2008
Web
# | Year | Text | Linked Data |
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1 | 1921.1 |
Weber, Max. Schriften zur Religionssoziologie : Hinduismus und Buddhismus III. Die asiatische Sekten- und Heilandsreligiosität. Auszüge (1) Der alte Buddhismus war, wenn nicht die zeitlich letzte, so doch jedenfalls die rücksichtslos konsequenteste der hinduistischen vornehmen Intellektuellensoteriologien und insofern deren 'Vollendung' Aeußerlich ist er die einzige Erlösungsreligion gewesen, welche wenigstens auf einige Zeit einmal: unter der Maurya-Dynastie, in ganz Indien offiziell herrschende Konfession war. Freilich nicht dauernd. Seine innere Konsequenz und darum auch seine äußere Schwäche lag darin: daß er auch in seinem praktischen Verhalten die Erlösung auf diejenigen beschränkte, welche wirklich den Weg zu Ende gingen und Mönche wurden, daß er sich im Grunde um die andern, die Laien, kaum kümmerte. Denn den Vorschriften, welche er für diese schuf, sieht man es an, daß sie Akkommodationen ohne innerlich einheitlichen Gesichtspunkt waren. Und vor allem fehlte äußerlich das, was der Jainismus geschaffen hatte: eine Gemeindeorganisation der Laien. Selbst die Mönchsorganisation war ja, sahen wir, auf das Allerunentbehrlichste beschränkt. Dies Fehlen der Laienorganisation hat geschichtlich die Folge gehabt, daß der Buddhismus in seinem Heimatland gänzlich verschwunden ist. Er hielt trotz aller Akkommodation, die wir kennen lernen werden, dennoch die Konkurrenz derjenigen orthodoxen und heterodoxen hinduistischen Sekten nicht aus, welche es verstanden, die Laienschaft in feste Beziehungen zu ihrer Leitung zu setzen. Und ebenso erwies er sich widerstandsunfähig gegenüber äußerer Gewalt, vor allem gegenüber dem Islam… Im Buddhismus konzentrierte sich in den Klöstern und der Mönchsgemeinde die Existenz der Konfession überhaupt. Waren diese vernichtet, so war es mit der Gemeinschaft zu Ende, und tatsächlich haben auch nur Spuren ihrer Existenz den islamischen Einbruch überlebt…Die höfische Gesellschaft vermißte am alten Buddhismus einerseits die vornehme Schriftbildung und Gelegenheit zu künstlerischer Formung, andererseits Mittel für die Domestikation der Massen… Der Kleinbürger und Bauer konnte ja mit den Produkten der Soteriologie der vornehmen Bildungsschicht nichts anfangen. Am wenigsten mit der altbuddhistischen Soteriologie. Er dachte nicht daran, Nirwana zu begehren, ebensowenig wie die Vereinigung mit dem Brahman. Und vor allem: er hatte auch gar nicht die Mittel in der Hand, zu diesen Heilszielen zu gelangen. Denn dafür war Muße für die Meditation erforderlich, um die Gnosis zu erlangen. Diese Muße hatte er nicht und sah sich in aller Regel nicht veranlaßt, sie sich durch ein Leben als Büßer im Walde zu verschaffen. Nun hatten sowohl die orthodoxe wie die heterodoxe Soteriologie dafür in gewissem Grade vorgesorgt: die orthodoxe durch die Heilsverheißungen des Kastenritualismus, die heterodoxe durch eine sekundäre Laiensittlichkeit, für welche ebenfalls Prämien in diesem und jenem Leben versprochen waren. Allein das alles war doch wesentlich negativen und vor allem: wesentlich ritualistischen Charakters. Es befriedigte in gar keiner Art das eigentlich religiöse Bedürfnis nach emotionalem Erleben des Ueberweltlichen und nach Nothilfe in äußerer und innerer Bedrängnis. Jenes ungebrochene emotionale Bedürfnis insbesondere war und ist aber überall für den psychologischen Charakter der Religion bei den Massen das ausschlaggebende im Gegensatz zu dem rationalen Charakter aller Intellektuellensoteriologie…Der alte Buddhismus war auch in der Beziehung zu den Laien zum mindesten relativ – vielleicht sogar absolut – magiefeindlich gewesen. Denn das strenge, mit der Strafe der Todsünde belegte, Gebot an die Mönche (viertes Mönchs-Gelübde): sich nicht übermenschlicher Fähigkeiten zu rühmen, mußte, selbst wenn man seine prinzipielle Tragweite noch so einschränkend interpretiert, die Bedeutung der Mönche als magischer Nothelfer und Therapeuten ausschließen oder doch entwerten. Ebenso war der alte Buddhismus mindestens relativ bilderfeindlich gewesen. Das Verbot des Buddha, ihn bildlich darzustellen, ist zuverlässig überliefert und viele genuin altbuddhistische Reformatoren haben einen gewissen relativen Puritanismus, etwa vom Charakter des cisterziensischen, in die Kirchenkunst hineingetragen, sehr oft – wiederum wie bei den Cisterziensern – nicht zu deren künstlerischem Schaden. Der alte Buddhismus war endlich schlechthin apolitisch gewesen; eine innere Beziehung zu politischen Gewalten war von ihm aus eigentlich kaum auffindbar. In diesem letzten Punkt trat zuerst Wandel ein… Der chinesische Pilger Fa-Hien, vom Kaiser ausgeschickt, um authentische Abschriften der heiligen Bücher zu besorgen, fand in ganz Indien nur in den Klöstern von Pataliputra (dem Sitz des Königs und – angeblich – des Konzils) und in Ceylon Niederschriften, sonst nur mündliche Tradition. Es ist klar, was die Niederschrift für die Wahrung der Einheit der Kirche, ebenso aber: was sie für die Mission bedeutete. In einem Literatenland wie China konnte der Buddhismus nur als eine Buchreligion überhaupt Fuß fassen, und tatsächlich geht die Inszenierung oder wenigstens die programmatische Verkündigung der buddhistischen Weltmission auf Açoka zurück. Mit Feuereifer warf er sich gerade darauf. Durch ihn erhielt der Buddhismus den ersten großen Anstoß, eine internationale Weltreligion zu werden. Zunächst sollten die wilden Stämme bekehrt werden. Aber dann machte sich der König daran, durch Gesandtschaften an fremde Mächte, vor allem auch an die hellenistischen Großmächte des Westens bis Alexandria, die reine Lehre in aller Welt bekanntzumachen, und eine vom König gestützte Mission wendete sich den ceylonesischen und hinterindischen Gebieten zu. Einerlei welches der unmittelbare Erfolg war, – und er war zunächst nur in Ceylon und nach Norden zu bedeutend –, so hat jedenfalls die große internationale Expansion des Buddhismus in Asien damals ihren ideellen Anfang genommen. Er ist offizielle Konfession in Ceylon, Birma, Annam, Siam und andern hinderindischen Staaten und Korea, in umgewandelter Form später in Tibet geworden und geblieben und hat geraume Zeit sowohl China wie Japan religiös beherrscht. Um freilich zu dieser Rolle berufen zu sein, mußte die alte Intellektuellensoteriologie tiefgreifende Umwandlungen durchmachen. Zunächst war schon dies eine vollkommen neue Situation für den Orden: daß ein weltlicher Herrscher als solcher Rechte innerhalb ihrer Angelegenheiten in seine Hand nahm. Diese Rechte und ihre Einwirkung waren nicht unbedeutend. Insbesondere die später klassischen Gebiete des alten, orthodoxen (Hinayana-) Buddhismus geben von der eigenartigen Theokratie der buddhistischen Monarchen eine deutliche Vorstellung… Indessen mit diesen theokratischen Konsequenzen waren die Umwandlungen des altbuddhistischen Mönchtums nicht erschöpft. Die alte Mönchsgemeinschaft mußte, zunächst schon infolge des Gewichts der Massen, welche ihr zuströmten, ihren streng weltflüchtigen Charakter mildern und weitgehende Konzessionen machen an die Leistungsfähigkeit des Durchschnittsmönchs und auch an die Erfordernisse der Existenz von Klöstern, welche nicht Stätten der Heilssuche vornehmer Denker, sondern Zentren religiöser Mission und Kultur sein sollten. Im übrigen aber mußte den Bedürfnissen der Laien, welche im alten Buddhismus dessen Natur nach eine wesentlich zufällige Rolle spielen, entgegengekommen, also die Soteriologie in der Richtung der magischen und der Heilandsreligiosität umgebogen werden. Die erste der beiden Tendenzen tritt uns in den Quellen zuerst deutlich zutage. Ein Edikt Açokas spricht von 'Schismatikern' innerhalb der Samgha. Die mahayanistische Tradition läßt das große Schisma zuerst auf dem Konzil (Sanghiti) von Vaiçali (angeblich dem zweiten) zum Ausbruch kommen, welches angeblich 110 Jahre nach Buddhas Tode, vielleicht aber erst unter Açoka und auf seine Veranlassung stattfand. Unabhängig von der historischen Korrektheit der Einzelheiten ist der Grund der ältesten Spaltung sowohl nach der Tradition wie nach der Natur der Sache selbst im wesentlichen klar. Die berühmten '10 Thesen' der Vajji Mönche, über welche eine Einigung nicht stattfand, waren durchweg disziplinärer, nicht dogmatischer Natur. Neben einigen Einzelheiten der klösterlichen Lebensführung, die sämtlich auf Erleichterung der Disziplin hinzielten, aber wesentlich formales Interesse haben und einer organisatorischen Frage, die mit den Präludien des Schisma zusammenhing, gab es einen fundamental wichtigen Punkt. Genau den gleichen, an welchem sich seinerzeit die Scheidung der Konventualen und Observanten im Franziskanerorden vollzog: den ökonomischen. Die Anordnungen des Stifters verboten jeglichen Geldbesitz, also auch die Annahme von Geldspenden. Als nun – erzählt die Tradition – einer der strengen Observanz infolgedessen Geldspenden zurückwies, erklärte dies die Mehrheit für eine Beleidigung der Laien. Die ihm gewährte Gelegenheit zur öffentlichen Abbitte benutzte er, um sein Recht zu vertreten, worauf er, 'weil er ohne Auftrag der Gemeinde gepredigt habe', gebüßt wurde. Im übrigen soll nach hinayanistischer Tradition das Konzil die altorthodoxe Lehre bestätigt haben. Eine Einigung fand jedenfalls nicht statt… Die Ueberlieferung macht es wahrscheinlich, daß die Laien entweder von Anfang an oder doch später auf selten der laxeren, ursprünglich Mahasamghika (große Gemeinde) genannten Richtung, des Mahayana, und im Gegensatz zu den Sthaviras, den 'Aeltesten': erprobten charismatischen Arhats, standen. Denn als Spezialität der Mahasamghika ist die Mitwirkung der Laien auf den Konzilien überliefert. Es handelt sich natürlich nicht um die »unteren« Klassen – von denen überhaupt als aktiv treibendem Element nie die Rede ist und sein konnte – sondern gerade um Herrenschichten. Auch vornehme Damen sollen sich als Parteigängerinnen der Mahayana-Schule hervorgetan haben. Dies ist ebenso begreiflich wie die Parteinahme der Kurie im 14. Jahrhundert für die Konventualen und gegen die strenge Observanz der Franziskaner. Die Abhängigkeit der Mönche von den Herrenschichten war um so größer, je weniger 'weltablehnend' sie waren. Die fast schrankenlose klerikale Herrschaft der Hinayana-Orthodoxie in Ceylon und Birma über die Laien, gegen welche die weltliche Gewalt der Herrscher oft vollkommen ohnmächtig war, hatte – wie die bald zu erwähnenden Berichte der chinesischen Pilger zeigen – auch in Nordindien unter der Vorherrschaft des Altbuddhismus vielfach bestanden. Der gleiche Kampf zwischen der Laiengewalt und dem Mönchtum, der im byzantinischen Reich jahrhundertelang bestand, ist auch in Indien geführt worden, nur in anderen Formen. Für die weltliche Gewalt bestand das Interesse, die Mönche als Domestikationsmittel der Massen zu gebrauchen. Denn wenn auch die 'Massen' nie die aktiven Träger der buddhistischen Religiosität waren, so haben sie doch selbstverständlich, als Objekt der Beherrschung durch die Mittel des religiösen Glaubens, hier wie bei allen religiösen Stellungnahmen der Herrenschichten eine ganz entscheidende Rolle gespielt. Im Wege der Hagiolatrie aber haben die buddhistischen Mönche vielfach auch die Massen stark an sich gefesselt. Zu diesem politischen Grund trat der immer stärkere Einfluß der schulmäßigen brahmanischen Spekulation und ihrer Begriffe auf das buddhistische Denken. Noch die Schilderungen J-tsings aus dem 7. Jahrhundert lassen erkennen, daß man an die brahmanische Tradition zunächst vor allem im lehrtechnischen Interesse anknüpfte. Die Technik der Erlernung der Veden gilt ihm als unerreicht zur formalen Schulung des Geistes, vor allem für das Behalten der eigenen Argumente, aber auch der des Gegners. Das Literateninteresse verlangte eben die Pflege der Wissenschaft und die 5 Vidya: Grammatik (wie stets die wichtigste), Medizin, Logik, Philosophie und auch bereits die von den literarischen Künstler- und Techniker-Kreisen verlangte theoretische Pflege der 'schönen Künste' (Silpastha-navidya) tauchten auf – selbst in der Hinayana-Schule – und mußten sich wohl oder übel der alten brahmanischen Sprache bedienen. Klosterschulen für Laien und Kinderfibeln entstanden. Daß in dieser ganzen Entwicklung, vor allem aber im Mahayana, die vornehmen Schichten in besonderem Maße die Führung hatten, wird nicht nur durch das ausdrückliche Anerkenntnis der Kastengliederung, welche vorher ignoriert worden war, hinlänglich dargetan, sondern auch durch den äußerlichen Umstand, daß jene Schule im Gegensatz zu den alten Hinayana-Buddhisten die später zu besprechende von Kaschmir ausgehende Renaissance des Sanskrit mitmachte: ihre heiligen Schriften wurden in der alten Gelehrtensprache abgefaßt, der Pali-Kanon blieb im Besitz der südlichen Buddhisten. Die heilige Literatur schied sich nun allmählich ebenso vollständig, wie zwischen den beiden Jaina-Sekten. Denn in jeder Hinsicht wuchs der Gegensatz der Schulen sehr bald über die anfänglichen disziplinären Anlässe hinaus. Das Bild, welches man in der Reiseschilderung Fa Hiens erhält (um 400 nach Chr.), – der, selbst Mahayanist, doch zwei Jahre in Ceylon, dem Hort der Orthodoxie, verweilte, – ist noch ein relativ friedliches… Für die Gegend von Mathura berichtet Fa Hien, daß die Beamten des Königsfeste Einnahmen haben, keine Schollenfestigkeit, niedrige Steuern und nicht das im indischen Patrimonialgroßstaat übliche System der Kopf- und Steuerlisten bestand, alle Kreaturen geschont, kein Fleisch gegessen, keine Schweinehaltung und kein Viehhandel geduldet, keine geistigen Getränke und nur von der (unreinen) Tschandala-Kaste Zwiebeln und Knoblauch genossen wurden, auch die Todesstrafe fehlte. Açokas Reich war längst zerfallen. Aber relativ pazifistische Kleinkönigreiche herrschten in Nordindien vor. Der Buddhismus war nach wie vor eine Lehre der vornehmen Intellektuellen. Es interessierte alle diese Pilger, ganz ebenso wie den über 2 Jahrhunderte später nach Indien pilgernden Hiuen-Tsang, lediglich das Verhalten der Könige und ihrer Hofbeamten. Im übrigen aber hat sich in der Zeit Hiuen-Tsangs (628 und folgende Jahre) sichtlich manches geändert. Zunächst der Gegensatz der Mahayana-Schulen gegen die hinayanistische Orthodoxie. Ein Hinayanist wird von schwerer Krankheit befallen, weil er Mahayana geschmäht hat. Es ist überhaupt, eigentlich nur vom Mahayana die Rede und Hiuen Tsang hält es auch nicht für nötig, nach Ceylon zu gehen. Dazu: gesteigertes Eindringen spezifisch brahmanischer Elemente in die zunehmend vorherrschende Mahayana-Lehre. Indien heißt bei Hiuen-Tsang das 'Reich der Brahmanen' (To-lo-man). Statuen von Brahma und Indra stehen in Heiligtümern des Gangestales neben dem Standbild Buddhas. Die Veden (Wei ho) werden zwar als 'subalterne' (d.h. laienhafte) Lektüre bezeichnet, aber eben doch gelesen. Der König von Kosala verehrt den Buddha, daneben aber in brahmanischen Tempeln die hinduistischen Devas. Wenn es auch noch Könige gibt (Ciladitya), welche alljährlich das große Konzil des Buddhistenklerus einberufen, so ist dies doch offenbar nicht die Regel. Zunehmende Schärfe der Schulgegensätze, Zurückdrängung des Hinayana in Nordindien, aber auch Rückgang des Buddhismus überhaupt ist der Eindruck. Auch im Hinayana wurde das alte Geldbesitz-Verbot der strengen Observanz mit den gleichen Mitteln umgangen, wie bei den Franziskanern. Laienvertreter empfingen das Geld und verwalteten es für die Mönche… Die Laien begehrten Nirwana nicht und konnten mit einem nur exemplarischen Propheten der Selbsterlösung wie Buddha nichts anfangen. Sondern sie verlangten nach Nothelfern für das diesseitige Leben und nach dem Paradies für das jenseitige. Es setzte daher im Mahayana jener Prozeß ein, welchen man gewöhnlich als die Ersetzung des Pratyeka-Buddha- und Arhat- (Selbsterlösungs-) durch das Bodhisattva- (Heilands-) Ideal bezeichnet. Während die Hinayana-Schule ihre Anhänger in Çravakas (Laien), Pratyeka-Buddhas (Selbsterlöser) und Arhats (Erlöste) als religiöse Stände teilte, wurde das Bodhisattva–Ideal der Mahayana–Sekte eigentümlich und gemeinsam. Es setzte eine innere Umwandlung der Erlösungstheorie voraus. In der Frühzeit des Buddhismus wurde der Streit zwischen den 'Aeltesten' (Sthaviras), d.h. den charismatischen Trägern der Gemeindetradition und den 'Mahasamghika', den schulmäßig spekulativen Denkern: den Intellektuellen, geführt, wie wir sahen. Von den Fragen der Disziplin und der praktischen Ethik griff er auf spekulative Fragen über: die 'sattva'-Probleme, die Fragen nach der 'Natur' des Erlösungszustandes und folglich zunächst: über die Person des Erlösers. Die alte Schule hielt an seiner Menschlichkeit fest. Die Mahayanisten entwickelten die 'Trikaya'-Theorie: die Lehre von dem übernatürlichen Wesen des Buddha. Er hat drei Erscheinungsformen: einmal die Nirmana Kaya, den 'Verwandlungsleib', in welchem er auf Erden wandelte. Dann die Sambhoga Kaya, den, etwa dem »Heiligen Geist« entsprechenden, alldurchdringenden Aetherleib, der die Gemeinde bildet, endlich die Dharma Kaya, von der später zu reden ist. Auf diesem Wege vollzog sich zunächst an Buddha selbst der typische hinduistische Vergottungsprozeß. Damit verband sich nun die hinduistische Inkarnationsapotheose. Der Buddha war eine in einer Serie von Wiedergeburten stets erneut zur Erde steigende Verkörperung der (unpersönlichen) göttlichen Gnade, für welche vielfach auch ein ewig dauernder Träger: ein Adibuddha, als existierend gedacht wurde. Von da war der Weg nicht weit, den Buddha zu einem Typus: dem Repräsentanten des zur vollen Erlösung gelangten und dadurch vergotteten Heiligen zu machen, der in beliebig vielen Exemplaren erschienen sein und noch erscheinen konnte: 'Selbstvergottung', der alte indische Sinn der Askese und Kontemplation und damit: der lebende Heiland waren in den Glauben eingeführt. Der lebende Heiland aber ist der Bodhisattva. Formell war der Bodhisattva mit dem Buddha zunächst durch die Wiedergeburts- und die aus der hinduistischen Philosophie übernommene Weltepochentheorie verknüpft. Die Welt ist ewig, verläuft aber – wie früher erwähnt – in immer neuen endlichen Epochen. Es gab nun in jeder Weltepoche einen, im ganzen also unendlich viele Buddhas. Der historische Gautama Buddha der jetzigen Epoche hat 550 Wiedergeburten vor dem Eingang nach Nirwana durchgemacht. Bei der vorletzten Geburt hat der bei der nächsten zum Buddha sich durchringende heilige Arhat die Stufe des Bodhisattva (»dessen Wesen: sattva, Erleuchtung: bohdi, ist«) erreicht und weilt im Tuschita-Himmel, in welchem daher jetzt schon der künftige Buddha, Maitreya, sich als Bodhisattva aufhält. Aus dem Tuschita-Himmel hat sich auch der historische Gautama Buddha durch wunderbare Inkarnation im Leib seiner Mutter Maya zur letzten Erdenfahrt begeben, um vor dem Eingang im Nirwana den Menschen seine Lehre zu bringen. Es ist klar, daß mit seinem 'Verwehen' das Interesse sich dem kommenden Heiland: dem Bodhisattva, zuwenden mußte. Ebenso ist klar, daß in jenem an sich einfachen und rationalen Schema des Tuschita-Himmels und der Vielheit der Buddhas und Bodhisattvas die geeigneten Anknüpfungspunkte für eine Pantheonbildung, Wiedergeburts-mythologien und Mirakel aller Art gegeben waren. Uns sollen diese zu fabelhaftem Umfang geschwollenen Mythologeme hier nicht beschäftigen, sondern ihre ethisch-soceriologische Seite. Ein Bodhisattva war, wie wir sahen, nach dem ganz korrekten Begriff ein zur 'Vollendung' gelangter Heiliger, der bei der nächsten Wiedergeburt ein Buddha werden und nach Nirwana gelangen kann. Daß dies nun nicht geschieht, daß er vielmehr ein Bodhisattva bleibt, galt als ein Akt der Gnade, den er vollzieht, um als Nothelfer der Gläubigen wirken zu können. Er wurde infolgedessen das eigentliche Objekt der mahayanistischen Hagiolatrie und es ist klar, wie weitgehend diese Wandlung den Heilsinteressen der Laien entgegenkam. Aktive Güte (paramita) und Gnade (prasada) sind die Attribute des Bodhisattva. Er ist nicht nur zu seiner Selbsterlösung, sondern zugleich und vor allem um des Menschen willen da: der Buddha war nicht nur ein Pratyekabuddha, sondern auch ein Sammasambuddha, drückt die mahayanistische Terminologie dies aus. Er vermöchte gar nicht den Entschluß zu fassen, aus dieser Welt des Leidens sich in einsamer Selbsterlösung zu retten, solange noch andere da sind, die leiden. Upâya (die Pflicht, eigentlich: in charakteristisch zeremoniöser Terminologie: 'Schicklichkeit') hindert ihn daran. Die in der Mahayana-Schule entstandene spekulative Trinitätslehre erleichterte dies: nur in der ersten seiner Existenzformen, der Nirwana Kaya, ist er in das Nirwana eingegangen. Der Unterschied der buddhistischen gegen die christliche Trinität ist charakteristisch: der Buddha wird Mensch, wie die zweite Figur der christlichen Trinität, um die Menschen zu erlösen. Er erlöst sie aber nicht durch Leiden, sondern durch die bloße Tatsache, daß auch er nun vergänglich ist und als Ziel nur das Nirwana vor sich hat. Und er erlöst sie exemplarisch, nicht als stellvertretendes Opfer für ihre Sünden. Denn nicht die Sünde, sondern die Vergänglichkeit ist das Uebel… Eine ganze religionsphilosophische Literatur entstand, bediente sich zunehmend ausschließlich wieder der Gelehrtensprache (des 'Sanskrit'), schuf Universitäten, Disputationen, Religionsgespräche und zeitigte vor allen Dingen eine ziemlich komplizierte Metaphysik, in welcher alle alten Kontroversen der klassischen indischen Philosophie wieder auflebten. Damit aber war der Riß zwischen den wissenden Theologen und Philosophen und den nur als exoterische Mitläufer gewerteten Illiteraten ganz in brahmanischer Art in den Buddhismus getragen. Nicht die persönliche Gnosis, sondern das geschulte Buchwissen war wieder die herrschende Macht in der Gemeinschaft. Wie in den Literatenkreisen Chinas Indien nur als 'Land der Brahmanen' gewertet wurde, so war der Standpunkt der Mahayana-Literaten in Indien unter Hiuen-Tsang der: daß China ein Barbaren-(Mlechcha-) Land sei – deshalb eben sei ja der Buddha auf Indiens Kulturboden inkarniert worden und nicht dort oder anderswo –, und Hiuen-Tsangs charakteristischer Gegenbeweis ging davon aus: daß auch in China die Alten und Weisen die ersten seien, die Wissenschaft, einschließlich der Astronomie, blühe und die Macht der Musik bekannt sei. Dieser Begriff war ganz auf brahmanische – sagen wir: auf asiatische oder vielleicht sogar: auf antike – Intellektuellentheologie zugeschnitten. Es waren altbrahmanische Begriffe, und zwar nunmehr auch vedantistische, vor allem der für das Vedanta zentrale Begriff 'Maya' (kosmische Illusion), nur in Umdeutungen, welche der Theologie des Mahayana-Buddhismus zugrunde gelegt wurden… Reminiszenzen der Samkhya-Lehre finden sich vielleicht in der Mahayana-Theorie von der Alaya-vijñana, der streng allem nicht Geistigen entgegengesetzten Seele. Und hier stoßen wir auf einen fundamentalen Gegensatz gegen den alten Buddhismus. Denn eben die Ablehnung des 'Seelen'-Begriffes hatte ja grade zu seinen wesentlichsten Eigentümlichkeiten gehört. Aber diese Vorstellung war sicherlich alsbald wieder verlassen worden. Wie die 'Seelenwanderung' des Buddhismus die brahmanische wurde und nicht die der alten reinen Lehre blieb, so die göttliche Potenz. Sie ist – wie im Vedanta – eine Allseele und die extreme Spiritualisierung der als Emanation gedachten Welt streift dicht an die Maya-Lehre, die auch gelegentlich ausdrücklich auftaucht: es ist alles nur subjektiver Schein und das höchste Wissen löst ihn auf. An das Bhagavadgita endlich erinnert die nun wieder beginnende organische Relativierung der Ethik. Der Bodhisattva erscheint, wie Krischna, stets erneut auf der Erde und kann – der 'Trikaya'-Doktrin entsprechend – ganz nach den jeweiligen ethischen Bedürfnissen der Welt in jeder Form und jedem Beruf, je nach Bedarf, auftreten. Nicht nur als Mensch, auch als Tier, – zur Erlösung der in Tiere verschlagenen Seelen, – und wenn als Mensch, dann in jedem rituell anständigen Beruf. Also vor allem auch: als Krieger. Nur wird er seiner Natur nach nur in einen »gerechten« und guten Krieg gehen, in diesen aber unbedenklich. Es ist diese Theorie praktisch wohl die weitestgehende Anpassung an die Bedürfnisse der 'Welt'. Theoretisch hatten diese Akkommodationen die Einführung irgend eines überweltlichen göttlichen Wesens zur Vorbedingung, und wir sehen ja auch, daß schon in der Vergottung Buddhas selbst eine solche vollzogen wurde. Allein Buddha war im Nirwana für immer der Welt entschwunden und konnte nicht selbst oder gar allein die höchste Weltgottheit darstellen. Und dem einmal kanonisch festgelegten Ausgangspunkt der Lehre entsprechend konnte der Weltgott auch kein persönlicher Welt-Gott nach Art Vischnus oder Çivas sein. Die absolute Endlosigkeit und Uebernatürlichkeit des Göttlichen wurde ergänzt durch seine streng unpersönlichen Prädikate: Bhutatathata, das 'So-Sein' und durch die Entgegensetzung des Açunya (des 'Leeren', des 'Nichtrealen') als des spezifisch Heiligen, gegenüber dem Çunya (dem 'Vollen', 'Realen'), ganz nach Art occidentaler mystischer Versuche und auch der Upanischaden, den Gottbesitz zu beschreiben. Das letztlich unaussagbare Göttliche zeigte dabei naturgemäß, entsprechend dem 'Triratna' des alten Buddhismus, in welchem sich ja das 'Dharma' als göttliche Potenz fand, Neigung, Züge des chinesischen 'Tao' anzunehmen: Ordnung und Realgrund der Welt zu werden, ewige Norm und ewiges Sein in Eins zu setzen. Jenseits des schroffen Dualismus von ewigem Sein und durch ewige (Karman-)Normen geordneter absoluter Vergänglichkeit der Erscheinungswelt mußte das Absolute gefunden werden. Die Unverbrüchlichkeit des Karman war dabei die Stelle, an der allein es für eine hinduistische Metaphysik greifbar werden konnte. Das mystische Erlebnis aber enthielt hier wie überall nicht 'Norm', sondern im Gegenteil ein gefühltes 'Sein' in sich. Das höchste Göttliche des Mahayana-Buddhismus, das 'Dharmakaya' war, wegen dieses rational nie überbrückbaren, aber ganz unvermeidbaren Gegensatzes, nicht nur, wie selbstverständlich, jenseits jeder 'Worte' sondern die Beziehung zu ihm enthielt auch rational heterogene Prädikate in sich. Daß 'Karuna', höchste Liebe und 'Bodhi', höchste Gnosis, sich in der Beziehung des Heiligen zum Göttlichen vereinen, ist nur aus psychologischen Qualitäten der mystischen Ekstase erklärlich. Wenn also nun 'Nirwana', – ein Zustand, der jetzt in eine abgeleitete, sekundäre Stellung rückte –, zugleich negativ: Zerstörung allen Begehrens und, positiv: All-Liebe wurde, blieb nach wie vor Avidya, die Dummheit, die Quelle alles Uebels. Dies ist aus der streng intellektualistischen Herkunft dieser Soteriologie erklärlich. Das Mahayana ist so wieder eine letztlich esoterische Erlösungslehre für die Gnostiker, nicht für die Laien. Der praktisch so überaus wichtige Grundsatz der Lehre des Buddha: daß die Spekulation über unlösbare Probleme vom Uebel und heilsschädlich sei, ist in charakteristischer Art aufgegeben. Er wirkte nur darin nach, daß nach der orthodoxen Mahayana-Lehre das letzte große kosmische Rätsel: die Frage, wie denn nun eigentlich die große Wurzel alles Uebels, die 'Avidya' (Dummheit, Stumpfheit oder kosmische Illusion) in die Welt habe kommen können, für menschliches Wissen unlöslich blieb und ebenso wie das 'Warum?' der spezifischen Qualitäten des Bhutatathata nur der letzten und höchsten, in Worten nicht kommunikablen, Gnosis eines Bodhisattva sich erschloß. Die erlösende Gnosis aber trägt selbst die eigentümlichen dualistischen Züge einer Kombination praktischen Liebesfühlens und beherrschter Konzentration des Denkens. Sie verläuft nach der orthodoxen Mahayana-Lehre durch fortwährende exercitia spiritualia aufsteigend in den zehn Stadien der warmen Liebe (pramudita), der Reinigung des Herzens (vimalâ), der Klarheit der kosmischen Einsicht (prabakhari), des Strebens nach Vollendung (arcismati), der Meditation über das Wesen des Tathagata (sudurjaya), über die Art der Weltemanationen (abhimuki), der Erzeugung der Weltfremdheit trotz des innerweltlichen Tuns (durangama, das 'Gehen in die Ferne': – der inneren Haltung des Bhagavata, die wir kennen, nahe verwandt), der Erringung der vollen Gelassenheit als einer zur Natur gewordenen unbewußten und mühelos geübten persönlichen Qualität (achala), der vollen Gnosis der transzendenten Wahrheiten (sadhumati), und endlich des Hinschwindens in die 'Wolken des Dharma' (Dharmamegha): der Allwissenheit. Man bemerkt leicht die Kreuzung gnostischer und praktisch liebesakosmistischer Elemente. Die Nirwana – Konzeption der Mahayana-Schule trägt gleichfalls die Spuren dieser Kreuzung. Unterschieden wurden, neben dem absoluten Aufgehen im Dharmakaya mit dem Tode, welches jetzt, in vedantistischer Art, das gänzliche Erlöschen ersetzte, zunächst zwei Arten von diesseitigem Nirwana: 1. das Upadhiçesa Nirwana, die Freiheit von Leidenschaft, welche aber noch nicht von Samsara befreit ist, weil die intellektualistische Gnosis fehlt: – das überall charakteristische rationale Element im Buddhismus, – 2. das Anupadhiçesa Nirwana: das Upadhi-(Materialisations-) freie Nirwana, welches, durch volle Gnosis, ein von Samsara befreiter diesseitiger Seligkeitszustand des Jivanmukti ist. Aber das für die Mahayana-Schule Charakteristische ist, daß der Begriff des innerweltlichen Nirwana auch damit nicht ausgeschöpft ist. Sondern neben der weltflüchtigen Mystik gibt es 3. die innerweltliche Mystik, das weltindifferente, sich gerade innerhalb der Welt und gegen sie bewährende Leben in der Welt und ihren Hantierungen, innerlich weit-und todentronnen, welches Geburt, Tod, Wiedergeburt und Wiedertod, Leben und Handeln mit all seinen Scheinfreuden und Scheinleiden hinnimmt als die ewigen Formen des Seins und sich gerade darin: in seiner weltindifferenten Heilsgewißheit behauptet. Als Wissen und Fühlen der absoluten Nichtigkeit dieser Vorgänge gegenüber dem zeitlosen Wert der bewußten Einheit mit dem Dharmakaya und dadurch mit aller Kreatur, die mit akosmistischer erbarmender Liebe umfaßt wird, ist es die buddhistische Wendung der im Bhagavadgita, wie wir sahen, gelehrten Form der innerweltlichen Weltindifferenz. Spuren dieses Standpunkts reichen weit zurück, und es ist begreiflich, daß gerade er gegenwärtig als der 'eigentlich' mahyanistische vertreten wird, weil er das Bodhisattva-Ideal im Sinn einer sehr modernen Mystik zu interpretieren gestattet. Jedenfalls scheint etwa im 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung Vasubandus 'Weckung des Bodhicitta' schon ins Chinesische übersetzt gewesen zu sein und die entscheidenden Lehren für diese Wendung des Bodhisattva-Ideals zu enthalten. Das 'Bodhicitta' ist die in jedem Menschenherzen schlummernde Fähigkeit 'wissender Liebe', welche, geweckt, pranidhâna weckt: den unerschütterbaren Willen, heißt das, durch die ganze Folge der eigenen Wiedergeburten hindurch zum Heil der Brüder als Tathagata (Heiland) zu wirken. Der Bodhisattva, welcher diese Qualität erlangt hat, gewinnt dadurch die Fähigkeit, nicht nur sein eigenes Heil zu erzeugen, sondern – worauf es ihm ankommt – einen Thesauros von Verdienst anzuhäufen, aus welchem er Gnade spenden kann. Er ist also in diesem Sinn souverän gegenüber der ehernen Macht der Karman-Vergeltung. Damit war theoretisch die Grundlage für das gewonnen, was man für die religiösen Bedürfnisse der aliterarischen Laienschichten benötigte und was der alte Buddhismus nicht hatte bieten können: lebende Heilande (Tathagatas und Bodhisattvas) und die Möglichkeit der Spendung von Gnade. Selbstverständlich zunächst von magischer, diesseitiger, und erst daneben von jenseitiger, auf die Wiedergeburt und das Jenseitsschicksal bezüglicher Gnade. Denn wenn hier die spiritualistische Form der Mahayana-Lehre, wie sie die nordindischen Philosophenschulen erzeugten, wiedergegeben worden ist, so liegt es doch auf der Hand, daß in der Praxis des religiösen Lebens alsbald die überall gewohnten Laienvorstellungen die Oberhand gewannen. Nagar-juna, der im ersten nachchristlichen Jahrhundert lebende erste Begründer der Mahayana-Lehre, hat in seinem Prajnaparamiha (Ans Jenseits-Ufer gelangtes Wissen) zwar die 'Leere' als spezifische Existenzform (sattva) des Erlösten gelehrt. Neben einer als 'Mittelweg' (Madhyamika) bezeichneten Kombination von allen Mitteln der Selbstentäußerung (darunter vor allem: Almosen und Todesbereitschaft für den leidenden Nächsten), galt ihm die anhaltende Meditation und Erkenntnis (prajna) als letztes und höchstes Mittel der Heilsgewinnung. Aber schon ihm hat der Wissende magische Gewalt. Mit dem Bannwort (dharani) und der mystischen Fingerstellung zwingt er Menschen und Naturgeister. Mit der Lehre Vasubandhus vollends, vier Jahrhunderte später, wurde neben dem hinduistischen Pantheon die volkstümliche Tantra-Magie, die Erringung des ekstatischen samadhi-Zustandes, der Wunderkraft (siddhi) verleiht, eingeführt. Damit schloß die Entwicklung ab: Vasubandhu galt als letzter Bodhisattva. Eine rationale innerweltliche Lebensführung war auch auf der Basis dieser philosophisch vornehmen spiritualistischen Soteriologie des Mahayana nicht zu begründen. Der Ausbau der alten Laienethik geht über die Empfehlung der landläufigen Tugenden und der speziell hinduistisch-buddhistischen Ritualgebote nicht heraus und es lohnt wenigstens hier für unsere Zwecke nicht, sie im einzelnen zu analysieren. Denn die Obedienz gegenüber den durch übermenschliche wundertätige Leistungen qualifizierten Bodhisattvas und die Magie wurden selbstverständlich der beherrschende Zug. Magische Therapeutik, apotropäische und magisch-homöopathische Ekstatik, Idolatrie und Hagiolatrie, das ganze Heer der Götter, Engel und Dämonen zogen in den Mahayana-Buddhismus ein. Vor allem: Himmel, Hölle und Messias. Im siebenten Himmel droben thront, jenseits vom 'Durst' (nach Leben) und von 'Name und Form' (Individualität) der Bodhisattva Maitreya, der künftige Heiland, der Träger des spezifisch buddhistischen messianischen Glaubens. Und ebenso stehen die Schrecknisse der Hölle zur Verfügung. Und endlich wurde ein Teil der mahayanistischen Stufen für die Erlösung in eine förmliche Heils-Karriere verwandelt: unterhalb des Arhat selbst gab es drei Stufen deren höchste die Wiedergeburt im Himmel als Arhat, deren nächstniedere die Wiedergeburt als Arhat nach noch einem Tode und deren niederste die Wiedergeburt als Arhat nach noch 7 Toden gewährleistete. Der Mahayanismus ist es auch gewesen, der zuerst durch formelhafte Gebetsandacht, schließlich durch die Technik der Gebetsmühlen und in den Wind gehängten oder an das Idol gespuckten Gebetspapiere das absolute Höchstmaß von Mechanisierung des Kults erreicht und mit der Verwandlung der ganzen Welt in einen ungeheuren magischen Zaubergarten verbunden hat. Nicht übersehen werden dürfen dabei jene Züge von Innigkeit und karitativem Erbarmen mit aller Kreatur, welche der Buddhismus, und in Asien nur er, wohin immer er kam, in das volkstümliche Empfinden hineingetragen hat. Darin ähnelte seine Wirkung derjenigen der Bettelmönche des Occidents. Sie treten auch und gerade in den Tugenden der Mahayana-Religiosität typisch zutage. Aber sie sind keineswegs ihr im Gegensatz zur Hinayana-Schule eigentümlich. Gänzlich dagegen fehlt jeder Ansatz zur Erzeugung einer rationalen Lebensmethodik der Laien im Mahayana. Weit entfernt, eine solche rationale Laienreligiosität erzeugt zu haben, hat der Mahayana-Buddhismus eine esoterische, dem Wesen nach brahmanische, Intellektuellen-Mystik mit grober Magie, Idolatrie und Hagiolatrie oder Gebetsformelandacht der Laien verknüpft. Die Hinayana-Schule hat ihren Ursprung aus einer vornehmen Laien-Soteriologie wenigstens insofern nicht verleugnet, als sie eine Art von systematischer klösterlicher Laien-Erziehung entwickelte, die freilich bald konventionell entartete. Die Söhne guter Familien pflegten – vermutlich seit Açokas Eintritt in den Orden – und pflegen inkorrekt hinayanistischen Ländern noch jetzt einige Zeit – freilich jetzt zuweilen nur vier Tage, also wesentlich symbolisch – im Kloster das Leben eines Bhikkshu zu führen. Aber auch eigentliche Klosterschulen für Laienbedürfnisse nach Art der Volksschulen waren bei der Hinayana-Schule eine vermutlich seit Açoka bestehende Erscheinung. Dergleichen ist vom Mahayana-Buddhismus, wenigstens als systematisch gepflegte Einrichtung, nur bei einzelnen Sekten in Japan überliefert. Es ist doch wohl anzunehmen, daß der klerikale Eifer König Açokas der Hinayana-Schule diesen Zug zur 'inneren Mission' dauernd aufgeprägt hat. So sehr die eigentliche Heilslehre des Buddhismus vornehme Intellektuellensoteriologie war, so ist doch nicht zu leugnen, daß seine Gleichgültigkeit gegen die Kasten auch praktische Konsequenzen gehabt hat: Von einigen seiner alten Schulen ist ausdrücklich überliefert, daß sie von Çudra gestiftet seien. Und in der mit der Entstehungszeit gleichzeitigen Epoche der Gildenmacht ist zweifellos auch ein literarisches Bildungsbedürfnis der bürgerlichen Schichten vorhanden gewesen. Der Unterricht war freilich, soviel bekannt, keine Schule rationalen Denkens und Lebens, sondern wohl von jeher lediglich auf Verbreitung der nötigsten religiösen Kenntnisse gerichtet: immerhin konnte dazu gerade bei der Hinayana-Schule, deren Schriften in der Volksmundart abgefaßt waren, unter Umständen das Lesen gehören… Die eigentlich große Missionsreligion Asiens war nicht die Hinayana-, sondern die Mahayana-Kirche. Auch der Mahayana Buddhismus, gewann, wie seinerzeit die Hinayana Schule, seine missionierende Tendenz zuerst durch einen König: Kanischka von Kaschmir und Nordwesthindustan, kurz nach Beginn unserer Zeitrechnung. Unter ihm ist das angeblich dritte und lelzte der kanonischen Konzilien welche der Mahayana-Buddhismus anerkennt, in einer Stadt in Kaschmir gehalten worden. Offenbar zuerst durch die Macht dieses Königs wurde der Mahayanismus im Norden Indiens, wo einst Açoka das orthodoxe Konzil abgehalten hatte, verbreitet und schließlich vorherrschend und der Hinayanismus eine 'südliche' Richtung. Der dazu führende Prozeß war freilich schon im Gange und die Entwicklung der esoterischen Mahavana-Soteriologie hatte schon lange vorher begonnen. Açvagosha schrieb seine allerdings noch maßvoll, mahayanistischen Werke mindestens I Jahrhundert vor dem Konzil. Nagarjuna gilt als die treibende Kraft des Konzils selbst. Die anderen von den Mahayanisten als Autoritäten zitierten Philosophen lebten fast sämtlich in den nächsten Jahrhunderten nach dem Konzil, keiner nach dem ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Die Hauptexpansionsepoche des Mahayanismus liegt in der Zeit bis zum 7. Jahrhundert. Allein schon seit dem 5. Jahrhundert begann der Stern des Buddhismus in Indien langsam zu erbleichen. Zu den Gründen gehörte außer den schon angeführten Momenten vielleicht auch jener Verpfründungs-Prozeß, welcher für alle Religionen irgendwann einzutreten pflegt und den gerade die Mahayana-Schule fördern konnte. Gnadenspendende seßhafte Hierokraten, also: Pfründner, traten an die Stelle der wandernden Bettelmönche… Die Reiseberichte der chinesischen Pilger, zeitlich miteinander verglichen, lassen deutlich den inneren Verfall der jeder hierarchischen oder ständischen Einheit entbehrenden buddhistischen Organisation erkennen. Die Renaissance des Hinduismus fand offenbar ein leicht zu bestellendes Feld und hat, wie erwähnt, heute in Vorderindien fast jede Spur der alten buddhistischen Kirche ausgerottet. Ehe wir uns aber diesem neuen Aufstieg des orthodoxen Brahmanentums zuwenden, ist in Kürze der, erst seit König Kanischkas Zeit mit gewaltigem Erfolg betriebenen Expansion des Mahayanismus über Indien hinaus zu gedenken, welche ihn zu einer 'Weltreligion' hat werden lassen. Die großen Expansionsgebiete des Mahayana-Buddhismus sind China, Korea und Japan. Der Mahayana-Buddhismus hat dabei – im allgemeinen – politisch insofern mit anderen Verhältnissen zu rechnen gehabt wie die Hinayana-Schule, als er in jenen Kulturländern, die er missionierend wenigstens teilweise eroberte, auf Dynastien stieß, die entweder mit einer unbuddhistischen Literatenschicht (China und Korea) oder mit einem unbuddhistischen Staatskult (Japan) fest verwachsen waren und daran festhielten. Hier nahm also die weltliche Gewalt im allgemeinen mehr die Stelle einer »Religionspolizei« als eines 'Schutzpatronats' gegenüber der Kirche auf sich. Die theokratische Klerikalisierung war infolgedessen weit geringer. Ueber die Schicksale des Buddhismus in China mußte im anderen Zusammenhang schon einiges gesagt werden, was hier zu ergänzen ist. Er wurde nach einigen vergeblichen Missionsversuchen zuerst importiert unter der Herrschaft und auf Veranlassung des Kaisers Mingti kurz nach Beginn unserer Zeitrechnung durch Mönchsmissionare, faßte aber erst etwa im 4. Jahrhundert Wurzel, was sich durch das häufigere Auftreten eigener chinesischer Mönche äußert. Er ist dann im 5., 6. und 7. Jahrhundert durch zahlreiche Pilgerfahrten und Gesandtschaften, amtliche Uebersetzungen buddhistischer Schriften, Eintritt einzelner Kaiser in den Mönchsorden, schließlich – 526 unter Kaiser Wuti – Uebersiedelung des 'Patriarchen' Bodhidharma aus Indien nach Nanking und weiter nach Honanfu offiziell in Staatspflege genommen worden. Mit dem 8. und endgültig mit dem 9. Jahrhundert wurde durch die gewaltigen von den Konfuzianern angeregten Kirchenverfolgungen, von denen ebenfalls schon gesprochen ist, die Blüte des Ordens in China gebrochen, ohne doch ihn dauernd ganz vernichten zu können. Das Verhalten der chinesischen Regierung war vielmehr von Anfang an und ist auch nach den großen Verfolgungen bis zum heiligen Edikt Kang Hi's beständig schwankend gewesen. Die entschiedensten Gegner waren selbstverständlich die konfuzianischen Literaten. Ihren Einwänden: daß Pflicht, und nicht die Furcht vor der jenseitigen Strafe oder die Hoffnung auf jenseitige Belohnung, die Quelle der Tugend zu sein habe und daß Frömmigkeit um der Vergebung der Sünden willen kein Ausdruck echter Pietät sei, Nirwana als Ideal aber das Nichtstun idealisiere, – setzten die Apologeten des Buddhismus den Hinweis entgegen: daß der Konfuzianismus nur das Diesseits, allenfalls das Glück der Nachfahren berücksichtige, nicht aber die jenseitige Zukunft. Sie wiesen auf Himmel und Hölle als allein wirksame Zuchtmittel für den Menschen zur Tugend hin. Namentlich dieses Argument dürfte auf die Kaiser Eindruck gemacht haben. Daneben der Glaube an die magische Macht auch der buddhistischen Literaten. Denn als vornehme Literatenlehre kam die buddhistische Religion zuerst nach China. Die Erlaubnis Mönch zu werden wurde zuerst in einem Teilstaat der Zeit des großen Interregnums 335 nach Chr. erteilt. Die Idole wurden 423 im Sang- und 426 im Wei-Königreich zerstört, 451 wieder zugelassen. Um 400 suchte der Kaiser Yao hing durch Aussendung eines Heeres sich einen literarisch voll qualifizierten Priester zu beschaffen und gleichzeitig ging Fa Hien in amtlichem Auftrag nach Indien, Uebersetzungen zu beschaffen. Nachdem ein Kaiser der Ling-Dynastie geradezu Mönch geworden war, drang mit der Uebersiedelung des Patriarchen nach China neben der Disziplin auch die eigentliche Mystik des indischen Buddhismus ein. 515 noch war Todesstrafe auf den Betrieb magischer Künste gesetzt. Indessen hinderte dies nicht, daß die Magie hier, wie überall, überwucherte. Seitdem hat die Politik der Regierung geschwankt zwischen Beförderung oder Duldung und Schließung aller Klöster, der Kontingentierung der Mönchszahl, dem Zwang für den Ueberschuß zum Wiedereintritt in den weltlichen Beruf (714), der Konfiskation der Tempelschätze für Münzzwecke (955). Sie adoptierte unter der Ming-Dynastie vorwiegend das schon vorher die Regel bildende System der Duldung unter Einschränkung des Bodenbesitzes, Begrenzung der Klöster und der Zahl der Mönche und Kontrolle der Aufnahme durch staatliche Prüfung. Kang Hi's 'heiliges Edikt' schließlich verbot (Ende 17. Jahrhunderts) den weiteren Bodenerwerb gänzlich und verwarf die buddhistische Lehre als unklassisch. Dabei ist es geblieben. Innerlich hatte der Buddhismus in China vor allem die Wandlung zu einer reinen Buchreligion, entsprechend dem Schriftgelehrten-Charakter der ganzen chinesischen Kultur, durchzumachen. Die Disputationen und Religionsgespräche, welche Indien eigentümlich waren, verschwanden: die chinesische Regierung hätte sie nicht gestattet, und der Natur des chinesischen Schrifttums widersprachen sie durchaus. Immun blieb ferner der chinesische Buddhismus, – ebenfalls entsprechend der streng antiorgiastischen Religionspolizei des chinesischen Beamtentums, – gegen jedes Eindringen der Sakti-Religiosität, welche den indischen Mahayanismus immerhin nicht ganz unberührt gelassen hatte. Der chinesische Buddhismus ist von Anfang an reine Klosterkirche ohne Wandermönche gewesen. Das buddhistische Kloster – im Gegensatz zum konfuzianischen Tempel (Miao) und den taoistischen Heiligtümern (Kuan) mit 'Si' bezeichnet – enthielt auch den Tempel mit den Bildern des ursprünglichen und der 5 sekundären Buddhas (Fo), 5 Bodhisattvas (Pu sa), die Arhats und Patriarchen und eine ganze Schar aus der Volksshagiolatrie der Chinesen rezipierter Schutzgötter (darunter auch der als Kriegsgott apotheosierte früher genannte Kuanti). Chinesisch ist dabei vor allem das Auftreten eines weiblichen Bodhisattva: Kwan Yin, der Schutzherrin der Caritas. Und zwar scheint diese Figur ihren weiblichen Charakter erst im Laute der Zeit empfangen zu haben, wahrscheinlich unter dem Einfluß der Konkurrenz der Sekten, welche – wie apolitische Konfessionen meist – auf weiblichen Zulauf reflektierten. Die Gestalt ist Gegenbild der occidentalen Muttergottes als Nothelferin und war die einzige Konzession, die der Sakti-Frömmigkeit in China gemacht wurde. Die Klöster waren ursprünglich offenbar nach dem typisch hinduistischen Filiationssystem gegliedert. Nachdem aber die chinesische Regierung ihrerseits besondere Beamte für die Aufsicht über die Klöster und die Handhabung der Disziplin eingesetzt hatte, bestand später eine von dieser Hierarchie gesonderte Organisation nicht. Auch die Ansätze des Patriarchentums haben sich nach der großen Verfolgung nicht weiter entwickelt, zweifellos aus politischen Gründen. Es blieb aber die Gemeinschaft der Klöster dadurch erhalten, daß jeder Mönch das Recht auf die Gastlichkeit in jedem Kloster hatte. Im übrigen blieb nur das charismatische Prestige einzelner Klöster als altbekannter Stätten ritueller Korrektheit bestehen. Ganz nach indischer Art spalteten sich die Klöster nach Schulen. Und zwar offenbar wesentlich entsprechend den Wellen von Mahayana-Revivals, welche unter dem Einfluß großer Lehrer von Indien aus über das Missionsgebiet hingingen. Beim ersten Import und selbst noch zur Zeit der Uebersiedelung des Patriarchen Bodhidharma war die Mahayana-Doktrin noch nicht in ihren späteren Konsequenzen (durch Nagarjuna und Vasubandhu) ausgearbeitet. Die älteste Schule, das Tschan sung, hat infolgedessen noch einen stark hinayanistischen Charakter in der Art der Heilssuche. Die alte Meditation (dhyana), das Suchen nach 'Entleerung' des Bewußtseins, die Ablehnung aller äußeren Kultmittel blieb ihr in starkem Maße eigentümlich. Sie galt – wohl schon wegen der Verwandtschaft mit der Wu-wei-Lehre – lange als die vornehmste und war geraume Zeit die größte der chinesischen Buddhasekten. Die früher dargestellten mahayanistischen Lehren Nagarjunas und Vasubandhus haben in den Sekten der Hsien-schon-tsung und Tsi-jen-tsung ihre Vertreter gefunden. Die Phantastik des Schwelgens in überirdischen Herrlichkeiten bei der ersten, der Liebesakosmismus des durch die achtfache Stufenfolge der Konzentration vollendeten Bodhisattva bei der anderen sind hier übernommen. Die zweitgenannte Sekte ist demgemäß in starkem Maße die Trägerin der spezifisch buddhistischen Karität in China geworden. Von den sonstigen Sekten hat die Tien-tai-tsung wohl die größte literarische Popularität erlangt durch Uebertragung und Kommentierung des mahayanistischen Saddharma pundarika: sie war dem Wesen nach eklektische Mischung der hinayanistischen Meditation mit Ritus und Idolatrie. Die Lutsung-Sekte war demgegenüber die am strengsten (im Sinn des Vinaya pitaka) ritualistischer die Tsching-tu-tsang-Sekte dagegen die den Laienbedürfnissen am weitesten entgegenkommende. Die Verherrlichung des Paradieses im Westen unter Leitung des Buddha Amithaba und der Kwan-yin, vermutlich auch die Rezeption dieser Figur überhaupt, war ihr Werk. Der chinesische Buddhismus hat teilweise versucht, durch Rezeption der großen Heiligen der beiden andren Systeme, eine Einheitsreligion (San chiao i ti) herzustellen. Im 16. Jahrhundert finden sich Buddha, Laotse und Konfucius auf Monumenten vereinigt und Aehnliches soll schon viele Jahrhunderte früher sich nachweisen lassen. Indessen zum mindesten der offizielle Konfuzianismus hat diese Versuche abgelehnt und den Buddhismus stets mit den gleichen Augen angesehen, wie der antik römische Amtsadel die orientalischen 'Superstitionen'. Der Charakter des späteren chinesischen Buddha-Mönchtums wurde ganz wesentlich bestimmt durch seinen zunehmend plebejischen Charakter. Ein Mann von Rang und aus guter Familie wird heute nicht in ein Mönchskloster eintreten. Dies dürfte schon seit dem Jahrhundert der großen Verfolgung, endgültig jedenfalls seit dem heiligen Edikt Kang-his so gewesen sein. Die Mönche rekrutieren sich aus aliterarischen Schichten, namentlich aus den Bauern und Kleinbürgern. Dies hat zunächst zu einer durchaus ritualistischen Ausgestaltung des Mönchslebens selbst geführt. Verstöße des Mönchs gegen das Zeremoniell und die Disziplin scheinen – wie dies ja dem Charakter des chinesischen Formalismus entspricht – oft ziemlich streng geahndet, in unserem Sinn des Wortes 'sittliche' Verfehlungen verhältnismäßig leichter genommen zu werden. Hasard, Trunk, Opium, Weiber spielten – angeblich – in manchen Klöstern eine beträchtliche Rolle. Von irgendwelchen Ansätzen zu einer systematischen ethischen Rationalisierung der Lebensführung der Laien konnte gar keine Rede sein. Klosterschulen für Laien existierten, wenigstens als verbreitete Erscheinung, wenig, und die literarische Bildung, welche der Novize, ehe er zum Mönch und dann zum Anwärter auf die Bodhisattva-Würde aufsteigt, hat sehr wenig rationalen Charakter. Der Schwerpunkt des Mönchslebens liegt in dreierlei. Zunächst im täglichen Kultus, einem Vorlesen heiliger Schriften, herausgewachsen aus der alten Uposatha-Feier. Ferner in der einsamen oder, charakteristischer, gemeinsamen Entleerungs-Meditation, der sitzenden und der in China als Spezialität gepflegten laufenden. Endlich in asketischen Virtuosenleistungen, welche der Mahayanismus der alten hinduistischen Volksaskese der Magier entlehnt hat. Die höhere Weihe alter Mönche, zum Bhodisattva-Anwärter, war mit einer Brandmarkung verbunden. Und als Virtuosenleistung kam und kommt es vor, daß ein Mönch sich entweder einzelne Körperteile verbrennen läßt oder sich in einen Holzverschlag in der vorgeschriebenen Haltung eines Betenden niedersetzt und die um ihn zur Selbstverbrennung aufgehäuften Brennstoffe selbst entzündet, oder endlich, daß er sich lebenslänglich einmauern läßt. Derartige Virtuosen werden nach dem Tode große Heilige des Klosters. Die zuweilen recht bedeutenden, von einer Schar von Beamten verwalteten buddhistischen Klöster in China waren, alles in allem, Stätten teils irrationaler Askese, teils irrationaler Meditation, nicht aber Pflegestätten rationaler Erziehung. Der in ganz China gewaltige und magisch gedeutete Nimbus des Literatentums fehlte ihnen je länger je vollständiger, obwohl (zum Teil: weil) gerade sie, im Interesse der Propaganda, Hauptstätten des Buchdrucks waren, der sich wesentlich auf erbauliche Schriften und magisch wichtige Tafeln erstreckte. Die Chinesen wendeten sich an buddhistische Gottheiten, tote oder auch lebende buddhistische Heilige als Nothelfer in Krankheit oder bei anderem Mißgeschick, die Totenmessen wurden auch von hochgestellten Kreisen geschätzt und das primitive Losorakel in den Sanktuarien spielte bei den Massen eine nicht unerhebliche Rolle. Aber das war alles. Die Mönche haben dem Laienglauben die verschiedensten Konzessionen machen müssen, unter anderem auch durch Anbringung korrekter Ahnentafeln und Darbringung von Ahnenopfern für tote Mönche. Auch ist die chinesische Pagode, die aus Indien in alle hinduistisch beeinflußten Gebiete mit den nötigen Modifikationen übernommene Form des Tempels, in China durch Verbindung mit der Fung-Schui-Lehre aus einer buddhistischen Kultstätte zu einem apotropäischen Mittel gegen die Luft- und Wasser-Dämonen geworden, welches zu diesem Behuf an geeigneten, von den Magiern ermittelten Stellen aufgeführt wird. Die starke Bedeutung der Zeremonien buddhistischer Provenienz im Volksbrauch wurde schon früher erwähnt. Der ethische Vergeltungsglauben ist durch den (älteren) Taoismus und den Buddhismus in die Massen getragen worden und hat zweifellos stärkend auf die Innehaltung der alten nachbarschaftsethischen und der speziellen Pietätsgebote der chinesischen Volksethik gewirkt. Darüber hinaus ist, wie ebenfalls schon erwähnt, wohl fast alles, was an Innigkeit, karitativem Empfinden für Mensch und Tier und stimmungshafter Sinnigkeit in China überhaupt zu finden ist, irgendwie durch die massenhaft übersetzte und bekannt gewordene buddhistische Legendenliteratur erzeugt. Aber einen beherrschenden Einfluß auf die Lebensführung hat der Buddhismus nicht gewonnen… |
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2 | 1921.2 |
Weber, Max. Schriften zur Religionssoziologie : Hinduismus und Buddhismus III. Die asiatische Sekten- und Heilandsreligiosität. Auszüge (2) In Tibet entstand, im schroffen Gegensatz gegen die Organisationslosigkeit jener Gebiete, eine Hierarchie von solcher Einheitlichkeit, daß man die Religion ihrer Träger: der Lama-Mönche, geradezu als ein gesondertes Religionssystem: Lamaismus, zu bezeichnen sich gewöhnt hat. Hinduistische und wohl auch buddhistische Wandermönche müssen als Nothelfer schon früh nach Inner- und Nordasien gelangt sein: der magische Ausdruck 'Schamane' für die magisch-ekstatischen Exorzisten ist eine ostturkestanische Abwandlung des indischen Sramana (Pali: Samana). Die eigentlich buddhistische Mission in diesen Gebieten hat etwa mit dem 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung begonnen, und wurde im 8. Jahrhundert offiziell begründet. Wie üblich derart, daß ein König im Verwaltungsinteresse (zum Import der Schriftkunde) und zur Domestikation der Untertanen einen Heiligen aus dem benachbarten indischen Gebiet (in diesem Fall aus Udayana, welches Kaschmir benachbart ist) als Guru importierte. Der Missionar war ein Vertreter der rein tantristischen (magischen) Mahayana-Richtung: Alchemie, Zaubertränke und die übliche mahayanistische Formel-Magie scheinen bei ihm nebeneinander herzugehen. Die Mission hat nach ihm, mit zahlreichen Rückschlägen und Kämpfen der konkurrierenden Sekten, nicht mehr geruht, und es sind zeitweise das östliche Persien und große Teile von Turkestan vom mahayanistischen Buddhismus gewonnen worden, bis die islamische Reaktion der westlichen Mongolen-Khane diese Missionen wieder vernichtete. Das Mongolenweltreich war es aber andererseits, dem die Konstituierung der heiligen Kirche Tibets, der Trägerin des 'Lamaismus', verdankt wurde. 'Lama', der 'Erhabene', 'Heilige', hieß zunächst der Superior (Khan po) eines Klosters, später, höflichkeitshalber, jeder voll ordinierte Mönch. Die buddhistische Klostergründung ging anfangs ganz den üblichen Weg. Die Machtstellung einiger der Klostersuperioren steigerte sich aber im Gebiet von Tibet dadurch, daß die größeren politischen Gebilde – dem Charakter des Landes als Weidegebiet entsprechend – wieder in kleine Stammesfürstentümer zerfielen, und nun, wie im Occident in der Völkerwanderungszeit die Bischöfe, so hier die Klostersuperioren die einzig rational organisierte Macht in der Hand hielten. Die Erziehung der Superioren war demgemäß geistlich sowohl wie weltlich. Die Klöster waren längst reine Pfründnerstätten geworden, die 'Mönche' beweibt und also eine erbliche Kaste. Wie in Indien, war auch in Tibet wenigstens in einigen Klöstern, vor allem auch im Kloster Saskya, nahe den höchsten Höhen des Himalaya, die Superioratswürde selbst gentilcharismatisch erblich. Die Lamas von Saskya knüpften zuerst im 12. Jahrhundert Beziehungen zu der Dynastie Djingiz Khans an und im 13. Jahrhundert gelang ihnen die Bekehrung des Mongolenkaisers Kublai Khan, des Eroberers Chinas, welcher nun der weltliche Patron (tschakravati) der Kirche wurde. Wiederum war das Bedürfnis nach Erfindung einer Schrift für die Mongolen, also ein politisches Verwaltungsinteresse, offenbar entscheidend. Daneben das Interesse an der Domestikation der schwer zu regierenden innerasiatischen Bevölkerung. Den Lamas des Saskya-Klosters wurde zu diesem Behuf (und weil sie Träger der Schriftkunde, also für die Verwaltung unentbehrlich waren) theokratische politische Macht eingeräumt. Diese Domestikation der bis dahin ausschließlich von Krieg und Raub lebenden Mongolenstämme gelang tatsächlich und hat welthistorisch wichtige Folgen gehabt. Denn die nun beginnende Bekehrung der Mongolen zum lamaistischen Buddhismus hat den bis dahin unausgesetzt nach Ost und West vorstoßenden Kriegszügen der Steppe ein Ziel gesetzt, sie pazifiziert und damit die uralte Quelle aller 'Völkerwanderungen' – deren letzte Timurs Vorstoß im 14. Jahrhundert war – endgültig verstopft. Mit dem Zusammenbruch der Mongolenherrschaft in China im 14. Jahrhundert verfiel zunächst auch die Theokratie der tibetanischen Lamas. Die chinesische nationale Ming-Dynastie trug Bedenken, einem Einzelkloster die Alleinherrschaft zu lassen und spielte konsequent mehrere charismatische Lamas gegeneinander aus. Ein Zeitalter blutiger Klosterfehden brach an, die orgiastisch-ekstatische (Sakti-) Seite des magischen Mahayanismus trat wieder in den Vordergrund, bis in dem neuen Propheten Tson-ka-pa, dem größten Heiligen des lamaistischen Buddhismus, ein Kirchenreformator großen Stils entstand, der im Einverständnis mit dem chinesischen Kaiser die Klosterdisziplin wieder herstellte, und, nachdem ihm im Religionsgespräch der Lama des Saskya-Klosters unterlegen war, der mit der gelben Mütze ausgezeichneten und daher meist sogenannten 'gelben' Kirche, der 'Tugendsekte' (DGe-lugs-pa) die Suprematie sicherte. Disziplinär bedeutete die neue Lehre Herstellung des Cölibats und Entwertung der tantristischen ekstatischen Magie, deren Ausübung den Mönchen der Tugendsekte verboten wurde. Sie blieb, durch ein Abkommen, den mit roten Mützen versehenen und – ähnlich wie der Taoismus vom Konfuzianismus – als Mönche niederen Rangs geduldeten Anhängern der alten Lehre überlassen. Es verschob sich der Schwerpunkt der Mönchsfrömmigkeit auf Meditation und Gebetsformel, ihrer Tätigkeit auf Predigt und Mission durch Disputation, für welche sie in Klosterschulen ausgebildet wurden: eine Quelle der Neuerweckung wissenschaftlicher Studien in den Klöstern. – Für die charakteristisch lamaistische Hierarchie der Klosterorganisation aber war die Verbindung einer besonderen Form der universell hinduistischen und insbesondere auch mahayanistischen Inkarnationslehre, in ihrer lamaistischen Fassung, mit dem Charisma gewisser berühmter Klöster der gelben Kirche wichtig, welche sich in der Generation nach Tsong-ka-pa deshalb vollzog, weil an Stelle der Erblichkeit der Superioren nun eine andere Art der Nachfolgerbestimmung treten mußte. Diese war aber nur ein Sonderfall einer allgemeingültigen Vorstellungsweise. Wesen und Bedeutung der lamaistischen Inkarnationslehre sind an sich einfach. Sie setzt allerdings, darin in striktestem Gegensatz gegen alle altbuddhistische Philosophie, voraus, daß die charismatischen Qualitäten eines Heiligen bei ihrer Wiedergeburt auf den Träger derselben verstärkt übergehen, zieht damit aber letztlich nur die Konsequenz aus dem Umstand, daß die mahayanistische Theorie vom Wesen des Buddha dessen frühere Geburten bis zur vorletzten, der Bodhisattva-Geburt, als an Heiligkeit ansteigende Vorstufen seiner letzten Geburt (als Buddha) behandelte. Die früher erwähnte Heilsstufen-Lehre des Mahayanismus, welche ganz allgemein den Grad der Heiligkeit nach der Zahl der Tode bestimmte, die der Heilige vor der Erreichung der Arhat-Würde noch vor sich hatte, war lediglich eine Konsequenz daraus. Dies wurde nun konsequent durchgeführt: für jeden Lama, der als Asket, Zauberer, Lehrer, Ansehen und Beliebtheit genossen hatte, wurde nach seinem Tode die Wiedergeburt: der 'Khubilgan', gesucht und in irgendeinem Kinde gefunden und auferzogen. Jede folgende Khubilgan-Geburt des ursprünglichen Heiligen aber hatte und hat, normalerweise, steigendes Heiligkeitsprestige. Also wird andererseits auch nach rückwärts erforscht, wessen Wiedergeburt denn der ursprüngliche Träger des Charisma gewesen sei: stets irgendein Missionar, Zauberer oder Weiser der altbuddhistischen Zeit. Jeder Khubilgan ist Nothelfer kraft magischen Charisma. Ein Kloster, welches einen anerkannten Khubilgan in seinen Mauern besitzt oder gar mehrere darin zu versammeln verstanden hat, ist gewaltiger Einnahmen sicher, und die Lamas sind daher stets auf der Jagd nach der Entdeckung neuer Khubilgane. Diese Heiligkeitstheorie nun liegt auch der lamaistischen Hierarchie zugrunde. Die Superioren, der charismatisch hochqualifizierten Klöster sind Inkarnationen großer Bodhisattvas, die nach dem Tode des jeweiligen Trägers sich neu in einem Kinde nach 7 mal 7 Tagen inkarnieren und also – etwa nach Art der Suche nach dem Apis-Stier – nun nach bestimmten Orakeln und Merkmalen aufgefunden werden müssen. Die beiden höchsten derartigen Inkarnationen waren und sind der Superior des jetzt größten Lama-Klosters, der Potala bei Lhasa, der Gryal ba, später gemäß dem ihm vom Mongolen khan nach der Neueinrichtung der lamaistischen Kirche in der Mongolei im 16. Jahrhundert verliehenen Titel meist 'Dalai-Lama' genannt, und der Superior des gewöhnlich als Teeshoo loombo bezeichneten Klosters, der Pan-c'en rin-po-ce, zuweilen nach seinem Kloster als 'Taschi Lama' bezeichnet, der erstere eine Inkarnation des Bodhisattva Pad-mapani, also Buddhas selbst, der letztere des Amithaba. Der Theorie nach liegt in den Händen des Dalai-Lama mehr die Disziplin, in denjenigen des Taschi-Lama – entsprechend der spezifischen Bedeutung Amithabas als Gegenstand inbrünstiger mystischer Glaubensandacht – mehr die exemplarische Leitung des religiösen Lebens. Die politische Bedeutung des Dalai-Lama ist die weitaus größere, aber dem Taschi-Lama ist geweissagt, daß er nach dem Untergang der Machtstellung des ersteren die Religion wiederherstellen werde. Die Inkarnation des Dalai Lama wird in Klausur erzogen, mit 7 Jahren als Mönch aufgenommen und in strenger Askese bis zur Volljährigkeit weitergebildet. Gegenüber der göttlichen Würde namentlich des Dalai Lama, aber auch der anderen in ähnlicher Art inkarnierten höchsten lamaistischen Charisma-Träger, gaben der chinesischen Regierung die erforderlichen politischen Garantien: 1. die Mehrheit der untereinander zwar ungleichwertigen, aber doch konkurrierenden inkarnationen, vor allem des Dalai-Lama und Taschi-Lama, 2. die Residenzpflicht einer Anzahl der höchsten Lamas (jetzt nur noch eines) in Peking, 3. die bei Inkarnationen übliche hieratische Klausur des Dalai Lama, verbunden mit der Führung der weltlichen Verwaltung durch einen Hausmaier, den sie einsetzte, 4. die Pflicht gewisser hoher Inkarnationen, beim Hofe in Peking zu erscheinen und aller: das Exequatur von dort zu empfangen. Die Neubekehrung und lamaistische Organisation der Mongolen erfolgte im 16. Jahrhundert und es residieren seitdem dort als Stellvertreter das Dalai-Lama mehrerer Inkarnationen großer Heiliger, von denen die bedeutendste der Mai-dari Hutuktu, jetzt in Urga, ist. Bei der größeren Schwierigkeit, die Mongolei in Botmäßigkeit zu halten, ist jedoch seit der Niederwerfung der Dsungaren durch China von der chinesischen Regierung für die Inkarnationen dieses Hierarchen vorgeschrieben worden, daß sie nur in Tibet, nicht in der Mongolei selbst, stattfinden und gesucht werden dürfen. Die endgültige Einteilung der Rangklassen der Lamas, entsprechend den Rangklassen des mongolischen Adels, geschah ebenfalls bei der Neubekehrung des Mongolenkhans durch diesen. Die Rekrutierung der Lama Klöster – deren jedes normalerweise zwischen 200 und 1500 Lamas enthält, die größten mehr – erfolgt in starkem Maße (wie übrigens diejenige auch vieler buddhistischer Klöster in China) durch Hingabe von Kindern, teilweise durch deren Verkauf, an das Kloster. In Tibet sorgt die feste Begrenzung des Nahrungsspielraums dafür, daß hinlängliche Nachfrage nach Klosterunterkunft besteht. Immerhin ist bei der hohen Machtstellung der Lamaklöster der Zufluß auch aus besitzenden Schichten nicht unbeträchtlich und Mönche dieser Provenienz bringen oft ein erhebliches Privatvermögen mit. Es ist selbstverständlich, aber anscheinend in den Lamaklöstern besonders stark ausgebildet, daß der Tatsache nach eine stark plutokratische Gliederung der Lama's besteht: die mittellosen Mönche arbeiten für die besitzenden und bedienen sie, im übrigen pflegen sie Korbflechterei und ähnliche Gewerbe, sammeln Pferdemist zur Düngung und treiben Handel. Keuschheit als Pflicht verlangt nur die orthodox-gelbe Kirche, Fleisch- und Alkoholgenuß gestattet auch sie. Der Unterricht wird auch in kleineren Klöstern noch jetzt gepflegt und zwar in 4 Fakultäten: 1. der theologischen Fakultät, der wichtigsten, die zugleich die Leitung des Klosters hat, weil sie die Weihen erteilt, 2. der medizinischen (empirische Kräuterkunde für den mönchischen Hausarzt), 3. Tsing Ko (Ritual), die altklassische Lehre, hier im wesentlichen in die Beibringung der Kenntnis der Regeln für Totenmessen abgewandelt, 4. Tsu pa (Mystik), Schulung in der Tantra-Askese für schamanistische Zwecke. Im Unterricht spielen, ganz dem alten Charakter aller indischen Erziehung entsprechend, noch heut Preisdisputationen (um eine Monatspfründe) eine Rolle. Die Weihen bringen den Studenten (dapa) vom Novizen (getsul) zum Gelong (Vollmönch) und durch weitere Stufen (zusammen 5) bis zum Khan po hinauf, der in der alten literarischen Hierarchie die höchste Stufe des niederen Klerus darstellte und als Klostersuperior die Disziplin (Macht über Tod und Leben) hatte. Der Rang des höheren Klerus, vom Khubilgan angefangen (darüber die Hutuktus, schließlich der Dalailama und Pon c'en) sind nicht durch Weihen zu erlangen, sondern nur durch Wiedergeburt. Die Mönche haben gegen den Islam als Glaubenskämpfer mit Bravour gefochten und sind vielfach auch heute – im Gegensatz zu den Laien – wehrhaft. Im Uebrigen ist die Zeit der Lama's weit stärker als in irgend welchen anderen buddhistischen Klöstern durch gemeinsamen Kult ausgefüllt. Eine Darstellung des lamaistischen Pantheon hätte für unsere speziellen Zusammenhänge keinen Wert. Es ist ein modifiziertes Mahayana-Pantheon unter noch stärkerer Anreicherung durch nichtbuddhistische, vedische, hinduistische (namentlich çivaitische) und durch lokale tibetanische Götter und Dämonen und insbesondere auch unter Heranziehung der altindischen volkstümlichen weiblichen (Sakti-)Gott heiten, wie sie der später kurz zu besprechende magische Tantrismus geformt hatte: auch den Buddhas werden hier göttliche Gattinnen beigeordnet, – teilweise die gleichen, welche im späteren Hinduismus dem Vischnu beigegeben wurden. Der intellektualistische Mönchscharakter aller buddhistischen Religiosität hat immerhin auch hier die orgiastisch-ekstatischen, namentlich sexualorgiastischen, Züge des Tantrismus stark temperiert, wie wir das im Hinduismus schon sahen und noch weiter sehen werden. Dagegen ist die praktische Religiosität, vor allem die Laienreligiosität, reine Hagiolatrie, vor allem Anbetung der Lamas selbst, magische Therapeutik und Divination ohne alle ethische Rationalisierung der Lebensführung der Laien. Neben ihren Fronleistungen und Abgaben für die Klöster kommen die Laien nur als Wallfahrer und Spender von Gaben in Betracht. Die Heilssuche der Lamas selbst trägt buddhistische und also hinduistische Züge insofern, als der höchste Heilsweg auch hier in methodisch geregelter Meditation besteht. Praktisch ist sie fast reiner Ritualismus, speziell Tantrismus und Mantrismus geworden und die Mechanisierung des Gebetsformelkults durch Gebetsmühlen und Gebetslappen, daneben durch Rosenkränze und ähnliche Mittel ist erst im Lamaismus zu ihrer vollen Konsequenz entwickelt worden. Der jeweilige Grad der ethischen Klosterdiszi plin hängt sehr wesentlich von der Ordnung der politischen Verhältnisse ab und ist meist sehr gering. Die Bauten, wie das Berg-Kloster Potala bei Lhasa, die Existenz der – heute verfallenen – Wissenschaft selbst in Klöstern zweiten Ranges und die Entstehung einer immerhin umfangreichen religiösen Literatur, sowie noch mehr einer Aufspeicherung von Kunstwerken zum Teil ersten Ranges in diesen Weide- und Wüstengebieten, in meist 5000 Meter Höhe über dem Meer auf einem 8 Monate des Jahres gefrorenen Boden und mit einer reinen Nomaden-Bevölkerung ist unter allen Umständen eine eindrucksvolle Leistung, die nur der hierarchisch straff organisierte lamaistische Kloster-Buddhismus mit seiner schrankenlosen Macht über die Laien vollbringen konnte. Die alte chinesische militärische Fronorganisation einerseits, die lamaistische mönchische Asketen–Organisation mit ihren frondenden, steuernden und spendenden Untertanen andererseits erzeugten hier Kultur auf Gebieten, welche vom kapitalistischen Rentabilitätsstandpunkt aus teils zur allerextensivsten ewigen Weide, teils geradezu zur Wüste, jedenfalls aber nicht zum Standort von großen Bauten und künstlerischer Produktion bestimmt sein würden, und die mit dem Verfall jener Organisationen auch vermutlich dem von jeher über ihnen schwebenden Schicksal ewiger Versandung entgegengehen werden... Blicken wir nach diesem, gegenüber dem unerhörten Reichtum der Gestaltungen, überaus oberflächlichen Rundgang durch die asiatische Kulturwelt zurück, so wird sich etwa Folgendes sagen lassen: Für Asien als Ganzes hat China etwa die Rolle Frankreichs im modernen Occident gespielt. Aller weltmännische 'Schliff' stammt von dort, von Tibet bis Japan und Hinterindien. Dagegen ist Indien etwa die Bedeutung des antiken Hellenentums zugefallen. Es gibt wenig über praktische Interessen hinausgehendes Denken in Asien, dessen Quelle nicht letztlich dort zu suchen wäre. Vor allem haben für ganz Asien die indischen, orthodoxen und heterodoxen, Erlösungsreligionen annähernd die Rolle des Christentums in Anspruch genommen. Mit dem einen großen Unterschied: daß abgesehen von lokalen und meist auch vorübergehenden Ausnahmen keine von ihnen dauernd zur alleinherrschenden Konfession in dem Sinn erhoben worden ist, wie dies bei uns im Mittelalter und bis nach dem westfälischen Frieden der Fall war. Asien war und blieb, im Prinzip, das Land der freien Konkurrenz der Religionen, der 'Toleranz' im Sinne etwa der Spätantike. Das heißt also: unter Vorbehalt der Schranken der Staatsräson, – die schließlich ja, nicht zu vergessen, auch bei uns heute als Grenzen aller religiösen Duldung fortbestehen, nur mit anderer Wirkungsrichtung. Wo diese politischen Interessen irgendwie in Frage kamen, hat es auch in Asien an Religionsverfolgungen größten Stiles nicht gefehlt. Am stärksten in China, aber auch in Japan und Teilen von Indien. Wie in Athen in der Zeit des Sokrates, so konnte ferner auch in Asien jederzeit die Deisidaimonie ein Opfer fordern. Und endlich haben Religionskriege der Sekten und militarisierten Mönchsorden auch in Asien, bis in das 19. Jahrhundert, ihre Rolle gespielt. Aber im ganzen bemerken wir sonst jenes Nebeneinander von Kulten, Schulen, Sekten, Orden aller Art, welches auch der occidentalen Antike eignete. Dabei waren freilich jene konkurrierenden Richtungen in den Augen der jeweiligen Mehrheit der herrschenden Schichten und oft auch der politischen Mächte keineswegs gleichwertig. Es gab orthodoxe und heterodoxe und unter den orthodoxen mehr oder minder klassische Schulen, Orden und Sekten. Vor allem – und das ist für uns besonders wichtig – schieden sie sich auch sozial voneinander. Einerseits (und zum kleineren Teil) je nach den Schichten, in denen sie heimisch waren. Andererseits aber (und hauptsächlich) je nach Art des Heils, das sie den verschiedenen Schichten ihrer Anhänger spendeten. Die erste Erscheinung fand sich teils so, daß einer, jede Erlösungsreligiosität schroff ablehnenden, sozialen Oberschicht volkstümliche Soteriologien in den Massen gegenüberstanden: den Typus dafür gab China ab. Teils so, daß verschiedene soziale Schichten verschiedene Formen der Soteriologie pflegten. Diese Erscheinung ist dann in den meisten Fällen, nämlich in allen denen, wo sie nicht zu sozial geschichteten Sekten führte, mit der zweiten identisch: Die gleiche Religion spendet verschiedene Arten von Heilsgütern und nach diesen ist die Nachfrage in den verschiedenen sozialen Schichten verschieden stark. Mit ganz wenigen Ausnahmen kannten die asiatischen Soteriologien Verheißungen, die nur den exemplarisch, meist: mönchisch, Lebenden zugänglich waren, und andre, die für die Laien galten. Fast ausnahmslos alle Soteriologien indischen Ursprungs haben diesen Typus. Die Gründe beider Erscheinungen waren gleichartige. Vor allem zwei untereinander eng verknüpfte. Einmal die Kluft, welche den literarisch 'Gebildeten' von der aliterarischen Masse der Banausen abhob. Dann die damit zusammenhängende, allen Philosophien und Soteriologien Asiens schließlich gemeinsame Voraussetzung: daß Wissen, sei es literarisches Wissen oder mystische Gnosis, letztlich der eine absolute Weg zum höchsten Heil im Diesseits und Jenseits sei. Ein Wissen, wohlgemerkt, nicht von den Dingen dieser Welt, vom Alltag der Natur und des sozialen Lebens und den Gesetzen, die beide beherrschen. Sondern ein philosophisches Wissen vom 'Sinn' der Welt und des Lebens. Ein solches Wissen kann mit den Mitteln empirischer occidentaler Wissenschaft selbstverständlich nie ersetzt werden und soll auch von ihr, ihrem eigensten Zweck nach, gar nicht erstrebt werden. Es liegt jenseits ihrer. Asien, und das heißt wiederum: Indien, ist das typische Land des intellektuellen Ringens einzig und allein nach 'Weltanschauung' in diesem eigentlichen Sinn des Worts: nach einem 'Sinn' des Lebens in der Welt. Es kann hier versichert werden – und angesichts der Unvollständigkeit der Darstellung muß es bei dieser nicht voll bewiesenen Versicherung freilich sein Bewenden haben: daß es auf dem Gebiet des Denkens über den 'Sinn' der Welt und des Lebens durchaus nichts gibt, was nicht, in irgendeiner Form, in Asien schon gedacht worden wäre. Jenes, nach der Natur seines eigenen Sinnes unvermeidlich und in aller Regel auch tatsächlich den Charakter der Gnosis an sich tragende Wissen, welches das asiatische Denken erstrebte, galt, aller genuin asiatischen und das heißt: indischen, Soteriologie als der einzige Weg zum höchsten Heil, zugleich aber als der einzige Weg zum richtigen Handeln. Nirgends ist daher der allem Intellektualismus naheliegende Satz so selbstverständlich gewesen: daß die Tugend 'lehrbar' sei, und daß das richtige Erkennen richtiges Handeln zur ganz unfehlbaren Folge habe. Selbst in den volkstümlichen Legenden z.B. des Mahayanismus, welche für die bildende Kunst etwa die Rolle unserer biblischen Geschichten spielten, ist es überall die ganz selbstverständliche Voraussetzung. Nur Wissen gibt – je nachdem – ethische oder magische Macht über sich selbst oder über andere. Durchweg ist jene 'Lehre' und dies 'Erkennen' des zu Wissenden nicht ein rationales Darbieten und Erlernen empirisch-wissenschaftlicher Kenntnisse, welche die rationale Beherrschung der Natur und der Menschen ermöglichen, wie im Occident. Sondern es ist das Mittel mystischer und magischer Herrschaft über sich und die Welt: Gnosis. Sie will durch ein intensivstes Training des Körpers und Geistes: entweder durch die Askese, oder, und zwar regelmäßig, durch angestrengte methodisch geregelte Meditation errungen werden. Daß das Wissen, der Sache nach, mystischen Charakters blieb, hatte zwei wichtige Folgen. Einmal den Heilsaristokratismus der Soteriologie. Denn die Fähigkeit mystischer Gnosis ist ein Charisma und bei weitem nicht jedem zugänglich. Dann aber und damit zusammenhängend den asozialen und apolitischen Charakter. Die mystische Erkenntnis ist nicht, mindestens nicht adäquat und rational, kommunikabel. Die asiatische Soteriologie führt den das höchste Heil Suchenden stets in ein hinterweltliches Reich rational ungeformten und eben wegen dieser Ungeformtheit göttlichen Schauens, Habens, Besitzens, Besessenseins von einer Seligkeit, die nicht von dieser Welt ist und doch in diesem Leben durch die Gnosis errungen werden kann und soll. Sie wird bei allen höchsten Formen des asiatischen mystischen Schauens als 'Leere': – von der Welt und dem was sie bewegt nämlich – erlebt. Dies entspricht ja dem normalen Sinncharakter der Mystik durchaus, ist nur in Asien in seine letzten Konsequenzen gesteigert. Die Entwertung der Welt und ihres Treibens ist schon rein psychologisch die unvermeidliche Folge dieses, an sich rational nicht weiter deutbaren, Sinngehalts des mystischen Heilsbesitzes. Rational ausgedeutet wird dieser mystisch erlebte Heilszustand als: der Gegensatz der Ruhe zur Unrast. Die erste ist das Göttliche, die letzte das spezifisch Kreatürliche, daher letztlich entweder geradezu Scheinhafte, oder doch soteriologisch Wertlose, zeitlich-räumlich Gebundene und Vergängliche. Ihre rationalste und deshalb in Asien fast universell zur Herrschaft gelangte Ausdeutung erfuhr diese erlebnismäßig bedingte innere Stellungnahme zur Welt durch die indische Samsara- und Karman-Lehre. Dadurch gewann die soteriologisch entwertete Welt des realen Lebens einen relativen rationalen Sinn. In ihr herrscht – nach den rational höchstentwickelten Vorstellungen – das Gesetz des Determinismus. In der äußeren Natur, nach der namentlich in Japan entwickelten mahayanistischen Lehre, die strenge Kausalität in unserem Sinn. In den Schicksalen der Seele der ethische Vergeltungsdeterminismus des Karman. Aus ihnen gibt es kein Entrinnen außer in der Flucht, durch die Mittel der Gnosis, in jenes hinterweltliche Reich, mag das Schicksal der Seele dabei nun einfach als ein 'Verwehen' oder als ein Zustand ewiger individueller Ruhe nach Art des traumlosen Schlafes, oder als ein Zustand ewiger ruhiger Gefühlsseligkeit im Anschauen des Göttlichen, oder als ein Aufgehen im göttlichen Alleinen gefaßt werden. Die Vorstellung jedenfalls, daß vergängliche Taten eines vergänglichen Wesens auf dieser Erde 'ewige' Strafen oder Belohnungen im 'Jenseits' zur Folge haben könnten, und zwar kraft Verfügung eines zugleich allmächtigen und gütigen Gottes, ist allem genuin asiatischen Denken absurd und geistig subaltern erschienen und wird ihm immer so erscheinen. Damit fiel aber der gewaltige Akzent, welchen, wie schon einmal gesagt, die occidentale Jenseitslehre soteriologisch auf die kurze Spanne dieses Lebens setzte, hinweg. Die Weltindifferenz war die gegebene Haltung, mochte sie nun die Form der äußerlichen Weltflucht annehmen oder die des zwar innerweltlichen, aber dabei weltindifferenten Handelns: einer Bewährung also gegen die Welt und das eigene Tun, nicht in und durch beides. Ob das höchste Göttliche persönlich oder, wie naturgemäß in der Regel, unpersönlich vorgestellt war, machte – und dies ist für uns nicht ohne Wichtigkeit – einen graduellen, nicht einen prinzipiellen Unterschied und selbst die selten, aber doch gelegentlich, vorkommende Ueberweltlichkeit eines persönlichen Gottes war nicht durchschlagend. Entscheidend war die Natur des erstrebten Heilsguts. Diese aber wurde letztlich determiniert dadurch, daß eine dem Denken über den Sinn der Welt um seiner selbst willen nachgehende Literatenschicht der Träger der Soteriologie war… Die Lage des aliterarischen 'Mittelstandes' in Asien, der Kaufleute und der zu den Mittelstandsschichten gehörigen Teile des Handwerks, war infolge der Eigenart der asiatischen Soteriologie eine eigentümlich von occidentalen Verhältnissen abweichende. Ihre obersten Schichten haben die rationale Durchbildung der Intellektuellen-Soteriologien teilweise mitgetragen, namentlich soweit diese negativ die Ablehnung des Ritualismus und Buchwissens, positiv die alleinige Bedeutung des persönlichen Erlösungsstrebens propagierten. Allein der doch schließlich gnostische und mystische Charakter dieser Soteriologien bot keine Grundlage für eine Entwicklung der ihnen adäquaten methodisch rationalen innerweltlichen Lebensführung dar. Sie sind daher, soweit ihre Religiosität unter dem Einfluß der Erlösungslehren sublimiert wurde, Träger der Heilandsreligiosität in ihren verschiedenen Formen geworden. Auch hier wirkte aber der penetrant gnostische und mystische Charakter aller asiatischen Intellektuellensoteriologie und die innere Verwandtschaft von Gottinnigkeit, Gottesbesitz und Gottesbesessenheit, von Mystiker und Magier entscheidend ein. Ueberall in Asien, wo sie nicht, wie in China und Japan, gewaltsam niedergehalten wurde, nahm die Heilandsreligiosität die Form der Hagiolatrie an und zwar der Hagiolatrie lebender Heilande: der Gurus und der ihnen gleichartigen, sei es mehr mystagogischen, sei es mehr magischen Gnadenspender. Dies gab der Religiosität des aliterarischen Mittelstandes das entscheidende Gepräge. Die oft absolut schrankenlose Gewalt dieser, meist erblichen, Charismaträger ist nur in China und Japan, aus politischen Gründen und mit Gewalt, ziemlich weitgehend gebrochen worden, in China zugunsten der Obedienz gegenüber der politischen Literatenschicht, in Japan zugunsten einer Schwächung des Prestiges aller klerikalen und magischen Mächte überhaupt. Sonst ist es in Asien überall jene charismatische Schicht gewesen, welche die praktische Lebensführung der Massen bestimmte und ihnen magisches Heil spendete: die Hingabe an den 'lebenden Heiland' war der charakteristische Typus der asiatischen Frömmigkeit. Neben der Ungebrochenheit der Magie überhaupt und der Gewalt der Sippe war diese Ungebrochenheit des Charisma in seiner ältesten Auffassung: als einer rein magischen Gewalt, der typische Zug der asiatischen sozialen Ordnung. Es ist den vornehmen politischen oder hierokratischen Literatenschichten zwar im allgemeinen gelungen, die massive Orgiastik zur Heilandsminne, Andacht oder zur hagiolatrischen Formalistik und Ritualistik zu sublimieren oder zu denaturieren, – übrigens mit verschieden vollständigem Erfolg, am meisten in China, Japan, Tibet, dem buddhistischen Hinterindien, am wenigsten in Vorderindien. Aber die Herrschaft der Magie zu brechen hat sie nur gelegentlich und nur mit kurzfristigem Erfolg überhaupt beabsichtigt und versucht. Nicht das 'Wunder', sondern der 'Zauber' blieb daher die Kernsubstanz der Massenreligiosität, vor allem der Bauern und der Arbeiterschaft, aber auch des Mittelstands. Beides – Wunder und Zauber – ist dem Sinn nach zweierlei. Man kann sich davon leicht beim Vergleich etwa occidentaler und asiatischer Legenden überzeugen. Beide können einander sehr ähnlich sehen und namentlich die altbuddhistischen und die chinesisch überarbeiteten Legenden stehen den occidentalen zuweilen auch innerlich nahe. Aber der beiderseitige Durchschnitt zeigt den Gegensatz. Das 'Wunder' wird seinem Sinn nach stets als Akt einer irgendwie rationalen Weltlenkung, einer göttlichen Gnadenspendung, angesehen werden und pflegt daher innerlich motivierter zu sein als der 'Zauber', der sei nem Sinn nach dadurch entsteht, daß die ganze Welt von magischen Potenzen irrationaler Wirkungsart erfüllt ist und daß diese in charismatisch qualifizierten, aber nach ihrer eigenen freien Willkür handelnden Wesen, Menschen oder Uebermenschen, durch asketische oder kontemplative Leistungen aufgespeichert sind. Das Rosenwunder der heiligen Elisabeth erscheint uns sinnvoll. Die Universalität des Zaubers dagegen durchbricht jeden Sinnzusammenhang der Geschehnisse. Man kann gerade in den typischen durchschnittlichen asiatischen Legenden, etwa der Mahayanisten, diesen innerweltlichen Deus ex machina in der scheinbar unverständlichsten Art mit dem ganz entgegengesetzten, ebenso tief unkünstlerischen, weil rationalistischen Bedürfnis, irgendwelche ganz gleichgültigen Einzelheiten des legendenhaften Geschehnisses möglichst nüchtern historisch zu motivieren, ineinandergreifen sehen. So ist denn der alte Schatz der indischen Märchen, Fabeln und Legenden, die geschichtliche Quelle der Fabelliteratur der ganzen Welt, durch diese Religiosität der zaubernden Heilande später in eine Art von Kunstliteratur absolut unkünstlerischen Charakters umgestaltet worden, deren Bedeutung für ihr Lesepublikum etwa der Emotion durch die populären Ritterromane, gegen welche Cervantes zu Felde zog, entspricht… Im Occident ist das Entstehen der rationalen innerweltlichen Ethik an das Auftreten von Denkern und Propheten geknüpft, die, wie wir sehen werden, auf dem Boden politischer Probleme eines sozialen Gebildes erwuchsen, welches der asiatischen Kultur fremd war: des politischen Bürgerstandes der Stadt, ohne die weder das Judentum noch das Christentum noch die Entwicklung des hellenischen Denkens vorstellbar sind. Die Entstehung der 'Stadt' in diesem Sinn aber war in Asien teils durch die erhaltene Ungebrochenheit der Sippenmacht, teils durch die Kastenfremdheit gehemmt. Die Interessen des asiatischen Intellektuellentums, soweit sie über den Alltag hinausgingen, lagen meist in anderer als in politischer Richtung. Selbst der politische Intellektuelle: der Konfuzianer, war mehr ästhetisch kultivierter Schriftgelehrter und allenfalls Konversations-(also in diesem Sinn: Salon-)Mensch als Politiker. Politik und Verwaltung war nur seine Pfründnernahrung, die er im übrigen praktisch durch subalterne Helfer besorgen ließ. Der orthodoxe oder heterodoxe, hinduistische und buddhistische Gebildete dagegen fand seine wahre Interessensphäre ganz außerhalb der Dinge dieser Welt: in der Suche nach dem mystischen, zeitlosen Heil der Seele und dem Entrinnen aus dem sinnlosen Mechanismus des 'Rades' des Daseins. Um darin ungestört zu sein, mied der hinduistische, um die Feinheit der ästhetischen Geste sich nicht vergröbern zu lassen, mied der konfuzianische Gentleman die nähere Gemeinschaft mit dem westländischen Barbaren. Es schied ihn von diesem die nach seinem Eindruck strotzende, aber ungebändigte und unsublimierte Ungehemmtheit der Leidenschaften und der Mangel an Scheu, mit welchem ihm gestattet wurde, sich in Lebensführung, Geste, Ausdruck zu entblößen: die in diesem Sinne fehlende Herrschaft über sich selbst. Nur hatte die spezifisch asiatische 'Beherrschung' seiner selbst wiederum ihr eigentümliche Züge, welche vom Occidentalen im ganzen als rein 'negativ' gewertet werden mußten. Denn auf welchen Mittelpunkt war jene stets wache Selbstbeherrschung, welche alle asiatischen Lebensmethodiken ohne alle Ausnahme dem Intellektuellen, Gebildeten, Heilssucher vorschrieben, letztlich gerichtet? Was war der letzte Inhalt jener konzentriert angespannten 'Meditation' oder jenes lebenslangen literarischen Studiums, welche sie, wenigstens wo sie den Charakter des Vollendungs-Strebens annahmen, als höchstes Gut gegen jene Störungen von außen gewahrt wissen wollten? Das taoistische Wu wei, die hinduistische 'Entleerung' von Weltbeziehungen und Weltsorgen, und die konfuzianische 'Distanz' von den Geistern und der Befassung mit fruchtlosen Problemen lagen darin auf der gleichen Linie. Das occidentale Ideal der aktiv handelnden, dabei aber auf ein, sei es jenseitig religiöses, sei es innerweltliches, Zentrum bezogenen 'Persönlichkeit' würden alle asiatischen höchstentwickelten Intellektu ellensoteriologien entweder als in sich letztlich widerspruchsvoll oder als banausisch fachmäßig vereinseitigt, oder als barbarische Lebensgier ablehnen. Wo es nicht die Schönheit der traditionellen und durch das Raffinement des Salons sublimierten Geste rein als solche ist, wie im Konfuzianismus, da ist es das hinterweltliche Reich der Erlösung vom Vergänglichen, wohin alle höchsten Interessen weisen und von wo aus die 'Persönlichkeit' ihre Würde empfängt. In den höchsten, nicht nur den orthodox buddhistischen, Konzeptionen heißt dies 'Nirwana'. Zwar nicht sprachlich, wohl aber sachlich, wäre es ganz unbedenklich, dies, wie es populär oft geschah, mit 'Nichts' zu übersetzen. Denn unter dem Aspekt der 'Welt' und von ihr aus gesehen, wollte es ja in der Tat nichts anderes sein. Freilich: vom Standpunkt der Heilslehre aus ist der Heilszustand meist anders und sehr positiv zu prädizieren. Aber es darf schließlich doch nicht vergessen werden: daß das Streben des typisch asiatischen Heiligen auf »Entleerung« ging, und daß jener positive Heilszustand der unaussagbaren todentronnenen diesseitigen Seligkeit als positives Komplement des Gelingens zunächst nur erwartet wurde. Aber nicht immer auch erreicht. Im Gegenteil: ihn wirklich, als Besitz des Göttlichen, haben zu können, war das hohe Charisma der Begnadeten. Wie stand es aber mit dem großen Haufen, der ihn nicht erreichte? Nun, bei ihnen war eben in einem eigentümlichen Sinn 'das Ziel Nichts, die Bewegung Alles': – eine Bewegung in der Richtung der 'Entleerung'. Der Asiate, gerade der ganz- oder halbintellektuelle Asiate macht dem Occidentalen leicht den Eindruck des 'Rätselhaften' und 'Geheimnisvollen'. Man sucht dem vermuteten Geheimnis durch 'Psychologie' beizukommen. Ohne nun natürlich irgendwie zu leugnen, daß psychische und physische Unterschiede der Disposition bestehen: – übrigens sicher nicht größere, als zwischen Hindus und Mongolen, die dennoch beide der gleichen Soteriologie zugänglich gewesen sind, – muß doch betont werden, daß dies nicht der primäre Weg zum Verständnis ist. Durch Erziehung eingeprägte und durch die objektive Lage aufgezwungene Interessenrichtungen, nicht 'Gefühlsgehalte', sind das zunächst Greifbare. Das für den Occidentalen vornehmlich Irrationale am Verhalten des Asiaten war und ist durch zeremonielle und rituelle Gepflogenheiten bedingt, deren 'Sinn' er nicht versteht, – wie übrigens, bei uns ebenso wie in Asien, der ursprüngliche Sinn solcher Sitten dem, der in ihnen aufgewachsen ist, selbst oft nicht mehr klar zu sein pflegt. Darüber hinaus pflegt die reservierte würdevolle Contenance und das höchst bedeutsam erscheinende Schweigen des asiatischen Intellektuellen die occidentale Neugier zu foltern. Bezüglich dessen aber, was letztlich hinter diesem Schweigen an Inhalten steht, wird es vielleicht oft gut sein, sich eines naheliegenden Vorurteils zu entschlagen. Wir stehen vor dem Kosmos der Natur und meinen: sie müsse doch, sei es dem sie analysierenden Denker, sei es dem auf ihr Gesamtbild schauenden und von ihrer Schönheit ergriffenen Betrachter, irgendein 'letztes Wort' über ihren 'Sinn' zu sagen haben. Das Fatale ist – wie schon W. Dilthey gelegentlich bemerkt hat –, daß eben die 'Natur' ein solches 'letztes Wort' entweder nicht zu verraten hat oder dazu sich nicht in der Lage sieht. Aehnlich steht es recht oft mit dem Glauben, daß, wer geschmackvoll schweigt, wohl viel zu verschweigen haben müsse. Das ist aber nicht der Fall, beim Asiaten so wenig wie sonst, so gewiß es wahr ist, daß die soteriologischen Produkte der asiatischen Literatur die meisten auf diesem eigenartigen Gebiet auftauchenden Probleme weit rücksichtsloser durchgearbeitet haben, als dies der Occident getan hat. – Das Ausbleiben des ökonomischen Rationalismus und der rationalen Lebensmethodik überhaupt in Asien ist, soweit dabei andere als geistesgeschichtliche Ursachen mitspielen, vorwiegend bedingt durch den kontinentalen Charakter der sozialen Gebilde, wie ihn die geographische Struktur hervorbrachte… Die asiatischen Völker haben sich überwiegend auf den Standpunkt des Ausschlusses oder der äußersten Beschränkung des Fremdhandels gestellt. So, bis zur gewaltsamen Oeffnung, China, Japan, Korea, noch jetzt Tibet, in wesentlich minderem, aber doch fühlbarem Maße auch die meisten indischen Gebiete. Bedingt war die Einschränkung des Fremdhandels in China und Korea durch den Prozeß der Verpfründung, welche automatisch zur traditionalistischen Stabilität der Wirtschaft führte. Jede Verschiebung konnte Einnahme-Interessen eines Mandarinen gefährden. In Japan wirkte das Interesse des Feudalismus an der Stabilisierung der Wirtschaft ähnlich. Ferner – und dies galt ebenso für Tibet – wirkten dahin rituelle Gründe: das Betreten heiliger Stätten durch Fremde beunruhigte die Geister und konnte magische Uebel zur Folge haben: die Reiseschilderungen lassen (namentlich für Korea) erkennen, wie die Bevölkerung beim Erscheinen von Europäern an den heiligen Stätten von wahnsinniger Angst vor dessen Folgen ergriffen zu werden pflegte. In Indien – dem Gebiet geringster Abgeschlossenheit – haben doch die zunehmend wirksame rituelle Verdächtigkeit des Reisens, zumal im rituell unreinen Barbarengebiete, gegen den Aktivhandel, politische Bedenken für möglichste Einschränkung der Fremdenzulassung gewirkt. Politische Bedenken waren in allen übrigen, besonders aber den ostasiatischen Gebieten, auch der letzte entscheidende Grund, weshalb die politischen Gewalten der rituellen Fremdenfurcht freie Bahn ließen. Hat nun diese strenge Klausur der einheimischen Kultur so etwas wie ein 'Nationalgefühl' entstehen lassen? Die Frage muß verneint werden. Die Eigenart der asiatischen Intellektuellenschichten hat im wesentlichen verhindert, daß 'nationale' politische Gebilde auch nur von der Art entstanden, wie sie immerhin schon seit der Spätzeit des Mittelalters im Occident sich entwickelten, – wenn auch die volle Konzeption der Idee der Nation auch bei uns erst von den modernen occidentalen Intellektuellenschichten entfaltet worden ist. Den asiatischen Kulturgebieten fehlte (im wesentlichen) die Sprachgemeinschaft. Die Kultursprache war eine Sakralsprache oder eine Sprache der Literaten: Sanskrit im Gebiet des vornehmen Indertums, die chinesische Mandarinensprache in China, Korea, Japan. Teils entsprechen diese Sprachen in ihrer Stellung dem Lateinischen des Mittelalters, teils dem Hellenischen der orientalischen Spätantike oder dem Arabischen der islamischen Welt, teils dem Kirchenslavischen und Hebräischen in den betreffenden Kulturgebieten… In China aber war die Kluft, welche die konfuzianische ästhetische Schriftkultur von allem Volkstümlichen trennte, so ungeheuer, daß hier lediglich eine bildungsständische Gemeinschaft der Literatenschicht bestand und das Bewußtsein einer Gemeinsamkeit im übrigen nur soweit reichte, wie ihr unmittelbarer, freilich nicht geringer Einfluß: Das Imperium war, sahen wir, im Grunde genommen ein Bundesstaat der Provinzen, zu einer Einheit verschmolzen nur durch den obrigkeitlichen periodischen Austausch der überall in ihren Amtsbezirken landfremden hohen Mandarinen. Immerhin war in China doch, wie in Japan, eine den rein politischen Interessen zugewendete und dabei literarische Schicht vorhanden. Eben diese fehlte aber in ganz Asien, wohin immer die spezifisch indische Soteriologie ihren Fuß setzte, – außer wo sie, wie in Tibet, als Klostergrundherrenschicht über der Masse schwebte, eben deshalb aber 'nationale' Beziehungen zu ihr nicht hatte. Die asiatischen Bildungsschichten blieben mit ihren eigensten Interessen ganz 'unter sich'… |
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3 | 1921 |
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