Weber, Max. Schriften zur Religionssoziologie : Hinduismus und Buddhismus : Sekundärliteratur
Max Webers Studie über Hinduismus und Buddhismus. Hrsg. von Wolfgang Schluchter (1984) [ID D19000].
Wolfgang Schluchter : Während Max Weber in erster Linie weltbejahende, weltanpassende Haltungen diagnostgizierte, stösst er, zumindest ei bestimmten Gruppen religiöser Virtuosen, auf eine Haltung religiös motivierter Weltablehnung. Sie ist teilweise so radikal, dass ihr in dieser Hinsicht nur ganz wenige der erlösungsreligiösen Strömungen des vorderasiatischen Orients und Okzidents gleichkommen. Er schickt seiner Abhandlung eine Studie voraus, in der er die möglichen Spannungen und Konflikte zwischen Erlösungsreligion und Welt aufzeigt. Sie sind dort besonders gross, wo Erlösungslehren wie in Indien ihre Voraussetzungen konsequent entwickeln und handlungsirksam umsetzen. Spannungen und Konflikte verlangen Lösungen. Er stellt sich die Frage, wie stark eine religiös motivierte weltablehnende Haltung ausgeprägt ist und welche Konsequenz sie für die nichtreligiösen Lebensordnungen, insbesondere für die wirtschaftliche Lebensordnung hat.
Im Mittelpunkt steht zunächst die 'orthodoxe' Lösung. Weber sieht sie in der Verbindung von Brahmanismus und Kastenordnung. Während in China Konfuzianismus und patrimonialstaatliche Ordnung eine Wahlverwandtschaft eingingen.
Webers Interesse stösst auf die 'heterodoxen' Lösungen des indischen Mönchtums, vor allem auf den alten Buddhismus. Er leugnet radikal die Heilsbedeutung des gängigen innerweltlichen Handelns. Doch dies führt ihn in der Praxis nicht zu aktiver Weltgestaltung, sondern zu passiver Weltflucht. Mit der Ausbreitung des Buddhismus wird diese Haltung zwar modifiziert, doch kommt es gleichzeitig zu Veränderungen seiner inneren Struktur.
Heinz Bechert : Nach Webers These ist der ursprüngliche Buddhismus eine 'ganz spezifische vornehme Intellektuellensoteriologie', eine 'spezifisch unpolitische und antipolitische Standesreligion oder eine religiöse Kunstlehre eines wandernden, intellektuell geschulten Bettelmönchtums'.
Weber folgerte aus den ihm zur Verfügung stehenden Darstellungen des frühen Buddhismus zu Recht, dass 'das Wissen um die eigene endgültige Erlösung nicht durch Bewährung in irgendwelchem – innerweltlichen oder ausserweltlichen – Handeln, in Werten welcher Art immer, sondern im Gegenteil in einer aktivitätsfremden Zuständlichkeit gesucht’ wird'. Daher gebe es 'keine Brücke' vom Ideal des Erlösten zur 'Welt rationalen Handelns'. Zwar werden Laien für das getreue Einhalten der Gebote der Laiensittlichkeit innerweltliche Güter, auch Reichtum, in Aussicht gestellt, aber diese Laienethik sei nur eine Art 'Unzulänglichkeitsethik der Schwachen, welche die volle Erlösung nicht suchen wollen'.
Weber bestreitet, dass der Buddha ein sozialpolitisches Ziel aufgestellt habe, wie es manche moderne Interpreten der buddhistischen Texte behaupten ; der ursprüngliche Buddhismus sei ein 'Erzeugnis stark positiv privilegierter Schichten' gewesen und habe niemals versucht, die soziale Ordnung innerhalb der Welt zu ändern, er habe auch eine 'rationale Wirtschaftsethik' nicht entwickeln können. Da für den Buddha die Ursache des Leidens, das es zu überwinden gilt, in der Natur der Welt selbst liegt hätten derartige Zielsetzungen gar keinen Sinn für das einzig wichtige Ziel, nämlich die Erlösung aus der Welt.
Webers Ausführungen über die spätere Geschichte des Buddhismus ist viel problematischer, als seine These zur alten Buddha-Lehre. Das ihm zur Verfügung stehende historische Informationsmaterial war nämlich widersprüchlich, ja oft fehlerhaft.
Shmuel N. Eisenstadt : Einerseits rechnet Weber China zu den Zivilisationen, in denen eine Rationalisierung religiöser Orientierungen stattfang, andererseits leugnet er die Existenz starker transzendent begründeter Spannungen oder Orientierungen in China, die doch, nach seiner eigenen Auffassung, als erste den Anstoss zur Rationalisierungen geben. Er betont auf der einen Seite die Ablehnung der profanen Welt, die im Hinduismus und Buddhismus mit den ausserweltichen Orientierungen einhergeht, auf der anderen Seite erkennt er implizit die Träger dieser Orientierungen als Schöpfer von Zivilisationen an. Explizit allerdings interpretiert er die Weltablehnung dieser Schichten so, als ob sie keinen Einfluss auf die profane Welt genommen hätten. Somit sieht er ihre Haltung als ein Hindernis für die Entwicklung von starken gegen die Tradition gerichteten Rationalisierungstendenzen in der weltlichen Sphäre an. Aber diese Auffassung steht im Widerspruch dazu, dass Weber Hinduismus und Buddhismus zu den grossen Weltreligionen zählt, d.h. zu jenen Religionen, die mittels Rationalisierung die grossen Weltkulturen formten.
Die vielen verschiedenen politischen Strukturen, Stammesgemeinschaften, Patrimonial- und Stadtstaaten, die sich im Bereich der indischen und buddhistischen Zivilisationen entwickelt haben, ähneln in vielen Zügen den politischen Strukturen in solchen Gesellschaften, die nicht zur Achsenzeit zählen. Dasselbe gilt für die vielfältigen Technologien und wirtschaftlichen Produktionsweisen, sowie für die soziale Hierarchisierung zumindest auf der unteren, lokalen Ebene.
Im Buddhismus blieb die Umwertung politischer, ökonomischer und lokaler Statusmerkmale auf die symbolische Ebene beschränkt. Dies betraf die Prinzipien der Hierarchisierung : Die verwandschaftlichen, lokalen, trritorialen und ethnischen Gruppen wurden ausgeweitet, und es entstanden neue Pflichten zwischen den verschiedenen Statusgruppen, besonders zwischen den religiösen und den 'weltlichen'.
Die Bedeutung der Heterodoxien und Sekten blieb nicht auf die religiöse Sphäre beschränkt. Sie verbanden sich vielmehr auch mit sozialen und politischen Protestbewegungen. Die Auswirkungen der Sektenbewegungen auf die institutionelle Struktur und der Kristallisationsgrad der Heterodoxien waren verschieden, je nachdem, wie die Spannung zwischen transzendenter und weltlicher Ordnung gelöst wurde, ob ausserweltlich, wie im Hinduismus oder Buddhismus, innerweltlich wie in China, oder in einer Kombination dieser beiden Orientierungen, wie in den monotheistischen Kulturen.
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