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Chronology Entry

Year

1930

Text

Thomas Mann schreibt, dass die Kritik der anderen Völker am Deutschtum zuweilen dahin ging, es sei im Grunde asiatischen Wesens, es hege zum mindesten stark asiatische Sympathien : ein Vorwurf – oder eine Beobachtung -, die dieses Volks sich mit halber und nicht ungeschmeichelter Zustimmung gefallen liess. Geistgläubigkeit das eigentlich europäisch Bindende zu nennen, die Vergöttlichung des Mondprinzips aber, des mütterlichen und seelenvoll-passiven, in den Osten, ins Asiatische und Dumpf-Barbarische zu verweisen… Diese Überzeugung entspringt nicht der naiven Überheblichkeit, die nicht wüsste, welche geistigen Werte die Menschheit aussereuropäischen Kulturen, dem Erdosten etwa, verdankt. Der europäische Mensch kann die Aufgaben, die ihm das Leben stellt, unmöglich erfüllen, er kann auch seinen Weg aus der Krisis der bürgerlichen Kultur nicht finden, wenn er sich des Masses von Optimismus entschlägt, das zum Handeln gehört, und seinen Untergang für besiegelt hält.

Christiane Gabriel : Mann beschwört die wachsenden Gefahren eines mächtiger werdenden Irrationalismus, der nun für ihn ein wesentlicher Ausdruck des asiatischen Geistes ist.
Er setzt der These vom Untergang der westlichen Kultur durch den Geist des Ostens zweierlei entgegen. Zum einen meint er, dass es sich nicht in erster Linie um einen Konflikt zwischen Osten und Westen handle, sondern um ein gesellschaftliches Problem von grosser Bedeutung innerhalb der europäischen Welt. Zum andern tritt er gegen Resignation und Passivität an und ruft Goethe zum Zeugen wider diese „asiatischen“ Tendenzen. Auch wenn Thomas Mann den Thesen Tilman Spenglers vom bevorstehenden Untergang Europas kritisch gegenübersteht, sieht er im Geist des Irrationalismus eine grosse Gefahr für Europa, die er mit Asien identifiziert, wie er auch später Hitler einen „Dschingis Khan“ nennt. Seinen Aufruf an die Jugend, diesem Geist des Ostens zu widerstehen, unterstreicht er durch den Rückgriff auf historische Ereignisse, die in der gesamten Geschichtsphilosophie als Sieg des Westens über Asien gedeutet worden sind.

Mentioned People (1)

Mann, Thomas  (Lübeck 1875-1955 Kilchberg, Zürich) : Schriftsteller

Subjects

Literature : Occident : Germany

Documents (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 1990 Gabriel, Christiane. Heimat der Seele : Osten, Orient und Asien bei Thomas Mann. (Rheinbach-Merzbach : CMZ-Verlag, 1990). (Bonner Untersuchungen zur Vergleichenden Literaturwissenschaft ; Bd. 6). S. 85-86. Publication / Gab
  • Source: Däubler, Theodor. Im Kampf um die moderne Kunst. (Berlin : E. Reiss, 1919). Darin kritisiert Däubler die europäisierte Chinoiserie des Rokoko. (Däub1, Publication)
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)
  • Person: Gabriel, Christiane
  • Person: Mann, Thomas