2007
Web
# | Year | Text | Linked Data |
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1 | 1931 |
Brecht, Bertolt. Der Tui-Roman. In : Brecht, Bertolt. Turandot : oder, Der Kongress der Weisswächer. Der Tui-Roman (Fragment). (Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 1967). (Stücke ; 14). Brecht schreibt : Die chimesische Revolution. „Als Chima, das Land der Mitte, das auf keiner Karte verzeichnet ist, vier Jahre lang mit 37 Völkern im Krieg verharrt hatte, zeigte es zum Schrecken seiner Regierung Zeichen von Entmutigung. Bevor die Armeen, die alle auf feindlichem Boden kämpften, zu weichen und die Bevölkerung sich in einem Aufruhr zu erheben begann, hatten die Überlebenden ihre Toten schon in Papier begraben und Gras gegessen. Das Volk war eines der geduldigsten, über das je eine Regierung verfügt hatte, und auch sein Aufruhr war noch sanftmütig. Er entstand aus Ordnungsliebe. Die Soldaten mussten zurückgebracht werden, und die Offiziere waren wohl fähig, das heißt in den Schulen geschult, sie in Feindesland, aber weder durch Bücher noch durch Übungen darauf vorbereitet, sie in die Heimat zu führen. Einige Soldaten liefen tagelang herum, um Armbinden aufzutreiben, die sie als Ordner und Revolutionäre kennzeichnen sollten und, gründlich, wie sie waren, fanden sie solche ... “ „Es war die allgemeine Meinung, dass man die Ordnung, die überall ausbrach, als die Herrschenden ihren Krieg, den sie mit großem Gewinn, aber weniger äußerem Erfolg geführt hatten, aufgeben und verloren geben mussten, nur dem Bestehen einer revolutionären Partei verdankte, die sich sogleich an die Spitze der Bewegung des Volkes setzte. Diese Partei, die sich die Partei des gleichberechtigten Volkes nannte, da ihre Parole forderte, das Volk solle mit den Herrschenden gleichberechtigt sein, konnte in diesen allgemein als gefährlich angesehenen Tagen ihre historische Aufgabe nur deshalb erfüllen, weil sie schon seit langem bestand, ein hohes Alter erreicht hatte und aus dem politischen Leben schon gar nicht mehr wegzudenken war, und weil sie sehr groß war. Ohne diese Eigenschaften hätte sie kaum verhindern können, dass etwas geschah. Als die Front ins Wanken geriet, setzten sich einige der Tuis der revolutionären Partei in den Zug und fuhren in das Quartier der Generäle, um durch Reden die sinkende Moral der Truppen wieder zu heben. Sie wurden zu einem großen Haus geführt, das in einem Park lag, und es wurde ihnen gesagt, die Generäle säßen eben beim Essen und würden sie nach dem Kaffee empfangen. Sie standen ein paar Stunden vor dem Haus, in Gespräche vertieft. Da es regnete und sie, um nicht einen unmilitärischen Eindruck zu machen, ihre Regenschirme daheimgelassen hatten, wurden sie ziemlich durchnässt und froren. Sie befürchteten schon, man könne sie vergessen haben, als eine halbe Kompanie Soldaten, von denen einige rote Armbinden trugen, in den Hof kamen, ihnen mitteilten, die Revolution sei ausgebrochen und sie auf die Schultern hoben und als Führer begrüßten.Sie beruhigten sich schnell und es gelang ihnen, am Abend des übernächsten Tages doch noch bei einem Adjutanten eines der Generäle vorgelassen zu werden. Er versicherte ihnen, dass man den aufrührerischen Soldaten nichts in den Weg legen würde, wenn die Ordnung gewahrt bleibe. Beinahe noch größeres Glück hatte die revolutionäre Partei in der Hauptstadt. Zu ihrer Überraschung fand sie, ohne lange suchen zu müssen, noch einen Prinzen, einen nahen Verwandten des Kaisers, der sich eben in jenen Tagen als Revolutionär entpuppte, den bisher nur seine hohe Stellung von der Äußerung seiner wahren Gefühle zurückgehalten hatte und der jetzt forderte, der Kaiser müsse ab- danken. Die Führer der revolutionären Partei hatten zunächst einige Bedenken, da ein solcher Fall nicht vorgesehen war, aber der Prinz handelte. Die Umgebung des Kaisers hielt die Nachricht von der Forderung des revolutionären Prinzen vor dem hohen Herrn einige Tage zurück, aber dann bekam er doch Wind von der Sache und fuhr, bevor man ihn besänftigen konnte, über die Grenze zu fürstlichen Verwandten.“ Brecht schreibt in einer Notiz zum Tui-Roman in bezug auf Mong Dsi [Mengzi] [ID D4448] : mong ko : in einer regierung müssen die philosophen geehrt und angesehen werden. am besten ist, sie regieren mit, damit ist meistens das volk einverstanden. sind sie nicht angesehen und regieren sie nicht mit, machen sie stunk. Christoph Gellner : Der Tui-Roman, ein als chinesisch verfremdeter Schlüsselroman über die Weimarer Republik und ihre Intellektuellen spielt in einem Parabel-China (Chima). Er knüpft an die Tradition der fingierten orientalisierenden Satiren der Aufklärung an und ist folglich eine politische Parabel in chinesischem Gewand… Die Weisheit des Volkes und das revolutionäre China Mao Zedongs bilden den Hintergrund der Komödie Turandot, mit der er erneut auf die Orientexotik und Theaterchinoiserie des 18. Jahrhunderts zurückgreift. Nicht zuletzt im Blick auf den zeitgenössischen Tuismus im eigenen Lande geschrieben, stellt dieses Alterswerk, das zu Brechts Lebzeiten unaufgeführt blieb, die einzige in sich abgeschlossene Bearbeitung des umfangreichen Tui-Stoffes dar… Analog zu den Ereignissen in der Weimarer Republik, die zur Machtgergreifung Hitlers führt, wird eine Geschichte aus China erzählt. Die öffentliche Meinung dort wird von professionellen Lügnern, den Tuis gemacht, die vom Handel mit brauchbaren Meinungen leben und so das Denken als schmutziges Geschäft betreiben. Ihr Leitspruch ist „Wissen ist Macht“… Kai-ho (Mao Zedong) gehörte ursprünglich auch zur Kaste der Tuis. Er gab den lügnerischen Meinungshandel jedoch zugunsten einer aufklärerischen Unterweisung der entrechteten Volksmassen auf und wird daraufhin aus dem Tui-Orden ausgestossen. Mit seiner revolutionären Bauernbewegung kämpft er für die gerechte Verteilung des Bodens, dem grundlegenden Produktionsmittel der Agrargesellschaft, um China endlich zu einem bewohnbaren Land zu machen. Yim Han-soon : Da Brecht trotz der aktuellen Probleme einen chinesischen Kaiserhof als Schauplatz gewählt hat, fühlt man sich veranlasst, in der Fabel Berührungspunkte mit China zu suchen. Die Personen- und Ortsnamen sind schinesisch, auf der Bühne sieht man Papierfenster und ein Rollbild, man spielt Brettspiele. Die Kostüme sind Mischungen, basierend auf den chinesischen, und die Tuis tragen Hüte der tibetanischen und europäisch priesterlichen Art. Yim Han-soon : Die Chinoiserie wird durch die unmittelbare Aktualität der in die Fabel eingegangenen Vorgänge zusätzlich gelockert. Die Chinoiserie sollte die aktuellen Vorgänge verfremden. Die chinesische Kulisse soll die Überholtheit der bürgerlichen Welt zum Vorschein bringen. |
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