Grimm, Hermann. Die Schlange [ID D15778].
Quelle : Julien, Stanislas. Blanche et Blue ou les deux couleuvres-fées [ID D2007].
Ingrid Schuster : Die Novelle ist eine tragische Geschichte einer Liebesbeziehung mit dem Motiv von der verleumdeten Gattin. Trotzdem das Mädchen dem Mann gesteht, dass sie eine Schlange ist, will er sie heiraten. Der „Fremde“ der eines Tages als Gast ins Haus kommt, verleumdet sie bei ihrem Mann, indem er die Motive für ihr liebevolles Betragen in Frage stellt.
Grimm hat alle drei Hauptpersonen in der chinesischen Quelle gefunden : die schöne verführerische Frau, die eigentlich ein Schlangenwesen ist, den verliebten Mann, der sie heiratet, und der Fremde, ein Priester, der die Frau als Schlange denunziert und ihren Untergang herbeiführt. In der chinesischen Quelle siegt das Gute über das Böse, d.h. der Glaube an Buddha über die Verblendung durch weltliche Lust. Grimm setzt an Stelle des Seelenheils die biedermeierlich-romantische Auffassung von Liebesglück, einem Glück also, das sich der Mensch auf Erden erhofft. In der chinesischen Erzählung deutet die Schlangengestalt auf Sexualität hin. Bei Grimm hat die Braut ihre Sexualität bereits abgelegt und ist auch im Wesen „menschlich“ geworden, bevor sie dem Mann begegnet ist. Sie ergreift nicht wie im chinesischen Text die Initiative gegenüber dem Mann, sie warnt ihn vor ihrer eigenen sinnlich-possessiven Natur. Was ihre Sexualität kontrolliert und ihr Verhalten motiviert, ist im Grunde Menschlichkeit und Sinn für Ehrlichkeit. Vertrauen und Treue ihres Mannes könnten sie für immer erlösen, doch unter dem Einfluss des Fremden zwingen die beiden Männer die Frau zurück in die Rolle des Tieres. Bei Grimm verbrennt der Mann die Frau im Backofen, in der chinesischen Vorlage ändert sich nichts an der leidenschaftlichen Zuneigung zu einander, auch wenn die Frau vorübergehend die Schlangengestalt annimmt.
Literature : Occident : Germany