Seghers, Anna. Die verlorenen Söhne. In : Seghers, Anna. Die Kinder : drei Erzählungen. In : Berlin : Aufbau-Verlag, 1951.
Albrecht Richter : Teh Cheng-li gehört zu jenen chinesischen Figuren von Anna Seghers, die bereit sind, für die ‚grosse gemeinsame Sache’, der Klassenkampf, bzw. der Aufbau des Kommunismus, individuelles Glück, ihre Familie und die Verantwortung für sie sowie das eigene Leben zu opfern. Das Verlassen der mutterlosen Kinder durch den Vater infolge dessen politischen Aktionen, ist nicht das Motiv, sondern darüber hinaus ein handlungsstiftendes Moment. Die Fürsorge, welche den Söhnen Teh Cheng-lis auf Initiative und unter Kontrolle der Kommunistischen Partei zuteil wird, nimmt im Laufe der Zeit aufgrund verschiedener Umstände immer mehr ab, bis sie schliesslich ganz ausbleibt. Sie gelangen in die Macht eines Mannes, der sie aufgrund ihrer Herkunft als potentielle Feinde betrachtet und sie demzufolge grausam schikaniert. Erst die Not und existentielle Bedrohung der Brüder löst einen Mechanismus aus, der in der scheinbar auswegslosen Situation ein Wunder bewirkt. Es setzt die Solidarität der Notleidenden ein, die in den Kindern nunmehr ihresgleichen erkennen… Vom Moment an, da Tao als wirklicher Sohn Teh Cheng-lis identifiziert werden kann, wird ihm erneut die Fürsorge der Partei zuteil, und so kann er das Leben eines ‚Berufsrevolutionärs’ beginnen. Der Weg zum Vater führt durch die Machtbereiche der Partei. Es handelt sich um die Umsetzung der marxistisch-leninistischen Theorie von der Gesetzmässigkeit des Sieges des Kommunismus als der höheren Gesellschaftsordnung über feudal-kapitalistische Verhältnisse…
Die Botschaft der Erzählung gipfelt letztlich in einer subjektiv wie objektiv bitteren Erkenntnis : Auf dem Weg zu einer humanen Weltordnung sind bei diesem Vorgehen die eigentlich humanen Werte des Lebens dem Verfall, der Zerstörung preisgegeben. Die Partei löst den natürlichen Familienverband als einen „Störfaktor“ bei der Erfüllung revolutionärer Pflicht auf und ersetzt ihn durch sich selbst. Die Frage nach der persönlichen Schuld und damit auch Verantwortung des Einzelnen, stellt sich nicht mehr. Opfer müssen um der revolutionären Bewegung willen in Kauf genommen werden.
Literature : Occident : Germany