Gransow, Bettina. Die chinesische Rezeption der Werke Max Webers in den 80er Jahren [ID D4257].
Bettina Gransow : Die chinesische Max Weber-Rezeption erfolgt weitgehend über die USA mit englischsprachigen, ergänzt durch japanische und deutsche Übersetzungen. So z.B. Übersetzungen von Talcott Parsons und Hans-Heinrich Gerth, was möglicherweise zu Missverständnissen über Webers Auffassungen geführt hat oder zu anderen Fehlerquellen der Übersetzung und Interpretation. Der Schwerpunkt der Übersetzungen liegt auf religionssoziologischen Schriften wie Protestantische Ethik und Konfuzianismus und Taoismus, wenngleich auch ein zunehmendes Interesse an Webers Herrschaftssoziologie und Bürokratietheorie, sowie an seinen wissenschaftstheoretischen Ausführungen zu beobachten ist. Die Fragestellung einer 'konfuzianischen Modernisierung', die nun an das Werk Webers herangetreten ist, ist sowohl Ausdruck wie auch Ursache eines selektiven Importes seiner Werke nach China. Die mangelnde Textnähe ruft Kritiker auf, die dies bemängeln. Gu Zhonghua versucht selbst eine Antwort auf die Frage nach der Vermittlung von Konfuzianismus und ostasiatischer Modernisierung nicht gegen, sondern mit Weber zu finden.
Die Weber-Rezeption in Taiwan ist eingebunden in die sozialwissenschaftlichen Theoriediskussionen der westlichen Welt. Zugleich sind Abgrenzungsbestrebungen gegenüber einer dominant amerikanischen Sozialwissenschaft offensichtlich. Die Diskussionen um eine Sinisierung der Sozialwissenschaften und der Soziologie, die vor dem wissenschaftlichen und politischen Hintergrund Taiwans (Abbruch der diplomatischen Beziehungen 1979) zu erklären sind, beeinflussen die Art und Weise des Umfangs mit Weber. Das Verhältnis von Konfuzianismus und Kapitalismus ist zentraler Diskussionspunkt.
Auch in der Volksrepublik wird diese Fragestellung aufgegriffen, hier jedoch sehr viel allgemeiner als das Verhältnis von chinesischer Kultur und Modernisierung formiliert, wobei es insbesondere Abgrenzungen gegenüber einer Gleichsetzung von Konfuzianismus und chinesischer Kultur gibt. Die grundlegenden Fragen, die in der Vorlksrepublik gerichtet werden, stehen im Zusammenhang mit der Reformpolitik und lauten : Wie lassen sich die Aussagen Webers über das Verhältnis von Kultur und Modernisierung für eine umfassende wirtschaftliche und politische Modernisierungsstrategie fruchtbar machen ? Was sagt Weber über die Hemmnisse aus, die der Modernisierung in China gegenüberstehen, und wie sind seine Argumente zu bewerten ? Hier ist die Weber-Rezeption eingebettet in den Kontext der Öffnungspolitik, eingebettet in die Anfänge einer Rezeption westlicher soziologischer Theorien überhaupt, nachdem die Soziologie selbst rund dreissig Jahre lang verboten war und Weber als 'bürgerlicher' Wissenschaftlicher nicht zur Kenntnis genommen worden war.
Philosophy : Europe : Germany