Nur Hans Bethge und Klabund bietet die Berührung mit dem Chinesischen gerade den notwendigen Halt für die Entfaltung ihres Talents, das durch ein allzu grosses Mehr an Information wohl erstickt worden wäre. Ihre zahlreichen Nachdichtungen… können zweifellos als eigenständige Kunstleistungen betrachtet werden.

Helwig Schmidt-Glintzer : Die starke Betonung der Trunkenheit, die Klabund in Lai Taibais Trinkliedern gesehen hat, ist nichts Fremdes. Sie wurzelt in dem dionysischen Kult der Philosophie Nietzsches, die wiederum auf die indische Philosophie zurückzuführen ist. Sie hat jedoch auch in der chinesischen Tradition eigenständige, vergleichbare Wurzeln in der Rausch- und Drogendichtung vergangener Jahrhunderte.
16 1915
Klabund. Dumpfe Trommeln und berauschtes Gong : Nachdichtungen chinesischer Kriegslyrik [ID D11994].

Quellen : Hervey de Saint-Denys, Léon. Poésies de l'époque des Thang [ID D2216]. Gautier, Judith. Le livre de jade [ID D12659]. Harlez, Charles Joseph de. La poésie chinoise [ID D12693]. Pfizmaier, August. Das Li-sao und die neun Gesänge [ID D4776]. Strauss, Victor von. Schi-king [ID D4648]. Forke, Alfred. Blüthen chinesischer Dichtung [ID D664]. Grube, Wilhelm. Geschichte der chinesischen Literatur [ID D798]. Heilmann, Hans. Chinesische Lyrik [ID D11976]. Hauser, Otto. Li-tai-po [ID D4640] und Die chinesische Dichtung [ID D12694].

Folgende Dichter sind darin enthalten : Li Bo (12) und Du Fu (9), Shi jing (3), Qu Yuan (1), Konfuzius (1), Wang Changling (1) sowie drei Gedichte aus angeblich unbekannter Herkunft.

Er schreibt an den Insel-Verlag : Es handelt sich bei den Nachdichtungen um Nachdichtungen in Reimen – eine Behandlunsweise, die für das Verständnis des Chinesischen in den Gedichten wesentlich erscheint : die chinesische Lyrik als Lyrik reimt sich immer.

Im Nachwort beschreibt Klabund die Wesensmerkmale der chinesischen Sprache und Lyrik.
Er schreibt : Die vorliegenden chinesischen Gedichte sind durchaus keine Übersetzungen. Sondern Nachdichtungen. Aus dem Geist heraus. Intuition. Wiederaufbau. (Manche Säulen des kleinen Tempels mussten versetzt oder umgestellt werden)…
Die chinesische Kriegslyrik überrascht durch die Kraft ihrer Anschauung und die Unerbittlichkeit ihrer Resignation, die sie von der meist hymnisch oder episch gearteten Kriegsdichtung aller übrigen Völker scharf unterscheidet…
In seinem Sohn allein erscheint der Mensch verewigt. In der Familie ist er unsterblich. Darum heisst Krieg für den Chinesen : fern von der Heimat sterben… unbestattet im Mondlicht verwesen… die Knochen nicht von frommer Kinder Hand gesammelt… kein Ahne sein… sterben…

Dscheng, Fang-hsiung : Klabund geht einher mit seiner geänderten Einstellung zum Kriege : Klabund, zutiefst überzeugt von der chinesischen Abneigung gegen Krieg und Gewalt, distanziert sich von … seiner anfänglichen Kriegsbegeisterung und wandelt sich – noch zur Zeit der deutschen Kriegserfolge – zum Pazifisten. Seine chinesische Kriegslyrik beschäftigt sich daher… vor allem mit der Verurteilung der Gewalt oder der Klage einer Geliebten um den im Kriege weilenden Gatten.

Kuei-fen Pan-hsu : Der exotische Kriegsschauplatz dient dazu, den Blick des Autors von Europa un der Gegenwart abzuwenden. Er führt ihn nicht zu einem endgültigen Gesinnungswandel. Dieser Gedichtband kann später nur als ein schwacher Vorwand dienen. Klabund verteidigt sich, dass er anfangs an den vorgetäuschten Idealismus der deutschen Regierung geblaubt, bald aber den Irrtum erkannt habe, als er im Frühling 1915 die chinesische Kriegslyrik, die Sprache der Menschlichkeit gedichtet hat.
17 1915 ca.
Bertolt Brecht liest die Gedichte von Li Bo in Klabund. Li Tai Pe [ID D2998] und in Bethge, Hans. Die chinesische Flöte [ID D11977].
18 1915
Bertolt Brecht befreundet sich mit Klabund und liest Dumpfe Trommeln und berauschtes Gong [ID D11994].
19 1915
Brecht, Bertolt. Der Tsingtausoldat. In : Brecht, Bertolt. Gedichte. (Berlin : Aufbau-Verlag, 1961-1969). Bd. 9.
Liu Weijian : Es ist das erste auf China bezogene Gedicht. Während die meisten Autoren eher euphorisch die patriotische Gesinnung der deutschen Soldaten bei der Verteidigung Qingdaos gegen die Japaner beschreiben, stellt Brecht den Krieg in Frage, indem er aus der Sicht eines Frontsoldaten die Furcht vor dem sogenannten Heldentod zeigt.
20 1915
Gottberg, Otto von. Die Helden von Tsingtau [ID D4593].
Liu Weijian : Qingdao ist das „kleine Deutschland über See“ und versucht ein Heimatgefühl zu vermitteln. Es wird auch geschildert, wie der Deutsche in der Fremde deutsche Art und Sitte wahren kann. Die Soldaten verteidigen Qingdao trotz der Ahnung von einer gewissen Niederlage und wahrscheinlichen Todes für den Geist Alldeutschlands und Deutschlands Ehre.

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