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1920.3

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Weber, Max. Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen : Konfuzianismus und Taoismus
Soziologische Grundlagen
D. Selbstverwaltung, Recht und Kapitalismus.

Auszüge.
In der Zeit der Konkurrenz der Einzelstaaten um die politische Macht scheint wohl der in Patrimonialstaaten übliche politisch bedingte Kapitalismus der Geldgeber und Lieferanten der Fürsten hier wie überall unter gleichen Umständen erhebliche Bedeutung gehabt und mit hohen Profitraten gearbeitet zu haben. Daneben werden Bergwerke und Handel als Quellen der Vermögensakkumulation angeführt. Unter der Han-Dynastie soll es, in Kupfer gerechnet, Multimillionäre gegeben haben. Aber die politische Vereinheitlichung zum Weltreich hat hier, wie im kaiserlich römischen geeinigten orbis terrarum, offenbar einen Rückgang dieses ganz wesentlich am Staat und seiner Konkurrenz mit anderen Staaten verankerten Kapitalismus zur Folge gehabt… Die alte klassische Hochwertung des Ackerbaues als des eigentlich heiligen Berufs hinderte daher nicht, daß schon im 1. Jahrhundert v. Chr. (ähnlich wie im Talmud) die Gewinnchancen des Gewerbes höher als die der Landwirtschaft und die des Handels am höchsten eingeschätzt wurden.
Aber das bedeutete keinen Ansatz zur Entwicklung eines modernen Kapitalismus. Gerade jene charakteristischen Institutionen, welche schon das in den mittelalterlichen Städten des Okzidents aufblühende Bürgertum entwickelte, fehlten bis in die Gegenwart entweder ganz oder zeigten eine sehr charakteristisch verschiedene Physiognomie. Es fehlten in China die Rechtsformen und auch die soziologischen Unterlagen des kapitalistischen 'Betriebs' mit seiner rationalen Versachlichung der Wirtschaft, wie sie in dem Handelsrecht der italienischen Städte schon früh in unverkennbaren Ansätzen vorhanden waren…
Es hatte sich auf der Basis der politischen Besitzakkumulation ein, wenn auch labiles, Patriziat und ein Bodenmagnatentum mit Parzellenverpachtung entwickelt, welches weder feudales noch bürgerliches Gepräge trug, sondern auf Chancen rein politischer Aemterausbeutung spekulierte. Es war also, wie in Patrimonialstaaten typisch, nicht vorwiegend rationaler ökonomischer Erwerb, sondern, – neben dem Handel, der gleichfalls zu Anlage von Gelderwerb in Land führte, – vor allem innenpolitischer Beutekapitalismus, der die Vermögens-, insbesondere auch die Boden-Akkumulation beherrschte…
In China war die im okzidentalen Mittelalter schon so gut wie völlig erloschene Bedeutung der Sippe sowohl für die lokale Verwaltung der kleinsten Einheiten wie für die Art der ökonomischen Assoziation vollkommen erhalten geblieben und hatte sich sogar in einem Maß entwickelt, wie es anderwärts, auch in Indien, unbekannt geblieben ist. Die patrimoniale Regierung von oben her stieß mit den als Gegengewicht gegen sie fest ausgestalteten Organisationen der Sippen von unten her zusammen. Ein sehr bedeutender Bruchteil aller politisch gefährlichen »geheimen Gesellschaften« bestand bis in die Gegenwart aus Sippen. Die Dörfer hießen vielfach nach dem Namen einer Sippe, welche in ihnen ausschließlich oder vorwiegend vertreten war. Oder sie waren Sippenkonföderationen. Die alten Grenzsteine zeigen, daß das Land nicht Einzelnen, sondern den Sippen zugeteilt war und die Sippenkommunion erhielt diesen Zustand in ziemlich weitem Umfang aufrecht. Aus der an Zahl mächtigsten Sippe wählte man den – oft besoldeten – Dorfvorstand. 'Aelteste' (der Sippen) standen ihm zur Seite und beanspruchten das Recht der Absetzung. Die einzelne Sippe aber, von der jetzt zunächst zu reden ist, beanspruchte als solche selbständig die Macht, ihr Mitglied zu strafen und setzte dies durch, so wenig die moderne Staatsgewalt es offiziell anerkannte.
Der Zusammenhalt der Sippe und seine Bewahrung – trotz der rücksichtslosen Eingriffe der Patrimonialverwaltung mit ihren mechanisch konstruierten Haftungsverbänden, ihren Umsiedelungen, Bodenumteilungen und Gliederungen der Bevölkerung nach ting: arbeitsfähigen Individuen, – beruhte zweifellos ganz und gar auf der Bedeutung des Ahnenkults als des einzigen nicht durch die cäsaropapistische Regierung und ihre Beamten, sondern durch den Hausvorstand als Hauspriester, unter Assistenz der Familie besorgten, aber unzweifelhaft klassischen und uralten 'Volkskults'. Schon im 'Männerhaus' der militaristischen Urzeit scheinen die Ahnengeister eine Rolle gespielt zu haben… In historischer Zeit war von jeher der Glaube an die Macht der Ahnengeister, nicht nur der eignen, aber vor allem der eignen, an ihre rituell und literarisch bezeugte Vermittler-Rolle für Wünsche der Nachfahren beim Himmelsgeist oder -Gott, an die unbedingte Notwendigkeit, sie durch Opfer zu befriedigen und günstig zu stimmen, der schlechthin grundlegende Glaube des chinesischen Volks. Die Ahnengeister der Kaiser waren die nahezu gleichgeordneten Gefolgschaft des Himmelsgeistes. Ein Chinese, der keinen männlichen Nachfahren hatte, mußte unbedingt zur Adoption schreiten, und wenn er dies unterließ, so nahm die Familie eine posthume fiktive Adoption für ihn vor, – weniger in seinem, als in ihrem eignen Interesse: um Ruhe vor seinem Geist zu haben. Die soziale Wirkung dieser alles beherrschenden Vorstellungen liegt klar zutage. Zunächst die ungeheure Stärkung der patriarchalen Gewalt. Dann aber der Zusammenhalt der Sippe als solcher…
Im Prinzip jede Sippe hatte (und zwar bis in die Gegenwart hinein) ihre Ahnenhalle im Dorf. Außer den Kultparamenten enthielt sie oft eine Tafel der von der Sippe anerkannten 'Moralgesetze'. Denn das Recht, sich selbst Statuten zu geben, war für die Sippe faktisch nie bezweifelt und wirkte nicht nur praeter, sondern – sogar in Ritualfragen – unter Umständen auch contra legem. Die Sippe stand nach außen solidarisch zusammen. Existierte auch, außerhalb des Kriminalrechts, wie erwähnt, Solidarhaft nicht, so pflegte sie doch, wenn möglich, die Schulden eines Mitglieds zu ordnen. Unter Vorsitz des Aeltesten verhängte sie nicht nur Prügel und Exkommunikation – welche bürgerlichen Tod bedeutete – sondern, wie der russische Mir, auch Strafexil… Eine klar geregelte Nothilfepflicht und Kreditbeihilfe war primär nur innerhalb der Sippe gegeben. Die Sippe führte nötigenfalls Fehden nach außen: die rücksichtslose Tapferkeit hier, wo es sich um persönliche Interessen und persönliche Verbundenheit handelte, kontrastierte auf das augenfälligste mit der vielberufenen 'Feigheit' der aus gepreßten Rekruten oder aus Söldnern bestehenden Heere der Regierung. Die Sippe sorgte nötigenfalls für Medikamente, Arzt und Begräbnis, versorgte die Alten und Witwen, vor allen Dingen: die Schulen. Die Sippe besaß Eigentum, vor allem: Grundeigentum ('Ahnenland': schi tien und, bei wohlhabenden Sippen, oft umfangreiches Stiftungsland… Alle verheirateten Männer hatten gleiches Stimmrecht, die nichtverheirateten Männer nur beratende Stimmen, die Frauen waren, wie vom Erbe (sie hatten nur Mitgiftanspruch), so von den Sippenberatungen ausgeschlossen. Als Verwaltungsausschuß fungierten die Aeltesten, nach Erbstämmen, aber: von allen Sippengenossen als Wählern, jährlich gekoren, welche die Einkünfte einzuziehen, den Besitz zu verwerten und den Ertrag zu verteilen, vor allem die Ahnenopfer zu besorgen und Ahnenhallen und Schulen in Ordnung zu halten hatten…
Die »Stadt« war, wie im allgemeinen schon früher angedeutet, eben infolgedessen nie die »Heimat«, sondern eigentlich die typische »Fremde« für die Mehrzahl ihrer Einwohner. Um so mehr als sie sich vom Dorf, von dem nun zu sprechen ist, durch den früher erwähnten Mangel an organisierter Selbstverwaltung unterschied. Man kann, ohne allzugroße Uebertreibung, sagen, daß die chinesische Verwaltungsgeschichte ausgefüllt ist von dem stets erneuten Streben der kaiserlichen Verwaltung, sich auch außerhalb der Stadtbezirke zur Geltung zu bringen. Abgesehen von Kompromissen in der Steuerleistung aber gelang ihr dies nur auf kurze Zeiten und konnte, bei der ihr eigenen Extensität, dauernd auch nicht gelingen. Diese Extensität: die geringe Zahl der wirklichen Beamten, war bedingt durch die Finanzen (und bedingte ihrerseits wieder deren Lage). Die offizielle kaiserliche Verwaltung blieb, der Sache nach, eine Verwaltung von Stadtbezirken und Stadtunterbezirken. Hier, wo ihr die massiven Blutsverbände der Sippen nicht so wie draußen gegenüberstanden, konnte sie – wenn sie sich mit den Gilden und Zunften verhielt – effektiv wirken. Außerhalb der Stadtmauern hörte ihre Gewalt sehr schnell auf, wirklich effektiv zu sein. Denn neben der an sich schon großen Gewalt der Sippen stand hier auch noch die organisierte Selbstverwaltung des Dorfes als solchen ihr gegenüber. Da auch Bauern zahlreich in den Städten wohnten, diese also meist »Ackerbürgerstädte« waren, so besteht nur der verwaltungstechnische Unterschied: 'Stadt' gleich Mandarinensitz ohne Selbstverwaltung, – 'Dorf' gleich Ortschaft mit Selbstverwaltung ohne Mandarinen!
Die dorfmäßige Siedelung als solche beruhte in China auf dem Bedürfnis nach Sicherheit, welches die jedes Begriffs von 'Polizei' ermangelnde extensive Verwaltung des Reichs niemals hat befriedigen können. Die Dörfer waren meist befestigt, ursprünglich und, wie es scheint, oft noch heute: pallisadiert, wie die alten Städte, häufig aber auch: ummauert. Sie stellten, zur Ablösung der Reih-um-gehenden Wachtpflicht (s. gleich) die besoldeten Wächter an. Von der »Stadt« unterschieden sie sich – zuweilen viele Tausende von Einwohnern zählend – eben dadurch: daß sie selbst diese Funktionen wahrnahmen und dazu, im Gegensatz zur Stadt, ihr Organ hatten. Dies war, da ein 'Korporations'-Begriff dem chinesischen Recht und vollends den Denkgewohnheiten der Bauern natürlich völlig fehlte: – der Dorftempel, der in der Neuzeit meist irgendeinem der populären Götter: dem General Kwan Ti (Kriegsgott), dem Pah Ti (Handelsgott), dem Wan Tschang (Gott der Schulen), dem Lang Wang (Regengott), dem Tuti (einem unklassischen Gott, dem wegen der »Conduite« des Toten im Jenseits jeder Todesfall notifiziert werden mußte) usw. dediziert zu sein pflegte, – welchem? scheint ziemlich gleichgültig gewesen zu sein…
Der Tempel hatte, wie die Ahnenhalle, Eigentum, vor allem: Grundeigentum. Aber sehr oft auch Geldbesitz, den er zu nicht immer niedrigen Zinsen auslieh. Der Geldbesitz stammte vor allem aus den traditionellen Marktabgaben: die Marktstände standen von altersher, wie fast überall in der Welt, unter dem Schutz des Lokalgotts. Das Tempelland wurde, wie das Ahnenland, verpachtet, und zwar vorzugsweise an die Besitzlosen des Dorfes, die daraus entspringenden Renten und überhaupt alle Einkünfte des Tempels wurden jährlich ebenfalls an Einnahmepächter vergeben, der nach Abzug der Kosten bleibende Reinertrag verteilt… Der 'Tempel' hatte Gerichtsbarkeit in Bagatellsachen und usurpierte sehr oft solche in Sachen aller Art, ohne daß die Regierung – außer bei Staatsinteressen – intervenierte. Dies Gericht, nicht die staatliche Gerichtsbehörde, genoß das Vertrauen der Bevölkerung. Der 'Tempel' sorgte für Straßen, Kanäle, Verteidigung, polizeiliche Sicherheit, – durch Turnus-Wachtpflicht, die faktisch meist abgelöst wurde, – Verteidigung gegen Räuber oder Nachbardörfer, für Schule, Arzt, Medikamente, Begräbnis, soweit die Sippen dies nicht tun konnten oder wollten. Der Dorftempel enthielt das Waffendepot des Dorfs. Durch den Dorftempel, der in dieser Funktion der 'Stadt' fehlte, war das Dorf rechtlich und faktisch als Kommunalkörper aktionsfähig. Vor allem: das Dorf, nicht aber die Stadt, war ein, im Umkreis der Interessen der Dorfbewohner, tatsächlich wehrhafter Verband.
Nicht immer hat sich die Regierung derart auf den laissezfaire-Standpunkt gegenüber dieser inoffiziellen Selbstverwaltung gestellt, wie in der letzten Zeit des alten Regims. Unter den Han versuchte sie z.B. den reinen patrimonialen Absolutismus Schi Hoang Ti's durch geordnete Heranziehung der Gemeindeältesten zu Selbstverwaltungsämtern (san lao) abzubauen und die urwüchsige Selbstverwaltung so zu reglementieren und zu legalisieren...
Man darf sich das Leben des Bauern in einem chinesischen Dorf, allen Anzeichen nach, keineswegs als eine harmonische patriarchale Idylle vorstellen. Nicht nur die Fehden nach außen bedrohten den Einzelnen recht oft. Nein: vor allem fungierte die Sippenmacht und auch die Verwaltung des Dorftempels überaus oft in gar keiner Weise genügend, um Besitz: zumal überragenden Besitz, zu schützen…
Gegenüber der literarisch gebildeten Beamtenschaft war das aliterarische Alter also solches das stärkste Gegengewicht. Dem absolut bildungslosen Aeltesten seiner Sippe hatte sich innerhalb der durch die Tradition festgelegten Sippenangelegenheiten auch der durch noch so viele Examina gegangene Beamte bedingungslos zu fügen.
Ein praktisch erhebliches Maß von ursurpierter und konzessionierter Selbstverwaltung stand jedenfalls einerseits: in Gestalt der Sippen, andererseits: dieser Organisationen der Armut, der Patrimonialbureaukratie gegenüber. Deren Rationalismus befand sich hier gegenüber einer im ganzen und auf die Dauer ihm weit überlegenen, weil stetig und vom engsten persönlichen Verbande gestützt wirkenden, entschlossen traditionalistischen Macht. Jede Neuerung, welcher Art immer, konnte ja überdies bösen Zauber stiften… Die Sippenältesten waren es auch: – das geht uns hier besonders an –, deren Einfluß für die Annahme oder Verwerfung religiöser Neuerungen meist entscheidend war und, selbstverständlich, fast ausnahmslos in die Wagschale der Tradition fiel, insbesondere wo sie Bedrohung der Ahnenpietät witterten. Diese gewaltige Macht der streng patriarchal geleiteten Sippen war in Wahrheit der Träger jener vielberedeten 'Demokratie' in China, welche nur der Ausdruck 1. des Fortfalls feudaler Ständebildung, 2. der Extensität der patrimonial-bureaukratischen Verwaltung und 3. der Ungebrochenheit und Allgewalt der patriarchalen Sippen andererseits war und mit »moderner« Demokratie gar nichts gemein hatte.
Auf realer oder nachgeahmter persönlicher Versippung ruhten fast alle diejenigen organisatorischen Gebilde ökonomischer Art, welche über den Rahmen der Einzelwirtschaft überhaupt hinausgriffen. Zunächst die Tsung-tse-Gemeinschaft. Die in dieser Form organisierte Sippe besaß neben der Ahnenhalle und dem Unterrichtsgebäude auch Sippenhäuser für Vorräte und Geräte zur Reisverarbeitung, Konservenbereitung, Weberei und andere Hausproduktionen… Sie bedeutete also: produktivgenossenschaftlich erweiterte Sippen- und kumulative Hausgemeinschaft. Andererseits bestanden neben dem gewerblichen Einzelmeisterbetrieb in den Städten spezifisch kleinkapitalistische (genossenschaftliche) Betriebsgemeinschaften in gemeinsamen Ergasterien mit oft weitgehender manueller Arbeitsteilung, oft mit durchgeführter Spezialisierung der technischen und kaufmännischen Betriebsführung und mit Verteilung des Gewinns nach Maßgabe… Alle diese Formen der Schaffung größerer Wirtschaftseinheiten hatten, sozial angesehen, einen spezifisch 'demokratischen' Charakter… Das Verlagssystem dagegen, welches bei uns die kapitalistische Unterjochung einleitete, steckte anscheinend bis in die Gegenwart, – in welcher es quantitativ bedeutend namentlich in den Fernabsatzgewerben entwickelt ist, – organisatorisch noch in den verschiedenen Formen rein faktischer Abhängigkeit des Handwerkers vom Händler und war nur in einzelnen Gewerben bis zur Heimarbeit mit eingesprengten Zwischenmeisterwerk stätten und zentralem Verkaufsbureau vorgeschritten… Die Textilindustrie kam gegen das Hausgewerbe schwer auf; nur die Seide hatte ihren Markt, auch Fernmarkt. Aber diesen letzteren okkupierten die Seidenkarawanen des kaiserlichen Oikos. Die Metallindustrie konnte bei der großen Unergiebigkeit der Bergwerke nur bescheidene Dimensionen annehmen… Für die Teebereitung finden sich bildliche Darstellungen großer arbeitsteiliger Werkstätten, vergleichbar den altägyptischen Bildern ähnlicher Art. Die staatlichen Manufakturen stellten (normalerweise) Luxusartikel her (wie im islamischen Aegypten); die Erweiterung der staatlichen Metallindustrie aus valutarischen Gründen war vorübergehend. Die Zünfte, von denen schon gesprochen wurde, regulierten zwar das Lehrlingswesen. Von besonderen Gesellenverbänden hören wir dagegen nichts… Für die unreinen Berufe bestanden, wie unter indischen Verhältnissen, feste, vererbliche und verkäufliche Kundschaften. Konnubium, Kommensalität und Zulassung zu den Graden blieb allen degradierten Kasten versagt. Jedoch war kraft kaiserlicher Erlasse für diejenigen, welche einen unreinen Beruf aufgaben, gerichtliche Rehabilitierung zulässig (und wurde z.B. noch 1894 für einzelne dieser Kasten verfügt). Sklaverei entstand seit Einstellung der Eroberungskriege durch Ergebung oder Verkauf seitens der Eltern oder (strafweise) seitens der Regierung. Der Freigelassene schuldete dem Patron Obödienz – wie im Okzident – und war unfähig, Grade zu erwerben. Die Kontraktarbeiter (Ku kong) schuldeten während des Dienstes Obödienz und entbehrten der Kommensalität mit dem Herren...
Neben den Sippen, den Gilden und Zünften blühte im neuzeitlichen China – für die Vergangenheit ist für den Außenstehenden Sicheres nicht zu ermitteln – die Assoziation in Form des Klubs, hwui, auf allen, auch ökonomischen, kreditgenossenschaftlichen, Gebieten…
Außer einem verliehenen Titularadel existierten in der Neuzeit – wenn die strenge Scheidung der im Mandschu-Heerbann registrierten Familien, der Ausdruck der seit dem 17. Jahrhundert bestehenden Fremdherrschaft, beiseite gelassen wird – geburtsständische Unterschiede unter Chinesen selbst, sahen wir, nicht mehr. Und nachdem zuerst im 8. Jahrh. die 'bürgerlichen' Schichten eine starke Lockerung der polizeistaatlichen Fesselung erlangt hatten, bestand im 19. Jahrhundert, und zwar offenbar seit langer Zeit: Freizügigkeit, obwohl auch diese in offiziellen Edikten nicht anerkannt war. Die Zulassung zur Ansiedelung und zum Grundbesitz in einer andern als der Heimatgemeinde ist sicherlich, wie im Okzident, erst durch den Fiskalismus erzwungen worden. Seit 1794 erwarb man die Ortszugehörigkeit durch Erwerb von Grundbesitz und 20 jährige Steuerzahlung und verlor damit die Ortszugehörigkeit in der Heimatgemeinde. Ebenso bestand seit langem – so sehr (1671) das 'Heilige Edikt' noch das Bleiben im Beruf empfahl – freie Berufswahl. In der Neuzeit bestand weder Paßzwang noch Schul- oder Militärdienstzwang. Ebenso fehlten Wucher- und ähnliche den Güterverkehr beschränkende Gesetze. Immer wieder muß angesichts all dessen betont werden: Dieser, der freien Entfaltung des bürgerlichen Erwerbs scheinbar höchst förderliche Zustand hat dennoch keine Entwicklung eines Bürgertums okzidentalen Gepräges hervorgebracht…
Politisch stand die patrimoniale Staatsform, vor allem der patrimoniale Charakter der Verwaltung und Rechtsfindung mit ihren typischen Folgen: dem Nebeneinander eines Reiches der unerschütterlichen heiligen Tradition und eines Reiches der absolut freien Willkür und Gnade, hier wie überall der Entwicklung wenigstens des in dieser Hinsicht besonders empfindlichen gewerblichen Kapitalismus im Wege: das rational kalkulierbare Funktionieren der Verwaltung und Rechtspflege, welches ein zum rationalen Betrieb sich entwickelndes Gewerbe bedurfte, fehlte. In China, wie in Indien, wie im islamischen Rechtsgebiet und überhaupt überall, wo nicht rationale Rechtsschaffung und Rechtsfindung gesiegt hatte, galt der Satz: 'Willkür bricht Landrecht'. Er konnte aber der Entwicklung kapitalistischer Rechtsinstitute nicht, wie er es im okzidentalen Mittelalter tat, zugute kommen, weil einerseits die korporative Autonomie der Städte als politischer Einheiten und andererseits die privilegienmäßig garantierte und fixierte Festlegung der entscheidenden Rechtsinstitutionen…
Wirklich garantierte 'Freiheitsrechte' des einzelnen fehlten im Grunde gänzlich. Der Rationalismus des Literatenbeamtentums in den miteinander konkurrierenden Teilstaaten hatte in einem Einzelfall (536 n. Chr. im Staate Tsheng) die Kodifikation des Rechts (auf Metalltafeln) in Angriff genommen. Aber bei der Diskussion dieser Frage innerhalb der Literatenschicht wurde nach der Annalistik mit Erfolg (durch einen Minister des Tsin-Staates) geltend gemacht: 'Wenn das Volk lesen kann, wird es seine Oberen verachten'. Das Charisma der gebildeten Patrimonialbureaukratie schien in Gefahr, an Prestige zu verlieren, und diese Machtinteressen ließen einen solchen Gedanken seitdem nie wieder aufkommen. Verwaltung und Rechtsfindung waren zwar formal durch den Dualismus der Fiskal- und Justizsekretäre, aber nicht wirklich in der Art ihrer Ausübung getrennt, wie auch – durchaus patrimonial – die Hausdiener des Beamten, die er auf seine Kosten engagierte, die Polizisten und Subalternbeamten für seine Verwaltung hergaben. Der antiformalistische patriarchale Grundzug verleugnete sich nirgends: anstößiger Lebenswandel wurde gestraft auch ohne Spezialbestimmung. Das Entscheidende war aber der innerliche Charakter der Rechtsfindung: Nicht formales Recht, sondern materiale Gerechtigkeit erstrebte der ethisch orientierte Patrimonialismus hier wie überall… Die Edikte der Kaiser selbst über Verwaltungsmaßregeln hatten meist jene lehrhafte Form, welche päpstlichen Bullen des Mittelalters eignet, nur ohne deren dennoch meist vorhandenen präzisen rechtlichen Gehalt. Die bekanntesten von ihnen stellten Kodifikationen von ethischen, nicht von rechtlichen Normen dar und zeichneten sich durch literarische Gelehrsamkeit aus… Die ganze kaiserliche Verwaltung stand – soweit sie orthodox orientiert war – unter dem Einfluß einer dem Wesen nach theokratischen, etwa einer Kongregation der päpstlichen Kurie entsprechenden Literatenbehörde: der sog. »Akademie« (Han-lin-yuan), der Hüterin der reinen (konfuzianischen) Orthodoxie, die uns mehrfach begegnet ist…
In der patriarchalen chinesischen Justiz war für Advokaten im okzidentalen Sinn gar kein Platz. Als Anwälte fungierten für die Sippengenossen etwaige literarisch gebildete Mitglieder; sonst fertigte ein Winkelkonsulent die Schriftsätze. Es war eben die in allen spezifischen Patrimonialstaaten, am meisten in den theokratischen oder ethisch-ritualistischen Patrimonialstaaten orientalischen Gepräges, wiederkehrende Erscheinung: daß zwar neben der wichtigsten, aber nicht 'kapitalistischen' Quelle der Vermögensakkumulation: der rein politischen Amts- und Steuerpfründe, auch 'Kapitalismus': der Kapitalismus der Staatslieferanten und Steuerpächter, also: politischer Kapitalismus, blühte und unter Umständen wahre Orgien feierte, daß ferner auch der rein ökonomische, d.h. vom »Markt« lebender Kapitalismus des Händlertums sich entwickeln konnte, – daß dagegen der rationale gewerbliche Kapitalismus, der das Spezifische der modernen Entwicklung ausmachte, unter diesem Regime nirgends entstanden ist... Aber warum blieb diese Verwaltung und Justiz so (kapitalistisch angesehen) irrational? – dies ist die entscheidende Frage. Einige im Spiel befindliche Interessen lernten wir kennen. Aber sie bedürfen der vertieften Erörterung.
Wie die von materialer Individualisierung und Willkür unabhängige Justiz, so fehlten für den Kapitalismus auch politische Vorbedingungen. Es fehlte zwar nicht die Fehde: – im Gegenteil ist die ganze Geschichte Chinas voll von großen oder kleinen Fehden bis zu den massenhaften Kämpfen der einzelnen Dorfverbände und Sippen. Aber es fehlte, seit der Befriedung im Weltreich, der rationale Krieg und, was noch wichtiger war, der diesen ständig vorbereitende bewaffnete Friede mehrerer miteinander konkurrierender selbständiger Staaten gegeneinander und die dadurch bedingten Arten von kapitalistischen Erscheinungen: Kriegsanleihen und Staatslieferungen für Kriegszwecke…
Der rationale Betriebskapitalismus, dessen spezifische Heimat im Okzident das Gewerbe wurde, war eben außer durch das Fehlen des formal garantierten Rechts und einer rationalen Verwaltung und Rechtspflege und durch die Folgen der Verpfründung auch durch das Fehlen gewisser gesinnungsmäßiger Grundlagen gehemmt worden. Vor allem durch diejenige Stellungnahme, welche im chinesischen 'Ethos' ihre Stätte fand und von der Beamten- und Amtsanwärterschicht getragen wurde.

Mentioned People (1)

Weber, Max  (Erfurt 1864-1920 München) : Wirtschaftwissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Professor fur Handelsrecht Universität Berlin, Professor für Nationalökonomie Universität Freiburg i.B. und Heidelberg, Professor für Soziologie Universität Wien, Professor für Nationalökonomie Universität München

Subjects

History : China : General / Philosophy : Europe : Germany

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# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 1920 Weber, Max. Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen : Konfuzianismus und Taoismus. In : Weber, Max. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. 1. (Tübingen : J.C.B. Mohr, 1920).
http://www.zeno.org/Soziologie/M/Weber,+Max/Schriften+zur+Religionssoziologie/
Die+Wirtschaftsethik+der+Weltreligionen.
http://www.zeno.org/Soziologie/M/Weber,+Max/Schriften+zur+Religionssoziologie
/Die+Wirtschaftsethik+der+Weltreligionen/Konfuzianismus+und+Taoismus
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Publication / WebM2