Frisch, Max. Notizen von einer kurzen Reise nach China 28.10-4.11.1975.
Frisch schreibt über die Chinesische Mauer : Heute auf der Grossen Mauer. Wenn man dasteht, um zu verschnaufen und festzustellen : Genau wie erwartet und wie schon beschrieben, ja, genau so ist es... ihr Verlauf scheint bestimmt durch das Bedürfnis nach einem Monument, das irgendwo im kahlen Bergland zeigt : Hier beginnt China, das Reich der Himmelssöhne ! Oder von innen her gesehen : Hier endet die Welt, der Rest ist barbarisch.
Qixuan Heuser : Das China, das Frisch schildert, ist noch stark vom Ausklang der Kulturrevolution gekennzeichnet : das Strassenbild ist durch die einheitlich gekleidete Masse „blau-grau-grünlich“ ; die Schulklasse spricht die „Sätze des Vorsitzenden Mao in englischer Sprache“ nach ; an der Universität studieren noch die Arbeiter-Bauern-Soldaten-Studenten – „Ich sehe Burschen, die wahrscheinlich mit einem Schweissbrenner umzugehen wissen, und Mädchen, die mit einer Sichel arbeiten können“ : die Verwaltungen auf allen Ebenen bezeichnen sich als „Revolutionskomitees“ ; die Kulturunterhaltung ist stark ideologisch geprägt – sie bietet die Peking-Oper mit dem Thema des Bauernkampfes und den Ballettanz „eines Mädchens mit Gewehr“ ; schliesslich verhalten sich die chinesischen Dolmetscher übervorsichtig, meiden sie jedes Gespräch mit den westlichen Besuchern. All das sind zeitbedingte und bald verschwundene Erscheinungen, die die späteren Chinabesucher nicht mehr vorfinden. Frischs Frage : „Was kommt nach Mao Tse-tung?“ findet in den China-Romanen der späteren Chinabesucher indirekte Antworten. Was Frisch seinerzeit in China vermisst hat, wie Schaufenster und Reklame, kommt in bald folgenden Darstellungen der Chinareisen vor. Doch manches durchhaltend Chinesische, was Frisch damals schon beschäftigt, erfährt eine Kontinuität in dem literarischen China-Bild der achziger Jahre. Frischs Beschreibung der chinesischen Masse, die sich „ohne Hast zu Fuss, im Bus, die meisten auf Fahrrädern“ bewegt, dabei als eine „gesittete Masse“ erscheint, die „keine Verzweiflung kennt und „viel Geduld“ aufweist, finden bei anderen China beschreibenden Schriftstellern immer wieder Ergänzungen, Erweiterungen oder Variationen. Auch Frisch Skepsis zu der Möglichkeit des Lebens der jungen Leute unter dem Verbot der unehelichen Sexualität in China besteht in den China-Romanen der achtziger Jahre fort.
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