Unzer, Ludwig August. Über die chinesischen Gärten [ID D26926].
Unzer schreibt : "Die englische Nation, von der man mit Recht sagen kann, dass sie mehr als andere geneigt ist, das erhabene Schöne zu fühlen, hat sich schon längst von den Vorzügen des chinesischen Geschmacks im Gartenbau überzeugt". Die Schlangenlinie chinesischer Gärten sei Ausdruck geistiger Beweglichkeit : "Sie treiben die Neigung zu der schlangenförmigen Linie, welche ihnen mit Recht mehr Lebhaftigkeit und Bewegung als die Gerade zu haben scheint, so wei, dass sie nicht nur ihren Fusssteigen, ihren Felsentreppen, ihren Tälern und Kanälen, sondern sogar ihren Brücken diese Gesalt geben. Die chinesischen Künstler unterscheiden drey Gattungen von Aussichten oder Schilderungen, welche sie für geschickt halten, in Gärten angebracht zu werden. Erstlich angenehme, reizende und das Denken befördernde Vorstellungen, worunter sie sogar die Bilder einer sanften Schwermuth begreifen. Zweitens solche Gegenden, welche eine Art von Schrecken und Furcht einflössen ; und drittens solche, die dazu bestimmt sind, die Wirkungen des Erstaunens und einer täuschenden Bezauberung hervorzubringen. Zehnfache Echos, auf die geschickteste Art zusammengesetzt, machen einen solchen Aufenthalt vollkommen zur Begeisterung fähig. Wasserfälle stürzen ineinander, Ruinen abgebrannter Häuser dabei erhöhen das Gefühl des Schreckens. Aber auf grausige Szenen folgen sogleich anmutige, welche doch stets die Hauptidee des Gartens ausmachen. Den dunkeln und sanften Farben setzen sie blendende und lebhafte, den einfachen Formen zusammengesetzte entgegen. Endlich bilden sie durch eine Anordnung, bey der ihnen der Geschmack zur einzigen Regel dient, ein Ganzes, dessen Teile sehr merklich voneinander unterschieden sind, welches ist um so bedeutsamer, als wir lebendige Zeugnisse dafür heute kaum mehr besitzen : Unter allen Gärten, welche die Weltteile besitzen mögen, haben keine in der neueren Zeit ein solches Ansehen erhalten, als die chinesischen, oder das, was man unter diesem Namen reizend genug geschildert hat. Soviel ist gewiss, dass der Engländer von einem grossen Vorurteil für diese Gärten in China erfüllt ist, und dass der Franzose und mit ihm der Deutsche sich diesem Vorurteil zu überlassen anfängt. Man verlangt jetzt nicht etwa Gärten, die mit eigener Überlegung, mit besserem Geschmack als die alten angelegt wären, man verlangt chinesische oder chinesisch-englische Gärten."
Willy Richard Berger : Unzer wiederholt William Chambers' Ideal des Landschaftsgartens mit den bekannten Forderungen nach Mannigfaltigkeit, Abwechslung, Überraschung und nach dem Ineinander von Kunst und Natur. Wie Chambers favorisiert er besonders die Fusssteige und Felsentreppen, die schlangenförmig gewundenen Täler und Kanäle der chinesischen Gärten, und mehr noch als dieser betont er die Rolle des Wild-Pittoresken und Schaurigen dabei ; ganz offensichtlich hat er versucht, einiges von solchen Vorstellungen in der Landschaftsschilderung seiner Elegie zu realisieren.
Jörg Deuter : Der Essay verwendet die von Chambers eingeführte Terminologie, unterscheidet also im Chinesischen Garten die drei grundlegenden Kategorien 'the pleasing, the terrible and the surprising'.
Art : Architecture and Landscape Architecture