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“Max Webers Soziologie der ostasiatischen Religionen” (Publication, 1966)

Year

1966

Text

Franke, Herbert. Max Webers Soziologie der ostasiatischen Religionen. In : Max Weber : Gedächtnisschrift der Ludwig-Maximilians-Universität München zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages 1964. Hrsg. von Karl Engisch, B ernhard Pfister, Johannes Winckelmann. (Berlin : Duncker und Bumblot, 1966). (Web6)

Type

Publication

Mentioned People (1)

Weber, Max  (Erfurt 1864-1920 München) : Wirtschaftwissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Professor fur Handelsrecht Universität Berlin, Professor für Nationalökonomie Universität Freiburg i.B. und Heidelberg, Professor für Soziologie Universität Wien, Professor für Nationalökonomie Universität München

Subjects

Philosophy : Europe : Germany

Chronology Entries (1)

# Year Text Linked Data
1 1920.8-1972 Weber, Max. Konfuzianismus und Taoismus : Sekundärliteratur (1)
1920
Schumpeter, Joseph. Max Webers Werke. In : Der Österreichische Volkswirt ; Jg. 12, 7. Aug. (1920) : [Nachruf].
Schumpeter schreibt über die Aufsätze Wirtschaftsethik der Weltreligionen, sie seien nicht nur die besten soziologischen Leistungen Deutschlands, sondern auch das Zentrum einer deutschen Soziologenschule und haben unendlich fruchtbar gewirkt.

1920
Emil Lederer schreibt im Nachruf über Max Weber : Was aber insbesondere seine letzten grossen Beiträge über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen anlangt (vor vielen Jahren auf das Fruchtbarste durch die grundlegende Abhandlung über 'die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus' eingeleitet), so bedeuten sie eine völlig neue Epoche, zumal für die soziologische Forschung. Es mag heute noch strittig sein, ob und welche Gesamtanschauung für die Menschheitsgeschichte aus diesem monumentalen Werke erwachsen wird – hier ist die ganze ungeheure Welt der transzendentalen Bildung bewältigt, und der sozialen Einsicht erobert. Und damit ist diese selbst, ist Sozialwissenschaft im weitesten Sinne in die Universalgeschichte des menschlichen Geistes eingegliedert. Und wenn diesem Werk auch nicht die Basis zugrunde lag, den immanent religiösen Sinn der Weltreligionen zu erschliessen, so strömt doch aus dieser mächtigen Arbeit, welche die Funktionalbeziehungen zwischen religiös geforderten Lebensmaximen und menschlicher Sozietät enthällt, ein unverhofftes Licht auf die tiefsten Geheimnisse noch unerschlossener und wieder versunkener Wahrheiten.

1926
Wittfogel, Karl August. Das erwachende China [ID D1603].
Wittfogel schreibt über Max Webers Religionssoziologie : Das Buch ist ein Trümmerhaufen einzelner wertvoller Geschichtstatsachen, keine Geschichte. Immerhin ist Weber der einzige bürgerliche Historiker, der überhaupt ernsthaft die Frage aufgeworfen hat, warum China nicht selbständig zum industriellen Kapitalismus kam. Seine eklektisch-unmarxistische Methode hat ihn dann allerdings gehindert, eine ausreichende Anwort auf die von ihm richtig als Kernproblem erkannte Frage zu finden.

1930
Baláz, Stefan [Balazs, Etienne]. Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte der T'ang-Zeit [ID D5142].
Etienne Balazs schreibt : Eine Beschäftigung mit Fragen der chinesischen Wirtschaftsgeschichte bedarf wohl heute keiner besonderen Rechtfertigung. Einerseits ist die Kenntnis der Wirtschaftskräfte zum Verständnis der widerspruchsvollen Entwicklung Ostasiens unerlässlich ; dann aber verdient auch die Eigenart des ökonomischen Systems, das sich im Laufe der Jahrhunderte allmählich herauskristallisierte, unser besonderes Interesse. Max Weber gebührt das Verdienst, die entscheidende Fragestellung dieser Zusammenhänge in seiner Chinastudie ausgesprochen zu haben. Zweifellos war China von jeher ein Agrarland, aber diese simple Feststellung enthebt uns nicht der Pflicht, nach dem Charakter der Stadt zu fragen. Gab es überhaupt Städte von Bedeutung in China ? Wenn ja, wie sind sie entstanden ? Hat sich ihre numerische Stärke und ihre Art im Laufe der Zeiten gewandelt ? Wer waren die 'Städtegründer' und war die Stadtinssassen ? Wohnten vorwiegend Kaufleute, Handwerker oder Beamte in den chinesischen Städten ? Gabe es ein Stadtrecht ? Alle diese Fragen sind meines Wissens, ausser von Max Weber kaum oder gar nicht gestellt, geschweige denn beantwortet worden. Max Webers sehr einleuchtende Ausführungen bleiben ohne historische Belege zunächst geniale Vermutungen. Seine wichtigsten Feststellungen, dass nämlich die chinesische Stadt bis in die Neuzeit in erster Linie Residenz der grossen Amtsträger blieb, ein Ort in dem 'vor allen Dingen Renten, teils Grundrenten, teils Amtspfründen und andere direkt oder indirekt politisch bedingte Einkünfte verausgabt wurden', und dass das Hauptmerkmal der chinesischen Städtebildung 'das Fehlen des politischen Sondercharakters der Stadt' war, werden sich durch historische Forschungen wahrscheinlich als durchaus richtig erweisen.

1937
Franke, Otto. Geschichte des chinesischen Reiches. Vol. 3 [ID D711].
Otto Franke schreibt über Max Weber : Nun wirbeln bei Weber die Zustände und Begebenheiten der verschiedenen Jahrtausende bunt durcheinander, so, dass man nicht weiss, welche Zeit er für dieses 'Heranholen' der Bevölkerung im Auge hat, aber in einer für uns vorhistorischen hat dies ganz bestimmt nicht stattgefunden. Indessen, von 'grossen ummauerten Städten in vorhistorischer Zeit' kann keine Rede sein, denn dann hätte man nicht mit dem Regierungssitze so oft herumziehen können, wie es noch die Schang-Herrscher [Shang] getan haben.
Herbert Franke : Otto Franke war bei der Abfassung seines Werkes noch nicht bekannt, dass bereits die neolithische Lung-shan-Kultur Chinas grosse, stadtähnliche Siedlungen besass.

1964
Sprenkel, Otto B. van der. Max Weber on China [ID D18846].
Otto B. van der Sprenkel : Weber's use of historical materials is taken from widely different periods of Chinese history, ranging from the Shang-Yin and Zhou kingdoms of the second and first millennia B.C. to the early descades of the twentieth century when he himself was writing, with utter disregard for the chronological sequence of events.
Weber seeks to attain clarity in the analysis of actual institutions and social behavior patterns by collecting as much observational data as possible and then classifying the picture so obtained in accordance with its degree of deviation from, or approximation to, one or more of the thematically relevant ideal-types he has set up. His method, in other words, is one of "positioning" the various situations he is examining on a sort of spectroscope whose bands are demarcated by ideal-types. Adoption of this technique no doubt accounts for Weber's predilection for the comparative method, which indeed he uses with great effect. On the other hand, he is not overly concerned with transitions from one type to another. The only developmental process which he discusses in any detail is the one he calls "the routinization of Charisma"; and in general there is little emphasis in Weber's work on the dynamics of change.

Notable are : 1) Weber's correct assignment of the beginnings of 'rational' policies in internal administration, military organization and the like, to the Warring States period. 2) The importance he gives to water-control as the factor mainly responsible for the growth of centralized political authority. 3) The unerring identification of the ‘literati’ as the key status group in Chinese society, and of the bureaucracy as its creation and creature.
History, for Weber, is always the handmaiden of sociology, and it was no part of his plan or purpose in studying the 'economic ethic' of confucianism to describe or account for China’s transition from feudalism to the 'patrimonial-brueaucratic' empire. Weber’s main interest lies in the morphological understanding of societies, their institutions and the patterns of behavior that characterize them ; and in answering the question : why is this what it is and not semething else, how does it work, what gives it stability (or instability) ?
The central power, whose embodiment is the Son of Heaven, and whose agent is the bureaucracy. The Chinese bureaucracy, in all periods from the Han to the Manchus, is invariably qualified by Weber as 'patrimonial', and further as strongly marked by 'irrational' features. According to his typology of authoritarian modes, the patrimonial is one variant, among several, of patriarchal authority. But it is characteristic of patriarchal authority that, besides the system of inviolable sacred norms whose infraction results in magical or religious disaster, it also acknowledges a sphere in which the arbitrary decision of the ruler has free play, an area in which decisions are taken, in principle, on personal rahter than on fuctionally appropriate grounds. In this sense patriarchal authority is irrational.
No sinologist would be disposed to quarrel with the view that there were irrational elements (in the Weberian sense) in Chinese government, nor would he dispute that possession of the imperial office often conferred wide powers of arbitrary decision on its holder. Nevertheless certain modifying factors should be noted : 1) that a great deal depended on the personality and caliber of the emperor ; 2) that there was no doctrin of divine right in China ; 3) that in state matters the emperor was normally expected to act in accordance with the advice of his chief ministers.

Moreover there were also and inevitably differences of interest and outlook between the inner and outer courts themselves : between, on the one hand, the palace and all it included and stood for ; and, on the other, the elaborately structured bureaucracy whose members were immersed at all levels in problems of day-to-day administration as well as participating, at the higher levels at least, in the formulation and testing of policy. The conflict was important, and Weber was right in drawing attention to it, though his interpretation of it was mistaken.
Weber is inclined to discount the efficacy of the Chinese civil service in part on the ground that it was technically impossible for so small an establishment to control effectively an empire so vast and so lacking in means of communication. The central government, facing the task of imposing its will on the innumerable if disunited centers of local self-rule that existed in every county of the empire, had at its disposal the instrument of the bureaucracy. But this instrument possessed only a limited effectiveness, and moreover itself represented a potential threat to the continuing authority of the emperor.

It was in the periods Song, Ming and Qing, that the mandarinate achieved its most (in Weber’s sense) organization under the close direction of relatively strong centralizing governments. No hereditary nobility existed during these centuries, nor were there any discernible signs of a process of refeudalization. The classical period of Chinese feudalism was the Western Zhou. Its characteristic institutions, as Weber correclty noted, were challenged and in part subverted in the time of the Warring States ; though the decisive destruction of the territorial beses of feudal power was the work of the Qin.
The danger that Weber saw as threatening the authority of the emperor in later and more settled perios, when the bureaucracy, far from being the tool of a local noblesse, was the obedient instrument of a central government that not only controlled the selection and indocrination of its members through the examination system but also habitually exercized powers of appointment, promotion, demotion and removal over every part of the civil serv ice establishment. It is hard to avoid the conclusion that Weber was led to judge as he did, not by the evidence, but by his concept of what ‘patrimonial bureaucracy’, as an ideal-type, entailed. This notion of Weber’s that the eventual aim of the official was to appropriate his prebend and transmute it into an hereditary benefice colors his whole view of the bureaucracy, suggests reasons to him for a number of the institutional devices that were part of its structure, und underlies his explanation of why the Chinese bureaucracy failed to grogress from patrimonialism to full rationality. Though Weber regards the mandarinate as patrimonial in the sense that it developed from the ruler’s own household and never completely emancipated itself from this inheritance, and also in the sense that it was an extension of and emanation from the ruler’s own authority and subject to his arbitrary will or whim, he is convinced nevertheless that between the emperor and his patrimonial staff of administrators there existed a basic opposition of interests which, if sometimes latent, was ye always present. Here he was certainly right, though not perhaps entirely so about the interests involved.

Weber raises a nomber of points simultaneously. The most important is clearly his interpretation of the role played by the examination system. The Chinese were well aware that no imperial government with a vast territory to administer could exist without an efficiently functioning bureaucracy ; and that therefore the quality and training, and above all the method of selection, of its officials were matters of the greatest moment. It is enough to note, that Weber systematically neglects the main purpose of the examinations, and regards them instead as the central government’s principal weapon against the bureaucracy. By him the emphasis is placed on the use of the examination technique to divide and so weaken the officialdom, which otherwise sould form a threat to the power of the ruler.
Weber’s arguments : 1) the Chinese bureaucracy, while incorporating certain features, was patrimonial in origin and remained essentially so in character sown to the end of the imperial era ; 2) the fact that it functioned in a society whose economy was predominantly natural, and was never more than partially monetized, meant that there existed an ever-present danger that the sources of taxation would be appropriated by officials and exploited as private property ; 3) the most important of the measures introduced by the central government to prevent such a development taking place was the state examination system : this system institutionalized a competitive struggle for prebends among office-seekers, excited mutual distrust among officials, and so divieded and weakened the bureaucracy ; 4) this, together with the fact that the bureaucracy was of necessity extensive rather than intensive, owing to the smalness of its numbers and the size and imperfect communications of the empire it administered, meant that it was never able fully to master the forces of local traditionalism that dominated the countryside.

Weber deserves the highest praise for his recognition of the lineage as a main key to an understanding of rural China. At the time that he wrote very little attention had been given to this most important institution, and sinologists have only recently begun to appreciate its significance and subject it to detailed study.
Some of Weber’s evidence is insecurely founded. Some of his judgments are wrong. He can be convicted of errors of emphasis and stress. He was also a conceptualizer of genius, and on occasion was the prisoner of his concepts. Nevertheless, his success in breaking open a way to a much more searching and profound understanding of the structure of Chinese society and the forces operative in it, is little short of amazing. The account he gives of the bureaucracy well exemplifies the merits and disadvantages of his work.

1966
Franke, Herbert. Max Webers Soziologie der ostasiatischen Religionen [ID D18832].
Herbert Franke : Es ist bewunderswert, dass Max Weber aus dem disparaten und oft genug noch von der Textgläubigkeit der sinologischen Frühzeit geprägten Material mit genialem Scharfblick Folgerungen ziehen konnte, die sich nicht nur als dauerhaft erwiesen haben, sondern die weitere Entwicklung der historischen Chinaforschung auf das stärkste beeinflusst haben.
Eine der meiner Ansicht nach fruchtbarsten Einsichten Max Webers war die Erkenntnis des bsonderen Charakters der chinesischen Stadt und damit verbunden, die Eigenart der chinesischen Oberschicht, in der sich Ansätze zu einem Bürgertum und zum Kapitalismus kaum gezeigt haben, jedenfalls nicht bevor westliche Produktionsmethoden und wirtschaftliche Denkweisen durch den Westen im 19. Jahrhundert importiert wurden.
Weber hat schon für vorgeschichtliche Zeiten die Existenz ummauerter stadtähnlicher Siedlungen postuliert, dass 'China schon in einer für uns vorhistorischen Zeit ein Land der grossen ummauerten Städte war', ferner, dass 'zuerst die Palisade oder Mauer da war, dann die oft im Verhältnis zum ummauerten Areal unzulängliche Bevölkerung, eventuell zwangsweise herangeholt wurde'.
Ein weiterer Bestandteil der chinesischen traditionellen Gesellschaft, der von Max Weber bereits in seiner vollen Bedeutung zutreffend erkannt worden ist, ist die Bürokratie und ihr Verhältnis zur Oberschicht, dem Literatentum und der Gentry. Weber ist der erste, der das wissenschaftliche Problem einer vergleichenden Theorie der Bürokratie in seinem vollen Umfang erkannt hat. Füh ihn war die Monopolisierung der Herrschaftsfunktionen durch die Bürokratie ein allgemeines Phänomen aller fortgeschrittenen Sozialordnungen. Ein Kennzeichen der Bürokratie ist es, dass sie im Gesellschaftsganzen und jeweils von den Wertvorstellungen der religiösen und ethischen Systeme geleitet eine bestimmte Führungsschicht herausbildet. Solche Schichten können sehr verschiedene geistige oder soziale Hintergründe haben. Das eindrucksvollste Beispiel ist die chinesische konfuzianisch geprägte Bürokratie, die Schicht des gelehrten Beamtentums, der humanistisch erzogenen Literaten. Die ideologische Grundlage der Tätigkeit des Beamtentums blieb, von Ausnahmen abgesehen, der Konfuzianismus, der dem Humanismus der Beamtenschaft die Inhalte gab. Weber hat klar erkannt, dass dieser Humanismus dem Fachdenken, dem Expertentum diametral gegenüberstand. 'Der Fachmensch' war für den Konfuzianer auch durch seinen sozialutilitarischen Wert nicht zu wirklich positiver Würde zu erheben. Denn, dies war das Entscheidende, der 'vornehme Mann' war 'kein Werkzeug, d.h. : er war in seiner weltangepassten Selbstvervollkommnung ein letzter Selbstzweck, nicht aber Mittel für sachliche Zwecke welcher Art immer. Dieser Kernsatz der konfuzianischen Ethik lehnte die Fachspazialisierung, die moderne Fachbürokratie und die Fachschulung, vor allem aber die ökonomische Schulung für den Erwerb ab.

Webers Deutungen in den Gründzuügen sind mehr oder weniger modifiziert : eine vorindustrielle, agrarische Gesellschaft, mit einer bürokratischen Führungsschicht, nicht erblich, aber mit dem Monopol der Erziehung und damit der Kontrolle über die Selbstergänzung, einen Staat mit totalitärem Anspruch mit Hilfe einer ebenfalls zum Totalitarismus neigenden Ideologie leitend (der spätere Konfuzianismus betrachtet sich als eine Lehre, mit der alle vorkommenden Fragen und Probleme beantwortet werden können und die grundsätzlich alle Lebensbereiche erfasst).

Man muss sich fragen, wie es möglich war, dass Weber, ohne dass China sein Spezialgebiet war und auf Grund einer einseitigen Sekundärliteratur, zu derart erhellenden Erkenntnissen kommen konnte. Meiner Meinung nach liegt dies, ausser selbstverständlich in einer unwiederholbaren Einzigartigkeit wissenschaftlichen Verstehens, namentlich im Wesen der chinesischen Literatur selbst, insbesondere der geschichtlichen Quellen begründet.
Max Weber hat dazu beigetragen, dass die Sinologie aus dem Ghetto der orientalischen Philologie herausgeführt wurde und uns zu verstehen gelehrt, dass China als soziales und historischen Phänomen mit der Methode einer universalen Wissenschaft erfasst und begriffen werden kann. Die vielberufene Spezialisierung muss auch die Sinologie ergreifen. Der die Geschichte Chinas erforschende Sinologe muss eine historische Schulung erfahren haben, der Sprachforscher eine linguistische, der Literaturwissenschaftler sich mit den modernen Methoden der Literaturforschung vertraut machen und der Wirtschafts- und Sozialhistoriker die Grundlagen der Nationalökonomie und der Soziologie in ihren Umrissen kennen. Die Philologie wird nur noch eine unerlässliche Voraussetzung für das Verstehen der chinssischen Quellen sein.

1972
Zingerle, Arnold. Max Weber und China [ID D18637].
Arnold Zingerle : Max Webers Bild Chinas gibt in komprimiertester Form das wieder, was in Konfuzianismus und Taoismus an Grundsätzlichem zur Herrschaftsstruktur erarbeitet ist. Dem entsprechend ist 'Patrimonialismus' der typologische Strukturbegriff, der sowohl an den entscheidenden Passagen zum Herrschaftsgefüge in den soziologischen Grundlagen als auch in den übrigen Abschnitten überall dort zum Einsatz gebracht wurde, wo auf die Grundzüge dieses Gefüges zurückgegriffen werden musste. Patrimonialismus ist das umfassende Strukturmerkmal der Bürokratie, mit der für Weber China so schicksalhaft verbunden war, dass ihre Herrschaft nicht beseitigt werden konnte 'ausser mit dem völligen Untergang der Kultur, die sie trug'. Er kann den chinesischen Beamtenstaat als 'das in seiner Art konsequenteste patrimoniale politische Gebilde' bezeichnen, weil er zeigt, wie die patrimoniale Struktur vom Staat auf die verschiedensten Kulturgebiete übergreift und von dorther ihrerseits wiederum unterstützt wird. Der Patrimonialismus ist vor allen ‚die für den Geist des Konfuzianismus grundlegende Strukturform, dessen zentrale Tugend, Pietät, oberste Handlungsnorm sowohl im patrimonialen Untertanenverhältnis der Beamten zu ihrem Herrn wie auch in demjenigen der Sippenangehörigen zu ihren Ahnen, ist Ausdruck einer kongenialen Vermittlung traditionalistischer Legimität mit ‚rationalen’ Domestikationsbestrebungen, geleistet durch die Konfinuität eines staatstragenden Literaten-Beamtentums.

Von grösster Bedeutung für das Verständnis des Patrimonialismus als einer Form traditionaler Herrschaft, gerade im Hinblick auf China, ist nun, wie Weber die Handlungsgrenzen des traditionalen Herrschers bestimmt. Diese Grenzen 'definieren' die Legitimität selbst. Legitim ist der traditionale Typus des herrschaftlichen Handelns, welches mit Gehorsam rechnen kann. Weber sprich von einem 'Doppelreich a) des material traditionsgebunden Herrenhandelns b) des material traditionsfreien Herrenhandelns'. Die 'traditionale Willkür' innerhalb des letzteren 'beruht primär auf der prinzipiellen Schrankenlosigkeit von pietätspflichtmässiger Obödienz'. In diesem Bereich kann der Herr nach freier Gnade und Ungnade, persönlicher Zu- und Abneigung, und rein persönlicher, zu erkaufender Willkür 'Gunst' erweisen. In der Abstraktion Webers ist eine Struktur benannt, die – so sehr sie allgemein für traditionale Herrschaft gegolten haben mag – in China wie nirgendwo sonst einen spezifischen, institutionellen Niederschlag gefunden hat : im konfuzianischen 'Zensorat' und seiner nicht nur gegenüber den Beamten, sondern auch gegenüber dem Kaiser ausgeübten Kontrolle. Weber erwähnt diese letztere zwar nur gelegentlich seiner Behandlung charismatischer Aspekte des Kaisertums. Doch beruft er sich dabei auf Mengzi, der geradezu den chinesischen Archetyp einer Theorie jener 'traditionalitischen Revolution' geschaffen hat.
Für Weber ist ein Patrimonialstaat, in dem die politische Herrschaft über die Untertanen 'prinzipiell ebenso organisiert'ist, wie die Hausherrschaft. Zur Ausübung seiner Herrschaft ist man auf seinen 'Stab' angewiesen, dass man von 'Bürokratie' sprechen kann. Nach ihm war die Quelle des patrimonialen Beamtentums in China ein zunächtst ‚parimonial rekrutierter’ Stab. Erst mit der Erweiterung des Stabes durch ‚extrapatrimoniale Rekrutierung’ spricht er von 'Bürokratie'. Der Hauptunterschied dieser 'Patrimonialbürokratie' zu ihrem 'modernen', d.h. im Kontext legal legitimierter Herrschaft stehenden Gegentypus, besteht, entsprechend dem 'pietätspflichtmässigen' Charakter jeden traditionalen Gehorsams, in der persönlichen Qualität des auf Pietät beruhenden Verhältnisses 'Diener - Herr' gegenüber dem sachlichen des auf Amtspflicht beruhenden zwischen dem 'Beamten' und seinem 'Vorgesetzten'.

Eine für China spezifische Ursache für das Fehlen einer einheitlichen, alle Ebenen der Hierarchie umfassenden Trennung der Kompetenzen erblickt Weber darin, dass gerade die dem chinesischen Verwaltungssystem adäquate ‚Bürokratenmoral des Konfuzianismus’ mit ihrem Vollkommenheits-Ideal jeder Fachschulung entgegengesetzt war.
Die Pfründe ist diejenige Form der Beamtenversorgung, der bei Weber die grösste Bedeutung zukommt. Gegenüber der intrapatrimonialen Versorgung unterscheiden sich die Pfründen durch ihre Regelmässigkeit, durch ihren Charakter eines Entgelts für umgrenzte, vom Herrn übertragene Verwaltungsaufgaben sowie darin, dass sie meisten ein ‚Recht auf das Amt’ konstituieren. Das Recht ist veräusserlich, ererblich und erbteilbar. Eine der Ausnahmen bildet die Etablierung des Examenssystems.
Weber definiert den Ausdruck 'ständisch' im ersten Sinne als jede Form patrimonialer Herrschaft, bei welcher dem Verwaltungsstab bestimmte Herrengewalten und die entsprechenden ökonomischen Chancen appropriiert sind. Das Prädikat 'ständisch' im zweiten Sinn ist stets an eine soziologisch umschreibbare Schicht geknüpft, so z.B. an den Beamten-Stand Chinas.

Der Feudalismus steht, als Eigenschaft eines politischen Herrschaftsverbandes, ebenso wie die Organisationsformen im Kontext traditionaler Legitimität. Bei beiden 'echten' Formen des Feudalismus, die Weber unterscheidet, 'Lehensfeudalismus' und 'Pfründenfeudalismus', werden zwar Herrenrechte apporpiiert ; in einem Fall in Form von Lehen, im anderen von Pfründen. Aber nur im Falle des 'Lehensfeudalismus' wird ständische, nämlich ritterliche 'Ehre' gefordert.
‚Patrimonismus’ im engeren Sinn, beschränkt auf 'nicht-politische' Herrschaft, und 'Feudalismus' als Strukturprinzip der Herrschaft über einen politischen Verband schliessen sich gegenseitig nicht nur nicht aus, sondern stehen in einem Verhältnis gegenseitiger Ergänzung. In der Mehrzahl der historischen Fälle, auf die sich Weber bezieht, überlagert die Feudalstruktur einen in diesem Sinne patrimonialen Grundraster : die Grundherrschaften. ‚Patrimonialismus’ im weiteren Sinne, als Struktur eines politischen Verbandes, und 'Feudalismus' schliessen sich nur dann gegenseitig aus, wenn es sich um 'reinen Patrimonialismus' handelt. Handelt es sich dagegen um ‚ständischen Patrimonialismus’, so berührt er sich begrifflich mit 'Feudalismus' zumindest dadurch, dass in beiden Fällen die Verwaltungsmittel dem 'Stab' appropriiert sind.

Webers historische Herrschaftssoziologie Chinas :
Traditionale Herrschaft
1. ohne persönlichen Verwaltungsstab des Herrn (Verwaltungsmittel sind dem Herrschaftsverband als solchem appropriiert) : Gerontokratie und primärer Patrimonialismus.
2. mit persönlichem Verwaltungsstab des Herrn.
Patrimonialismus
a) Reiner Patrimonialismus (Patrimonialherr im vollen Eigenbesitz der Verwaltungsmittel) Extremfall: Sultanismus
b) Ständischer Patrimonialismus (Verwaltungsmittel ganz oder zu einem wesentlichen Teil an die Mitglieder des Verwaltungsstabes appropriiert) Extremfall : Feudalismus.
Dominanz der patrimonialen Zentralmacht bestanden : a) durch ihre 'technische Unterlage', in der Wasserbauten eine besondere Rolle spielten ; b) einer spezifisch ansers als im Okzident verlaufenen Entwicklung des mehr auf Sippenbande als auf Land gestützten Feudalismus, auf den keine intermediäre Herrschaftsschicht von politisch weitgehend unabhängigen Grundherren folgte ; c) der Erbschaft aus der Teilstaatenepoche, in der die Kriege um die Vormacht 'rationalisierend' auf die Führung der Staaten wirkten ; d) der anschliessenden relativen 'Befriedung' des Reiches.

Die innenpolitische Überlegenheit der patrimonialen Zentralmacht kam in China auf spezifische Weise zustande : a) durch die Schaffung einer loyalen Schicht von nicht erblich privilegierten Amtsanwärtern, die durch ein Prüfungssystem rekrutiert wurden und um die mit grossen Erwerbschancen ausgestatteten Beamtenstellen konkurrierten, die der Regel nach nur ihnen zugänglich waren ; b) durch ein 'rationales' Amtsreglement, welches ausser seiner Disziplinierungsfunktion die Aufgabe hatte, ein persönliches 'Fussfassen' der Beamten im lokalen Machtgefüge ihrer Amtssprengel zu verhindern.
Die patrimoniale Zentralgewalt erkaufte die Domestikation ihres bürokratischen Stabes mit Extensität in der Durchführung der Verwaltung, die sich daraus ergab, dass : a) die Lokalbeamten keine Kenner ihrer Verwaltungssprengel werden durften und von ihrer literarischen Ausbildung her, von vornherein keine verwaltungstechnische Fachqualifikation haben konnten ; b) der Literaten-Beamtenstand kollektiv durch sein Interesse an der Erhaltung seines Pfründenmonopols jeder Rationalisierung der Verwaltung Widerstand leistete, die dieses hätte beeinträchtigen können ; c) quantitative Entfaltung, Zentralisierung und Kompetenzenteilung in einem Missverhältnis zu den quantitativen und qualitativen Eigenschaften des Verwaltungsobjekts standen ; d) der Mechanismus der Patrimonialbürokratie von oben her mit den von unten her 'fest ausgestalteten' Widerständen der Sippe, Berufsorganisationen und dörflichen Selbstverwaltungskernen zusammenstiess.
Dass der Kampf um die reale Verfügungsgewalt über die Verwaltung im vormodernen China zugunsten der patrimonialen Monarchen ausging, steht nach Weber in einem intimen Zusammenhang mit dem Charakter der Schicht von ständisch Privilegierten, die durch die Monarchen je länger desto mehr an die eigene Macht gebunden wurden : und die den spezifischen historischen Bedingungen Chinas adäquate Form dieser Bindung, das Literaten-Beamtentum, prägte ihrerseits in entscheidender Weise die gesamte Kulturentwicklung.
Die Entwicklung des Feudalismus gibt es für Weber zwei Merkmale : einmal das Fehlen einer Grundherrenschicht und zum anderen die Fertigstellung der grossen Mauer.
Der Feudalismus beerbte die nachfeudale Sozialverfassung Chinas wohl auf zweifache Weise : seine verbandsmässige Basis wurde im Sippensystem fortgeführt, seine ständische Lebensform ging auf das Literaten-Beamtentum über ; aber einer transformierten Weiterführung seiner politischen Rechte auf lokaler Ebene liess der patrimoniale Zentralismus keinen Platz.

Wasserregulierung : der Ausgleich von Mangel und Überfluss an agrarischer Bewässerung, die Verhinderung von Überschwemmungen durch Bauten und der Bau von Kanälen hat in China immer eine besondere Rolle gespielt. Weber thematisiert, dass die wesentlichen Bestandteile des materiellen 'Unterbaus' der chinesischen Bürokratie die 'technische' Voraussetzung für die Beseitigung des Staatenpluralismus durch einen von mehreren untereinander konkurrierenden Patrimonialherren und das Überwiegen des imperialen Zentralismus ist. Sie befähigen den Patrimonialfürsten, mit Hilfe des Personals und der Einnahmen, die sie ihm verschafften, die Heeresverwaltung in eigene bürokratische Bewirtschaftung zu nehmen.

Bei Webers Betrachtung der 'immateriellen' Kulturbereiche Chinas, ist sie zunächst als Reflex des konfuzianisch gefärbten Geschichts- und Gesellschaftsbildes zu bewerten, welches die sinologischen Quellen ebenso wie deren Bearbeiter zu seiner Zeit noch weitgehend beherrschte und in dem die Befriedung des Staates und des Weltreiches einen besondern imperativen Stellenwert einnimmt. Nach Weber war es für die Herausbildung der rituellen Züge des chinesischen Kaisertums und des sie tragenden Selbstverständnisses der Staatsdoktrin entscheidend, dass in einem bestimmten Abschnitt der formativen Phase der chinesischen Kultur [Shang-Zhou-Zeit], die Spitze des Herrschaftsverbandes sich zwischen einem 'militärischen' Charisma und einem 'pazifistischen' bewegte, und dass das zweite, mitbedingt durch die Entwicklung des feudalen Staatensystems, am Kaisertum haften blieb.

Die Gesichtspunkte, unter denen chinesisches Kaisertum und römische Kirche verglichen werden können, liessen sich in verschiedensten Richtungen ausweiten. Bei Weber bleiben sie begrenzt auf einen soziologischen Rahmen, innerhalb dessen die jeweils ausschlaggebende Schicht charakterisiert werden soll : das Literatentum auf der einen Seite, der Klerus auf der anderen.

Webers 'Resultat' am Ende seiner China-Studie gipfelt im lapidaren Satz : "Der konfuzianische Rationalismus bedeutete rationale Anpassung an die Welt. Der puritanische Rationalismus : rationale Beherrschung der Welt. Der Purtinaer wie der Konfuzianer waren 'nüchtern'. Aber die rationale 'Nüchternheit' des Puritaners ruhte auf dem Untergrund eines mächtigen Pathos, welches dem Konfuzianer völlig fehlte, des gleichen Pathos, welches das Mönchstum des Okzidents beseelte". Das in den Augen Webers einzige Gemeinsame zwischen Konfuzianismus und Puritanismus : 'Rationalität' im Sinne der Zurückdrängung gefühlsmässig-irrationaler Lebensbereiche, wird durch den scharfen Kontrast aller übrigen für das Verhältnis zur 'Welt' jeweils relevanten Charakteristika völlig aus der Waagschale geworfen. Dass diese von Weber im einen Falle als 'Anpassung’ an die Welt', im andern als ‚Beherrschung und 'Umwälzung von Welt', zusammengefast werden, wird verständlich durch die entscheidende Rolle, die der Paramater 'Spannung' im 'Resultat' spielt. Weber hält den Gegensatz des konfuzianischen Verhältnisses zur 'Welt' gegen 'alle okzidentale religiöse Ethik' für 'unüberbrückbar'. 'Manche patriarchalen Seiten der thomistischen und auch der lutherischen Ethik' könnten als Parallelen zum Konfuzianismus angesehen werden. Doch sind diese Formen 'organischer Sozialethik' nach Webers Ausführungen in der 'Zwischenbetrachtung' und in 'Wirtschaft und Gesellschaft' lediglich 'Formen der Relativierung der religiösen Heilswerte und ihrer ethisch rationalen Eigengesetzlichkeit'.

Kommentar von Arnold Zingerle zu seiner Dissertation (2008) : Den ersten (herrschaftssoziologisch-historischen) Teil finde ich auch heute noch gut. Er hat sich bewährt und ist auch z.B. für die Max Weber Gesamtausgabe zitabel. Der zweite (religionssoziologisch-gegenwartsbezogene) Teil enthält zwar ein paar gültige Abschnitte zum chinesischen Weltbild der Vergangenheit, doch ist die Anwendung der Protestantismusthese auf den Maoismus überspekulativ gewesen und damit problematisch – zumal die Kenntnisse der damaligen Verhältnisse in Maos Reich, bedingt auch durch die Nachrichtensperre während der Kulturrevolution, sehr begrenzt war. Wäre ich gut beraten gewesen, hätte ich bloss den ersten Teil in Aufsatzform veröffentlicht und den zweiten Teil nach einer Karenzzeit umgearbeitet.
  • Document: Sprenkel, Otto B. van der. Max Weber on China. In : History and theory ; vol. 3, no 3 (1964). S. 349, 351-359, 361, 364, 366, 370. (Web7, Publication)
  • Document: Zingerle, Arnold. Max Weber und China : Herrschafts- und religionssoziologische Grundlagen zum Wandel der chinesischen Gesellschaft. (Berlin : Duncker & Humblot, 1972). (Soziologische Schriften ; Bd. 9). Diss. Ruhr-Universität Bochum, 1970. S. 21-23, 27-28, 35-38, 40-42, 46-48, 54, 57-61, 65, 67-69, 73-74, 96, 139-141, 143. (Zing2, Publication)
  • Document: Lee, Eun-jeung. "Anti-Europa" : die Geschichte der Rezeption des Konfuzianismus und der konfuzianischen Gesellschaft seit der frühen Aufklärung : eine ideengeschichtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. (Münster : LIT Verlag, 2003). (Politica et ars ; Bd. 6). Habil. Univ. Halle-Wittenberg, 2003. S. 451-452, 453. (LeeE1, Publication)
  • Person: Weber, Max

Cited by (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 2000- Asien-Orient-Institut Universität Zürich Organisation / AOI
  • Cited by: Huppertz, Josefine ; Köster, Hermann. Kleine China-Beiträge. (St. Augustin : Selbstverlag, 1979). [Hermann Köster zum 75. Geburtstag].

    [Enthält : Ostasieneise von Wilhelm Schmidt 1935 von Josefine Huppertz ; Konfuzianismus von Xunzi von Hermann Köster]. (Huppe1, Published)