Weber, Max. Konfuzianismus und Taoismus : Sekundärliteratur (4).
Song, Du-yul. Aufklärung und Emanzipation [ID D17353].
Song Du-yul schreibt : Der Kapitalismus, den Max Weber als ‚schicksalvollste Macht unseres modernen Lebens bezeichnet, ist nach ihm ein räumlich und zeitlich begrenztes, spezifisch weltgeschichtliches Phänomen, das des 'modernen okzidentalen Rationalismus'. Weber stellt die Frage : "Warum taten die kapitalistischen Interessen das gleiche nicht in China oder in Indien ? Warum lenkten dort überhaupt weder die wissenschaftliche noch die künstlerische noch die staatliche noch die wirtschaftliche Entwicklung in diejenigen Bahnen der Rationalisierung ein, welche dem Okzident eigen sind ?" Weber greift auf die Differenz der Lebenszüge in den modernen okzidentalen im Gegensatz zu solchen in anderen Kulturkreisen zurück. Als einen Leitfaden bei der Antwort auf diese Frage, sieht Weber die 'Kausalbeziehung' zwischen Religion und Wirtschaft und sozialer Schichtung ihrer Umwelt in seiner Religionssoziologie.
Weber fragt nicht nach dem Wesen, sondern nach der Funktion der Religion innerhalb der Gesellschaft : "Allein wir haben es überhaupt nicht mit dem Wesen der Religion, sondern mit den Bedingungen und Wirkungen einer bestimmten Art von Gemeinschaftshandeln zu tun". Darum legt er den Schwerpunkt seiner religionssoziologischen Untersuchung auf die Systematisierung des Glaubens, d.h. religiöse Rationalisierung. Er unterteilt die chinesischen Religionen in zwei Kategorien : Orthodoxie (Konfuzianismus) und Heterodoxie (Taoismus und Mahajana-Buddhismus). Weber greift die diesseitig orientierte konfuzianische Rationalisierung des Glaubenssystems und ihre Stellung zur Welt auf und beschreibt die Unterschiede zwischen Konfuzianismus und Puritanismus : Nur die über weltlich orientierte puritanische rationale Ethik führte den innerweltlichen ökonomischen Rationalismsus in seinen Konsequenzen durch, gerade weil ihr an sich nichts ferner lag als eben diese, gerade weil ihr die innerweltliche Arbeit nur Ausdruck des Strebens nach ihrem transzendenten Ziel war. Die Welt fiel ihr, der Verheissung gemäss, zu, weil sie 'allein nach ihrem Gott und dessen Gerechtigkeit getrachtet' hatte. Denn da liegt der Grundunterschied dieser beiden Arten von 'Rationalismus'. Der konfuzianische Rationalismus bedeutete rationale Anpassung an die Welt. Der puritaniasche Rationalism : rationele Beherrschung der Welt.
Weber will sich eigentlich in seiner Religionssoziologie nicht mit der ‚Wesensfrage’ beschäftigen und behandelt daher nur die 'psychologischen' und 'pragmatischen' Zusammenhänge zwischen Religion und 'Handeln' ; trotzdem scheint seine Religionstheorie im Grunde in den Bahnen der abendländischen Substanzmetaphysik, d.h. der Dichotomie von Substanz und Form, zu bleiben.
Er sieht in der 'chinesischen universistischen Philosophie' einen Versuch, die Welt in einen 'Zaubergarten' zu verwandeln. Ferner hebt er im Zusammenhang mit der 'Entzauberung der Welt' die Stellung des Konfuzianismus zur Magie hervor : "Während der Konfuzianismus die Magie in ihrer positiven Heilsbedeutung unangetastet liess, war hier [Protestantismus] alles Magische teuflisch geworden, religiös wertvoll dagegen nur das rational Ethische geblieben : das Handeln nach Gottes Gebot, und auch dies nur aus der gottgeheiligten Gesinnung heraus. Es ist nach der Darstellung wohl völlig klar geworden : dass in dem Zaubergarten vollends der heterodoxuen Lehre (Taoismus)… beim Fehlen aller naturwissenschaftlichen Kenntnis, bei der Verpfründung, der Stütze der magischen Tradition… eine rationale Wirtschaft und Technik moderner okzidentaler Art einfach" ausgeschlossen war. Die Erhaltung dieses Zaubergartens aber gehörte zu den intimsten Tendenzen der konfuzianischen Ethik.
Im Konfuzianismus gibt es wegen der fehlenden Überweltlichkeit der ethischen Prophetie keine messianische Hoffnung auf die 'absolute Utopie' und auch keinen dionysischen Pathos. Der Konfuzianismus kennt nur das diesseitig-konkret orientierte 'rational sozialethische System'. Darum ist dieses konfuzianische Ideal in der humanistischen Bildungsidee ausgeprägt. Zu Recht macht Weber auf diesen Habitus des konfuzianischen 'Pragma' in der literarischen Schulung aufmerksam. In Bezug auf die chinesische höchste Idee des Edlen, charakterisiert er diesen Habitus durch einen Passus des Konfuzuius : "Ein Vornehmer ist kein Werkzeug". Hier betrachtet er das Fehlen der 'rationalen Fachspezialisierung' als notwendige Folgerung aus dieser chinesischen Kulturidee : "Reichtumserwerb würde Konfuzius an sich nicht verschmähen, aber er schien unsicher und konnte daher zur Störung des vornehmen Gleichgewichts der Seele führen und alle eigentliche ökonomische Berufsarbeit war banausisches Fachmenschentum. Der Fachmensch aber war für den Konfuzianer auch durch seinen sozialutilitarischen Wert nicht zu wirklich positiver Würde zu erheben".
Weber behandelt weiter die Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Problem des 'Geistes' des Kapitalismus in dem religiösen Rationalisierungsprozess stellen. Ein Glaubenssystem oder eine Wissensform wie der Konfuzianismus, der keine, oder Taoismus und der Buddhismus, die nur die exemplarische Prophetie kennen, ist gerade der Gegenpol zur protestantischen 'innerweltlichen Askese', die durch 'ethische Prophetie' das Leben 'rational' reglementiert.
Während die religiöse Pflicht gegen den überweltlichen, jenseitigen Gott im Puritanismus alle Beziehungen zum Mitmenschen : auch und gerade zu dem in den natürlichen Lebensordnungen ihm nahestehen, nur als Mittel und Ausdruck einer über die organischen Lebensbeziehungen hinausgreifenden Gesinnung schätzte, war umgekehrt die religiöse Pflicht des frommen Chinesen gerade nur auf das Sichauswirken innerhalb der organisch gegebenen persönlichen Beziehungen hingewiesen.
Weber kennt nur ein Weltbild des bürgerlich-kapitalistischen Okzidents : "Wir rücken mit beängstigender Schnelligkeit dem Zeitpunkt entgegen, an dem die Ausdehnung der Versorgung asiatischer halbgebildeter Völker ihr Ende gefunden hat. Dann entscheidet über den auswärtigen Markt weiter nichts als die Macht, als die nackte Gewalt".
Die Religionssoziologie Webers zielt auf eine Kausalität zwischen der asiatischen Religiosität und der Unfruchtbarkeit des 'Geistes' des Kapitalismus mit Hilfe einer christlich-abendländischen Dichotomie von Substanz und Form.
Die politische Ordnungsspekulation Chinas, die kosmometaphysische Identifizierung der gesellschaftlich-staatlichen Ordnung mit der kosmischen Harmonie beschreibt Weber, indem er den Modus der Herrschaft in der traditionalen Gesellschaft darstellt. Als Ergebnis seiner Analyse sieht er eine doppelte Herrschaftsrolle des Kaisers, der zugleich 'Oberlehnsherr' und 'legitimierter Oberpriester' ist. Er begreift zwar die historische Erscheinung der Herrschaftsform als idealtypisch-begriffsmässig, jedoch kann man nur einige historische Teilaspekte entnehmen. Auf die Genesis des Lehenswesens bezogen, in dem der Kaiser der 'Oberlehnsherr' ist, stellt Weber den Entwicklungunterschied der Herrschaft der asiatischen und der okzidentalen Gesellschaft folgendermassen dar : "Soviel ersichtlich, war das politische Lebenswesen in China nicht primär mit der Grundherrschaft als solcher verknüpft. Sondern beide sind aus dem 'Geschlechterstaat' erwachsen, nachdem die Häuptlingssippen den alten Banden des Männerhauses und seiner Derivat sich entzogen hatten. Der Gegensatz gegen den Okzident war natürlich in mancher Hinsicht relativ, aber in seiner Bedeutsamkeit immerhin nicht gering. Im Okzident war die Erblichkeit der Lehen erst Entwicklungsprodukt". "Sklaverei hat es in China zu allen Zeiten gegeben. Ihre ökonomische Bedeutung aber scheint nur in den Zeiten der Akkumulation grosser Geldvermögen durch Handel und Staatslieferungen : als Schuldsklaverei oder Schuldhörigkeit, wirklich erheblich gewesen zu sein". Nach dem Sturz des Feudalismus folgt die mit der Zentralgewalt eingeführte bürokratische Herrschaftsordnung. Hier sieht Weber eine spezifische Eigenschaft der Wasserbauwirtschaft der asiatischen Gesellschaft. Nach ihm stützt sich der Legitimitätsanspruch der 'rationalen' Herrschaft nicht auf materiale Werte, sondern auf den Formalismus des Zustandekommens der Regeln. Er unterscheidet die patrimonialbürokratische Herrschaftssturktur von der legalen. Diese Unterscheidung beruht vor allem auf der Differenz in der Qualifizierung der Beamten und in den Rechtsnormen- und institutionen.
Im Gegensatz zum unpersönlichen Instanzenzug der modernen 'Fachbürokratie' sieht Weber einen standesethischen 'Personalismus' in der chinesischen Beamtenregierung. Insofern ist dieser Typus nach ihm blosses ‚Patrimonialbeamtentum’, weil dieser Herrschaftstypus in der Gebundenzeit durch traditionelle Autoritätsverhältnisse steht. Er charakterisiert die Herrschaftsstruktur im traditionellen 'Patrimonialbeamtentum' nach der abendländischen Vorstellung von Herr und Knecht, Befehlender und Gehorchender, Herr und Untertan.
Weber analysiert die traditionale Gesellschaft, d.h. die 'nichtlegitime Herrschaft' (Stadt). Er unterscheidet die Stadt vom Dorf so : "Bauern wohnten zahlreich in den Städten, dies also meist 'Ackerbürgerstädte' waren, so besteht nur der verwaltungstechnische Unterschied : Stadt gleich Mandarinensitz ohne Selbstverwaltung. Dorf gleich Ortschaft mit Selbstverwaltung ohne Mandarinen". Aus der blossen 'Verwaltungstadt' folgert Weber eine politische Bedeutung, die sich von den okzidentalen Städten unterscheidet : "Der Grundgegensatz der chinesischen, wie aller orientalischen, Städtebildung gegen den Okzident war das Fehlen des politischen Sondercharakters der Stadt. Die Städte im Okzident könnten die Grundlage für eine 'bürgerliche Demokratie' schaffen. Diese freie Atmosphäre der Stadt besonders im bürgerlichen Zeitalter ermöglichten die Rationalisierung des Privatrechtsverkehrs und die Institutionalisierung der Öffentlichkeit". Den ganz anderen Entwicklungsweg der Städte in der traditionalen asiatischen Gesellschaft erklärt Weber aus der wichtigsten Tatsache, dass die ‚totemistische, ahnenkultische und kastenmässige Klammer der Sippenverbände’ die Stadt mit dem Land eng verbindet. Trotz der Zunft- und Gildewesen in diesen traditionalen Städten scheitert die Stadtbildung an der Unfähigkeit, ein Bürgertum zu etablieren : einmal an der politisch beschränkten Selbständigkeit und zum andern an der engen Verbundenheit von Stadt und Land.
Philosophy : Europe : Germany