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Chronology Entry

Year

1988

Text

Kinder, Hermann. Kina Kina [ID D15593].
Qixuan Heuser : Die Erzählung schildert das chinesische Unitersitätsmilieu und die politisch hintergründige Kampagne gegen die Verwestlichung. Professor Andermatt hat keine besonderen persönlichen Interessen für die alte chinesische Kultur und keine Vorkenntnisse von dem fremden Land überhaupt mitgebracht und nimmt deshalb China ohne vorgefasste Meinung auf. Er schildert die fremde Welt ohne Anteilnahme und lässt bei der Darstellung der Begegnung mit China zwei Kulturen aufeinanderprallen, ohne darüber zu reflektieren. Andermatts Beobachtung der Chinesen bleibt nicht bei ihrem Äusseren, sondern sie gilt auch ihrem Verhalten, das ihm etwas von deren Mentalität oder Lebensinhalt verrät : das langsame Tempo und der lockere Arbeitsstil der Techniker und Arbeiter, die Zerstreutheit der Studenten beim Unterricht, der die Arbeit mit Heiterkeit hinnehmende Rikschafahrer, die Verwöhnung des Einzelkindes, das kecke Benehmen der Liebespaare im Park, die Ausdrucksform des Schamgefühls der Chinesinnen und schliesslich das offene Leben und alle möglichen Beschäftigungen der einfachen Leute auf einer verkehrsfreien Strasse.
Die einzige vollständig charakterisierte chinesische Figur ist Wang. Als Betreuer von Andermatt ist er pflichtbewusst und fürsorglich, als Hochschullehrer fleissig und wissensdurstig, als Parteimitglied treuherzig und vom politischen Weg Chinas überzeugt, als Ehemann geduldig und nachgiebig, als Mensch bescheiden und devot.
Im Zusammenhang mit Andermatts Arbeit an der Universität wird der Kulturzusammenstoss geschildert. Er sieht sich mit Zuhörern konfrontiert, die keine tiefen Kenntnisse über die europäische Kultur besitzen und Deutsch als Anfänger sprechen. Dazu kommt, dass die Studenten weniger Interesse für deutsche Literatur und Literaturwissenschaft haben, als für das westliche Alltagsleben. Bei seiner Vermittlung der deutschen Literatur beschäftigt ihn auch das Tabuthema der sexuellen Beschreibung : "Ihm war vorher nicht bewusst gewesen, wie voller Sexuellem die deutsche, die bundesdeutsche Literatur war".
Trotz seiner Aufmerksamkeit für das Fremde zeigt sich Andermatt distanziert zu China, und zwar durch seine Missfallensäusserungen zu den materiellen Lebensbedingungen.

Gao Yunfei : Der deutsche Professor für Germanistik Andermatt kommt nach China, um ein fremdes Land zu entdecken und zu erobern. Er kämpft aus seinem engen eurozentrischen Überlegenheitsgefühl heraus und erschliesst eine dem Westen bislang unbekannte chinesische Welt immer weiter. Diese fremde chinesische Wirklichzeit scheint für ihn eine Tortur zu sein. Er ist verwirrt und körperlich und seelisch der fremden Welt nicht gewachsen.
Andermatts Vorwissen über China besteht aus überlieferten Klischee-Bildern und Vorurteilen. China sei schmutzig, chaotisch und laut, aber sein Bild besteht auch aus positiveren Ansichten über die schöne Landschaften und über das chinesische Alltagsleben. Er sieht die Chinesen als "Pekingopergesicht, schön rund, weisse Bluse blaue Shorts, die Söckchenfüsse auf Plastiklatschen".
Indem Andermatt die chinesische Wirklichkeit als eine fremde Welt erfährt, gibt er zu, dass diese Wirklichkeit seinem vorherigen China-Bild nicht entspricht. Indem er sich dies gesteht, zeigt er seinen Willen, diese fremde Welt für sich zu erschliessen. Es ist ihm bewusst geworden, dass er eine ganz fremde Welt vor sich hat. Aufgrund dieses Bewusstseins kann er sich dann einrichten und diese fremde Welt erobern und je länger er dies tut, desto mehr nimmt er wahr.
Dekan Wang ist ein typischer Vertreter der chinesischen Intellektuellen, die von der Modernisierung irritiert sind und das heutige China nicht mehr verstehen. Sie wollen Chinas Modernisierung, doch sie sehen ihre Stellung, ihre alte Identität verlorengehen. Einerseits versteht Wang China nicht mehr, andererseits will er aber seine Hoffnung auf die Partei und ein neues China nicht aufgeben. Er hofft, in den westlichen Theorien eine Anwort finden zu können. Andermatt interessiert sich für den chinesischen sozialistischen Aufbau, für die Stellung des Marxismus im heutigen China und er macht sich Sorgen um das Verschwinden der alten chinesischen Kultur und Tradition, sowie um Chinas Verwestlichung.
Hermann Kinder hat ein China dargestellt, das sich mitten in der Modernisierung und im Umbruch befindet. Er hat während seines Aufenthaltes in Shanghai die Unfreiheit der Studenten in ihrem privaten Leben sowie beim Studium, ihre bedrückten Seelen, ihre Sorgen und ihre Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie wahrgenommen und in seinem Buch dargestellt. Er beschreibt Chinas Armut und Sparsamkeit um den Kontrast zwischen dem "Paradies" Europa und China zu zeigen.

Mentioned People (1)

Kinder, Hermann  (Thorn 1944-) : Deutscher Schriftsteller, Literaturwissenschaftler

Subjects

Literature : Occident : Germany

Documents (1)

# Year Bibliographical Data Type / Abbreviation Linked Data
1 1996 Heuser, Qixuan. Das China-Bild in der deutschsprachigen Literatur der achtziger Jahre : die neuen Rezeptionsformen und Rezeptionshaltungen. (Freiburg, Schweiz : Universität Freiburg, 1996). Diss. Univ. Freiburg, 1996. S. 87-90. Publication / Heus1
  • Source: Amanshauser, Gerhard. Der Ohne-Namen-See : chinesische Impressionen. (Zürich : Nagel & Kimche, 1988). [Bericht über seinen Sprachkurs in Beijing und einer Fahrt nach Xian und Chengdu]. (Ama1, Publication)
  • Source: Kinder, Hermann. Kina Kina : Erzählung. (Zürich : Haffmans, 1988). (Kind1, Publication)
  • Cited by: Asien-Orient-Institut Universität Zürich (AOI, Organisation)